Nataly von Eschstruth
Jung gefreit - 1
Nataly von Eschstruth

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IV.

Der Lenz hatte frühen Einzug gehalten. – Alle die tausend Elfchen, die in den warmen Sonnenstrahlen spielen, hatten mit geschäftiger Hand unzählige Blumen in das Prachtgewand der jungen Erde gestickt, hatten ihr Haupt mit Blütenzweigen bekränzt und die Silberbänder von Bächen und Flüssen gar malerisch um die Lächelnde geschlungen!

Nun stand sie, eine geschmückte Braut, und bebte gar wonnesam unter dem heißen Kuß des Freiers, und die Menschenkinder, die ein süßes Ahnen all dieses Glückes beschlich, jauchzten hinein in die Frühlingswonne, und fühlten, wie die Herzen weit und groß wurden. – Die Alten wurden jung unter dem Hauche holden Liebeswehens und die Jungen wurden alt genug, um die geheimnisvoll seligen Prophezeiungen zu verstehen, die jeder Blütenduft ihnen zuträgt, die jede aufbrechende Knospe ihnen spiegelt.

Auch über dem grauen, ehrwürdigen Gutshause von Jeseritz war es Lenz geworden, und es schien, als ob die leuchtende Sonne nicht nur die Außenmauern vergolde, sondern auch tief innen, vom Keller bis unter das Dach, eine Fülle von Licht und Leben ausgegossen habe.

Salome war heimgekehrt. Sie, die stets der verwöhnte Liebling des Vaters gewesen, wurde mit Jubel und Freude empfangen! Girlanden und prächtig gemalte »Willkommen« schaukelten ihr entgegen. Wulf, der ehemalige biedere Grenadier und Bursche des Herrn Majors, der jetzt in Jeseritz die respektable Stelle eines ersten Dieners und Faktotums bekleidete, fühlte das alte Soldatenblut rebellieren.

»Wenn das gnädige Fräulein heimkommt, ist es so gut ein Fest wie Sedan!« – sagte er, und löste zu Ehren der friedlichen Salome ein paar Kanonenschläge.

Kuchen jeglicher Sorte waren gebacken. Die große Wäsche war des hohen Ereignisses wegen schon vierzehn Tage früher überstanden, alles blitzte und blinkte so recht vergnügt und maienfroh der Tochter des Hauses entgegen, die frisch und wunderhübsch aus dem Wagen sprang und vor Freude lachte und weinte.

Rose schlang stürmisch die Arme um die bedeutend größere und schlankere Schwester, und Frau von Welfen, die in überströmendem Glücksgefühl ihre beiden Töchter betrachtete, lächelte zu ihrem Mann empor: »Sieh nur, wie verschieden die beiden Mädels geworden sind!«

Und sie hatte recht. Salome blond und zart wie eine Elfengestalt – Rose frisch, brünett, trotz ihrer sechzehn Jahre rund und üppig, beinahe etwas robust.

Die erstere sehr elegant und in jeder Bewegung graziös, die letztere keck und lebensfrisch, im einfachen Waschkleidchen, ohne eine Spur von Schwärmerei, natürlich und gerade aus!

Salomes Haar lockte sich sehr schick auf dem zierlichen Köpfchen, dieweil der mächtige, nußbraune Zopf der Schwester zumeist zerzaust und halb gelöst, in zügelloser Freiheit auf dem Rücken schaukelte.

Die ganze Erscheinung der Ältesten war stets von einem Hauch exquisiten Parfüms umgeben – bei der Kleinen sagte Frau von Welfen höchstens lächelnd: »Dickerchen, zieh dir andere Schuhe an! Du riechst wieder tüchtig nach Kuhstall!«

Und so, wie die Schwestern äußerlich die größten Gegensätze verkörperten, so waren sie auch seelisch die verschiedenst veranlagten Wesen, die man sich nur denken konnte.

Salome war die geborene Salondame – Rose das wilde, ungefüge Kind vom Land, dem Glacéhandschuhe und Puderquasten stets lächerliche, verhaßte Dinge bleiben werden.

Bei jener war alles, was sie tat und unternahm, »ladylike« und von sentimentaler Schwärmerei überhaucht – bei dieser trat alles in urwüchsigster und realistischer Weise zutage.

Salome spielte Klavier und Zither – sie sang elegische Lieder, deren Weltschmerz in ihrem Munde eher spaßhaft als rührend wirkte, sie malte und stickte, ja sie dichtete sogar die schwermütigsten Sachen, dieweil sie das Versmaß dazu an den Dingern abzählte und ab und zu einen Federhalter zerkaute. Sie kokettierte mit allen schönen Künsten, ohne in einer einzigen wirklich Befriedigendes zu leisten. Stundenlang lag sie auf dem Sofa und las Romane, studierte die Modenzeitung und schrieb Briefe. Der Haushalt war ihr fremd und gleichgültig, hatte in Lausanne keine Interesse dafür erweckt, und das junge Mädchen so sehr fein erzogen, daß ihr jede »Dienstbotenarbeit« höchst entfremdend und unwürdig deuchte.

Rose dagegen war einzig in ihrem Element, wenn sie so recht nach Herzenslust in Küche und Keller herumhantieren konnte. Sie sang dem Vater keine eignen Kompositionen vor und malte Jeseritz weder in Öl noch in Aquarell, aber dafür lieferte sie schon jetzt die saftigsten Braten und genialsten Frikassees auf den Tisch – päppelte die jungen Puten und wies den besten Hühnerhof der ganzen Nachbarschaft auf. – Im Garten dachte sie an alles, und ihr Wetteifern mit dem Gärtner reizte diesen zum eifersüchtigsten Tatendrange an. Sie probierten und verbesserten, sie erzielten die schönsten Erfolge.

Und Frau von Welfen strich liebkosend über die glühenden Wangen des kleinen Hausmütterchens und konnte sich nicht genug an ihrem Schaffen freuen.

Trotzdem bei Rose alles Sinnen und Denken nur auf das Praktische und Nützliche gerichtet war, und Salome wiederum für nichts anderes als für ihre nobelen Passionen Interesse hatte, war das Einvernehmen der beiden Schwestern dennoch das denkbar beste – wohl gerade um dieser Gegensätze willen.

Er herrschte die schönste Harmonie im Hause, und wenn der »Martha« fleißige Händchen am Abend ruhten, so erfreute sie sich an der Maria idealen Gaben der Kunst, die doppelt anerkannt wurden, weil sie vordem im Hanse unbekannt gewesen. Und dennoch blickte Frau von Welfen recht enttäuscht, ja recht voll Sorge auf die Resultate, die durch so viele Geld- und Liebesopfer in der Pension erzielt worden waren.

Hatte sie ihre Älteste darum schweren Herzens von sich gegeben, damit sie als verwöhntes, eitles und anspruchsvolles Salondämchen zurückkehre? – Das war nicht ihre bescheidene, gutherzige, kleine Salome von früher! Es war ein ganz fremdes Reis auf dem Stammbaum ihres Hauses. Ein Bäumchen, das nach allen Regeln der Kunst zugestutzt, die Treibhausblüten der Unnatur trug, auf allerlei ungesunde Keime gepfropft waren, die nun trieben und aufschössen, ohne wurzelecht zu sein.

Was nützte hier auf dem Lande das vielseitige Wissen, das doch nur in einem Mädchenkopf Stückwerk blieb, und was frommten die schönsten Künste, wenn sie nur Spielerei und Zeitvertreib waren und die Hände für den wahren und echten Frauenberuf untauglich machten?

Salome hatte nur die romanhaftesten Gedanken im Kopfe, und dem Mutterauge war es nicht entgangen, daß das brennend ersehnte Ziel all ihrer Träume und Wünsche eine möglichst schnelle Heirat war.

Das schmerzte und verletzte die warmherzige und gemütvolle Frau aufs tiefste, und oft stützte sie das Haupt schwer seufzend in die Hand und dachte voll Erbitterung an die Stunde zurück, wo sie ihr Kind vertrauensvoll von sich gegeben, um es, an Herz und Seele entfremdet, wiederzuerhalten. Wohl rechnete sie in ihrer nachsichtigen Güte mit der achtzehnjährigen Eitelkeit, die den Pensionsgenossinnen gegenüber Triumphe feiern will, aber sie hieß sie nicht gut, und hoffte, daß ihr Töchterchen noch durch eine ernste und gewissenhafte Schule im Elternhause gehen würde, ehe sie selber dazukäme, sich den eigenen Herd zu gründen.

Ganz unter der Hand wollte sie daran arbeiten, aus der kleinen Salondame eine künftige Hausfrau zu formen. Wie schwer es aber ist, Unkraut aus einem jungen Menschenherzen zu jäten, das lernte sie erst voll bitterer Sorge bei diesem Bemühen kennen.

An ihrem Mann fand sie leider in dieser Beziehung gar keine Stütze und Hilfe. Der Major war wie vernarrt in seine kluge Älteste, und fand alles, was seine Frau an ihr tadelte, gerade besonders hübsch und lobenswert.

»Ach Unsinn! Hausfrauentalente! Die hat ja unsere Rose aus dem Effeff! Eines schickt sich nicht für alle, und unsere elegante, kunstsinnige Salome paßt nur für einen Salon! Ein Mann, der dem Kinde nicht eine ihr angemessene Existenz bieten kann, kriegt sie eben nicht!«

»Und wenn sie sich in einen armen Mann verliebt?«

»So albern ist sie nicht!«

»Aber Männchen!«

»Aber Mutterchen!«

»Haben wir uns nicht auch auf die schmale Kaution hin geheiratet?«

»Ja, wir zwei! – Du resolutes, fleißiges Prachtfrauchen hast es auch dein Leben lang sauer genug gehabt, weil du mich armen Kerl genommen hast!«

Sie legte den Kopf lächelnd an seine Brust, und er küßte sie. »Ich war glücklich, Väterchen! Gebe Gott, daß Salome just so glücklich und zufrieden werden möge!«

»Dazu gehört bei dem verwöhnten Racker mehr, als ein Herz und eine Hütte! – Und das weiß sie auch; glaub' mir, das Mädel macht niemals einen dummen Streich, dazu ist ihr Verstand viel zu groß, und ihr Herzchen viel zu klein!«

»Leider, leider!«

»Papperlapapp! Leider! Ein Glück, daß es so ist. Die Zeiten haben sich geändert. Früher schuf die Liebe das Glück, heute das Geld! Unsere Jugend hat besser gelernt zu rechnen, als wir ehemals. Höre das Kind doch mal reden! Wie ein Buch. Ich verstehe oft nicht und begreife nicht, wo das grüne Gänschen schon solche resignierte Ideen über die Ehe her hat!«

»Ich weiß es leider zu gut. – Ach, daß man alle die nichtswürdig frivolen Romane, die unsere Jugend zu Skeptikern und Verächtern alles Hohen und Heiligen macht, verbrennen könnte!«

»Na, na, Dorchen, grolle nicht! – 's ist nun mal zeitgemäß, haben das Banner unserer Ansichten durch unsere Jugend getragen, die modernen Kinder tun das gleiche. Predigen und eifern hilft da nichts, die modernen Kinder müssen selber ihre Erfahrungen machen und das Lehrgeld dafür zahlen. Keine Arzenei umsonst; unser fieberkrankes, überreiztes Zeitalter muß noch manchen Heller in des lieben Herrgotts Apotheke tragen, wenn es gesund werden will! – Laß es seinen Gang gehen, und laß Salome nach ihren Ideen heiraten, sie wird sich schon ganz energisch durch das Leben bringen, das Zeug dazu hat sie ja!«

»Aber im Haushalt muß ich sie zuvor noch gründlich anweisen, Ernst, es ist meine Pflicht!«

»Bilde dir das doch nur nicht ein, Dorchen! – Sie lernt es doch nicht, weil ihr der ganze Kram langweilig und zuwider ist! Wie kann sie mit blauroten Händen Zither spielen? lind ihre Händchen sind meine ganze Augenweide! Es ist mir ein gräßlicher Gedanke, mein blondes Elfenkind als Aschenbrödel zu sehen – geradezu ein gräßlicher! Für meine Salome muß ein Prinz kommen, der sie auf Händen durchs Leben trägt! Für einen anderen bin ich nicht zu Hause, Mutterchen, denn für einen anderen wäre sie viel zu schade!«

»Ich merke schon, das Mädel hat dir wieder vorlamentiert, daß ich sie in die Küche befohlen habe!«

»Ach was! – Denkt gar nicht daran! Wir haben den ganzen Morgen Graphologie studiert!«

»Ernst, ich beschwöre dich, steck' das Kind nicht mit dieser unsinnigen Marotte an!«

»Unsinnige Marotte?! Nimm es mir nicht übel, beste Alte, aber davon verstehst du nichts. Wenn man allerdings jede neue, hochinteressante Wissenschaft für Unsinn erklärt, hört die Weit auf, fortzuschreiten. Backe und brate uns was Gutes, mein Dorchen, und laß deine kleine Rose Adjutantendienste dabei tun – ich habe mir die Salome zum Generalsstabsoffizier ausgesucht, und lasse ihn mir nicht abkommandieren, hörst du, Frau Major? Ganzes Bataillon kehrt!!«

Was war da zu machen? – Seufzend verließ Frau Nora den Gatten, der seelenvergnügt pfeifend zu dem großen Gartenhut griff, um bei dem Prachtwetter einen Gang durch den Park und die Neuanlagen zu tun.

Weiche, balsamische Luft wehte ihm entgegen. Der herrliche Blick, den man von der Freitreppe des schloßartigen Hauses genoß, entzückte den Besitzer stets von neuem.

Sammetartig gepflegte Wiesen, von der mannigfaltigen Pracht bunter Teppichbeete durchschnitten, dehnten sich bis zu dem dunkelschattigen Fichtengange, hinter dem, in malerischem Wechsel die Laubwipfel des Parkes, jetzt in die zartesten Schleier inngen Maiengrüns gehüllt, emporragten.

Eine graziöse Traueresche, prächtige Rotbuchen, Akazien und Platanen umstanden das Gutshaus in poesievollen Gruppen zu beiden Seiten, und ließen linker Hand den Silberspiegel eines Teiches durchblitzen, auf dem weiße Schwane ihr Gefieder im Sonnenglanz badeten.

Hochaufatmend, so recht ein Bild wohligen Behagens, stand der Major, die Hände in den Taschen der grauen Jagdjoppe versenkt, und musterte das kleine ihn umgebende Paradies.

Nun begann seine gute Zeit. Er konnte wieder reiten, fahren, auf die Jagd gehen, Fische angeln und Spaziergänge in die Felder wachen – lauter Vergnügungen, die er sich, seines immer heftiger werdenden »Feldzugsrheumatismus« wegen, im Winter nicht mehr erlauben durfte.

Und darum war der Winter langweilig; er haßte ihn. Nie nahe kleine Kreisstadt, die umliegenden Garnisonen hatten bisher noch wenig Abwechslung geboten, denn da noch keine Tochter im Hause Welfen ausgeführt wurde, waren es zumeist nur die älteren Herren, die hier und da einmal zum Diner und Whist in Jeseritz einkehrten.

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Die vielen langen, einsamen Tage aber saß der pensionierte Offizier in seinem bequemen Sessel am Fenster und las sich die Augen müde. Da hatte ihm ein Zufall wissenschaftliche Abhandlungen über die Graphologie in die Hände gespielt.

Er las und begeisterte sich. Das war ja eine ganz unglaublich amüsante Beschäftigung, den lieben Nächsten an der Hand etlicher Schriftzüge so genau zu durchschauen, als habe er die ehrlichste Generalbeichte über all seine Mängel und Vorzüge abgelegt.

Nielsen war Feuer und Flamme. Er verschrieb sich alle diese Wissenschaft betreffenden Werke, studierte sehr eifrig und war bald ein leidenschaftlicher Graphologe. Kein Zettel, kein Brief – keine Schusterrechnung, keine Einladung, die nicht bis auf das Tippelchen auf dem i untersucht und begutachtet wurde. Was anfänglich ein harmloser und heiterer Sport war, artete bald zur Manie aus. Ein paar absonderliche Schrullen hatte der alte Militär schon zeitlebens gehabt, sie schmolzen jetzt zusammen zu der einen, schier unheimlichen Marotte, die Handschrift von Freund und Feind zu deuten.

Und dies blieb nicht eine launige Beschäftigung, sondern artete oft in fatalster Weise aus. Da ein paarmal seine Deutungen das Wahre gestreift hatten, war Welfen nun von seiner hohen Wissenschaft so felsenfest überzeugt und hielt sein Urteil für derart unfehlbar, daß er sich hinreißen ließ, Leute in unmotivierter Weise zu verdammen oder in den Himmel zu heben.

Er hatte den Verkehr mit seinem ältesten Jugendfreunde ohne Grund abgebrochen, weil er behauptete, aus dessen Schrift nur Falschheit, Hinterlist und Egoismus zu lesen, und er nahm ohne Besinnen die allgemein sehr gefürchtete Tante Sidonie, die ihm einen höchst boshaften, verleumderischen und giftigen Brief über ihre »unerträglichen« Schwestern schrieb, in sein Haus auf, lediglich, weil er behauptete, in der Handschrift der alten Dame drücke sich sehr viel Herzensgüte, Milde und Charakterfestigkeit aus; sie sei eine verkannte Perle und werde von den Schwestern nichtswürdig behandelt, darum sei es Pflicht, die verfolgte Unschuld vor ihnen zu retten.

Frau Dora schüttelte oft sehr mißbilligend den Kopf. »Aber Ernst! Warum beziehst du deine Zigarren nicht mehr aus dem alten Geschäft, das dir nun schon seit zwanzig Jahren den Bedarf zur vollsten Zufriedenheit liefert?«

»Weil ich den Kerl als Betrüger erkannt habe! Da hier – sieh seine Schrift an! Keine Spur von einem soliden und reellen Charakter, alles Schwindel. Ich nehme meine Havannas jetzt von Bilderboom & Compagnie – die Schrift verbürgt volle Ehrenhaftigkeit.«

Und er nahm die Zigarren von Bilderboom & Cie., sie waren bedeutend teurer und entschieden schlechter – Dora fand ihren Geruch nichts weniger als fein. Auch Welfen schien es zu finden. Er rauchte seit der Zeit nur halb so viel wie früher, aber er wäre lieber gestorben, ehe er seine geliebte Graphologie bloßgestellt und zu dem alten Lieferanten zurückgekehrt wäreGegenüber den Freunden der Graphologie sei ausdrücklich bemerkt, daß die Verfasserin keineswegs eine Verspottung dieser Wissenschaft beabsichtigt, sondern sich, wie aus der weiteren Entwicklung des Romans hervorgehen wird, nur gegen die dilettantische Übertreibung wendet. Die Verlagsbuchhandlung..

Jetzt dachte der Major weder an Schriftzeichen noch verdächtige Schnörkel und Häkchen! Die Natur schreibt ihre Frühlingspsalter nicht mit Feder und Tinte, sie läßt sie von keinem Menschenwitz deuten und enträtseln, ihre wonnigen Verheißungen von urewiger Auferstehung, von der heiligen Majestät des Schöpfers aller Dinge, von dem süßen Geheimnis junger Minne, das sie mit sonnengoldenem Stift in den Kelch der Rose gräbt!

Nein, Herr von Welfen dachte zuerst fröhlich schmunzelnd:

»Ernst, Ernst! Alter Junge, was hast du für einen Dusel gehabt, daß du dies Jeseriß erbtest!« Und dann überlegte er, daß er ein wenig spazieren reiten wolle, und rief dem just vorübergehenden Gartenarbeiter den Befehl zu, den »Meteor« sofort satteln zu lassen. Als der Alte diensteifrig davoneilte, fiel ihm wieder ein, daß er ja im Garten nach den Vergißmeinnicht hatte sehen wollen, ob sie nun endlich aufgehen würden oder nicht.

Es hatte ihn schwer ärgern können, wenn es die Racker nicht getan hätten. Damit hatte es folgende Bewandtnis.

Unlängst hatte er einmal in uralten Raritäten gekramt, als seine Frau in längst vergessener Truhe nach dem Taufschein Roses suchte. Sie benötigte diesen zur Konfirmation. Da blickte er über die Schulter seiner Frau und amüsierte sich, was für Kostbarkeiten seine liebe Alte zum ewigen Andenken aufbewahrt hatte, Myrtenkranz, Schleier und Sträußchen – Endchen von Band und Spitzen, vergilbte Menüs und ein »Stammbüchlein« – Salomes erste Schuhchen und Roses Hampelmann, eine zerbrochene Tasse, aus der während eines Manövers König Wilhelm von Preußen getrunken – mit Rosabändchen umwunden ein Packen stark abgegriffener Briefe, »aus unserer Brautzeit« stand daraus. »Und was sind das für welke Blumen?«

Frau Dora lächelte wie im Traum und hob den trockenen Strauß empor. »Kennst du ihn nicht wieder, böser Mann?« schalt sie, und ihre schönen Augen sahen gar zu jung zu ihm empor, »diesen Gruß brachtest du mir ja, als wir uns verlobten!«

»Wahrhaftig, Schatz?« Er neigte sich gerührt und nahm das Bukettchen zur Hand. »Hm ... lauter Rosen und Vergißmeinnicht!« nickte er zärtlich, »ei – und sieh mal hier, Mutterchen – – an diesen Vergißmeinnicht hängen sogar noch ein paar volle Samenkapseln!!« Er löste die Kapseln ab, und die seinen schwarzen Körnchen rieselten ihm in die Hand. »Nun sieh mal an, Dorchen! Das nenne ich wirklich ein treues Vergißmeinnicht! Ob der Samen wohl noch aufginge, wenn man ihn säen würde?«

»Undenkbar!«

»Warum? Ich habe neulich noch gelesen, daß ein Kirschkern, der in einer Braunkohle aufgefunden wurde, der also schon Taufende von Jahren verkapselt dagelegen hatte, doch noch gekeimt hat!«

»Eine Zeitungsente, Alterchen!«

»Wenn man jede Mitteilung anzweifeln soll, braucht man keine Bücher und Zeitungen zu lesen! Ich wette, dieser Samen geht auf!«

»Gut, probiere es und säe ihn! Vergißmeinnicht aus unserm Verlobungsstrauß!! Bald zwanzig Jahre alt – das würde geradezu ein Wunder sein!«

»Von diesem Vergißmeinnicht sollen unsere Mädels auch ihre Verlobungssträuße geschnitten bekommen!« sagte er feierlich.

Frau von Welfen lachte: »Dann sorge nur dafür, daß die Freier mit den Blumen zugleich aus der Erde schießen!!« neckte sie.

»Wird schon werden!« Er gab ihr einen Kuß, »wenn Salome erst wieder daheim ist – und die Vergißmeinnicht blühen ... dann schüttelt der liebe Herrgott wohl auch noch einen zweiten Mustermann, wie deinen teuren Gatten hier, aus dem Ärmel – für unsere Älteste!« – und damit entleerte er die Kapseln sorgsam in die hohle Hand und schritt eifrig zur Tür, um den warmen Sonnenschein sofort zu benutzen und das Auferstehungswunder seines Verlobungsstraußes in Szene zu setzen.

Das beste, wärmste Plätzchen hatte er dazu im Garten ausgesucht, und er war Tag für Tag dorthin gepilgert, voll Ungeduld, ein paar grüne Spitzchen aus der Erde gucken zu sehen. Es kamen aber keine, und das verdroß ihn gewaltig. Salomes Ankunft, ein neues interessantes Buch und dann etliche Tage Regenwetter hatten diese bereits sehr langen, täglichen Inspektionsbesuche unterbrochen.

Heute fielen dem Major die Vergißmeinnicht wieder ein, und obwohl er selber bereits einen gelinden Zweifel in die Leistungsfähigkeit der ehrwürdigen, schwarzen Körnlein gesetzt, schlenderte er dennoch durch die köstlich sonnigen Parkwege, bis hin zu der bemoosten Ruine in den alten Anlagen, wo die Vergißmeinnicht auf ängstlich geheimgehaltenem Beetchen zeigen sollten, was sie konnten.

Prüfend neigte sich Herr von Welsen nieder. Ein Stutzen, ein scharfer Ruck, und er lag beinahe bor dem Unglaublichen, Entzückenden auf den Knien! Sie kamen! Sie kamen!!

Nein, es war keine Täuschung. Zarte, runde Blättchen kämpften sich aus dem losen Erdreich hervor; zwar nicht viele, aber doch einige! Wirkliche, wahrhaftige Vergißmeinnicht!

Ein paar Minuten stand der Major wie in seliger Verzückung! Dann wallte es wie Stolz und Triumph in seinem Herzen auf! Sollte er bis nach seinem Spazierritt warten, ehe er diese Nachricht seiner Frau zukommen ließ? Nein, das wäre rücksichtslos, das wäre ein Verbrechen gewesen!

Uns dem nächsten Weg zu ihr! Gewiß war sie jetzt in der Küche, es wurden ja schon eifrig Vorbereitungen zur Konfirmation der kleinen Rose getroffen. Übermorgen sollte sie stattfinden, und fraglos kamen viele Gratulanten aus dem Städtchen und der Umgegend. Da wollten Küche und Speisekammer gerüstet sein, und er hatte es ja ganz genau gehört, wie Nora der Mamsell die Treppe herabgerufen hat: »Die Schnepfen, die Bachmann gestern abend geschossen, wollen wir zu einer kalten Pastete verarbeiten, Minchen! Ich komme nachher und helfe dabei!«

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Der Besitzer von Jeseritz schmunzelte schon im Gedanken daran; im Geschwindschritt durcheilte er die Kieswege, den Gemüsegarten und den daran stoßenden Geflügelhof. Noch eine kleine Biegung um den Seitenflügel des Hauses, und die vergitterten Souterrainfenster der Küche lagen vor ihm. Er donnerte mit beiden Mausten dagegen. »Dora! – Dora!! Bist du hier?!«

Das runde, sonst so mild und freundlich wie der liebe Vollmond glänzende Gesicht der Mamsell Minchen kam angstverzerrt zum Vorschein.

»Ach Herr Major! Herr Major! Ist ein Unglück passiert?«

»Unsinn! Bei solchem Netter kann sich nur Glückliches ereignen! – Marsch, vorwärts! Rufen Sie mal meine Frau her!«

Die Mamsell atmete erleichtert auf und legte den Kochlöffel aus der Hand, um sich die Dinger respektvoll an der blütenweisen Schürze zu reiben. Das war ihrer Ansicht nach »gutes Benehmen«. In Gegenwart der Herrschaft durfte kein Mehlstäubchen an den Dingern haften bleiben.

»Die gnädige Frau wurde eben nach oben gerufen, Herr Major!« flüsterte sie mit frommem Augenaufschlag, »der Herr Pfarrer ist gekommen und will mit den Damen noch wegen der Konfirmation sprechen!«

»So! – Deibel auch!« – Welsen kraute sich halb verlegen, halb unschlüssig in dem vollen Haar: »Da mag ich nicht stören, diese Unterhaltungen sind so mächtig ernsthaft, und wen der kleine Pastor einmal festnagelt, sitzt er hoffnungslos seine paar Stunden im Sessel ab! Na, Mamsell, da bestellen Sie meiner Frau einstweilen: Die Vergißmeinnicht kämen! Haben Sie verstanden? – Die Vergißmeinnicht kämen! Extra zur Vorfeier von Roses Konfirmation! Ich würde es ihr gern selbst gesagt haben, aber ich bin eilig, will noch ausreiten, hören Sie Minchen? Gleich bestellen! Na, dann backt und bratet mal was recht Extrafeines zusammen! Kleine Schneckenpastete, he?« – Und mit sehr verschmitztem Lächeln nickte er dem wackeren alten Jungferchen zu und stiefelte wie mit Siebenmeilenstiefeln davon – nach dem Wirtschaftshofe, woselbst der prächtige Goldfuchs schon wartete und voll Lenzeslust und Übermut in das Gebiß schäumte.

Mamsell Minchen aber stand noch mit offenem Munde und starrte dem rätselhaften Sprecher nach. Wer kommt? Die Vergißmeinnicht? Wer um Himmels willen ist denn das schon wieder? Und gar zu Tisch – so überraschend – erst um zehn Uhr sich anzumelden!! Und dann verlangt der Herr Major noch was sehr feines Gebratenes auf den Tisch? Ei du lieber Gott! Das ist ja eine schöne Bescherung, gerade heute, wo so viel zu tun ist! Und die treue Seele schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stürzte davon, Fräulein Salome einstweilen zu benachrichtigen.


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