Nataly von Eschstruth
Jung gefreit - 1
Nataly von Eschstruth

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V.

Gnädiges Fräulein! gnädiges Fräulein!!«

Salomes Stimme schnappte beim schönsten hohen Ton der ganzen Gnadenarie über: »Robert! Robert mein Geliebter –« wie herrlich hatte sie es geklagt, und nun muß ihr die verdrehte alte Mine einen so unsinnigen Schrecken in die Glieder jagen!

Sie fuhr mit den weißen Händchen hoch in die Luft Und schnellte herum.

»Grundgütiger!! Was ist passiert?!!«

Mamsell preßte beide Hände gegen den Busen, der nur durch die zwei Stecknadelköpfe der Latzschürze markiert wurde, und rang nach Atem.

»Auch das noch, gnädiges Fräulein!« stieß sie hervor, »Plätterei ... Kuchenbacken ... großes Reinemachen vom Keller bis zum Boden, und dazu noch unerwartet Gäste zu Tisch, um deretwillen Umstände gemacht werden müssen!«

Salome hatte sich schnell erholt. Bei dem Worte »Gäste« ging es sogar wie ein sehr vergnügliches Ausleuchten über ihr Gesichtchen. »Aber Mamsell, ich bitte Sie! Das ist ja doch riesig nett! Wer kommt denn?«

»Nett? Herr des Himmels, auch noch nett finden Sie das! Was wird die gnädige Frau sagen!« jammerte Mine fassungslos.

»Freuen wird sie sich! Selbstverständlich nur über angenehmen Besuch! So sagen Sie doch nur, wer es ist?«

Mine schüttelte den Kopf. »Weiß ich nicht! Der Herr Major sagte: ,Die Vergißmeinnicht kämen!' Wer aber damit gemeint ist, das werden die Damen wohl besser wissen als ich!«

»Nie Vergißmeinnicht?« Salome starrte nachdenklich einen Augenblick geradeaus. Dann lachte sie plötzlich laut auf und schlug wie in höchster Lustigkeit die Hände zusammen. »Die Vergißmeinnicht – oh, ich verstehe! Papa nennt die blauen Husaren im Scherze so! Da werden sich wohl ein paar von den Offizieren zur Schnepfenjagd angemeldet haben!«

Mit gottergebenem Ausblick nickte die Alte vor sich hin. »Ja, sa, das wird's sein! Die Herren Offiziere! Os waren ja öfters schon Husaren hier! Aber wegen der Schnepfenjagd kommen sie diesmal nicht, der Major deutete an, es sei zur Vorfeier von Fräulein Roses Konfirmation –«

»Wie? Zur Vorfeier? – Das ist ja entzückend! Da haben wir doch wenigstens Vergnügen davon –«

»Vergnügen von einer Konfirmation!« Mine sah sehr vorwurfsvoll aus – »aber Fräulein Salome, ich denke doch, die Herren werden nur recht feierlich gratulieren und dann wieder nach Hause fahren!«

Das junge Mädchen errötete. »Hier denkt man allerdings sehr strenge darüber!« stimmte sie hastig zu, »in der französischen Schweiz und in Frankreich hat man andere Ansichten! Dort wünschen sich die Konfirmandinnen meistens ein Tanzfest zum Abschluß der Feier, denn sie sagen: sie ist doch hauptsächlich dazu da, daß wir von Stund an für erwachsen gelten und uns amüsieren können wie die großen Leute!«

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»Oh! Oh! –« wehrte Mamsell entrüstet mit beiden Händen ab, »welch eine gotteslästerliche Sünde! Unser Pfarrer erlaubte dermalen sogar nicht einmal, daß wir zur Konfirmation Geschenke erhielten, denn er sagte: Das lenkt den Sinn nur ab, und beschäftigt bei leichtlebigen und flatterhaften Mädchen Herz und Seele lebhafter, als der Inhalt dieser ernstesten aller Weihen! Aber was schwatze ich da! Das gnädige Fräulein wird ja selbstverständlich bei unserer gut deutschen Ansicht geblieben sein und die nichtsnutzigen französischen Sitten ebenso verachten wie wir! Und die Gäste, Fräulein Salome! Die Gäste! Was fangen wir nun an? Gnädige Frau darf ich doch jetzt nicht stören, und selbständig ein Diner bestimmen darf ich doch auch nicht. Wenn das gnädige Fräulein mir nur sagen wollte, was ich Herrichten soll!«

»Papa wollte es besonders sein haben?« Salome sah etwas verlegen aus und schien froh, dem Gespräch eine andere Wendung geben zu können.

»Gewiß,« jammerte Mamsell – »sogar die Schnepfenpastete will er heute schon!«

»Ist sie denn schon fertig?«

»Sie kocht und erkaltet wohl noch bis zu Tisch.«

»Nun, dann sind Sie ja sein heraus, Minchen! Ein Braten wird doch schon aufzutreiben sein?«

»Das Filet ist noch zu frisch und muß bis zu dem eigentlichen Festtag bleiben!« Das sanfte Gesicht der Sprecherin sah sehr energisch aus. »Von dem Suppenfleisch einen Schmorbraten machen, das ginge wohl, ist aber nicht sehr fein.«

»Wir haben ja massenhaft Geflügel auf dem Hof!«

»Es ist halb zwölf Uhr. Schlachten und rupfen und gleich in die Pfanne? – So frisches Zeug schmeckt wie Leder.«

»Aber bestes Minchen, wenn's doch nichts anderes im Hause gibt, dann machen Sie den Schmorbraten und damit basta!«

»Ach, gnädiges Fräulein, Sie nehmen die Sache so leicht, aber mein Renommee! Es fällt ja alles auf die Kochmamsell, wenn's nicht gut ist, o und die Herren Husaren, die sind so schauerlich verwöhnt! – Ich werde lieber den Puter nehmen, der auch zur Konfirmation sollte, und dann einen neuen schlachten lassen – und das Rindfleisch mit einer guten Meerrettichsauce und Brühkartoffeln nach der Suppe – dann einen Fisch – Bachmann muß uns Karpfen aus dem Teich schaffen –«

»Wird nicht gehen, Mamsell, die müssen doch auch erst hängen!«

»Müssen hängen?«

»Natürlich! So frisch geschlachtet und gleich in den Topf, da kochen sie sich am Ende auch wie Leder –«

Das alte Jungferchen wurde sehr rot im Gesicht und fing an zu husten, zu gleicher Zeit öffnete sich die Tür, und Frau von Welfen trat ein. Der Pfarrer hatte sich heute sehr bald wieder empfohlen, da er noch verschiedene Visiten vor sich hätte.

»Die Mama! – Gottlob die Mama!«

Frau Dora blieb verblüfft stehen, als sie ihre Älteste und die Wirtschafterin so eifrig im Gespräche sah, und dann beide in vollster Lebhaftigkeit auf sie einstürmten.

»Mama! Die Husaren kommen heute zu Tisch! Haben sich eben angemeldet!« jubelte Salome, den letzten Hauch jener sentimentalen Stimmung, in die sie die Gnadenarie soeben noch versetzt hatte, überwindend.

»Die Husaren?!«

»Ja, die Husaren! Zur Vorfeier der Konfirmation! Gewiß sind sie am Festtage selber verhindert zu erscheinen und wollen heute schon gratulieren.«

Frau von Nielsen schien unangenehm berührt.

»Wie überflüssig! Ich liebe solch geräuschvolles Feiern und namentlich ein Vorfeiern absolut nicht. – Werde das den Herren auch sagen und sie bitten, von einer Gratulation abzustehen. Rose erscheint heute nicht in Gesellschaft – ich finde es unpassend.« Sie wandte sich zu Mamsell, der die Genugtuung aus den milden, dunklen Augen strahlte.

»Wie viele Personen meldeten sich an, Minchen?«

»Das weiß ich nicht, gnädige Frau! Davon sagte Herr Major nichts; er wollte nur alles recht sein haben.«

»Salome, lauf' einmal zu Papa und frage, wer käme.«

»Ach, der Herr Major ist eben fortgeritten!«

»Mein Himmel, wie fatal! Es ist doch ein Unterschied, ob man für zwei oder sechs Personen mehr zu kochen hat!« –^ Ärgerlich schritt Frau von Nielsen im Zimmer auf und nieder. »Es trifft sich gar zu ungelegen! – Gerade heute! – Um wieviel Uhr kommen die Herren?«

Fräulein Minchen sah wieder sehr verlegen aus. »Davon sagte Herr Major auch nichts!« flüsterte sie kleinlaut und sichtlich erschreckt.

»Keine Zeit bestimmt? Wie rücksichtslos! Auf wann soll man da das Essen einrichten?!«

»Die Herren kennen ja unsere Tischstunde, gnädige Frau, sie sind immer um drei Uhr hier gewesen.«

»Gut – sagen wir also wie stets, um drei Uhr. – Sieh doch mal Salome, ob Papa Tante Sidonie etwas Näheres darüber gesagt hat!«

Das junge Mädchen warf spöttisch das Wäschen zurück. »Suche einer Tante Sidonie! Sie hat die große blaue Brille auf und ist mit der Botanisiertrommel auf einer Studienreise!« »Dann sieh, ob vielleicht in Papas Stube ein Brief liegt aus dem wir das Nötige erfahren können! Und wir wollen in der Küche Kriegsrat halten, Minchen. – Salome!!«

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Die Einteilende blieb auf der Türschwelle stehen. »Mamachen?«

»Es wäre mir lieb, wenn du uns heute ein bißchen in der Küche zur Hand gingest, damit die Mädchen erst noch mit dem Reinemachen fertig werden!«

Sie wandte sich um, und sah nicht das unwillige, schmollende Gesicht ihrer Tochter, Mamsell aber kicherte ganz leise und flüsterte: »Ach, gnädige Frau! Was hat unser Salomechen für närrische Sachen in der Pension gelernt! Sie will die Karpfen erst ein paar Tage an die Luft hängen, damit sie mürbe werden!!«

Eine große, hastige Tätigkeit entwickelte sich im Hause, die Rose nicht verborgen blieb, als sie ihr Zimmer, in dem sie fleißig Katechismus gelernt, verließ.

»Ach Fräulein Rose, es kommen ganz überraschend Gäste zu Tisch!« berichtete das Stubenmädchen, wie eine Rasende mit Besen und Eimer über den Korridor stürmend. »Ein paar Offiziere von den Husaren!!«

Das war dem Backfischchen unendlich gleichgültig, denn Rose hatte kein Interesse für junge Herren, und man erzählte sich im Nachbarstädtchen mit viel Vergnügen eine kleine Geschichte von ihr, die sich jüngst zugetragen hatte.

»Wenn du nun konfirmiert bist, Rose, mußt du bei Tisch erscheinen, wenn Gesellschaft ist« – hatte ihr Frau von Welfen erklärt, »und nächsten Winter bist du siebzehn Jahre alt und wirst als erwachsenes Mädchen zu Spiel und Tanz ausgeführt!«

Wie ein Jammerbild mit tief geneigtem Köpfchen hatte es die Kleine gehört und dann tief aufseufzend die Händchen gerungen »ach Mutter! Nächstes Jahr bereits? Warum so bald schon! Laß mich armes Wurm doch erst noch ein bißchen mein Leben genießen!!«

Darunter aber verstand sie sehr naiverweise noch ganz andere, bedeutend harmlosere Vergnügungen, wie Spiel und Tanz im Ballsaal – sie war im vollsten Gegensatz zu Salome noch völlig Kind, las weder Romane, noch träumte solche, tollte in glückseliger Ausgelassenheit wie ein junges Füllen in Feld, Wald und Wiese herum, und hätte gegen eine Tüte Bonbons oder eine Marzipantorte das ganze Husarenregiment kaltblütig eingetauscht.

Rose dachte an alles andere mehr, denn an Verloben oder Heiraten. Sie fühlte sich über die Maßen wohl und glücklich daheim und hatte oft mit ungestümer Liebkosung der Mutter versichert: »Weißt du, Mama – ich gehe nie von dir fort! Ich bleibe immer und ewig bei dir!«

Voll inniger Zärtlichkeit küßte Frau Dora ihr wildes Kind. »Dann mußt du ja eine alte Jungfer werden, meine Rosel?!«

Die Kleine lachte, daß die weißen Perlzähnchen blinkten. »Gewiß! Ist das etwa dumm? Im Gegenteil! Mamsell Mine hat auch nicht gefreit, oh, und wie behaglich und wohl fühlt sie sich! Du solltest mal sehen, wie reizend das droben in ihrem Stübchen ist, wie in einem Schmuckkästchen so sauber und schmuck! Friedlich, still, ohne knurrenden und übellaunigen Herrn der Schöpfung, ohne Zigarrenqualm und Kindergeschrei! – ›Nun leb' ich für mich, und kann tun und lassen was ich will!‹ sagte sie, ›und habe keine Sorge und Not!‹ Schon in der Bibel steht's geschrieben: ›heiraten ist gut, aber nicht heiraten ist besser‹!!«

Frau von Welfen hatte gelacht. »Um Gottes willen Kind, die Mine wird doch keine Männerfeinden aus dir machen?«

Ja, Mamsell Mine war auf dem besten Wege dazu, nicht durch altjüngferliche Verbissenheit oder grünspanige Ansichten das Ewigmännliche in Roses Augen anfeindend, sondern lediglich durch ihr Beispiel wirkend, wie ein tüchtiges altes Mädchen zufrieden und glücklich sein kann, ohne den Ehering am Finger.

Und wie die Schwestern in allen Dingen die grellsten Gegensätze waren, so nahm Rose sich in ihrem herbjungfräulichen Herzchen steif und fest vor, niemals die Sklavenketten eines zu dulden, während Salome nur ein heißes Verlangen kannte, so schnell wie möglich Kranz und Schleier zu tragen.

Auf die alarmierende Nachricht von dem überraschenden Besuch hin war Rose in vergnügtester Stimmung sofort in die Küche gestürmt. »Mama! Mama! Ich bin noch nicht konfirmiert! Ich kann doch noch bei Miß Howard essen?« – war die erste, sehr eifrige Frage,

»Gewiß mein Kind, es ist mir sehr recht.«

Salome blickte überrascht auf, und ein beinahe ironisches Lächeln spielte um ihren Mund. Sie begriff dieses Baby nicht.

Rose kannte allerdings nichts anderes als die tödliche Langeweile des Landlebens, aber gerade darum hätte man annehmen sollen, sie sehne sich doppelt nach etwas Abwechslung und Amüsement. Wäre es in Lausanne nicht so herrlich vergnügt und interessant gewesen und hätte man Salowe nicht schon völlig wie ein erwachsenes Mädchen behandelt und ihr alle Vergnügungen, sogar ein allerliebstes Tanzfest gegönnt, sie wäre gewiß nicht bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr in Penston geblieben!

»Hattest du eigentlich in Papas Zimmer einen Brief mit der Ansage der Herren gefunden?«

»Nein, Mama – nicht einmal das Kuvert im Papierkorb! – Sieh mal ... ist der gräßliche Schnee nun bald steif genug?!« – Sie hielt aufseufzend und unendlich gelangweilt, die Schüssel mit dem Eiweiß hin. – Rose warf einen flüchtigen Blick darauf.

»Na, ich danke! – Fließt ja noch! Gib mal her ... so macht man das!« – Und sie nahm mit energischem Griff den Drahtbesen und die Schale zur Hand und begann mächtig den Schnee zu schlagen.

»Es ist unerträglich heiß hier!« – stöhnte Salome und wischte sich mit dem duftigen Spitzentüchelchen über die Stirn.

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»Dann will ich dir mal einen guten Rat geben!« Rose machte im Eifer einen Lärm mit dem Schaumbesen, daß man sie kaum verstand, »geh' du hinauf und kümmere dich ein bißchen um das Tischdecken! Wulf ist gewöhnt, daß ich ihm dabei helfe.« Salome warf der Schwester einen sehr dankbaren Blick zu und band hastig die verhaßte Küchenschürze ab. »Ja, das tue ich gern! Namentlich recht hübsch mit Blumen ausschmücken! Darf ich welche aus dem Treibhaus holen, Mamachen? Es sind so herrliche Hyazynthen und Maiglöckchen da!«

Frau von Welsen hatte leise aufgeseufzt. Sie nickte mechanisch vor sich hin: »Ja, geh' nur! Ich sehe schon, du willst nichts bei uns lernen, und heute wäre eine so gute Gelegenheit gewesen, tüchtig hier zuzugreifen!«

Salome schmiegte sich zärtlich an die Sprecherin und sah ihr mit den großen Veilchenaugen flehend in das Antlitz: »Mutterchen, sei nicht böse!« schmeichelte sie; »es macht mir wirklich gar kein Vergnügen, in der Küche zu stecken – und gegen seine Aversionen kann der Mensch nicht ankämpfen! Was soll ich hier! Du und Mine und Rose seid wirklich drei Fachkünstler ersten Ranges, und ihr werdet viel schneller fertig, wenn ich euch nicht dazwischen herum pfusche! – Adio, mia bella Napoli!« sang sie schelmisch, nickte der kleinen Schwester, die sich mit lust- und eiferblitzenden Augen die weggeworfene Küchenschürze vorband, noch einmal dankbar zu und eilte hastig hinaus.

»Salome!!«

»Ja!«

»Schick' mir sogleich mal Bachmann her! Er muß Karpfen aus dem Teich holen!«

»Sofort, Mamachen! – will's besorgen!« – klang es wie ein Echo zurück.

In der Küchentür stand Wulf. »Gnädige Frau, ich bitte um die Schlüssel zum Silberspind ... möchte noch ein wenig nachputzen! Für wieviel Personen darf ich decken?«

Frau von Welsen zuckte die Achseln. »Ich ahne nicht, wie viele Herren kommen, Wulf! Decken Sie für vier Gäste, stellen Sie aber noch etliche Gedecke bereit, falls mehr Personen kommen.«

»Und wie viele Weingläser pro Kuvert?«

»Damit warten Sie lieber, bis der Herr Major zurückkommt. Suppenwein, Tischwein und einen Rheinwein zum Fisch gibt es bestimmt; ob Sekt gereicht werden soll, weiß ich nicht.«

»Befehl, gnädige Frau!«

»Sie hatten sich wohl gerade zurecht gemacht, um in die Stadt zu fahren und die Einkäufe zu besorgen?«

»Befehl, gnädige Frau, der Wagen stand schon bereit.«

»Sehr ärgerlich. Im ganzen Leben ist mir noch kein Besuch so ungelegen gekommen wie heute.« Frau Dora lief aufgeregt auf den Flur und rief in das Treppenhaus empor: »Marie! Jette! Wie weit seid ihr mit den Salons?!«

»Wir machen eben die Portieren wieder auf, gnädige Frau!« klang es aus weiter Ferne zurück.

»Werdet ihr rechtzeitig fertig? Sonst holt euch noch die Schmedemann aus dem Dorf zu Hilfe!«

»Danke schön, gnädige Frau! Es wird schon gehen!!«

Frau von Welsen eilte noch ein paar Schritte weiter den Korridor entlang: »Miß Howard!!«

»Yes!« Eine Tür wurde langsam geöffnet, und die blasse, überschlanke Engländerin erschien auf der Schwelle, ein mächtiges Buchzeichen, in das sie die letzten Buchstaben von Roses Konfirmationsspruch einstickte, in der Hand.

»Ich habe sehr viel zu tun, gnädige Frau,« sagte sie sehr phlegmatisch in gebrochenem Deutsch: »ich muß beenden diese Geschenk für Rose dear!«

»Unmöglich, beste Miß! – Sie müssen mir heute helfen! Wir haben alle Hände nötig! – Oben in den Zimmern Staub wischen! Fangen Sie da an, wo die Mädchen fertig sind!«

»Oh yes ... es seien sehr trostlos!« seufzte die Tochter Albions, und Frau Nora verschwand wieder in der Küche.

Währenddessen war Salome in ihr Zimmer geeilt, um sich die Hände gründlichst zu waschen und jede Spur, die die entsetzliche Küche zurückgelassen, eiligst zu verwischen. – Schrecklich! Alles roch nach Zwiebeln, Bratendunst und andern greulich prosaischen Dingen – o und die Hitze und der Wasserschwaden! Wie in einem russischen Dampfbad! – Selbstverständlich, die Stirnlöckchen lösen sich gleich auf, und Mehlstaub auf dem Ärmel ... und ein Eiweißspritzer an der Taille! Es ist zum Verzweifeln! Nun muß sie wieder von Kopf bis Fuß neu Toilette machen! Ein Trost wenigstens, daß sie sich zu Tisch doch hätte umziehen müssen!

Nein, die Passion der Mama, sie in die Küche zu sperren, ist grauenhaft, und Salome wird alles aufbieten, sich solcher Lehrzeit zu entziehen.

Kochen – lächerlich!! Wozu? Heutzutage hat es keine Dame nötig, das ist Aufgabe der Köchin. Und heiraten, ohne die Mittel zu haben, eine ganz perfekte Köchin zu halten? Niemals!

Salome ist viel zu sehr als Kind ihrer Zeit erzogen, um es nicht als Hauptbedingung zu erachten, eine gute Partie zu machen! Gefallen muß ihr der Zukünftige freilich auch, aber von der Liebe allein lebt man nicht, das wissen unsere modernen Damen ebensogut wie die Herren.

Ein Herz und eine Hütte gehört zu den veralteten Wertherschwärmereien, über die unsere Jugend ebenso spöttisch lächelt, wie man sie zu Anfang des Jahrhunderts mit Tränen der Rührung feierte.

Andere Zeiten, andere Sitten,

Als Salome durch den köstlichen Sonnenschein, unter Blütenknospen und maiengrünem Gezweig einherschritt, um im Gewächshaus Blumen für den Tafelschmuck zu holen, schaute sie hochaufatmend um sich, wohlzufrieden und froh der Herrlichkeit ringsum, ohne dennoch den wahren Genuß von dieser Schönheit zu haben.

So schwärmerisch sie veranlagt schien, und so sehr sie mit tränenschwimmenden Augen wie in Verzückung zum Himmel emporlächelte, wenn sie Wagnernmusik hörte, einen Roman las, oder sonst ein Kunstwerk bewunderte, ebenso ungerührt eilte sie an der zauberhaftesten Frühlingspracht vorüber, denn diese war ja etwas Selbstverständliches, Natürliches und darum macht man als gebildetes Mädchen kein Aufhebens davon.

Man hatte sie nur gelehrt, die Kunst und Unnatur anzuschwärmen, und sie tat es, wie es die Dressur verlangte, mit Augen und Gesten, ohne im tiefsten Herzen das zu empfinden, womit sie kokettierte. Während die Vöglein ihre süßen Lieder junger Liebeswonne über ihr zwitscherten, dachte Salome voll brennenden Interesses einzig darüber nach, ob wohl unter den Husaren ein Graf und Majoratsherr sei, schön, vornehm und reich genug, um ihr begehrenswert zu erscheinen – und als sie in dem Gewächshaus hastig und unbarmherzig die entzückenden Blütenzweige abschnitt und mit kühl musterndem Blick erwog, ob sie wohl genug Effekt auf dem Tisch machen würden, kam ihr kein Gedanke: Wie schön sind diese Blumen! Wie berauschend ihr Duft! – Wie groß die Allmacht und Gnade dessen, der sie erschaffen! – Nein, Salome überlegte nur, welche Toilette sie wohl anlegen solle, um sich so vorteilhaft wie möglich einem etwaigen Freier zu präsentieren.

Als sie mit dem hochgefüllten Körbchen in den Garten zurücktrat, überlegte sie einen Augenblick, ob es wohl ratsam sei, direkt nach dem Eßsaal zurückzugehen.

Wozu, um womöglich wie eine Kellnerin um den Tisch herumzulaufen und decken zu helfen? – Shocking!! – Erstens hielt sie das absolut unter ihrer Würde, und zweitens war es ja lächerlich, Wulf derart zu verwöhnen! Mama und Rose schienen leider das Prinzip zu haben, überall den Dienstboten die Arbeit abzunehmen. In der Pension hatte sie das nicht gelernt, denn es war eine der ersten und vornehmsten Pensionen, in der die jungen Mädchen für das viele von ihnen bezahlte Geld auch völlig als Damen behandelt und von A bis Z bedient wurden.

Den Tisch decken! – Lola und Juliette würden ja Lachkrämpfe bekommen, wenn sie so etwas hörten. In Rußland und Frankreich bekümmern sich die Damen nicht um den Haushalt, nur in dem verbauerten Deutschland arbeitete die musterhafte Hausfrau in Reih und Glied mit den Dienstboten!

Nein, Salome würde sich nicht zur Sklavin von Küche, Keller und Kinderstube machen – sie würde Geld haben, um Dienste, die sie verrichtet haben will, zu bezahlen.

Schnell entschlossen wandte sie sich um und schritt in den Park hinein, um noch eine kleine Promenade zu machen und die Zeit möglichst zu vertrödeln. Wenn sie heimkam, war wohl der Tisch gedeckt. Langsam schritt sie dahin, und das Sonnengold umfloß ihre reizende Gestalt, die so maienfrisch und jung anzuschauen war, und doch eine so alte, angekränkelte Seele, und ein so kaltes, vom Gifthauch der Welt so früh berührtes Herzchen barg. Ihre Gedanken zogen durch das Köpfchen, und kehrten, wie so oft schon, zurück zu jenem Erlebnis in der Eisenbahn, das ihr für lange Zeit den Geschmack am Reisen verdorben hatte!

Noch immer verfolgte sie die Erinnerung an die unbeschreibliche Angst, die sie ausgestanden hatte. Noch immer sah sie das Bild ihres Ritters vor sich, dieses Mannes, dem sie ihre Rettung aus größter Gefahr verdankte.

Oh, er sollte ja nicht glauben, daß sie ihn nicht durchschaut hatte! – Salome hatte sich alles in Gedanken zurechtgelegt, und war zu folgendem Resultat gekommen. Der Landrat suchte die Spur der Hochstaplerin – durch die Depeschen war ihm Fräulein von Welfen aufgefallen; möglicherweise hatte ihr Äußeres mit dem Signalement übereingestimmt, und er hatte sie lediglich zu sich in sein Coupé »geflüchtet«, um sie desto sicherer überwachen und in Halle verhaften lassen zu können. Durch ihre Lügerei und Renommage hatte sie ihn völlig in seiner Überzeugung, die Verbrecherin vor sich zu haben, bestärkt, und doch ... doch gab er sie frei und rettete sie!

Wie kam das, wie war das möglich? ..-«' ,

Sehr einfach. Er hatte sich in sie verliebt. – Jene große, gewaltige, alles bezwingende Liebe, die den Kriminalbeamten zum Helfershelfer – ihn selber zum Verbrecher machte. – War das nicht Poesie? War das nicht ein Liebesmotiv, um Zola und Tolstoi zu begeistern?

Salome berauschte sich stets von neuem an diesem Gedanken, er entzückte sie immer mehr, je öfter sie ihn ausspann.

Welche Leidenschaft hatte sie ihm eingeflößt! Was für eine Tat von ihm! Sie, die schöne Sünderin, hatte er gerettet, mit Einsatz seiner selbst, denn wie leicht hätte es ihm Stellung und Ehre kosten können!

Daher seine Erregung und Besorgnis in Halle auf dem Bahnhof! Daher sein wundersames Mienenspiel, das Zucken und Arbeiten seiner Züge ... ein Vulkan der Liebe loderte in ihm, das verzehrende Feuer der Leidenschaft, und er bezwang sich wie ein Held, er preßte seine zitternden Lippen nur auf ihre Hände, er reichte ihr nur die Veilchen dar, gleich einem stummen Aufschrei wilder Liebesqual! Wie oft hatte sie solche Szenen in den Romanen gelesen, wie hatte sie sich mit den Freundinnen in solche Situationen hineingeträumt – und nun erlebte sie selbst den großartigsten aller Romane! – Jetzt – ja jetzt, nach glücklich überstandener Gefahr, war es schön, an dieses Erlebnis zurückzudenken, namenlos schön! Aber ein zweites Mal? Salome schauderte, nein, nie wieder! Sie würde sich eher die Lippe blutig beißen, ehe sie sich mit falschem Namen und Titel schmückte! – Sie hatte von dem Landrat gelernt – viel gelernt ... Er, der mit diesen kriminalistischen Sachen zu tun hatte, wußte und kannte die Gefahr, er hatte sie in zartester und taktvollster Weise gewarnt. – Nie wieder ein Abenteuer auf Reisen! Das hatte Salome sich zugeschworen.

Künftighin reiste sie grauverschleiert und stumm, auch in dieser Fasson hochinteressant und doch ungefährdet!

Das Rätsel der unaufhörlichen Depeschen hatte sich bald gelöst, als jede der drei Tanten schrieb, die andere als namenlos töricht und gedankenlos anklagte und sich selber beweihräucherte, noch rechtzeitig an die und jene Stationen telegraphiert zu haben!

Darüber großes Vergnügen in Jeseritz.

»Aber Kind! Dann hast du beinahe auf jeder Station dasselbe Telegramm erhalten?« lachte der Major schallend auf.

Ja, das mußte Salome eingestehen, aber von ihrem Erlebnis mit dem Landrat von Born verriet sie keine Silbe. Wie sollte sie auch! Hätte sie nicht Tadel, Vorwurf und Spott geerntet? Die Mutter dachte so strenge über derartige Sachen, und außerdem blamierte sich die geistreiche, studierte Tochter nicht gern.

Und dann ... wie schön war gerade dieses Geheimnis! Wie interessant, wie zauberhaft Tag und Nacht an »ihn« – den Retter – zu denken. Wo lebte er? – Dachte er noch an sie? – Würde sie ihn je im Leben wiedersehen? – Welch tiefe, wohlige Seufzer der Wehmut, wenn sie sich dumpf und trostlos sagen mußte – nie!

Und doch ... die heimliche, stille Hoffnung! Ein Mann, der sich so über alle Begriffe leidenschaftlich verliebte, konnte nie wieder gesunden. Es würde ihn ruhelos durch die Welt treiben, sie zu suchen, zu finden, sie für Zeit und Ewigkeit zu eigen zu nehmen!

Welch ein Roman! – Salomes Wangen glühten, wenn sie daran dachte! –

War die Gestalt des Landrats nicht auch völlig dazu angetan, die Heldenrolle in jedem Buche zu spielen? Zwar glich er nicht dem Ideal des jungen Mädchens, aber die lebhafte Phantasie schmückte sein Bild mit den glühendsten Farben und machte ihn wohl oder übel zu dem Ritter sonder Furcht und Tadel, wie er so gern in den Köpfen ganz jugendlicher Fräulein spukt.

Selbstverständlich hatte sie Lola und Juliette das ganze Erlebnis unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit mitgeteilt, und die Antworten der beiden Intimas hatten sie recht verstimmt. Juliette schrieb etwas sarkastisch: »Wenn er dich so sinnlos liebte, warum benutzte er nicht das Alleinsein mit dir, um dich zu küssen?« ... Als ob unsere deutschen Männer sich derart frech und frivol benehmen würden, wie ihre Pariser Roués, denen die Ehre einer Dame nicht mehr heilig ist! – Oh, Salome würde ihr schon eine geharnischte Erklärung schicken, daß ihr Beschützer ein sittenreiner, göttlich edler Lohengrin gewesen, der zum Schutze der bedrängten Unschuld das Land durchzieht, kein räuberischer Zampa, der als Bedroher der Unschuld erscheint! ... Und weiter schrieb Juliette: »Wenn er sich wahrlich so bodenlos in dich vernarrte, warum folgte er nicht deiner Spur, warum suchte er dich nicht wieder auf? – Non, non, ma petite phantaste – er liebt dich nicht!« –

Das war Neid, nichtsnutziger Neid von diesem infamen Franzosending! – Salome hatte den Brief in tausend kleine Stücke gerissen und der Absenderin gegrollt, ihr, die nicht an die Liebe ihres tugendhaften Retters glauben wollte, selber aber vierzehn Seiten lang renommierte, was für zahllose Eroberungen sie schon in dieser Zeit gemacht habe. – Der Teppich im roten Salon sei von all den Kniefällen schon ganz abgenutzt, und ihre petite maman, die sichtbar Alternde, sei voll rasender Eifersucht auf die Tochter, die ihr alle Courmacher abspenstig mache!

Lügen! Nichts als gemeine Lügen! Salome war überzeugt, daß Juliette log, aber sie ärgerte sich trotzdem zum Schlagrühren! Und Lola trieb es nicht viel besser.

»Ist die Sache so, wie du schreibst, muß er dir nachkommen und dich heiraten oder entführen. Hält er dich für eine Verbrecherin, muß ihn die Leidenschaft derart überwältigen, daß er an deiner Seite mit dir sündigen – oder mit dir sterben will! –- Lies doch Zola! Lies doch Tolstoi oder Strindberg! Kein Verliebter schreckt vor einer Untat zurück. Wenn dein Held dir nicht nachfolgt und dich nicht zu finden weiß, um dem Roman einen würdigen Schluß zu geben, so hast du dir die ganze Sache nur eingebildet! Er ist Gatte – Vater von fünf Kindern, und denkt nicht mehr an dich!«

Empörend! Gatte! Vater! – Oh, dieser Gedanke allein war Verrat an ihrer Freundschaft! Sie hatte zwar unter dem Handschuh keinen Trauring erkennen können, aber das ganze Benehmen des Landrats war unverheiratet! Auf jeden Fall unverheiratet! Aber Lola zweifelte aus Mißgunst, sie ärgerte sich, daß sie höchstens von der sehr dämlichen Verehrung des Hauslehrers berichten konnte, der glühende Gedichte verfaßte, während er ihren kleinen Bruder unterrichtete, und sie in einem Blumenstrauß jeden Tag in das Zimmer legte. Für morgen hatte sie ihm endlich ein Rendezvous in der Stube ihrer Jungfer bewilligt.

Wie gemein! – Salome war so angeärgert, daß sie das Benehmen der Freundin mit dem richtigen Worte nannte! Nein, so würde sie sich niemals benehmen; lieber sterben. Sie sah aus den Briefen der beiden Mädchen doch klar, welch verderbte Wesen es waren.

Die reine, lautere Luft in Jeseritz hatte unbewußt schon gesundend auf sie gewirkt! Sie hatte nicht umsonst wieder in das Mutterauge geschaut, und etwas von dem Geist gespürt, der in dem deutschen Elternhause waltet.

Die Entrüstung über die skeptische Auffassung ihres idealen Traumes wirkte ebenfalls heilsam. Sie streift den Nimbus der Unfehlbarkeit von den bewunderten Genossinnen und beleuchtete sie greller und schärfer als zuvor.

Aber der Gedanke! »Warum kommt er nicht? Warum folgt er mir nicht nach, wenn er mich liebt?« blieb dennoch als Stachel in ihrem eiteln Herzen zurück.

Was hätte sie für sein Kommen gegeben! Nicht weil es eine große, sehnende Liebe in ihr befriedigte, sondern weil es ein unbezahlbarer Triumph für sie sein würde!

»Komm! – Komm!! – Komm!!!« rief Salome unwillkürlich in die stille Frühlingspracht hinaus, und horch ... Dort über die Wiese schallt Antwort. Sie preßte die Hände auf die Brust und lauscht atemlos.

O bittere Enttäuschung. Mißchen erscheint mit einem riesigen gelben Sonnenschirm.

»Gott sei Dank, daß ich Ihnen entdecken hab'! Die Mister Wulf fraien in ein Uansinniges nach the flowers

Schade! – Sie war entdeckt. Sie mußte nun wohl oder übel heim. Es wurde wohl auch Zeit, Toilette zu machen.

Resigniert schritt sie der Engländerin entgegen und folgte ihr schweigend in das Haus.

Sie hatte den Landrat gerufen – konnte ihn ihr Gedanke nicht zwingen, wirkte er nicht wie eine Suggestion auf ihn – so liebte er sie in der Tat nicht und dürfte sich nicht wundern, wenn sie nun nicht länger auf ihn wartete, sondern sich – womöglich heute schon – mit einem schönen, reichen Husarengrafen verlobte.

 


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