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Es schlug sieben Uhr. Tony fuhr erschreckt aus den Kissen empor und riß die großen, veilchenblauen Augen verschlafen auf.
Sieben Uhr! Du liebe Zeit! Da mußte sie ja schon angezogen und frisiert sein, wenn sie nicht zu spät in die Musikschule kommen wollte! und gerade, als sie hastig nach den Kleidern greifen will, zieht plötzlich ein strahlendes Lächeln über ihr Gesichtchen und ein erleichtertes Aufatmen hebt die junge Brust.
»Es ist ja Festsonnabend! Es ist ja der Tag vor Ostern und die Ferien haben begonnen!«
Tony wirft glückselig den blonden Zopf über die Schulter und dehnt behaglich die Arme.
Wie schön ist es, morgens noch ein wenig auszuruhen und über den Traum nachzudenken.
Ihr Traum! Sie lachte leise auf; wie war der just heute so pudelnärrisch! – Stand vor ihr auf dem Tische ein allerliebster Osterhase, der trug einen Korb auf dem Rücken, welcher mit lauter blanken Goldstücken angefüllt war. Und er verneigte sich sehr höflich, schüttete den Korb vor ihr aus, daß die funkelnden Dukaten über die gestickte Decke rollten, und sagte: »Fröhliche Ostern, Fräulein Tonerl! Ich bringe Ihnen das Glück!« Und als sie ganz überrascht den seltsam sprechenden Hasen anstarrt, da verwandelt er sich in einen bildhübschen jungen Mann, der streicht mit feschem Lächeln das dunkle Bärtchen, neigt sich und gibt ihr einen regelrechten Kuß. Sie schreit auf und wehrt ihn ab … Kling … kling … kling … fallen die Goldstücke auf die Erde … und sie erwacht.
Das »Kling … kling« aber ist die Uhr, welche just sieben schlägt.
Solch ein Traum! Was mag der wohl bedeuten? So viel, viel Geld! – Es glitzert und flimmert noch immer vor den Augen des jungen Mädchens. Ob das ein Wink des Schicksals ist, daß sie heute ein Los nehmen soll?
Gerade gestern, als sie die schön gestickten Paradehandtücher in dem Weißwarengeschäft abgeliefert und bezahlt bekommen hat, ist die Summe vollzählig geworden, welche sie zum Ankauf eines Loses gebraucht!
Ach, ein Los nehmen! Ein bißchen Geld gewinnen, damit ihr trübseliges Dasein etwas freudiger und sonniger würde, damit sie nicht hinaus in die große, unheimliche, fremde Welt braucht!
Ihr Vater ist ein armer Beamter, der gerade nur das Nötigste für seine große Familie verdient, die Stiefmutter ist immer übellaunig und unfreundlich, weil sie noch jung und lebenslustig ist und sich doch nicht so amüsieren kann, wie sie wohl möchte – die vier kleinen Geschwister wollen versorgt und erzogen sein und die große Stieftochter Tony ist dabei recht im Wege.
Sie soll fleißig ihre schöne Stimme üben und dann so schnell wie möglich hinaus und ein Engagement annehmen als Sängerin beim Theater, beim »Überbrettl« Das » Überbrettl«, 1901 von Ernst von Wolzogen in Berlin gegründet, war eines der ersten literarischen Kabaretts in Deutschland., gleichviel, da, wo sie am meisten verdient und die Ihren bald ein wenig unterstützen kann!
Ach, welch furchtbarer Gedanke! Tony schaudert und blickt traurig nach dem Tische hinüber, wo soeben im Traum noch die Goldstücke blinkten. Die Tür öffnete sich und die alte Lene tritt ein. Die versteht sich auf Träume!
Flugs richtet sich das junge Mädchen empor und winkt sie geheimnisvoll heran, zieht die Alte neben sich auf das Bett nieder und erzählt flüsternd von dem seltsamen Osterhasen, welcher ihr erschienen. Aufmerksam hört Lene zu, nickt bedächtig vor sich hin und spricht: »Die Sache ist ganz einfach, Tonerl! Wenn du heute einen Osterhasen oder ein Stück Geld geschenkt bekommst, dann bringt's Glück, dann mußt du ein Los nehmen – aber wohlverstanden: nur, wenn du's geschenkt bekommst! Selber den Hasen kaufen, nützt gar nichts – einzig und allein das Geschenkte hat Wert für solchen Traum!«
Da seufzte das junge Mädchen tief auf.
Wer sollte ihr wohl einen Osterhasen – just solch einen Hasen mit so viel Geld – schenken! So ein armes Hascherl wie sie bekommt nichts mehr geschenkt – selbst zum Osterfeste nicht! –
In der großen, eleganten Konditorei, welche an der Hauptpromenade der Residenz lag und fast ausschließlich von dem besseren Publikum besucht wurde, war es in den ersten Vormittagsstunden noch still und einsam, obwohl eine herrliche, reichhaltige Osterausstellung in den großen Schaufenstern die Blicke aller Passanten fesselte. Da standen die Häschen, Lämmchen, Hühnchen und Nestchen in allen nur erdenklichen Formen und Größen, da lockten die bunten, hochgetürmten Eier von Marzipan, Schokolade und Zucker, und ein feiner junger Herr, welcher just recht behaglich und vergnügt vorüber schlenderte, blieb stehen und schaute mit lustig blitzenden Augen über all diese süßen Herrlichkeiten hin.
Langsam stieg er die beiden Steinstufen empor und trat in den Laden, begrüßte das Fräulein der Kasse mit ein paar heiteren Worten, wie ein guter Bekannter, und bestellte sich seine Frühstücksfleischbrühe.
»Nun, Herr Doktor, schon so früh heute zur Stelle?« fragte die Verkäuferin, Tasse und Pastetchen auf eines der kleinen Marmortischchen niederstellend, und der junge Mann dehnte lachend die Arme und antwortete: »Osterferien, Fräulein! Es gab nichts mehr für mich auf der Redaktion zu tun, da nahm ich den Hut vom Nagel und sagte der lieben, alten Bude für ein paar Tage: ›Behüt Gott!‹«
»Und nun schreiben Sie recht fleißig an dem Lustspiel?«
Der Herr Doktor zog eine leichte Grimasse. »Bei dem schönen Wetter stürzt sich kein Mensch voll selbstmörderischer Absicht in das Tintenfaß. Fräulein! Nein, heute am Festsonnabend hat der Mensch andere und bessere Verpflichtungen, sehen Sie – hier!« Und er griff in die Rocktasche, zog ein paar bunte Osterpostkarten hervor und zeigte schmunzelnd die lustigen Hasenbilder darauf: »Ich muß Ostergrüße schreiben, recht eilig schreiben … habe es total vergessen und werde mich hier damit amüsieren, wenn Sie gütigst gestatten! Haben Sie nicht Tinte und Feder zur Hand? Wäre Ihnen riesig dankbar! Wissen Sie, Fräulein, es gibt Stimmungen, wo der Mensch irgendeinen Ulk loslassen muß, eine so recht fidele Ferienstimmung, und die sitzt mir heute im Nacken und stiftet mich rettungslos zu irgendeinem Studentenstreich an! Mit den Karten hier geht's los! Diese Hasenfamilie mit den acht hoffnungsvollen Sprößlingen und Drillingen im Wägelchen bekommt mein Freund Max, welcher am zweiten Osterfeiertag heiraten will … natürlich adressiere ich den Ostersegen an die Wohnung der Braut …«
»Aber Herr Doktor!«
Er lachte hell auf. »Sie erlauben's nicht? Na, auch gut! Nur erst mal Feder und Tinte!«
»Am besten wäre es, Herr Doktor, Sie setzten sich hier an das Kassenpult! Das Gitter davor versteckt Sie vor etwaigen Kunden … Sie sehen alles und werden doch nicht gesehen und können ganz ungestört schreiben!«
»Famos! Machen wir! Küsse die Hand, Fräuleinchen!«
Und Doktor Erich Helfen zog sich mit seinen Karten hinter das hohe Holzgitter zurück und begann einen sehr stilvollen Vers unter die Hasenfamilie zu dichten.
Die Türklingel ertönte und zwei Damen traten in den Laden – eine hübsche, blühende Frau in den besten Jahren, und ein schlankes, blondes, junges Mädchen – beide schienen mit Freuden zu bemerken, daß sie allein mit der Verkäuferin waren.
Sie wandten sich der langen Tafel mit den aufgestellten Attrapen und Eiern zu und Doktor Helfen hob den Kopf ein klein wenig und lugte neugierig durch das Gitter.
Potz Wetter, das war ja seine süße Kleine, der er allmorgendlich mit der Musikmappe am Arm begegnet!
Jenes holde, schüchterne Kind, welches nie die großen Veilchenaugen aufschlägt, wenn er auch noch so langsam und auffallend nahe neben ihr herschreitet und sie anstarrt!
Wie sehr sympathisch ist ihm diese reizende Scheu und Zurückhaltung, wie sehr wohltuend berührt sie ihn nach so manch keckem und herausforderndem Blick, welcher ihn aus schönen Augen trifft!
Und just, wie er dies denkt, stößt die Kleine einen leisen Laut der Überraschung aus und weist auf einen Osterhasen, welcher zwischen ungezählten Genossen auf der langen Tafel Parade sitzt und ein Tragkörbchen auf dem Rücken schleppt, welches bis an den Rand mit Gold- und Markstücken angefüllt ist!
»Mama! – sieh doch … da ist er wirklich und leibhaftig … mein Osterhase, von welchem ich geträumt habe!« –
Die Mama läßt sich gerade, recht übelgelaunt, die hohen Preise der einzelnen Eiersorten nennen, sie zuckt ungeduldig die Schultern.
»Stör mich nicht! – Gibt es denn nicht billigere Marzipans, Fräulein? Ja? Dann holen Sie sie doch mal heran!«
»Mamachen!« flehte es leise neben ihr; »nur den einen, einzigen Wunsch erfülle mir – schenk mir diesen Hasen!«
»Diesen Hasen schenken? Du bist wohl toll, Tony! Als hätte ich das Geld zum Fenster hinauszuwerfen! So ein großes Frauenzimmer, wie du, und will einen Osterhasen haben! Lächerlich!«
»Mamachen … Ach, nur dies eine Mal …«
»Du weißt, daß die Kinder neue Hüte und Frühlingsmäntel … daß ich ein Kostüm … du einen Regenmantel und unzählige neue Noten brauchst! Wo soll es denn herkommen? Ich verbitte mir jede unnötige Ausgabe! Wenn's nicht für die Kleinen ein paar Ostereier sein müßten, kaufte ich sie nie!«
»Ach, Mama … ich will gern auf den Mantel verzichten … nur den Hasen kauf mir … es ist mein innigster Wunsch!«
Die großen Augen füllen sich mit Tränen, die rosigen Lippen flehen geradezu inbrünstig
Aber die Mama macht ein bitterböses Gesicht und dreht sich kurz um.
»Du scheinst verrückt zu sein! Ich verbitte mir solchen Unfug, verstanden?«
Das blonde Köpfchen sinkt schwer auf die Brust, ein leiser Seufzer zittert an Helfens Ohr und gleichzeitig tritt das Fräulein wieder herzu und sagt: »Es wäre wohl am einfachsten, die gnädige Frau käme mit in das Nebenzimmer, da sind auch Konfitüren ausgestellt, die billigen Sorten ebenfalls!«
Und die Damen gehen in das Nebenzimmer. Schnell wie der Gedanke, von niemand bemerkt, huscht der Doktor hinter der Kasse hervor, nimmt leise den Hut und eilt auf die Straße.
Mit übermütig blitzenden Augen wartet er hinter dem Schaufenster, bis die Damen in den Laden zurücktreten und die Mama mit sauersüßem Gesicht ihre Ostereier an der Kasse bezahlt, dann springt er schnell die Steinstufen empor, tritt hastig und ganz wie von ungefähr ein und schreitet schnurgrade auf die Tafel mit den Osterhasen zu. Er greift denjenigen mit den Goldstücken aus der Mitte heraus, wendet sich schnell der jungen Dame zu und drückt ihr mit sehr höflicher Verbeugung den süßen, kleinen Gesell in die Hand. »Gestatten Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen diesen Osterhasen – just diesen – zum Geschenk mache. Er wird Ihnen das Glück ins Haus bringen!«
Tony steht wie erstarrt und sieht erst den Herrn und dann den Hasen an, dieweil heiße, dunkle Purpurglut ihr reizendes Gesichtchen deckt. Die Mama aber reißt die Augen weit auf und fragt mit einem Gemisch von Strenge und Staunen: »Mein Herr … ich kenne Sie nicht … was soll das bedeuten?«
Da zieht Doktor Helfen abermals den Hut und verbeugt sich sehr verbindlich vor der Fragerin.
»So ist des Schicksals Ruf an mich ergangen,
Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen!«
»So ist des Geistes Ruf an mich ergangen, / Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen.« (Schiller, Die Jungfrau von Orleans, Prolog, 4. Auftritt)
rezitiert er feierlich, legt schnell ein Geldstück auf die Kasse –: »Hier, mein Fräulein!« und ist im nächsten Augenblicke wieder schnell, wie ein Gedanke, hinter der Tür verschwunden.
»Mama!« ringt es sich von Tonys Lippen, sie steht und zittert wie Espenlaub und zieht ihren so unbegreiflich geheimnisvoll und schier spukhaft geschenkten Hasen an das hochklopfende Herz.
»Kennen Sie den Herrn, Fräulein?« wendet sich die Frau Rat, ein klein wenig entrüstet scheinend, an die Verkäuferin, und diese verbeißt mühsam ihr Lachen und antwortet höflich: »Der Herr war schon etliche Male hier im Geschäft. Soviel ich weiß, ist er ein junger Schriftsteller und Redakteur an einer hiesigen Zeitung!«
»Ah … Schriftsteller?« – Die Mama lächelte ein wenig spöttisch: »Bei solchen Leuten darf man sich allerdings über keine Extravaganzen wundern, Schriftstellern und Dichtern sieht man manches nach, was man bei anderen Leuten verrückt oder unverschämt nennen würde. – Komm Tony.« – Frostig und kurz grüßt die Frau Rat, ihr blondes Töchterchen aber folgt wie im Traume, mit Augen, welche in beinahe märchenhaftem Glanze strahlen und in welchen noch der ganze süße Kinderglaube an Zeichen und Wunder wohnt!
Ja, ein Wunder, ein liebes, unfaßliches Wunder, welches sich kein Mensch erklären kann, war geschehen, und kaum daß das junge Mädchen zu Hause angelangt ist, holt sie heimlich, mit zitternden Händchen ihren so mühsam erworbenen, lang verborgenen Schatz aus der Kommode hervor und eilt unbemerkt davon, das langersehnte Los zu kaufen. Daß dieses ihr Glück und Gewinn bringen müßte, däuchte ihr so gewiß, wie Frühlingsblüten, welche doch endlich kommen müssen, wenn Eis und Schnee auch noch so lange die Welt in schwere Banden schlugen.
Und als das Los in ihrer Hand liegt, da sitzt sie vor dem Osterhäschen und starrt es an, wie eine Vision.
Gerade – ganz gerade so sah auch dasjenige in ihrem Traume aus … und als es sich plötzlich verwandelte in den jungen Herrn, welcher so keck und innig ihre Lippen küßte … da – – – Tony schlägt plötzlich heißerglühend die Hände vor das Gesicht … da däuchte es ihr, er sah ebenso aus, wie jener Herr, welcher ihr den Hasen auf solch rätselhafte Weise schenkte.
Sie war zu erschrocken gewesen, um ihn in jenem Augenblick genau anzusehen, aber das weiß sie gewiß, unter Tausenden würde sie ihn heraus erkennen, wenn er jemals ihren Weg wieder kreuzte! – – –
Das Osterfest war vorüber, die schönen, kurzen Ferien vorbei und Tony wanderte abermals mit ihren Noten nach der Musikschule, als plötzlich ein Schatten in den hellen Sonnenschein des Weges fiel und eine recht frische, fröhliche Stimme neben ihr sagte: »Verzeihen Sie, mein verehrtes Fräulein, wenn ich mir gestatte, nach dem Befinden des Osterhasen zu fragen?«
Das junge Mädchen schrak aus tiefen Gedanken empor und schaute, auf das höchste verwirrt, in das hübsche, geistvolle Gesicht jenes Unbekannten, welches sie zuerst im Traum und dann in jenem verhängnisvollen Augenblick in der Konditorei geschaut, und weil sie sich in Gedanken so viel mit diesem rätselhaften Unbekannten beschäftigt hatte, kam er ihr gar nicht mehr fremd vor und ein leiser Freudenlaut zitterte über ihre Lippen.
»O, Sie sind es, mein Herr! – endlich habe ich Gelegenheit, Ihnen für Ihre große Liebenswürdigkeit zu danken – endlich kann ich Sie fragen …« Sie zögerte und verstummte verlegen, unter dem lachenden Blick seiner großen, dunkeln Augen.
»Ihren freundlichen Dank las ich bereits in Ihrem strahlenden Blick, mein Fräulein. Ihre sehr berechtigte Frage aber: ›Wie wohl der keckste aller Übeltäter heißen möge‹, die erwartete ich und erlaube mir derselben zuvorzukommen –« er lüftete abermals den Hut und verneigte sich sehr respektvoll und galant: »Erich Helfen, Doktor der Philosophie, Redakteur und Schriftsteller – viel auf einmal und doch reicht es selbst für die bescheidensten Ansprüche noch nicht aus!« – Sie stimmte unwillkürlich in sein fröhliches Lachen ein. »Nein – so indiskret wollte ich gar nicht fragen!« schüttelte sie mit heißer Glut auf den Wangen das Köpfchen: »Nur wissen möchte ich gern, was Sie veranlaßte, mir – just mir jenen … gerade jenen Hasen zu schenken!«
Er zuckte geheimnisvoll die Schultern: »Schicksalswalten! Wissen Sie nicht, daß die kleinen Frühlingsgeister durch die Luft schwirren … den Menschen holde Träume vorgaukeln …«
»Träume?! – Haben Sie etwa auch von dem Osterhasen geträumt?« – Atemlos vor Spannung sah sie zu ihm auf, er aber strich ganz ernsthaft das Bärtchen und meisterte den Schalk in seinem Blick: »Ich träumte wenigstens von dem Glück, welches solch ein kleiner Bursche manchmal stiften kann, und träumte, daß Fräulein Tony Frankenberg und ich in Zukunft gute Freunde sein werden! Auf Wiedersehen, meine Gnädige, eben schlägt es acht Uhr … und Ihr gestrenger Lehrmeister darf nicht warten!« Er grüßte abermals sehr höflich und trat zurück, Tony aber stieg wie im Traume die Treppe der Musikschule empor.
Am nächstfolgenden Tage trat er ihr abermals unterwegs entgegen und reichte ihr mit ganz besonders sprechendem Blick einen Veilchenstrauß. »Ein wenig Grünfutter für den Osterhasen!« scherzte er dabei und Tonys Lippen bebten zwar vor Verlegenheit, aber sie wies das Sträußchen doch nicht zurück.
Am anderen Tag regnete es und er hielt ganz wie selbstverständlich seinen Schirm über sie und begleitete sie abermals zu dem Konservatorium, und sie plauderten bereits wie alte Bekannte, und er bestellte viele Grüße an den Osterhasen daheim.
Nach den Veilchen bekam der kleine Gesell einen Strauß Schneeglöckchen – und dann Primeln und gelbe Himmelschlüsselchen und Maiblumen, und die Frühlingssonne stieg immer strahlender am Himmel empor, das Wetter ward immer wonniger, immer lenzesschöner, und Erich Helfen wartete nicht mehr auf dem Hinweg seiner kleinen Freundin, sondern er stand unter den blühenden Gebüschen der Anlagen, wenn sie von den Stunden zurückkam, und beide wanderten durch den lind duftigen Park, wo die Vögel zwitscherten und die Blumen auf den Rasenflächen leuchteten.
Und sie sprachen immer vertrauter, und ihre Augen glänzten noch heller, wie all die Maienpracht ringsum, und die Herzen schlugen heiß und sehnsuchtsvoll in der Brust, als warteten sie auf einen Lenz des Glückes, welcher endlich, wie ein lichter Ostertag, auch für sie anbrechen muß.
»Warum sind Sie eigentlich so fleißig, Fräulein Tonerl?« fragte er eines Tages nachdenklich, »treiben und studieren Sie nur aus Passion Musik?«
Sie schüttelte seufzend das Köpfchen. »Ach nein! Ich bereite mich für einen künftigen Beruf vor! Meine Stimme soll ausgebildet werden, denn meine Stiefmutter behauptet, als Sängerin könne ich das meiste Geld verdienen!«
»Als Sängerin?« rief er ganz erschrocken. »Sie sollen auf die Bühne? Welch ein Unsinn, welch eine Torheit! Sie scheues, banges Kind auf die Bühne? Das geht aber nicht! Das – dulde ich nicht! – Das erlaube ich einfach nicht!«
Sie schüttelte harmlos das Köpfchen: »Nein, ich will es auch selber nicht! Ich würde ja vor Angst sterben, wenn mich all die fremden Leute ansehen würden! Schon Konzertsängerin zu sein ist mir ein ganz schrecklicher Gedanke – –«
Er fuchtelte heftig mit seinem Stöckchen durch die Luft. »Ei zum Kuckuck, warum werden Sie es dann? Gibt es nicht noch viele andere Beschäftigungen für Damen? –«
Sie seufzte und sah sehr ängstlich in sein erregtes Gesicht. »Ich habe gar keine Talente und rechnen .… Ach, rechnen kann ich so gar nicht!«
»Ich kann's desto besser … es würde vollkommen für uns beide ausreichen!« murmelte er.
»Daß Sie rechnen können, nützt mir aber nichts!« schüttelte sie trostlos das Köpfchen.
Da faßte er plötzlich ihre kleine, weiche Hand und umschloß sie mit bebendem Druck: »Ich wüßte schon einen Beruf für Sie, liebe Tonerl!« rief er ungestüm: »Den besten und schönsten, den es gibt! Meine Frau müssen Sie werden … Wenn … ja, wenn nur das infame Geld nicht wäre! Aber so wie mein Lustspiel angenommen ist und Erfolg hat und so wie ich erst fest und sicher als Redakteur angestellt bin und ein ständiges Einkommen habe – dann hole ich dich weg aus deiner Musikschule, Tonerl, und dann wirst du meine süße, liebe, kleine Frau und wir heiraten auf der Stelle … ja! So wie ich nur erst das nötige Geld habe! Tonerl, sag, willst du mich dann?«
Es war still und einsam um die Mittagszeit im Park, außer Vöglein und Blumen war niemand zugegen, und so sah es auch keiner, wie Erich Helfen seinen holden Schatz in die Arme schloß und sie ebenso innig und zärtlich küßte, wie jüngst im Traum!
Und wieder waren zwei Tage vergangen und der Himmel glänzte noch blauer und festlicher, wie zuvor, und alle Blüten, welche noch in der Knospe gesteckt hatten, als Erich Helfen seine junge Braut zum ersten Male küßte und sich ihr angelobte für alle Ewigkeit trotz einer noch so langen Wartezeit, die waren über Nacht aufgebrochen zu zauberholder Schöne! Nun glitzerten sie im Frühtau, als müßten sie sich für den heutigen Tag ganz besonders bräutlich schmücken, und sie hoben die Köpfchen, als sie den jungen Mann allein daherkommen sahen und in sein besorgtes Antlitz blickten.
Er hatte vergeblich auf sein Tonerl gewartet und viele bange Fragen durchkreuzten sein Hirn, was wohl ihr Ausbleiben verschuldet haben könne – aber noch war er nicht bis zu der Mitte des Parkweges gelangt, als sein sehr eiliger, leichter Schritt … und sein leise gejubelter Name hinter ihm erklang:
»Erich!« –
Er stürmt ihr entgegen, er blickt überrascht in ihr glühheißes Gesichtchen, welches ihn wie trunken vor Wonne und Glückseligkeit anlachte.
»Erich – lies! lies!« –
Sie drückte ihm eine Gewinnliste voll großer, schwarzgedruckter Zahlen in die Hand. – »Nr. 25 788 … Hier siehst du … den zweithöchsten Gewinn … ach, so viel, viel Geld, Erich!!«
Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich habe schon oft gespielt, aber nie etwas gewonnen, Schatz!«
»Aber ich habe gewonnen!« stieß sie atemlos hervor. »Hier ist mein Los … Weißt du, das Osterhasenlos … Aber nein! Du weißt ja noch gar nichts, du herzlieber Mann … Und nun muß ich dir alles erzählen … Und dann sagst du mir, wie wir es nun anfangen müssen, den großen, schweren Sack voll Geld nach Hause zu schleppen!«
Auf der Bank unter den weißen Blütenzweigen saßen sie Hand in Hand und Tony erzählte von ihrem seltsamen Ostertraum und von dem noch viel seltsamer geschenkten Osterhasen, und von dem Los, welches sie daraufhin genommen und das nun einen so hohen Treffer getan!
Da lachten und jubelten sie beide um die Wette und nannten Osterhäschen ihren Glücksbringer und den herrlichsten kleinen Burschen auf Gottes weiter Welt!
Er soll auch für ewige Zeiten den Ehrenplatz in ihrem Hause behalten!
Die Osterglocken waren verklungen – als aber die Pfingstmaien über Tür und Tor prangten, da rüstete ein überglückliches, junges Paar schon zur Hochzeit, und der Bräutigam überreichte seiner Herzlieben das vollendete Lustspiel, welches bereits am Hoftheater zur Premiere angenommen ist. Daß er so fleißig daran arbeitete und daß es so sehr, sehr lustig wurde, verdankt auch er nur dem Osterhasen!