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22. Esther, das Judenmädchen von Nordhausen

Man erhebt ernste Beschuldigungen wider Euch, mein Neffe, und ich denke, Euer Wohl gleichwie Eure Ehre erheischen eine sofortige Widerlegung aus Eurem eigenen Munde. Alles, was Ihr durch Euer Ritterwort bekräftigen werdet, soll mir Wahrheit sein. Erweiset Euch des Vertrauens würdig, welches ich in Euch setze.«

Mit diesen Worten empfing der edle Graf von Holnstein seinen Lieblingsneffen Otto, der auf sein Geheiß erschienen war und dessen Lippen sich zu einem verächtlichen Lächeln kräuselten, als er seines Vetters Hildebrand ansichtig wurde, der mit schadenfroher Miene in einer Fensternische lehnte.

»Wer mein Ankläger ist, edler Oheim, brauche ich nicht zu fragen, wie es mich bedünken will,« sagte er, einen flammenden Blick nach dem Vetter schleudernd, »wessen man mich jedoch beschuldigt, vermag ich nicht zu errathen und darum bitte ich, saget es mir.«

»In Nordhausen erzählen sich die Leute, Ihr ständet im Einverständniß mit den Juden, deren Bosheit so unsägliches Elend über die Stadt heraufbeschworen und Trauer in beinahe jedes Haus getragen hat. Ferner beschuldigt man Euch schlimmer Beziehungen zu Esther, des reichen Isaacs Kind. Saget offen, wie viel des Wahren daran ist!«

»Gar nichts, mein Oheim, alles ist die müssige Erfindung eines böswilligen Geistes,« rief Otto stolz. »Wohl ist es wahr, daß ich früher, ehe der schwarze Tod verheerend durch die unglückliche Stadt zog, öfter des alten Isaacs Haus besuchte, die Kunstschätze zu besehen, die er aus fernen Landen heimgebracht, und Ihr wißt es ja wohl, manch' köstliches Geschmeide für unsere Frauen, manch' seltene Waffe für Eure Rüstkammer habe ich von ihm erstanden. Und wenn ich bei ihm weilte, dann fügte es zuweilen der Zufall, daß Esther, sein schönes Kind, anwesend war und eine Weile mit des Vaters Gast von allerlei Dingen sprach, die Weibern sonst fremd zu sein pflegen, denn sie ist nicht nur herrlich wie eine Göttin der Alten, sondern auch ebenso reich an Wissen wie an Verstand und Gemüth, so daß manche unserer edelsten Frauen es nicht wagen dürfte, sich der armen verachteten Jüdin zur Seite zu stellen!«

»Sagt es doch lieber gerade heraus, daß sie es Euch angethan hat, daß Ihr sie liebt, denn man merkt es doch an Euren begeisterten Worten!« fiel Hildebrand spöttisch dazwischen.

»Und wenn ich sie liebte, was kümmert es Euch? – Seid Ihr meines Herzens Richter, schulde ich Euch Rechenschaft über meine Empfindungen? – Meinem Oheim wird es genügen, wenn ich mit meinem Ritterwort bekräftige, daß ich nie von Liebe zu dem Mädchen gesprochen oder ein Wort geäußert habe, welches in ihr den Gedanken erwecken konnte, daß sie meinem Herzen theuer sei.

»Es genügt mir, denn ich weiß Euch unfähig, eine Unwahrheit zu äußern,« sagte der edelmüthige Graf, das Haupt leise neigend. »Doch sollt Ihr, Euer Wohl und Wehe mag davon vielleicht abhängen, zur Stunde das Versprechen ablegen, das Mädchen, wie ihres Vaters Haus in Zukunft zu meiden und keinen Verkehr mehr mit ihnen zu haben. Als Christen wie als Ritter ist es unsere Pflicht, jede Gemeinschaft aufzugeben mit den erbittertsten Feinden der Christenheit. Ihr wisset, die Bürger zu Nordhausen sind uns nicht wohl gesinnt und mit Recht würden sie uns zürnen, wollten wir gemeinsame Sache machen mit den Elenden, welche die Brunnen vergifteten durch Unrath und Hexenzeug, um diese furchtbare Seuche über die Menschen zu bringen.«

»Auch Ihr, Oheim, ein so hochherziger Mann, gehöret zu Jenen, die dieser albernen Mähr Glauben schenken?« frug Otto bitter.

»Wie sollte ich nicht, mein Neffe? – Wieso wäre diese Krankheit sonst entstanden?«

»Wieso? – Das fraget die Aerzte, die ihre Unwissenheit verdecken zu können glauben, wenn sie fälschliche Beschuldigungen ausstreuen, welche die thörichte Menge willig anhört! Leicht ist es, andere verantwortlich zu machen für die Folgen, welche man sich durch die eigenen Laster und Sünden zuzieht. – Doch, das geforderte Versprechen will ich ablegen – aus eigenem freien Antriebe werde ich Isaacs Haus nimmer betreten noch mit ihm oder seiner Tochter Worte wechseln, bis Ihr mich selbst davon entbindet.«

»Warum diese absonderliche Bedingung?« fiel Hildebrand hämisch ein.

»Weil ein Ritter nicht mehr verspricht, als er gewiß ist, halten zu können!« lautete die kalte Erwiderung.

»Ihr habt Recht, mein Neffe, und ich ehre Euer Bedenken,« sagte der Graf, der seinen Neffen Hildebrand ebenfalls nicht geneigt war.

So willig Otto von Hohnstein auch diese Zusage abgegeben hatte, um dem Oheim seine Verehrung und Liebe zu bezeugen, sobald er allein war, bereute er diese Bereitwilligkeit, die ihm unwürdig erschien für einen Mann von fünfundzwanzig Jahren. Wie, bedurfte es einer solchen Maßregel, ihn auf dem Weg der Ehre zu erhalten, wußte denn nicht er selbst, was er thun, wie weit er gehen durfte? – Und war es edel gehandelt, wenn er das Mädchen, dem er so oft seine Bewunderung und Freundschaft versichert, in dieser trüben und gefahrvollen Zeit ihrem Schicksale überließ, ohne sich um sie zu bekümmern? – Doch nun kamen die Bedenken zu spät, er hatte sein Ritterwort verpfändet, und mußte es halten, was freilich nicht verhindern konnte, daß er der schönen Esther jetzt öfter gedachte denn je. – – – – – – – – – –

*

Zu Beginn des Jahres 1350, als scharfer Frost alles Leben in der Natur schon wochenlang gefesselt hielt, erlosch zu Nordhausen die entsetzliche Seuche, welche die Stadt beinahe zur Hälfte entvölkert hatte, und die Ueberlebenden durften nach diesen Tagen banger Angst und harter Prüfungen wieder freier aufathmen.

Mit der Ruhe erwachte jedoch das Verlangen nach Rache nur umso heftiger, man sagte, es gälte sich zu schützen vor weiterem Unheil, die Schuldigen der verdienten Strafe zuzuführen und so begnügte man sich nicht mit den Opfern, welche Verzweiflung und blinder Aberglaube schon während der Zeit gefordert hatten, als der schwarze Tod mit ungebrochener Kraft durch die Stadt zog, sondern man begann förmliche Prozesse einzuleiten gegen die vermeintlichen Urheber dieses Uebels, die Juden. Jeder von ihnen, der in der Stadt einen einigermaßen einflußreichen Feind oder Schuldner besaß, dem er als Gläubiger lästig war, durfte sicher sein, sammt den Seinigen angeklagt zu werden, um nach allen erdenklichen Martern am Scheiterhaufen zu enden. Weder Greise noch Weiber und Kinder entgingen der Mordlust.

Otto von Hohnstein wußte um diese verabscheuungswürdigen Vorgänge und so oft neue Berichte einliefen, erwartete er auch Isaacs und seiner Tochter Namen unter denen der Angeklagten zu entdecken, denn es war ihm wohl bekannt, daß ihre Neider schon öfter versucht hatten, sie in den Kreis dieser Unglücklichen hineinzuziehen. Bisher freilich ohne Erfolg, denn der alte Kunsthändler wurde unter allen seinen Glaubensgenossen am meisten geachtet, er galt für einen redlichen, zuverlässigen Mann und endlich hatte der schwarze Tod ja auch ihn zweier blühender Söhne beraubt. Wie diese Versuche enden, welche Macht die Aufwiegler endlich noch über die schwache, leicht zu lenkende Menge gewinnen würden, ließ sich nicht vorhersehen. Sich die schöne Esther auf der Folter oder am Scheiterhaufen zu denken, war aber unerträglich für ihn und oft fuhr er des Nachts aus schreckhaftem Traume auf, der ihm die Flammen gezeigt hatte, die um sie spielten.

Eines Abends, als Otto in den Wäldern um Neustadt unterm Hohnstein gejagt hatte und bei einbrechender Nacht auf einsamen Pfaden heimkehrte, vernahm er plötzlich leise Stimmen zu seiner Rechten, die aus dem Buschwerk hervorzudringen schienen. Lauschend hielt er sein Pferd an, mit der andern Hand den Griff seines Schwertes fester umschließend. Es konnten ja ritterliche Schnapphähne sein, die ihm da auflauerten, um dem reichen Grafen von Hohnstein ein schweres Lösegeld zu erpressen, und dann galt es die Freiheit so theuer wie möglich zu verkaufen.

Und in der That, die Stimmen kamen, vom Luftzuge getragen, immer näher, obgleich es sich nicht verkennen ließ, daß sie absichtlich gedämpft wurden, und schon ließ sich ein leises Knistern und Rascheln in den dürren Aesten vernehmen, wie von einer sich hindurchdrängenden Gestalt. Otto ließ sein Pferd einige Schritte weit zurücktreten, um die Nahenden auf sich zukommen zu sehen und behielt die verdächtige Stelle unverwandt im Auge. Wie sehr erstaunte er jedoch, als er plötzlich zwei weibliche Gestalten aus dem Dickicht hervortreten sah, die vom Kopf bis zu den Füßen in dickes Pelzwerk gehüllt waren, und bei seinem Anblick einen leisen Schreckensruf ausstießen.

»Fürchtet nichts, edle Frauen,« rief er ihnen entgegen, »was immer Euch zu dieser seltsamen Stunde in diesen Forst führen mag, von mir soll Euch kein Leid widerfahren und kann ich Euch dienen, so bin ich auch dazu gern bereit.«

»Otto von Hohnstein – Gelobt sei der Himmel, daß er Euch in meinen Weg führt!« rief die eine, mit dem unverkennbaren Ausdruck höchster Freude.

Der Jüngling stand mit einem Satz am Boden und auf die Frauen zueilend, erfaßte er die Hände der größeren der beiden.

»Esther! – Ihr zur Nachtzeit in diesem Forste, ohne den Vater, ohne einen männlichen Begleiter und zu Fuß – was ist geschehen?«

»Mein Vater liegt eine Stunde von hier im Walde ermordet und ich bin heimathslos. Kehre ich nach Nordhausen zurück, so ergreift man mich als Brunnenvergifterin!« rief das Mädchen mit fliegender Hast, um hernach in einen erleichterten Thränenstrom auszubrechen.

»Und habt Ihr in dieser Gegend keine Verwandten, keine Freunde, bei denen Ihr Aufnahme und Schutz finden könntet?«

»Nein, niemanden, niemanden habe ich als einen Großoheim, der aber lebt zu Frankfurt a. M. und bis dahin ist es weit.«

»Dennoch müßt Ihr dahin gebracht werden, denn ein Mädchen von Eurer Schönheit kann nicht sich selbst überlassen bleiben in dieser bösen Welt. Zunächst freilich gilt es, Euch ein Obdach zu schaffen für die ersten Tage, bis ich Zeit und Gelegenheit finde, für Eure Reise zu sorgen.«

»O, Ihr seid gut, Ritter Otto und das wußte ich jederzeit!« rief das Mädchen. »Wie oft habe ich den Vater der Himmel gebeten, er möge uns Euch doch wieder zuführen. Ja, ja, wäret Ihr bei uns gewesen, es hätte nicht so weit kommen können!«

Diese leidenschaftlich hervorgestoßenen Worte klangen dem jungen Manne wie ein Vorwurf und bekümmert erwiderte er:

»Wenn ich nicht bei Euch war, Euch keine Nachricht gab, so, glaubt es mir, Esther, geschah es nur, weil ich nicht konnte, weil eines andern Wille mir Fesseln anlegte. Aber gedacht habe ich stündlich Eurer und gebangt, gebetet für Euer Heil und Leben!«

»Ich weiß es; Euer Vetter Hildebrand erfuhr um Eure Besuche bei uns und verbot Euch in Zukunft, der Freund des Judenmädchens zu sein. – Ihr sollt den Eurigen nicht ungehorsam sein, Euer Oheim ist ein edler Mann und hat Euch viel Gutes erwiesen. Sagt mir, wohin ich mich zu wenden habe, um Schutz zu finden vor der Kälte und den reißenden Thieren während dieser Nacht und dann verlaßt mich.«

»Nein, Esther, Ihr bleibt in meiner Huth bis ich Euch sicher und wohl geborgen weiß. Mein Versprechen erstreckt sich nicht auf einen Fall wie der Eurige ist und mein Oheim selbst würde nicht wollen, daß ich Euch hülflos ließe. – Kommt, ich weiß eine Hütte tief im Walde gelegen, wo Ihr verweilen könnet, bis die Zeiten günstiger geworden sind. Niemand wird Euch in diesem armseligen Häuschen entdecken oder nur vermuthen.«

Und ehe Esther noch ein Wort darauf erwidern konnte, hatte der Jüngling sie schon auf sein Pferd gehoben, worauf er ihre, vor Angst und Schrecken halb betäubte Dienerin hinter sie setzte, während er selbst zu Fuße neben dem Thier herging den Pfad entlang, der nach dem Bährethal führte.

»Hier, trinkt ein wenig davon, es wird Euch wärmen und stärken, dann aber erzählt mir, wieso dieses Unglück über Euch gekommen ist,« sagte er, der Reiterin seine Feldflasche reichend.

Nachdem jede der Frauen einen Schluck daraus gethan hatte, begann Esther bebend:

»Letzte Nacht war es, als es plötzlich leise an das Hinterpförtchen unsres Hauses pochte. Der alte Salomo weckte den Vater und dieser ging hinab, um durch das Schiebfensterchen zu sehen, wer Einlaß begehre. Es war Bernhard Seebald, der Rathsdiener, dem mein Vater manch' Gutes erwiesen hatte und der uns die empfangenen Wohlthaten durch manchen wichtigen Dienst lohnte. Er kam, uns zur Flucht zu mahnen, da sie im Rathe beschlossen hatten, auch uns anzuklagen, um nach unserer Verurtheilung meines Vaters Besitz und Geld einzuziehen. Es hatte sich nämlich ein Ankläger gefunden, der beschwören wollte, mit seinen eigenen Augen gesehen zu haben, wie mein Vater in einer Mainacht des letzten Jahres ein großes Päckchen unter allerlei Zaubersprüchen in den Brunnen am Markte warf –«

»Schändlich!« rief Otto.

»Ihr wißt, wie es zu gehen pflegt, nur diejenigen Zeugen, die uns beschuldigen, finden Gehör, wer nicht einstimmt, wer zu unsern Gunsten spricht, der lügt und wird oft ebenfalls eingekerkert, wir mögen uns durch die Qualen der Folter das Eingeständniß des uns angedichteten Verbrechens entreißen lassen oder standhaft unsere Unschuld betheuern, es ändert nichts, verurtheilt und verbrannt werden wir in diesem, wie in jenem Falle. Es blieb uns denn nichts als die Flucht, und zwar galt kein Säumen, da man uns schon diesen Morgen gefangen nehmen wollte. So rafften wir denn eilig zusammen an Gold und Geschmeiden, so viel wir drei in den Taschen unserer Kleider bergen konnten und als es Tag wurde und die Thore sich öffneten, gelang es uns, ungesehen aus der Stadt zu entkommen. Wir wanderten so eilig als wir vermochten, alle bewohnten Stätten meidend, wie lichtscheue Verbrecher, und priesen uns glücklich, als tiefer Wald uns umgab.«

Erschöpft hielt Esther einen Augenblick inne, sie mußte erst neue Kräfte sammeln und ihre wieder reichlicher fließenden Thränen trocknen, ehe sie in ihrer Erzählung fortfahren konnte:

»Der Tag schritt voran und schon glaubten wir der höchsten Gefahr glücklich entronnen zu sein, als die Ermüdung meinen Vater übermannte und er trotz Eis und Schnee eine Weile rasten mußte. Aus sein Geheiß mußte ich, von Rebekka begleitet, eine nahe Anhöhe ersteigen, um mich über die Richtung zu vergewissern, die wir einzuschlagen hätten. Wir beeilten uns zwar nach Kräften, aber der Berg ist hoch und steil und so verging dennoch eine geraume Weile, ehe wir uns wieder zum Niederstieg rüsten konnten. Kaum jedoch, daß wir den halben Weg zurückgelegt hatten, trat uns bleich und mit verstörten Mienen der Rathsdiener Seebald entgegen.

»Gehet keinen Schritt weiter, Esther,« sagte er, mich in das Dickicht ziehend. »Ein Bürger sah Euch von seinem Fenster aus, wie Ihr diesen Morgen die Stadt verließet und der Rath beschloß, Euch eine Anzahl städtischer Kriegsknechte nachzuschicken mit dem Befehle, Euch lebend oder todt zurückzubringen. Sie fanden Eure Spur und obgleich ich mir alle Mühe gab, sie davon abzubringen, half es nichts. Sehet diese kleine Höhle hier, bergt Euch darin für eine Stunde oder zwei.« – »Und meinen alten Vater soll ich verlassen?« rief ich. – »Ihr könnt ihm keine Hülfe bringen, arme Esther, er befindet sich in der Gewalt der Söldner, er ist – todt! – Und nun haben sich die Männer nach allen Richtungen vertheilt, um den Wald nach Euch zu durchsuchen. – Hier, dieses Wenige konnte ich retten von Euerm Eigenthum, ich fand es im Oberkleide Eures Vaters, dessen Taschen sie sofort geplündert haben. Bewahrt es gut, es möchte Euch Noth thun, nun Ihr allein und verlassen seid.« – Und damit gab er mir ein Säckchen von Linnen, in dem der Vater Münzen und Juwelen barg. – »Gott nehme Euch in seinen heiligen Schutz! ich bin nur glücklich, daß man mich absandte, diesen Berg zu durchforschen. Lebet wohl, ich muß eilen, damit sie nicht Verdacht schöpfen,« setzte er hinzu.

»Armes Kind!« flüsterte Otto, des Mädchens Hand sanft pressend.

»Mich litt es jedoch nicht lange in der Höhle. Vielleicht daß der Vater doch nicht todt war, daß ich ihm noch Hülfe bringen konnte, und wenn auch das nicht, so wollte ich ihn doch noch ein letztes Mal sehen, wäre es auch nur aus der Ferne. Wir schlichen denn durch das Buschwerk abwärts und bis dicht an den Rand des Weges heran, aus welchem er sich zu kurzer Ruhe niedergelassen hatte. Da lag er nun mitten in einer großen Blutlache, den Kopf durch einen Schwerthieb vom Rumpfe getrennt und jedes Glied entsetzlich verstümmelt, um ihn herum aber standen seine Mörder lachend und rohe Witze tauschend. – O, ich werde diesen Anblick nimmer vergessen!« schluchzte sie, das Antlitz mit den Händen bedeckend.

»Endlich,« fuhr sie nach kurzer Pause matt fort, »steckte einer der Knechte seinen armen Kopf an die Spitze seines Schwertes und der ganze Troß setzte sich, laute Verwünschungen gegen mich, die Judenhexe ausstoßend, die sich mit des Teufels Hülfe unsichtbar machen könne, in Bewegung gegen Nordhausen zu. Als der Klang ihrer Tritte in der Ferne verhallt war, versuchten wir, den Ueberresten meines Vaters eine Stätte zu bereiten, doch fehlte es uns an den Werkzeugen wie an den Kräften dazu und alles, was wir thun konnten war, ihn mit trockenem Laub, Zweigen und Steinen zu bedecken, die vielleicht die wilden Thiere und Raubvögel eine Weile von ihm abhalten mögen.«

»Seid auch darum unbesorgt, Esther, Euer Vater soll im Walde, nahe der Stätte, wo er gefallen ist, ein Ruheplätzchen finden.«

Darnach ward kein Wort mehr zwischen dem jungen Paare gewechselt, bis sie nach etwa zwei Stunden eine finster und einsam im dichten Walde gelegene Holzhütte erreicht hatten, vor welcher Otto von Hohnstein das Pferd anhielt.

»Wir sind am Ziel,« sagte er. »Ihr seht, wenig einladend ist das Heim, welches ich Euch zu bieten habe, doch wüßte ich keinen andern Ort, wo Ihr so wohl geborgen wäret. Der Waldwärter, der hier wohnt, ist ein mir treu ergebener Mann, dem ich meinen größten Schatz unbesorgt anvertrauen dürfte.«

Dabei klopfte er mit drei harten kurzen Schlägen an das Pförtchen und bald darnach ließ sich von Innen heraus eine Männerstimme vernehmen, die frug:

»Seid Ihr es, Herr Otto?«

»Ja, und öffnet so schnell Ihr könnt, Wigand, ich bringe Gäste.«

Innen klirrten eiserne Riegel, die zurückgeschoben wurden, die Thür ging knarrend auf und ein heller Lichtstrom fiel den Ankömmlingen entgegen.

»Tretet ein, Esther,« sagte der Jüngling, der die Frauen schon vom Pferde gehoben hatte.

Sie traten in einen behaglichen, wenn auch bescheidenen Raum, durch welchen ein lustig loderndes Herdfeuer und ein brennender Kienspahn eine freundliche Helle verbreiteten. An einem roh behauenen Tisch saß das Weib des Waldwärters, umgeben von ihren Meinen, die beim Eintritt der Gäste ihre blonden Köpfchen neugierig in die Höhe streckten.

»Führt die Frauen in Eure Kammer, gute Gertrud, und helft ihnen die erstarrten Glieder von den schweren Pelzen befreien,« wandte sich der Jüngling an die Hausmutter, die mit scheuem Blick Esthers fremdländische Schönheit betrachtete, die durch das kostbare, turbanartig um den feinen Kopf gewundene Tuch noch auffälliger hervortrat.

Als die Frauen verschwunden waren, gebot Otto:

»Schiebt die Riegel vor, ich habe mit Euch zu reden.«

Der Waldwärter gehorchte, doch sah man an seiner Miene, daß ihm die ganze Sache nicht gefallen wollte. Als er zurückkam, saß der Jüngling auf einem Holzschemel am Tische und Frau Gertrud trat wieder aus der Kammer hervor:

»Die Jungfrau, so mit Euch gekommen ist, Herr, schickt mich. Sie sagt, ich solle hören, was hier verhandelt wird, sie wünsche es,« erklärte sie ihr Erscheinen.

»Sie hat recht, es ist besser so.«

»Verzeiht, Herr, wenn ich eine Frage an Euch richte,« begann Wiegand zögernd, »aber es will mich bedünken, als ob diese Jungfrau des alten Isaac zu Nordhausen Tochter Esther wäre, ist es so?«

»Ihr habt recht gesehen, mein Alter, doch was macht es Euch? – Ihr braucht darob nicht zu erschrecken; die Jungfrau ist selbst sehr unglücklich und denkt nicht daran, Euch ein Leid zuzufügen. – Ich weiß es, Ihr und Eure Gertrud seid mir treu ergeben und werdet mir gern beistehen, dieses arme Geschöpf vor seinen Verfolgern zu schützen, indem Ihr ihm ein Plätzchen bei Euch einräumt – nur für solange, als Schnee und Eis Berg und Thal decken, so daß es unmöglich ist, ein Weib einen weiten Weg zurücklegen zu lassen.«

Gertrud war sehr bleich geworden und legte die Hände auf die Lockenköpfchen ihrer Kinder, als gälte es, sie vor einer unmittelbaren Gefahr zu schützen. Wigand's Antlitz aber legte sich in kummervolle Falten und seufzend erwiderte er:

»Was wir sind, Herr, sind wir durch Euch, was wir haben, haben wir durch Euch, ohne Euch wären wir wohl schon längst Hungers gestorben, darum möget Ihr über uns und unser Häuschen gebieten. Wir wollen die Jüdin schützen und wenn es sein muß, werde ich mit meinem eigenen Leben das ihrige vertheidigen.«

Sein Weib jedoch war weit entfernt, diese dumpfe Ergebung zu theilen. Mit gefalteten Händen kniete sie vor Otto hin und rief verzweiflungsvoll:

»Erbarmt Euch, Herr, und nehmt dies Weib aus unserm Hause! – Bedenket, die jüdischen Ostern nahen und sie brauchen das Blut von Christenkindern zu diesem Feste.«

»Redet nicht so thöricht, Gertrud, widersinnige Märchen sind es, die man sich erzählt!« verwies ihr der Jüngling mit Sanftmuth diese Reden.

»Märchen? – Hat man es nicht jetzt wieder zu Nordhausen gesehen, wie sie diese böse Krankheit durch ihre verfluchten Zauberkünste heraufbeschworen haben, um die Christen in Schaaren hinzumorden?«

»Und haben die Juden selbst nicht auch den Verlust von Eltern und Kindern, Geschwistern, Gatten und Gattinnen durch dieselbe Krankheit zu beklagen? – Hat nicht Esther ihre beiden Brüder verloren und heute ihren Vater den man meuchlings im Walde überfiel und mordete-?« und er erzählte die Geschichte von des alten Isaac mißglückter Flucht.

Das Weib ließ sich jedoch nicht überzeugen, Aberglaube und unsinnige Furcht verwirrten ihre Sinne und jammernd rief sie:

»O wehe uns! wehe uns! Ich werde keinen Augenblick der Ruhe finden, das Auge nicht im Schlafe schließen können, wenn ich dieses Weib unter unserm Dache weiß. Meine armen Kleinen, wer rettet sie?«

Da öffnete sich die Kammerthüre abermals und, ganz in ihre Pelze gehüllt, traten Esther und ihre Dienerin heraus:

»Beruhigt Euch, Frau,« sprach Esther gelassen, um meinetwillen sollt Ihr Euch nicht so bitter kümmern; ich verlasse Euer Häuschen zur Stunde, der Himmel wird mich in seine Huth nehmen.«

Wigand aber stemmte seine beiden Schultern wider die Thüre, die in den Wald hinaus führte, indem er sprach:

»Herr Otto hat Euch in meinen Schutz befohlen und Ihr bleibt, Jungfrau, bis er Euch wieder von hinnen führt. Ihr werdet frei sein zu thun was Euch beliebt, nur müßt Ihr Euch meinen Anordnungen fügen, so weit es Eure Sicherheit betrifft.«

»Bleibet Esther, – mir zu Liebe« bat Otto bewegt, ihre Hände ergreifend. »Es sind brave Menschen und auch Gertrud ist ein warmherziges Weib, wenn nicht blinder Wahn sie befängt. Ich brauche nicht um Euch zu sorgen, wenn ich Euch hier weiß.«

»Nein, Herr, Ihr möget ruhig sein,« bekräftigte Wigand. »Morgen müssen die Frauen ihre Kleider ablegen und sich so tragen wie mein Weib; das wird sie unkenntlicher machen und freier können sie sich bewegen.«

»So laßt uns scheiden für heute, Esther,« sagte Otto. Baut auf mich, ich halte mein Wort! und bald sehet Ihr mich wieder, so Gott will.«

Dann drückte er den Hausleuten die Hand und eilte hinaus, um den verzögerten Heimritt anzutreten.

*

Wochen vergingen, dann Monate, Eis und Schnee waren längst geschmolzen und ringsum prangten Feld und Wald in neu erblühender Pracht, doch Esther weilte noch immer in des Waldwärters Hütte, in der Tracht eines armen Landmädchens, kaum weniger schön als in den orientalischen Gewändern von Seide und Atlas. Als die Zeit hinging, ohne daß ihren Kindern irgend ein Leid widerfuhr, als Esther ihr bald einige Goldmünzen, bald ein bescheidenes Geschmeide gab, hatte sich auch Gertrud mit der Anwesenheit dieses einst so gefürchteten Gastes ausgesöhnt, dennoch erwartete sie mit Ungeduld den Tag des Aufbruches, denn ein geheimes Grausen war ihr trotzdem geblieben. Dieser Tag schien aber noch nicht so nahe zu sein, denn Otto, der beinahe täglich erschien, und zuweilen selbst die Nacht über, Wigands Lager theilend, in dem Häuschen weilte, fand stets einen neuen Grund, die Abreise zu verzögern und Esther, die keine Spur von Ungeduld zu erkennen gab, fügte sich willig seinen Gründen.

So war der Juli herangekommen, als eines Tages Wigand dem Jüngling mit bedenklichen Mienen entgegentrat und sagte:

»Ich habe Euch Wichtiges zu melden, Herr. – Schon seit einer Woche etwa, beobachte ich Herrn Hildebrand, wie er zu allen Zeiten das Haus umkreist und mehrmals auch schon ist er bei uns unter nichtigen Vorwänden eingetreten, obschon ich weiß, daß er mich haßt. Gesehen hat er die Jungfrau nicht, denn jedesmal noch ist es mir gelungen, sie rechtzeitig in dem geheimen Keller zu bergen, den Ihr kennt, doch meine ich, er schöpft Verdacht.«

»So ist die Zeit zu entschlossenem Handeln gekommen. – Wo ist Esther?«

»In ihrem Kämmerlein.«

Esther sah den Jüngling erschrocken an, als er ungestüm und mit gerötheten Wangen bei ihr eintrat, sich erst in dem Kämmerchen vorsichtig umsehend, ehe er zu sprechen begann.

»Ihr bringt mir keine gute Kunde, Herr Otto, wie es scheint?« frug sie unruhig.

»Ich komme Euch zu melden, daß Ihr nicht länger mehr ohne Gefahr hier bleiben könnt. In sechs Tagen wird alles zu Eurer Abreise gerüstet sein und dann heißt es scheiden von der geliebten Heimath.«

Esther war sehr, sehr bleich geworden und ihre Stimme klang zitternd, als sie frug:

»Was ist vorgefallen, das solche Eile nöthig macht? – Gestern noch sagtet Ihr kein Wort davon.«

»Wein Vetter Hildebrand, ein böser Geselle, dem mein Verderben am Herzen liegt, umschleicht dies Haus wie ein Beute witterndes Raubthier. Er mag erkundet haben, daß ich weit öfter hierherkomme denn je zuvor und sicherlich schöpft er Verdacht, daß mich ein geheimer Grund dazu bestimmt. Mußte ich doch allerlei hämische Bemerkungen von ihm erdulden, als Euer glückliches Entrinnen kund ward. Entdeckt er Euch und dies möchte schließlich doch geschehen, so fände er auch Mittel, Euch zu verderben. – Doch sagt mir eins, Esther, müssen denn auch wir scheiden?«

Der Blässe folgte bei dieser Frage eine tiefe, brennende Röthe und in stummer Verwirrung schlug das schöne Weib die Augen zu Boden.

»Ich liebe Euch, Esther, ich liebte Euch schon vor Jahren, nur daß ich mir dessen nicht so klar bewußt und mich selbst täuschte, als ich meinen Empfindungen die Namen Freundschaft und Bewunderung gab. Fern von Euch hat das Dasein weder Werth noch Reiz für mich. Sagt denn, wollt Ihr mir ein liebendes Weib sein, wollt Ihr um meinetwillen den Christenglauben annehmen? – Es giebt der Länder viele, wo wir uns eine Heimath gründen können.«

Esther richtete ihre dunkeln Augen voll und fest auf des Jünglings edles Antlitz und ohne Zögern erwiderte sie:

»Der Himmel und mein Vater mögen mir vergeben, wenn ich meinen Gott Jehova verlasse um Eures Christus willen, denn ich kann nicht anders, mächtiger als die Furcht vor rächender Strafe ist meine Liebe zu Euch, dem ich mein Leben, dem ich es danke, daß mein Vater ein Grab gefunden hat. Ich folge Euch!«

In der Nacht nach dem sechsten Tage verließen die beiden Jüdinnen und Wigand mit den Seinen, diese beladen mit ihrer geringen Habe, das einsame Häuschen im Walde, um im Dunkel der Nacht die Berge zu übersteigen, und jene Stelle zu erreichen, wo Otto mit den Reitthieren und einem Häuflein treuer Männer der Flüchtlinge harrte, die ihn ebenso wie die Familie des Waldwärters in die erst zu gründende Heimath begleiten sollten.

Von ihm selbst traf nie wieder eine Kunde auf Hohnstein ein, doch brachten nach langen Jahren reisende Händler die Nachricht, Herr Otto lebe zu Venedig in ungetrübtem Glücke mit seinem treue Weibe Marie und seinen Kindern als ein reicher und angesehener Mann.


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