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XV.

Josef hatte noch verschiedene Besuche zu machen und geschäftliche Abmachungen zu treffen. Als er nach etlichen Stunden in das Hotel zurück kam, empfing ihn bereits ein Brief Hagborns, welcher die über alles dankbare und frohe Zusage der Geheimrätin brachte!

»Wie ist es schön, der Bote eines solchen großen Glücks zu sein, mein lieber Herr von Torisdorff«, fuhr der Rechtsanwalt fort: »Sie können sich keine Vorstellung von der Freude machen, welche Sie zwei verlassenen und verlorenen Menschenkindern bereitet haben! Ich sah ehemals die Thränen der Verzweiflung in den Augen der alten Dame, heute – ihre Freudenthränen haben mich noch mehr ergriffen! Selbstredend sind Ihre beiden Schützlinge bereit, Ihnen übermorgen in die neue Heimat zu folgen, je eher sie der hiesigen Misere entrinnen können, desto besser! Frau von Damasus findet durch den freien Unterhalt in ihrem Hause schon überreichen Lohn für die wenigen Dienste, welche sie als Wirtschafterin und Hausdame zu leisten hat, sie wollte von einem Extragehalt absolut nichts wissen, doch bedarf sie meiner Ansicht nach ein kleines Taschengeld, um sich und die Tochter kleiden zu können. Ich habe ihr auch das klar gemacht, und fügt sie sich nun schließlich. Aber mehr als zwanzig Mark pro Monat wird sie keinesfalls annehmen. Also kann der Hauptteil der Rente noch anderen Bedürftigen zukommen; ich fürchte, wir werden sie schon in recht kleine Teile zerlegen müssen, um allen gerecht werden zu können, bei welchen schnelle Hilfe not thut.«

Josef lächelte mit strahlendem Blick. Noch nie im Leben hatte er ein solches Glück wahrer, innerster Befriedigung empfunden wie heute, wo er begonnen hatte, die ersten Steinchen von dem Felsen seiner Schuld abzulösen.

Glühender Eifer beseelte ihn. Er wollte der Geheimrätin nicht nur ein Unterkommen gewähren, sondern wollte ihr vor allen Dingen ein behagliches Heim schaffen. Mit Schrecken fiel ihm ein, daß das Gutshaus von Lichtenhagen in seinem jetzigen Zustande nichts weniger als behaglich und auf Damenbesuch eingerichtet war, und der erste Eindruck ist ein bleibender.

Seine dringendsten Besorgungen in der Residenz konnten bis morgen mittag erledigt werden; er that alsdann gut daran, direkt nach Hause zu eilen und die Wohnung für seine Gäste gemütlich herzurichten.

Er schrieb sogleich an den Rechtsanwalt und teilte ihm diesen Entschluß mit. Er überwies ihm das Reisegeld für die Damen und bat ihn, dieselben nach dem Bahnhof zu geleiten. Er selber werde auf Station D. mit dem Wagen anwesend sein, die Reisenden zu empfangen. Ein Gefühl der Erleichterung überkam Josef, als er diese Zeilen abgeschickt hatte. Es wäre ihm peinlich gewesen, gemeinsam mit den fremden Damen die Reise machen zu müssen. Er war solchen Verkehr nicht mehr gewöhnt, und außerdem war er willens, denselben auch in Lichtenhagen bis auf die äußersten und notwendigsten Umgangsformen einzuschränken.

Ja, wäre es die Geheimrätin allein gewesen. Aber ein Zusammenleben mit der jungen, hübschen Tochter ist kaum möglich, ohne die Kritik des Publikums und müßige Redereien herauszufordern.

Das durfte nicht geschehen. Es sollte kein, auch nicht der leiseste Schatten auf den Weg der Treue fallen, welchen er wandelte.

Charitas soll niemals Grund haben, an seiner Liebe und Ehrenhaftigkeit zu zweifeln; selbst der Schein muß vermieden werden, welcher zu falschen Deutungen Anlaß geben könnte. Er fuhr deshalb nicht direkt nach Lichtenhagen hinaus, sondern dirigierte den Kutscher vorerst nach dem Vorwerk Krembs, wo er für eine passende Junggesellenwohnung sorgen wollte.

Sehr verlockend war es nicht, in dem ehemaligen Bauernhause, welches dem zweiten Inspektor angewiesen war, zu wohnen, aber Josef kannte für sich und seine Person keine Ansprüche, und daß er nun mitten in all der Unruhe und dem Getriebe der neuen Bergwerksanlage leben sollte, deuchte ihm mehr eine Annehmlichkeit wie ein Opfer. Er wählte schnell zwei unbenutzt stehende Stäbchen aus, welche der unverheiratete Inspektor als Geschirrkammer eingerichtet hatte, gab Befehl, sie sofort herrichten und mit einem kleinen, eisernen Ofen versehen zu lassen. Seine Möbel schicke er schon morgen früh heraus.

Der Verwalter schüttelte bedenklich den Kopf.

»In diesen kleinen Buden wollen Sie hausen, Herr Baron? Du lieber Gott, ein so großgewachsener Herr paßt nicht unter diese Deckenbalken! Sie stoßen sich ja den Kopf daran ein! – Wahrlich! Ich glaube gar, Sie können nur gebückt darin einhergehen!«

Josef lachte. »Das hat man von seiner unnützen Länge! Nun heißt's, sich nach den Balken strecken. Wird nicht viel mit dem Stubensitzen werden, meine Promenaden mache ich draußen, und im Bett und am Schreibtisch komme ich ganz bequem unter!«

Die alte Magd kam bereits mit Wassereimer und Schrubber, um eine sündflutartige Thätigkeit zu entwickeln, und Josef flüchtete auf den Wagen zurück und sauste frohgemut dem Lichtenhagener Gutshaus entgegen.

Die Frau des Stellmachers trat ihm in der Hausthür entgegen.

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»Guten Tag, Frau Menz! Ich bringe Ihnen eine Überraschung mit! Einquartierung! – Lichtenhagen soll eine Hausfrau erhalten! Vorläufig nur eine engagierte« – fügte er lachend hinzu, als er in das freudig staunende Gesicht der jungen Frau blickte. »Die legitime Herrin kommt erst später! – Und nun rufen Sie mal alle dienstbaren weiblichen Geister zusammen, derer Sie habhaft werden können, wir müssen in größter Eile eine Wohnung für die Damen herrichten!«

Frau Menz schlug die Hände über dem Kopf zusammen: »Na, das that auch not, Herr Baron! Es war ja gar zu einsam bei uns, und mußte wirklich anders werden! – Also mehrere Damen? – Zwei? – Nun, das ist ja schön! Je mehr, je besser, das Haus ist ja groß genug! Sind es zwei alte Damen?«

»Nein! Mutter und Tochter! Frau Geheimrat von Damasus – wenn es Sie interessiert!« – Josef warf einem Knecht die Zügel zu und sah nicht das pfiffige Lächeln, welches lauter kleine Fältchen um die Augen der Stellmacherin zog; er sprang zur Erde und eilte die steinernen Stufen empor, welche zu der uralten, rundgewölbten und wappengeschmückten Hausthür führten.

»Kommen Sie gleich mit, Frau Menz, wir wollen die Einteilung treffen!«

Der Sprecher sah sich in dem weiten, altmodischen Flur um, als sähe er ihn zum erstenmal. Eine hohe Uhr in buntgemaltem, kiefernem Gehäuse stand seitlich der breiten Steintreppe, welche in den ersten Stock führte.

Tick, tack, tick, tack summte sie, der Perpendikel stellte ein großes, lachendes Gesicht dar, welches voll neckender Beharrlichkeit an dem runden Guckloch erscheint und wieder zurückhuscht. Wie bei einer Turmuhr, tief und melodisch, klingt ihr Schlag.

Seitlich an der Wand stehen hölzerne Truhen mit verrosteten Beschlägen und bunter Wappenmalerei, es weiß wohl kein Mensch mehr, was darin aufgespeichert liegt. Eichenmöbel mit ungeheuer klobigen Füßen gruppieren sich um einen riesengroßen, offenen Kamin, welcher ehedem diese Vorhalle heizte und sie zum wohnlichen Raume machte. Ein paar Ölbilder – so gedunkelt, daß man sie wohl kaum noch erkennen kann, hängen an den Wänden gegenüber. Das eine stellt ein Abendmahl dar, – feierlich, steif und ernst, wie Hans Holbein seine Heiligen zeichnete. Nur die Gesichter und Hände heben sich noch hell von dem dunklen Hintergrund ab, und der Becher in der Rechten des Herrn glänzt noch in matter, vielfach abgesprungener Vergoldung. Gegenüber dehnt sich eine Landschaft in ehemals sehr saftig gewesenem Grün aus. Ein Herr in Allongeperrücke mit breit abstehendem Taillenrock und enormen Waden befehligt mit erhobenem Krückstock eine Schar Feldarbeiter, rechts wird ein Wald gefällt und im Hintergrund hält ein großer Planwagen, mit vier Ochsen bespannt. Dieses Bild stellt den alten Erasmus von Torisdorff dar, welcher Sumpfniederungen an der Weichsel urbar machte und durch seinen zweitgeborenen Sohn das Geschlecht nach dort verzweigte. Josef wendet sich rechter Hand nach einer niederen, geschnitzten Thür, auf deren Sims ein paar staubige Krüge und Becher stehen.

»Ist abgeschlossen, Frau Menz?«

»Nein, gnädiger Herr, ich habe heute morgen wieder gelüftet und wollte alle Fenster erst gegen Abend schließen.«

Die Klinke des altmodischen Schlosses sinkt kreischend nieder. Ein großes, viereckiges Zimmer, nicht sehr hoch, aber luftig genug. Eine gepreßte Ledertapete bedeckt die Wand, stellenweise schon recht defekt. Die Einrichtung ist sehr alt, die Stühle und Sophas stehen so steif da, als hätten sie die Gicht in allen Gliedern, verblaßte, fleckige Bezüge, eine bestaubte Glasservante mit wunderlichen alten Herrlichkeiten, Porzellanfigürchen, Döschen, glotzäugigen Möpsen, elfenbeinerne Spinnrädchen, Körbchen und Väschen, Flaçons und Riechdosen, – na, vielleicht macht es der Geheimrätin Spaß.

Der Krystallkronleuchter steckt in einem Mullsack, dennoch ist ein Arm abgebrochen.

Josef sieht sich nachdenklich um. Das Zimmer ist hübsch und würde bequem gelegen sein, aber die Einrichtung muß geändert werden. Nebenan noch ein schönes, luftiges Gemach mit wenig Möbeln und kahlen Wänden, deren großblumige Rosentapete neben dem braunen Kachelofen, um welchen sich eine gepolsterte Sitzbank zieht, hernieder hängt.

»O weh!«

»Das ist in einer Stunde angeklebt und trocknet heute nacht. Vielleicht nageln wir die Stücke auch an, damit der Kleister nicht riecht!«

»Das wäre schön. Diese beiden Vorderzimmer könnten die Damen bewohnen, hier diese Stuben nach dem Garten zu müssen Schlafzimmer werden!«

»Schlafen denn Mutter und Tochter nicht zusammen?«

»Das ahne ich nicht, und können es sich die Damen nach Belieben einrichten. Nebenan soll entweder die Mamsell oder ein Mädchen schlafen, damit stets Bedienung zur Stelle ist!«

Auf dem wurmstichigen Parquetboden polterte und stampfte es heran.

Mamsell und ein paar Mägde, sowie der alte Schaal, der Gärtner, erschienen.

Josef erteilte schnell seine Befehle. Alles sehr sauber machen! Die braunen Sammetmöbel aus dem Ecksalon der ersten Etage sollen hinunter in das Zimmer der Frau von Damasus gebracht werden: die zierlichen vergoldeten Rokokomöbelchen mit den Streublumen kommen in das Rosenzimmer für das gnädige Fräulein! »Wie steht es mit den Gardinen?«

»Wir haben gewaschen, oben ist alles sauber.«

»Gut, so hängen Sie die besten hier unten auf. Den Töpfer habe ich schon bestellt, er soll die Öfen nachsehen und Probe heizen!«

»Wird ganz gut gehen! Wir haben letzten Winter, als noch der Pächter die Schlüssel hatte, öfters hier im Erdgeschoß geheizt, um Wäsche zu trocknen!«

Aha! Daher die hängende Tapete und der zerbrochene Kronleuchter! Aber das ist momentan nebensächlich, die Thatsache, daß die Öfen in dem alten Haus wirklich noch ihre Schuldigkeit thun, ist eine sehr angenehme Überraschung. Josefs größte Sorge ist dadurch gehoben.

»Und die Zimmer des gnädigen Herrn jenseit des Flures? Bleiben die unverändert?« fragt Mamsell.

»Nein, mein Wohnzimmer soll zum gemeinsamen Speisezimmer eingerichtet werden. Es bleibt im Ganzen unverändert, nur der Tisch und die Lederstühle kommen in die Mitte, es speist sich im Winter gemütlicher in einem kleinen Raum als in dem Saal. Mein Arbeitskabinet und die Schlafstube bleiben unverändert und stehen für mich bereit; die Geheimrätin kann sie abschließen!«

»Abschließen?«

»Ja, ich wohne von morgen an in Krembs, um die Arbeiten persönlich zu überwachen!«

Große Enttäuschung auf allen ehedem so listig lächelnden und gespannten Gesichtern.

»Wie steht es mit Ihrer Livree, Schaal?

»Da ist man bloß das Kutscherzeug, gnädiger Herr.«

»Gut, ich verschreibe Ihnen heute abend noch alle notwendigen Sachen aus der Residenz. Sie schlafen von morgen ab auch hier im Hause, in dem Dienerzimmer. Wie steht es eigentlich mit den Klingeln?«

»Da ist wohl nichts mehr mit zu wollen, gnädiger Herr, die sind man alle verrostet und abgerissen.«

»So sollen ein paar elektrische Drähte gelegt werden. Ich schreibe sogleich einen Brief, den kann der Milchmann heute abend mit nach D. nehmen. Ich hoffe, dann kann die Leitung morgen schon gelegt werden! – Und nun ans Werk! Ich überlasse es Ihnen, Frau Menz und Mamsell, die Wohnung so gemütlich wie möglich für die Damen herzurichten, nehmen Sie aus den Salons der oberen Etage, was sie brauchen. Die Betten sind ja in den Fremdenzimmern gut und reichlich vorhanden!«

»Unbesorgt, Herr Baron, wir wollen es ganz nach Wunsch machen!« Und dann hub eine wilde Jagd durch das Haus an, daß die alten verschlafenen Herrlichkeiten jählings aus ihrem langjährigen Traum aufgeschreckt wurden. Frau Menz sauste mit rasselndem Schlüsselbund auf und nieder, der Staub wirbelte in dichten Wolken auf und ein Geruch von Kamphor und Naphthalin durchzog die Luft, bis es frisch und kräftig durch Fenster und Thüren blies, wie der Lebensodem einer neuen Zeit, welche dem alten Haus noch einmal ein Stückchen Jugend vorzaubern soll.

Die Mägde schleppten Betten und Teppiche auf den Hof und klopften und schüttelten wie die Goldmarie bei Frau Holle – und Josef saß vor seinem Schreibtisch und lächelte.

Wie wohl that ihm dieses muntere Treiben in dem sonst so grabesstillen Hause! Schade ist, daß er in Zukunft so wenig davon genießen kann.

In Zukunft?

Glühende Röte steigt in seine Wangen, und seine Augen strahlen auf. Gott sei Dank, die Zukunft gehört ja ihm und dem Glück! Und so es der Allmächtige will, kommt auch jene selige, wonnevolle Zeit, wo das Gutshaus von Lichtenhagen sich rüstet, eine junge Herrin zu empfangen.

Dann sollen die Rosen und Myrten es umranken, und die Zeit der Frühlingsstürme soll vorüber sein!–

Der nächste Morgen brachte den ersten Schnee mit. Langsam rieselten die weißen Flocken durch die Luft. Grau in Grau lag Himmel und Erde, und Josef stand an dem Fenster und blickte heiter in den kahlen Park hinaus, welcher sich in zarte, weiße Dunstschleier zu hüllen begann.

Das Herrenhaus war alter Sitte gemäß mit der Front nach dem großen Ökonomiehof gebaut und gewährte nur von den Seitenflügeln und Rückzimmern den Blick in den Garten. Josef hatte für sich eine Eckstube gewählt, von welcher sowohl Hof wie Park zu übersehen waren, und er freute sich solchen Auslugs, denn das geschäftige Leben und Treiben um ihn her that ihm wohl.

Die Gegensätze hatten sich wunderlich berührt. So sehr wie er ehemals die Einsamkeit und beschauliche Stille geliebt hatte, so suchte er jetzt die höchsten Wogen von Arbeit und Leben auf, um voll hohen Eifers und unermüdlicher Begeisterung die Kräfte daran zu messen. Welch ein herrliches Leben in diesem großen Wirkungskreis, wo er seiner Hände Werk wachsen und werden sieht, wo sich der Erfolg in greifbarer Form dem Auge bietet und das Ziel kein illusorisches, sondern eine reelle Verwirklichung all der schönen Pläne ist, welche dem Geist vorschweben.

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Welch eine Befriedigung! Welch ein Glück! Und welch eine freudige Genugthuung, schon heute mit dem Vergelten und Sühnen beginnen zu können.

Josef dachte nicht an die Wohlthat, welche er den beiden hilflosen Damen erwies, sondern in erster Linie an sich selbst und die Herzensfreude, welche er an solchem Wohlthun empfand. Daß geben seliger ist, denn nehmen, empfand er jetzt in des Wortes vollster Bedeutung.

Stets von neuem trat er in die Zimmer, welche die Mamsell und Frau Menz ganz erstaunlich hübsch und behaglich hergerichtet hatten. Sauber und wohnlich! Vor den Fenstern leuchteten blendend weiße Mullgardinen, der Ofen strömte wohlthuende Wärme aus, und auf dem Blumentisch prangten die schönsten Töpfe, welche Schaal hatte auftreiben können.

Sogar das Knäuelkörbchen stand schon auf dem Fensterbrett bereit, wo der bequeme Sessel, von erhöhtem Tritt aus, so recht zum Sitzen und Ausschauhalten einlud.

Hier konnte die Geheimrätin ihr Regiment beginnen.

In Fräulein Rothtrauts Zimmer stand sogar das alte Tafelklavier, welches der Pächter ein wenig hatte herrichten lassen, damit seine Älteste darauf üben könne.

Josef lachte, als er es anschlug. Wie heiser und kurzatmig klang es! Aber es war immerhin besser als nichts, und Fräulein von Damasus brauchte ihre Studien nicht zu unterbrechen. So Gott will, kommt auch noch die Zeit, wo es durch einen schönen, neuen Flügel ersetzt werden kann, – vorläufig heißt es noch säen, damit später desto reicher geerntet werden kann.

Wie langsam die Morgenstunden vergehen!

Es ist Sonntag, Arbeit gibt es heute nicht, und da die Pferde zur Station müssen, will Josef eine doppelte Stallarbeit vermeiden. Er hat die kleine Strecke nach Krembs zu Fuß zurückgelegt, um dort nach dem Rechten zu schauen. Die frische, klare Winterluft ist eine Erquickung gewesen, und seine kleine Wohnung im Inspektorhaus sah auch schon ganz einladend aus.

Der Ofen ist zwar schon gesetzt, aber der Koks ist noch nicht zur Stelle.

Gleichviel, tagsüber kann Josef noch in Lichtenhagen sein und des Nachts bedarf er keiner warmen Stube.

Endlich ist es an der Zeit, zur Bahn zu fahren. Der Freiherr hat so wenig Erfahrung, er ist so selten mit Damen gereist, er hält den viersitzigen Landauer für völlig ausreichend.

Er steigt ein und die Pferde ziehen an.

Durch den munteren Tanz der Flocken geht es der Station entgegen. Die Landschaft bietet keine sonderlichen Schönheiten, sie ist flach und waldig, ein schmalspuriges Bahngeleise ist jetzt quer durch Wiesen und Acker nach Krembs gelegt, die Bergbauarbeiten zu fördern, heute am Sonntag ruht alles in tiefem, feierlichem Schweigen.

Man ist sehr zeitig von Hause fortgefahren. Josef schreitet harrend auf dem menschenleeren Perron der kleinen Bahnstation auf und ab.

Endlich das Signal.

Drei Minuten später blickt der Freiherr in das runde, frischwangige Gesicht einer Dame, welche sich spähend aus dem Coupéfenster beugt. Er tritt näher und grüßt empor: »Frau Geheimrat von Damasus?« fragt er höflich.

»O, Herr von Torisdorff – Sie bemühen sich selber?« klingt es ihm aufs freudigste bewegt entgegen. Der Schaffner reißt die Coupéthür auf, und die kleine, korpulente Dame steigt mit Josefs Hilfe aus. Sie hält seine Hand fest umschlossen, sie will sprechen –

»Bitte, meine Herrschaften – nur zwei Minuten Aufenthalt, – Ihr Handgepäck, meine Damen!«

»Und es ist dessen so viel!« klingt es lachend aus dem Wagen, zwei flinke Händchen werfen hastig eine Plaidrolle um die andere, Taschen, Kartons und verschnürte Pakete auf den Perron.

»Darf ich Ihnen helfen, mein gnädiges Fräulein?« Josef wartet die Antwort nicht ab, springt in den Wagen und hilft ausräumen. Himmel, welch eine Unmenge Handgepäck!

Schon schrillt die Signalpfeife.

»So, hier noch den Fußsack! Nun ist alles draußen!« Torisdorff schwingt sich zur Erde, atmet auf und reicht Fräulein Rothtraut die Hand entgegen, ihr zu helfen.

Jetzt erst findet er Zeit, sie anzusehen. Ein frisches, rosiges, lachendes Kindergesicht, mit großen, langbewimperten blauen Augen und hellblonden Löckchen, welche unter dem niederen Pelzbarett hervorquellen.

Ja, der Rechtsanwalt hat recht, sie ist ein reizendes, liebliches Kind, und der Gedanke, sie dem Schicksal einer vagabondierenden Künstlerin preiszugeben, ist entsetzlich.

Sie winkt ihm unbefangen zu, strahlend glücklich, voll unendlicher Dankbarkeit, welche beredter aus den Kinderaugen leuchtet, als alle Worte, welche sie dazu spricht.

»O wie gut von Ihnen, lieber Herr von Torisdorff, daß wir kommen dürfen! Wie freundlich von Ihnen, daß Sie uns aufnehmen! Sie glauben ja gar nicht, wie unsagbar wir uns freuen, wie von ganzem Herzen wir Ihnen danken! Ich habe vor lauter Aufregung die halbe Nacht wachgelegen, die ganze Nacht konnte ich mich nicht munter halten, ich war doch gar zu müde, aber es that mir ordentlich leid, als mir die Augen so schwer wurden; ich hätte mich gern noch weiter gefreut, ohne Aufhören, immerzu!«

Die Worte sprudelten der erregten Kleinen nur so von den Lippen, und dabei schüttelte sie ihm die Hand so aufgeregt und glückselig, daß Josef bei dieser Ehrlichkeit der Empfindung ein Gefühl der Rührung überkam. Aber kein sentimentales, er lächelte und schüttelte das kleine Händchen nach Kräften wieder.

»So Gott will, werden Sie all den versäumten Schlaf in Lichtenhagen wieder nachholen, mein gnädiges Fräulein!« sagte er, und der Versuch zu scherzen stand seinem ernsten Gesicht sehr gut. »Daß Sie sich freuten, zu uns zu kommen, ist mir schon im voraus eine Bürgschaft, daß es Ihnen in dem alten Gutshaus auch gefallen wird! Er wandte sich zu Frau von Damasus und reichte ihr verbindlich den Arm.

»Darf ich die Damen zu dem Wagen führen, gnädigste Frau? Es zieht gewaltig hier auf dem Perron, und das Gepäck wird uns sofort nachbesorgt.«

Die Geheimrätin blickte mit feuchten Augen zu ihm empor. »Wie gütig Sie für uns sorgen! Mein lebhaftes Töchterchen ist mir mit Wort und Dank zuvorgekommen, da bleibt mir nur die That, es Ihnen zu beweisen, wie sehr erkenntlich ich Ihnen bin!« Sie schritten dem Wagen entgegen, und der Freiherr zog die Hand der Sprecherin respektvoll an die Lippen. Er sah wieder so ernst aus wie zuvor.

»Sie haben mir nicht zu danken, meine hochverehrte gnädige Frau, sondern mir viel zu vergeben und zu gestatten, daß ich die schwere Verschuldung meines armen Stiefvaters nach Kräften auszugleichen suche!«

Frau von Damasus schüttelte mit mildem Lächeln das Haupt. »Ihren Herrn Stiefvater trifft keinerlei Vorwurf, Herr Baron! Das Unglück, welches über uns hereinbrach, hat er nicht verschuldet, das wissen wir!«

»Dennoch knüpft sich das Geschehene an seinen Namen, und verpflichtet uns, die wir ihm nahe standen, dieses Namens Ehre zu retten! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre milden Worte, meine gnädige Frau, und für die Willfährigkeit, meiner Bitte zu folgen und mir Gelegenheit zu geben, schon jetzt in bescheidener Weise für Sie sorgen zu dürfen!«

Er half der Geheimrätin in den Wagen und wandte sich zu Rothtraut zurück, welche hochbeladen mit Gepäckstücken herzueilte.

»Werden wir all die sieben Sachen unterbringen?« fragte sie munter. »Nicht wahr, der reine Auszug der Kinder Israel! Aber Sie dürfen keine falschen Schlüsse daraus ziehen, als ob wir so besonders gern der Unsitte solcher ›Äppelfuhren‹ fröhnten, es ist diesmal bittere Notwendigkeit! So, nun hole ich eine neue Auflage, stopf derweil die Ecken voll, Mutterchen!« und wie der Wirbelwind flog sie zurück.

Josef reichte just einen kleinen Handkoffer auf den Kutschersitz, und die Geheimrätin griff nach einem Schirmpaket.

»Wir führen all unsere Habseligkeiten mit uns, Herr von Torisdorff!« sagte sie wie entschuldigend, »und da ich die Überfracht gern sparen wollte, mußten wir so viel zu uns in das Coupé nehmen.«

»Aber selbstverständlich, meine gnädigste Frau! Ich mache mir nur Vorwürfe, daß ich unbeholfener Junggeselle nicht an solche Eventualität dachte, und einen besonderen Gepäckwagen schickte. Es wird nun das einfachste sein, wir laden den Landauer so voll wie möglich, und ich folge den Damen zu Fuß nach.«

»Um keinen Preis«, wehrte die Geheimrätin ab, und Rothtraut, welche abermals neue Schachteln und Taschen heranschleppte, hob ganz erschrocken das gerötete Gesichtchen.

»Das wäre noch besser! Nur diesen Handkoffer gebrauchen wir für heute nacht, alles andere hat lange Zeit! Können die Sachen morgen hier abgeholt werden, Herr von Torisdorff?«

»Natürlich, nötigenfalls heute abend noch!«

»Nein, die Sonntagsruhe behauptet auch im Pferdestall ihr Recht. Wir gebrauchen die Sachen wirklich nicht. Was wir aufladen können, nehmen wir mit, und das andere kommt morgen nach!«

» Tu l'as voulu, George Dandin!« lächelte Josef. »Ich hoffe nur, daß Sie sich um meinetwillen keine Entbehrungen auferlegen! Wenn Sie gestatten, meine gnädige Frau, werde ich das Notwendige veranlassen, und bitte dazu um Ihren Gepäckschein.«

Er schritt hochaufgerichtet durch den wirbelnden Schnee davon und Frau von Damasus sah ihm mit langem Blick nach.

»Welch ein lieber, prächtiger Mensch!« sagte sie leise, »möge Gott es ihm lohnen, was er an uns thut!«

Rothtraut schob die letzte Schachtel unter den Sitz; sie richtete sich auf und schlang voll stürmischen Jubels die Arme um die Mutter. »Ach Mamachen! nun sind wir bald da! Haben wieder eine hübsche, warme Stube, und keine Sorge und Not mehr! Ach, mir ist's, als müßte ich immer laut in die Welt hinaus jubeln, die Wonne erstickt mich! Ich möchte mit den Schneeflocken tanzen und mit dem Sturm um die Wette jagen!«

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Die Geheimrätin streichelte zärtlich die rosigen Wangen ihres glückseligen Kindes. »Gott sei gelobt dafür, mein Liebling! Ach, der junge Mann ahnt es gewiß gar nicht, wie sehr er uns beglückt!«

»Junger Mann?« fragte Rothtraut erstaunt und riß die Augen weit auf, »meinst du Torisdorff?«

»Gewiß, wen sonst?«

»Den nennst du jung? Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen.«

Frau von Damasus lachte. »Du wirst ihn mit seinen fünf- oder sechsundzwanzig Jahren doch noch nicht alt nennen?«

»Sechsundzwanzig? O ja, das ist doch schon recht alt!« versicherte die Kleine treuherzig; und dann ist er so furchtbar groß und so ernst – so merkwürdig ernst wie ein guter, alter Onkel – selbst wenn er lächelt und scherzen will. Das ist etwas Ungewohntes für ihn, man merkt's gleich. Siehst du, Mama, Herrn von Torisdorff werde ich stets für einen sehr würdigen Herrn halten, so einen, vor dem man gar nicht verlegen zu werden braucht. Und das ist riesig nett! Ich werde ihn darum doppelt gern haben!«

Wie treuherzig und kindlich lachten die großen Augen die Mutter an! Die Geheimrätin drückte voll aufwallender Empfindung ihr Kleinod an die Brust. Wie ein heißes Dankgebet stieg es aus ihrem Herzen gen Himmel! Was war ihr das warme Zimmer, das tägliche Brot, welches Torisdorffs Barmherzigkeit ihr gab, gegen die Seelenrettung ihres Kindes! Daß sie dieses junge, reine, unverdorbene Kinderherz noch rechtzeitig aus dem Sündenbabel der großen Stadt retten, daß sie Rothtraut das beste und heiligste Gut, welches sie besaß, ihre Unschuld, erhalten konnte, das war ein Gnadengeschenk, welches jede andere Wohlthat tausendfach überwog.

Und wenn der junge Besitzer von Lichtenhagen ihr wahrlich mit der Zeit das verlorene Vermögen zurückerstattete, es war ein Nichts gegen den Reichtum, welchen er ihr schon heute gab, gegen die bewahrte Seele ihres Kindes.

Und während das Backfischchen mit glühenden Wangen weiterplauderte von all der köstlichen Freiheit in Feld und Wald, welche sie nun so in vollen Zügen genießen sollte, als sie dem zurückkehrenden Freiherrn in all ihrer quecksilberigen Beweglichkeit entgegennickte und grüßte, standen in den Augen der Mutter helle Thränen, welche langsam über die lächelnden Wangen hernieder auf die gefalteten Hände rollten.


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