E. T. A. Hoffmann
Lebensansichten des Katers Murr
E. T. A. Hoffmann

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(Mak. Bl.) – hohen und steilen Hügel, im flachen Lande hätte er für einen Berg gegolten, belegen. Ein breiter, bequemer, von duftendem Gebüsch eingeschlossener Weg, an dessen beiden Seiten häufig angebrachte steinerne Sitze und Lauben die gastliche Sorge für die wandernden Pilger bewiesen, führte hinauf. Oben angekommen, gewahrte man erst die Größe und Pracht des Gebäudes, das man in der Ferne nur für eine einzeln dastehende Kirche gehalten. Wappen, Bischofsmütze, Krummstab und Kreuz, über dem Tor in Stein gehauen, zeigten, daß sonst hier eine bischöfliche Residenz gewesen, und die Inschrift: »Benedictus, qui venit in nomine domini« lud fromme Gäste ein zum Eintritt. Aber jeder, der eingetreten, blieb wohl unwillkürlich stehen, überrascht, erfaßt von dem Anblick der Kirche, die mit ihrer prächtigen, im Stil des Palladio erbauten Fassade, mit ihren beiden hohen luftigen Türmen in der Mitte stand als Hauptgebäude, an das sich von beiden Seiten Flügel anschlossen. In dem Hauptgebäude befanden sich noch die Zimmer des Abts, in den Seitenflügeln dagegen die Wohnungen der Mönche, das Refektorium, andere Versammlungssäle, sowie auch Zimmer zur Aufnahme einkehrender Fremder. Unfern dem Kloster lagen die Wirtschaftsgebäude, die Meierei, das Haus des Amtmanns; tiefer im Tal umflocht aber das schöne Dorf Kanzheim den Hügel mit der Abtei wie ein bunter üppiger Kranz.

Dieses Tal breitete sich aus bis an den Fuß des fernen Gebirges. Zahlreiche Herden weideten in den von spiegelhellen Bächen durchschnittenen Wiesengründen, fröhlich zogen die Landleute aus den Dörfern, die hin und wieder verstreut lagen, durch die reichen Kornfelder, jubelnder Gesang der Vögel scholl aus den anmutigen Gebüschen, sehnsüchtiger Hörnerschall rief herüber aus der fernen dunklen Waldung, beschwingt mit weißen Segeln, glitten schwer beladene Kähne auf dem breiten Fluß, der das Tal durchströmte, schnell vorüber, und man vernahm die frohen Grüße der Schiffer. Überall üppige Fülle, reichlich gespendeter Segen der Natur, überall reges, ewig forttreibendes Leben. Die Aussicht in die lachende Landschaft vom Hügel herab, aus den Fenstern der Abtei, erhob das Gemüt und erfüllte es zugleich mit innigem Wohlbehagen. Mocht es sein, daß man dem innern Schmuck der Kirche, der edlen, grandiosen Grundanlage unerachtet, bei dem vielen bunten, vergoldeten Schnitzwerk und der kleinlichen Bilderei mit Recht den Vorwurf der Überladung, des mönchischen Ungeschmacks machen könnte, so fiel dafür der reine Stil, in dem die Zimmer des Abts gebaut und verziert waren, desto mehr ins Auge. Aus dem Chor der Kirche trat man unmittelbar in einen geräumigen Saal, der zur Versammlung der Geistlichen und zugleich zur Aufbewahrung der Instrumente und Musikalien diente. Aus diesem Saal führte ein langer Korridor, der eine jonische Säulenstellung bildete, in die Gemächer des Abts. Seidene Tapeten, auserlesene Gemälde der besten Meister aus verschiedenen Schulen, Büsten, Statuen großer Männer der Kirche, Teppiche, zierlich ausgelegte Fußböden, kostbares Gerät, alles deutete hier auf den Reichtum des wohldotierten Klosters. Dieser Reichtum, der in dem Ganzen herrschte, war aber nicht jener glänzende Prunk, der das Auge blendet, ohne ihm wohl zu tun, und der Staunen, aber nicht Wohlbehagen erzeugt. Alles war an seiner rechten Stelle angebracht, nichts wollte prahlerisch die Aufmerksamkeit für sich allein fesseln und die Wirkung des andern zerstören, und so dachte man nicht an die Kostbarkeit dieses, jenes einzelnen Schmucks, sondern fühlte sich von dem Ganzen gemütlich angeregt. Das durchaus Gehörige in der Anordnung brachte diesen gemütlichen Eindruck hervor, und eben das richtig entscheidende Gefühl des Gehörigen möchte wohl das sein, das man guten Geschmack zu nennen pflegt. Das Bequeme, Wohnliche dieser Gemächer des Abts grenzte an das Üppige, ohne in der Tat üppig zu werden, und so durfte es keinen Anstoß geben, daß ein Geistlicher alles dies selbst angeordnet und herbeigeschafft. Der Abt Chrysostomus hatte, als er vor wenigen Jahren nach Kanzheim kam, die abteiliche Wohnung einrichten lassen, wie sie sich jetzt fand, und sein ganzer Charakter, seine ganze Art zu sein, sprach sich schon lebhaft aus in dieser Einrichtung, ehe man ihn selbst sah und bald die hohe Stufe seiner geistigen Bildung gewahrte. Noch in den Vierzigerjahren, groß, wohlgebaut, geistvollen Ausdruck im männlich schönen Antlitz, Anmut und Würde im ganzen Betragen, flößte der Abt jedem, der sich ihm nahte, die Ehrfurcht ein, die sein Stand forderte. Eifriger Kämpfer für die Kirche, rastloser Verfechter der Rechte seines Ordens, seines Klosters, schien er doch nachgiebig und duldsam. Aber eben diese scheinbare Nachgiebigkeit war eine Waffe, die er wohl zu führen und damit jeden Widerstand, selbst den der obersten Gewalt, zu besiegen wußte. Durfte man denn auch ahnen, daß hinter einfachen salbungsreichen Worten, die aus dem treusten Herzen zu kommen schienen, sich mönchische Schlauheit verberge, so gewahrte man nur die Gewandtheit eines eminenten Geistes, der in die tiefern Verhältnisse der Kirche eingedrungen. Der Abt war ein Zögling der Propaganda in Rom. – Selbst gar nicht geneigt, den Ansprüchen des Lebens zu entsagen, insofern sie mit geistlicher Sitte und Ordnung verträglich, ließ er seinen zahlreichen Untergebenen alle Freiheit, die sie nur nach ihrem Stande fordern konnten. So kam es denn, daß, während einige dieser, jener Wissenschaft ergeben, in einsamer Zelle studierten, andere lustig umherschwärmten in dem Park der Abtei und sich erlustigten im heitern Gespräch, während einige, zu schwärmerischer Andacht geneigt, fasteten und ihre Zeit hinbrachten in stetem Gebet, andere sich es wohl schmecken ließen an der reichbesetzten Tafel und ihre religiösen Übungen auf die Ordensregel beschränkten, während einige die Abtei nicht verlassen mochten, andere sich auf weitere Wege begaben, auch wohl, kam die Zeit heran, das lange Priestergewand vertauschten mit dem kurzen Jägerrock und sich als wackre Weidmänner herumtummelten. Waren nun aber die Neigungen der Brüder verschieden, und durfte jeder der seinigen nachhängen, wie er wollte, so kamen sie alle in der enthusiastischen Vorliebe für die Musik überein. Beinahe ein jeder war ausgebildeter Musiker, und es gab Virtuosen unter ihnen, die der besten fürstlichen Kapelle Ehre gemacht haben würden. Eine reiche Musikaliensammlung, eine Auswahl der vortrefflichsten Instrumente setzte jeden in den Stand, die Kunst zu treiben, wie er wollte, und häufige Aufführungen auserlesener Werke erhielten jeden in praktischer Übung.

Eben diesem musikalischen Treiben gab nun Kreislers Ankunft in der Abtei einen neuen Schwung. Die Gelehrten schlugen ihre Bücher zu, die Andächtigen kürzten ihre Gebete ab, alle versammelten sich um Kreisler, den sie liebten, und dessen Werke sie hochschätzten wie keine anderen. Der Abt selbst hing ihm an mit inniger Freundschaft, und er sowie alle übrigen beeiferten sich, ihm ihre Achtung, ihre Liebe darzutun, wie sie es nur vermochten. War nun die Gegend, in der die Abtei lag, ein Paradies zu nennen, gewährte das Leben im Kloster die bequemste Behaglichkeit, wozu ein leckrer Tisch und edler Wem, für den der Pater Hilarius sorgte, wohl auch zu rechnen, herrschte unter den Brüdern die gemütliche Heiterkeit, welche von dem Abt selbst ausging, schwamm über dem Kreisler, den die Kunst rastlos beschäftigte, recht in seinem Elemente, so konnt es nicht fehlen, daß sein bewegtes Gemüt ruhig wurde wie seit langer Zeit nicht mehr. Selbst der Zorn seines Humors dämpfte sich, er wurde sanft und weich wie ein Kind. Aber noch mehr als das alles, er glaubte an sich selbst, verschwunden war jener gespenstische Doppelgänger, der emporgekeimt aus den Blutstropfen der zerrissenen Brust. –

Irgendwo heißt es von dem Kapellmeister Johannes Kreisler, daß seine Freunde es nicht dahin hätten bringen können, daß er eine Komposition aufgeschrieben, und sei dies wirklich einmal geschehen, so habe er doch das Werk, soviel Freude er auch über das Gelingen geäußert, gleich nachher ins Feuer geworfen. – So mag es sich begeben haben in einer sehr verhängnisvollen Zeit, die dem armen Johannes den rettungslosen Untergang drohte, von der gegenwärtiger Biograph bis jetzt aber nicht recht viel weiß. Jetzt in der Abtei Kanzheim wenigstens hütete sich Kreisler wohl, die Kompositionen zu vernichten, die recht aus seinem Innersten hervorgingen, und seine Stimmung sprach sich in dem Charakter süßer, wohltuender Wehmut aus, den seine Werke trugen, statt daß er sonst nur zu oft im mächtigen Zauber aus der Tiefe der Harmonik die gewaltigen Geister heraufbeschwor, die die Furcht, das Entsetzen, alle Qualen hoffnungsloser Sehnsucht aufregen in der menschlichen Brust. –

– Man hatte eines Abends im Chor der Kirche die letzte Probe eines Hochamts gehalten, mit dem Kreisler fertig geworden und das am folgenden Morgen aufgeführt werden sollte. Die Brüder waren zurückgekehrt in ihre Zellen, Kreisler allein weilte in dem Säulengange und schaute hinaus in die Gegend, die im Schimmer der letzten Strahlen der sinkenden Sonne vor ihm lag. Da war es ihm, als vernähme er aus weiter Ferne noch einmal sein Werk, das ihm eben lebendig dargestellt von den Brüdern. Als nun aber das Agnus dei kam, da erfaßte ihn aufs neue und stärker die namenlose Wonne jener Augenblicke, in denen ihm dieses Agnus aufgegangen. »Nein«, rief er aus, indem glühende Tränen seine Augen füllten; »nein! – ich bin es nicht, du allein! Du mein einziger Gedanke, du mein einziges Sehnen!« –

Wunderbar war es wohl, auf welche Weise Kreisler diesen Satz, in dem der Abt, die Brüder den Ausdruck der brünstigsten Andacht, der himmlischen Liebe selbst fanden, hervorgebracht hatte. Ganz erfüllt von dem Hochamt, das er zu setzen begonnen, aber noch lange nicht vollendet hatte, träumte er in einer Nacht, der Heiligentag, für den die Komposition bestimmt, sei da, das Hochamt eingeläutet, er stehe an dem Pult, die fertige Partitur vor sich, der Abt, selbst Messe lesend, intoniere, und sein Kyrie fange an. – Satz auf Satz folge nun, die Aufführung, gediegen und kraftvoll, überrasche ihn, reiße ihn fort bis zum Agnus dei. Da gewahre er zu seinem Schreck in der Partitur weiße Blätter, keine Note aufgeschrieben, die Brüder schauten ihn, der plötzlich den Taktstock sinken lasse, an, gewärtig, daß er endlich anfangen, daß die Stockung endlich aufhören werde. Aber bleischwer drücke ihn Verlegenheit und Angst nieder, und er könne, ungeachtet er das ganze Agnus fertig in seiner Brust bewahre, nur es nicht herausbringen in die Partitur. Da erschiene aber plötzlich eine holde Engelsgestalt, trete an den Pult, sänge das Agnus mit Tönen des Himmels, und diese Engelsgestalt wäre Julia! – Im Entzücken hoher Begeisterung erwachte Kreisler und schrieb das Agnus auf, das im seligen Traum ihm aufgegangen. – Und diesen Traum träumte Kreisler nun noch einmal, er vernahm Julias Stimme, höher und höher schlugen die Wellen des Gesanges, als nun der Chor einfiel: »Dona nobis pacem«, er wollte untergehen in dem Meer von tausend seligen Wonnen, das ihn überströmte.

Ein leiser Schlag auf die Schulter weckte Kreisler aus der Ekstase, in die er geraten. Es war der Abt, der vor ihm stand und ihn mit Wohlgefallen anblickte.

»Nicht wahr«, begann der Abt, »nicht wahr, mein Sohn Johannes, was du tief in deinem Gemüt empfunden, was dir gelang, herrlich und kräftig in das Leben zu rufen, das erfreut jetzt deine ganze Seele? – Ich meine, du dachtest an dein Hochamt, das ich zu den besten Werken zähle, die du jemals geschaffen.«

Kreisler starrte den Abt stillschweigend an, noch war er keines Wortes mächtig.

»Nun, nun«, fuhr der Abt lächelnd fort, »steige herab aus der obern Region, zu der du dich hinaufgeschwungen! – Ich glaube gar, du komponierst in Gedanken und lassest so nicht ab von der Arbeit, die dir freilich eine Lust ist, wiewohl eine gefährliche, da sie zuletzt deine Kräfte aufzehrt. Entschlage dich jetzt aller schaffenden Gedanken, laß uns in diesem kühlen Gange auf und ab wandeln und unbefangen miteinander plaudern.«

Der Abt sprach nun von den Einrichtungen des Klosters, von der Lebensweise der Mönche, rühmte den wahrhaft heiterfrommen Sinn, den alle in sich trügen, und fragte zuletzt den Kapellmeister, ob er (der Abt) sich nicht täusche, wenn er bemerkt zu haben glaube, daß Kreisler seit den Monaten, daß er sich in der Abtei befinde, ruhiger, unbefangener, dem tätigen Forttreiben in der hohen Kunst, die den Dienst der Kirche verherrliche, geneigter geworden.

Kreisler konnte nicht anders als dies zugeben und überdies versichern, daß die Abtei sich ihm aufgetan wie ein Asyl, in das er geflüchtet, und daß er sich so heimisch dünke, als sei er wirklich Ordensbruder und werde das Kloster niemals mehr verlassen.

»Lassen Sie«, so endete Kreisler, »lassen Sie mir, ehrwürdiger Herr, die Täuschung, die dies Kleid befördert. Lassen Sie mich glauben, daß, von bedrohlichem Sturm verschlagen, mich die Gunst des verwöhnten Geschicks an einem Eilande stranden ließ, wo ich geborgen, wo nie mehr der schöne Traum zerstört werden kann, der nichts anders ist, als die Begeisterung der Kunst selbst.«

»In der Tat«, erwiderte der Abt, indem eine besondere Freundlichkeit sein Antlitz überstrahlte, »in der Tat, mein Sohn Johannes, das Kleid, das du angelegt, um als unser Bruder zu erscheinen, steht dir wohl, und ich wollte, daß du es nie wieder ablegtest. Du bist der würdigste Benediktiner, den man nur sehen kann.«

»Doch«, fuhr der Abt nach einem kurzen Stillschweigen fort, indem er Kreislers Hand faßte, »doch, kein Scherz ist hier zu treiben. Sie wissen, mein Johannes, wie lieb Sie mir gewesen sind seit dem Augenblick, als ich Sie kennenlernte, wie meine innige Freundschaft, sich mit der hohen Achtung für Ihr ausgezeichnetes Talent paarend, immer höher gestiegen ist. Für den, den man liebt, wird man mit Sorge erfüllt, und eben diese Sorge war es, die mich Sie seit der Zeit Ihres Aufenthalts im Kloster bis zur Ängstlichkeit beobachten ließ. Das Resultat dieser Beobachtungen brachte mich zu einer Überzeugung, die ich nicht aufgeben darf! – Längst wollte ich Ihnen in dieser Hinsicht mein ganzes Herz öffnen, ich wartete auf einen günstigen Augenblick, er ist gekommen! – Kreisler! Entsagen Sie der Welt, treten Sie in unsern Orden!« –

So sehr sich auch Kreisler in der Abtei gefiel, so willkommen es ihm war, einen Aufenthalt verlängern zu können, der ihm Ruhe und Frieden gab, indem er seine rege künstlerische Tätigkeit in Anspruch nahm, doch überraschte ihn der Antrag des Abts auf beinahe unangenehme Weise, da er an nichts weniger mit wirklichem Ernst gedacht als, seine Freiheit aufgebend, sich unter die Mönche stecken zu lassen auf immer, wiewohl ihm manchmal schon solch eine Grille aufgestiegen und dies vom Abt bemerkt sein mochte. Ganz verwundert schaute er den Abt an, der ihn aber nicht zum Worte kommen ließ, sondern fortfuhr: »Hören Sie mich erst ruhig an, Kreisler, ehe Sie mir antworten. Wohl muß es mir angelegen sein, der Kirche einen tüchtigen Diener zu gewinnen, indessen verwirft die Kirche selbst jede künstliche Überredung und will nur, daß der innere Funke der wahren Erkenntnis angeregt werde, damit er zur hell lodernden Flamme des Glaubens aufleuchte, und jede Betörung vernichte. Und so will ich nur das, was dunkel und verworren vielleicht in Ihrer eigenen Brust liegt, entfalten, Ihnen selbst zur deutlichen Erkenntnis bringen. Darf ich zu Ihnen, mein Johannes, denn von den aberwitzigen Vorurteilen sprechen, die man in der Welt gegen das Klosterleben hegt? – Immer muß den Mönch irgendein ungeheures Schicksal in die Klause getrieben haben, wo er, aller Lust der Welt entsagend, unter beständiger Qual ein trostloses Leben vertrauert. So wäre das Kloster der finstre Kerker, wo die trostloste Trauer um ewig verlornes Gut, die Verzweiflung, der Wahnsinn erfinderischer Selbstqual sich eingesperrt, wo abgehärmte bleiche Todesgestalten ein elendes Dasein hinschleppten und ihre herzzermalmende Angst aushauchten in dumpfmurmelnden Gebeten!«

Kreisler konnte sich nicht eines Lächelns erwehren, denn er gedachte, als der Abt von abgehärmten bleichen Todesgestalten sprach, so manches wohlgenährten Benediktiners und vorzüglich des wackern rotwangigen Hilarius, der keine größere Qual kannte, als Wein zu trinken von schlechtem Gewächs, und nur die Angst, die ihm eine neue Partitur verursachte, welche er nicht gleich verstand.

»Sie belächeln«, sprach der Abt weiter, »Sie belächeln den Kontrast des Bildes, das ich aufstellte, mit dem Klosterleben, wie Sie es hier kennengelernt, und haben gewiß Ursache dazu. – Mag es auch sein, daß mancher, zerrissen von irdischem Leid, alles Glück, alles Heil der Welt für immer aufgebend, in das Kloster flieht, wohl ihm dann, daß die Kirche ihn aufnimmt und er in ihrem Schoß einen Frieden findet, der allein ihn über alles erlittene Ungemach trösten und ihn erheben kann über das verderbliche Geschick im weltlichen Treiben. Aber wie viele gibt es, die der wahre innere Hang zum andächtigen kontemplativen Leben in das Kloster führt, die, ungefügig in der Welt, jeden Augenblick verstört durch das Andringen aller kleinlichen Verhältnisse, wie sie sich nun einmal im Leben erzeugen, nur in selbstgewählter Einsamkeit sich wohl befinden. Dann gibt es aber andere, die ohne entschiedenen Hang zum klösterlichen Leben doch nirgends anders hingehören als eigentlich ins Kloster. – Ich meine diejenigen, die Fremdlinge in der Welt sind und bleiben, weil sie einem höheren Sein angehören und die Ansprüche dieses höheren Seins für die Bedingung des Lebens halten, so aber rastlos das verfolgend, was hienieden nicht zu finden, ewig dürstend in nie zu befriedigender Sehnsucht, hin und her schwanken und vergeblich Ruhe suchen und Frieden, deren offne Brust jeder abgeschossene Pfeil trifft, für deren Wunden es keinen Balsam gibt als die bittre Verhöhnung des stets wider sie bewaffneten Feindes. Nur die Einsamkeit, ein einförmiges Leben ohne feindliche Unterbrechung und vor allem das stete freie Aufschauen zur Lichtwelt, der sie angehören, kann das Gleichgewicht herstellen und sie im Innern eine überirdische Zufriedenheit fühlen lassen, die in dem wirren Treiben der Welt nicht zu erringen. – Und Sie – Sie, mein Johannes, gehören zu diesen Menschen, die die ewige Macht im Druck des Irdischen hoch erhebt zum Himmlischen. Das rege Gefühl des höhern Seins, das Sie ewig mit dem schalen irdischen Treiben entzweien wird, entzweien muß, strahlt mächtig heraus in der Kunst, die einer andern Welt gehört und die, ein heiliges Geheimnis der himmlischen Liebe, mit Sehnsucht in Ihrer Brust verschlossen ist. Die glühendste Andacht selbst ist diese Kunst, und, ihr ganz ergeben, haben Sie nichts mehr gemein mit einer buntscheckigen Welttändelei, die Sie von sich werfen mit Verachtung, wie der zum Jüngling gereifte Knabe das abgenutzte Spielzeug. – Entfliehen Sie für immer den aberwitzigen Neckereien hohnlächelnder Toren, die Sie, mein armer Johannes, oft gequält haben bis aufs Blut! – Der Freund breitet die Arme aus, Sie zu empfangen, Sie einzuführen in den sichern Port, den kein Gewittersturm bedroht!« –

»Tief«, sprach Johannes, da der Abt schwieg, ernst und düster, »tief fühle ich die Wahrheit Ihrer Worte, mein ehrwürdiger Freund! tief, daß ich wirklich nicht in eine Welt tauge, die sich mir gestaltet, wie ein ewiges rätselhaftes Mißverständnis. Und doch – ich gestehe es frei, erregt mir der Gedanke Schauer, auf Kosten so mancher Überzeugung, die ich mit der Muttermilch eingesogen, dies Kleid zu tragen, wie einen Kerker, aus dem ich nimmer wieder heraus kann. Es ist mir, als wenn dem Mönch Johannes dieselbe Welt, in der der Kapellmeister Johannes doch so manches hübsche Gärtlein voll duftender Blumen fand, plötzlich eine öde unwirtbare Wüste sein würde, als wenn, einmal in das rege Leben verflochten, die Entsagung –«

»Entsagung«, unterbrach der Abt den Kapellmeister mit erhöhter Stimme, »Entsagung? – Gibt es für dich, Johannes, eine Entsagung, wenn der Geist der Kunst immer mächtiger wird in dir, wenn du mit starkem Fittich dich erhebst in die leuchtenden Wolken? – Welche Lust des Lebens gibt es denn noch, die dich betören könnte? – Doch« (so fuhr der Abt mit sanfterer Stimme fort) »doch wohl hat die ewige Macht ein Gefühl in unsere Brust gelegt, das mit unbesiegbarer Gewalt unser ganzes Wesen erschüttert; es ist das geheimnisvolle Band, das Geist und Körper verbindet, indem jener nach dem höchsten Ideal einer chimärischen Glückseligkeit zu streben vermeint und doch nur will, was dieser als notwendiges Bedürfnis in Anspruch nimmt, und so eine Wechselwirkung entsteht, die in der Fortexistenz des menschlichen Geschlechts bedingt ist. – Nicht hinzufügen darf ich, daß ich von der Geschlechtsliebe spreche, und daß ich es allerdings für nichts Geringes achte, ihr ganz zu entsagen. – Doch, Johannes, wenn du entsagst, so rettest du dich vom Verderben; niemals, niemals kannst du, wirst du des eingebildeten Glücks der irdischen Liebe teilhaftig werden.«

Der Abt sprach die letzten Worte so feierlich, mit solcher Salbung, als läge das Buch des Schicksals offen vor ihm, und er verkündige daraus dem armen Kreisler alles bedrohliche Leid, dem zu entgehen, er sich hineinretten müsse ins Kloster.

Da begann aber auf Kreislers Antlitz jenes seltsame Muskelspiel, das den Geist der Ironie zu verkünden pflegte, der seiner mächtig geworden. »Hoho«, sprach er, »hoho! Ew. Hochehrwürden haben unrecht, haben durchaus unrecht. Ew. Hochwürden irren sich in meiner Person, werden konfuse durch das Gewand, das ich angelegt, um en masque einige Zeit hindurch die Leute zu foppen und, selbst unerkannt, ihnen ihre Namen in die Hand zu schreiben, damit sie wissen, woran sie sind! – Bin ich denn nicht ein passabler Mensch, noch in den besten Jahren, von leidlich hübschem Ansehn und sattsam gebildet und artig? – Kann ich nicht den schönsten schwarzen Frack ausbürsten, ihn anlegen und, was die Unterkleider betrifft, ganz Seide keck hineintreten vor jede rotwangige Professors-, vor jede blau- oder braunäugige Hofratstochter und, alle Süßigkeiten des zierlichsten Amoroso in Gebärde, Antlitz und Ton, ohne weiteres fragen: ›Allerschönste, wollen Sie mir Ihre Hand geben und Ihre ganze werte Person dazu, als Attinenz derselben?‹ Und die Professorstochter würde die Augen niederschlagen und ganz leise lispeln: »Sprechen Sie mit Papa!« oder die Hofratstochter mir gar einen schwärmerischen Blick zuwerfen und dann versichern, wie sie schon lange im stillen die Liebe bemerkt, der ich nun erst Sprache geliehen, und beiläufig vom Besatz des Brautkleides sprechen. Und, o Gott! die respektiven Herrn Väter, wie gern würden sie die Töchter losschlagen auf das Gebot einer solchen respektablen Person als es ein großherzoglicher Exkapellmeister ist! – Aber ich könnte mich auch versteigen in das höhere Romantische, eine Idylle beginnen und der glauen Pächterstochter mein Herz offerieren und meine Hand, wenn sie eben Ziegenkäse bereitet, oder, ein zweiter Notar Pistofolus, in die Mühle laufen und meine Göttin suchen in den Himmelswolken des Mehlstaubs! – Wo würde ein treues ehrliches Herz verkannt werden, das nichts will, nichts verlangt als Hochzeit – Hochzeit – Hochzeit! – Kein Glück in der Liebe? – Ew. Hochehrwürden bedenken gar nicht, daß ich eigentlich recht der Mann dazu bin, um in der Liebe ganz horrend glücklich zu sein, deren einfaches Thema weiter nichts ist als: ›Willst du mich, so nehm ich dich!‹ dessen weitere Variationen nach dem Allegro brillante der Hochzeit dann in der Ehe weiter fortgespielt werden. Ew. Hochehrwürden wissen ferner nicht, daß ich schon vor mehrerer Zeit sehr ernsthaft daran gedacht, mich zu vermählen. Ich war damals freilich noch ein junger Mensch von weniger Erfahrung und Ausbildung, nämlich erst sieben Jahr alt, aber das dreiunddreißigjährige Fräulein, das ich zu meiner Braut erkieset, versprach mir doch mit Hand und Mund, keinen andern Mann zu nehmen als mich, und ich weiß selbst nicht, warum sich die Sache nachher zerschlug. Bemerken Ew. Hochehrwürden doch nur, daß mir das Glück der Liebe lachte von Kindesbeinen an, und nun – seidene Strümpfe her – seidene Strümpfe her – Schuhe her, um gleich mit beiden Freiersfüßen hineinzufahren und unmäßig zu rennen nach der, die schon den niedlichsten Zeigefinger ausgestreckt hat, damit er stracks bereift werde. – Wäre es nicht für einen ehrsamen Benediktiner unanständig, sich in Hasensprüngen zu erlustieren, ich tanzte sogleich hier auf der Stelle vor Ew. Hochehrwürden Augen einen Matelot oder eine Gavotte oder einen Hopswalzer aus purer Freude, die mich ganz übernimmt, wenn ich nur an Braut und Hochzeit denke. – Hoho! – was Liebesglück und Heirat betrifft, da bin ich ein ganzer Kerl! – Ich wünschte, Ew. Hochehrwürden möchten das einsehen.« – »Ich habe«, erwiderte der Abt, als Kreisler nun endlich innehielt, »ich habe Sie nicht unterbrechen mögen in Ihren seltsamen Scherzreden, Kapellmeister, die eben das beweisen, was ich behaupte. – Wohl fühle ich auch den Stachel, der mich verwunden sollte, aber nicht verwundet hat! – Wohl mir, daß ich nie an jene chimärische Liebe geglaubt, die körperlos in den Lüften schwebt und nichts gemein haben soll mit dem Bedingnis des menschlichen Prinzips! – Wie ist es möglich, daß Sie bei dieser krankhaften Spannung des Geistes –. Doch genug hievon! – Es ist an der Zeit, dem bedrohlichen Feinde näher zu treten, der Sie verfolgt. – Haben Sie während Ihres Aufenthalts in Sieghartshof nicht von dem Schicksal jenes unglücklichen Malers, jenes Leonhard Ettlinger gehört?« Kreislern durchfuhren die Schauer des unheimlichen Grauens, als der Abt diesen Namen nannte. Weggelöscht vom Antlitz war jede Spur jener bittern Ironie, die ihn zuvor erfaßt, und er fragte mit dumpfer Stimme: »Ettlinger? – Ettlinger? Was soll mir der? – Was habe ich mit dem zu schaffen? – Nie hab ich ihn gekannt, nur ein Spiel erhitzter Phantasie war es, als ich einmal wähnte, er spräche zu mir herauf aus dem Wasser.« –

»Ruhig«, sprach der Abt sanft und milde, indem er Kreislers Hand faßte, »ruhig, mein Sohn Johannes! – Nichts hast du gemein mit jenem Unglücklichen, den die Verirrung einer zu mächtig gewordenen Leidenschaft in das tiefste Verderben stürzte. Doch zum warnenden Beispiel mag dir sein entsetzliches Schicksal dienen. Mein Sohn Johannes! – auf noch schlüpfrigerem Wege befindest du dich als jener, drum entflieh – entflieh! – Hedwig! – Johannes! ein böser Traum hält die Prinzessin fest in Banden, die unauflöslich scheinen, wenn ein freier Geist sie nicht durchschneidet! – Und du?« –

Tausend Gedanken gingen auf in Kreisler bei diesen Worten des Abts. Er gewahrte, daß der Abt nicht allein mit allen Begebnissen des fürstlichen Hauses zu Sieghartshof, sondern auch mit dem bekannt war, was sich dort während seines Aufenthalts zugetragen. Klar wurd es ihm, daß die krankhafte Reizbarkeit der Prinzessin wohl in seiner Annäherung eine Gefahr befürchten lassen, an die er gar nicht gedacht, und eben diese Furcht, wer anders konnte sie hegen und darum wünschen, daß er vom Schauplatz ganz abtrete, als die Benzon? – Eben diese Benzon mußte mit dem Abt in Verbindung stehen, von seinem (Kreislers) Aufenthalt in der Abtei unterrichtet sein, und so war sie die Triebfeder alles Beginnens des ehrwürdigen Herrn. Lebhaft gedachte er aller Momente, in denen die Prinzessin wirklich, wie von einer im Innern aufkeimenden Leidenschaft befangen, erschienen, aber, selbst wußte er nicht, warum bei dem Gedanken, daß er selbst der Gegenstand jener Leidenschaft sein könne, es ihn erfaßte wie Gespensterfurcht. Es war ihm, als wolle eine fremde geistige Macht gewaltsam in sein Inneres dringen und ihm die Freiheit des Gedankens rauben. Prinzessin Hedwiga stand plötzlich vor ihm, starrte ihn an mit jenem seltsamen Blick, der ihr eigen, aber in dem Augenblick dröhnte ein Pulsschlag ihm durch alle Nerven, wie damals, als er zum erstenmal der Prinzessin Hand berührte. Doch war ihm auch nun jene unheimliche Angst entnommen, er fühlte eine elektrische Wärme wohltätig sein Inneres durchgleiten, er sprach leise wie im Traum. »Kleiner schalkischer Raja torpedo, neckst du mich schon wieder und weißt doch, daß du nicht ungestraft verwunden darfst, da ich aus reiner Liebe zu dir Benediktinermönch geworden?«

Der Abt betrachtete den Kapellmeister mit durchbohrendem Blick, als wollte er sein ganzes Ich durchschauen, und begann dann ernst und feierlich: »Mit wem redest du, mein Sohn Johannes?«

Kreisler wurde aber wach aus seinen Träumen; es fiel ihm ein, daß der Abt, war er von allem, was sich in Sieghartshof zugetragen, unterrichtet, vor allen Dingen den weiteren Verlauf der Katastrophe, die ihn fortgetrieben, wissen mußte, und wohl war ihm daran gelegen, mehr davon zu erfahren.

»Mit«, erwiderte er dem Abt, skurril lächelnd, »mit niemandem anders sprach ich, hochehrwürdiger Herr, als, wie Sie ja vernommen haben, mit einer schalkischen Raja torpedo, die sich ganz unberufenerweise in unser vernünftiges Gespräch mischen und mich noch konfuser machen wollte, als ich es schon wirklich bin. – Doch aus allem muß ich ja zu meinem großen Leid gewahren, daß diverse Leute mich für ebensolch einen großen Narren halten als den seligen Hofporträtisten Leonardus Ettlinger, der eine erhabene Person, die sich natürlicherweise aus ihm gar nichts machen konnte, nicht bloß malen wollte, sondern auch lieben, und zwar so ganz ordinär wie Hans seine Grete. O Gott! hab ich es denn jemals an Respekt fehlen lassen, wenn ich die schönsten Akkorde griff zu schnöder Singefaselei! – Habe ich jemals unziemliche oder grillenhafte Materien aufs Tapet zu bringen gewagt, von Entzücken und Schmerz, von Liebe und Haß, wenn der kleine fürstliche Eigensinn sich seltsam gebärden in allerlei wunderbaren Gemütsergötzlichkeiten und ehrsame Leute vexieren wollte mit magnetischen Visionen? – habe ich solches jemals getan? Sagt –« »Doch«, unterbrach ihn der Abt, »doch sprachst du, mein Johannes, einst von der Liebe des Künstlers –«

Kreisler starrte den Abt an, dann rief er, indem er die Hände zusammenschlug und den Blick aufwärts richtete:

»O Himmel! Das also! – Schätzbare Leute«, sprach er dann weiter, indem jenes skurrile Lächeln auf dem Antlitz wieder die Oberhand gewann und dabei die innere Wehmut beinahe erstickte, »schätzbare Leute allzumal, habt ihr denn nicht jemals irgendwo, sei es auch auf ordinären Brettern, den Prinzen Hamlet zu einem ehrlichen Mann, Güldenstern geheißen, sagen gehört: ›Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen?‹ – Wetter! – das ist ja ganz mein Kasus! – Warum belauscht ihr den harmlosen Kreisler, wenn der Wohllaut der Liebe, der in seiner Brust verschlossen, euch nur mißtönt? – O Julia!«

Der Abt schien, plötzlich von etwas ganz Unerwartetem überrascht, vergebens Worte zu suchen, während Kreisler vor ihm stand und ganz verzückt in das Feuermeer schaute, das im Abend emporgewogt.

Da erhoben sich die Glockentöne von den Türmen der Abtei und zogen, wunderbare Stimmen des Himmels, durch das Abendgewölk.

»Mit euch«, rief Kreisler, indem er beide Arme weit ausbreitete, »mit euch will ich ziehen, ihr Akkorde! Von euch getragen, soll sich aller trostlose Schmerz emporrichten zu mir und sich selbst vernichten in meiner eignen Brust, und eure Stimmen sollen wie himmlische Friedensboten es verkünden, daß der Schmerz untergegangen in der Hoffnung, in der Sehnsucht der ewigen Liebe.«

»Die Abendhora«, sprach der Abt, »wird eingeläutet, ich höre die Brüder kommen. Morgen, mein lieber Freund, sprechen wir vielleicht weiter von manchen Begebnissen in Sieghartshof.« –

»Ei«, rief Kreisler, dem nun erst wieder einfiel, was er von dem Abt zu wissen verlangt, »ei, hochehrwürdiger Herr, ich will viel erfahren von lustiger Hochzeit und dergleichen! – Prinz Hektor wird doch nun nicht zaudern, die Hand zu ergreifen, nach der er schon aus der Ferne gelangt? Dem herrlichen Bräutigam ist doch nichts Arges widerfahren?«

Da verschwand alles Feierliche aus des Abts Antlitz, und er sprach mit dem gemütlichen Humor, der ihm sonst wohl eigen: »Nichts ist dem herrlichen Bräutigam geschehen, mein ehrlicher Johannes, aber seinen Adjutanten soll im Walde eine Wespe gestochen haben.« »Hoho«, erwiderte Kreisler. »Hoho! eine Wespe, die er mit Feuer und Dampf vertreiben wollte!«

Die Brüder traten in den Korridor und –

(M. f. f.) – böse Feind und sucht den guten Bissen einem ehrlichen, harmlosen Kater recht vor dem Maul wegzuschnappen? – Nicht lange dauerte es nämlich, so erhielt unser gemütlicher Verein auf dem Dache einen Stoß, der ihn erschütterte zum gänzlichen Verfall. – Jener böse, alles katzliche Behagen verstörende Feind erschien uns nämlich in der Gestalt eines gewaltigen, wütenden Philisters namens Achilles. Mit seinem homerischen Namensvetter war er in weniger Hinsicht zu vergleichen, man müßte denn annehmen, daß des letzteren Heldentum vorzüglich auch in einer gewissen unbehilflichen Tappigkeit und in groben, topfhohlen Redensarten bestanden. Achilles war eigentlich ein gemeiner Fleischerhund, stand aber in Diensten als Hofhund, und der Herr, bei dem er in Dienst getreten, hatte ihn, um sein Attachement an das Haus zu befestigen, anketten lassen, so daß er nur des Nachts frei umherlaufen konnte. Mancher von uns bedauerte ihn sehr, trotz seines unleidlichen Wesens, er aber ließ sich den Verlust seiner Freiheit gar nicht zu Herzen gehen, da er töricht genug war, zu vermeinen, die schwer lastende Kette gereiche ihm zur Ehre und Zierde. Achilles fand sich nun zu seinem nicht geringen Verdruß durch unsere Konvivia in der Nacht, wenn er umherlaufen und das Haus beschützen sollte gegen jede Unbill, im Schlaf gestört und drohte uns als Ruhestörern Tod und Verderben. Da er aber seiner Unbehilflichkeit halber nicht einmal auf den Boden, geschweige denn auf das Dach kommen konnte, so machten wir uns aus seinen Drohungen auch nicht das allermindeste, sondern trieben unser Wesen so nach- wie vorher. Achilles nahm andere Maßregeln; er begann den Angriff gegen uns, wie ein guter General manche Schlacht, mit verdeckten Angriffen und dann mit offenbarer Plänkelei.

Verschiedene Spitze, denen Achilles zuweilen die Ehre antat, mit ihnen zu spielen, indem er sie mit seinen ungeschickten Tatzen handhabte, mußten nämlich auf sein Geheiß, sobald wir unsern Gesang begannen, dermaßen bestialisch bellen, daß wir keine vernünftige Note verstehen konnten! – Noch mehr! – Bis auf den Dachboden drangen einige dieser Philisterknechte und trieben, ohne sich mit uns, wenn wir ihnen die Krallen zeigten, auf irgendeinen offnen, ehrlichen Kampf einlassen zu wollen, solch einen fürchterlichen Lärm mit Schreien und Bellen, daß, wurde erst nur der Hofhund in seinem Schlaf gestört, jetzt der Herr des Hauses selbst kein Auge zudrücken konnte und, da der Zeterspektakel gar nicht enden wollte, die Hetzpeitsche ergriff, um die Tumultuanten über seinem Haupte zu vertreiben.

– O Kater, der du dieses liesest, ist dir, trägst du wahren männlichen Sinn in der Brust, hellen Verstand im Kopf, hast du keine verwöhnte Ohren, ist dir, sage ich, denn jemals etwas abscheulicher, widriger, verhaßter und dabei erbärmlicher vorgekommen als das kreischende, gellende, durch alle Tonarten dissonierende Gebelle in Harnisch geratener Spitze? – Diese kleinen, wedelnden, schmatzenden, sich niedlich gebärdenden Kreaturen, nimm dich für sie in acht, Kater! trau ihnen nicht. Glaube mir, eines Spitzes Freundlichkeit ist gefährlicher als die hervorgestreckte Kralle des Tigers! – Schweigen wir von bittren Erfahrungen, die wir in dieser Hinsicht leider! nur zu oft gemacht, und kehren wir zurück zu dem Verlauf unsrer Geschichte.

Also wie gesagt, der Herr ergriff die Peitsche, um die Tumultuanten vom Boden zu vertreiben. Was aber geschah? Die Spitze schwanzwedelten dem erzürnten Herrn entgegen, leckten ihm die Füße und stellten ihm vor, wie aller Zeterlärm nur seiner Ruhe wegen erhoben, unerachtet er eben dadurch aus aller behaglichen Ruhe gekommen. Gebellt hätten sie bloß, um uns, die wir allerlei unduldsamen Unfug trieben auf dem Dache mit Singen von Liedern in allzu hell klingenden Tonarten und dergleichen, zu verjagen. Der Herr ließ sich leider durch der Spitze geschwätzige Beredsamkeit um so mehr dahin bringen, alles zu glauben, als der Hofhund, den er darum zu befragen nicht unterließ, in dem bittern Haß, den er wider uns im Innern trug, es bestätigte. Uns traf nun die Verfolgung! – Überall wurden wir vertrieben, von Hausknechten mit Besenstielen, mit geworfenen Dachziegeln, ja! überall waren Schlingen und Fuchseisen aufgestellt, in die wir uns fangen sollten und leider! wirklich verfingen. Selbst mein lieber Freund Muzius fiel ins Malheur, das heißt in ein Fuchseisen, welches ihm die rechte Hinterpfote jämmerlich zerquetschte!

So war es um unser fröhliches Zusammenleben geschehen, und ich kehrte zurück unter den Ofen des Meisters, beweinend in tiefer Einsamkeit das Schicksal meiner unglücklichen Freunde. –

– Eines Tages trat Herr Lothario, der Professor der Ästhetik, in meines Herrn Zimmer, und hinter ihm her – sprang Ponto herein.

Gar nicht zu sagen vermag ich, welch ein unangenehmes, unheimliches Gefühl mir Pontos Anblick verursachte. War er auch geradezu selbst weder Hofhund noch Spitz, so gehörte er doch zu dem Geschlecht, dessen üble feindselige Gesinnung mein Leben in der lustigen Katzburschen-Gesellschaft verstört hatte, und schon deshalb mir mitsamt aller Freundschaft, die er mir erwiesen, dennoch zweideutig. Überdem schien mir in Pontos Blick, in seinem ganzen Wesen etwas Übermütiges, Verhöhnendes zu liegen, und ich beschloß daher, ihn lieber gar nicht zu sprechen. Leise, leise schlich ich weg von meinem Kissen und war mit einem Satz im Ofen, dessen Türe gerade offen stand, die ich hinter mir anzog.

Herr Lothario sprach nun mit dem Meister so manches, was meine Teilnahme um so weniger erregte, als ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Ponto gerichtet hatte, der, nachdem er, recht stutzermäßig ein Liedchen trällernd, im Zimmer herumgetänzelt, auf die Fensterbank gesprungen war, zum Fenster hinausschaute und, wie es Fanfarons zu tun pflegen, jeden Augenblick vorübergehenden Bekannten zunickte, auch wohl gar ein wenig blaffte, gewiß um die Blicke vorübergehender Schönen seines Geschlechts auf sich zu ziehen. – An mich schien der Leichtsinnige gar nicht zu denken, und unerachtet ich, wie gesagt, ihn gar nicht zu sprechen wünschte, so war es mir doch gar nicht recht, daß er nicht nach mir fragte, gar keine Notiz von mir nahm.

Ganz anderer und, wie es mich bedünken wollte, viel artigerer und vernünftigerer Gesinnung war der ästhetische Professor, Herr Lothario, der, nachdem er sich überall im Zimmer nach mir umhergeschaut, zu dem Meister sprach: »Aber wo ist denn Euer vortrefflicher Monsieur Murr!«

Es gibt für einen Katzburschen keine schnödere Benennung als das fatale Wort Monsieur, indessen muß man von Ästhetikern in der Welt viel leiden, und so verzieh ich dem Professor die Unbill.

Meister Abraham versicherte, daß ich seit einiger Zeit meine eignen Gänge gehabt und vorzüglich nachts selten zu Hause gewesen, wovon ich denn müde und ermattet geschienen. Soeben habe ich auf dem Kissen gelegen, und er wisse in der Tat nicht, wohin ich eben jetzt so schnell verschwunden.

»Ich vermute«, sprach der Professor weiter, »ich vermute fast, Meister Abraham, daß Euer Murr . . . Doch ist er auch hier irgendwo versteckt und lauscht? – Laßt uns doch einmal ein wenig nachsehen.«

Leise zog ich mich in den Hintergrund des Ofens, aber man kann denken, wie ich die Ohren spitzte, da nun von mir die Rede. – Der Professor hatte vergebens alle Winkel durchsucht zu nicht geringer Verwunderung des Meisters, der lachend rief: »In der Tat, Professor, Ihr tut meinem Murr unglaubliche Ehre an!«

»Hoho«, erwiderte der Professor, »der Verdacht, den ich gegen Euch, Meister, hege wegen des pädagogischen Experiments, vermöge dessen ein Kater zum Dichter und Schriftsteller wurde, kommt mir nicht aus der Seele. Gedenkt Ihr nicht mehr des Sonetts, der Glosse, die mein Ponto Euerm Murr recht unter den Pfoten weggeraubt? – Doch dem sei, wie ihm wolle, ich nutze Murrs Abwesenheit, um Euch eine schlimme Vermutung mitzuteilen und Euch recht dringend zu empfehlen, achtsam zu sein auf Murrs Betragen. – Sowenig ich mich sonst um Katzen bekümmere, doch ist es mir nicht entgangen, daß manche Kater, die sonst ganz artig und manierlich waren, jetzt plötzlich ein Wesen annehmen, das gegen alle Sitte und Ordnung gröblich anstößt.

Statt wie sonst sich demütig zu biegen und zu schmiegen, stolzieren sie trotzig daher und scheuen sich gar nicht, durch funkelnde Blicke, durch zorniges Knurren ihre ursprüngliche, wilde Natur zu verraten, auch wohl gar die Krallen zu zeigen. Sowenig sie auf ein bescheidenes stilles Betragen achten, ebensowenig ist ihnen daran gelegen, was das Äußere betrifft, als gesittete Weltleute zu erscheinen. Da ist an kein Putzen des Bartes, an kein Glänzendlecken des Fells, an kein Abbeißen der zu lang gewordenen Krallen zu denken; zottig und rauh mit struppigem Schweif rennen sie daher, allen gebildeten Katzen ein Greuel und Abscheu. Was aber vorzüglich tadelnswert erscheint und nicht geduldet werden darf, sind die heimlichen Zusammenkünfte, die sie zur Nachtzeit halten und dabei ein tolles Wesen treiben, welches sie Gesang nennen, unerachtet dabei nichts vernehmbar als ein widersinniges Geschrei, dem es an schicklichem Takt, ordnungsmäßiger Melodie und Harmonie gänzlich mangelt. Ich fürchte, ich fürchte, Meister Abraham, daß Euer Murr sich auf die schlechte Seite gelegt hat und teilnimmt an jenen unanständigen Belustigungen, die ihm nichts einbringen können als tüchtige Prügel. – Es sollte mir leid tun, wenn alle Mühe, die Ihr auf den kleinen Grauen verwandt, umsonst wäre und er sich trotz aller Wissenschaft zu dem gewöhnlichen wüsten Treiben gemeiner liederlicher Kater herabließe.« – Als ich mich, meinen guten Muzius, meine hochherzigen Brüder verkannt sah auf so schnöde Weise, entfloh mir unwillkürlich ein Schmerzenslaut. »Was war das?« rief der Professor, »ich glaube gar, Murr sitzt doch versteckt im Zimmer! – Ponto! Allons! – Such, such!« – Mit einem Satz war Ponto herunter von der Fensterbank und schnüffelte im Zimmer umher. Vor der Ofentüre blieb er stehen, knurrte, bellte, sprang herauf. – »Er ist im Ofen, das hat keinen Zweifel!»So sprach der Meister und öffnete die Türe. Ich blieb ruhig sitzen und blickte den Meister mit klaren, glänzenden Augen an. »Wahrhaftig«, rief der Meister, »wahrhaftig, da sitzt er ganz hinten im Ofen. – Nun? – Bequemt Er sich hervorzukommen? – Ob Er heraus will!« Sowenig ich auch Lust hatte, mein Versteck zu verlassen, so mußte ich doch wohl dem Befehl des Meisters gehorchen, wollte ich es nicht auf Gewalt gegen mich ankommen lassen und dabei den kürzeren ziehen. Langsam kroch ich daher hervor. Kaum war ich aber an das Tageslicht gekommen, als beide, der Professor und der Meister, laut riefen: »Murr! – Murr! Wie siehst du aus! – Was sind das für Streiche!« – Freilich war ich über und über voller Asche, und kam noch hinzu, daß wirklich mein Äußeres seit einiger Zeit merklich gelitten, so daß ich mich in der Schilderung, die der Professor von schismatischen Katern gemacht, wiedererkennen mußte, so konnte ich mir freilich die erbärmliche Figur, in der ich erschien, wohl denken. Verglich ich nun eben meine erbärmliche Figur mit der meines Freundes Ponto, der in seinem stattlichen, glänzenden, schön gekräuselten Pelz in der Tat ganz hübsch anzusehen, so erfüllte mich tiefe Scham, und ich kroch still und betrübt in den Winkel.

»Ist das«, rief der Professor, »ist das der gescheite, sittige Kater Murr? Der elegante Schriftsteller, der geistreiche Dichter, der Sonette schreibt und Glossen? – Nein, das ist ein ganz gemeiner Katz, der sich in Küchen auf den Herden herumtreibt und sich auf sonst weiter nichts versteht, als Mäuse zu fangen in Kellern und auf Böden! – Hoho! sag mir doch, mein sittiges Vieh, ob du bald zu promovieren verlangst oder gar das Katheder zu besteigen als Professor der Ästhetik? – In der Tat, ein netter Doktorhabit, in den du dich geworfen!« –

So ging es fort in verhöhnenden Redensarten; was konnt ich tun, als, wie es bei derlei Fällen, nämlich wenn ich ausgehunzt wurde, meine Sitte war, die Ohren dicht ankneifen an den Kopf.

Beide, der Professor und der Meister, schlugen zuletzt eine helle Lache auf, die mir das Herz durchbohrte. Beinahe noch empfindlicher war mir aber Pontos Betragen. Nicht allein daß er durch Mienen und Gebärden den Hohn seines Herrn teilte, so bewies er auch durch allerlei Seitensprünge offenbar seine Scheu, sich mir zu nahen, wahrscheinlich fürchtete er seinen schönen, reinen Pelz zu beschmutzen. Es ist nichts Geringes für einen Kater, der sich solcher Vortrefflichkeit bewußt ist als ich, von einem stutzerhaften Pudel dergleichen Verachtung dulden zu müssen.

Der Professor geriet nun mit dem Meister in ein weitläufiges Gespräch, das sich nicht auf mich und auf mein Geschlecht zu beziehen schien, und von dem ich eigentlich wenig verstand. Doch so viel vernahm ich wohl, daß davon die Rede war, ob es besser sei, dem oftmals wirren ungezügelten Treiben exaltierter Jugend mit offner Gewalt entgegenzutreten oder es nur einzugrenzen auf geschickte unbemerkbare Weise und Raum zu geben der eignen Erkenntnis, in der sich jenes Treiben alsbald selbst vernichtet. Der Professor war für die offne Gewalt, da die Gestaltung der Dinge zum äußern Wohl es fordere, daß jeder Mensch, alles Widerstrebens unerachtet, so zeitig als möglich in die Form gepreßt werde, wie sie durch das Verhältnis aller einzelnen Teile zum Ganzen bedingt werde, da sonst sogleich eine verderbliche Monstrosität entstehe, die allerlei Unheil verursachen könne. – Der Professor sprach dabei etwas von Pereatbringen und Fenstereinwerfen, welches ich aber durchaus nicht verstand. – Der Meister meinte dagegen, daß es mit jugendlichen exaltierten Gemütern so gehe wie mit den Partiell-Wahnsinnigen, die der offne Widerstand immer wahnsinniger mache, wogegen die selbst errungene Erkenntnis des Irrtums radikal heile und nie einen Rückfall befürchten lasse.

»Nun«, rief der Professor endlich, indem er aufstand und Stock und Hut ergriff, »nun, Meister, was die offne Gewalt gegen exaltiertes Treiben betrifft, so werdet Ihr mir doch insofern recht geben, daß sie da schonungslos eintreten muß, wenn jenes Treiben verstörend hineingreift in das Leben, und so ist es, um wieder auf Euren Kater Murr zurückzukommen, denn doch recht gut, daß, wie ich höre, tüchtige Spitze die verwünschten Kater auseinandergetrieben haben, die so bestialisch sangen und dabei wunder sich große Virtuosen dünkten.«

»Wie man es nimmt«, erwiderte der Meister, »hätte man sie singen lassen, vielleicht wären sie das geworden, was sie sich irrtümlicherweise schon zu sein dünkten, nämlich in der Tat gute Virtuosen, statt daß sie jetzt vielleicht an der wahren Virtuosität zweifeln ganz und gar.«

Der Professor empfahl sich, Ponto sprang hinterdrein, ohne mich, wie er doch sonst mit vieler Freundlichkeit getan, eines Abschiedsgrußes zu würdigen.

»Ich«, wandte sich nun der Meister zu mir, »ich bin selbst bisher unzufrieden gewesen mit deinem Betragen, Murr, und es ist Zeit, daß du einmal wieder ordentlich und vernünftig wirst, damit du wieder zu besserm Rufe gelangest, als in dem du jetzt zu stehen scheinst. Wäre es möglich, daß du mich ganz verstündest, so würde ich dir raten, immer still, freundlich zu sein, und alles, was du beginnen magst, ohne alles Geräusch zu vollbringen, denn auf diese Weise erhält man sich den guten Ruf am besten. – Ja, ich würde dir als Beispiel zwei Leute zeigen, von denen der eine jeden Tag still für sich allein im Winkel sitzt und so lange eine Flasche Wein nach der andern trinkt, bis er in völlig trunknen Zustand gerät, den er aber vermöge langer praktischer Übung so gut zu verbergen weiß, daß ihn niemand ahnet. Der andere trinkt dagegen nur dann und wann in Gesellschaft fröhlicher gemütlicher Freunde ein Glas Wein; das Getränk macht ihm Herz und Zunge frei, er spricht, indem seine Laune steigt, viel und eifrig, doch ohne Sitte und Anstand zu verletzen, und eben ihn nennt die Welt einen leidenschaftlichen Weintrinker, während jener geheime Trunkenbold für einen stillen mäßigen Mann gilt. Ach, mein guter Kater Murr! Kenntest du den Lauf der Welt, so würdest du einsehen, daß ein Philister, der stets die Fühlhörner einzieht, es am besten hat. Aber wie kannst du wissen, was ein Philister ist, unerachtet es wohl in deinem Geschlecht auch dergleichen genug geben mag.«

Bei diesen Worten des Meisters konnte ich mich im Bewußtsein der vortrefflichen Katerkenntnis, die ich mir durch des wackeren Muzius Belehrungen sowohl als durch eigne Erfahrung erworben, eines lauten, freudigen Prustens und Knurrens nicht erwehren.

»Ei«, rief der Meister laut lachend, »ei, Murr, mein Kater! Ich glaube gar, du verstehst mich, und der Professor hat recht, der in dir einen besondern Verstand entdeckt haben will und dich gar fürchtet als seinen ästhetischen Nebenbuhler?«

Zur Bestätigung, daß dem wirklich so sei, gab ich ein sehr klares, wohltönendes Miau von mir und sprang ohne weiteres dem Meister auf den Schoß. Nicht bedacht hatte ich indessen, daß der Meister gerade seinen Staatsschlafrock von gelbem, großgeblümtem, seidenem Zeuge angezogen, den ich notwendigerweise beschmutzen mußte. Mit einem zornigen: »Will Er wohl!« schleuderte der Meister mich so heftig von sich, daß ich überpurzelte und, ganz erschrocken die Ohren ankneifend, die Augen zudrückend, niederduckte auf den Fußboden. Gepriesen sei aber die Gutmütigkeit meines guten Meisters! »Nun«, sprach er freundlich, »nun, nun, Murr, mein Kater! so böse war es nicht gemeint! – Ich weiß es, deine Absicht war gut, du wolltest mir deine Zuneigung beweisen, aber das tatst du auf täppische Weise, und geschieht dieses, so fragt man freilich den Henker was nach der Absicht! – Nun, komm nur her, kleiner Äscherling, ich muß dich putzen, damit du wieder aussiehst wie ein honetter Kater!«

Damit warf der Meister den Schlafrock ab, nahm mich in die Arme und ließ es sich nicht verdrießen, mir mit einer weichen Bürste den Pelz rein zu bürsten und dann die Haare mit einem kleinen Kamm glänzend zu kämmen.

Als die Toilette geendet und ich bei dem Spiegel vorüberspazierte, erstaunte ich selbst, wie ich so plötzlich ein ganz anderer Kater geworden. Ich konnt es gar nicht unterlassen, mich selbst behaglich anzuschnurren, so schön kam ich mir vor, und nicht leugnen mag ich, daß in dem Augenblick sich große Zweifel gegen die Anständigkeit und Nützlichkeit des Burschenklubs in mir regten. Daß ich in den Ofen gekrochen, schien mir ein wahrer Barbarismus, den ich nur einer Art Verwilderung zuschreiben konnte, und nicht einmal nötig war daher die Warnung des Meisters, der mir zurief: »Daß Er mir nur nicht wieder in den Ofen kriecht!«

In der folgenden Nacht war es mir, als vernehme ich an der Türe ein leises Kratzen und ein furchtsames Miau! das mir sehr bekannt vorkam. Ich schlich heran und fragte, wer da sei. – Da erwiderte (ich erkannte ihn sogleich an der Stimme) der wackre Senior Puff: »Ich bin es, trauter Bruder Murr, und habe dir eine höchst betrübte Nachricht zu bringen!« – O Himmel, was –


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