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XVII.

In einer stillen, kleinen Seitenstraße, vier Treppen hoch, nach einem Garten hinaus gelegen, befand sich das Atelier Klaus Sterleys, ein hohes, luftiges Zimmer, mit breiter Glaswand und Oberlicht, welches mit all dem eleganten und üppigen Geschmack eines Millionärsohnes eingerichtet war.

So, wie ehemals James Franklin Sterley das Künstlerheim seines Sohnes eingerichtet hatte, war es im großen und ganzen erhalten worden, wenn Klaus seine vorderen, fürstlichen Räume auch gegen ein sehr bescheidenes, kleines Logis umgetauscht und die kostbarsten Stücke der Ausstattung verkauft hatte, um in der ersten Zeit des furchtbaren Wechsels über etwas mehr Bargeld verfügen zu können.

Als Josef und er ehemals das Abiturientenexamen bestanden hatten, schickte der Bankier die beiden Söhne für zwei Jahre auf Reisen, die Welt kennen zu lernen und die köstliche Freiheit zu genießen, ehe sich dieselbe unter der Signatur »akademische Freiheit« unter die selbstgeschaffenen, recht strengen Gesetze des Korps beugen mußte.

Während des zweiten Winters hatten sich die jungen Leute auch unter dem Schutz ihres Reisebegleiters nach Indien und Bangkok begeben, und von dort hatte Klaus eine wunderliche Sammlung von Raritäten heimgebracht, welche seinem Atelier einen ganz eigenartigen und interessanten Anstrich gaben.

Als Josef sich für den geistlichen Stand entschied, hatte er dem Stiefbruder auch seine Sammlung zum Geschenk gemacht, und nun strotzten die Wände des großen Lichtraumes und des anstoßenden Wohnzimmers von den herrlichsten Waffen, deren sametene, goldfiligrangeschmückten Scheiden oder Griffe es am deutlichsten zeigten, daß sie schon in manch brauner Faust blutigen Dienst gethan. Zwischen krummen Säbeln, deren breite, geschweifte Klingen wie Silberbänder gleißten, schoben sich seltsam schlanke, bunte Beduinenflinten, Rüststücke, greuliche Teufelsmasken und Bronzewaren, ragten die Elephantenzähne aus den Gewinden leuchtend farbiger Seidenshawls, kunstvolle Ampeln tragend, wie sie in Götzentempeln leuchten oder, an gebogenem Schiffsschnabel schaukelnd, ihr rotes Licht über die Fluten des Meeres werfen. Wunderlichkeiten aus Teakholz, Bambus, Nachbildungen kleiner Pagoden, Tierfelle, ausgestopfte Krokodile und fremdartige Kleidungsstücke, goldgestickte Decken und Schleier einigten sich zu origineller Schaustellung, und zwischendurch nickten schlanke Palmenwedel, schimmerten die weißen Marmorleiber der Antiken, lugten halb versteckt die Skizzen und Studienköpfe, frisch und flott, genial entworfen und frappierend durch eine Farbenharmonie, welche den seinen und doch in recht eigenen Bahnen wandelnden Geschmack des jungen Künstlers verriet.

Der Koksofen, welcher hinter dem mächtigen geputzten und goldgemalten Lederschirm versteckt stand, über dessen Rand eine wahre Wildnis von frischem Lorbeergrün, durchglänzt von den weißen Sammetkelchen künstlicher Lotosblumen, emporwucherte, strömte nur noch geringe Wärme aus, denn die Märzsonne schien vorzeitig warm und hell durch die Scheiben. Inmitten des Ateliers, auf hoher Staffelei stand ein vollendetes Gemälde, vor welchem Klaus Sterley gedankenvoll, weit zurückgelehnt im Sessel lag.

Seine Hand hielt noch Palette und Pinsel – und sein Blick schweifte prüfend, forschend und kritisierend über das Werk, ob sich nicht doch noch daran feilen und verbessern ließe.

Ein schönes, ungeheuer stimmungsvolles Bild.

Eine düstere, hochwogende See – grau in grau verschwimmend, mit einem wetterschwangeren Himmel, über welchen sturmzersetzte Wolkengebilde jagen. – Die Möve flattert auf, man glaubt ihren angstvollen Schrei durch Brandung und Sturmgebraus zu hören, – ein greller Lichtblitz zuckt über die eine ihrer weißen Schwingen.

Und im Vordergrund, im flatternden Riedgras, auf halbversandetem Runenstein sitzt die mantelumhüllte Gestalt eines Jünglings, das melancholisch ernste Antlitz zeichnet sich scharf ab gegen den drohenden Himmel, und in den Augen drückt sich eine so gewaltige, wundersame Sehnsucht – ein so düsteres Verlangen aus, – als habe der Sturm nicht nur die Tiefen des Meeres, sondern auch die einer jungen Menschenseele aufgewühlt, sie ringen zu lassen im verzweifelten Kampf gegen sich selbst.

Josef?

Jene Skizze, welche Klaus einst am Strand von Ostende so flüchtig und doch so treffend entworfen, hat er ausgeführt und ein Werk daraus geschaffen, welchem seine Lehrer voll Anerkennung und staunender Freude zugenickt haben.

Die Atelierthür öffnet sich: »Bist du noch daheim, Klaus?« und dann klingen Schritte näher.

Sterley hat nur gedankenvoll gelächelt, er streckt, ohne sich umzublicken, die Hand zurück. »Ist's schon Zeit, dear Schorsch?«

Ein Händedruck. »Donnerwetter! Famos! Da bläst einem ja eine nette Brise ins Gesicht, wenn man in den Rahmen guckt!«

»Auf Wort? – Kommts wie Seeluft?«

»Du bist ein genialer Kerl, Klaus! Du hast nicht nur die spielende Leichtigkeit der Technik, du hast auch Phantasie! Und das ist die Hauptsache. Ein Bild, bei welchem man sich nichts denken kann, ist kein Kunstwerk, das ist ein Stück Tapete. Du bist kein Realist, und doch trägt das Stück Leben und Natur, welches du auf die Leinwand bringst, den vollen Schein der Wirklichkeit, das ist der Tric, welcher dich berühmt machen wird! Der graue Mensch da ist dein Bruder? Ich habe ihn nur einmal vor Jahren bei dir gesehen, aber die Ähnlichkeit ist frappant. Herr des Himmels, wäre mir solch eine Idee bei seinem Anblick gekommen! Aber das ist's eben, du verstehst es, die Eigenart auszunutzen. Das Gesicht paßt nur zu einer solchen Staffage – und wie großartig wirkt es darin! – Donnerwetter ja! – Also die eine Hälfte ist fertig, wann beginnst du die zweite?«

»Eine Hälfte? – zweite? – Was meinst du damit?«

Der junge Maler, von seinen Freunden » dear Schorsch« genannt, zog den breitrandigen Filzhut von dem Kopf und fuhr mit gespreizten Fingern durch das aufbäumende Haar.

»Na – dies Bild ist doch gewissermaßen eine Frage, das Publikum wird nun auch eine Antwort darauf verlangen.«

»Mensch, entschleiere deine Seele! – Eine Frage?«

»Gewiß, oder willst du einen anderen Titel in den Katalog drucken lassen?«

Klaus lachte. »Ich wollte das Bild »Frühlingsstürme« nennen. Sturm außen und Sturm innen. Findest du das nicht gut?«

»Nee! – Nimm's mir nicht übel, der Gedanke liegt zu sehr auf der Hand, um noch ausgesprochen zu werden. Zu dem Bilde gehört ein viel originellerer Titel, so was, worüber die jungen Mädchen seufzen, die Kenner lächeln und die Kollegen schimpfen, was absonderliches, mein ich.«

»Teufel ja! Du magst recht haben. Aber woher nehmen und nicht stehlen. Ein Titel, ein Titel, ein Königreich für einen Titel!«

»Wenn du es nun »Eine Frage« nennst? Eine Frage, welche der einsame Grübler an das Schicksal richtet, vielleicht über seine Zukunft? Er hat hochfliegende Pläne, er will empor! Er will mit kühnen Schwingen zur Sonne. Und nun ein Pendant dazu – Die Antwort! – Na, da sieht man eben, wie das Schicksal antwortet, vielleicht mit strahlendem Sieg, oder auch düster, unheimlich – gebrochene Schwingen und der Rest ist Schweigen ... weißt du, so eine ganze Lebenstragödie mit ein paar Pinselstrichen! Donnerwetter ja! 's ist ja dein Bruder, aber im Sterben müßte sich der Kerl patent ausnehmen.«

»Hm – so male ich ihn aber nicht, – nein, das könnte ich nicht; ich ginge selber zu Grunde an solch einer Phantasie.« Klaus sprang auf und schritt, die Hände in die Taschen seiner Sammetjoppe versenkt, mit erregten Schritten auf dem echten Perserteppich hin und her.

»Na, es kann ja auch eine gute Antwort sein. Blick in eine kleine Hütte, freundliche Gattin, sieben hoffnungsvolle Sprossen, ein paar realistisch gehaltene Windeln am Herd – und in der Thüre der Geldbriefträger...« Dear Schorsch setzte sich schmunzelnd auf den verlassenen Sessel nieder und schlug das Bein über, während Klaus lachte und ihn im Vorüberschreiten am Schopf packte: »Die Zukunft male ich für dich, du Teufelsbraten!« –

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Gleicher Zeit wieder ein Schlag auf die Thürklinke. Breitschultrig, hochgewachsen wie ein Riese, mit rötlich wallendem Haar und kühn gebogener Adlernase, stand Aloys Strauffinger auf der Schwelle.

»Na natürlich! Wieder mit dem akademischen Viertel Verspätung! Wenn ich nicht die christliche Nächstenliebe besäße und hier täglich den Wecker spielte...« Er verstummte, trat heftig vor, stieß einen leis zischenden Pfiff durch die Zähne und starrte auf das Bild. »Endlich ist das Geheimnis enthüllt – Teufel ja – da gratuliere ich!« Und er zog mit tiefer Reverenz gegen Klaus den Hut und applaudierte.

»Na, was sagst du denn zu dem grauen Schwerenöter hier?« blinzelte ihn dear Schorsch an und stieß ihn mit dem Malstock in die Seite, »wird der auf der Ausstellung Herzen knicken? Ja oder nein?«

Aloys Strauffinger heftete einen langen Blick auf die mantelumhüllte Gestalt, dann breitete er schwärmerisch die Arme aus und sang mit weicher, schwermütiger Klangfärbung: »Er träumt von einer Palme – Die fern im Morgenland – Schweigend und einsam trauert – An brennender Felsenwand!« –

Klaus war stehen geblieben und hob das Haupt. Ein Aufleuchten ging durch sein Auge – ein tiefer Atemzug hob seine Brust.

»Er träumt von einer Palme!« wiederholte er leise, und dann faßte er dear Schorsch bei beiden Schultern und lachte ihm schier übermütig in das Gesicht.

»Ja, Kleiner, du hast recht. Das Bild ist eine Frage – und es soll auch seine Antwort bekommen!« –

Es dämmerte, – Klaus Sterley saß wieder vor seinem Bild und lächelte ihm zu, wie eine junge Mutter sich über die Wiege ihres Erstgeborenen neigt.

Neue, große, leuchtende Ideen kreisten in seinem Hirn. Er war heute in seltsamer Weise angeregt worden, und wie die künstlerische Erkenntnis gleich einem Blitz aufflammt und die Seele durchleuchtet, so hatte auch Klaus eine Inspiration gehabt. Alle seine Gedanken kreisten um diesen Götterfunken, und je länger er vor seinem Bilde saß und sich in seinen Anblick vertiefte, um so klarer ward es ihm, daß dear Schorsch recht hatte, – es war eine Frage, oder doch nur die Hälfte eines großen, einheitlichen Gedankens.

»Er träumt von einer Palme ...«

Ist dies nicht schon eine Unterschrift für die sehnsüchtigen Augen dieser Jünglingsgestalt, für diesen schwermütigen Träumer des nordisch kalten, sturmdurchtosten, einsamen Meeresstrandes? Soll er noch ein paar Schneeflocken durch die Luft rieseln lassen, soll er das Riedgras mit einem leichten Rauhreif übertönen, soll in den Furchen des Feldgesteins eine feine Eisschicht lagern?

»Er träumt von einer Palme ...«

Und dann neben diesem Nordlandsbild voll düsterer Poesie ein anderes – die Verkörperung jenes Traumes!

Glühende, italienische Sonne, ein Himmel, so blau, so wolkenlos, so intensiv leuchtend, daß er die Augen des Beschauers blendet, und unter schweigsam starrenden Palmen, »an brennender Felsenwand« eine Mädchengestalt, ebenso hold verträumt, ebenso sehnsüchtig in unermessene Fernen blickend, die Arme leicht erhoben und ausgestreckt, als wolle sie eine ferne, nebelhafte Gestalt voll bebenden Verlangens umfangen.

Zwischen beiden aber das Meer, das urewige, trennende, blauglänzende und grauwallende Meer ...

Er träumt von einer Palme!

Ja, das ist sein Traum.

Mit der glühenden, leidenschaftlich arbeitenden Phantasie des gottbegnadeten Künstlers hat sich Klaus in diesen genialen Gedanken versenkt, er kann nicht anders – er greift zu Pinsel und Farben, er streut in den Lichtstrahl, welcher die Schwinge der Möve trifft und die sitzende Männergestalt seitwärts streift, die glitzernden Schneeflocken! Hier leuchten sie grell auf, dort verschwinden sie wie Nebelflöckchen im Schatten.

Die einbrechende Dunkelheit zwingt ihm den Pinsel aus der Hand, aber er sitzt vor seinem Gemälde und sieht es dennoch im Geist! Und daneben taucht ein zweites Bild auf – greifbar deutlich, die Staffage, die Gestalt und das Antlitz! O dieses herrliche Mädchengesicht, welches ihn anblickt, in Thränen glänzend, mit dem Blick der Dolorosa, und dennoch jungfräulich herb und priesterlich rein, wo findet er auf Erden solch eine lieb- und schmerzverklärte Lichtgestalt? Seine Phantasie spiegelt sie ihm, nun heißt es, sie suchen!

Wie im Fieber wirbelt es durch sein Hirn, aber je länger er überlegt, desto klarer reift sein Plan.

Ja, er malt dieses Doppelbild.

Er gibt dem nordischen Strand noch ein frostiges Kolorit, er läßt einen echten, rechten Frühlingssturm wehen, welcher dem Wanderer den letzten Gruß des Winters entgegenbläst, und ist dies Gemälde vollendet, was in wenig Tagen der Fall sein kann, dann schnürt er sein Bündel und zieht hinab unter heißeren Himmel, das Urbild jener Palme zu suchen, von welcher dieser Jüngling mit krankem Herzen träumt.

Josef hat ihm von dem ererbten Kapital der Mutter eine kleine Summe zugesandt, mit der Bitte, sie zu einer Studienreise zu verwenden. Klaus hat diesen Gedanken weit von sich gewiesen und das Geld auf die Sparbank getragen. Jetzt leuchten seine Augen auf bei dem Gedanken an diesen Schatz, welcher eine Reise ermöglicht.

Er muß das italienische Bild auf heißem Boden malen! Er muß sein Auge sättigen an der glänzenden Farbenpracht, welche er spiegeln will. Es gehört Stimmung dazu! Neben dem Koksofen findet er die nicht. Gott sei gelobt, daß er voll begeisterter Schaffenskraft hinab wandern kann in das Mutterland aller Kunst! Seine schlanke Gestalt wächst und dehnt sich, er hebt den Kopf mit den dichten, blondschimmernden Haarwellen in den Nacken wie ein junger Gott, welcher auf rollendem Siegeswagen vorwärts stürmt.

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In Lichtenhagen wird es Frühling.

Die ersten Gänseblümchen heben die roten Knospenköpfchen über zarte Grasspitzen und ein kräftiger Erdgeruch weht durch das Gartenland, wie geheimnisvolle Botschaft von all dem neuerwachenden, keimenden Leben, welches sich in und unter den dunklen Schollen regt.

Das große Fest der Auferstehung hebt an; wie die Strahlen der Sonne lange vorher den Himmel färben, ehe die Weckerin alles Lebens selbst am Horizont emporsteigt, ebenso leuchtet auch jener eine große Tag des Lichtes, welcher die Gräber öffnen und das Tote neu erwecken wird, seiner fernen Stunde weit voraus.

Jeder Lenz ist das Morgenrot jenes letzten, ewigen Frühlings, welchem kein Winter mehr folgen wird, und jedes junge Blättlein, jeder treibende Keim – jede brechende Knospe ist ein Mene Tekel, welches die Hand des Schöpfers für seine Menschenkinder in das offene Buch der Natur schreibt! Ein liebliches, verheißungsvolles Mene Tekel, welches von einem Ende spricht, welches doch nur der Anfang eines ewigen Lebens ist, – ein Mene Tekel, welches keine düstere Mahnung, wohl aber eine selige Prophezeiung birgt, welches nicht sein »Wehe!« und »Fürchtet euch!« mahnt, sondern aus tausend Blütenkelchen jubelndes »Hoffet und freuet euch!« in die Welt duftet.

Und diese Gottesahnung von Hoffnung und Freude erfüllt die Brust der Menschen. »Frühlingsstimmung«, »Werdelust« heißt das Jubilieren und glückselige Aufatmen, die Realisten sehen darin nur eine Genugtuung, die Not und Härte des Winters nun überstanden zu haben, aber die Leute mit den glänzenden Augen und den fühlenden Herzen, die Optimisten und Sonntagskinder, die Poeten und Liebenden, welche dem Himmel näher stehen wie andere, die wissen, daß in dem Frühlingsweben und -Stürmen mehr liegt, wie ein brutaler Kampf der Naturmächte, ein Klang des Ewigen, ein Hauch jenes jungen Lebens, welches nie vergeht. –

Auch durch Josefs Seele zog dieser Widerhall und erfüllte sie mehr denn je mit heißem und ungeduldigem Sehnen.

Das milde Wetter förderte alle Arbeiten ungeheuer, die Augen sahen, was da geschaffen ward, der Erfolg wuchs mit dem Werk.

Welch ein überreiches Aussäen und Vorbereiten!

Wie ein Feldherr stand Torisdorff auf seinem Posten, erfüllt von namenloser Freudigkeit, von Schaffensdrang und Arbeitslust, welcher ein unbegrenztes Feld der Thätigkeit eröffnet war.

Sein Aufenthalt im Lichtenhagener Gutshaus ward immer seltener und kürzer, und Rothtraut, welche große Freundschaft mit den zahlreichen Pächterkindern geschlossen, überraschte den jungen Gutsherrn gar oft bei den neuen Schachten, wo sie, den Strohhut in der Hand und das wehende Kleidchen zierlich geschürzt, oft stundenlang an seiner Seite stand, um zuzusehen.

Ihre Trabanten tobten währenddessen in Feld und Wald umher, und erst die knurrenden Mäglein trieben sie zu Fräulein von Damasus zurück, energisch auf dem Heimweg zu bestehen.

Es war Josef aufgefallen, daß trotz aller Harmlosigkeit des Verkehrs dennoch Bemerkungen über ihn und das so auffallend hübsche und liebenswerte junge Mädchen gemacht wurden.

Er sah, daß die Arbeiter sich verständnisvoll zulächelten, wenn sie kam, daß verstohlene Blicke sie beobachteten, wenn sie zusammen plauderten. Auch das seltsam wohlgefällige oder pfiffige Schmunzeln der Lichtenhagener Dienstboten fiel ihm auf, wenn er zufällig nach dem gnädigen Fräulein fragte, oder sie durch den Hof, Stall oder Garten begleitete.

Er vermied es seit jener Zeit, mit dem Backfischchen allein zu promenieren, wie es früher so harmlos und heiter geschehen war. Ja, die plötzliche Erkenntnis, daß über Rothtraut und ihn Redereien in Umlauf gesetzt wurden, erschreckte und verstimmte ihn.

Daß er nie an solche Konsequenzen gedacht hatte! Seine Freude, den armen, verlassenen Damen ein Heim bieten zu können, war größer gewesen als sein Erwägen und Deuteln.

Dem Reinen ist alles rein! Da er selber mit keinem Gedanken an eine Neigung zu Rothtraut dachte, schien es ihm unmöglich, daß andere Menschen auf solch eine Idee kommen könnten, daß sie von Verloben und Heiraten sprechen würden! – Inmitten all der großen Arbeitskraft überkam ihn plötzlich eine quälende Unruhe.

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Schon das müßige Gerede deuchte ihm eine Beleidigung für Charitas, ein Vorwurf für ihn selbst.

Glühender als je sehnte er eine schriftliche Aussprache mit der Geliebten herbei.

Soweit er die Zukunft überblicken konnte, lag sie klar, geregelt und zuverlässig vor ihm, kein Hindernis sperrte ihm mehr den Weg, er mußte schon jetzt eine Entscheidung herbeiführen, die Verhältnisse in Lichtenhagen bedingten es.

Nicht, daß er gefürchtet hätte, Rothtraut könne sich in ihn verlieben! Nichts lag dem ganzen Wesen und Benehmen des jungen Mädchens ferner als lyrische Empfindungen. Im Gegenteil, ihre ehrliche Ungeniertheit, ihr Vertrauen, welches ihn gewissermaßen zu einem guten, alten Onkel stempelte, bewies ihm stets von neuem, daß dem Backfischchen eine tiefere Neigung absolut fern lag.

Aber es galt ihren Namen und ihre Ehre zu schützen! Es ist nicht angenehm für eine junge Dame, verlobt gesagt zu werden, wenn die Verlobung nicht eintritt, sondern eine andere vorgezogen wird.

Und für ihn ist es geradezu ehrenrührig, mit einer Fremden verlobt gesagt zu werden, während all seine Gedanken, sein treuestes Sehnen der fernen Geliebten gelten.

Es mußte Klarheit geschaffen werden, schon jetzt, um jeden Preis. Wie aber zu Charitas gelangen? – Der Zufall kam ihm zu Hilfe.

Zur Aufsetzung etlicher Kontrakte und Abschlüsse hatte er den Rechtsanwalt Hagborn aufgesucht. Derselbe war Strohwitwer, seine Frau war zu der erkrankten Mutter gereist.

Josef bat den alten Herrn, bei ihm in dem Hotel zu speisen.

Hagborn lehnte voll lebhaften Bedauerns ab. Er hatte sich bereits mit einer kleinen Gruppe von Parlamentariern verabredet, in einer süddeutschen Weinstube »saure Nierle« und »Spätzle« zu dinieren.

»Schaddinghaus ist auf die seltsame Idee gekommen, alle Spezialitäten durchzuprobieren!« fuhr er lachend fort, »er ist ein merkwürdiger Herr, welchem es nirgends länger wie zwei Tage behagt! – Nun zieht er ruhelos und über alles schimpfend von einem Restaurant und Hotel in das andere und wir folgen, teils aus Interesse, teils aus Gutmütigkeit, den Wunderlichkeiten des alten Herrn gerecht zu werden.«

»Schaddinghaus! – Regierungsrat Schaddinghaus?!«

Hagborn lachte. »Ganz recht! Und Sie sehen so betroffen, ja entsetzt aus, als ob Sie den alten Krakehler kennten!«

»Nicht persönlich, – nur vom Hörensagen!«

»Na, das mag allerdings eine üble Konduite gewesen sein! Unter uns gesagt, ein unerträglicher Mensch. Es scheint sich aber darum zu handeln, die Stimme des Starrkopfs in irgend einer wichtigen Frage zum Schweigen zu bringen, darum die Geduld und Ausdauer der anderen Herren!«

»Ist... ist seine Frau auch hier in der Residenz?«

»Gott bewahre! Die Ehe muß trostlos sein, nach all den satyrischen und brutalen Andeutungen, welche er selber macht. Er will sich hier ohne Hausdrachen amüsieren!«

Josefs Hand, welche er auf den Tisch stützte, bebte.

»Und ahnen Sie, wo sich Frau und Pflegetochter aufhalten?«

»Das kann ich Ihnen zufällig ganz genau sagen!«

Hagborn strich sich über den kurzen, graumelierten Kinnbart: »In einem kleinen Städtchen an der sizilianischen Küste, – wenn ich nicht irre, Catania mit Namen! Wenn Sie es aber interessiert, kann ich es Ihnen genau sagen, ich habe die Adresse notiert, da ich an die Pflegetochter, Fräulein Charitas Reckwitz, ein kleines Schriftstück zurücksenden muß.« – Der alte Herr neigte sich vertraulich näher: »Es scheint mir nämlich, als ob das arme Kind die Zinsen seines Vermögens ein für allemal an die Pflegeeltern abliefern mußte, man scheint hauptsächlich von ihrem Gelde zu leben... na – das wird Sie wohl nicht sonderlich interessieren! Aber die Adresse... ah – da liegt ja schon der Briefumschlag – hier... da können Sie lesen! Catania – Villa Favorita ...«

»Der Brief ist noch nicht geschlossen?«

»Nein – wie ich sehe, noch nicht.«

»Verehrtester Herr Rechtsanwalt – darf ich Sie um eine große, ungeheuer große Gefälligkeit bitten?«

Hagborn blickte überrascht in das glühende Antlitz des jungen Mannes, in welchem sich eine seltsame Aufregung spiegelte.

»Gewiß, mein teurer Herr von Torisdorff – alles was in meinen Kräften steht –!«

»Darf ich diesem Brief einen kleinen Zettel – nur ein paar wenige, kurze Worte beifügen?« stieß Josef hochatmend hervor.

»Gewiß... ich stehe gern zur Verfügung – aber ich verstehe nicht...«

Josef faßte beide Hände des Sprechers mit leidenschaftlichem Druck. »Später! Sie sollen alles später erfahren, lieber, verehrtester Freund! Lassen Sie mich schreiben – ich thue es ohne Namensunterschrift – und sollte Frau Schaddinghaus den Brief öffnen und Sie wegen des Zettels interpellieren, so beschwöre ich Sie um einen Dienst der Nächstenliebe – sagen Sie, der Zettel sei aus Versehen in das Schreiben gelangt und durchaus nicht an Fräulein Reckwitz gerichtet gewesen! Kann ich mich darauf verlassen?«

Hagborn drückte lächelnd die Hand des Freiherrn.

»Sie können es, – schreiben Sie!« – nickte er, schob den Sessel vor den breiten Diplomatentisch und trat mit einer Verbeugung bei Seite, vor das Fenster.

Josef griff nach der Feder. Seine Hände flogen wie im Fieber. Endlich! Endlich!

Charitas kennt seine Schrift, sie weiß, wer den Zettel geschrieben.

Mit hämmernden Schläfen, in fliegender Eile warf er die Zeilen auf das Papier.

»Geliebte! In unveränderter Treue gehört dir jeder Pulsschlag und Atemzug! Ich kann nicht leben ohne dich. Ich bin willens, alles für unser Glück zu wagen! Hindernisse gibt es nicht mehr. Ich beschwöre dich, gib mir Nachricht, wohin ich dir sicher schreiben kann – postlagernd – ich muß dir die wichtigsten Mitteilungen machen! O sage mir, daß du mich noch lieb hast! Dies Bewußtsein soll mir den Weg zu dir bahnen und dich erringen helfen! Ich harre in Qualen deiner Antwort – o sende sie bald! Den du im Nebel gefunden, laß jetzt die Sonne des Glückes sehn!«

Diese Worte waren nur ihr verständlich.

Josef schob sie in den Brief und schloß denselben.

»Lassen Sie mich ihn zur Post tragen!« bat er.

Wie in einem Rausch stürmte er die Treppe hinab.

Endlich! Endlich! Und vor ihm lag die Welt im ersten Frühlingssonnenglanz neugeboren wie sein jauchzendes Herz.

Ist's denn wahrlich schon Frühling? – jetzt – in den ersten Märztagen?

Dort steigt eine dunkle Wolke auf, die drängt sich vor die Sonne und verdunkelt sie.

Wie Schnee dräut es von ihr nieder, und um die Straßenecke braust ein kalter Windstoß, der faßt und schüttelt die Bäume im Park.

Ist die Zeit der Frühlingsstürme doch noch nicht um?

Lächelnd bietet Josef ihnen die Stirn.

An dem Fenster aber lehnt Hagborn und blickt trübselig in den Straßenlärm hinaus.

Welch eine Überraschung! Wer hätte das gedacht! Arme kleine Rothtraut! Wie schön hatte er schon von ihrem künftigen Glück geträumt, nun verfinstert sich die Sonne.

Und der Traum zerrinnt.


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