Nataly von Eschstruth
Jung gefreit - 1
Nataly von Eschstruth

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X.

Wieder saß Landrat von Born auf seinem eleganten Sportwagen und bändigte die Rappen mit starker Hand. Die Geschirre blitzten im Sonnenschein, der Veilchenstrauß duftete im Knopfloch, und das große, ein wenig altmodisch in eine Papiermanschette gezwängte Bukett, das schönste, das der verblüffte Gärtner von Feldheim »im Handumdrehen« liefern konnte, harrte diskret in Seidenpapier gehüllt, neben ihm auf dem Sitzpolster liegend, seiner poesievollen Verwendung. Das fröhliche, frischgerötete Antlitz des Freiers lachte mit der Frühlingssonne um die Wette. Die blauen Augen waren wie in behaglichem Sinnen geradeaus gerichtet, auf die breite, schnurgerade Allee, auf der das leichte Gefährt entlang sauste.

Rechter Hand säumte junger Fichtenwald den Weg, und all die tausend Frühlingsstimmen, die von Lenz und Liebe sangen, werden laut darin; ein Konzert, wie es verliebte Menschen nie besser und schöner zu hören glauben.

So jubiliert und jauchzt es auch tief drinnen in der Brust, so schwingt sich das Herz gar leicht empor, in fremde, zuvor noch nie gekannte Höhen, in ein Paradies, durch das die Liebe als gnadenreiche Sonne glüht. Siegfried von Born hatte es sich selber nicht träumen lassen, daß er heute schon wieder den Weg nach Jeseritz zurücklegen würde – und wie zurücklegen! Als er gestern eben diese Straße entlanggefahren war, ersehnte er mit einer gewissen freudigen Ungeduld und Spannung ein Wiedersehen mit Salome.

Er malte sich die Überraschung und den peinlichen Schreck der jungen »Durchlaucht« aus, urplötzlich wie ein Kind auf verbotenem Wege ertappt zu sein. Und er freute sich des vergnüglichen Wortgeplänkels, durch das er die »arme Witwe«, die »Mutter von vier Kindern« weidlich necken wollte.

Welch einen reizenden Anlaß bot ihm doch dieses lustige kleine Erlebnis, mit dem jungen Mädchen schneller und intimer bekannt zu werden als die anderen Feldheimer Herren, die auf die Bekanntschaft mit Salome brannten. In dieser damenarmen Gegend war ihr Erscheinen ein Ereignis, und Elten, der Mißgünstige, ewig neidisch Eifersüchtige, arbeitete sicherlich schon irgendeinen Schlachtplan aus, wie er die Festung am schnellsten stürmen und erobern könne.

Sonst hatte Born für derartige Anstrengungen stets nur ein amüsiertes Lächeln gehabt, und dem Rivalen von vornherein gern das Feld geräumt. Er hatte sich nicht an dem Wettrennen beteiligt, als die bildhübsche und steinreiche Nichte des Fabrikbesitzers Welton auf Rockwitz zu kurzem Besuch eintraf.

So liebenswürdig die junge Dame auch gerade ihn ausgezeichnet hatte, war er doch in dieser Zeit dem gastlichen Hause ferngeblieben, um Herrn von Elten Hahn im Korbe sein zu lassen. Leider hatten dessen Bemühungen keinen Erfolg gehabt, was Born am aufrichtigsten bedauerte. Er wußte, wie sehr der Premierleutnant nach einer Frau suchte und wie brennend er es sich wünschte, mit der Frau die Mittel zu erheiraten, um seinen Abschied nehmen zu können. Das einförmige und reizlose Leben in einem Landstädtchen war ihm in der Seele verhaßt, und er machte keinen Hehl daraus, daß er sich nach elektrischem Licht, Café chantant und Straßenlärm der Residenz schier zu Tode sehne.

Herr von Born hätte ihm gern zur Erfüllung seiner Wünsche verholfen, aber Erbinnen waren just in dieser Gegend nicht zu Hause. Man hatte allerdings die Töchter des Majors von Welfen als sehr gute Partien verschrien. Ein Sohn war nicht da, Jeseritz fiel zu gleichen Teilen dereinst an die beiden Mädchen.

Born aber wußte genau, wie es um das Gut stand. Es rentierte sich bei den zeitweilig sehr schlechten Ernteaussichten und bei dem üblen Stand der allgemeinen Lage nicht mehr halb so gut als früher. Der Major verstand außerdem zu wenig von der Landwirtschaft, um sich neue Ertragsquellen zu erschließen. Was Jeseritz einbrachte, ging zur Erhaltung des Gutes und des Haushaltes drauf. Ersparnisse wurden nicht gemacht, und große Revenuen konnten auch nicht verzehrt werden.

Er hatte Elten diese Verhältnisse früher einmal in diskreter Weise angedeutet, um ihn vor Enttäuschungen zu bewahren. Das etwas großspurige Auftreten Welfens, der sich dank der Jeseritzer Erbschaft und im Vergleich mit seiner früheren finanziellen Lage allerdings wie ein steinreicher Mann vorkam, hatte den Premierleutnant in goldene Zukunftsträume gewiegt, und Born überzeugte sich leider, daß er nicht daraus zu erwecken war. Sein ironisches Lächeln, sein mißtrauischer Seitenblick bewiesen ihm, daß Elten lediglich an ein diplomatisches kleines Manöver des Landrats glaubte, der gefährliche Nebenbuhler durch falsche Angaben von den Fräulein von Welfen zurückschrecken wollte.

Born zuckte die Achseln und dachte: »Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen!« – und ließ die Sache ihren Gang gehen.

Da kam seine Reise und die so überraschende Begegnung mit Salome. Zum erstenmal fesselte ihn der Jugendzauber eines jungen Mädchens. Ihr kecker Übermut reizte ihn, den seinen daran zu messen, und ihre rührende Angst und Reue, ihre Zerknirschung über den harmlosen Backfischstreich, erwärmten ihn mehr und mehr für sie. – Welch ein dankbares, anreizendes Beginnen für einen Mann, diese junge Schmetterlingsseele mit den goldenen Fäden ernster Vernunft zu fesseln und sie in die Bahnen zu lenken, die ihr vorgeschrieben waren.

Siegfried von Born war ein Charakter, den der Major vielleicht in einer Schriftlinie annähernd richtig gedeutet hatte. Herrschsüchtig war allerdings von ihm zuviel gesagt, aber ein Zug von Positivismus, Energie und Hang zum Beeinflussen war ihm eigen, und wenn er die Leute auch nur nach bestem Willen und zu ihrem eigenen Vorteil beeinflussen wollte, wurde er doch manchmal mißverstanden, ein Anlaß, der auch zu den kleinen Reibereien zwischen ihm und Welfen den ersten Grund legte. Born hatte es gut gemeint, aber der Major hatte ihn nicht verstanden und geglaubt, er solle bevormundet werden.

Gerade dieser Charakterzug fand keine Rechnung bei der Begegnung mit Salome. Der große Erfolg, mit dem er erzieherisch auf die junge Dame einwirkte, entzückte ihn. Ihr weiches, schmiegsames Wesen war just das, was er an dem Weibe am höchsten schätzte. Das Zutrauen, mit dem sie sich zitternd an seinen Arm drückte und ihn mit verklärten Augen ihren »Beschützer« nannte, ließ sein Herz schneller schlagen, seinen Blick immer länger und inniger auf ihr ruhen.

Wie liebreizend sie war! Wie amüsant in ihrer naiven Keckheit, wie sinnbetörend in ihrer treuherzigen Hingabe.

Siegfried ertappte sich immer wieder bei dem Gedanken an Salome. Oft saß er und träumte lächelnd vor sich hin, wie schön es wohl sein müßte, dieses jungfräuliche Kind sein eigen nennen zu dürfen, sie schützend und haltend durch das ganze Leben zu führen! Gab es wohl eine schönere, lohnendere Aufgabe für einen Mann, als die knospende Seele eines Weibes zur vollen Blüte heranzupflegen, sie so zu modellieren und zu bilden, wie es sein ureigenster Geschmack war?

Gerade für den Landrat hatte dieser Gedanke etwas Berauschendes, und so kürzte er seine Reise ab und hastete voll nervöser Unruhe nach Hause.

Er wußte selber nicht, was ihn drängte, sofort noch in das »Stammlokal« zu gehen und Herrn von Elten zu fragen, ob er Fräulein von Welfen schon kennengelernt habe.

Der Husar war ärgerlich. »Nein! Wie sollte ich wohl? Wir meldeten uns so schnell wie möglich bei den Herrschaften an, erhielten aber eine sehr höfliche Antwort, daß es Frau von Welfen lieber sehen würde, wenn unser Besuch bis nach der Konfirmation ihrer jüngsten Tochter unterbliebe.«

Der Landrat atmete auf. War er eifersüchtig gewesen? Seltsam, ihm schien es beinahe selber so.

Er war doch sonst nicht hinterlistig zu nennen. Aber er nahm sich vor, unangemeldet bei Welfens vorzufahren und den Herrn der Stammkneipe vorher nichts von diesem Besuch zu verraten.

Er fuhr nach Jeseritz – und mit welch einem nie geahnten Erfolg! – Er hätte frei von jedweder menschlichen Eitelkeit sein müssen, wenn ihn das unverhohlene Entzücken, die verräterische Befangenheit und die erglühenden Wangen Salomes bei dem Wiedersehen nicht entzückt hätten.

Alle seine geplanten Neckereien schmolzen davor hin wie Schnee in der Frühlingssonne, und er wußte es selber nicht wie – aber der flehende Blick der kleinen »Durchlaucht« veranlaßte ihn, das vor den Eltern verheimlichte Abenteuer auch seinerseits geheim zu halten.

Wieder konnte er die interessante Rolle als Beschützer spielen, konnte sich in dem Gefühl, sie abermals verpflichtet zu haben, wohl sein lassen und den vollen Reiz auskosten, Verbündeter der Geliebte« zu sein. Hatte ihn anfänglich die Ahnung, daß er ihr nicht gleichgültig sei, daß sie sein Bild gar wohl im Herzen bewahrt und seiner gedacht hatte, mit einem nie zuvor gekannten Gefühl der Beseligung erfüllt, so blies die harmlose Äußerung Roses, die das süßeste Geheimnis der Schwester verriet, die glimmenden Funken in seinem Herzen jählings zur Glut an!

Wer hätte auch dabei kalt und unempfindlich bleiben können!

Schon im Reisekostüm, Hut und Mantel, war das junge Mädchen eine auffallend hübsche Erscheinung gewesen, jetzt, in der eleganten Toilette, mit den graziös frisierten, goldigen Haarwellen, die das rosige Gesichtchen mit einem wahren Glorienschein umrahmten, deuchte sie ihm geradezu bezaubernd. Er hatte es früher nie für möglich gehalten, daß er einmal so blitzschnell Feuer fangen könne. Aber es war geschehen, und er, der lediglich in der Absicht gekommen war, eine Erstlingsvisite zu machen, hielt nach kaum einer Stunde schon um die Hand der Tochter des Hauses an.

Mit geteilten Gefühlen war er nach Feldheim zurückgefahren. Im Rausch der jungen Liebeswonne konnte er es sich doch nicht verhehlen, daß seine Aussichten, die Geliebte zu erringen, recht zweifelhafte waren. Seltsam, ein Mann wie er – in besten Vermögensverhältnissen, gesicherter Lebensstellung, von tadellosem Ruf und vortrefflicher Familie, er, nach dem schon so manch schönes Auge sehnsuchtsvoll ausgeschaut, er fürchtete einen Korb.

Wie kam es, daß er gerade mit Welfen so schlecht stand? War es seine Schuld?

Ein besorgtes Herz ist stets geneigt, schwarz zu sehen und sich mit Selbstvorwürfen zu quälen.

Auch der Landrat stützte das Haupt sorgenschwer in die Hand, nachdem der gewichtige Anhaltebrief expediert war, und während Welfen im einsamen Park von Jeseritz alle Folterqualen der Selbstkasteiung litt, lag sein Gegner ebenfalls auf dem Marterrost, und verwünschte jeden kleinen Zwist, den er mit dem Major durchgekämpft, anstatt ihn gutmütig und rücksichtsvoll in der Knospe zu ersticken.

Da zeigte es sich, daß der schlechteste Frieden auf Erden stets vieltausendmal besser ist als der erfolgreichste Krieg.

Selbst der kleinste und geringste Feind kann über Nacht wie aus einem Sandkorn zum Felsen anwachsen, au dem das Glücksschifflein für ewige Zeiten scheitert und untergeht.

Und dort wie hier kam ein Brief als rettender Engel! In Jeseritz der Heiratsantrag Borns, und in Feldheim die überraschend liebenswürdige und schnelle Antwort Welfens: »Habe mich sehr über ihren Brief gefreut, lieber Landrat! Ich ersehe aus ihm, daß Sie in der Tat der versöhnliche und vortreffliche Charakter sind, als den man Sie schildert. Kommen Sie, bitte, morgen im Laufe des Vormittags zu mir – ich spreche lieber, als daß ich schreibe. Seien Sie uns von Herzen willkommen.«

Der Landrat empfand bei dem Lesen dieser Zeilen wohl dasselbe, was der Schreiber gefühlt hatte. Eine große Herzerleichterung, eine wahre Wohltat! – So muß es dem Schiffer zumute sein, wenn er sein sinkendes, schon halb verlorenes Fahrzeug im heimatlichen Hafen landet.

Und dann war der Landrat zweierlei: erstens ein braver Sohn, der einen jubelnden Brief an die Mutter schrieb, und danach wieder ein Student, ein übermütiger, glückseliger Student.

Sein Diener sperrte Augen und Ohren auf und schüttelte den Kopf: »Hanne, wissen Sie nich, was heut für'n Tag is?« fragte er in der Küche.

Hanne blickte einen Augenblick sinnend geradeaus, und dann auf den großen Butterweck' im Glasschrank. Er war dreiviertel verbraucht.

»Donnerstag!« – nickte sie und rupfte gelassen weiter an der Ente, die sie augenblicklich mehr interessierte als alle Kalender der Welt.

»Hanne – hören Sie nichts?«

Die Alte schob die Haube vom Ohr und hob mit offenem Mund den Kopf.

»'s gröhlt eins!« entschied sie erstaunt.

»Der Herr Landrat trinkt schon die vierte Flasche Bayrisches und spektakelt mit dem Glas auf dem Tisch herum und singt: ›Bruder deine Liebste heißt?‹ – Hanne – mir deucht, das ist nicht richtig mit ihm!«

»Was soll nicht richtig sein? – Alles ist richtig!« murmelte sie mit zahnlosem Mund und lächelte wie im Traum vor sich hin: »Hat er nicht auch früher gesungen, Gottfried? Und habe ich etwa auch keine Lieder gewußt? – Jung Vieh hat jungen Mut!!« Und sie nickte abermals vor sich hin, und ein langer, dünner, zittriger Ton rang sich über ihre Lippen.

»Grundgütiger, sie fängt auch an!« dachte Gottfried entsetzt, raffte seine Pfeife vom Tisch und polterte hastig aus der Küche, die Steintreppe hinauf, um ein wenig vor der Haustür den herrlichen Frühlingsabend zu genießen.

Über ihm, im Salon des Landrats, wurde plötzlich das Klavier angeschlagen und eine kräftige Männerstimme hallte durch die stille Straße: »Wach auf du gold'nes Morgenlicht und grüße meine Braut.«

Meine Braut? – Zum erstenmal im Leben ließ Gottfried vor Überraschung Nachbars Spitz, den er haßte, ohne einen Fußtritt durch das Hoftor huschen – – –

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Und nun fuhr der junge Bräutigam durch das goldene Morgenlicht seinem Glück entgegen und wünschte den Rappen Flügel, um es schneller zu erreichen.

Man hatte ihn wohl nicht zu so früher Stunde erwartet. Als er in den Gutshof einfuhr, hörte er, daß der Major soeben von dem Förster in den Wald gerufen sei. In einer halben Stunde werde er jedoch zurück sein. Die gnädige Frau hingegen sei sogleich zu sprechen.

»Melden Sie mich.«

Born nahm sein großes Bukett zur Hand und eilte leichtfüßig die Freitreppe empor.

Ein Zimmermädchen huschte im Gartensalon an ihm vorüber und knickste mit einem ausfallend schelmischen Lächeln und einem recht indiskreten Blick nach dem riesenhaften Strauß. Es war doch kein Geburtstag heute, und die Konfirmation erst morgen.

Frau Nora trat dem Freier mit einem Gemisch von Ernst und Verlegenheit entgegen. Sie ließ sich mit gütigem Lächeln ihre Hände küssen und sah dem Landrat ehrlich in die Augen.

»Ich freue mich, lieber Herr von Born, vor dem entscheidenden Wort mit meinem Mann noch einen Augenblick ungestört mit Ihnen sprechen zu können!« begann sie nicht ohne Befangenheit, und bat durch eine Geste, Platz zu nehmen. »Sie haben sich von dem Wirbelwind der Ereignisse fortreißen lassen und halten um unsere Tochter an, verehrter Herr von Born, ohne sie überhaupt kennengelernt zu haben. Der Gedanke peinigt mich, daß das unüberlegte Benehmen Salomes und die ahnungslose Plauderei von Rose Sie zu einem Schritt gedrängt haben, an den Sie vielleicht nie gedacht hätten, wenn nicht –«

»Meine gnädigste Frau – ich versichere Ihnen ...«

Die Sprecherin schüttelte ernst den Kopf. »Wir wollen in dieser Stunde wahr sein, lieber Freund. Das Geschehene ist leider nicht mehr zu ändern, und Salome droht mit Sterben und Verderben, wenn wir das Jawort verweigern und ihr Glück zerstören wollten. Darum sehen Sie uns dem verwöhnten Kinde gegenüber heute schwächer als es mir recht ist! – Aber meine Redlichkeit und Aufrichtigkeit verlangen es, daß Sie den ,Hasen nicht im Sack kaufen' daß Sie wissen, welcher Art das Mädchen ist, um das Sie so vertrauensselig werben.«

Abermals beugte Born sich auf die Hand der künftigen Schwiegermutter nieder und drückte sie lächelnd an die Lippen.

»Meine hochverehrte, gnädige Frau, ich bin Ihnen unendlich dankbar für die liebenswürdige Sorge um mein Lebensglück, ich bin aber felsenfest davon überzeugt, daß Fräulein Salome –«

»Bitte kein ›aber‹! Sie sind verliebt – und verliebte Leute sind blind. Gewöhnlich ist es so im Leben, daß die Mutter im Interesse der verliebten Tochter die Augen doppelt weit öffnen muß, sie vor einer Übereilung zu bewahren, da aber bei dieser Verlobung beinahe alles außergewöhnlich ist, so darf es Sie nicht wundern, wenn ich meine Fürsorge nicht dem eigenen Kinde, sondern dem künftigen Schwiegersohn zuteil werden lasse, der ihrer in diesem Falle mehr bedarf wie seine Auserwählte!«

»O Sie gütigste aller Schwiegermütter!!«

Frau von Welfen lächelte voll Humor. »Da sieht man schon wieder, wie verblendet Sie sind! Welch ein Junggeselle macht sich wohl jemals liebenswürdige Vorstellungen von einer Schwiegermutter!! Aber bleiben wir bei der Sache. Mein Mann kann jeden Augenblick kommen, und er würde mich für eine Rabenmutter erklären, wenn ich seinen Liebling auch nur mit einem Gedanken zu nahe treten wollte. Aber ich muß es, will ich ehrlich sein. Also kurz zusammengefaßt: Obwohl Salome soeben erst aus einem der bestrenommiertesten Pensionate zurückkommt, muß ich es dennoch bekennen, daß sie so gut wie gar nicht erzogen ist. – Sie lächeln! Sie denken an Ihr Abenteuer in der Eisenbahn, und Sie müssen mir recht geben!«

»Hat Fräulein Salome noch nachträglich gebeichtet?«

»Ja, und ich habe keine bessere Bestätigung für meine Behauptung, als diese Beichte!«

»Ein harmloser Backfischscherz, gnädigste Frau!«

»Ganz recht, ein Scherz, den man einem Backfisch vielleicht verzeiht, den man aber an der Frau Landrat von Born doch recht scharf tadeln würde. Das sehen Sie ein?«

Siegfried schüttelte heiter das Haupt: »Stehe ich nicht an der Seite meiner Frau, um derartige kleine Scherze zu verhüten?«

»Nicht immer. Es wäre auch trostlos für Sie, wenn Sie nicht so viel Vertrauen in Ihre Gattin setzen könnten, um sie hier und da selbständig sein zu lassen.«

»Das werde ich jederzeit können!«

»Und riskieren die unberechenbarsten Einfälle!«

»Nein, gnädigste Frau, gewiß nicht!«

»Glauben Sie, daß Salome mit dem Häubchen all die nötige Würde und Vernunft am Hochzeitstage anlegt?«

Er lachte mit strahlenden Augen: »Wenn auch das nicht; aber sie heiratet dann einen Mann, der sich unterfängt, für all das Fehlende recht bald zu sorgen.«

»Mit anderen Worten, Herr von Born, Sie wollen das unerzogene Kind erziehen!« Die Sprecherin seufzte tief auf und blickte dem stattlichen Mann ernst in die Augen. »Das ist ein schwieriges und gewagtes Beginnen! Es ist eine Illusion, die sich sehr schwer verwirklicht. Gerade eine sehr junge Frau, die auf die neue Würde so stolz ist wie ein Schulmädel auf die erste Schleppe, wie ein Quartaner auf die erste Taschenuhr – die hält sich für viel zu vollkommen, um irgendwelchen Rat anzunehmen.«

»Auch von ihrem Manne nicht?«

»Nein, wenigstens nicht mit Bewußtsein. Gerade weil sie so jung ist und kaum dem Lehrmeister entwachsen, will sie keinen Pädagogen neben sich dulden. In ihren unausgereiften Ideen ist der Mann nur der Geliebte und Romanheld, der sie anbeten – aber nicht erziehen soll.«

»Und wenn sie gar nicht merkt, daß sie erzogen wird, gnädigste Frau?«

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»Dann – ja dann! Ihre Art und Weise, Salome in der Eisenbahn eine Lektion zu erteilen, war vortrefflich; Sie befolgten eine Methode, die Wunder wirkte.«

»Nun sehen Sie! Teuerste Mama – welch eine stolze Anerkennung in Ihren Worten, und doch wollen Sie noch Zweifel in ein Gelingen setzen?«

Frau Nora wiegte nachdenklich den Kopf. »Ein erstes Sehen zwischen zwei fremden Menschen und ein Verkehr zwischen Ehegatten dürfte doch recht verschiedener Art sein. Der Mann ist nicht stets in der liebenswürdig humoristischen Stimmung des Reisegefährten, seine Frau bleibt nicht die interessante Unbekannte, um deren Wohlwollen er wirbt – und er selber bleibt für seine Frau nicht der fremde Held, den die Phantasie mit einem wahren Nimbus umgibt, er bleibt nicht der geheimnisvolle Verehrer, aus dessen Munde jedes Wort einen besonders fesselnden milden oder mannhaft rauhen Klang hat, er ist eben der Alltagsmensch geworden, den sie wohl zärtlich lieben – dem sie aber nicht immer gehorchen kann!«

»Zärtlich lieben! Ein Weib das liebt, ist die Taube an der Brust ihres Beschützers!«

»Ein Weib, ganz recht; wie lange aber dauert es noch, bis aus dem blutjungen Kind, dem kaum erwachsenen Mädchen ohne gereifte Ansichten, ohne tiefer gehende Interessen, ohne Erfahrung und Verständnis für den Ernst des Lebens, ein Weib wird, das alles Glück nur an der Brust des treuen Gefährten, und nicht im Wechsel und Wandel heiterer Daseinsfreude findet.«

Born blickte ebenfalls ernst zu Boden. Dann hob er in seiner frischen Weise das Haupt: »Ohne Kampf kein Sieg, gnädigste Frau! Es ist das heilige Anrecht der Jugend, daß sie ihr Glück erringen will. Sie greift nicht nach dem, was ihr mühelos in den Schoß fallt, sie verlangt, daß es hoch, fern, unerreichbar sei, damit Ehre und Stolz, es dennoch errungen zu haben, desto größer sind! –- Wohl glaube ich, daß es eine Danaïdenarbeit ist, will ein Mann ein Mädchen, dem Taktlosigkeit, gemeine Gesinnung und Widersetzlichkeit angeboren sind, in der Ehe zu einer Musterfrau erziehen; er scheitert an der Unmöglichkeit, er kann aus einer Sumpfpflanze keine Lilie oder Rose schaffen. Das sehe ich selber ein, gnädige Frau, und bin überzeugt, daß gar mancher, der eine sehr junge Frau nahm, in der Überzeugung, sie nach seinem Geschmack zu erziehen, sehr traurige Erfahrungen machte. Ich aber glaube trotz unserer flüchtigen Bekanntschaft Fräulein Salome richtig zu beurteilen. Sie ist noch ein Kind voll kindlicher Schwächen und Fehler, aber ein Kind, in dessen Herzenstiefe so viele reiche Gaben, so viele köstliche Geistesschätze ruhen, daß es eine Lust sein muß, die schlummernde Psyche in ihr zu wecken, und den übermütigen Puck ein für allemal davonzujagen. Lassen Sie mich mein Heil versuchen, liebe, teuerste Mutter, und ich versichere Ihnen, daß Sie mit meinen Erziehungsresultaten zufrieden sein sollen.«

Frau von Welfen schwieg und sah mit verschleiertem Blick vor sich nieder. »Gebe Gott der Allmächtige, daß Sie recht haben. Aber eine Bitte – denken Sie noch nicht so bald an heiraten, lieber Born! Lassen Sie auch mir noch Zeit, vieles, was da fehlt, nachzuholen!«

Mit beiden Händen umschloß er ihre schlanke Rechte. »Lassen Sie uns gemeinsam handeln, Mama!« flehte er.

»Es ist zu spät und stets ein verfehltes Beginnen, wenn eine junge Frau erst in ihrer eigenen Küche das Kochen lernt. –- Sie leiden am meisten darunter!«

Er lachte hell auf.

»Die Witze der ,Fliegenden Blätter', die junge Ehemänner über die Kochkünste der kleinen Frauen die Hände ringen läßt, waren mir immer unverständlich!«

»Gewiß! Wenn man gerade ein vortreffliches Menu im Hotel gegessen hat.«

»Meine vortreffliche Hanne hat schon seit zwei Jahren daheim für mich gekocht, sie wird es unverändert weiter tun, und mein süßes Weibchen soll sich nie einen Finger in der Küche naß machen –«

»Siegfried – ich beschwöre Sie – leisten Sie Salomes Aversion gegen das Kochen keinen Vorschub! Es ist eine ganz falsche Annahme, daß gute Köchinnen eine schlechte Hausfrau ersetzen können. Sie werden es nie, niemals tun. Wehe einer jeden Frau, die nicht auf eigenen Füßen steht, die auf den guten Willen und die Ehrlichkeit der Dienstboten angewiesen ist! Glauben Sie mir, gar manche Ehe ist unglücklich, gar manch ein Hausstand ist zugrunde gerichtet worden, weil die Frauen keinen Begriff von der Wirtschaft hatten, weil sie sich träge und gleichmütig betrügen ließen, weil sie keine Aufsicht führen konnten und es hilflos geschehen ließen, daß das ganze Vermögen im Haushalt veruntreut und verloddert wurde!«

»Dann trifft die Schuld ebensogut den Mann. Kann seine Frau nicht den an sie gestellten Anforderungen genügen, muß er sich der Wirtschaftskasse annehmen.«

»O Sie Phantast! – Lassen Sie einen Offizier, einen Beamten, einen Kaufmann, der von früh bis spät im Dienst oder Geschäft steckt, einen großen, womöglich kinderreichen Hausstand führen! Er muß es ja glauben, was ihm vorgerechnet wird, er kann weder den Verbrauch taxieren noch berechnen. Und welch ein Eheglück! Wenn der Gatte müde und abgearbeitet nach Hause kommt, und findet dort erst die Hauptlast seiner Tagesarbeit zu erledigen. Nein, lieber Born, das ist falsche Gutmütigkeit, die etwas unterschreibt, was sie zuvor gar nicht gelesen und erwogen hat. Mit solcher Nachsicht haben Sie bei Salome von vornherein verspielt, das versichere ich Ihnen. Und wenn Sie verheiratet sind, ist es für mich nicht mehr an der Zeit, meines Amtes zu walten. Die Rolle der ratgebenden und sich in alles einmischenden Schwiegermutter ist mir zu undankbar und unsympathisch!«

Sie stimmte in sein Lachen ein und hob abwehrend die Hände gegen seine schmeichelhaften Versicherungen, daß sie stets in seinem Hause der helfende und schirmende gute Geist sein solle.

Die Steinstufen der Freitreppe draußen knirschten unter schwerem Schritt. Herr von Welfen trat ein und unterbrach die Unterhaltung.

Nie hätte es Herr von Born für möglich gehalten, daß der kampflustige, stets so scharfe und kritische Major so außerordentlich liebenswürdig sein könnte, und Herr von Welfen wiederum war höchst angenehm von der charmanten Art und Weise überrascht, mit der sein Schwiegersohn den Mantel der Liebe über alles hing, was da vergangen war und vergessen sein sollte.

Es war eine eigentümliche Situation, in der sich die beiden Herren befanden.

Vor wenigen Tagen noch Gegner, die sich gegenseitig allen Schabernack antaten, den sich anständige Menschen, ohne zu weit zu gehen, erlauben dürfen, Widersacher, die sich anspöttelten und das Leben sauer machten, wo es nur irgend anging, und heute Vater und Sohn, Arm in Arm, verbunden durch die zartesten und innigsten Banden, die Menschenwille knüpfen kann.

War auch der Kampf stets von seiten des Majors mit ernsthafteren und schärferen Waffen geführt worden als von dem Landrat, so fühlten sich beide in diesem Augenblick gleich schuldig, und ein jeder war innig bemüht, durch doppelt viel Licht den ehemaligen Schatten auszugleichen.

Frau Dora war ein wenig überrascht, wie sehr geneigt ihr sonst so starrköpfiger Mann sich dem Willen seines Töchterchens zeigte. War dies alles tatsächlich nur die Wirkung jener Ohnmacht, an die der Scharfblick der Mutter niemals recht geglaubt hatte?

Der Major war ganz und gar Zustimmung und gute Laune. Ja, es schien seiner Gattin beinahe, als ob er eine gewisse Hast entwickelte, Salome herzuzurufen und die Hände der jungen Leute in feierlicher Verlobung zu vereinen.

Noch einmal machte Frau von Welfen einen etwas hoffnungslosen Versuch, bei dem Freier eine zwei Jahre lange Verlobungszeit auszubedingen, aber sie stieß auf den entschiedenen Widerstand Siegfrieds, den ihr Mann unfaßlicherweise darin unterstützte. Die beiden Herren waren plötzlich ganz und gar d'accord und entwickelten zusammen die haarsträubendsten Ansichten. Ja, der Major schien es mit besonderer Genugtuung aufzunehmen, daß Born seine junge Frau gleichfalls als reizendes Spielzeug, als Schmuck und Zierde für die Salons, nicht aber als tätige und praktische Hausfrau betrachten wollte.

»Siegfried hat ganz recht! Wenn ein Mann in so glänzenden Verhältnissen lebt wie er, kann er sich den Luxus einer kleinen Prinzeß gestatten, und braucht nicht Dienstbotenarbeit von seiner Gemahlin zu verlangen! Dazu paßt Salome überhaupt nicht, und ich will, daß mein Kind so leben soll, wie es ihr behagt und angenehm ist!«

So sehr glänzend fand nun Dora das Vermögen des Landrats gar nicht. Es war allerdings sechsmal so viel wie das, mit dem sie und Ernst ihren bescheidenen Hausstand begründet hatten, aber die Zeiten waren andere und die Ansprüche Salomes andere, als die ihrer so opferfreudigen Mutter, die Tag und Nacht die fleißigen Hände geregt hatte, um anständig vor der Welt bestehen zu können. Für Unverstand und Verschwendung ist selbst das Vermögen eines Millionärs der Tropfen auf heißem Stein.

Das Mutterherz schlug recht besorgt und schwer bei diesem Gedanken, aber die Herren, die beide den Kopf in den Sand steckten wie der Vogel Strauß, wenn er die Gefahr nicht sehen will, überstimmten sie.

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Der Major selber begab sich in das Zimmer der Tochter, um sie als reizendes Bräutchen in die Arme des Glücklichsten aller Sterblichen zu führen. Als der erste Freudenrausch sich ein wenig gelegt hatte, mußte Frau Dora abermals einen erfolglosen Kampf kämpfen. Sie verlangte, daß Siegfried jetzt nach Hause zurückfahren und die Verlobung bis nach der Konfirmation geheim bleiben solle. Rose sei soeben glücklicherweise in der Stunde bei dem Pfarrer, und es würde doch begreiflicherweise sehr ablenken und zerstreuen, gerade an diesem letzten Tage Verlobungsbilder im Elternhause zu schauen.

Diesmal war es Salome, die mit dem ganzen erregbaren Eigensinn ihres Temperamentes dagegen Front machte. Sie steckte Siegfried und den Vater an und wußte die beiden Herren so geschickt zu ihren Verbündeten zu machen, daß die Mutter abermals überstimmt wurde.

»Die feierliche Veröffentlichung kann ja meinetwegen erst als Überraschung am Sonntag bei der Konfirmationsfeier stattfinden!« beharrte sie, »aber bis dahin kommt Siegfried alle Tage hierher, und die Anzeigen müssen sofort gedruckt werden. Nicht wahr, Herzensliebster, wir setzen sie gleich auf und schicken sie an Armand Lamm nach Berlin? Oh, wie brenne ich darauf, uns gedruckt zu sehen – es schwarz auf weiß zu lesen, daß ich wirklich ganz und gar dein eigen bin!« – Und sie schmiegte sich zärtlich, herzbetörend an ihn und flüsterte: »Ich habe immer noch eine wahre Todesangst, daß Papa seine Einwilligung bereut, und kann nicht eher ruhig sein, als bis ich weiß, daß er uns offiziell vor allen Menschen als Brautpaar anerkannt hat! Der gute Vater ist so unberechenbar und tadelt im nächsten Augenblick, was er im vorhergehenden gutgeheißen! Ich beschwöre dich, herzliebster Siegfried, hilf mir die Eltern bestimmen, daß wir die Verlobungskarten drucken lassen dürfen!«

Und Siegfried half ihr. Er stand als willenloser Sklave unter dem Zauber ihrer Schönheit und Anmut. Und wieder ging ein feines, aber nicht zufriedenes Lächeln um die Lippen der Mutter.

Oh, Eitelkeit, dein Name ist Weib!

Der Mutter scharfe Augen erkannten es nur zu gut: Das Wichtigste für die Tochter war es, so schnell wie möglich über die Pensionsfreundinnen triumphieren zu können. Darum ihre Eile, aller Welt ihr Glück kundzutun.

Aber hat die Eitelkeit nur einen einzigen Namen? Nein! Der andere heißt Mann.

Auch Siegfried trieb zum guten Teil die Eitelkeit zu der Verlobung. Er war eitel auf seinen schnellen Erfolg, eitel auf den Eindruck, den er gemacht, eitel auf seine Erziehnngsmaxime.

Es ging ihm wie tausend anderen Männern: er wollte seine Frau erziehen und zu sich heranbilden. In der Theorie fühlt er sich als Meister – kann es da in der Praxis fehlen?

Vielleicht gelingt es ihm, wenn er ein tüchtiges Lehrgeld zahlt.


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