E. T. A. Hoffmann
Lebensansichten des Katers Murr
E. T. A. Hoffmann

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(Mak. Bl.) – – als schlügen entfernte, dumpfe Töne an sein Ohr, und er höre die Mönche durch die Gänge schreiten. Als Kreisler sich völlig aus dem Schlaf emporraffte, gewahrte er denn auch aus seinem Fenster, daß die Kirche erleuchtet, und vernahm den murmelnden Gesang des Chors. Die Mitternachtshora war vorüber, es mußte daher irgend etwas Ungewöhnliches sich ereignet haben, und Kreisler durfte mit Recht vermuten, daß vielleicht ein schneller unvermuteter Tod einen der alten Mönche dahingerafft, den man jetzt der Klostersitte gemäß in die Kirche getragen. Rasch warf der Kapellmeister sich in die Kleider und begab sich nach der Kirche. – Auf dem Gange begegnete er dem Pater Hilarius, der laut gähnend und ganz schlaftrunken hin und her wankte, keines festen Schrittes mächtig, und die angezündete Kerze, statt aufrecht, abwärts zu Boden hielt, daß das Wachs prasselnd herabtropfte und jeden Augenblick drohte, das Licht zu verlöschen. »Hochehrwürdiger Herr«, stammelte Hilarius, als Kreisler ihn anrief, »hochehrwürdiger Herr Abt, das ist gegen alle bisherige Ordnung. Exequien in der Nacht! – Zu dieser Stunde – und bloß weil Bruder Cyprianus darauf besteht! – Domine – libera nos de hoc monacho!« –

Es gelang endlich dem Kapellmeister, den halbträumenden Hilarius zu überzeugen, daß er nicht der Abt, sondern Kreisler sei, und nun erfuhr er von ihm mit Mühe, daß man in der Nacht, von woher, wisse er nicht, den Leichnam eines Fremden nach dem Kloster gebracht, den Bruder Cyprianus allein zu kennen schiene, und der kein gemeiner Mann gewesen sein müsse, da sich der Abt auf Cyprianus dringendes Gesuch dazu verstanden, die Exequien auf der Stelle zu halten, damit morgen nach der ersten Hora die Exportation erfolgen könne.

Kreisler folgte dem Pater in die Kirche, die, nur sparsam beleuchtet, einen seltsamen, schauerlichen Anblick gewährte.

Man hatte nur die Kerzen des großen metallenen Kronleuchters, der vor dem Hochaltar von der hohen Decke herabhing, angezündet, so daß der flackernde Schein kaum das Schiff der Kirche vollkommen erhellte, in die Seitengänge aber nur geheimnisvolle Streiflichter warf, in denen die Statuen der Heiligen, zum gespenstischen Leben erwacht, sich zu bewegen und daherzuschreiten schienen. Unter dem Kronleuchter in der hellsten Beleuchtung stand der offne Sarg, in dem der Leichnam lag, und die Mönche, die ihn umringten, schienen, bleich und regungslos, selbst Tote, in der Geisterstunde den Gräbern entstiegen. Mit dumpfer, heiserer Stimme sangen sie die eintönigen Strophen des Requiems, und wenn sie dazwischen schwiegen, vernahm man nur von außen her das ahnungsvolle Rauschen des Nachtwindes, und die hohen Fenster der Kirche knisterten seltsam, als klopften die Geister der Verstorbenen an das Haus, in dem sie die fromme Totenklage vernahmen. Kreisler nahte sich bis an die Reihe der Mönche und erkannte in dem Toten den Adjutanten des Prinzen Hektor. –

Da regten sich die finstern Geister, die so oft Macht hatten über ihn, und griffen schonungslos mit scharfen Krallen in seine wunde Brust. –

»Neckender Spuk«, sprach er zu sich selbst, »treibst du mich her, damit jener erstarrte Jüngling bluten soll, weil man sagt, daß der Leichnam blute, wenn der Mörder sich nahe? – Hoho! weiß ich denn nicht, daß er all sein Blut wegbluten mußte in den schlimmen Tagen, als er seine Sünden abbüßte auf dem Siechbette? – Er hat keinen bösen Tropfen mehr übrig, mit dein er seinen Mörder vergiften könnte, käme er ihm auch in die Nähe, den Johannes Kreisler aber am wenigsten, der hat mit der Natter nichts zu schaffen, die er zu Boden trat, als sie schon die spitze Zunge ausgestreckt zur Todeswunde! – Schlage die Augen auf, Toter, damit ich dir fest ins Antlitz blicke, damit du gewahrst, daß die Sünde keinen Teil hat an mir – aber du vermagst es nicht! – Wer hieß dich das Leben einsetzen gegen das Leben? Warum spieltest du trügerisches Spiel mit dem Morde und warst nicht gefaßt, es zu verlieren? – Aber deine Züge sind sanft und gut, du stiller blasser Jüngling, der Todesschmerz hat jede Spur verruchter Sünde weggelöscht von deinem schönen Antlitz, und ich könnte sagen, der Himmel hätte dir sein Gnadentor geöffnet, weil die Liebe in deiner Brust gewesen, wenn sich das jetzt ziemte. – Doch wie! – Wenn ich mich in dir geirrt? – Wenn nicht du, kein böser Dämon, nein, wenn mein guter Stern deinen Arm gegen mich erhoben, um mich dem entsetzlichsten Verhängnis zu entreißen, das im schwarzen Hintergrunde auf mich lauert? – Nun magst du die Augen aufschlagen, blasser Jüngling, nun magst du mit einem Blick der Versöhnung alles, alles entdecken, und sollt ich untergehen in Wehmut um dich oder aus entsetzlicher, furchtbarer Angst, daß der schwarze Schatten, der hinter mir schleicht, mich nun gleich erfassen wird. – Ja! schaue mich an – doch! Nein, nein, du könntest mich anblicken wie Leonhard Ettlinger, ich könnte glauben, du seist er selbst, und da müßtest du mit mir hinab in die Tiefe, aus der ich oft seine hohle Geisterstimme vernehme. – Doch wie, du lächelst? – Deine Wangen, deine Lippen färben sich? Trifft dich nicht die Waffe des Todes? – Nein, nicht noch einmal will ich mit dir ringen, aber –«

Kreisler, der während dieses Selbstgesprächs unbewußt auf einem Knie gelegen, beide Ellbogen auf das andere gestützt und die Hände unter das Kinn gestemmt hatte, fuhr hastig auf und würde gewiß Seltsames, Wildes begonnen haben; doch in demselben Augenblick schwiegen die Mönche, und die Knaben auf dem Chor intonierten mit sanfter Begleitung der Orgel das »Salve regina«. Der Sarg wurde verschlossen, und die Mönche schritten feierlich von dannen. – Da ließen die finstern Geister ab von dem armen Johannes, und ganz aufgelöst in Wehmut und Schmerz folgte er mit gebeugtem Haupt den Mönchen. Eben wollte er hinausschreiten zur Türe, als sich in einem finstern Winkel eine Gestalt erhob und hastig auf ihn losschritt.

Die Mönche standen still, und der volle Schein ihrer Lichter fiel auf einen großen stämmigen Burschen, der etwa achtzehn bis zwanzig Jahre alt sein mochte. Sein Antlitz, nichts weniger als häßlich zu nennen, trug den Ausdruck des wildesten Trotzes; die schwarzen Haare hingen ihm struppig um den Kopf, das zerrissene Wams von buntgestreifter Leinwand bedeckte kaum seine Blöße, und ebensolche Schifferhosen gingen nur bis an die bloßen Waden, so daß der herkulische Bau seines Körpers völlig sichtbar.

»Du Verdammter, wer hieß dich meinen Bruder ermorden?« So schrie der Bursche wild auf, daß es in der Kirche widerhallte, sprang wie ein Tiger auf Kreisler los und packte ihn mit einem mörderischen Handgriff bei der Kehle,

Doch ehe Kreisler, ganz entsetzt über den unerwarteten Angriff, an Gegenwehr denken konnte, stand schon Pater Cyprianus bei ihm und sprach mit starker, gebietender Stimme: »Giuseppo, verruchter, sündhafter Mensch! Was machst du hier? Wo hast du die Altmutter gelassen? – Packe dich augenblicklich fort! – Hochehrwürdiger Herr Abt, laßt die Klosterknechte herbeirufen, sie sollen den mörderischen Buben zum Kloster hinauswerfen!«

Der Bursche hatte, sowie Cyprianus vor ihm stand, sogleich von Kreisler abgelassen. »Nun, nun«, rief er mürrisch, »macht nur nicht gleich ein solches tolles Wesen davon, wenn man sein Recht behaupten will, Herr Heiliger! – Ich gehe ja schon von selbst, Ihr dürft keine Klosterknechte auf mich loshetzen.« – Damit sprang der Bursche schnell davon durch eine Pforte, die man zu verschließen vergessen, und durch die er wahrscheinlich sich in die Kirche geschlichen hatte. Die Klosterknechte kamen, man fand aber keinen Anlaß, den Verwegenen in tiefer Nacht weiter zu verfolgen.

Es lag in Kreislers Natur, daß gerade die Spannung des Außerordentlichen, des Geheimnisvollen wohltätig auf sein Gemüt wirkte, sobald er den Sturm des Augenblicks, der ihn zu vernichten drohte, siegreich bekämpft.

So geschah es, daß dem Abt die Ruhe wunderbar und befremdlich vorkommen mußte, mit der Kreisler andern Tages vor ihm stand und von dem erschütternden Eindruck sprach, den unter solchen seltsamen Umständen der Anblick des Leichnams dessen auf ihn gemacht, der ihn ermorden wollen, und den er in Notwehr erschlagen.

»Weder«, sprach der Abt, »weder die Kirche noch das weltliche Gesetz kann Euch, lieber Johannes, irgendeine strafbare Schuld an dem Tode jenes sündhaften Menschen beimessen. Doch werdet Ihr aber lange nicht die Vorwürfe einer innern Stimme verwinden können, die Euch sagt, es sei besser gewesen, selbst zu fallen, als den Gegner zu töten, und dies beweiset, daß der ewigen Macht das Opfer des eignen Lebens wohlgefälliger ist als seine Erhaltung, kann diese nur durch eine rasche blutige Tat geschehen. – Doch laßt uns zur Zeit davon abbrechen, da ich anderes, Näherliegendes mit Euch zu reden.

Welcher sterbliche Mensch ermißt, wie der kommende Augenblick die Gestaltung der Dinge ändern kann! – Nicht lange ist es her, als ich fest überzeugt war, daß dem Heil Eurer Seele nichts zuträglicher sein könne, als der Welt zu entsagen und in unsern Orden zu treten. – Ich bin jetzt anderer Meinung und würde Euch raten, so lieb und wert Ihr mir auch geworden, die Abtei recht bald zu verlassen. – Werdet nicht irre an mir, lieber Johannes! Fragt mich nicht, warum ich meiner Gesinnung entgegen dem Willen eines andern, der alles umzustoßen droht, was ich mit Mühe geschaffen, mich unterwerfe. – Tief müßtet ihr in die Geheimnisse der Kirche eingeweiht sein, um mich zu verstehen, wollt ich auch mit Euch über die Motive meiner Handlungsweise reden. – Doch freier kann ich wohl mit Euch sprechen als mit jedem andern. Vernehmt also, daß in kurzer Zeit der Aufenthalt in der Abtei Euch nicht mehr die wohltätige Ruhe gewähren wie bisher, ja, daß Euer innerstes Streben einen tödlichen Stoß erhalten und das Kloster Euch ein öder, trostloser Kerker dünken wird. Die ganze Klosterordnung ändert sich, die mit frommer Sitte vereinbare Freiheit hört auf, und der finstre Geist fanatischer Möncherei herrscht bald mit unerbittlicher Strenge in diesen Mauern. – O mein Johannes, Eure herrlichen Gesänge werden nicht mehr unsern Geist erheben zur höchsten Andacht, der Chor wird abgeschafft, und bald hört man nichts als die eintönigen Responsorien, von den ältesten Brüdern mühsam gelallt mit heiserer, unreiner Stimme.« –

»Und«, fragte Kreisler, »und alles dieses geschieht auf Anlaß des fremden Mönchs Cyprianus?«

»Es ist«, erwiderte der Abt beinahe wehmütig, indem er die Augen niederschlug, »es ist dem so, guter Johannes, und daß es nicht anders sein kann, daran bin ich nicht schuld. – Doch«, setzte der Abt nach kurzem Stillschweigen mit erhöhter feierlicher Stimme hinzu, »doch alles, wodurch der feste Bau, der Glanz der Kirche befördert werden kann, muß geschehen, und kein Opfer ist zu groß!« –

»Wer ist«, sprach Kreisler unmutig, »wer ist denn der hohe, mächtige Heilige, der über Euch gebietet, der imstande war, durch das bloße Wort mir jenen mörderischen Burschen vom Leibe zu schaffen?«

»Ihr seid«, erwiderte der Abt, »Ihr seid, lieber Johannes, in ein Geheimnis verflochten, ohne es zur Zeit ganz zu kennen. Doch bald erfahrt ihr mehr, vielleicht mehr, als ich selbst davon weiß, und zwar durch den Meister Abraham. – Cyprianus, den wir noch jetzt unsern Bruder nennen, ist einer der Erkornen. Er wurde gewürdigt, mit den ewigen Mächten des Himmels in unmittelbare Berührung zu treten, und wir müssen schon jetzt in ihm den Heiligen verehren. – Was jenen verwegenen Burschen betrifft, der sich während der Exequien in die Kirche geschlichen hatte und Euch mörderisch anpackte, so ist er ein verlaufener, halb wahnsinniger Zigeunerbube, den unser Vogt schon einigemal hat derb auspeitschen lassen, weil er den Leuten im Dorfe die fetten Hühner aus den Ställen gestohlen. Um den zu vertreiben, bedurfte es eben nicht eines besondern Mirakels.« – Indem der Abt die letzten Worte sprach, zuckte ein leises ironisches Lächeln in den Mundwinkeln und verschwand ebenso schnell.

Kreislern erfüllte der tiefste, bitterste Unmut; er sah ein, daß der Abt bei allen Vorzügen seines Geistes, seines Verstandes lügnerische Gaukelei trieb, und daß alle Gründe, die er damals anführte, um ihn zum Eintritt ins Kloster zu bewegen, ebenso nur einer versteckten Absicht zum Vorwand dienen sollten als diejenigen, die er nun für das Gegenteil aufstellte. – Kreisler beschloß, die Abtei zu verlassen und sich aller bedrohlichen Geheimnisse, die ihn bei längerem Bleiben noch verstricken konnten in ein Gewebe, dem nicht mehr zu entrinnen, völlig zu entschlagen. Als er aber nun gedachte, wie er ja gleich zurückkehren könne nach Sieghartshof zum Meister Abraham, wie er sie ja wiedersehen, wieder hören könne, sie, seinen einzigen Gedanken, da fühlte er in der Brust jene süße Beklemmung, in der sich die glühendste Liebessehnsucht kundtut. –

Ganz vertieft wandelte Kreisler den Hauptgang des Parks hinab, als ihn der Pater Hilarius ereilte und sogleich begann: »Ihr wart beim Abt, Kreisler, er sagte Euch alles! – Nun, hatte ich recht? – Wir sind alle verloren! – Dieser geistliche Komödiant – es ist heraus, das Wort, wir sind unter uns! – Als er – Ihr wißt, wen ich meine – in der Kutte nach Rom kam, ließ ihn die päpstliche Heiligkeit sogleich zur Audienz. Er fiel nieder auf die Knie und küßte den Pantoffel. Ohne einen Wink, aufzustehen, ließ ihn aber die päpstliche Heiligkeit eine ganze Stunde lang liegen. ›Das sei deine erste kirchliche Strafe‹, fuhr die Heiligkeit ihn an, als er sich endlich erheben durfte, und hielt nun eine lange Predigt über die sündlichen Irrtümer, in die Cyprianus verfallen. – Nachher erhielt er langen Unterricht in gewissen geheimen Gemächern und zog dann aus! – Es hat lange keinen Heiligen gegeben! – Das Mirakel – nun, Ihr habt das Bild gesehen, Kreisler – das Mirakel, sage ich, hat erst in Rom seine wahre Gestalt erhalten. – Ich bin nichts als ein ehrlicher Benediktiner-Mönch, ein tüchtiger praefectus chori, wie Ihr mir einräumen werdet, und trinke der alleinseligmachenden Kirche zu Ehren gern ein Gläschen Nierensteiner oder Bocksbeutel, aber . . . ! Mein Trost ist, daß er nicht lange hier bleiben wird. – Herumziehen muß er. Monachus in claustro non valet ova duo: sed quando est extra, bene valet triginta. – Er wird denn auch wohl Wunder tun – Seht, Kreisler, seht, da kommt er den Gang herauf – Er hat uns erblickt und weiß, wie er sich gebärden muß.« –

Kreisler erblickte den Mönch Cyprianus, der langsam feierlichen Schrittes, den stieren Blick zum Himmel gerichtet, die Hände gefaltet, wie in einer frommen Ekstase begriffen, den Laubgang heraufkam.

Hilarius entfernte sich schnell, Kreisler blieb aber verloren in den Anblick des Mönchs, der in seinem Antlitz, in seinem Wesen etwas Seltsames, Fremdartiges trug, das ihn unter allen übrigen Menschen auszuzeichnen schien. Ein großes, ungewöhnliches Verhängnis läßt lesbare Spuren zurück, und so mocht es auch sein, daß ein wunderbares Geschick des Mönchs äußere Erscheinung gestaltet hatte, wie sie sich nun eben zeigte.

Der Mönch wollte vorüberschreiten, ohne in seiner Verzückung Kreislern zu bemerken, der fühlte sich aber aufgelegt, dem strengen Abgesandten des Oberhaupts der Kirche, dem feindlichen Verfolger der herrlichsten Kunst in den Weg zu treten.

Er tat es mit den Worten: »Erlaubt, Ehrwürdiger Herr, daß ich Euch meinen Dank abstatte. Ihr befreitet mich durch Euer kräftiges Wort zur rechten Zeit aus den Händen des groben Lümmels von Zigeunerbuben, er hätte mich erwürgt wie ein gestohlenes Huhn!« –

Der Mönch schien aus einem Traum zu erwachen, er fuhr mit der Hand über die Stirne und blickte Kreislern lange starr an, als müsse er sich auf ihn besinnen. Dann verzog sich aber sein Antlitz zum furchtbaren durchbohrenden Ernst, und, Flammen des Zorns in den Augen, rief er mit starker Stimme: »Verwegener frevelhafter Mensch, Ihr hättet verdient, daß ich Euch hinfahren ließ in Euern Sünden! Seid Ihr nicht der, der den heiligen Kultus der Kirche, die vornehmste Stütze der Religion, profaniert durch weltlichen Klingklang? Seid Ihr es nicht, der hier durch eitle Kunststücke die frömmsten Gemüter betörte, daß sie sich abwandten von dem Heiligen und weltlicher Lust frönten in üppigen Liedern?« Kreisler fühlte sich durch diese wahnsinnigen Vorwürfe ebenso verletzt als erhoben durch den albernen Hochmut des fanatischen Mönchs, der mit so leichten Waffen zu bekämpfen.

»Ist es«, sprach Kreisler sehr ruhig und dem Mönch fest ins Auge blickend, »ist es sündhaft, die ewige Macht zu preisen in der Sprache, die sie uns selbst gab, damit das Himmelsgeschenk die Begeisterung der brünstigsten Andacht, ja die Erkenntnis des Jenseits in unserer Brust erwecke, ist es sündhaft, sich auf den Seraphfittichen des Gesanges hinwegzuschwingen über alles Irdische und in frommer Sehnsucht und Liebe hinaufzustreben nach dem Höchsten, so habt Ihr recht, Ehrwürdiger Herr, so bin ich ein arger Sünder. Erlaubt aber, daß ich der entgegengesetzten Meinung bin und fest glaube, daß dem Kultus der Kirche die wahrhafte Glorie der heiligsten Begeisterung fehlen würde, wenn der Gesang schweigen sollte.«

»So flehet«, erwiderte der Mönch strenge und kalt, »so flehet zur heiligen Jungfrau, daß sie die Decke von Euern Augen nehmen und Euch den verdammlichen Irrtum erkennen lassen möge.«

»Ein Komponist«, sprach Kreisler sanft lächelnd, »wurde von jemandem gefragt, wie er es denn anfange, daß seine geistlichen Kompositionen durchaus andächtige Begeisterung atmeten. ›Wenn es‹, erwiderte darauf der fromme, kindliche Meister, ›mit dem Komponieren nicht so recht fort will, so bete ich im Zimmer, auf und ab gehend, einige Ave, und dann kommen mir die Ideen wieder.‹ Derselbe Meister sagte von einem andern großen geistlichen Werk: ›Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition vorgerückt war, merkte ich, daß sie geraten wäre; ich war auch nie so fromm als während der Zeit, da ich daran arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möge.‹ – Mich will bedünken, Ehrwürdiger Herr, als wenn weder dieser Meister noch der alte Palestrina sich um Sündhaftes bemüht, und daß nur ein in asketischer Verstocktheit erkaltetes Herz nicht zu der höchsten Frömmigkeit des Gesanges entflammt werden kann.«

»Menschlein«, fuhr der Mönch zornig auf, »wer bist du denn, daß ich mit dir, der du dich hinwerfen müßtest in den Staub, rechten soll? – Fort aus der Abtei, damit du nicht länger das Heilige verstörst!« –

Tief empört über des Mönchs gebieterischen Ton, rief Kreisler heftig: »Und wer bist du denn, wahnsinniger Mönch, daß du dich erheben willst über alles, was menschlich? – Bist du frei geboren von der Sünde? – Hast du nie über Gedanken der Hölle gebrütet? Bist du nie ausgewichen auf dem schlüpfrigen Pfad, den du wandeltest? Und wenn die heilige Jungfrau dich wirklich gnadenvoll dem Tode entriß, den du vielleicht irgendeiner grauenvollen Tat verdanktest, so geschah es, daß du in Demut deine Sünde erkennen und sie büßen, nicht aber mit freveliger Prahlerei dich der Gnade des Himmels, ja der heiligen Krone rühmen solltest, die du niemals erwerben wirst.«

Der Mönch stierte Kreislern an mit Tod und Verderben sprühenden Blicken, indem er unverständliche Worte lallte.

»Und«, fuhr Kreisler fort mit steigendem Affekt, »und, stolzer Mönch, als du noch diesen Rock trugst –«

Damit hielt Kreisler das Bild, das er vom Meister Abraham erhalten, dem Mönch vor Augen; doch sowie dieser es erblickte, schlug er sich wie in wilder Verzweiflung mit beiden Fäusten vor die Stirn und stieß einen herzzermalmenden Schmerzenslaut aus, als träfe ihn ein Todesstreich. –

»Fort mit dir«, rief nun Kreisler, »fort mit dir aus der Abtei, du verbrecherischer Mönch! – Hoho, mein Heiliger, wenn du vielleicht auf den Hühnerdieb stoßest, mit dem du in Gemeinschaft, so sage ihm, du könntest und wolltest ein andermal mich nicht wieder schützen, doch solle er sich in acht nehmen und von meiner Kehle wegbleiben, sonst würde ich ihn spießen wie eine Lerche oder wie seinen Bruder, denn aufs Spießen –« Kreisler entsetzte sich in diesem Augenblick vor sich selber; der Mönch stand vor ihm starr, regungslos, noch immer beide Fäuste vor die Stirn gedrückt, keines Wortes, keines Lautes mächtig, es war Kreislern, als rausche es im nahen Gebüsch, als werde gleich der wilde Giuseppe auf ihn losstürzen. Er rannte von dannen; die Mönche sangen eben im Chor die Abendhora, und Kreisler begab sich in die Kirche, weil er hoffte, dort sein tief aufgeregtes, tief verletztes Gemüt zu beruhigen.

Die Hora war geendet, die Mönche verließen den Chor; die Lichter verlöschten. Kreislers Sinn hatte sich zu den alten frommen Meistern gewendet, deren er in dem Streit mit dem Mönch Cyprianus gedacht. – Musik – fromme Musik war aufgegangen in ihm, Julia hatte gesungen, und nicht mehr brauste der Sturm in seinem Innern. Er wollte fort durch eine Seitenkapelle, deren Türe in den langen Gang ging, welcher zu einer Treppe und hinauf in sein Zimmer führte.

Als Kreisler in die Kapelle trat, erhob sich ein Mönch mühsam vom Boden, auf dem er ausgestreckt vor dem wundertätigen Marienbilde gelegen hatte, das dort aufgestellt war. In dem Schein der ewigen Lampe erkannte Kreisler den Mönch Cyprianus, aber matt und elend schien er eben aus einer Ohnmacht zu sich selbst gekommen. Kreisler leistete ihm hilfreiche Hand; da sprach der Mönch mit leiser wimmernder Stimme: »Ich erkenne Euch – Ihr seid Kreisler! Habt Barmherzigkeit, verlaßt mich nicht, helft mir zu jenen Stufen, ich will mich dort niederlassen, aber setzt Euch zu mir, dicht zu mir, nur die Gebenedeite darf uns hören. – Übt Mitleiden«, fuhr nun der Mönch fort, als beide auf den Stufen des Altars saßen, »übt Mitleiden, Gnade, vertraut mir, ob Ihr nicht das verhängnisvolle Bildnis von dem alten Severino erhieltet, ob Ihr um alles, um das ganze furchtbare Geheimnis wisset?«

Frei und offen versicherte Kreisler, daß er das Bildnis vom Meister Abraham Liscov erhalten, und erzählte ohne Scheu alles, was sich in Sieghartshof begeben, und wie er nur aus mancherlei Kombinationen auf irgendeine Greueltat schließe, deren lebhafte Erinnerung so wie die Furcht des Verrats das Bildnis wecke. Der Mönch, der bei einigen Momenten in Kreislers Erzählung tief erschüttert geschienen, schwieg jetzt einige Augenblicke. Dann begann er ermutigt mit festerer Stimme: »Ihr wißt zuviel, Kreisler, um nicht alles erfahren zu müssen. Vernehmt, Kreisler, jener Prinz Hektor, der Euch auf den Tod verfolgte, es ist mein jüngerer Bruder. Wir sind Söhne eines fürstlichen Vaters, dessen Thron ich geerbt haben würde, hätte ihn nicht der Sturm der Zeit umgeworfen. Wir nahmen, da eben der Krieg ausgebrochen, beide Dienste, und der Dienst war es, der zuerst mich und dann auch meinen Bruder nach Neapel brachte. – Ich hatte mich damals aller bösen Lust der Welt hingegeben, und vorzüglich die wilde Leidenschaft zu den Weibern riß mich ganz und gar hin. Eine Tänzerin, ebenso schön als verrucht, war meine Geliebte, und überdem lief ich den liederlichen Dirnen nach, wo ich sie fand.

So geschah es, daß ich eines Tages, als es schon zu dunkeln begann, auf dem Molo ein paar Geschöpfe dieser Art verfolgte. Beinahe hatte ich sie erreicht, als dicht neben mir eine Stimme gellend rief: ›Was das Prinzchen doch für ein allerliebster Taugenichts ist! – Da läuft er gemeinen Dirnen nach und könnte in den Armen der schönsten Prinzessin liegen!‹ – Mein Blick fiel auf ein altes, abgelumptes Zigeunerweib, die ich vor wenigen Tagen in der Straße Toledo von den Sbirren wegführen gesehen, weil sie einen Wasserverkäufer, so kräftig er schien, im Zank mit ihrer Krücke zu Boden geschlagen. – ›Was willst du von mir, alte Hexe?‹ So rief ich das Weib an, die mich aber in dem Augenblick mit einem Strom der abscheulichsten, niedrigsten Schimpfreden überschüttete, so daß das müßige Volk bald sich um uns versammelte und über meine Verlegenheit ausbrach in ein tolles Gelächter. – Ich wollte fort, da hielt mich aber das Weib beim Kleide fest, ohne vom Boden aufzustehen, und sprach, plötzlich mit den Schimpfreden einhaltend, leise, indem sich ihr abscheuliches Antlitz zum grinsenden Lächeln verzog: ›Ei, mein süßes Prinzlein, willst du denn nicht bei mir bleiben? Willst du nichts hören von dem schönsten Engelskinde, das in dich vernarrt ist?‹ – Damit erhob sich das Weib mühsam, indem sie sich an meinen Armen festklammerte, und zischelte mir von einem jungen Mädchen in die Ohren, das schön und anmutig wie der Tag und noch unschuldig sei. – Ich hielt das Weib für eine gemeine Kupplerin und wollte mich, da gerade mein Sinn nicht dahin stand, ein neues Abenteuer anzuknüpfen, mit ein paar Dukaten von ihr losmachen. Sie nahm aber das Geld nicht und rief, als ich mich entfernte, mir laut lachend nach: ›Geht nur, geht, mein feiner Herr, Ihr werdet mich bald aufsuchen mit großem Kummer und Weh im Herzen!‹ – Einige Zeit war vergangen, ich hatte nicht mehr an das Zigeunerweib gedacht, als eines Tages auf dem Spaziergange, Villa reale genannt, eine Dame vor mir herging, die mir in ihrem Wesen so wunderbar anmutig schien, wie ich noch keine gesehen. Ich eilte ihr voraus und als ich ihr Antlitz erblickte, war es mir, als öffne sich der leuchtende Himmel aller Schönheit. – So dachte ich nämlich damals als ein sündiger Mensch, und daß ich den frevelhaften Gedanken wiederhole, mag Euch statt aller Beschreibung des Liebreizes, mit dem die ewige Macht die holde Angela geschmückt hatte, um so mehr dienen, als mir jetzt nicht geziemen und auch wohl nicht gelingen würde, viel zu reden über irdische Schönheit. Zur Seite der Dame ging oder hinkte vielmehr an einem Stabe eine sehr alte, ehrbar gekleidete Frau, die nur durch ihre ganz ungewöhnliche Größe und seltsame Unbehilflichkeit auffiel. Trotz des völlig veränderten Anzuges, trotz der tiefen Haube, die einen Teil des Antlitzes verhüllte, erkannte ich in der alten Frau doch augenblicklich das Zigeunerweib vom Molo. Das fratzenhafte Lächeln der Alten, ihr leises Kopfnicken bewies mir, daß ich mich nicht irre. – Ich konnte den Blick nicht abwenden von dem anmutigen Wunder; die Holde schlug die Augen nieder, der Fächer entfiel ihrer Hand. Schnell hob ich ihn auf; indem sie ihn nahm, berührte ich ihre Finger; sie zitterten; da loderte das Feuer meiner verdammlichen Leidenschaft in mir auf, und ich ahnte nicht, daß die erste Minute der schrecklichen Prüfung gekommen, die mir der Himmel auferlegt. Ganz betäubt, ganz im Sinn verwirrt, stand ich da und bemerkte kaum, daß die Dame mit ihrer alten Begleiterin in eine Kutsche stieg, die am Ende der Allee gehalten hatte. Erst als der Wagen fortrollte, kam ich zur Besinnung und stürzte nach wie ein Rasender. Ich kam noch zu rechter Zeit, um zu sehen, daß der Wagen vor einem Hause in der engen, kurzen Straße hielt, die nach dem großen Platz Largo delle Plane führt. Beide, die Dame und ihre Begleiterin, stiegen aus, und da der Wagen sogleich fortfuhr, als sie in das Haus getreten, konnte ich mit Recht vermuten, daß dort ihre Wohnung. Auf dem Platz Largo delle Plane wohnte mein Bankier, Signore Alessandro Sperzi, und selbst weiß ich nicht, wie ich auf den Einfall geriet, diesen Mann jetzt gerade heimzusuchen. Er glaubte, ich käme Geschäfte halber, und begann sehr weitläufig über mein Verhältnis zu reden. Mein ganzer Kopf war aber erfüllt von der Dame, ich dachte, ich hörte nichts anderes, und so kam es, daß ich dem Signor Sperzi statt aller Antwort das anmutige Abenteuer des Augenblicks erzählte. Signor Sperzi wußte mir mehr von meiner Schönen zu sagen, als ich hatte ahnen können. Er war es, der jedes halbe Jahr von einem Handelshause in Augsburg eine ansehnliche Rimesse für eben jene Dame erhielt. Sie wurde Angela Benzoni genannt, die Alte aber mit dem Namen Frau Magda Sigrun bezeichnet. Signor Sperzi mußte dagegen dem Augsburger Handlungshause über das ganze Leben des Mädchens die genaueste Nachricht geben, so daß er, da es ihm auch früher obgelegen, ihre ganze Erziehung, sowie jetzt ihren Haushalt zu leiten, in gewisser Art als ihr Vormund anzusehen. Der Bankier hielt das Mädchen für die Frucht eines verbotenen Verhältnisses unter Personen des vornehmsten Standes. – Ich bezeigte dem Signor Sperzi meine Verwunderung darüber, daß man ein solches Kleinod einem so zweideutigen Weibe anvertraue, als die Alte sei, die sich in schmutzigen, zerlumpten Zigeunerkleidern auf den Straßen herumtreibe und vielleicht gar die Kupplerin spielen wolle. Der Bankier versicherte dagegen, daß es keine treuere, sorgsamere Pflegerin gebe als die Alte, die mit dem Mädchen hergekommen, als es erst zwei Jahre alt gewesen. Daß die Alte sich zuweilen als Zigeunerin vermumme, sei eine wunderliche Grille, die man ihr wohl in diesem Lande der Maskenfreiheit nachsehen könne. – Ich darf, ich muß kurz sein! – Die Alte suchte mich bald auf in ihrem Zigeunerhabit und führte mich selbst zu Angela, die mir, in holder jungfräulicher Scham hocherrötend, ihre Liebe gestand. Noch immer hatte ich in meinem verwirrten Wesen geglaubt, die Alte sei eine ruchlose Nährerin der Sünde, aber bald wurde ich des Gegenteils überführt. Angela war keusch und rein wie Schnee, und da, wo ich sündhaft zu schwelgen gedachte, lernte ich an eine Tugend glauben, die ich freilich jetzt für ein höllisches Blendwerk des Teufels erkennen muß. In ebendem Grade, als meine Leidenschaft höher und höher stieg, neigte ich mich auch mehr und mehr der Alten hin, die mir unaufhörlich in die Ohren raunte, daß ich mich mit Angela vermählen solle. Müßte dies auch zur Zeit heimlich geschehen, so komme doch wohl der Tag, an dem ich öffentlich der Gemahlin das fürstliche Diadem auf die Stirn drücken werde. – Angelas Geburt sei der meinigen gleich. –

– Wir wurden in einer Kapelle der Kirche San Filippo getraut. – Ich glaubte den Himmel gefunden zu haben, ich entzog mich allen Verbindungen, ich gab den Dienst auf, man sah mich nicht mehr in jenen Kreisen, in denen ich sonst frevelnd allen Lüsten gefrönt. – Eben diese veränderte Lebensweise verriet mich. Jene Tänzerin, von der ich mich losgesagt, forschte aus, wohin ich mich jeden Abend begab, und ahnend, daß daraus sich vielleicht der Keim ihrer Rache entwickeln könne, entdeckte sie meinem Bruder das Geheimnis meiner Liebe. – Mein Bruder schlich mir nach, überraschte mich in Angelas Armen. – Mit einer scherzhaften Wendung entschuldigte Hektor seine Zudringlichkeit und machte mir Vorwürfe, daß ich, gar zu selbstsüchtig, ihm nicht einmal das Vertrauen eines aufrichtigen Freundes geschenkt; doch ich merkte nur zu deutlich, wie betroffen er war über Angelas hohe Schönheit. Der Funke war gefallen, die Flamme der wütendsten Leidenschaft angefacht in seinem Innern. – Er kam oft, wiewohl nur in den Stunden, wenn er mich zu finden wußte. – Ich glaubte zu bemerken, daß Hektors wahnsinnige Liebe erwidert wurde, und alle Furien der Eifersucht zerfleischten meine Brust. – Da war ich dem Graus der Hölle verfallen! – Einst, als ich eintrat in Angelas Gemach, glaubte ich Hektors Stimme im Nebenzimmer zu vernehmen. – Den Tod im Herzen, blieb ich eingewurzelt stehen. Doch plötzlich stürzte Hektor aus dem Nebengemach hinein mit glutrotem Antlitz und wildrollenden Augen wie ein Rasender. »Verdammter, du sollst mir fernerhin nicht in den Weg treten!‹ So rief er schäumend vor Wut und stieß mir den Dolch, den er schnell hervorgezogen, in die Brust bis an das Heft. – Der herbeigerufene Chirurgus fand, daß der Stoß durch das Herz gegangen. – Die Hochgebenedeite hat mich gewürdigt, mir das Leben wieder zu schenken durch ein Mirakel.« –

Die letzten Worte sprach der Mönch mit leiser, zitternder Stimme und schien dann in trübes Sinnen verloren.

»Und«, fragte Kreisler, »und was wurde aus Angela?«

»Als«, erwiderte der Mönch mit hohler, geisterartiger Stimme, »als der Mörder die Früchte seiner Greueltat genießen wollte, da erfaßte die Geliebte der Todeskrampf, und sie verschied in seinen Armen – Gift –«

Dies Wort gesprochen, fiel der Mönch nieder aufs Gesicht und röchelte wie ein Sterbender. – Kreisler setzte durch die Glocke, die er anzog, das Kloster in Bewegung. Man eilte herbei und schaffte den ohnmächtigen Cyprianus in den Krankensaal. –

Kreisler fand am andern Morgen den Abt in ganz besonders heitrer Laune. »– Haha«, rief er ihm entgegen, »haha, mein Johannes, Ihr wollt an kein Mirakel der neuesten Zeit glauben, und Ihr habt gestern in der Kirche selbst das wunderbarste Mirakel bewirkt, das es nur geben mag. – Sagt, was habt Ihr mit unserm stolzen Heiligen gemacht, der daliegt wie ein reuiger, zerknirschter Sünder und uns alle in kindlicher Todesangst höchlich um Verzeihung gebeten hat, daß er sich über uns erheben wollte! – Habt Ihr ihn, der von Euch nun Beichte verlangte, vielleicht selbst beichten lassen?« –

Kreisler fand gar keine Ursache, auch nur das mindeste von dem zu verschweigen, was sich mit ihm und dem Mönch Cyprianus begeben. Er erzählte daher umständlich alles, von der freimütigen Strafpredigt an, die er dem einbildischen Mönch gehalten, als er die heilige Tonkunst herabgewürdigt, bis auf den schrecklichen Zustand, in den er verfallen, als er das Wort Gift ausgesprochen. Dann erklärte Kreisler, daß er eigentlich doch noch immer nicht wisse, warum das Bild, habe sich auch Prinz Hektor davor entsetzt, gleiche Wirkung auf den Mönch Cyprianus hervorgebracht. Ebenso sei er darüber noch ganz im dunkeln geblieben, auf welche Weise Meister Abraham in jene grauenvollen Begebenheiten verflochten.

»In der Tat«, sprach der Abt anmutig lächelnd, »in der Tat, mein lieber Sohn Johannes, wir stehen uns jetzt ganz anders gegenüber als noch vor wenigen Stunden. Ein standhaftes Gemüt, ein fester Sinn, vorzüglich aber wohl ein tiefes, richtiges Gefühl, das wie eine wunderbar wahrsagende Erkenntnis in unserer Brust verborgen, richtet vereint mehr aus als der schärfste Verstand, der geübteste, alles scheidende Blick. Du hast es bewiesen, mein Johannes, indem du die Waffe, die man dir in die Hand gab, ohne dich ganz über ihre Wirkung zu belehren, so geschickt in dem richtigen Moment zu gebrauchen wußtest, daß du auf der Stelle den Feind zu Boden schlugst, den vielleicht der durchdachteste Plan nicht so leicht aus dem Felde getrieben haben würde. Ohne es zu wissen, hast du mir, dem Kloster, vielleicht auch der Kirche überhaupt einen Dienst erwiesen, dessen ersprießliche Folgen nicht zu übersehen sind. – Ich will, ich darf jetzt gegen dich ganz aufrichtig sein, ich wende mich ab von denen, die mir Falsches vorspiegeln wollten zu deinem Nachteil, du kannst auf mich rechnen, Johannes! – Daß der schönste Wunsch, der in deiner Brust ruht, erfüllt werde, dafür laß mich sorgen. Deine Cecilia, du weißt, welches holde Wesen ich meine – doch still jetzt davon! – Das, was du noch von jener unersetzliches Begebenheit in Neapel zu wissen verlangst, ist mit wenigen Worten gesagt. – Fürs erste hat es unserm würdigen Bruder Cyprianus beliebt, in seiner Erzählung einen kleinen Umstand zu übergehen. – Angela starb an dem Gift, das er ihr beigebracht in dem höllischen Wahnsinn der Eifersucht. – Meister Abraham befand sich damals in Neapel unter dem Namen Severino. Er glaubte Spuren seiner verlornen Chiara zu finden und fand sie wirklich, da ihm jene alte Zigeunerin in den Weg kam, Magdala Sigrun geheißen, die du schon kennst. An den Meister wandte sich die Alte, als das Schrecklichste geschehen, und ihm vertraute sie, ehe sie Neapel verließ, jenes Bildnis, dessen Geheimnisse du noch nicht kennst. Drücke den stählernen Knopf an dem Rande, dann springt Antonias Bildnis, das nur einer Kapsel zum Deckel dient, auf, und du erblickst nicht allein Angelas Bildnis, sondern dir fallen auch noch ein paar Blättchen in die Hände, die von der äußersten Wichtigkeit sind, da sie dir den Beweis des doppelten Mordes liefern. – Du siehst nun, warum dein Talisman so kraftvoll wirkt. – Meister Abraham soll noch mit dem Bruderpaar in mancherlei Berührung gekommen sein, doch davon wird er dir selbst noch besser erzählen können als ich. – Laß uns jetzt hören, Johannes, wie es mit dem kranken Bruder Cyprianus steht!« –

»Und das Mirakel?« So fragte Kreisler, indem er den Blick auf die Stelle der Wand über dem kleinen Altar warf, wo er selbst mit dem Abt das Bild, dessen sich der geneigte Leser wohl noch erinnert, befestigt hatte. Nicht wenig verwunderte er sich aber, als er statt dieses Bildes wieder Leonardo da Vincis heilige Familie erblickte, die ihren alten Platz eingenommen. – »Und das Mirakel?« fragte Kreisler zum zweitenmal. – »Ihr meint«, erwiderte der Abt mit seltsamem Blick, »Ihr meint das schöne Bild, welches sonst hier aufgehängt war? – Ich habe es unterdessen in dem Krankensaal aufstellen lassen. Vielleicht stärkt der Anblick unsern armen Bruder Cyprianus, vielleicht hilft ihm die Hochgebenedeite zum zweitenmal.« –

Kreisler fand auf seinem Zimmer ein Schreiben des Meisters Abraham des Inhalts:

»Mein Johannes!

Auf! – Auf! Verlaßt die Abtei, eilt her, so schnell Ihr könnt! – Der Teufel hat hier zu seiner Lust eine ganz besondere Hetzjagd angestellt! – Mündlich mehr, das Schreiben wird mir blutsauer, denn es steckt mir alles im Halse und droht mich zu ersticken. Von mir, von dem Hoffnungsstern, der mir aufgegangen, nicht ein Wort. Nur so viel in aller Eil': Die Rätin Benzon findet Ihr nicht mehr, wohl aber die Reichsgräfin von Eschenau. Das Diplom aus Wien ist angekommen und die künftige Heirat Julias mit dem würdigen Prinzen Ignaz so gut wie erklärt. Fürst Irenäus beschäftigt sich mit der Idee des neuen Throns, auf dem er sitzen wird als regierender Herr. Die Benzon oder vielmehr die Gräfin von Eschenau hat ihm das versprochen. Prinz Hektor hat indessen Versteckens gespielt, bis er nun wirklich fort mußte zur Armee. – Bald kehrt er wieder, und dann soll eine Doppelhochzeit gefeiert werden. – Es wird lustig sein! – Die Trompeter spülen sich schon die Gurgeln aus, die Fiedler schmieren die Bogen, die Lichtzieher in Sieghartsweiler gießen die Fackeln, – aber! – Nächstens ist der Namenstag der Fürstin, da unternehm ich Großes, aber Ihr müßt hier sein. Kommt nur lieber gleich auf der Stelle, wenn Ihr dies gelesen habt! Lauft, was Ihr könnt. Bald seh ich Euch. – Apropos! – Nehmt Euch doch vor den Pfaffen in acht, aber den Abt lieb ich sehr. – Adieu!«

So kurz und so inhaltsreich war das Brieflein des alten Meisters, daß –


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