E. T. A. Hoffmann
Lebensansichten des Katers Murr
E. T. A. Hoffmann

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Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch. Eine lange Reihe Wagen rasselte heran, begleitet von einem starken Kommando großherzoglicher Husaren. Der Oberhofmarschall, der Präsident, die Räte des Fürsten, mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen aus. Dorthin war die Nachricht gekommen, daß in Sieghartshof eine wider das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen, und nun kamen die Getreuen nebst andern Verehrern des Hofes, sich um die Person des Fürsten zu stellen, und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit, die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten.

Vor lauter Beteurungen der Versammelten, daß sie Leib und Leben für den gnädigsten Herrn zu opfern bereit wären, kam der Fürst gar nicht zu Worte. Eben wollt er endlich beginnen, als der Offizier, der das Kommando führte, hereintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan fragte.

Es liegt in der menschlichen Natur, daß, wenn die Gefahr, die uns Furcht einjagte, sich vor unsern Augen auflöst in einen eitlen nichtigen Popanz, uns dies immer mit großem Unmut erfüllt. Der Gedanke, der wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein, nicht, daß gar keine vorhanden, erregt uns Freude.

So geschah es denn auch, daß der Fürst seinen Unmut, seinen Verdruß über den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte.

Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer Zofe, über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen entstanden, sollte, konnte er das sagen? Er sann hin und her; die ahnungsvolle Stille im Saal, nur unterbrochen von dem mutigen, siegversprechenden Wiehern der Husarenpferde, die draußen hielten, drückte ihn bleiern nieder.

Endlich räusperte er sich und begann pathetisch: »Meine Herren! Die wunderbare Fügung des Himmels . . . Was wollen Sie, mon ami?«

Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst sich selbst. Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und durch Blicke zu verstehen gegeben, daß er was Wichtiges zu hinterbringen. Es kam heraus, daß soeben sich Prinz Hektor melden ließ.

Des Fürsten Gesicht heiterte sich auf, er sah, daß er über die vermeintliche Gefahr, in der sein Thron geschwebt, sehr kurz sein und die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlag in eine Bewillkommnungscour umsetzen könne. Er tat dies! –

Nicht lange dauerte es, so trat Prinz Hektor herein, in Galauniform glänzend gekleidet, schön, kräftig, stolz wie der fernhintreffende Götterjüngling. Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm entgegen, fuhr aber auch gleich zurück, als träfe ihn der Blitz. Dicht hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal. Der fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage dämischer und abgeschmackter. Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz ausnehmend gefallen haben, denn er hatte einen Husaren vermocht, ihm Säbel, Tasche und Tschako zu geben, und sich in diese Herrlichkeiten geputzt. – So kurbettierte er, als säße er zu Pferde, in kurzen Sprüngen mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher, indem er die eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ, und lachte und kicherte dabei ganz ungemein anmutig.

»Partez – décampez! – Allez-vous-en – tout de suite.« So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen, der sich ganz geschwind davonmachte.

Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt, den Prinzen Ignaz, die ganze Szene zu bemerken. –

Der Fürst, im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit, sprach nun mit dem Prinzen einige Worte, und dann gingen beide, der Fürst und der Prinz, im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem, jenem ein paar Worte. Die Cour war beendigt, das heißt die geistreichen, tiefsinnigen Redensarten, deren man sich bei solcher Gelegenheit zu bedienen pflegt, waren gehörig verspendet, und der Fürst begab sich mit dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin, dann aber, da der Prinz darauf bestand, die geliebte Braut zu überraschen, in das Gemach der Prinzessin. Sie fanden Julia bei ihr. –

Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur Prinzessin, drückte ihre Hand hundertmal zärtlich an die Lippen, schwur, daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt, daß ein unglückliches Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet, daß er die Trennung von der, die er anbete, nicht länger ertragen könne, daß nun ihm alle Seligkeit des Himmels aufgegangen. –

Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit, die ihr sonst eben nicht eigen. Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen geradeso, wie es eine Braut wohl tun mag, ohne sich im voraus zuviel zu vergeben; ja, sie verschmähte es nicht, den Prinzen mit seinem Versteck ein wenig aufzuziehn und zu versichern, daß sie keine Verwandlung hübscher und anmutiger sich denken könne, als die eines Haubenstocks in einen Prinzenkopf. Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf gehalten, der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen. Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars, die selbst den Fürsten zu ergötzen schienen. Nun glaubte er den großen Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen, da nach seiner Meinung Hedwigas Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich genug aussprach. Geist und Körper der Prinzessin schienen in der seltenen hohen Blüte zu stehen, wie sie glücklichen Bräuten ganz besonders eigen. – Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien. Sowie sie den Prinzen erblickte, bebte sie zusammen, von innerm Schauer erfaßt. Blaß wie der Tod, stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen, keiner Bewegung mächtig, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. –

Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den Worten: »Fräulein Benzon, wenn ich nicht irre?« »Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her, gleichsam ein Schwesternpaar!« – Während der Fürst diese Worte sprach, hatte der Prinz Julias Hand gefaßt und ihr leise, leise zugehaucht: »Nur du bist's, die ich meine!« – Julia schwankte, Tränen der bittersten Angst drängten sich unter den Wimpern hervor; sie wäre niedergestürzt, hätte die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben.

»Julia«, sprach die Prinzessin leise, indem sie sich über die Ärmste hinüberbeugte, »Julia, fasse dich doch nur! – Ahnest du denn nicht den harten Kampf, den ich kämpfe?« –

Der Fürst öffnete die Türe und rief nach Eau de Luce.

»Solches«, sprach der ihm entgegentretende Meister Abraham, »solches führe ich nicht bei mir, aber guten Äther. Ist jemand ohnmächtig geworden? – Äther hilft auch!«

»So kommt«, erwiderte der Fürst, »so kommt schnell herein, Meister Abraham, und helft Fräulein Julien.«

Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat, sollte sich das Unerwartete begeben.

Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an, sein Haar schien sich zu sträuben, kalter Angstschweiß ihm auf der Stirne zu stehen. Einen Schritt vorwärts, den Leib zurückgebogen, die Arme dem Meister entgegengestreckt, war er dem Macbeth zu vergleichen, wenn plötzlich Bankos entsetzliches, blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel füllt. – Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich Julien nahen.

Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben.

»Severino, seid Ihr's selbst?« – So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten Entsetzens. »Allerdings«, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern. »Allerdings, es ist mir lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich hatte die Ehre, Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst zu erzeigen.«

Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts, da faßte ihn der Prinz beim Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.

»Severino! – Wie kam der Mensch zu dem Bildnis?«

»Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.«

»Weiß er?«

»Nein!«

»Werdet Ihr schweigen?«

»Zur Zeit – ja!«

»Severino! – Alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! – Was nennt Ihr zur Zeit?«

»Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!« –

– Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. – Julia hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie mehr, als daß sie sprach: »O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich wohl retten! – Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? – Eure Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken!« – Der Meister gewahrte in Julias Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse um das ganze Geheimnis!

»Du bist«, sprach der Meister Julien leise ins Ohr, »du bist ein frommer Engel, und darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über dich. Vertraue dich mir ganz; fürchte nichts und fasse dich mit aller Kraft des Geistes. – Denke auch an unsern Johannes.«

»Ach«, rief Julia schmerzlich, »ach, Johannes! – Er kehrt zurück, nicht wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!«

»Gewiß«, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia verstand ihn. –

Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann, den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. – Die Begebenheit zu erzählen, sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er künftig damit nicht zurückhalten. –

Der Sturm im Innern war zu heftig, als daß sein Tosen nicht auf der Oberfläche hätte sichtbar sein sollen, und so stimmte des Prinzen verstörtes Antlitz, dem jeder Blutstropfen entschwunden schien, sehr schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch, zu dem er sich nun zwang, um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen. Besser als dem Prinzen gelang es der Prinzessin, die Spannung des Augenblicks zu besiegen. Mit der Ironie, die selbst den Argwohn, die Verbittrung verflüchtigt zum feinsten Hohn, neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem Labyrinth seiner eignen Gedanken. Er, der gewandteste Weltmann, noch mehr, ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit, die alles Wahrhafte, jede Gestaltung des Lebens vernichtet, vermochte nicht diesem seltsamen Wesen zu widerstehen. Je lebhafter Hedwiga sprach, je feuriger und zündender die Blitze des geistreichsten Spottes einschlugen, desto verwirrter, beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen, bis dies Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte.

Dem Fürsten geschah das, was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu geschehen pflegte: er wußte gar nicht, was er von dem allen denken sollte. Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne sonderliche Bedeutung, die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit ebensolchen erwiderte.

Der Prinz war schon zur Türe hinaus, als Hedwiga, plötzlich im ganzen Wesen verändert, zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen, das Herz durchschneidenden Ton laut rief: »Ich sehe die blutige Spur des Mörders!« – Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen, drückte Julien stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu: »Kind, mein armes Kind, laß dich nicht betören!«

»Geheimnisse«, sprach der Fürst verdrießlich. »Geheimnisse, Einbildungen, Albernheiten, Romanstreiche! Ma foi, ich kenne meinen Hof nicht mehr! – Meister Abraham! Ihr bringt meine Uhren in Ordnung, wenn sie nicht richtiggehen, ich wollt, Ihr könntet hier nachsehen, was für Schaden das Räderwerk genommen, das sonst niemals stockte. – Doch was ist das mit dem Severino?«

»Unter diesem Namen«, erwiderte der Meister, »ließ ich in Neapel meine optischen und mechanischen Kunststücke sehen.«

»So – so«, sprach der Fürst, sah den Meister starr an, als schwebe ihm eine Frage auf den Lippen, drehte sich aber dann schnell und verließ schweigend das Zimmer. –

Man hatte geglaubt, die Benzon befinde sich bei der Fürstin, dem war aber nicht so, sie hatte sich in ihre Wohnung begeben.

Julia sehnte sich nach der freien Luft; der Meister führte sie in den Park und, lustwandelnd durch die halb entlaubten Gänge, sprachen sie von Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei. Sie waren an das Fischerhäuschen gekommen. Julia trat hinein, um sich zu erholen; Kreislers Brief lag auf dem Tisch, der Meister meinte, es sei gar nichts darin, das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren.

Während Julia den Brief gelesen, hatten sich ihre Wangen höher gefärbt, und sanftes Feuer, Abglanz des erheiterten Gemüts, strahlte aus ihren Augen.

»Siehst du«, sprach der Meister freundlich, »siehst du wohl, mein liebes Kind, wie der gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu dir spricht? Was hast du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten, wenn Standhaftigkeit, Liebe und Mut dich schützen vor den Bösen, die dir nachstellen!«

»Barmherziger Himmel«, rief Julia mit emporgerichtetem Blicke, »schütze mich nur vor mir selber!« Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte, die sie willenlos ausgestoßen. Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz.

»Ich verstehe«, sprach der Meister, »ich verstehe dich nicht Mädchen, du verstehst dich vielleicht selbst nicht, und darum magst du dein eignes Innres recht auf den Grund erforschen und dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher Schonung.« –

Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen, in das sie versunken, und schaute mit übereinandergeschlagenen Armen hinauf zu der geheimnisvollen Glaskugel. – Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer Ahnung.

»Dich«, sprach er, »dich muß ich ja fragen, mit dir muß ich mich ja beraten, mit dir, du meines Lebens schönes, herrliches Geheimnis! Schweige nicht, laß deine Stimme hören! – Du weißt es ja, niemals war ich ein gemeiner Mensch, unerachtet mich manche dafür hielten. Denn in mir glühte alle Liebe, die der ewige Weltgeist selbst ist, und der Funke glimmte in meiner Brust, den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen Flamme! – Glaube nicht, Chiara, daß dies Herz darum, weil es älter geworden, vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als damals, da ich dich dem unmenschlichen Severino entriß; glaube nicht, daß ich jetzt weniger deiner wert geworden, als ich es damals war, da du selbst mich aufsuchtest! – Ja! – laß nur deine Stimme hören, und ich will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen, bis ich dich gefunden, und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie, welche alle Menschen, selbst die allergemeinsten, notgedrungen erkennen, ohne daran zu glauben. – Und wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden, spricht deine Stimme aus der Geisterwelt zu mir herab, so bin ich auch damit zufrieden und werde auch denn wohl noch ein tüchtigerer Kerl, als ich jemals gewesen. – Doch nein, nein! – Wie lauteten die tröstenden Worte, die du zu mir sprachst?

›Nicht erfaßt der bleiche Tod,
Die im Herzen Liebe tragen,
Dem glänzt noch das Abendrot,
Der am Morgen wollt' verzagen!‹«

»Meister«, rief Julia, die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in tiefem Erstaunen zugehorcht hatte, »Meister! mit wem redet Ihr? was wollt Ihr beginnen? – Ihr nanntet den Namen Severino. Gütger Himmel! redete der Prinz, als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte, Euch nicht selbst an mit diesem Namen? Welches furchtbare Geheimnis liegt hier verborgen?«

Der Alte kam bei diesen Worten Julias augenblicklich aus dem erhöhten Zustande zurück, und auf seinem Gesicht verbreitete sich, wie es schon lange nicht mehr geschehen, jene seltsame, beinahe grinsende Freundlichkeit, die mit seinem treuherzigen Wesen in dem wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab.

»Mein schönes Fräulein«, sprach er mit dem grellen Ton, in dem aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen pflegen, »mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die Ehre haben, Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu zeigen. – Diese tanzenden Männlein, dieser kleine Türke, welcher weiß, wie alt jeder in der Gesellschaft ist, diese Automate, diese Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel – alles hübsches magisches Spielzeug, aber das Beste fehlt mir noch. Mein unsichtbares Mädchen ist da! – Bemerken Sie, dort oben sitzt sie bereits in der Glaskugel. Sie spricht aber noch nicht, sie ist noch müde von der weiten Reise, denn sie kommt geradeswegs aus dem fernen Indien. – In einigen Tagen, mein schönes Fräulein, kommt meine Unsichtbare, und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor, wegen Severino und andern Begebnissen der Vergangenheit und Zukunft! – Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement.«

Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines Jünglings im Zimmer umher, zog die Maschinen auf, ordnete die magischen Spiegel. Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig, die Automaten schritten daher und drehten die Köpfe, und ein künstlicher Hahn schlug mit den Flügeln und krähte, während Papageien gellend dazwischenkreischten, und Julia selbst und der Meister standen draußen so gut wie im Zimmer. Julien wollte, unerachtet sie an dergleichen Possen genugsam gewöhnt, dennoch bei der seltsamen Stimmung des Meisters ein Grauen anwandeln. »Meister«, sprach sie ganz erschrocken, »Meister, was ist Euch widerfahren?«

»Kind«, erwiderte der Meister in seiner ernsten Manier, »Kind, etwas Schönes und Wunderbares, aber es taugt nicht recht, daß du es erfährst. Doch! – Laß die lebendigtoten Dinger hier ihre Faxen ausspielen, während ich dir von manchem so viel vertraue, als dir zu wissen nötig und nützlich. – Meine liebe Julia, deine eigne Mutter hat dir ihr mütterliches Herz verschlossen, ich will es dir öffnen, daß du hineinzublicken, daß du die Gefahr, in der du schwebst, zu erkennen und dich ihr zu entziehen vermagst. – Erfahre also fürs erste ohne weitere Umschweife, daß deine Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat, als dich –«

(M. f. f.) – es indessen lieber bleiben lassen. – Katerjüngling, sei bescheiden wie ich und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen Versen, wenn die schlichte, ehrliche Prosa hinreicht, deine Gedanken auszuspinnen. – Verse sollen in dem in Prosa geschriebenen Buche das leisten, was der Speck in der Wurst, nämlich hin und wieder in kleinen Stückchen eingestreut, dem ganzen Gemengsel mehr Glanz der Fettigkeit, mehr süße Anmut des Geschmacks verleihen. Ich fürchte nicht, daß dichterische Kollegen dies Gleichnis zu gemein und unedel finden werden, da es von unsrer Lieblingsspeise entnommen und in der Tat manchmal ein guter Vers einem mittelmäßigen Roman ebenso dienlich sein kann als ein fetter Speck einer magern Wurst. Ich sage das als ein Kater von ästhetischer Bildung und Erfahrung. – So sehr nach meinen bisherigen philosophischen und moralischen Grundsätzen Pontos ganzes Verhältnis, seine Lebensweise, seine Art, sich in der Gunst des Herrn zu erhalten, mir unwürdig, ja ein wenig miserabel vorkommen mochte, doch hatte mich sein ungezwungener Anstand, seine Eleganz, seine anmutige Leichtigkeit im sozialen Umgange gar sehr bestochen. Mit aller Gewalt wollte ich mich selbst überreden, daß ich bei meiner wissenschaftlichen Bildung, bei meinem Ernst in allem Tun und Treiben auf einer viel höheren Stufe stehe als der unwissende Ponto, der nur hie und da etwas von den Wissenschaften aufgeschnappt. Ein gewisses gar nicht zu unterdrückendes Gefühl sagte mir aber ganz unverhohlen, daß Ponto überall mich in den Schatten stellen würde; ich fühlte mich gedrungen, einen vornehmern Stand anzuerkennen und den Pudel Ponto zu diesem Stande zu rechnen. – Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß, bei jeder Lebenserfahrung immer seine besonderen eigentümlichen Gedanken, und so geriet ich auch, meine innere Seelenstimmung, mein ganzes Verhältnis mit Ponto wohl überlegend, in allerlei sehr artige Betrachtungen, die der ferneren Mitteilung wohl wert sind. »Wie kommt es«, sprach ich zu mir selbst, indem ich sinnig die Pfote an die Stirn legte, »wie kommt es, daß große Dichter, große Philosophen, sonst geistreich, lebensweise, sich im sozialen Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehilflich zeigen? Sie stehen jederzeit da, wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören, sie sprechen, wenn sie gerade schweigen sollten, und schweigen umgekehrt da, wo gerade Worte nötig, sie stoßen in einem der Form der Gesellschaft, wie sie sich nun eben gestaltet hat, entgegengesetztem Streben überall an und verletzen sich selbst und andere; genug, sie gleichen dem, der, wenn eben eine ganze Reihe muntrer Spaziergänger einträchtig hinauswandelt, sich allein zum Tore hineindrängt und nun, mit Ungestüm seinen Weg verfolgend, diese ganze Reihe verstört. Man schreibt, ich weiß es, dies dem Mangel gesellschaftlicher Kultur zu, die am Schreibtische nicht zu erlangen, ich meine indessen, daß diese Kultur gar leicht zu erlangen sein und daß jene unbesiegbare Unbehilflichkeit wohl noch einen andern Grund haben müsse. – Der große Dichter oder Philosoph müßte es nicht sein, wenn er seine geistige Überlegenheit nicht fühlen sollte; aber ebenso müßte er nicht das jedem geistreichen Menschen eigne tiefe Gefühl besitzen, um nicht einzusehen, daß jene Überlegenheit deshalb nicht anerkannt werden darf, weil sie das Gleichgewicht aufhebt, das stets zu erhalten die Haupttendenz der sogenannten vornehmen Gesellschaft ist. Jede Stimme darf nur eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen, aber des Dichters Ton dissoniert und ist, kann er unter andern Umständen auch ein sehr guter sein, dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton, weil er nicht zum Ganzen paßt. – Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der Unterlassung alles Ungehörigen. Nun meine ich ferner, daß der Unmut, der sich aus dem widersprechenden Gefühl der Überlegenheit und der ungehörigen Erscheinung bildet, den in dieser sozialen Welt unerfahrnen Dichter oder Philosophen hindert, das Ganze zu erkennen und darüber zu schweben. Es ist nötig, daß er in dem Augenblick seine innere geistige Überlegenheit nicht zu hoch anschlage, und unterläßt er dies, so wird er auch die sogenannte höhere gesellschaftliche Kultur, die auf nichts anders hinausläuft, als auf das Bemühen, alle Ecken, Spitzen wegzuhobeln, alle Physiognomien zu einer einzigen zu gestalten, die eben deshalb aufhört eine zu sein, nicht zu hoch anschlagen. Dann wird er, verlassen von jenem Unmut, unbefangen das innerste Wesen dieser Kultur und die armseligen Prämissen, worauf sie beruhet, leicht erkennen und schon durch die Erkenntnis sich einbürgern in die seltsame Welt, welche eben diese Kultur als unerläßlich fordert. – Auf eigne Weise verhält es sich mit den Künstlern, die, so wie Dichter, Schriftsteller, der Vornehme hie und da in seine Zirkel ladet, um der guten Sitte nach auf eine Art von Mäzenat Anspruch machen zu können. Diesen Künstlern klebt leider gewöhnlich etwas vom Handwerk an, und deshalb sind sie entweder demütig bis zur Kriecherei oder ungezogen bis zur Bengelhaftigkeit.«

(Anmerkung des Herausgebers: – Murr, es tut mir leid, daß du dich so oft mit fremden Federn schmückst. Du wirst, wie ich mit Recht befürchten muß, dadurch bei den geneigten Lesern merklich verlieren. – Kommen alle diese Betrachtungen, mit denen du dich so brüstest, nicht geradehin aus dem Munde des Kapellmeisters Johannes Kreisler, und ist es überhaupt möglich, daß du solche Lebensweisheit sammeln konntest, um eines menschlichen Schriftstellers Gemüt, das wunderlichste Ding auf Erden, so tief zu durchschauen?)

»Warum«, dacht ich ferner, »sollt es aber einem geistreichen Kater, ist er auch Dichter, Schriftsteller, Künstler, nicht gelingen können, sich zu jener Erkenntnis der höhern Kultur in ihrer ganzen Bedeutsamkeit hinaufzuschwingen und sie selbst zu üben mit aller Schönheit und Anmut der äußern Erscheinung? – Hat denn die Natur dem Geschlecht der Hunde allein den Vorzug jener Kultur gegönnt? Sind wir Kater, was Tracht, Lebensweise, Art und Gewohnheit betrifft, auch etwas von dem stolzen Geschlecht verschieden, so haben wir doch ebensogut Fleisch und Blut, Körper und Geist, und am Ende können es die Hunde auch gar nicht anders anfangen als wir, ihr Leben fortzusetzen. Auch Hunde müssen essen, trinken, schlafen und so weiter, und es tut ihnen weh, wenn sie geprügelt werden.« – Was weiter! – Ich beschloß, mich dem Unterricht meines jungen, vornehmen Freundes, des Pudels Ponto, hinzugeben, und, ganz mit mir einig, begab ich mich zurück in meines Meisters Zimmer; ein Blick in den Spiegel überzeugte mich, daß der bloße ernste Wille, nach höherer Kultur zu streben, schon vorteilhaft auf meine äußere Haltung gewirkt. – Ich betrachtete mich mit dem innigsten Wohlgefallen. – Gibt es einen behaglichem Zustand, als wenn man mit sich selbst ganz zufrieden ist? – Ich spann! –

Andern Tages begnügte ich mich nicht damit, vor der Türe zu sitzen, ich lustwandelte die Straße herab, da erblickte ich in der Ferne den Herrn Baron Alkibiades von Wipp, und hinter ihm her sprang mein munterer Freund Ponto. Gelegeneres konnte mir nicht kommen; ich nahm mich soviel wie möglich in Anstand und Würde zusammen und näherte mich dem Freund mit jener unnachahmlichen Grazie, die, unschätzbares Geschenk der gütigen Natur, keine Kunst zu lehren vermag. – Doch! – Entsetzlich! Was mußte geschehen! – Sowie mich der Baron gewahrte, blieb er stehen und betrachtete mich sehr aufmerksam durch die Lorgnette, dann rief er aber: »Allons – Ponto! Huß – Huß – Katz! Katz!« – Und Ponto, der falsche Freund, sprang in voller Furie auf mich los! – Entsetzt, aus aller Fassung gebracht durch den schändlichen Verrat, war ich keines Widerstandes fähig, sondern duckte mich so tief nieder, als ich konnte, um Pontos scharfen Zähnen zu entgehen, die er mir knurrend zeigte. Ponto sprang aber mehrmals über mich hinweg, ohne mich zu fassen, und flüsterte mir in die Ohren: »Murr! Sei doch kein Tor und fürchte dich etwa! – Du siehst ja, daß es kein Ernst ist, ich tue das nur meinem Herrn zu Gefallen!« Nun wiederholte Ponto seine Sprünge und tat sogar, als packe er mich bei den Ohren, ohne mir indessen im mindesten weh zu tun. »Jetzt«, raunte mir Ponto endlich zu, »jetzt trolle dich ab, Freund Murr! Dort hinein ins Kellerloch!« – Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, sondern fuhr schnell davon, wie der Blitz. – Ungeachtet der Versicherung Pontos, mir keinen Schaden zuzufügen, war mir doch nicht wenig bange, denn wissen kann man in solchen kritischen Fällen immer nicht recht, ob die Freundschaft stark genug sein wird, das angeborene Naturell zu besiegen. –

Als ich hineingehuscht war in den Keller, spielte Ponto die Komödie, die er seinem Herrn zu Ehren begonnen, weiter fort. Er knurrte und bellte nämlich vor dem Kellerfenster, steckte die Schnauze durch das Gitter, tat, als sei er ganz außer sich darüber, daß ich ihm entwischt sei und er mich nun nicht verfolgen könne. »Siehst du«, sprach aber Ponto zu mir in den Keller hinein, »siehst du, erkennst du nun aufs neue die ersprießlichen Folgen der höheren Kultur? – In dem Augenblick habe ich mich gegen meinen Herrn artig, folgsam bewiesen, ohne mir deine Feindschaft zuzuziehen, guter Murr. So macht es der wahre Weltmann, den das Schicksal bestimmt hat, Werkzeug in der Hand eines Mächtigeren zu sein. Angehetzt muß er losfahren, aber dabei so viel Geschick beweisen, daß er nur dann wirklich beißt, wenn es gerade auch in seinen eigenen Kram taugt.«

– In aller Schnelle eröffnete ich meinem jungen Freunde Ponto, wie ich gesonnen sei, etwas von seiner höhern Kultur zu profitieren, und fragte, ob und auf welche Weise er mich vielleicht in die Lehre nehmen könne. – Ponto sann einige Minuten nach und meinte denn, am besten sei es, wenn mir gleich anfangs ein lebendiges, deutliches Bild der höheren Welt aufgehe, in der er jetzt zu leben das Vergnügen habe, und dies könne nicht besser geschehen, als wenn ich ihn heute abend zur niedlichen Badine begleite, die gerade während der Theaterzeit Gesellschaft bei sich sähe. – Badine war aber Windspiel in Diensten der fürstlichen Oberhofmeisterin. –

Ich putzte mich heraus, so gut ich es vermochte, las noch etwas im Knigge und durchlief auch ein paar ganz neue Lustspiele von Picard, um nötigenfalls auch mich im Französischen geübt zu zeigen, und ging dann hinab vor die Türe. Ponto ließ nicht lange auf sich warten. Wir wandelten einträchtig die Straße hinab und gelangten bald in Badinens hell erleuchtetes Zimmer, wo ich eine bunte Versammlung von Pudeln, Spitzen, Möpsen, Bolognesern, Windspielen vorfand, teils im Kreise sitzend, teils gruppenweise in die Winkel verteilt. –

Das Herz klopfte mir nicht wenig in dieser fremdartigen Gesellschaft mir feindlicher Naturen. Mancher Pudel blickte mich an mit einer gewissen verächtlichen Verwunderung, als wolle er sagen: »Was will ein gemeiner Kater unter uns sublimen Leuten?« Hin und wieder fletschte auch wohl ein eleganter Spitz die Zähne, so daß ich merken konnte, wie gern er mir in die Haare gefahren wäre, hätte der Anstand, die Würde, die sittige Bildung der Gäste nicht jede Prügelei als unschicklich verboten. – Ponto riß mich aus der Verlegenheit, indem er mich der schönen Wirtin vorstellte, die mit anmutiger Herablassung versicherte, wie sehr sie sich freue, einen Kater von meinem Ruf bei sich zu sehen. – Nun erst, als Badine einige Worte mit mir gesprochen, schenkte mir dieser, jener mit wahrhaft hündischer Bonhomie mehr Aufmerksamkeit, redete mich auch wohl an und gedachte meiner Schriftstellerei, meiner Werke, die ihm zuweilen ordentlichen Spaß gemacht. Das schmeichelte meiner Eitelkeit, und ich gewahrte kaum, daß man mich fragte, ohne meine Antworten zu beachten, daß man mein Talent lobte, ohne es zu kennen, daß man meine Werke pries, ohne sie zu verstehen. – Ein natürlicher Instinkt lehrte mich antworten, wie ich gefragt wurde, nämlich ohne Rücksicht auf diese Frage überall kurz absprechen in solch allgemeinen Ausdrücken, daß sie auf alles nur Mögliche bezogen werden konnten, durchaus keiner Meinung sein und nie das Gespräch von der glatten Oberfläche hinunterziehen wollen in die Tiefe. – Ponto versicherte mir im Vorbeistreifen, daß ein alter Spitz ihm versichert, wie ich für einen Kater amüsant genug sei und Anlagen zur guten Konversation zeige. – So etwas erfreut auch den Mißmutigen! –

– Jean Jacques Rousseau gesteht, als er in seinen »Bekenntnissen« auf die Geschichte von dem Bande kommt, das er stahl, und ein armes unschuldiges Mädchen für den Diebstahl züchtigen sah, den er begangen, ohne die Wahrheit zu gestehen, wie schwer es ihm werde, über diese Untiefe seines Gemüts hinwegzukommen. – Ich befinde mich eben jetzt im gleichen Fall mit jenem verehrten Selbstbiographen. – Habe ich auch kein Verbrechen zu gestehen, so darf ich doch, will ich wahrhaft bleiben, die große Torheit nicht verschweigen, die ich an demselben Abende beging, und die lange Zeit hindurch mich verstörte, ja meinen Verstand in Gefahr setzte. – Ist es aber nicht ebenso schwer, ja oft noch schwerer, eine Torheit zu gestehen als ein Verbrechen?

– Nicht lange dauerte es, so überfiel mich solch eine Unbehaglichkeit, solch ein Unmut, daß ich mich weit fort wünschte, unter den Ofen des Meisters. Es war die gräßlichste Langeweile, die mich zu Boden drückte, und die endlich mich alle Rücksichten vergessen ließ. Ganz still schlich ich mich in eine entfernte Ecke, um dem Schlummer nachzugeben, zu dem mich das Gespräch rundumher einlud. Dasselbe Gespräch nämlich, das ich erst in meinem Unmut vielleicht gar irrtümlich für das geistloseste, fadeste Geschwätz gehalten, kam mir nun vor wie das eintönige Geklapper einer Mühle, bei dem man sehr leicht in ein ganz angenehmes gedankenloses Hinbrüten gerät, dem dann der wirkliche Schlaf bald folgt. – Eben in diesem gedankenlosen Hinbrüten, in diesem sanften Delirieren war es mir, als funkle plötzlich ein helles Licht vor den geschlossenen Augen. Ich blickte auf, und dicht vor mir stand ein anmutiges, schneeweißes Windspielfräulein, Badines schöne Nichte, Minona geheißen, wie ich später erfuhr.

»Mein Herr«, sprach Minona mit jenem süßlispelnden Ton, der nur zu sehr widerklingt in des feurigen Jünglings erregbarer Brust, »mein Herr, Sie sitzen hier so einsam, Sie scheinen sich zu ennuyieren? – Das tut mir leid! – Aber freilich, ein großer, tiefer Dichter wie Sie, mein Herr, muß, in höhern Sphären schwebend, das Treiben des gewöhnlichen sozialen Lebens schal und oberflächlich finden.«

Ich erhob mich etwas bestürzt, und es tat mir weh, daß mein Naturell, stärker als alle Theorien des gebildeten Anstandes, mich zwang, wider meinen Willen den Rücken hoch zu erheben, einen sogenannten Katzenbuckel zu machen, worüber Minona zu lächeln schien.

Gleich mich zur bessern Sitte erholend, faßte ich aber Minonas Pfote, drückte sie leise an meine Lippen und sprach von begeisterten Augenblicken, denen der Dichter oft erliege. Minona hörte mich an mit solchen entscheidenden Zeichen der innigsten Teilnahme, mit solcher Andacht, daß ich mich selbst immer höher steigerte zur ungemeinen Poesie und zuletzt mich selbst nicht recht verstand. – Minona mochte mich ebensowenig verstehen, aber sie geriet ins höchste Entzücken und versicherte, wie oft es schon ihr inniger Wunsch gewesen, den genialen Murr kennenzulernen, und daß einer der glücklichsten, herrlichsten Momente ihres Lebens der gegenwärtige sei. – Was soll ich sagen! – Bald fand sich's, daß Minona meine Werke, meine sublimsten Gedichte gelesen – nein! nicht nur gelesen, sondern in der höchsten Bedeutung aufgefaßt hatte! Mehreres davon wußte sie auswendig und sagte es her mit einer Begeisterung, mit einer Anmut, die mich in einen ganzen Himmel voll Poesie versetzte, vorzüglich, da es meine Verse waren, die die Holdeste ihres Geschlechts mir anzuhören gab.

»Mein bestes«, rief ich ganz hingerissen, »mein bestes, holdestes Fräulein, Sie haben dies Gemüt verstanden! Sie haben meine Verse auswendig gelernt; o all ihr Himmel! Gibt es eine höhere Seligkeit für den aufwärtsstrebenden Dichter?«

»Murr«, lispelte Minona«, »genialer Kater, können Sie glauben, daß ein fühlendes Herz, ein poetisch gemütliches Gemüt Ihnen entfremdet bleiben kann?« – Minona seufzte nach diesen Worten aus tiefer Brust, und dieser Seufzer gab mir den Rest. – Was anders? – Ich verliebte mich in das schöne Windspielfräulein dermaßen, daß ich, ganz toll und verblendet, nicht bemerkte, wie sie mitten in der Begeisterung plötzlich abbrach, um mit einem kleinen Zierbengel von Mops gänzlich fades Zeug zu schwatzen, wie sie mir den ganzen Abend auswich, wie sie mich auf eine Art behandelte, die mich hätte deutlich erkennen lassen sollen, wie sie mit jenem Lobe, mit jenem Enthusiasmus niemand anders gemeint, als sich selbst. – Genug, ich war und blieb ein verblendeter Tor, lief der schönen Minona nach, wie und wo ich nur konnte, besang sie in den schönsten Versen, machte sie zur Heldin mancher anmutig verrückten Geschichte, drängte mich in Gesellschaften ein, wo ich nicht hingehörte, und erntete dafür so manchen bittern Verdruß, so manche Verhöhnung, so manches kränkende Ungemach.

Oft in kühlen Stunden trat mir selbst die Albernheit meines Beginnens vor Augen; dann kam mir aber wieder närrischerweise der Tasso und mancher neuere Dichter von ritterlicher Gesinnung ein, dem es an einer hohen Herrin liegt, der seine Lieder gelten, und die er aus der Ferne anbetet wie der Manchaner seine Dulzinea, und da wollt ich denn wieder nicht schlechter und unpoetischer sein als dieser und schwur dem Gaukelbilde meiner Liebesträume, dem anmutigen weißen Windspielfräulein, unverbrüchliche Treue und Ritterdienst bis in den Tod. Einmal von diesem seltsamen Wahnsinn erfaßt, fiel ich aus einer Torheit in die andere, und selbst mein Freund Ponto fand für nötig, sich, nachdem er mich ernstlich vor den heillosen Mystifikationen gewarnt, in die man mich überall zu verstricken suchte, von mir zurückzuziehen. Wer weiß, was noch aus mir geworden wäre, wenn nicht ein guter Stern über mich gewaltet! – Dieser gute Stern ließ es nämlich geschehen, daß ich einst am späten Abend zur schönen Badine hinschlich, nur um die geliebte Minona zu sehen. Ich fand indessen alle Türen verschlossen, und alles Warten, alles Hoffen, bei irgendeiner Gelegenheit hineinzuschlüpfen, blieb ganz vergebens. Das Herz voll Liebe und Sehnsucht, wollte ich der Holden wenigstens meine Nähe kundtun und begann unter dem Fenster eine der zärtlichsten spanischen Weisen, die jemals empfunden und gedichtet worden sind. Es muß gar lamentabel anzuhören gewesen sein!

Ich hörte Badine bellen, auch Minonas süße Stimme knurrte etwas dazwischen. Ehe ich aber mir's versah, wurde das Fenster rasch geöffnet und ein ganzer Eimer eiskaltes Wasser über mich ausgeleert. Man kann denken, mit welcher Schnelle ich abfuhr in meine Heimat. Die volle Glut im Innern und Eiswasser auf den Pelz harmoniert aber so schlecht miteinander, daß unmöglich jemals Gutes und wenigstens ein Fieber daraus entstehen kann. So ging es mir. Im Hause meines Meisters angekommen, schüttelte mich der Fieberfrost tüchtig. Der Meister mochte aus der Blässe meines Antlitzes, aus dem erloschenen Feuer meiner Augen, aus der brennenden Glut der Stirne, an meinem unregelmäßigen Puls meine Krankheit ahnen. Er gab mir warme Milch, die ich, da mir die Zunge am Gaumen klebte, vor Durst, eifrig verzehrte; dann wickelte ich mich ein in die Decke meines Lagers und gab ganz der Krankheit nach, die mich erfaßt. Erst verfiel ich in allerlei Fieberphantasien von vornehmer Kultur, Windspielen und so weiter, nachher wurde mein Schlaf ruhiger und endlich so tief, daß ich ohne Übertreibung glauben muß, ich habe drei Tage und drei Nächte hintereinander fort geschlafen.

Als ich endlich erwachte, fühlte ich mich frei und leicht, ich war von meinem Fieber und – wie wundervoll! auch von meiner törichten Liebe ganz genesen! Ganz klar wurde mir die Narrheit, zu der mich der Pudel Ponto verleitet, ich sah ein, wie albern es war, mich als einen gebornen Kater unter Hunde zu mischen, die mich verhöhnten, weil sie nicht meinen Geist zu erkennen vermochten, und die sich bei der Bedeutungslosigkeit ihres Wesens an die Form haken mußten, mir also nichts darbieten konnten als eine Schale ohne Kern. – Die Liebe zur Kunst und Wissenschaft erwachte in mir mit neuer Stärke, und meines Meisters Häuslichkeit zog mich mehr an als jemals. Die reiferen Monate des Mannes kamen, und weder Katzbursch noch kultivierter Elegant, fühlte ich lebhaft, daß man beides nicht sein dürfe, um sich gerade so zu gestalten, wie es die tieferen und bessern Ansprüche des Lebens erfordern.

Mein Meister mußte verreisen und fand es für gut, mich auf die Zeit seinem Freunde, dem Kapellmeister Johannes Kreisler, in die Kost zu geben. Da mit dieser Veränderung meines Aufenthalts eine neue Periode meines Lebens anfängt, so schließe ich die jetzige, aus der du, o Katerjüngling! so manche gute Lehre für deine Zukunft entnommen haben wirst. –


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