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Die Wasserleiche

Mir ist min êrriu rede
enmittenzwei geslagen.

Walter v. d. Vogelweide.

 

Berlin, Dez 1904

 

Es war einmal ein junger Mann, der die Welt mit etwas anderen Augen ansah als die, die mit ihm lebten. Er träumte am Mittag und Hess um Mitternacht Gedanken hinausflattern, die die sehr närrisch fanden, die um ihn herum sassen. Sie nannten ihn einen buttergelben Narren; er aber glaubte, dass er ein Dichter sei.

Wenn sie über seine Verse lachten, so lachte er mit. Da merkten sie nicht, Wie weh es ihm tat.

Es tat ihm so weh, dass er einmal hinausging an den Rhein, der die lehmigen Märzfluten klatschend gegen den alten Zoll warf. Es war wohl nur ein Zufall, dass er damals nicht hineinsprang. Wohl nur, weil er irgendeinen Freund traf, der ihm sagte:

»Komm mit ins Weinhaus!«

Im Weinhaus sass er und trank mit dem Freunde Josephshöfer erst und Maximi Grünhäuser und Forster Kirchenstück hernach. Dann fielen ihm ein paar Zeilen ein, die schrieb er mit Bleistift auf die Weinkarte. Als aber die Herren Kollegen kamen, die Referendare und Assessoren, der Staatsanwalt und die beiden Landrichter, las er sie ihnen vor:

»… im Karpfenteiche
Schwamm einmal eine bläulich bleiche
Und schleimig weiche Wasserleiche.«

Er erzählte, wie die Karpfen sich über die Leiche unterhalten, sich in Vermutungen ergehen; wie der eine Gutes, der andere Schlechtes von ihr sagt. Dann fuhr er fort:

Jedoch ein alter, hundertjähriger Knabe
Erfreute sich der guten Gottesgabe,
Er sprach kein Wort. Er frass und frass,
Dass er die Welt darob vergass,
Und dacht': »Nicht immer gibts im Teiche
Solch eine schöne, schleimig weiche
Und bläulich bleiche Wasserleiche.«

Da hättet ihr die Herren Kollegen sehen sollen! Die Referendare und die Assessoren, den Staatsanwalt und die beiden Landrichter!

»Mensch!« sagte der Staatsanwalt. »Nehmen Sie's mir nicht übel, wenn ich sie immer verulkt habe! Ein Genie sind Sie, Sie werden noch mal Karriere machen!«

»Jrossartig,« rief der blonde Landrichter, »jrossartig! Das macht die juristische Bildung! Aus solchem Holze werden Joethes geschnitzt!«

»Habemus poetam!« jubelte der kugelrunde Referendar. Und alle sagten ihm, dass er ein Dichter sei, ein echter Dichter, ein eigenartiger Dichter, ein Dichter »fit« für unsere Zeit und »up to date«.

Der junge Mann lachte und stiess mit ihnen an, weil er glaubte, dass sie Scherz trieben. Als er aber sah, dass es wirklich ihr Ernst war, ging er hinaus aus dem Weinhause. Er war im Augenblicke wieder nüchtern, so nüchtern, dass er beinahe wieder zum Rhein gegangen wäre. So also war es: wenn er sich als Dichter fühlte, so schalten sie ihn einen Narren; nun, wo er den Narren spielte, erklärten sie ihn zum Dichter.

– Natürlich behielt der Staatsanwalt recht: der junge Mann machte Karriere. Auf Parkettböden und Podien, auf grossen und kleinen Brettern, überall musste er seine Verse hersagen. Dann zog er den Mund rund wie ein Fischmaul, schmatzte, wie er sich so dachte, dass Karpfen schmatzen würden, und begann:

»Im Karpfenteiche
Schwamm einmal eine bläulich bleiche
Und schleimig weiche Wasserleiche.«

Das weiss man ja, dass seine Herren Kollegen nicht zu viel gesagt hatten, die Referendare und Assessoren, die zwei Landrichter und der Staatsanwalt. Das weiss man ja alles, wie sehr man ihn anerkannte und lobte und ihm zujubelte und zuklatschte in allen deutschen Städten. Und dass Schauspieler und Rezitatoren und Vortragsmeister überall sein Gedicht aufgriffen und seinen Ruhm noch mehr verbreiteten. Und dass Komponisten es in Musik setzten und singen liessen und durch Naturlaute das Schmatzen der Karpfen noch mehr zu verinnerlichen trachteten.

Das weiss man ja alles. – –

Der junge Mann dachte: Es ist ganz gut so. Lass sie nur jubeln und klatschen und deine Weinlaunenverse für grosse Poesie ausschreien. Lass sie nur! – Du wirst bekannt werden, überall bekannt, und hernach wirst du leicht dich durchsetzen mit dem, was du kannst. So dachte der junge Mann.

Und deshalb offenbarte er den entzückten Ohren von vielen Tausenden die Geschichte von der bläulich bleichen und schleimig weichen Wasserleiche und sagte keinem Menschen, wie ekelhaft ihm das alles sei. Er biss sich auf die Lippen, machte erst ein liebenswürdiges Gesicht und schnitt dann die Karpfenmaulfratze.

Der junge Mann vergass, dass die höchste Tugend des Deutschen die Treue ist. Und dass er von seinen Dichtern vor allem anderen Treue verlangt: sie sollen immer und immer wieder in den Tönen singen, in denen sie zuerst gesungen, und beileibe nicht anders. Wenn sie etwas anderes singen, so ist das falsch und untreu und verwerflich, und der Deutsche verachtet sie.

Und als dieser junge Mann nun von Asphodelos träumte, und von Orchideen, von gelben Malven und hohen Kastanienkerzen, drehte man ihm den Rücken und lachte ihn aus.

Nicht überall. Die vornehme Welt ist ja so gebildet, von der Kinderstube an. Als er neulich abends in der Ringstrasse nach der Hofopernsängerin und nach dem langlockigen Tondichter vortragen sollte und mit müder Stimme von Blumenseelen sprach, da lachte man nicht. Man klatschte sogar und fand es sehr nett. So gebildet ist man dort. Aber der junge Mann fühlte doch, dass die Herren und Damen sich langweilten, und war gar nicht erstaunt, als einer rief:

»Die Wasserleiche!«

Er wollte nicht; bis die Dame des Hauses auf ihn zutrat:

»Ja, bitte, Herr Doktor, die Wasserleiche!«

Er seufzte, biss sich in die Lippen, schnitt die Karpfenmaulfratze und trug zum dreitausendzweihundertundachtundzwanzigsten Male diese grässliche Geschichte vor. Er erstickte fast daran – –.

Aber die Damen und Herren klatschten und jubelten ihm zu. Da sah er, wie eine alte Dame von ihrem Sessel aufsprang, kurz, heiser schrie, und wieder zurücksank.

Die Herren brachten Kölnisches Wasser und wuschen der Ohnmächtigen Stirn und Schläfen. Aber der junge Mann kniete zu ihren Füssen und küsste ihre Hand; er fühlte: wie seine Mutter liebte er sie.

Wie sie die Augen aufschlug, traf ihn ihr erster Blick. Sie zog ihre Hand fort wie von einem unreinen Tier und schrie:

»Jagt ihn weg!«

Da sprang er auf und lief fort. Hinten in der Ecke des Saales setzte er sich nieder und stützte den Kopf in die Hände. Während sie die alte Dame hinausbegleiteten, die Treppen hinunter zu ihrem Wagen, sass er da: er wusste alles genau, ganz genau vorher, ehe ihm einer nur ein Wort gesagt hatte.

Es war wie eine Erfüllung; er fühlte, dass es einmal so kommen musste.

Und als sie dann zu ihm kamen mit ihrem »Schrecklich!«, »Ganz furchtbar!«, mit ihrem »Tragik des Lebens!« und »Grausamer Zufall!« – – da war er gar nicht erstaunt.

»Ich weiss schon«, sagte er. »Die alte Dame hat vor ein paar Jahren ihren einzigen Sohn verloren; er ertrank im See, und nach Monaten erst fand man die grässlich unkenntliche Leiche. Und sie, die Mutter selbst, musste die Leiche identifizieren –?«

Sie nickten. Da richtete sich der junge Mann auf. Er schrie fast:

»Und um euch Affen einen Spass zu machen, habe ich Narr einer unglücklichen Mutter diesen Schmerz bereitet! So lacht doch! Lacht doch!«

Er schnitt die Karpfenmaulfratze und schmatzte:

»Im Karpfenteiche
Schwamm einmal eine bläulich bleiche
Und schleimig weiche Wasserleiche.«

Aber diesmal lachten sie nicht, sie waren viel zu gebildet dazu.

* * *


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