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XXVI.

Endlich, endlich! Er war gefunden!

Mit glühenden Wangen kniete Rothtraut vor der großen Eichentruhe, mit den schweren, gedunkelten Schnitzereien und den verzinkten Beschlägen, welche sich so wuchtig und breit verschnörkelt darüber hinlegten, als hätten sie alle Schätze des Königs Laurin zu hüten!

Das Schlüsselbund rasselte in den kleinen Händen, ein ölbestrichenes Federchen ward hastig über den verrosteten Schlüssel mit dem breitdurchlöcherten Kopf geführt und dann energisch in das Schloß geschoben. »Hurra! Bravo! Bravissimo! Er dreht sich!«

Ja – er dreht sich doch! Rothtraut hatte es sofort in ihren tiefsten Gedanken behauptet, als sie im Saal droben im perlengestickten Schlüsselschränkchen dieses Bund mit dem so eigenartig verzwickten Schlüssel gesehen.

Wie gut hatte sie es doch gegen den armen Kopernikus! Sie ward weder angezweifelt, noch mußte sie für ihre Behauptung das Leben lassen. – Sie bestand darauf: er dreht sich doch! – schmierte den Widerspenstigen mit Mamsells bestem Salatöl so energisch ein, daß er triefte – schob ihn abermals ins Schloß und … er drehte sich.

Nicht ohne Anstrengung, aber mit leuchtenden Augen und fieberndem Interesse stemmte sich die Kleine gegen den wuchtigen Deckel und hob ihn. Das verrostete Eisen der Angeln knirschte und gab schrillen Ton, dann fiel das massive Eichenholz schwer gegen die Wand zurück, der geheimnisvolle Schrein stand offen.

Rothtraut jauchzte leise auf. Ein köstlich interessanter Moderduft, von einem Hauch Moschus und Lavendel gleich einer entweichenden Seele durchzogen, strömte ihr entgegen.

Obenauf lag ein weißes Linnentuch, von braunen Stockflecken durchschossen, das zog sie ungeduldig ab, und dann erschien – als hätte sie es geahnt – wirklich die alte Herrlichkeit, welche sie gesucht! Seitlich eine große, blaue Papierschachtel, mit einem Strohband verknotet, als sie es anrührt, fällt es von selber ab, so brüchig ist es geworden. Schnell geöffnet.

O du ewiges miraculum! Eine Muffe, oder ist's ein Schlittenfußsack? – Nein, eine Muffe von unglaublicher Dimension – die ganze Rothtraut könnte mit Sack und Pack in ihm verschwinden, eine richtige, gravitätische Urgroßmuttermuffe, so ein Ding, welches im Dictionnaire amoureux »ein atlasgefütterter Briefkasten für Liebende« genannt wird!

Wer weiß, was für rosa Billets eine teure Urahne darin verborgen hielt –! Nach dem Taxatum der Kleinen hätte sich hier mit Fug und Recht die ironische Warnung für den Liebhaber anbringen lassen: Fallen Sie nicht in den Briefkasten!! Brr – wie er haart! Zurück mit ihm zu der ehrwürdigen Zopfperrücke, welche neben einem gestickten Strickbeutel in den Tiefen der Schachtel lauert ...

Hier ein kleiner, grüner Kasten, hübsch gemalt mit blauroten Rosen und steifen Vergißmeinnicht, in deren Halbkranz ein M. T. mit Krone gemalt ist. – Ach herrje! Ein Myrtenkränzchen, mit trocknen, weißen Rosen und regelrechter veilchenblauer Seide umwunden. Verblaßte, rosenfarbige Strumpfbänder, auf welche mit Seide »Marianne« gestickt ist, und ein riesengroßes Spitzentaschentuch mit dem gleichen Monogramm wie auf dem Kasten. Hier ein zusammengefaltetes Papier – eine schwarze Silhouette ... Männerkopf – hübsch, gradlinig, – mit einer Perrücke ... vielleicht dieselbe, welche hier bei der Muffe logiert!

Rothtraut wird es ganz feierlich zu Mut. Rührung und Wehmut. – Sie legt die Sachen mit spitzen Fingerchen wieder zurecht und stellt den Kasten beiseite. Und nun! – Blaue Seide knistert ihr entgegen, auch voll Stockflecke und brüchig – aber fest und schwer wie ein Brett. – Ein Kleid! – Ein uraltes Kleid mit kurzer Taille! – Köstlich, wie für einen Maskenball!! Und hier ein ähnliches Mullkleid mit grüngestickter Blätterguirlande und einer spitzen Schleppe ... und ein grün und rosa gewirkter Seidenshawl – so fein und duftig wie Crêpe – und vergilbte Spitzentüchlein – und Bänder – hier ein Packet mit Kreuzbänderschuhen... und da noch eine Schachtel... Hüte und Hauben!! Daß Gott in deine Hände!! Was für spaßhafte Ungetüme! Wäsche, Miederleibchen, Unterröcke – alles vorhanden! Rothtraut tanzt vor Freude um die Raritäten herum! Was wird man für Augen machen, wenn sie diesen Fund präsentiert!

Und wie sie das denkt, kommt ihr ein köstlicher Gedanke!

Niemand ahnt etwas von ihrem Forschungsunternehmen.

Sie wird sich den Witz machen, sich als Urgroßmutter anzukleiden und die Leute zu überraschen! Großartige Idee!

Fiebernd vor Übermut und Vergnügen wählt sie schnell die schönsten Dinge aus, packt das andere hurtig in die Truhe zurück, klappt sie zu und flüchtet mit ihrem Raub in das Schlafzimmer. Dort wird Toilette gemacht.

Himmel, welch ein Spaß! Wie sie aussieht!

Na, mager ist sie nicht in Lichtenhagen geworden, Grübchen auf Hals und Armen – hier in dem ausgeschnittenen Kleid sieht man's erst, was sie für ein Dickchen geworden! Und nun die Gürtelschleife gebunden und den Shawl um die Schulter – und dann – alle Wetter, der Hut! Rothtraut lacht schallend auf, als sie sich in dem Spiegel sieht. Welch ein Gebäude auf ihrem Kopf, Federn, Blumen, Spitzen, – wie ein Wagenrad steht es um ihr rosiges, kleines Gesicht, unter dessen Kinn die maigrünen Bindebänder zur Schleife geschlungen werden.

Filethandschuhe –! schade, sie sind auch ein bischen reichlich groß, ebenso wie die Schuhe, welche ihr von den Füßen fallen würden, wenn sie nicht von den Bändern gehalten würden.

So, – nun wäre sie soweit.

Prachtvoll! Entzückend! Leibhaftig die Ahnfrau Marianne!

Wie wird Emma loskreischen – und Mamsell – und Schaal –: »Et spukt! et spukt!« werden sie zetern und an eine schreckliche Geistererscheinung glauben.

In der Halle wird sie sich aufstellen und ihnen auflauern.

Charitas ging leider vor ein paar Minuten über den Hof nach dem Backhaus, – wenn sie doch bald wiederkäme!

Rothtraut huscht wie ein entzückendes, lebendiggewordenes Bild aus alter Zeit in die Halle zurück und schaut sich um, wo sie sich am vorteilhaftesten postieren könne.

Da – dicht neben der Thür ... aber horch – Schritte draußen auf dem Hof, auf den Treppenstufen ... Das ist Charitas!

Und mit blitzenden Augen springt die Kleine auf den Schemel vor der Thür und denkt: »Brillant! Nun mach nur die Thür auf, mein Liebchen, dann fliege ich dir um den Hals!«

Und der Drücker klappt herunter, die Thür wird kraftvoll geöffnet, – gleichzeitig mit recht hohler, geisterhafter Stimme ein: »Sei mir gegrüßt!« – Rothtraut biegt sich vor und faßt stürmisch zu – – und dann ein leiser, zitternder Schrei und ein höchst verblüfftes: »Alle neun Donner!!« aus rauher Männerkehle. Auf der Schwelle steht Klaus Sterley und hält das reizendste Phantasiegebilde im Arm, welches er je geschaut, von welchem er in seiner ersten, ungeheueren Überraschung faktisch nicht weiß, ist es Spuk oder Wirklichkeit?

Aber er hält den wonnigen, kleinen Geist fest, drückt ihn nur stürmischer an die Brust, je entsetzter die großen Blauaugen ihn anstarren, und hat das Gefühl, als ob heiße, lohende Feuer ihn umsprühten, als ob alle Sonnenglut in sein Herz herabgeflossen sei, es in himmelhoch aufjauchzendem Entzücken zu entflammen.

Und der erste Schreck verfliegt, Rothtraut blickt in sein Antlitz, blutrot steigt es in ihre Wangen, sie weiß nicht, was sie sagt, was sie thut, sie weiß nur, daß er da ist.

»Klaus!« jubelt sie, »Klaus!« und die Arme, welche sie um seinen Hals geschlungen, schließen fester, krampfhafter: »Klaus!«

Ihre eigene Stimme weckt sie aus der Betäubung, sie schrickt zusammen, reißt sich entsetzt los, schlägt wie in verzweifelter Scham die Hände vor das Antlitz und stürmt davon.

War das ein Spuk? – Nein, das war Leben; heißes, junges, herzaufquellendes Leben!

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Wie ein Wonneschauer rieselt es ihm durch alle Glieder.

So flüchtig er sie auch nur geschaut, er hat mit dem Auge des Malers, des Künstlers genug gesehen, so wenig er auch von ihr vernommen, er hörte genug aus dem einen Jubelschrei, welcher sein Herz bis in die tiefsten Tiefen erzittern ließ.

Rothtraut! – Sie war es, sie muß es gewesen sein!

Das liebe, holdselige Kind, von welchem Josef schrieb, daß sie sein Bild so freundlich mit Blumen geschmückt habe, daß sie die Skizzen aus seiner Studienmappe voll wahrer Begeisterung kopiere.

Rothtraut!

Sie nannte ihn bei Namen, sie kannte ihn nach dem Bilde, und sie freute sich, daß er kam!

Welch ein offener Himmel voll Seligkeit in ihrem Blick!

Wahrlich, so hat noch kein Mädchenauge ihn angestrahlt, so rein, so ehrlich, so voll süßer Kindlichkeit und doch voll heißer Liebe!

Liebe? Liebt sie ihn? Undenkbar, sie kennt ihn ja noch gar nicht, und doch, sie liebt ihn, so wie er plötzlich sein ganzes Herz in ihren Banden fühlt, und doch war auch sie für ihn kaum mehr wie ein Bild ...

Klaus strich wie ein Träumender über die Stirn, tritt über die Schwelle und zieht die Thür hinter sich zu. Sein Blick schweift voll sehnender Ungeduld umher, den süßen, kleinen Spukgeist zu suchen, – da knarren die Stufen der Wendeltreppe, eine Dame, rüstig und stattlich, wenn auch mit ergrauten Scheiteln unter der kleinen, schwarzen Spitzenhaube, steigt hernieder.

Wie in überraschter Frage trifft ihr Blick den fremden Herrn.

Klaus tritt ihr lächelnd mit chevaleresker Verneigung entgegen. »Frau Geheimrat von Damasus?« fragt er mit sonnigem Blick, »ich erlaube mir, Ihnen und Ihrer Güte einen Tischgast zu octroyieren – Klaus Sterley.«

Und während Frau von Damasus den überraschenden Gast voll Herzlichkeit begrüßt, während auch Charitas eintritt und ihm voll innigen Dankes, mit ganz wundersam leuchtenden Augen die Hände drückt, während die drei im Salon zusammensitzen und plaudern, liegt Rothtraut in ihrem Stübchen auf den Knien und drückt das glühende Antlitz in die Sesselkissen. Sie lacht und weint, sie weint und lacht. Und während ihr junges Herzchen vor dem größten, heiligsten Rätsel ihres Lebens steht, vor der Liebe, welche nicht gedeutet und erklärt werden kann, welche kommt und da ist, welche als einziger Schlag zwei Herzen durchzuckt, welche nicht nach Grund und Ursache forscht, sondern nur liebt und nichts anderes will als lieben, da klingt es abermals wie jauchzendes Sturmgebraus durch ihre Seele:

»Er kam wie der junge Frühlingswind,
Goldblond seine Locken, sein Fuß geschwind;
Ins Auge die ganze Welt gedrängt.
Ach, der eine Blick hat das Herz mir versengt!
Und ich stand, als ob ewig so schauen ich müßt.
Er hielt mich umschlungen ...

Und leise, leise, wie verheißungsvoller Klang von knospenden Myrtenzweigen –

Er hat mich geküßt!« –

War dies wirklich noch das alte Lichtenhagener Gutshaus, welches so lange Jahre unter dem staubigen Schleier der Vergessenheit in tiefem Traum gelegen?

Lachen, Singen, heiteres Geplauder und jugendfrisches Leben, ein rühriges treppauf und treppab!

Klaus Sterley hatte das verzauberte Dornröslein aus dem Schlaf geweckt, und er sorgte dafür, daß es die lachenden Augen nicht wieder schloß. Er war Klein-Rothtraut voll frischer Harmlosigkeit entgegengetreten, als sie mit gesenkten Augen und Schamesröte im Antlitz zu Tisch erschienen war, und er hatte ihr durch sein sicheres und gewandtes Wesen schnell die alte Munterkeit zurückgegeben und jede peinliche Verlegenheit verscheucht.

Ja, es dauerte nicht lange, da neckten sie sich in übermutigster Weise hin und her über den eigenartigen Empfang, welcher ihm geworden, er nannte sie »Urgroßmütterchen« und sie ihn einen »Einbrecher«, und des Scherzes war kein Ende.

Da erfuhren auch Frau von Damasus und Charitas von dem Mummenschanz, welchen die Kleine ausgeführt, und Fräulein Reckwitz bestand voll großer Dringlichkeit darauf, daß Rothtraut sich noch einmal als Frau Marianne zeigen solle.

Sie versprach für den Abend eine zweite Vorstellung, und Klaus neckte: »Aber ganz genau so wie heute morgen! Wenn Sie Angst haben, es klappt nicht, können wir ja üben.«

Sie errötete und gab ihm zur Strafe nur die kleinere Hälfte von dem Apfel, welchen sie soeben geschält.

Und Klaus saß wie von süßem Zauber befangen und konnte gar nicht satt werden, in dieses reizende Kindergesicht zu sehen.

»Den Mann hat's!« sagt man in Süddeutschland von einem, welchem es zwei Schelmenäuglein mit erstem Blicke angethan.

Und diese Bande waren so wonnesam und unlöslich, daß sich ihnen Klaus rückhaltslos hingab. Charitas sah, gottlob! so frisch und belebt aus, ihre Augen leuchteten so seelenvoll aus dem freundlich ernstem Antlitz, daß er gar keine Gelegenheit fand, sich ihr tröstend und sorgend zu widmen, ja es deuchte ihm oft, als thue sie alles, ihm die entzückende Eigenart der jungen Freundin in das beste Licht zu stellen und all sein Interesse auf sie zu lenken.

Sie wußte die widerstrebende Rothtraut zu bestimmen, ihre Kopien zu holen, und Sterley war begeistert, ein solch inniges Verständnis für seine Kunst bei ihr zu finden. Es wurden gemeinsame Malstunden verabredet, ein Spaziergang in den Park unternommen, wo es sich stets von selbst machte, daß Klaus an Rothtrauts Seite verblieb.

Ihr schelmisches Geplauder mutete ihn an wie Lenzeswehen, und die verräterischen Blicke, welche hier und da unter den langen Wimpern aufleuchteten, berauschten ihn geradezu.

Was hatten diese wenigen Stunden aus ihm gemacht! Welch ein Wechsel und Wandel hatte sich mit ihm vollzogen!

Und als der Kamin wieder sein rotes zuckendes Flackerlicht in die Halle warf, da schwebte mit süßem Schelmenlächeln ein kleiner Spukgeist über die Schwelle: Rothtraut, die Ahnfrau, voll Grazie und Übermut ihre Spukrolle spielend, hinreißend lieblich anzusehen, daß alles Blut siedend heiß in Sterleys Schläfen schoß und er mit bebenden Lippen hervorstieß: »So muß ich Sie malen, Fräulein Rothtraut, ich muß!« Und als sie sich neckend, voll geisterhafter Schelmenhaftigkeit verbeugt, daß der Schein des Kienbrandes über das sammetweiche Gesichtchen mit den großen, großen Spukaugen weht, und mit furchtbar grauliger Stimme sagt: »Nein! In Essig und Öl marinieren lasse ich mich nicht!« – da bedarf er der größten Selbstbeherrschung, um nicht aufzuspringen und das herzige Ding ebenso ungestüm und fest in die Arme zu schließen wie heute morgen!

Mit brennender Stirn schreitet er schließlich durch die rauhe Nachtluft heim und hat nur noch einen beseligenden, berückenden Gedanken: »Rothtraut!«

Die Sterne flimmern am klaren Himmel, sie rücken vor seinen Blicken zusammen zu leuchtenden Schriftzeichen. »Rothtraut!« flammt es über ihm als Inbegriff alles dessen, was für ihn Himmel und Erde noch erfüllt!

Schritte klingen auf der stillen Landstraße. Josef kommt dem Bruder entgegen, und Klaus jubelt ihm zu, wirft den Hut in die Luft und fängt ihn wieder auf, breitet die Arme aus und singt mit schallender Stimme, ganz wieder wie ehemals, als übersprudelnd glückseliger Student, dem die ganze Welt offen stand. Und während er den Arm um den Stiefbruder schlingt und voll aufgeregter Heiterkeit plaudert, wird Josef stiller und immer einsilbiger, sein Haupt sinkt tief zur Brust, selbst bei dem fahlen Mondlicht muß es dem Beobachter auffallen, wie bleich sein Antlitz, wie einsilbig seine Antworten sind.

Aber Klaus beobachtet nicht, er ist viel zu sehr Brausekopf, um noch für etwas anderes auf der Erde Interesse zu haben, wenn sein Herz so überschäumend voll Glück und Jubel ist wie in dieser Stunde!

Aber seltsam, er spricht immer von der kleinen Damasus, er kann des Lobes und Entzückens gar nicht satt werden, er schwärmt von ihr wie ein Primaner, und Charitas, seine Braut, wird mit Stillschweigen übergangen, kaum, daß er seiner Freude Ausdruck gibt, wie frisch und sichtlich erholt aussehend er sie gefunden.

Was soll das bedeuten?

Klaus ist ein junger, lebensfroher Mann, aber er ist kein Flattergeist, welcher sich heute mit einer Dame verloben und sich morgen für eine andere derart begeistern würde.

Dazu ist er viel zu ehrenhaft, viel zu pflichtgetreu und brav. Auch wäre es eine absolute Unmöglichkeit, wegen eines Knöspchens wie Rothtraut die Rose Charitas vergessen zu können.

Ein wehes Lächeln irrt um Josefs Lippen.

Thor, der er ist, nachzugrübeln darüber.

Josef hat von dem landläufigen Geschwätz gehört, welches Rothtraut von Damasus die künftige Herrin von Lichtenhagen nennt. Dieses Gerede liegt ja so nahe.

Kein Mensch ahnt noch von den hochherzigen Plänen, welche er hegt. Man sieht nur, was vor Augen ist: die fremde Dame mit ihrer reizenden Tochter, welchen er selbst eine Stellung in dem Gutshaus eingeräumt hat, welche derjenigen einer Gebieterin sehr ähnlich sieht.

Frau Fama aber griff gierig das feine, kleine Fädlein der Möglichkeit auf und webte behende einen bräutlichen Schleier daraus. Und Klaus, dessen Seele des eigenen bräutlichen Glückes so voll, will in seiner Liebe und Dankbarkeit für den Bruder auch dessen Herzen wohlthun, indem er seine Erwählte in beinahe überschwenglicher Weise als Lieblichste und Anmutigste preist.

Es ist gut gemeint von ihm. Josef erkennt die Absicht und will den Eifrigen nicht durch allzu deutlich gezeigte Gleichgültigkeit kränken.

Er versucht, das Gespräch immer wieder so geschickt wie möglich auf Charitas zu lenken.

»Hast du schon mit Fräulein Reckwitz über die Pläne gesprochen, welche sie verfolgt?«

Klaus schwippt mit einer kleinen Gerte, welche er im Vorüberschreiten aus dem Gebüsch gebrochen, fröhlich durch die Luft.

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»Nein, Bruderherz, dazu war bei Gott noch keine Zeit! Ich weiß selber nicht, was eigentlich alles los war, aber wir hatten ununterbrochen etwas vor, sodaß zu einer ernsthaften Beratung niemand gekommen wäre. Wozu denn auch die Sache so überhasten. Es hätte ja ausgesehen, als wollten wir sie drängen, und eine Weile Frieden, Ruhe und Erholung würden dem unglücklichen Mädchen so wohl thun. Übrigens, was ich fragen wollte, mein Josef, wie alt ist Rothtraut eigentlich?«

»Entweder ist sie schon siebzehn, oder wird es demnächst. Auf alle Fälle ist sie noch ungeheuer jung. Aber was mich ungemein beunruhigt, Klaus, ist der Gedanke an den Vormund. Hast du denn gar nichts von den beiden schrecklichen alten Leuten gehört?«

»Rothtraut hat einen Vormund? Ach so, ganz recht, der Vater ist ja tot!«

»Unsinn, wer spricht von der Kleinen! Ich meine die Pflegeeltern Schaddinghaus und begreife es gar nicht, daß nicht schon alle Zeitungen von Steckbriefen wimmeln.«

»Ach so!« Klaus lachte. »Ja, das kann ich dir erklären. Ich ließ die beiden Alten natürlich von Weimar aus beobachten, na, und da kam als erste Nachricht, daß Frau Selma heftig erkrankt sei. Der grelle Klimawechsel hatte wohl Rache für Charitas geübt. Sowie das Fieber weg ist, soll sie sofort nach Montreux zurück.«

Die beiden jungen Männer waren in Krembs angelangt. Josef wandte sich zu der Hausthür, Klaus aber faßte seinen Arm. »Du mußt viel und, angestrengt arbeiten, Josef, und bist es gewöhnt, sehr früh zur Ruhe zu gehen. Ich bitte dich von Herzen, laß dich durch meine Anwesenheit in keiner deiner Gewohnheiten stören. Ich Großstadtmensch schlafe spät ein und atme mit wahrem Heißhunger die köstliche Landluft. Ich gehe noch eine Stunde spazieren, wenn es dir recht ist. Leg dich ungeniert zu Bett, ich denke, wir haben morgen desto mehr Zeit, uns angehören zu können!«

Sie trennten sich; beiden war es lieb, mit ihren Gedanken allein zu sein. Und die waren verschiedenartiger als je, hier »himmelhoch jauchzend« und dort »zu Tode betrübt.«

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Josef war in frühester Morgenstunde auf seinem Platz bei den Bergwerksarbeiten und, es war wohl schon neun Uhr durch, als Klaus bei ihm erschien und »Guten Morgen« sagte.

Er sah nicht mehr so strahlend glücklich aus wie gestern, ein Zug von Nachdenklichkeit und Niedergeschlagenheit lag auf dem frischen Gesicht, dessen sonst so leuchtenden Augen man es ansah, daß sie wohl einen großen Teil der Nacht durchwacht hatten.

Josef war gerade in lebhaftem Gespräch mit dem Obersteiger und Ingenieur begriffen, Klaus drückte ihm die Hand. »Ich gehe nach Lichtenhagen hinaus, du kommst doch heute zu Tisch, Bruder? Ich bitte dich inständig darum!«

»Ich hoffe, es möglich machen zu können; aber bestimmt ist jetzt nicht auf mich zu rechnen. Wenn ich um ein Uhr nicht bei euch bin, wartet nicht länger!«

Klaus stürmte nach Lichtenhagen. Er traf Rothtraut auf dem Hof zwischen ihren kleinen Trabanten, den Inspektorkindern. Dem schönen Wetter zu Ehren war die Schaukel angehängt worden, zwischen die beiden Kirschbäume, welche vor dem Syringengebüsch standen. Und Fräulein von Damasus hatte sich auf das Brett geschwungen und flog graziös, wie ein leichtes Vögelchen durch die Luft.

Die Arme erhoben, das lachende Gesichtchen erhitzt, die kleinen Füße von weichen Kleiderfalten umflattert, schwebte sie vor dem knospenden Gezweig, und Klaus sah diese Knospen zu tausendfachem Blühen erschlossen, seine Künstlerphantasie zeigte ihm das wonnige Elfchen zwischen duftigen Blumendolden und der schneeigen Frühlingspracht wiegender Kirschzweige – welch ein Bild!

Er stand neben ihr und blieb gebannt, er vergaß, daß es auch noch andere Damen im Hause zu begrüßen gab, ihre sonnige Heiterkeit verscheuchte alle Wolken von seiner Stirn und steckte ihn an zu Scherz und Maienlust!

Charitas schob lächelnd den Vorhang zur Seite. »Gott sei gelobt!« sagte sie aufatmend, mit einem Blick zum Himmel, in dessen Dankesausdruck sich unbewußt ein heißes Flehen mischte, und sie umfaßte das freundliche Bild draußen an der Schaukel mit innigem Blick, trat leise vom Fenster zurück und waltete ihres Amtes.

Josef war nicht zu Tisch gekommen.

Er saß einsam daheim in seinem bescheidenen Stübchen und starrte mit umflortem Blick in die freie, weite Landschaft hinaus, über welcher die ersten Dunstschleier grauer Dämmerung wehten.

Plötzlich ward hinter ihm die Thür aufgestoßen, Klaus stand auf der Schwelle, warf den Hut auf den Stuhl und trat mit schnellen Schritten neben den Bruder.

»Hast du Zeit für mich, Josef?« stieß er kurz und gepreßt hervor.

Erschrocken faßte der Gefragte seine Hand und starrte in das erregte, so seltsam verstörte und ernste Antlitz des jungen Mannes.

»Allmächtiger Gott, Klaus, was ist passiert?«

Laut aufstöhnend warf sich Sterley auf einen Stuhl und biß die Zähne zusammen.

»Ich bin ein Lump, ein elender, pflichtvergessener Lump!« keuchte er.

»Bruder! Mensch!«

Da griff Klaus voll nervöser Hast nach beiden Händen Torisdorffs. Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Wenn ich's nicht bin, nun, dann bin ich die unglückseligste Kreatur auf Gottes weiter Welt!«

Josef ward leichenblaß. »Sprich, was – was ist geschehen?« murmelte er.

Außer sich vor Erregung sprang Sterley empor und wühlte beide Hände in sein lockiges Haar.

»Ich kann sie nicht heiraten! Ich kann es nicht! Lieber sterben!«

Torisdorff umkrampfte seinen Arm. »Sprichst du von Charitas?« rief er rauh. Sein Auge flammte auf, eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Brauen. »Willst du sie unglücklich machen? Willst du sie verlassen? Klaus, ich habe dich ehrlich geliebt und geachtet, aber von diesem Augenblick an würde ich dich hassen, würde ich dich verachten als Buben!«

Sterley starrte den Sprecher mit weit offenen Augen an, seine Lippen bebten. »Du hast kein Recht, mir solch harte Worte zu sagen«, murmelte er. »Du darfst mich nicht verurteilen, ehe du nicht alles weißt, alles gehört hast – «

Was bedarf es noch der Mitteilungen?« brauste Josef leidenschaftlich auf. »Du hast dich verlobt, du hast ein Mädchen bethört, du hast dir ihre Liebe erzwungen!«

Klaus stand regungslos. Er schüttelte nur finster den Kopf, eine seltsame Ruhe war plötzlich über ihn gekommen.

»Nein, sie liebt mich nicht!«

»Sie liebt dich nicht und verlobt sich mit dir?«

»Sie verlobte sich nicht mit mir, sie wies mich sogar mit sehr entschiedenen Worten ab.«

»Klaus, phantasierst du?«

»Nein, ich schulde dir nur die genaue Wiedergabe all jener Dinge, welche sich in Catania ereigneten. Ganz so verworfen, wie du glaubst, bin ich nicht, ich könnte mich vor dir und aller Welt mit unantastbaren Worten rein waschen, aber vor meinem Gewissen, da stehe ich dennoch trotz aller Beweise und Gegenbeweise ungerechtfertigt! Laß dir alles erzählen, Josef! Wenn mich ein Mensch voll und ganz versteht, so bist du es, und wenn ich einen klugen und gerechten Willen über mir erkenne, so ist es der deine! Höre mich an und urteile, und was du mich zu thun heißt, das werde ich thun!«

Er legte die Hände mit bittendem Blick auf die Schultern Torisdorffs, drückte ihn sanft auf seinen Platz zurück und schritt selber mit schnellen, unruhigen Schritten vor ihm in dem Zimmer auf und ab, während Josef das Haupt in die Hand stützte und die Wimpern über die Augen senkte, wie ein Mensch, vor welchem sich plötzlich das Weltall schwindelnd im Kreise dreht.


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