E. T. A. Hoffmann
Lebensansichten des Katers Murr
E. T. A. Hoffmann

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Wir hatten einen nahegelegenen Lustort erreicht; die Professorin nahm Platz mit ihrer Gesellschaft, bei der sich jedoch der liebe, gutmütige Herr Professor nicht befand. Unfern davon setzte sich Baron Wipp, so daß er, ohne sonderlich von den andern bemerkt zu werden, die Professorin beständig im Auge behielt. Ich stellte mich vor meinen Herrn und guckte ihn an, indem ich leise mit dem Schweif wedelte, als erwarte ich seine Befehle. ›Ponto‹, wiederholte er, ›Ponto, sollte es möglich sein! – Nun‹, setzte er nach einem kurzen Stillschweigen hinzu, ›nun, es kommt auf den Versuch an!‹ – Damit nahm er einen kleinen Papierstreifen aus der Brieftasche, schrieb einige Worte mit Bleistift darauf, rollte ihn zusammen, steckte ihn mir unter das Halsband, wies nach der Professorin und rief leise: ›Ponto – Allons!‹ – Nicht ein solcher kluger, in der Welt gewitzigter Pudel hätte ich sein müssen, als ich es wirklich bin, um nicht sogleich alles zu erraten. Ich machte mich daher sogleich an den Tisch, wo die Professorin saß, und tat, als verspüre ich großen Appetit nach dem schönen Kuchen, der auf dem Tisch stand. Die Professorin war die Freundlichkeit selbst, sie reichte mir Kuchen mit der einen Hand, während sie mich mit der andern am Halse kraulte. Ich fühlte, wie sie den Papierstreifen hervorzog. Bald darauf verließ sie die Gesellschaft und begab sich in einen Nebengang. Ich folgte ihr. Ich sah, wie sie des Barons Worte eifrig las, wie sie aus ihrem Strickkästchen einen Bleistift hervorholte, auf denselben Zettel einige Worte schrieb und ihn dann wieder zusammenrollte. ›Ponto‹, sprach sie dann, indem sie mich mit schalkhaftem Blick betrachtete, ›Ponto! du bist ein sehr kluger, vernünftiger Pudel, wenn du zu rechter Zeit apportierst!‹ – Damit steckte sie mir das Zettelchen unter das Halsband, und ich unterließ nicht, eiligst hinzuspringen zu meinem Herrn. Der mutmaßte sogleich, daß ich Antwort brächte, denn er zog alsbald den Zettel unter dem Halsband hervor. – Der Professorin Worte mußten sehr tröstlich lauten und angenehm, denn des Barons Augen funkelten vor lauter Freude, und er rief entzückt: ›Ponto – Ponto, du bist ein herrlicher Pudel, mein guter Stern hat mir dich zugeführt.‹ Du kannst denken, guter Murr, daß ich nicht weniger erfreut war, da ich einsah, wie ich nach dem, was sich soeben zugetragen, in der Gunst meines Herrn hoch steigen müsse.

In dieser Freude machte ich beinahe unaufgefordert alle nur möglichen Kunststücke. Ich sprach wie der Hund, starb, lebte wieder auf, verschmähte das Stück Weißbrot vom Juden und verzehrte mit Appetit das vom Christen und so weiter. ›Ein ungemein gelehriger Hund!‹ So rief eine alte Dame, die neben der Professorin saß, herüber. ›Ungemein gelehrig!« erwiderte der Baron. ›Ungemein gelehrig!‹ hallte der Professorin Stimme nach wie ein Echo. – Ich will dir nur ganz kurz sagen, guter Murr, daß ich den Briefwechsel auf die erwähnte Weise fortwährend besorgte und noch jetzt besorge, da ich zuweilen sogar mit Briefchen in des Professors Haus laufe, wenn er gerade abwesend. Schleicht aber manchmal in der Abenddämmerung der Herr Baron Alkibiades von Wipp zur holden Lätitia, so bleibe ich vor der Haustüre und mache, läßt sich der Herr Professor nur in der Ferne blicken, solch einen grimmigen Teufelslärm mit Bellen, daß mein Herr ebensogut als ich die Nähe des Feindes wittert und ihm ausweicht.« –

Mir kam es vor, als könne ich Pontos Betragen doch nicht recht billigen, ich dachte an des verewigten Muzius, an meinen eignen tiefen Abscheu vor jedem Halsbande, und schon dies setzte mich darüber ins klare, daß ein ehrliches Gemüt, so, wie es ein rechtschaffener Kater in sich trägt, dergleichen Liebeskuppeleien verschmähe. Alles dieses äußerte ich dem jungen Ponto ganz unverhohlen. Der lachte mir aber ins Gesicht und meinte, ob denn die Moral der Katzen so gar strenge sei, und ob ich selbst nicht schon hin und wieder über die Schnur gehauen, das heißt etwas getan, was für den engen moralischen Schubkasten etwas zu breit sei. – Ich dachte an Mina und verstummte.

»Fürs erste«, sprach Ponto weiter, »fürs erste, mein guter Murr, ist es ein ganz gemeiner Erfahrungssatz, daß niemand seinem Schicksal entgehen kann, er mag es nun anstellen, wie er auch will; du kannst als ein Kater von Bildung das Weitre darüber nachlesen in einem sehr belehrenden und ganz angenehm stilisierten Buche, ›Jacques le fataliste‹ betitelt. War es nach dem ewigen Ratschluß bestimmt, daß der Professor der Ästhetik, Herr Lothario, ein –. Nun, du verstehst mich, guter Katz, aber zudem hat ja der Professor durch die Art, wie er sich bei der merkwürdigen Handschuhgeschichte – sie sollte mehr Zelebrität erhalten, schreib was darüber, Murr – benommen, seinen ganz entschiedenen, ihm von der Natur eingepflanzten Beruf bewiesen, in jenen großen Orden zu treten, den so viele, viele Männer tragen mit der gebietendsten Würde, mit dem schönsten Anstande, ohne es zu wissen. Diesen Beruf hätte Herr Lothario erfüllt, gab es auch keinen Baron Alkibiades von Wipp, keinen Ponto. Hatte aber wohl überhaupt Herr Lothario etwas anderes, Besseres um mich verdient, als daß ich gerade seinem Feinde mich in die Arme warf? – Dann aber fand auch der Baron gewiß andere Mittel, sich mit der Professorin zu verstehen, und derselbe Schaden kam über den Professor, ohne mir den Nutzen zu bringen, den ich jetzt wirklich von dem angenehmen Verhältnis des Barons mit der holden Lätitia verspüre. Wir Pudel sind nicht solche überstrenge Moralisten, daß wir in unserm eignen Fleische wühlen und die im Leben schon sonst knapp genug zugeschnittenen guten Bissen verschmähen sollten.« –

Ich fragte den jungen Ponto, ob denn der Nutzen, den ihm sein Dienst bei dem Baron Alkibiades von Wipp verschaffe, in der Tat so groß und wichtig sei, daß er das Unangenehme, das Drückende der damit verbundenen Knechterei aufwiege. Damit gab ich ihm nicht undeutlich zu verstehen, daß eben diese Knechterei einem Kater, dessen Freiheitssinn in der Brust unauslöschlich, immer widerlich bleiben müsse.

»Du redest«, erwiderte Ponto stolz lächelnd, »du redest, guter Murr, wie du es verstehst, oder vielmehr wie es dir deine gänzliche Unerfahrenheit in den höhern Verhältnissen des Lebens erscheinen läßt. Du weißt nicht, was es heißt, der Liebling eines solchen galanten, gebildeten Mannes zu sein, als es der Baron Alkibiades von Wipp wirklich ist. Denn daß ich seit der Zeit, als ich mich so klug und dienstfertig benommen, sein größter Liebling geworden, darf ich dir, o mein freiheitsliebender Katz, wohl nicht erst sagen. Eine kurze Schilderung unserer Lebensweise wird dich das Angenehme, das Wohltätige meiner jetzigen Lage sehr lebhaft fühlen lassen. – Des Morgens stehen wir (ich und mein Herr nämlich) nicht zu früh, aber auch nicht zu spät auf; das heißt, auf den Schlag elf Uhr. – Ich muß dabei bemerken, daß mein breites weiches Lager unfern dem Bette des Barons aufgeschlagen ist, und daß wir viel zu harmonisch schnarchen, um beim plötzlichen Erwachen zu wissen, wer geschnarcht hat. – Der Baron zieht an der Glocke, und sogleich erscheint der Kammerdiener, der dem Baron einen Becher rauchender Schokolade, mir aber einen Porzellannapf voll des schönsten süßen Kaffees mit Sahne bringt, den ich mit demselben Appetit leere wie der Baron seinen Becher. Nach dem Frühstück spielen wir ein halbes Stündchen miteinander, welche Leibesbewegung nicht allein unserer Gesundheit zuträglich ist, sondern auch unsern Geist erheitert. Ist das Wetter schön, so pflegt der Baron auch wohl zum offnen Fenster hinauszuschauen und die Vorübergehenden mit dem Fernglas zu begucken. Gehen gerade nicht viele vorüber, so gibt es noch eine andere Belustigung, die der Baron eine Stunde hindurch fortsetzen kann, ohne zu ermüden. – Unter dem Fenster des Barons ist ein Stein eingepflastert, der sich durch eine besonders rötliche Farbe auszeichnet, in der Mitte dieses Steins befindet sich aber ein kleines eingebröckeltes Loch. Nun kommt es darauf an, so geschickt herabzuspucken, daß gerade in dieses kleine Loch hineingetroffen wird. – Durch viele anhaltende Übung hat es der Baron dahin gebracht, daß er auf das dritte Mal Treffen pariert und schon manche Wette gewann. Nach dieser Belustigung tritt der sehr wichtige Moment des Anziehens ein. Das geschickte Kämmen und Kräuseln des Haars, vorzüglich aber das kunstmäßige Knüpfen des Halstuchs besorgt der Baron ganz allein ohne Hilfe des Kammerdieners. Da diese beiden schwierigen Operationen etwas lange dauern, so benutzt Friedrich die Zeit, um mich auch anzukleiden. Das heißt mit einem in lauwarmes Wasser eingeweichten Schwamm wäscht er mir den Pelz, kämmt die langen Haare, die der Friseur an schicklichen Örtern zierlich stehen lassen, mit einem genugsam engen Kamme durch und legt mir das schöne silberne Halsband um, das der Baron mir gleich verehrte, als er meine Tugenden entdeckt. Die folgenden Augenblicke sind der Literatur und den schönen Künsten gewidmet. Wir gehen nämlich in eine Restauration oder in ein Kaffeehaus, genießen Beefsteak oder Karbonade, trinken ein Gläschen Madeira und gucken etwas weniges in die neuesten Journale, in die neuesten Zeitungen. Dann beginnen die Vormittagsvisiten. Wir besuchen diese, jene große Schauspielerin, Sängerin, ja auch wohl Tänzerin, um ihr die Neuigkeiten des Tages, hauptsächlich aber den Verlauf irgendeines Debüts von gestern abend zu hinterbringen. Es ist merkwürdig, mit welchem Geschick der Baron Alkibiades von Wipp seine Nachrichten einzurichten weiß, um die Damen stets bei guter Laune zu erhalten. Niemals ist es der Gegnerin oder wenigstens Kombattantin gelungen, sich nur einen Teil des Ruhms anzueignen, der die Gefeierte krönt, die er soeben im Schmollzimmerchen heimsucht. – Man hat die Arme ausgezischt, – ausgelacht. – Und ist denn wirklich erhaltener glänzender Beifall nicht wohl zu verschweigen, so weiß der Baron ganz gewiß ein neues skandalöses Geschichtchen von der Dame aufzutischen, das ebenso begierig vernommen als verbreitet wird, damit gehöriges Gift die Blumen des Kranzes vor der Zeit töte. – Die vornehmeren Visiten bei der Gräfin A., bei der Baronesse B., bei der Gesandtin C. und so weiter füllen die Zeit aus bis halb vier Uhr; und nun hat der Baron seine eigentlichen Geschäfte abgemacht, so daß er um vier Uhr sich beruhigt zu Tische setzen kann. Dies geschieht gewöhnlich wieder in einer Restauration. Nach Tische gehen wir zu Kaffee, spielen auch wohl eine Partie Billard und machen denn, erlaubt es die Witterung, eine kleine Promenade; ich beständig zu Fuß, der Baron aber manchmal zu Pferde. So ist die Theaterstunde herangekommen, die der Baron niemals versäumt. Er soll im Theater eine überaus wichtige Rolle spielen, da er das Publikum nicht allein von allen Verhältnissen der Bühne und der auftretenden Künstler in Kenntnis setzen, sondern auch das gehörige Lob, den gehörigen Tadel anordnen, so aber überhaupt den Geschmack im richtigen Geleise erhalten muß. Er fühlt einen natürlichen Beruf dazu. Da man den feinsten Leuten meines Geschlechts ungerechterweise den Eingang in das Theater durchaus nicht verstattet, so sind die Stunden während der Vorstellung die einzigen, in denen ich mich von meinem lieben Baron trenne und mich allein auf meine eigne Hand belustige. Wie dies nun geschieht, und wie ich die Konnexionen mit Windspielen, englischen Wachtelhunden, Möpsen und andern vornehmen Leuten benutze, das sollst du künftig erfahren, guter Murr! – Nach dem Theater speisen wir wieder in einer Restauration, und der Baron überläßt sich in heitrer Gesellschaft ganz seiner frohen Laune. Das heißt, alle sprechen, alle lachen und finden alles auf Ehre göttlich, und keiner weiß, was er spricht, und worüber er lacht, und was als auf Ehre göttlich gerühmt werden darf. Darin besteht aber das Sublime der Konversation, das ganze soziale Leben derer, die sich zur eleganten Lehre bekennen, wie mein Herr. Manchmal fährt aber auch wohl der Baron noch in später Nacht in diese, jene Gesellschaft und soll dort ganz exzellent sein. Auch davon weiß ich nichts, denn der Baron hat mich noch niemals mitgenommen, wozu er vielleicht seine guten Gründe haben mag. – Wie ich auf weichem Lager in der Nähe des Barons herrlich schlafe, habe ich dir schon gesagt. Gestehe aber nun selbst, guter Katz, wie nach der Lebensweise, die ich hier ausführlich beschrieben, mich der alte, mürrische Oheim eines wüsten, liederlichen Wandels anklagen kann? – Es ist wahr, daß ich, schon hab ich dir's gestanden, vor einiger Zeit gerechten Anlaß gab zu allerlei Vorwürfen. Ich trieb mich umher in schlechter Gesellschaft und fand eine besondere Lust darin, mich überall, vorzüglich in Vermählungsschmäuse ungebeten einzudrängen und ganz unnützen Skandal anzufangen. Alles dies geschah aber nicht aus reinem Trieb zu wüster Balgerei, sondern aus bloßem Mangel an höherer Kultur, die ich bei den Verhältnissen, wie sie in dem Hause des Professors bestanden, nicht erhalten konnte. Jetzt ist das alles anders. Doch! – wen erblick ich? – Dort geht der Baron Alkibiades von Wipp! – Er sieht sich nach mir um – er pfeift! – Au revoir, Bester!« –

Schnell wie der Blitz sprang Ponto seinem Herrn entgegen. Das Äußere des Barons entsprach ganz dem Bilde, das ich mir wohl nach dem, was Ponto von ihm gesagt, machen durfte. – Er war sehr groß und nicht sowohl schlank gewachsen als spindeldürr. Kleidung, Stellung, Gang, Gebärde, alles konnte für den Prototypus der letzten Mode gelten, die aber, bis ins Phantastische hinaus getrieben, seinem ganzen Wesen etwas Seltsames, Abenteuerliches gab. Er trug ein kleines, sehr dünnes Röhrchen mit einer stählernen Krücke in der Hand, über das er Ponto einigemal springen ließ. So herabwürdigend mir auch dieses schien, gestehen mußte ich doch, daß Ponto mit der höchsten Geschicklichkeit und Stärke jetzt eine Anmut verband, die ich sonst noch niemals an ihm bemerkt. Überhaupt, wie nun der Baron mit vorgestreckter Brust, den Leib eingezogen, mit einem sonderbaren ausgespreizten Hahnentritt weiter fortwandelte und Ponto in sehr zierlichen Kurbetten bald vorwärts, bald nebenher sprang und sich nur ganz kurze, zum Teil stolze Begrüßungen vorübergehender Kameraden erlaubte, so sprach sich darin ein gewisses Etwas aus, das, ohne mir deutlich zu werden, dennoch mir imponierte. – Ich ahnte, was mein Freund Ponto mit der höheren Kultur gemeint, und suchte, soviel möglich, darüber ganz ins klare zu kommen. Das hielt aber sehr schwer, oder vielmehr, meine Bemühungen blieben ganz vergebens. –

Später habe ich eingesehen, daß an gewissen Dingen alle Probleme, alle Theorien, die sich in dem Geiste bilden mögen, scheitern, und daß nur durch die lebendige Praxis die Erkenntnis zu erringen; die höhere Kultur, die beide, der Baron Alkibiades von Wipp und der Pudel Ponto, in der feinen Welt erlangt, gehört aber zu diesen gewissen Dingen. –

Der Baron Alkibiades von Wipp lorgnettierte mich im Vorübergehen sehr scharf. Es schien mir, als läs ich Neugierde und Zorn in seinem Blick. Sollte er vielleicht Pontos Unterhaltung mit mir gewahrt und ungnädig vermerkt haben? Mir wurde etwas ängstlich zumute, ich eilte schnell die Treppe hinauf. –

Ich sollte nun, um alle Pflichten eines tüchtigen Selbstbiographien zu erfüllen, wiederum meinen Seelenzustand beschreiben und könnte das nicht besser tun als mittelst einiger sublimer Verse, die ich seit einiger Zeit so recht, wie man zu sagen pflegt, aus dem Pelzärmel schüttle. Ich will –

(Mak. Bl.) »– – mit diesem einfältigen, armseligen Spielwerk den besten Teil meines Lebens vergeudet. – Und nun jammerst du, alter Tor, und klagst das Geschick an, dem du vermessen Trotz botest! – Was gingen dich die vornehmen Leute, was ging dich die ganze Welt an, die du verhöhntest, weil du sie für närrisch hieltest und selbst am närrischsten warst! – Beim Handwerk, beim Handwerk mußtest du bleiben, Orgeln bauen und nicht den Hexenmeister spielen und den Wahrsager. – Sie hätten sie mir nicht gestohlen, mein Weib wäre bei mir, ein tüchtiger Arbeiter säß ich in der Werkstatt, und rüstige Gesellen klopften und hämmerten um mich her, und wir förderten Werke, die sich hören und sehen ließen wie keine andere weit und breit. – Und Chiara! – vielleicht hingen muntre Knaben mir am Halse, vielleicht schaukelte ich ein schmuckes Töchterlein auf den Knien. – Tausend Teufel, was hält mich ab, daß ich nicht den Augenblick davonrenne und das verlorne Weib suche in der ganzen weiten Welt!« – Damit warf Meister Abraham, der dies Selbstgespräch gehalten, das kleine begonnene Automat sowie alles Handwerkszeug unter den Tisch, sprang auf und schritt heftig hin und her. – Der Gedanke an Chiara, der ihn jetzt beinahe niemals verließ, rief alle schmerzliche Wehmut in seinem Innern hervor, und wie mit Chiara damals sein höheres Leben begonnen, verließ ihn auch jetzt jener trotzige, dem Gemeinen entsprossene Unwille darüber, daß er über sein Handwerk hinweggeschaut und wirkliche Kunst zu üben sich unterfangen. – Er schlug Severinos Buch auf und schaute lange die holde Chiara an. – Wie ein Mondsüchtiger, der, der äußeren Sinne beraubt, nur nach dem innern Gedanken automatisch handelt, ging Meister Abraham dann zu einem Kasten, der in einem Winkel des Zimmers stand, räumte Bücher und Sachen, womit er bepackt, herunter, öffnete ihn, nahm die Glaskugel, den ganzen Apparat zum geheimnisvollen Experiment mit dem unsichtbaren Mädchen hervor, befestigte die Kugel an einer dünnen, seidnen Schnur, die von der Decke herabhing, stellte im Zimmer alles so her, wie es zu dem versteckten Orakel nötig. Erst als er mit allem fertig geworden, erwachte er aus der träumerischen Betäubung und erstaunte nicht wenig darüber, was er begonnen. »Ach«, jammerte er dann laut, indem er ganz ermattet, ganz trostlos in den Lehnstuhl sank, »ach, Chiara, arme verlorne Chiara, niemals werd ich wieder deine süße Stimme verkünden hören, was in des Menschen tiefster Brust verschlossen. Kein Trost mehr auf Erden – keine Hoffnung als das Grab!« –

Da schwankte die Glaskugel hin und her, und ein melodischer Ton ließ sich vernehmen, wie wenn Windeshauch leise hinstreift über die Saiten der Harfe. Aber bald wurde der Ton zu Worten:

        Noch ist Leben nicht dahin,
Trost und Hoffnung nicht verschwunden,
Was vermag der frömmste Sinn,
Hält ihn schwerer Eid gebunden?
Meister! Mut! – du wirst gesunden,
Blick auf zu der Dulderin,
Die da heilt die tiefsten Wunden,
Bittrer Schmerz bringt dir Gewinn.

»O du barmherziger Himmel«, lispelte der Alte mit bebenden Lippen, »sie ist es selbst, die zu mir spricht von dem hohen Himmel herab; sie wandelt nicht mehr unter den Lebendigen!« – Da ließ sich jener melodische Ton abermals vernehmen, und noch leiser, noch entfernter erklangen die Worte:

Nicht erfaßt der bleiche Tod,
Die im Herzen Liebe tragen;
Dem glänzt noch das Abendrot,
Der am Morgen wollt verzagen.
Bald kann dir die Stunde schlagen,
Die entreißt dich aller Not;
Zu vollbringen magst du wagen,
Was die ewge Macht gebot.

Stärker anschwellend und wieder verhallend, lockten die süßen Töne den Schlaf herbei, der den Alten einhüllte in seinen schwarzen Fittich. Aber in dem Dunkel ging strahlend wie ein schöner Stern der Traum vergangnen Glückes auf, und Chiara lag wieder an des Meisters Brust, und beide waren wieder jung und selig, und kein finstrer Geist vermochte den Himmel ihrer Liebe zu trüben. –

– Hier hat, wie der Herausgeber es dem geneigten Leser bemerklich machen muß, der Kater wieder ein paar Makulaturblätter ganz weggerissen, wodurch in dieser Geschichte voller Lücken wiederum eine Lücke entstanden. Nach der Seitenzahl fehlen aber nur acht Kolumnen, die eben nichts besonders Wichtiges enthalten zu haben scheinen, da das Folgende sich im ganzen noch so ziemlich an das Vorhergegangene reiht. – Also weiter heißt es:

– – – nicht erwarten durfte. Fürst Irenäus war überhaupt ein abgesagter Feind von allen ungewöhnlichen Vorfällen, vorzüglich wenn seine eigne Person in Anspruch genommen wurde, die Sache näher zu untersuchen. Er nahm daher, wie er es in kritischen Fällen zu tun pflegte, eine Doppelprise, starrte den Leibjäger an mit dem bekannten niederschmetternden Friedrichsblick und sprach: »Lebrecht, ich glaube, wir sind ein mondsüchtiger Träumer und sehen Gespenster und machen einen ganz unnötigen Hallas?«

»Durchlauchtigster Herr«, erwiderte der Leibjäger in sehr ruhiger Fassung, »lassen Sie mich fortjagen wie einen ordinären Schuft, wenn nicht alles buchstäblich wahr ist, wie ich es erzählt habe. Ich wiederhole es keck und freimütig: Rupert ist ein ausgemachter Spitzbube.«

»Wie«, rief der Fürst in vollem Zorn, »wie, Rupert, mein alter, treuer Kastellan, der fünfzig Jahre dem Fürstenhause gedient, ohne jemals ein Schloß einrosten zu lassen oder im Auf- und Zuschließen zu mankieren, der soll ein Spitzbube sein? Lebrecht! – Er ist besessen, Er ist rasend! Himmeltausend Sapp –«

Der Fürst stockte wie immer, wenn er sich auf dem Fluchen ertappte, das allem fürstlichen Anstande entgegen. Der Leibjäger nutzte diesen Augenblick, um ganz geschwinde einzufallen: »Durchlauchtigster Herr werden nur gleich so hitzig und fluchen denn so gräßlich, und man darf über so etwas doch nicht schweigen, man kann doch nichts behaupten als die reine Wahrheit.« – »Wer ist hitzig«, sprach der Fürst gelassener, »wer flucht? – Esel fluchen! – Ich will, daß Er mir die ganze Sache in gedrängter Kürze wiederhole, damit ich in einer geheimen Sitzung alles meinen Räten vortragen kann zur umständlichen Beratung und Entscheidung über die fernerhin zu ergreifenden Maßregeln. Ist Rupert wirklich ein Spitzbube, so –. Nun, das Weitere wird sich denn finden.«

»Wie gesagt«, begann der Leibjäger, »als ich gestern Fräulein Julien vorleuchtete, schlüpfte derselbe Mensch, der hier schon längst herumschleicht, bei uns vorüber. ›Halt‹, dacht ich in meinem Sinn. ›Den Urian wirst du doch ertappen«, und löschte, als ich das liebe Fräulein bis oben heraufgebracht, meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel. Nicht lange dauerte es, so kam derselbe Mensch aus dem Gebüsch hervor und klopfte leise an das Haus. Behutsam schlich ich einher. Da wurde das Haus geöffnet, und ein Mädchen trat heraus, und mit diesem Mädchen schlüpfte der Fremde hinein. Es war die Nanni, Sie kennen sie doch, Durchlauchtigster Herr?«

»Coquin«, rief der Fürst, »mit hohen, gekrönten Häuptern spricht man nicht von schönen Nannis, doch . . .! Fahr Er fort, mon fils.« – »Ja«, sprach der Leibjäger weiter, »ja, die schöne Nanni, ich hätt ihr solch dummen Verkehr gar nicht zugetraut. – Also weiter nichts als eine einfältige Liebschaft, dacht ich in meinem Sinn; aber es wollt mir gar nicht in den Kopf, daß nicht noch was anders dahinterstecken sollte. Ich blieb am Hause stehen. Da kam nach einer guten Weile die Frau Rätin zurück, und kaum war sie ins Haus getreten, als oben ein Fenster geöffnet wurde und mit unglaublicher Behendigkeit der fremde Mann hinaussprang, gerade in die schönen Nelken- und Levkojenstöcke hinein, die dort vergattert stehen, und die das liebe Fräulein Julia selbst so sorglich wartet. Der Gärtner lamentiert schrecklich; er ist mit den zerbrochenen Scherben draußen und wollte bei dem Durchlauchtigsten Herrn selbst Klage führen. Ich habe ihn aber nicht hineingelassen, denn der Schlingel ist angesoffen schon am frühen Morgen.«

»Lebrecht«, unterbrach der Fürst den Leibjäger, »Lebrecht, das scheint eine Imitation zu sein, denn selbiges kommt schon in der Oper von Herrn Mozart, ›Figaros Hochzeit‹ geheißen, vor, die ich zu Prag geschaut. Bleib Er der Wahrheit getreu, Jäger!« – »Auch«, sprach Lebrecht weiter, »auch nicht eine Silbe rede ich anders, als ich es bekräftigen kann mit einem körperlichen Eide. – Der Kerl war hingestürzt, und ich gedachte ihn nun zu fassen; doch schnell wie der Blitz raffte der Kerl sich auf und rannte spornstreichs – wohin? Was denken Sie wohl, Durchlauchtigster Fürst, wohin er rannte?« »Ich denke nichts«, erwiderte der Fürst feierlich, »turbier Er mich nicht mit lästigen Fragen nach Gedanken, Jäger! sondern erzähle Er ruhig so lange, bis die Geschichte aus ist, dann will ich denken.«

»Gerade«, fuhr der Jäger fort, »gerade nach dem unbewohnten Pavillon rannte der Mensch. Ja – unbewohnt! – Sowie er an die Tür geklopft, wurd es inwendig hell, und wer nun heraustrat, war niemand anders als der saubere, ehrliche Herr Rupert, dem der Fremde hineinfolgte ins Haus, das er nun wieder fest verschloß. Sie sehen, Durchlauchtigster Herr, daß Rupert Verkehr treibt mit fremden, gefährlichen Gästen, die bei ihrer Schleicherei gewiß Böses im Schilde führen. Wer weiß, worauf alles abzielt, und es ist ja möglich, daß selbst mein Durchlauchtigster Fürst hier in dem stillen, ruhigen Sieghartshof von schlechten Menschen bedroht wird.«

Da Fürst Irenäus sich für eine höchst bedeutende fürstliche Person hielt, so konnt es nicht fehlen, daß er manchmal von allerlei höfischen Kabalen und bösen Nachstellungen träumte. Des Jägers letzte Äußerung fiel ihm deshalb gar schwer aufs Herz, und er versank einige Augenblicke in tiefes Nachsinnen. »Jäger«, sprach er dann mit weit aufgerissenen Augen, »Jäger! Er hat recht. Die Sache mit dem fremden Menschen, der hier herumschleicht, mit dem Licht, das sich zur Nachtzeit im Pavillon sehen läßt, ist bedenklicher, als sie im ersten Augenblick erscheint. – Mein Leben steht in Gottes Hand! Aber mich umgeben treue Diener, und sollte einer sich für mich aufopfern, so würde ich ganz gewiß die Familie reichlich bedenken! – Verbreit Er das unter meinen Leuten, guter Lebrecht! – Er weiß, ein fürstliches Herz ist frei von jeder Bangigkeit, von jeder menschlichen Todesfurcht, aber man hat auch Pflichten gegen sein Volk, ihm muß man sich konservieren, zumal wenn der Thronerbe noch unmündig. Darum will ich das Schloß nicht eher verlassen, bis die Kabale im Pavillon zerstört ist. – Der Förster soll mit den Revierjägern und allen übrigen Forstbedienten herankommen, alle meine Leute sollen sich bewaffnen. Der Pavillon soll sogleich umstellt, das Schloß fest verschlossen werden. Besorg Er das, guter Lebrecht. Ich selbst schnalle meinen Hirschfänger um, lade Er meine Doppelpistolen, aber vergesse Er nicht den Schieber vorzulassen, damit kein Unglück geschieht. – Und daß man mir Nachricht gibt, wenn etwa die Zimmer des Pavillons erstürmt und so die Verschworenen gezwungen werden sollen, sich zu ergeben, damit ich mich zurückziehen kann in die inneren Gemächer. Und daß man die Gefangenen auf das sorglichste durchsucht, ehe sie vor den Thron gebracht werden, damit keiner etwa in der Verzweiflung – doch, was steht Er, was sieht Er mich an, was lächelt Er, was soll das heißen, Lebrecht?«

»Ei«, erwiderte der Leibjäger mit pfiffiger Miene, »ei, Durchlauchtigster Herr, ich meine nur, daß es gar nicht vonnöten, den Förster mit seinen Leuten herzubeordern.«

»Warum nicht«, fragte der Fürst erzürnt, »warum nicht? – Ich glaube gar, Er untersteht sich, mir zu widersprechen? – Und in jeder Sekunde steigt die Gefahr! Tausend Sapp– Lebrecht, werf Er sich aufs Pferd – der Förster – seine Leute – geladene Büchsen – den Augenblick sollen sie einrücken.« –

»Sie sind«, sprach der Leibjäger, »sie sind aber schon da, Durchlauchtigster Herr!«

»Wie – was!« – rief der Fürst, indem er den Mund offen behielt, um dem Erstaunen Luft zu gönnen.

»Schon«, fuhr der Jäger fort, »schon als der Morgen graute, war ich draußen beim Förster. Schon ist der Pavillon so sorglich umstellt, daß keine Katze herauskann, viel weniger ein Mensch.«

»Er ist«, sprach der Fürst gerührt, »Er ist ein vortrefflicher Jäger, Lebrecht, und ein treuer Diener des fürstlichen Hauses. Rettet Er mich aus dieser Gefahr, so kann Er sicher auf eine Verdienstmedaille rechnen, die ich selber erfinden und ausprägen lassen werde von Silber oder von Gold, je nachdem bei der Erstürmung des Pavillons weniger oder mehr Menschen geblieben sind.«

»Erlauben«, sprach der Jäger, »erlauben Sie es, Durchlauchtigster Herr, so gehen wir nun gleich ans Werk. Das heißt, wir schlagen die Türe des Pavillons ein, nehmen das Gesindel, das darin hauset, gefangen, und alles ist vorüber. Ja, ja, den Kerl, der mir so oft entschlüpft, der solch ein verfluchter Springer ist, den verdammten Kerl, der sich dort im Pavillon als ein ungebetener Gast selbst einquartiert hat, den will ich schon fassen, den Spitzbuben den, der Fräulein Julien turbiert hat!« –

»Welcher Spitzbube«, fragte die Rätin Benzon, in das Zimmer tretend, »welcher Spitzbube hat Julien turbiert? Wovon sprecht Ihr, guter Lebrecht?« – Der Fürst schritt feierlich, bedeutsam, wie jemand, dem Großes, Ungeheures begegnet, das er mit aller Stärke des Geistes bemüht ist zu tragen, der Benzon entgegen. Er faßte ihre Hand, drückte sie zärtlich und sprach dann mit sehr weicher Stimme: »Benzon! Selbst in der einsamsten, tiefsten Zurückgezogenheit folgt die Gefahr dem fürstlichen Haupt. – Es ist das Los der Fürsten, daß alle Milde, alle Güte des Herzens sie nicht schützt vor dem feindlichen Dämon, der den Neid, die Herrschsucht entflammt in der Brust verräterischer Vasallen! – Benzon, die schwärzeste Verräterei hat ihr schlangenhaariges Medusenhaupt erhoben gegen mich, Sie finden mich in der dringendsten Gefahr! – Aber bald ist der Augenblick der Katastrophe da, diesem Getreuen verdanke ich vielleicht bald mein Leben, meinen Thron! – Und ist es anders beschlossen – nun, so ergebe ich mich in mein Schicksal. – Ich weiß, Benzon, Sie konservieren Ihre Gesinnungen gegen mich, und so kann ich wie jener König in dem Trauerspiel eines deutschen Dichters, mit dem Prinzessin Hedwiga mir neulich den Tee verdarb, hochsinnig rufen: ›Nichts ist verloren, denn sie blieben mein!‹ – Küssen Sie mich, gute Benzon! – Teures Malchen, wir sind und bleiben die Alten! – Guter Gott, ich radotiere wohl in der Seelenangst! – Lassen Sie uns gefaßt sein, meine Liebe, wenn die Verräter gefangen sind, werd ich sie mit einem Blick vernichten. – Leibjäger, es beginne der Angriff auf den Pavillon.« – Der Leibjäger wollte schnell fort. »Halt«, rief die Benzon, »was für ein Angriff – auf welchen Pavillon?«

Der Leibjäger mußte auf Befehl des Fürsten nochmals über den ganzen Vorfall genauen Rapport erstatten.

Immer mehr und mehr schien die Benzon durch des Leibjägers Erzählung gespannt zu werden. Als er geendet, rief die Benzon lachend: »Nun, das ist das drolligste Mißverständnis, das es wohl geben mag. Ich bitte, gnädigster Herr, daß der Förster mit seinen Leuten sogleich nach Hause geschickt werde. – Es ist von gar keiner Verschwörung die Rede, Sie befinden sich nicht in der mindesten Gefahr, gnädigster Herr! – Der unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener.«

»Wer«, fragte der Fürst voll Erstaunen, »wer, welcher Unglückselige bewohnt den Pavillon ohne meine Erlaubnis?« –

»Es ist«, raunte die Benzon dem Fürsten ins Ohr, »es ist Prinz Hektor, der sich im Pavillon verbirgt!«

Der Fürst prallte einige Schritte zurück, als träfe ihn plötzlich ein Schlag von unsichtbarer Hand, dann rief er: »Wer – wie? Est-il possible! – Benzon! Träume ich? – Prinz Hektor?« Des Fürsten Blicke fielen auf den Leibjäger, der ganz verblüfft den Hut in der Hand zusammenknülle. – »Jäger«, schrie der Fürst ihn an, »Jäger! Scher Er sich herab, der Förster, die Leute, sie sollen fort – fort nach Hause! Kein Mensch soll sich blicken lassen! – Benzon«, wandte er sich dann zur Rätin, »gute Benzon, können Sie es sich vorstellen, einen Kerl, einen Spitzbuben hat Lebrecht den Prinzen Hektor genannt! – Der Unglückliche! – Doch es bleibt unter uns, Benzon, es ist ein Staatsgeheimnis. – Sagen Sie, erklären Sie mir nur, wie es geschehen konnte, daß der Prinz vorgibt abzureisen und sich hier versteckt, als wolle er auf Abenteuer ausgehen?«

Die Benzon sah sich durch die Beobachtungen des Leibjägers aus großer Verlegenheit gerettet. Hatte sie sich vollkommen überzeugt, daß es ihrerseits nicht ratsam, dem Fürsten die Gegenwart des Prinzen in Sieghartshof, am wenigsten aber seinen Anschlag auf Julien zu entdecken, so konnte doch auch die Sache nicht in der Lage bleiben, die mit jeder Minute sich für Julien, für das ganze Verhältnis, das sie, die Benzon selbst, mit aller Mühe aufrechterhielt, bedrohlicher gestalten mußte. Jetzt, da der Leibjäger den Schlupfwinkel des Prinzen erlauscht und dieser Gefahr lief, auf nicht sehr ehrenvolle Weise hervorgezogen zu werden, konnte, durfte sie ihn verraten, ohne Julia preiszugeben. Sie erklärte also dem Fürsten, daß wahrscheinlich ein Liebeszwist mit der Prinzessin Hedwiga den Prinzen vermocht, eine schnelle Abreise vorzugeben und sich mit seinem treusten Kammerdiener ganz in der Nähe der Geliebten zu verstecken. Daß dies Beginnen etwas Romanhaftes, Abenteuerliches in sich trage, sei nicht zu leugnen, doch welcher Liebende habe nicht Hang zu dergleichen. Übrigens sei des Prinzen Kammerdiener ein sehr eifriger Liebhaber ihrer Nanni und durch diese ihr das Geheimnis verraten worden.

»Ha!« rief der Fürst, »dem Himmel sei es gedankt, so war es der Kammerdiener und nicht der Prinz selbst, der sich zu Ihnen ins Haus stahl und dann durchs Fenster sprang in die Blumentöpfe, wie der Page Cherubin. – Mir stiegen schon allerlei unangenehme Gedanken auf. Ein Prinz und durchs Fenster springen, wie könnte sich das wohl in aller Welt reimen!«

»Ei«, erwiderte die Benzon schalkhaft lachend, »ich kenne doch eine fürstliche Person, die den Weg zum Fenster herein nicht verschmähte, als –«

»Sie«, unterbrach der Fürst die Rätin, »Sie alterieren mich, Benzon, Sie alterieren mich ganz ungemein! – Schweigen wir von vergangenen Dingen, überlegen wir lieber, was jetzt mit dem Prinzen anzufangen! Alle Diplomatie, alles Staatsrecht, alles Hofgesetz holt der Teufel in dieser verdammten Lage! – Soll ich ihn ignorieren? – soll ich ihn zufällig finden? – soll ich – soll ich? Alles dreht sich in meinem Kopfe wie ein Wirbel. Das kommt davon, wenn fürstliche Häupter sich zu wunderlichen Romanstreichen herabwürdigen!«

Die Benzon wußte in der Tat nicht, wie das weitere Verhältnis mit dem Prinzen zu formen. Doch auch dieser Verlegenheit wurde abgeholfen. Noch ehe die Rätin nämlich dem Fürsten antworten konnte, trat der alte Kastellan Rupert hinein und überreichte dem Fürsten ein klein zusammengefaltetes Billett, indem er schelmisch lächelnd versicherte, es käme von einer hohen Person, die er gar nicht weit von hier die Ehre hätte unter Schloß und Riegel zu bewahren. »Er wußte«, sprach der Fürst sehr gnädig zu dem Alten, »Er wußte also, Rupert, daß . . .? Nun, ich habe Ihn immer für einen ehrlichen, treuen Diener meines Hauses gehalten, und Er hat sich auch jetzt als ein solcher bewährt, da Er, wie es seine Pflicht war, dem Befehl meines erhabenen Eidams gehorchet. – Ich werde an Seine Belohnung denken.« Rupert dankte in den demütigsten Ausdrücken und entfernte sich aus dem Zimmer.

Es begibt sich gar oft im Leben, daß einer für besonders ehrlich und tugendhaft gehalten wird gerade in dem Augenblick, wenn er einen Spitzbubenstreich begangen. Daran dachte die Benzon, die von des Prinzen bösem Anschlage besser unterrichtet und überzeugt war, daß der alte, heuchlerische Rupert in das böse Geheimnis eingeweiht.

Der Fürst erbrach das Billett und las:

»Che dolce più, che più giocondo stato
Saria, di quel d'un amoroso core?
Che viver più felice e più beato,
Che ritrovarsi in servicù d'Amore?
Se non fosse l'uom sempre stimulato
Da quel sospetto rio, da quel timore,
Da quel martir, da quella frenesia,
Da quella rabbia, detta gelosia.

In diesen Versen eines großen Dichters finden Sie, mein Fürst, die Ursache meines geheimnisvollen Beginnens.

Ich glaubte mich nicht geliebt von der, die ich anbete, die mein Leben ist, all mein Sehnen und Hoffen, für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust. Wohl mir – ich habe mich eines Bessern überzeugt, ich weiß seit wenigen Stunden, daß ich geliebt bin, und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor. Liebe und Glück, das sei das Losungswort, das mich ankündigt. – Bald begrüße ich Sie, mein Fürst, mit der Ehrfurcht des Sohnes.

Hektor

Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb, wenn der Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt. – Sie könnten ungefähr also lauten:

Gab's süßres noch, gab's höheres Entzücken,
Als wenn das Herz entbrannt in brünstger Liebe?
Könnt den ein sel'gres Himmelslos beglücken,
Der in des mächtgen Gottes Fesseln bliebe?
Vermöchte nicht den Menschen zu berücken
Der finstre Geist Verdacht, der Furcht Getriebe,
Trostlose Qual, Wahnsinns wuchernder Same,
Der Hölle Furie, Eifersucht ihr Name!

Der Fürst las das Billett zwei-, dreimal sehr aufmerksam durch, und je öfter er es las, desto finstrer zogen sich die Falten auf seiner Stirne zusammen. »Benzon«, sprach er endlich, »Benzon! was ist das mit dem Prinzen? Verse, italienische Verse an ein fürstliches Haupt, an einen gekrönten Schwiegervater, statt deutlicher, vernünftiger Erklärung? – Was soll das! – Es ist kein Verstand darin. – Der Prinz scheint überspannt zu sein auf ganz ungebührliche Weise. Die Verse sprechen, soviel ich davon verstehe, von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht. Was will der Prinz mit der Eifersucht, auf wen um tausend Himmels willen kann er hier eifersüchtig sein? – Sagen Sie mir das, gute Benzon!« –

Die Benzon entsetzte sich über den tiefern Sinn, der in den Worten des Prinzen lag, und den sie nach dem, was sich gestern in ihrem Hause begeben, leicht erraten konnte. Zugleich mußte sie aber die feine Wendung bewundern, die der Prinz ersonnen, um ohne weitern Anstoß aus seinem Versteck hervortreten zu dürfen. Weit entfernt, sich auch nur leise darüber gegen den Fürsten zu äußern, mühte sie sich aber, aus der Lage der Dinge so viel Vorteil zu ziehen, als nur möglich. Kreisler und Meister Abraham, das waren die Personen, von denen sie Verwirrung ihrer geheimen Pläne befürchtete, und gegen diese glaubte sie jede Waffe brauchen zu müssen, die ihr der Zufall in die Hand spielte. Sie erinnerte den Fürsten daran, was sie ihm über die Leidenschaft gesagt hatte, die in der Prinzessin Brust emporgelodert. Dem Scharfblick des Prinzen, führte sie ferner an, könne die Stimmung der Prinzessin ebensowenig entgangen sein, als Kreislers seltsames überspanntes Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse, irgendein wahnsinniges Verhältnis zwischen beiden zu vermuten. So sei hinlänglich erklärt, warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt, warum er, da er den Kreisler getötet zu haben geglaubt, dem Schmerz, der Verzweiflung der Prinzessin aus dem Wege gegangen, dann aber, als er von Kreislers Leben unterrichtet, von Liebe und Sehnsucht getrieben, zurückgekehrt sei und die Prinzessin heimlich beobachtet habe. Niemanden anders als Kreislern habe daher die Eifersucht gegolten, von der die Verse des Prinzen sprächen, und es sei um so nötiger und ratsamer, dem Kreisler forthin keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten, als er mit dem Meister Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott geschmiedet zu haben scheine.

»Benzon«, sprach der Fürst sehr ernsthaft, »Benzon, ich habe darüber nachgedacht, was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben, und glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort. Fürstliches Blut wallt in den Adern der Prinzessin.« –

»Glauben Sie«, fuhr die Benzon heftig auf, indem sie bis unter die Augen errötete, »glauben Sie, gnädigster Herr, daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag, über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes?«

»Sie sind«, sprach der Fürst verdrießlich, »Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung, Rätin! – Ich wiederhole es, entstand in dem Herzen der Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft, so war das nur ein krankhafter Zufall – ein Krampf sozusagen – sie leidet ja an Spasmen – von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde. Was aber den Kreisler betrifft, so ist das ein ganz amüsanter Mensch, dem nur gehörige Kultur fehlt. Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit zutrauen, sich der Prinzessin annähern zu wollen. Keck ist er, aber auf ganz andere Weise. Glauben Sie wohl, Benzon, daß nach seiner wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen würde, sollt es denkbar sein, daß eine dergleichen hohe Person sich herablassen könnte, in ihn verliebt zu werden? Denn – Benzon, entre nous soit dit – er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen Häuptern, und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit, die ihn unfähig macht, am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben; kehrt er aber zurück, so sei er mir herzlich willkommen. Denn nicht genug, daß er denn doch, wie ich vom Meister Abraham – ja, den Meister Abraham, den lassen Sie mir aus dem Spiele, Benzon, die Komplotte, die er geschmiedet, haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht. – Wie ich doch sagen wollte! Ja! – Nicht genug, daß der Kapellmeister, wie mir Meister Abraham gesagt, fliehen müssen auf ungebührliche Weise, unerachtet er von mir freundlich aufgenommen, so ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch, der mich amüsiert trotz seines närrischen Wesens, et cela suffit!«

Die Rätin erstarrte vor innerer Wut, sich so kalt abgefertigt zu sehen. Ohne es zu ahnen, war sie, als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen wollte, auf eine verborgene Klippe gestoßen. –


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