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Am Ende der Welt


I.

Droben im Hochgebirge, wo die Fahrstraße sich mühsam über den Paß windet und die letzten, hohen, schwarzgrünen Tannen den Weg säumen, ehe sie mehr und mehr zusammenschrumpfen zu Unterholz und niederem Busch, steht ein kleines, dürftiges Häuschen, in welchem der Wildhüter jahraus, jahrein in tiefster Weltabgeschiedenheit haust.

Obwohl das armselige Gebäude sehr geschützt steht, eine hohe Felswand die eine Seite und die mächtige Tannenkulisse jenseits der Fahrstraße seine Front schützt, ist das tief niederhängende Dach doch mit gewaltigen Felssteinen beschwert, die winzigen Fensterchen tragen verwitterte Holzläden und die Haustür ist durch einen dicken Querbalken geschlossen, als gälte es, eine Festung vor dem Feind zu schützen.

Der Postillon, welcher alle zehn oder vierzehn Tage, je nachdem im Sommer Verkehr und Bestellgut vorhanden, an dem Häuschen vorüberfährt, hat selten, fast nie, Fenster und Türen offen gesehen.

Er kennt den Wildwärter kaum von Angesicht, denn der hat tagsüber in den Forsten seinen Dienst zu versehen, und trifft es sich zufällig mal, daß eine Extrapost mit eiligen Touristen am Sonntag fährt, so sieht man vielleicht den wetterharten, kernigen Mann in der grauen Joppe, den wildledernen Kniehosen und nägelbeschlagenen Bergschuhen auf der Bank sitzen und allerlei hölzernen Hausrat schnitzen. Er schaut dann kaum auf, nickt kurz und ernsthaft sein »Grüß di Gott!« und hat nie ein Schneid darauf, sich in einen längeren Schwatz einzulassen.

Wer sonst noch bei ihm haust, weiß der Schwager nicht, – nur der hochwürdige Herr Kaplan, welcher zu den hohen kirchlichen Festtagen selber über den Paß nach dem hochgelegenen Dörfchen D. an der jenseitigen Gebirgswand fährt, – oder seinen Vertreter schickt, des heiligen Amts zu walten, der hat ein paarmal am Wildhüterhäuschen angeklopft, und da ihm voll freudiger Hast und mit großer Ehrerbietung geöffnet wurde, hat er ein Stündchen in Stube oder Garten verweilt, einmal sogar vom Wildhüter mit blassem Angesicht und schmerzbebenden Lippen erwartet, mit der Bitte, sein sterbendes Weib zu segnen und das Neugeborene zu taufen.

Der Kaplan war wohl der einzige, welcher im Hause des Aloys Beckhaber Bescheid wußte. Frohes aber konnte er nicht davon erzählen. Der Aloys war ehemals Floßerknecht gewesen, ein hübscher, bildsauberer Bub, welcher es der hübschen Kathi, dem Stubenmadel aus dem Herrenschloß, angetan hatte.

Waren beide wohl reich an Liebe und Hoffnung, aber blutarm an Geld und Gut, und an Heiraten konnte der Aloys schon gar nicht denken.

Da kam der Kathi ein gescheiter Gedanke. Sie hatte in der Johannisnacht geträumt, sie hause als des Aloys schmuckes Weiblein in einem gar saubern, kleinen Waldhaus, und am Morgen kam der Forstläufer ins Schloß und erzählte, der alte Nazi, der Wildhüter am Paß droben, sei in eine Klamm abgestürzt und tot liegen geblieben.

Es sei gut, daß Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog nun bald zu den Jagden hier einkehre, da werde er wohl selbst des Nazi Nachfolger bestimmen!

Allsogleich schoß der Kathi der gute Gedanke durch den Kopf, und als der Erzherzog und seine erlauchten Jagdgäste wie alljährlich im Schlosse eintrafen, da machte sich die Kathi eines Morgens ganz besonders schmuck und wußte so lange im Zimmer des hohen Herrn zu hantieren, bis der Erzherzog eintrat und auf das respektvolle »Grüß Gott!« der Kleinen in leutseliger Weise durch eine Ansprache antwortete.

Da war der wichtige Augenblick gekommen. Wohl schlug der Kathi das Herz im Halse, aber sie nahm allen Mut zusammen und fing an, dem Erzherzog zu erzählen, daß sie ja wohl eine große Bitte auf dem Herzen habe – der aber lachte lustig auf und rief: »Kathi – ich schau dir's an der Nas' an, das gilt um einen Schatz!!«

»O mei! was bist' gescheit!!« entsetzte sich das Dirndel, und nun sprudelte es über ihre Lippen vom Aloys, der ganz gewiß der schönste, schneidigste und feschste Bub im Land sei – Eure Kaiserliche Hoheit ausgenommen! – und daß er wie kein anderer zum Wildhüter passen täte und daß sie dann gleich Hochzeit machen könnten, und daß dies eine Guttat vom Erzherzog sein würde, die alle Engerl im Himmel auf ein goldnes Papierl schreiben würden!

Da lachte der hohe Herr noch mehr und sagte: »Wenn du das mit dem goldenen Papierl für gewiß hältst, daß es nachen nit etwa doch nur ein silbernes ist – dann schick mir deinen bildsauberen Aloys morgen früh in die Rentei, will seh'n, ob er noch nit ein Wild gehieselt hat, – und wenn er wirklich so ein Blitzbub ist wie du sagst, dann soll er das Pöstel haben und die Kathi dazu!«

O Jankerl, war das ein Freud'!

Mit blitzenden Augen hat der Aloys im besten Sonntagsstaat vor dem fürstlichen Herrn gestanden, und der Erzherzog hat wieder schalkhaft gelacht und gemeint: »Das Katherl hat recht, der Bub ist so grausi schön, daß er und nie ein anderer Wildhüter werden muß!«

Da war das Glück da!

Viele meinten, es sei bescheiden genug, und die Einsamkeit droben wäre nicht allzu verlockend, aber die beiden Liebesleute waren anderer Meinung und so glückselig, daß allen das Herz aufging, die sie nur sahen.

Und nach vierzehn Tagen schon war Hochzeit, und der Erzherzog und alle hohen Jagdgäste standen just im Schloßhof, als die Neuvermählten aus der Kirche kamen.

Da rief der Erzherzog: »Frau Katherl, tu einmal die Schürz auf!«

Und hui flog ein Goldstück hinein.

Die anderen Herren drängten lachend herzu und kling-kling-kling ging es in die buntblumige Schürze.

Atemlos stand die Kathi und vergaß in ihrem starren Staunen jedes »Vergelts Gott!«, der Aloys aber ward blutrot im Gesicht, lachte, daß seine weißen Zähne blitzten, und drehte den Grünhut in den Händen.

»Da weiß i auch rein gar nix zu sagen, ihr hohen Herren!« stammelte er, und als er sich endlich auf eine schickliche Rede besonnen hatte, da waren die vornehmen Jäger schon auf und davon, – aus dem Schloß heraus hörte man noch ihre heiteren Stimmen.

Nun war das Kathi nicht nur eine glückliche, sondern auch sehr reiche Frau geworden, denn an hundert Gulden waren es wohl, die da in seiner Schürze klangen.

Auf das Wildhüterhäuschen aber schien die Sonne heller wie je zuvor, und wenn dermalen die Postchaise vorbeirollte, so sah der Postillon jedesmal ein blühendes junges Weib in der Tür stehen, der lagen die dicken Zöpfe wie gesponnenes Gold um den Kopf, die lachte und nickte ihm zu, und noch fern am Fels droben hörte er ihren hellen Gesang über die Alm klingen. Der Aloys war ein pflichttreuer, glückseliger Mann, und der Erzherzog meinte im andern Jahr, so gut wie heuer sei das Hochwild noch nie überwintert, der Beckhaber sei gut auf die Futterplätze bedacht gewesen.

Jahr um Jahr verging.

Das schlanke Katherl ward allweil ein wenig rundlicher, und lachen und singen tat es auch noch, aber der Postillon meinte: »Ganz so lustig wie eh' sei es nicht mehr.«

Und auch der Aloys rauchte oft still und nachdenklich die Pfeife, und dann sah er seinem Weib in die Augen und beide seufzten tief auf. –

Ja, was nützte nun Haus und Hof und das Geld im Kasten, wenn es gar so öd und still im Stüblein blieb und die große, holzgeschnitzte Wiege Jahr um Jahr leer stand? –

Die schönsten Enzianen, Almrausch und Windröslein suchte die Kathi, brachte es zu dem Bildstöckel am Weg, kniete nieder und betete so recht voll Inbrunst und heißer Sehnsucht.

Jahr um Jahr. –

Und als der Hochzeitstag zum zwölftenmal wiedergekehrt war und das Kathi mit rotgeweinten Augen der heiligen Mutter Gottes die schönsten Edelweißsterne brachte, welche der Aloys seinem armen Weibe zur Freude für diesen Tag gesucht hatte, da deuchte es der Beckhaberin, als ob die hohe Himmelskönigin ihr gar wundersam ernst und wehmütig zugenickt habe, grad als wolle sie sagen: »Wenn du mir gar keine Ruhe läßt, so magst deinen Willen haben, ob aber so was Ertrotztes gut ist, das ist eine andere Sache!« –

Das hörte und verstand aber das Kathi nicht, und als wieder ein paar Wochen ins Land gezogen waren, da schritt es plötzlich umher mit verklärtem Angesicht und lächelte ganz still und heimlich, der Aloys aber war wie von Sinnen und warf sein Grünhütel in die Luft und fing's mit einem hellen Juchzschrei wieder auf. –

»Kathi, – wann's ein Bub ist – nachen soll er Wendl heißen, nach dem heiligen Wendelin, zu dem i alle Tag bet' hab!«

»Und wann's ein Madel ist, nennen wir's Mirl, denn weißt, i hab der heiligen Gottesmutter alle Tag die schönsten Blümerln bracht, da hat's mi erhört!«

Als an den Kiefern die gelben Blütenkolben ihren duftigen Staub streuten und Tausende von Bienen sie umschwärmten, da hielt die gelbe Postchaise vor dem Wildwärterhaus still, und eine alte Frau, die Mutter des Aloys, kletterte andächtig heraus, drückte ihrem glückstrahlenden Sohn die Hände und fragte ernsthaft: »Ist's so weit?«

»Grad recht, daß Ihr kommt, Mutterl!« nickte der mit bebender Stimme, faßte glückselig die beiden Bündel, welche die Alte mitbrachte und trug sie ins Haus. Dann kam das Glück noch einmal, so hell, so groß und sonnig, daß es die Augen blendete.

In der Wiege lag ein dicker, strammer Prachtbub, so groß und stark wie kein anderer, und die Kathi und der Aloys schluchzten vor Glückseligkeit. Dann versiegten die Tränen der jungen Mutter, und die, welche der Beckhaber allein noch weiter weinte, waren Tränen bittern, unsäglichen Herzeleids.

Die Kathi war tot, die alte Großmutter wiegte den Wendl, und der Aloys irrte wie ein Verzweifelter durch die dunklen Wälder, und als er heim kam, war er ein stiller, ernster Mann geworden.

Die Großmutter blieb bei dem Wendl und führte dem Sohn die Wirtschaft.

Sie sah wohl schon alt und runzlig aus, aber das kam nur von der harten Arbeit, von Not und Sorge ums tägliche Brot, welche ihr das ganze Leben hindurch ein trauriges Geleit gegeben.

So hoch bei Jahren war die Beckhaberin noch nicht, dabei eisern und hart geschmiedet in dem Feuer des Lebens, und so konnte sie die Arbeit im Häuschen und in dem kleinen Garten noch gut bewältigen, auch das Büblein sorgsam pflegen, damit das mutterlose dennoch zu seinem Rechte kam.

Ja, die Großmutter fühlte sich gar bald wohl und behaglich in dem stillen Heim, welches ihr so üppig und schön deuchte, daß sie vermeinte, auf ihre alten Tage noch ein gar reputierliches Leut geworden zu sein.

Sie sang zwar noch mit leiser, kurzatmiger Stimme das kleine Hascherl in den Schlaf, aber sonst war es so ruhig im Hause geworden, wie ein Grab.

Der Aloys schaffte den ganzen Tag im Walde draußen, und die Großmutter schloß die Fensterläden und die Tür nach der Straße zu ab und sprach: »Die Zeiten sind unsicher, ich bin ein altes Weiblein und kann nicht gegen Gesindel aufkommen; der Aloys mag durch das Gartenpförtchen heimkommen, das liegt hinten am Fels und kennt keiner.« So saß sie Tag für Tag in der Küche am Herdfeuer und spann, und der Wendl wuchs zu ihren Füßen heran, sein lustig krähendes Stimmlein war der einzig frohe Laut, welcher den heimkehrenden Wildhüter begrüßte.

So gingen drei Jahre hin, und die Großmutter sprach zu ihrem Sohn: »Schaff Holz herzu, mein Bub, und zimmere eine sichere und hohe Wand um den kleinen Hof, damit der Wendl allein sein kann, ohne Schaden zu nehmen. Schau, ich hab' mein' Arbeit, und die Füß sind nimmer flink, – ich kann nicht arg viel auf das Hascherl passen, und wenn es auf und davon läuft in den Forst, ist's aus mit ihm. Da find sich's nimmer z'rück und stürzt ab in die Klamm und geht zugrunde.«

Der Aloys war aschfahl im Gesicht bei solchen Worten, nahm Axt und Säge und schaffte mit nervigen Armen.

Da stand bald eine gewaltig hohe Lattenwand rings um den kleinen Hof und das Wurzgärtchen, über die konnten höchstens die Vögel, aber nie nit der Wendl hinaus, und der Beckhaber wischte sich aufatmend den Schweiß von der Stirn und sprach: »Nun setz das Bübli in aller Heiligen Namen ins Gras, nun kann es nicht zu Schaden kommen und du hast's allweil unter Augen.«

So geschah's, und der Wendl spielte einsam und allein in seinem einsamen, weltvergessenen Winkel.

Der Herbst war gekommen.

Von dem Hochgebirge herab sauste der eisige Sturm und warf den Felszacken und schlüchtigen Wänden den ersten weißen Mantel um. Die Tannen rauschten und ächzten und schütteten über den Lattenzaun herüber ihre langen Zapfen auf den Hof, damit sie der Wendl gar geschäftig zusammentragen und neben dem Herd aufschütten konnte, dieweil die Großmutter lachte und sagte: »Nun hab' ich's fein kommod, das Feuerzünden!«

Die Fahrstraße herauf keuchten die vier Rosse und schleppten mit sturmgezausten Mähnen die Post über den Paß, aber vor dem Wildhüterhäuschen knallte plötzlich des Schwagers Peitsche.

»Brr!« schrie er. »Beckhaber, bist daheim?« und dann wandte er sich zurück und schaute auf eine junge Frau, welche mit einem kleinen Kind auf dem Arm aus der gelben Postkutsche herauskletterte und mit betroffenem Blick auf das totenstille Häuschen starrte, das mit seinen geschlossenen Fensterläden dastand wie tot und ausgestorben. »Macht nix, Frau, daß es so still ist! Schlag Lärm und klopf! Nachen tut schon eins auf!«

Und die junge Bäuerin mit dem schwarzen Kopftuch seufzte und sagte kopfschüttelnd: »Jessas! ist dös a Einsamkeit! Wer hier a paar Jahrdeln haust, wird verrückt!« – Aber sie schritt zur Haustüre, griff ein Stück Holz auf und hämmerte gegen die Tür.

»Heda! Frau God! seid's nöt daheim?«

»Allweil kommt's!« nickte der Postillon.

Ein Fensterladen ward ein klein wenig aufgetan.

»Wer ist draus?« fragte die Beckhaberin.

»Ei liebe Frau God! kennt's Euch nit mehr aus auf mi? 's Lenerl, – der Silkbäuerin ihr armes Lenerl, das Ihr über die Tauf gehalten habt, bin i, und weil i so arg tief im Elend bin, vermein' i, – Ihr nehmt mi um der heiligen Jungfrau willen auf!«

»'s Lenerl! – Gott erbarm' sich, 's ist das Lenerl!« klang die Stimme der alten Frau, der Fensterladen schlug zu und es blieb ein Weilchen still, dann rief eine Stimme hinter der Haustür: »Gleich komm' ich! Schau, Lenerl, die Tür ist zug'pflöckt, – geh' um den Zaun herum, ich laß dich zum Hinterpförtel ein!«

»Na, da bist ja aufgenommen, Frau!« sagte der Postillon zufrieden. »Gehab dich wohl, und verlustier dich nit allzuviel hie droben!« Er lachte und schnalzte den Pferden mit der Zunge, da zogen sie wieder an.

Das Lenerl aber machte ein recht sauertöpfisches Gesicht und murmelte: »Spott mich nur aus! Ich hab kein' Wahl mit 'm Unterschlupf, und mit dem Verlustieren ist's für eine Witfrau so schon aus!«

Sie wickelte das Kind auf ihrem Arm fester in das Tuch und schritt um das Haus herum, bis sie die kleine Pforte im Zaun fand, an welcher bereits die Großmutter stand und der Nahenden mit angstvoll großen Augen entgegenstarrte.

»Ei, Lindbäuerin, äfft mich's Gesicht, oder bist's fein selbst? und um solche Zeit kommst da herauf, mit dem Kind gar … und hast ein schwarz Tüchel um … und hab' vermeint, du sitzest drunten im reichen Bauernhof zwischen lauter Speck und Würst und weißt gar nix mehr von der alten God am Paß droben!«

Da fing die junge Frau bitterlich an zu weinen, und das Kind auf ihrem Arm weinte auch, und sie traten in das Haus.

»Ach God, was Ihr an mir schaut, ist nix als ein Häuflein Elend! – Speck und Wurst sind aufgebrannt. – Der Lindbauer, mein Mann, ist ein Loderer gewest und hat gesoffen und gespielt und all sein reiches Erbe verbracht, und wie ihm das Messer am Hals gesessen ist, daß er nimmer aus und ein gewußt hat, da hat er an seine hohe Feuerkass' gedacht, und hat selber Haus und Hof in Brand gesteckt. – Der Nazi aber, der grad bei der Evi gefensterlt hat, – der is' gewahr worden und hat Lärm geschlagen und den Lindbauer ein' Brandstifter genannt, und wie die Gendarmen kommen sind, da hat mein Mann sich in der Angst im Garten am Nußbaum aufhängt. – Der Hof liegt in Schutt und Asche, und ich bin als ein bettelarm's Witweib z'rückblieben, hier mein unglückliches Wurmel, das kleine Creszenzl, ist alles, was der reichen Lindbäuerin noch z' eigen geblieben ist!«

Die Großmutter hatte mit Stöhnen und Seufzen die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen, die Sprecherin aber fuhr schluchzend fort: »Da hab' ich kein Obdach g'habt, denn mein Vater ist ein hartes Leut und will das Weib von einem Brandstifter nit aufnehmen, und meine Brüder sind arg geizig und wollen nicht zwei Fresser mehr im Haus, denn für den Winter ist keine Arbeit da, und für nix futtern's uns nit durch. Da hab' ich auf Euch gedacht, liebe God Beckhaberin, weil Ihr mich doch über die Tauf gehalten und gelobt habt, mir 'mal ein zweites Mutterl zu sein! – Schaut, God, ich will kein Obdach und Brot für umsonst, ich will für Euch alle Arbeit tun und mein Teil schaffen! Da hat der Aloys doch ein Büblein im Haus, das will ich fein warten, mit meinem Cenzerl zusammen, und nach dem Vieh schau ich, weil es im Winter für Euch doch arg kalt ist drauß … und alles sonst …«

»Na, sei stad! Davon red' fein gar nix!« sagte die alte Frau und faßte das Lenerl warmherzig bei der Hand. »Da bist, und da bleibst, und damit basta.«

»Und der Aloys? Was sagt der?« forschte die Bäuerin angstvoll.

»Ein Grüaß di Gott! sagt er – sonst nix!« und die Beckhaberin griff nach dem weinenden einen Dirndel und nahm's auf den Arm.

»Ach, du arm's, arm's Hascherl! Hunger hast, gelt? Na, da guck hier, ein Napferl mit Milch … und da kommt der Wendl angetratscht, der wird a Freud' an seinem neuen Gespiel haben!«

Und richtig, der Wendl stand wie erstarrt und schaute auf die fremden Menschen wie auf etwas furchtbar Ungeheuerliches und wich scheu zurück in der Großmutter Rockfalten.

Das Lenerl lockte ihn mit freundlicher Stimme, – da verkroch sich das Büblein noch tiefer, als aber die kleine Creszenz mit lautem Jubel die Ärmchen nach ihm ausstreckte, all ihre Tränen vergaß und »Seppl! – Seppl!« stammelte, da kam er jählings hervor, seine Augen leuchteten wie verzückt, er faßte scheu nach der kleinen drallen Hand und blickte fragend zu der Großmutter auf, als wolle er sagen: »Ist dies auch ein Menschenkind oder was sonst?«

Das Lenerl flüsterte lachend: »Schau! Sie hält ihn für den Sepp, den Bub unserer Großmagd, mit dem's allweil gespielt hat!« – und die Beckhaberin setzte das Dirndel auf die Erde und freute sich, wie es so zärtlich die Ärmchen um den einsamen Wendl schlang. »Schau, das hast du 'mal gut gemacht, daß du dem armen, verlassenen Büberl so eine Kameradin mitbracht hast! Ich mein', die sind bald vertraut zusammen und dem Wendl seine Einsamkeit hat ein End'! Wird sich da der Aloys freuen! – Nun komm aber, Lenerl, und greif zu, daß du mit dem Kind ißt und trinkst, und wenn du neu zu Kräften kommen bist, dann legst a Hand an, daß wir dir ein Stüberl herrichten! O mei! wird das nun a Leben hier im stillen Häuserl sein! Ich mein', der Aloys kann sich's gar nit besser wünschen für uns alle!«

Die Lindbäuerin dankte der God mit herzbewegenden Worten, und aß und trank und musterte dann neugierig ihr Kämmerlein, in welchem sie hinfort hausen sollte. Sie trug das Bündel Kleider, welches sie mitgebracht, herbei und sprach: »Ich hab' dem Postkutscher a Auftrag geb'n, God! Wenn Ihr mir so barmherzig'n Unterschlupf gebt, dann soll er mir mit dem nächsten Mal, daß er hier vorbeifährt, all mei bissel Hab', das mir verblieben ist, mitbringen! Ich gab's der Evi in Verwahr', – die schickt's.«

»Recht so!« lobte die Großmutter: »da ist mehr wie genug Platz hier im Häusel.«

Als der Aloys heimkam, riß auch er die Augen weit auf.

Er bot der Bäuerin gutmütig die Hand und sagte: »Red' kein Wort, Lenerl, – hier im Haus kommandiert mein Mutterl, und wenn die dich haben mag, bin ich's schon lang zufrieden.« Er sah aber dabei so ernst und traurig aus wie stets, und seine Augen leuchteten erst auf, als er das Cenzerl gewahrte, welches neben dem Wendl am Herd saß und abwechselnd mit ihm das brave Waldmannel auf den platten Rücken patschte.

Dazu lachte und krähte es, und der Wendl folgte wie verzaubert jeder Bewegung des fremden Kindes, schaute ihm atemlos vor Wonne in das Gesichtchen und tatschte es nur hie und da einmal vorsichtig an, ob es auch wirklich da und keine Täuschung sei!

»Das ist aber mal gut!« atmete der Wildhüter tief auf, »nun ist mein arm's Büberl nimmer allein!«

Sein erster Gang galt auch stets den Kindern, wenn er heim kam, und dann nahm er jedes auf einen Arm und liebkoste sie abwechselnd; akkurat, als ob's alle zwei sein eigen wären! – wie das Lenerl mit seltsamem Ausdruck in den Augen sagte.

Das muntere Cenzerl liebte den Beckhaber sehr und zauste ihm keck und fröhlich den dunklen Bart, in welchem schon die einzelnen Silberfäden leuchteten, und weil der Wendl ihn »Vata!« rief, so tat's das Cenzerl auch und die Lindenbäuerin hob schämig den Schürzenzipfel an die Wange und sprach: »Mit Vergunst, Aloys, daß mei klein Hascherl dich zu sein Vata machen will, – weißt, es versteht's nit besser!« –

»Da verlier ka' Wort drum!« wehrte der Wildhüter in seiner wortkargen Weise ab und sah gar nicht das Getue der jungen Frau und den forschenden Blick, mit welchem sie ihn musterte.

Und das tat das Lenerl von Tag zu Tag auffallender und machte sich viel zu schaffen um den stillen Mann, brachte ihm flink Speis' und Trank, wenn er heim kam, stellte ihm die trocknen Schuh an den Herd und legte ihm eine frische Pfeife zurecht.

Dabei sang sie mit heller, schmetternder Stimme und ahnte es nicht, daß der Beckhaber ein großes Unbehagen dabei empfand und dachte: »Dös ist mir närrisch, wie eine Witfrau, die so viel Herzweh erfahren, so bald schon jubilieren kann!«

Er saß auch meist still beiseite, schnitzte Hausrat oder Spielzeug für die Kleinen, oder er blieb viel draußen im Wald und legte sich bald zur Ruhe, wenn er heim kam.

Das merkte die Lindbäuerin gar wohl und ward von Tag zu Tag verdrießlicher. Sie sang und schaffte nur so emsig, wenn der Aloys daheim war, während der anderen Zeit saß sie träg und mürrisch am Feuer und legte die Hände in den Schoß.

Des Viehes wartete sie nur widerwillig, weil sie es nun so begonnen hatte, und war froh, als mit der letzten Jahrespost der Beinhauer kam, das Schwein zu schlachten, – da war sie eine Arbeit los, und den Speck und Schinken sowie das »Geselchte« deuchten ihr im Rauch besser, denn zuvor als grunzende Säu im Stall. Sie hatte von der Großmutter sorglich erforscht, wo denn das viele Geld geblieben sei, das die Kathi eh' am Hochzeitstag von den Fürstlichen bekommen hatte, und gehört, daß es der Aloys im nahen Städtchen auf der Sparbank liegen habe, wo es grausig viel Zinsen trage. »Ei, will er sich denn nimmer davon pflegen?« fragte Leni hastig.

»Wo denkst hin?« wehrte die alte Frau ganz erschrocken ab. »Der Aloys sagt: das ist dem Wendl sein mütterliches Erbe! und das rührt er um die Welt nit an, damit der Bub sich mal ein Bauernhof kaufen kann!«

Die Witfrau lachte hart auf und zuckte die runden Schultern.

»Hat denn die Kathi ein' letzten Willen geschrieben und das Kind zum Erben genannt?«

»O mei! Gewiß net! Die Kathi hat so wenig ans Sterben gedacht, wie du anitzt!«

»Ei, so kann der Aloys das Geld abheben, wann er a Schneid drauf hat!«

»Wo sollt' bei dem Kopfhänger noch a Schneid herkommen!«

»Na, ich mein', wenn er eine wieder freien tut!«

»Der Aloys?!«

Die Großmutter schlug wie in starrem Staunen die Hände über dem Kopfe zusammen.

»Ist dir solch ein Gedanken so gar zuwider, God?«

»Mir? – Ach, ich tät allen lieben Heiligen auf den Knien danken, wenn mein armer Bub noch einmal möcht' glücklich werden!«

»Na, da red' fein zu, God!«

»O mei! Hier droben wachsen kaum noch Holderbeereln, geschweige schmucke Dirndels!«

»So? – Dös meinst?!«

Wie wunderlich klang des Lenerl Stimme plötzlich.

Die alte Frau schaute ganz betroffen auf, just in das frische, junge, lachende Gesicht hinein.

»O Jessas!« flüsterte sie leise, »wenn's so wär'?!« Und dieweil sich die Lindbäuerin mit schelmischem Lachen abwandte und zwischen den Töpfen am Herd rumorte, legte die Alte die runzligen Hände im Schoß zusammen und starrte mit bebenden Lippen gerade aus.

»Das Lenerl fein selber?!«

Und so ein Gedanke kam ihr erst jetzt. – Das war narrisch.

Das Lenerl?

Paßt's denn zum Aloys und hat der gar schon ein Aug' auf das schmucke Weib geworfen? Zum Wundern wär's nicht!

Und die Großmutter ist dahergegangen wie blind und taub!

Wird's auch ein Glück sein?

Nun weiß sie doch, was sie allweil noch zu beten hat.

So ganz nach ihrem Sinn ist das Lenerl just nit, – aber sie ist alt und abständig, sie versteht sich nicht mehr auf die Jugend, und der Aloys muß es ja besser wissen.

Die Lindbäuerin huschte im ganzen Hause herum und untersuchte jedes Eck und Winkelchen.

Vor einer großen, eichenen Truhe blieb sie sonderlich oft stehen.

Sie war verschlossen.

»God, was birgst dahier drinnen?«

»Das ist dem Kathi selig sein Hochzeitsstaat, sei' Wäsch' und Kleidung. Der Beckhaber hat alles fein säuberlich eingepackt.«

»Schließ auf, God, und weis' es mir!«

»O mei! Daran rührt kei' Mensch! Dös ist dem Aloys sein Heiliges!«

»Narrheit! Er merkt nix, wann ich's anschau!«

Die alte Frau wehrte sich wochenlang, aber eines Tags, als der Aloys frühzeitig gegangen, drangsalierte die Lindbäuerin abermals und gab keine Ruh, bis die Großmutter aus dem Wandschrank den Schlüssel holte und seufzend aufschloß.

Da glimmerten des Lenerls Augen vor gieriger Lust und sie wühlte mit unzarten Händen die Sachen der Toten durcheinander, hing sich die bunten Ketten um den Hals und seufzte mißmutig: »Welch ein Staat liegt dahier und modert z'sammen, während ich armes Leut daher geh wie a Lump!«

»Ich tät dir's gern schenken, Lenerl, – aber dös gaht nit an! – Der Aloys tät uns den Hals abdrehn!«

Die Großmutter sah nicht das böse, spöttische Gesicht der Witfrau, sie legte den alten Staat fein säuberlich wieder zurecht und schloß ab.

Das Lenerl aber wußte nun, wo der Schlüssel lag, – und wenn die Großmutter schlief, und der Wildhüter im Forst war, dann schlich sie heimlich zum Bodenkämmerlein, achtete nicht der bitteren Kälte, sondern putzte sich mit den Sachen der Toten, trat vor den Spiegel und freute sich an ihrem schmucken Bild, dieweil draußen der Schneesturm heulte und die schwarzen Tannen beinah zusammenbrachen unter der glitzernden Last, welche sie zu tragen hatten.

Langsam, unbeschreiblich still und eintönig schlichen die Wochen dahin, und die Laune der Lindbäuerin ward immer böser, und das arme Cenzerl bekam manch harten Schlag, daß es sich schon immer verkroch, wenn es der Mutter ansichtig ward, und gar gern seine Zuflucht in der Großmutter Rockfalten nahm.

Das Lenerl aber starrte mit finsterer Miene in Schnee und Eis hinaus und ballte grimmig die Hände unter der Schürze.

Langweilig zum Sterben war's hie droben, und nichts auf der Welt haßte das junge Weib mehr, wie die Langeweile!

O, wenn ihr die Not dermalen nicht so bitter auf dem Nacken gesessen, sie hätte nie und nimmer hier eingesprochen, – und dann … je nun, durch die Mutter hatte sie oft gehört, daß der Beckhaber ein vermöglicher Mann geworden sei, welcher kein' Kreuzer verbrauche, sondern alles in den Strumpf gespart habe.

Da dachte das Lenerl: Je nun! Scheel ist besser wie blind! Hier in der Gegend kriegst nie und nimmer einen zweiten Mann, aber der Aloys in seiner Einsamkeit hat nix von der bösen Wirtschaft im Lindbauerhof gehört, – der nimmt dich gewiß!

Und wenn sie erst des Beckhabers Weib geworden, dann war die Zeit der Wildhauseinsamkeit um.

Dann wollte sie schon dafür sorgen, daß der Aloys sein Geld nahm, ein Bauernlehn kaufte und herrlich und in Freuden lebte. Dann zog sie wieder als reputierlich Weibsbild in ihrem Dorfe ein und triumphierte über all die bösen Mäuler, welche ihr dermal so viel üble Nachrede gemacht und gehöhnt und gespottet hatten, als das Unglück über sie hereinbrach! –

O wäre es nur erst so weit!

Aber da sitzt sie bereits den ganzen Winter hier, arbeitet wie eine Magd für das bißchen elende Kost und ein schmales Kämmerlein, und der Lapp, der Aloys, geht daher wie ein Leichenbitter, sieht sie kaum im Wege an und tut alles andere eh', denn um ihre Gunst werben.

So ein sauertöpfischer Gesell gefällt ihr schon ganz und gar nicht, und wenn sie ihn nimmt, dann ist's halt nur, um wieder Bäuerin zu werden und ein Hauswesen kommandieren zu können.

Wie lang, wie unerträglich lang wird ihr dies Warten!

Tot, – öd, – still, – wie im Grabe so kalt und einsam ist's um sie her!

Eine alte Tuntel von Weib und zwei täppische Kinder – das ist alles, was sie zu hören und sehen bekommt!

Der April ist schon ins Land gezogen. In dem Tal drunten ist wohl sicher der Schnee geschmolzen und die ersten Knöspchen springen und die Frühblumeln stehen im Land; – hie droben aber merkt man noch nichts.

Das Schneien hat wohl nachgelassen, aber es ist noch bitter kalt und der Sturm heult. Um Ostern soll die erste Post gehen.

Voll leidenschaftlicher Sehnsucht schaut ihr Lenerl entgegen.

Sie weiß schon einen guten Vorwand, daß sie einmal wieder zu Tal, unter Menschen kann!

Nach dem Lindbauer seinem Grabe will sie schauen!

Dagegen hat kein Mensch was.

Aber sie drängt die Großmutter alle Tage, daß der Aloys wieder freien müßte, und die alte Frau nickt trübselig und sagt: »Ich will mir ein Herz fassen und es ihm plausibel machen!«

Endlich wird's wärmer.

Der Schnee taut schnell und stürzt in schäumenden Bächen zu Tal, – ein paar Tage und Nächte lärmt und tost es grauenvoll in Luft und Schlucht, dann schaut die Fahrstraße wieder unter der Schneedecke hervor und liegt bald naß und dunkel zwischen dem moosigen Gestein.

»Nun kann die Post fahren!« jubelt Lenerl.

Der Beckhaber ist beizeiten heim gekommen, er sitzt am Feuer, hat auf jedem Knie ein kleines Hascherl sitzen und spielt »Hoppa Reiterlein« mit ihnen.

Und alle beide jubeln »Vata!« und haben ihn arg lieb.

Die Großmutter, welche im Schrank das Gespinst aufstapelt, blickt in das heitere Gesicht des Sohnes und meint, nun sei wohl günstige Zeit.

Das Lenerl schafft im Hof.

Sie tritt herzu und legt die Hand auf die Schulter des Wildhüters.

»Aloys! hast's all g'hört, wie das Cenzerl dich allweil ›Vata‹ heißt?«

Er lächelt und nickt. »Das schwätzt's dem Wendl nach! Wie soll so a Kleins es besser wissen!«

»Aloys!«

»I hör', Mutterl!«

»Hast nimmer dran denkt, wie gut es wär, wann du dem verwaisten Würmerl in Wahrheit der ›Vata‹ würdest?«

Da hebt er mit starrem Blick den Kopf.

»Wie meint Ihr das, Mutterl?«

»Hast kei' Augen im Kopf, Aloys? Siehst net, wie sauber und blitzblank das Lenerl ist, wie arbeitsam und gut zu dir?«

»Das Lenerl!!«

»Und wie verlassen und einsam auf der Welt – akkrat so allein wie du!«

Da schiebt er die Kinder sacht von den Knien und steht langsam auf.

Sein Blick trifft groß und ernst die Sprecherin, als schaue er sie plötzlich wie etwas ganz Fremdes an – aber seine Stimme klingt weich und wehmütig, als er ruhig erwidert:

»Wenn Ihr Euch das gar zum Ziel gesetzt, Mutterl, nachen seid Ihr arg auf dem Holzweg. Ich hab' die Kathi viel zu lieb g'habt und kann nie und nimmermehr auf sie vergessen. Freien tu ich um alle Welt nit wieder und vollends nit das Lenerl. Wenn Ihr die a gut's brav's Weiberl nennt, seid Ihr arg verkehrt! Ich kenn' mich aus auf sie und hab's nit sehr aus Achtung, sondern nur aus Gutheit und Erbarmen in mein Haus genommen. Die Lindbäuerin ist ein leichtfertiges Leut und hat vertan und verjuxt, und wann der Bauer bankrott worden ist, dann hat das Lenerl ihn dazu bracht. Braucht's mich nit so erschreckt anzuschaun, Mutterl, die Sach' pfeifen im Dorf drunten die Spatzen auf dem Dach! Und da mein' ich, die Frau Mutter soll sich derlei Heiratsgedanken aus dem Sinn schlagen; denn was ich g'sagt hab', dös is 'sagt.«

Er reichte der alten Frau die Hand entgegen, als wolle er seine herben Worte begütigen und ihr beweisen, daß er ihr solch ein Ansinnen nicht nachtrage, – dann aber wandte er sich kurz ab und schritt in seine Kammer, um den Stutzen von der Wand zu nehmen und ihn gründlich zu putzen.

Die Großmutter aber, welche so erschreckt in das Gesicht des Sprechers geschaut hatte, sank auf den Stuhl nieder, als seien ihr plötzlich die Füße schwach geworden, und seufzte tief auf und saß so still, daß die Kinder forschend zu ihr aufschauten, sich still in die Herdecke kauerten und flüsterten: »Oehme schläft!«

Während der ersten Worte, welche die Beckhaberin zu ihrem Sohn gesprochen, war draußen vor die Tür ein leiser Schritt geschlichen.

Das Lenerl legte mit scharf forschendem Blick das Ohr gegen den Türspalt und hörte einen jeden Laut, welcher drinnen von den Lippen klang.

Das wohlzufriedene Lächeln, welches anfangs auf ihrem kecken Gesicht gelegen, wich einem mürrischen Ausdruck, welcher sich gar bald in einen bitterbösen verwandelte.

Die frischen Wangen wurden bleich vor Ingrimm und in den Augen brannte ein grimmiges, rachsüchtiges Feuer, welches seine Blitze gegen die hohe Gestalt des Wildhüters sprühte.

Wie ein spöttisches Auflachen zuckte es um den Mund, – aber das Lenerl kniff die Lippen zusammen, ballte die Hände unter der Schürze und schlich lautlos davon in ihr Kämmerlein.

Also derart stand dem Aloys der Sinn!

Ein leichtfertiges Leut nannte er sie, die ihr Hab und Gut verludert hatte, und an Freien denkt er schon gar nicht!

Darum hat sie einen ganzen Winter lang in dieser grauenhaften Einöde gesessen, um sich von solchem Laff schimpfieren zu lassen!

Immer wilder und böser brennt der Blick der Lindbäuerin und grimme Gedanken schießen ihr durch den Sinn, daß sie sich rächen will an diesem Flank, der sich zu gut deucht, eine Lindbäuerin zu freien!

Aber wie?

Was soll sie ihm antun? – was ist schlimm genug, daß es ihn so recht herb ins Herz trifft?

Wenn sie ihm den Wendl nähm' und ihn heimlich fortbrächt' … und der Aloys müßt' denken, er sei tot …

Sie starrt mit unheimlichem Blick ins Leere.

Nein … aussetzen und verderben lassen kann sie das Hascherl nit, dazu ist der Bub zu viel lieb mit dem Cenzerl gewesen!

Und ihn vor eine Haustür legen?

Dazu ist er zu groß und verrat sie bald.

Und ihn in die Stadt bringen?

Da muß sie eine Ziehmutter suchen und ein schweres Geld bezahlen … und wenn sie für des Aloys Bub arbeiten sollt', so wäre sie die Gefoppte und nit der Beckhaber! Außerdem tät's doch herauskomm' … und nachher käm' die Straf'!

Nein, so schneidet sich die Leni nicht in das eigene Fleisch.

Es ist kein Spaß, mit solchem Ballast von Kind in der Welt herum zu ziehn, das Cenzerl wird ihr schon sauer genug ankommen, und wenn sie sich in der Stadt als Magd verdingt, muß sie die paar Heller für das Dirndel hingeben und behalt nix, um fein lustig zu leben!

Da lachte sie leise auf.

»Akkrat umgekehrt will ich's machen. Wenn der Aloys die Mutter nit mag, so soll er zur Straf' ihr Klein's durchfüttern! Wird dem Geizhals nix schaden, und das Cenzerl liegt im warmen Nest … und die Lindbäuerin ist frei und ledig und kann sich hinwenden, wohin sie will!«

Das ist ein Gedanke! Den halt sie fest!

Aber dem Aloys ist damit noch nicht genug Straf' angetan!

Ein' Ärger soll er haben … ein Herzweh, daß er sich grün und gelb giften soll!

Aber was?

Und wie sie finster sinnend die Lippen nagt und an ihrem vertragenen Gewand herabschaut, da flimmert es plötzlich wieder in den Augen und ein boshaftes Lachen geht über ihr Gesicht.

Was für ein närrisches Weibsleut sie ist, noch zu sinnieren! Steht droben in der Kammer nit die Truhe mit der Kathi ihrem Hochzeitsstaat, ihrem Leinzeug und Jankerln und Schuhen?

Das ist dem Beckhaber sein Heiliges, hat die Großmutter gesagt!

Nun weiß die Lindbäuerin, was sie zu tun hat!

Ist ihr so nicht recht, in ihrem alten Kram zur Stadt einzugeh'n!

Eine Lumpendirn nimmt keins gern in Dienst, wenn aber ein Weibsbild so schmuck und sauber daherkommt wie eine Hochzeiterin, dann greifen die Männer schon gleich nach ihr, und sie sucht sich aus, was ihr g'fallt und wo sie sich am besten in die Wolle setzt! Haha! Wär' nit zum erstenmal, daß ein reicher Mann sein Weib davonjagt, um eine saubere Magd zu freien … je nun, und wenn er ihr auch kein Trauring gibt, mit einem Stück Geld ist die Lene auch zufrieden! Fein üppig muß er sie halten und ordentlich was draufgeh'n lassen … nach was anderm fragte sie nit viel …

Als es in der Nacht still geworden, beginnt die Lindbäuerin ihren Plan auszuführen. Sie nimmt ein Stück Papier und schreibt mit großen, ungefügen Buchstaben: »Ich dank euch für alle Gutheit, daß ihr mich habt aufgenommen, aber bleiben kann ich nit länger. Hinaus will i und Arbeit suchen, daß i mich durchbring'. Das Cenzerl laß i euch z'rück. Um Gottes Barmherzigkeit willen. Wann i ein Geld hab', hol' i das Kind. Fragt nicht nach mir, ihr find's mich nit.«

Und nun noch den Namen darunter. Die Leni stöhnt erleichtert auf.

Das war das schwerste Stück Arbeit.

Was sie da geschrieben hat, klingt brav und ordentlich, – damit wird sich der Aloys gern bescheiden.

Und bis er im Herbst, an seinem Hochzeitstag, über die Truhe geht, ist die Lindbäuerin weit über alle Berge davon …

Ja, die Truhe!

Sie schleicht auf Strümpfen zum Schrank und holt den Schlüssel.

Der Wildhüter schläft wie ein Toter und die Großmutter ist so taub, … die denkt, es ist eine Maus, die raschelt …

Niemand hört sie.

Lautlos geht es die Stiege hinauf … und droben in dem dunklen, grabstillen Kämmerlein stiehlt Leni der Toten Eigentum. Sie schlägt alles in ein großes Tuch, schnürt's zusammen und schleppt es in ihr Stübchen.

Da wirft sie sich aufs Bett und schläft lachend ein. –

Als der Morgen graut, klingt des Beckhabers schwerer Schritt in der Küche, und die Haustür schlägt hinter ihm zu. – –

Er ist in den Tann' und kommt vor der Mittagsstunde nicht zurück.

Die Großmutter hat ihm die Mehlsuppe gekocht, – nun räumt sie Topf und Schüssel fort und kriecht noch einmal in das Bett zurück; denn es ist noch dunkel und kalt in dem niederen Raum.

Da schläft sie recht fest, – das weiß die Lindbäuerin.

So wartet sie noch ein Weilchen, dann packt sie den gewichtigen Kleiderballen und schleppt ihn lautlos hinab, durch die kleine Hinterpforte in den Holzstall. Von dort aus ist sie mit einem Schritt im Wald.

Nicht lange mehr, dann kommt die erste Post und fährt hinauf über den Paß nach der Grenze zu.

Und die Lindbäuerin will über die Grenze, – dort kennt sie keine Menschenseele im fremden Land.

Im Holzstall schnürt sie das Bündel wieder auf und kleidet sich hastig in den Putz der Toten, – auch die Ketten legt sie um den Hals, die feinen Korallen und bunten Glasperlen. – Eine Gefahr ist nicht dabei.

Die Fäden, darauf sie geschnürt sind, halten was aus, wie kleine Hanfstricke sind sie, und die Leni denkt: »Eh' die reißen, fallt die Welt z'samm'!«

Und als sie fertig mit ihrem Putz ist, nimmt sie die großen Bündel zur Hand und schreitet in den nebligen, naßkalten Morgen hinaus.

Von den Tannenzweigen tropft es hellblinkernd hernieder, wie Tränen, welche der Hochwald weint, und die Steine sind feucht und glitschig, das Schneewasser steht in großen Lachen auf der Fahrstraße und von den Felsblöcken sickert es hell, wie kleine Bäche durch das starkduftende Moos. Die Lindbäuerin schreitet hastig bergan, denn droben, hinter der Wegbiegung, will sie die Post erwarten.

Hier ist sie am sichersten, hier droben hat der Aloys nix zu schaffen.

Sie steht und wartet und starrt ungeduldig in die grauen, wallenden Nebelschleier hinaus.

Voll sündhaften Leichtsinns fliegen ihre Gedanken voraus … einem tollen, lustigen, genußreichen Leben entgegen … Ihr Kind in der Wildhütte hat sie ganz vergessen. – – –

Und dann knallt eine Peitsche, Rosse schnaufen, und in den Augen des jungen Weibes blitzt es heiß und triumphierend auf.

Die Post! es ist die Post!

Erstaunt hält der Postillon an, – ein lachendes »Grüaß di Gott!« – ein paar Worte hin und her! und weil in der Kutsche ein Kaufmann mit seinem Weibe sitzt, schwingt sich die Leni keck neben den Kutscher auf den Bock, und heidi! geht die Fahrt.

Die Höhe ist bald erreicht.

Da starrt alles noch von Eis und Schnee und ein schnittiger Wind fährt über das Joch und heult so leis und unheimlich wie ein böser Berggeist um das einsame Gefährt.

Hei! bergab geht's.

»Wann's nur nit allzu glatt ist!« sagt der Postillon und nimmt die Pferde fester in die Zügel: »Es ist heuer viel zu arg früh, daß sie mich hinaufgeschickt haben!«

Und kaum hat er's gesagt, so gleiten die Vorderpferde – und der Wagen schiebt stark nach, – der Postillon bremst, so sehr er kann, ein heller, klingender Knall … die Stange ist gebrochen, der Klotz faßt nicht mehr – und der schwere Kutschwagen saust den Pferden in die Beine.

Wild auf bäumen die, – in rasender Flucht brechen sie aus, – spiegelglatt blinkt das Eis unter dem Schneewasser … der Weg windet sich, … seitlich gähnt der Abgrund …

»Jesus Maria!« schreit der Postillon auf, »halt's dich fest, Frau!« – aber schon stürzen die Pferde … ein wilder Knäuel rollt sich und die Kutsche schleudert in rasender Fahrt zur Seite.

Gellende Schreie … ein Knirschen, Poltern, Rollen … und den Abhang hinab stürzen Wagen und Pferde … tief … tief … bis drunten die kleinen Kiefern die Zweige hemmend entgegenstrecken. – – –

In der kleinen Stube des Wildhüterhäuschens ist es dämmrig und still.

Die beiden Kinder sitzen vor dem Ofen und werfen Tannenäpfel in die Glut.

Dann prasselt es hell auf; die Funken stieben rot und grell hervor, mit feinem Knall bersten die harzigen Schuppen auseinander und bläuliche Flämmchen hüpfen geschäftig darum her!

Die Kinder weichen mit lustigem Geschrei den sprühenden Funken aus und höhnen: »Fang' mich doch! Fang' mich doch!!«

Aber die kleinen Feuergnomen »Prutzelmann« und »Knusperkneischen« sind nicht so behende und zischen und schelten oder lachen, necken und kichern nur ganz leise mit den Kleinen.

O, die Kinder kennen sie so gut, die kleinen Geister und Wesen, welche rings um sie her, im Feuer, Wasser, im Wald und in der Luft hausen!

Sie nennen sie mit Namen und rufen sie zum Spiel, und die grauen Mäuslein und die Vögel, Schmetterlinge und Bienen, die Mücken, Fliegen und Schnecken sind gute Kameraden, die sich sehen lassen, – Windelfen und Feuergeisterchen spielen aber Versteck, und nur wenn Prutzelmännchen ganz böse wird, springt es aus dem Ofenloch nach dem Cenzerl seinem Schürzchen und beißt mit scharfen Zähnen in den nackten Arm oder die kleine Hand, welche nach ihm greifen will.

So spielen die Kinder allabendlich in der Dämmerstunde, und so sitzen sie auch heute in vergnüglichem Geplauder; denn daß dem Cenzerl seine Mutter auf und davon gegangen ist, deucht den Kleinen kein Kummer, – eher eine Erleichterung; denn die Lindbäuerin hatte eine harte Hand und schlug zornig zu, – aber die Großmutter ist gut und schilt nur ein klein wenig, wenn die »argen Loderer« am Hofbrunnen ihre Röckchen gar zu naß gepantscht haben.

Nun ist die Leni fort, – kein Mensch weiß, wohin, und die Großmutter sitzt schon den ganzen Tag tief in Gedanken und murmelt leise vor sich hin und vergißt zu spinnen. Als sie dem Wildhüter den nachgelassenen Zettel der Lindbäuerin gezeigt, hat der nur erschreckt den Kopf gewandt und laut aufgeschrien: »Cenzerl! mei Kleins! wo bist?!«

Und als er das Kind geschaut, hat er erleichtert aufgelacht, sein Köpfchen getätschelt und gesagt: »Gottlob! wenn sie uns das Dirndel z'rückgelassen hat, dann ist alles gut!« – –

Und plötzlich hat er die Hand der alten Frau gefaßt und wieder voll Sorge gefragt: »Aber das Hascherl macht Euch mehr Arbeit, Mutterl? Sagt's nur! Dann geh' ich noch heute und dinge eine kleine Magd!«

»O mei! nur dös nit!« hat die Beckhaberin heftig abgewehrt: »Die paar Jahrdeln, bis die Creszenz 'ran gewachsen ist, reicht's mit meinen Kräften noch aus, und dann ist das Dirndel stark geworden und helft mir!«

»So walt's Gott!« – Der Aloys hat mit hellen Augen seinen Grünhut an den Nagel gehängt und sich zum Essen gesetzt, und dann ist er pfeifend wieder hinaus in den Wald, wo der Förster mit seinen Leuten droben am Paß zu schaffen hat.

Nun ist's Abend geworden und die Großmutter fährt aus ihrem Sinnen auf, steckt die Lampe an und stellt sie auf den Tisch. Da klingt auch schon des Wildhüters schwerer Schritt auf dem Hof draußen, – früher wie sonst.

Die Türklinke wird schwer niedergeschlagen und der Aloys wankt über die Schwelle.

»Mutterl!« stöhnt er und läßt sich schwer auf einen Stuhl niederfallen.

»Jessas! was bringst?!« ruft die Alte erschreckt, hebt die Lampe und leuchtet dem Sohn in das verstörte Gesicht. –

»Regt's Euch nit auf, Mutterl … aber ich mein g'rad, so ein Strafgericht ist viel schlimm für das Lenerl gewest!« –

»Ein Strafgericht über das Lenerl?!«

Er hebt die Hand und legt mit zitternden Fingern ein paar bunte Glasperlketten auf den Tisch, greift in die Tasche und zieht ein zerfetztes Madrastuch draus hervor und legt's dazu. –

»Kennt Ihr der Kathi ihren Hochzeitsstaat, Mutterl?«

Die Beckhaberin tastet mit unsicherer Hand danach: »Der ist's … bei allen Heiligen, wie kommst mit dem Staat anitzt daher, Aloys?« –

»Schau, Mutterl, nix verseh'n haben wir uns, daß das Lenerl so ein schlechtes Leut gewest – Gott hab's selig und vergeb ihm die Sünd –! und der Toten ihr Zeug gestohlen hat. Fein stattlich gemacht hat sich's damit, und auf und davon ist's! – Der Förster hat g'rad mit den Waldläufern am Paß droben gearbeitet, da haben sie plötzlich ein Schnaufen und Schreien und Stöhnen gehört – und wie sie um das Eck zur Poststraß' gelaufen sind, haben sie g'rad noch gesehen, wie drüben an der Habichtswand die Postkutsch ist niedergerast in den Abgrund …«

»Jesus Maria!«

»Gelaufen sind sie, daß sie nimmer haben schnaufen können, und wie ich ihnen just in den Weg kam, haben's mich gleich mitgenommen an die Unglücksstell. – Gott und alle Heiligen seien gelobt, so arg steil ist's nit gewest, – man hat gut 'nunterkraxeln konnt! – Der Postillon ist gleich droben abgeschleudert und hat ein bisserl zerschunden und damsch im Geröll gelegen, aber die Kutsche ist tief hinab … und das Lenerl hat mit den Kleidern festgehakt auf dem Kutscherbock droben und das ganze Gefährt ist über's weggerollt! Aber siehst, arg viel geschadt' hätt' es ihm doch nit, denn es ist bald zur Seite geschleudert in einen Knirksbusch hinein. – Ohne Besinnung ist's wohl gewest, daß es sich nit hat aushelfen können, und da haben mei'm Kathi sei gestohlenen Ketterln sich um einen Astzinken gehakt und dem Lenerl den Hals z'sammengeschnürt! – Regelrichtig aufgehängt ist es gewest, Mutterl, – und hat sonst nit viel Schaden am Leib gehabt! – Guck, Mutterl, wann die Lindbäuerin nit zur Diebin an der Toten geworden wär, hätt's den Sturz ganz kommod überstehen können!«

Die Großmutter hatte die zitternden Hände gefaltet und Tränen rannen über die runzligen Wangen. »O mei! o mei! – dös is a Straf! – Ja, die Toten lassen sich nit schimpfieren und die heiligen Engel wissen's genau, wem's a Schutz geben!«

»In der Kutsch sind zwei Leut eingesessen, die waren auch schlimm zugericht, aber sie leben und kurieren sich aus. Die Rössln aber haben sich ganz und gar zu schanden gestürzt, mit denen is aus.«

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Die Kinder waren mit angstvollen Mienen herzugeschlichen und starrten die beiden bekümmerten Menschen stumm an.

»Ja, Mutterl … nun is's tot, das Lenerl!«

»Und was wird aus dem armen Hascherl, dem Cenzi?«

Da flog's zum erstenmal wieder wie ein Sonnenstrahl über die verstörten Züge des Wildhüters.

Er streckte den Arm aus, zog das Cenzerl auf seinen Schoß und streichelte ihm zärtlich das blonde Köpfchen.

»Nu soll die kleine Creszenz ein Recht haben, und soll allzeit ›Vata‹ zu mir sagen!« flüsterte er weich, und er nahm seinen Bub in den anderen Arm, schaute ihm in die großen, dunkeln Augen und nickte: »Gelt, mei Mannele, mei' klein's, nu gefallt's dir erst recht, daß d' nimmermehr allein sein brauchst!«

Als die Kleinen sahen, daß der Beckhaber wieder fröhlich dreinschaute, lachten sie auch hell und erleichtert auf, und das lustige Cenzerl faßte mit drallen Fäustchen den verwilderten Bart und zauste den Wildhüter voll täppischer Zärtlichkeit.

»Vata!« jubelte es dabei. – »Vata!«

Draußen aber durch den stillen Wald ward die Leiche der Lindbäuerin zu Tal getragen.


II.

Wie im Traum zogen die Jahre dahin.

Die Frühlingsstürme brausten durch den hohen Tannenwald, die Sommersonne glühte still und heiß auf den blumenduftigen Waldboden, rauher Herbstodem schüttelte die Tannenzapfen in den kleinen Hof des Wildhüterhäuschens, und der Winter kam stumm und ernst daher und breitete eine weißflockige Decke über die Welt, daß sie müde ward und hinsank in langen, traumlosen Schlaf.

Die kleinen Wacholderbüsche hinter der verwitterten Lattenwand wuchsen höher und höher, und die beiden Kinder, welche Jahr für Jahr in tiefer Einsamkeit und Weltvergessenheit dahinter spielten, wuchsen auch heran und kannten keine andere Welt als diese winzig kleine, welche so eng begrenzt hoch droben am steilsten Hang des Hochwaldes lag.

Die Welt.

Welch ein fremder, wunderlicher Begriff für diese beiden kleinen Lebewesen, kaum daß sie des Wortes Bedeutung zu fassen vermochten.

Die Großmutter ward älter und abständiger und je schwerer es ihr wurde, die heranwachsenden Kinder zu hüten, desto ängstlicher schloß sie sie ab.

Als der Wendl die ersten Lederhöschen, welche der Wildhüter ihm heimgebracht, angezogen bekam und stolz und breitspurig darin stand, voll Neugierde Nutz und Zweck der Taschen untersuchend, da meinte der Aloys: »Weißt, Mutterl, i nimm' die Hascherl nun mal mit in' Wald! I' zeig ihnen's Dorf, damit s' doch mal Bescheid wissen!«

Die Großmutter aber schüttelte energisch den Kopf.

»So'n Larifari laß aus, Aloys! Der Wendl ist ka Duckmäuser nit, und die Creszenz plagt auch die Neugier! – Wann du die Kleinen erst ausbringst in die Welt, nachen haben's ka Ruh' mehr hier. – Dann laufens hinaus in den Forst … und wollen allein zu Tal, und verirren sich und stürzen ab! Wie willst so zwei Würmerl wiederfinden? – Laß sie noch daheim, Aloys, was sie nit kennen, begehren sie nit … und a Glück haben's doch nit da drauß!«

Das leuchtete dem besorgten Vater wohl ein und er nagelte über zwei morsche Bretter in der Lattenwand sorglich ein paar neue und warnte die Kinder und sprach: »Da in der Welt drauß wohnt der Bär, – der ist arg schlimm und frißt euch!«

Eines Tages aber trat er vor die Großmutter, kraute sich den Kopf und sprach: »Mutterl, der Wendl ist jetzt acht Jahr, die Creszenz sechs, – wie soll das nun mit der Schul' werden?«

»Narretei!« schüttelte die Alte den Kopf. »Die Schul'! – so an Unding! – I' hab' ni nit lesen und schreiben gelernt, hab's auch nit vermißt, und du? – A tüchtige Arbeit ist mehr wert, wie so a narrische Wissenschaft. Du kannst den Bub jetzt anlernen im Garten und Hof zu schaffen, a Kraft hat er für zwei und mit dem Vieh weiß er schon gut Bescheid, das haben die Hascherln mir bald abg'schaut. Die Cenzerl aber nehm' ich in die Lehr' und denk, sie lernt dahier mehr, was ein tüchtiges Weibsleut gebraucht, als wie in der Schul'!«

Das sah der Aloys nun wiederum ein, denn in jener Zeit hielt man es noch nicht so streng mit der Schulpflicht und gar mancher Hütebub und manches Dirndel wuchs in den Bergen auf, ohne je im Leben eine Schiefertafel gesehen zu haben.

Aber der Wildhüter dachte bei sich: lesen und schreiben kann ich selber nicht, sonst lehrt ich es den Kleinen wohl, – das aber, was ich selber an Weisheit erfahren, das bring' ich ihnen wohl bei!«

Und als die langen, dunklen Wintertage kamen, da nahm er die Kinder zu sich an den Tisch, darauf lagen zehn Haselnüsse, und er lehrte sie im Schweiße seines Angesichts zählen, und als sie gut aufmerkten und es gar bis hundert gebracht hatten, da sprach er: »Nun ist's genug, denn über hundert Gulden schaut ihr doch nie beisammen.«

Und sie begannen zu rechnen, – eins von zwei – und vier von sieben … und wiederum zuzuzählen, je nachdem es not tat.

Die Haselnüsse mußten das alles anschaulich machen, und weil sie nach der Stunde jedesmal zur Straf aufgegessen wurden, so waren die Kinder voll Jubel und Eifer bei der Sache, so daß der Beckhaber oft selber staunte, wie hell die Köpferln seien.

Nach dem Rechnen aber nahm er die Kleinen auf seine Knie und fing an, ihnen zu erzählen, von dem lieben Gott, der im Himmel wohnt, von dem Jesuskind, das er in die Welt gesandt, von seinem Leben, Leiden und Sterben.

Und die Kinder fragten so grausig viel, daß dem Aloys schließlich brühheiß vor Angst ward, denn allzuviel wußte er ja selber nicht.

Als aber die beiden Schüler so ungefähr begriffen hatten, wie es im Himmel aussah und sich denselben so wundersam vorstellten, daß sich die Großmutter oft ganz verwirrt den Kopf hielt wenn sie ihren Reden lauschte, da meinte der Beckhaber, nun sei es auch an der Zeit, daß die Kinder erführen, wie es um die Welt bestellt sei. O du Mirakulum! Das war eine närrische Sache.

Einen Kaiser und König beschrieb er ihnen mit goldener Krone auf dem Haupt und ein Schwert in Händen, – und Dorf und Stadt beschrieb er ihnen – und kraute sich hilflos hinter den Ohren, als die Kinder statt klüger – allweil dümmer zu ihm aufschauten.

Da kam ihm in der Not ein pfiffiger Gedanke.

Er kramte eines Morgens in der Truhe und steckte den Geldbeutel in den Rucksack. Dann stieg er zu Tal.

Als er abends mit strahlendem Gesicht heimkam, griff er hinein in den Sack und legte ein großes, dickes Buch auf den Tisch … und noch eins … und sprach: »Nun soll euch das alles wohl deutlich werden!«

In den Büchern aber waren lauter große, bunte Bilder zu sehen, da war alles abgemalt, was es in der Welt gab, und mehr noch dazu, Menschen, Vieh, Stadt und Dorf, Meer und Berg, Schiffe und Soldaten … Der Beckhaber wußte von den meisten Dingen selber nicht, was sie bedeuten sollten.

Aber das tat nichts. Er sagte dann jedesmal: »Ja, dös is auch so an Ding!« – und die Kinder waren damit zufrieden, denn daß die Welt übervoll von narrischen Dingern war, das sahen sie ja!

Das eine Buch zeigte die Welt, mit allem was drinnen war, das andere aber war eine biblische Geschichte und zeigte Adam und Eva, den König David, Josef und Maria, das Jesuskind, alle Engel, Märtyrer und Heilige … und der Aloys erklärte auf gut Glück jedes einzelne Bild, denn was darunter stand, konnte er nicht lesen.

Aber nun war es ein Spaß mit dem Lehren und Lernen, und die Wintertage vergingen wie im Flug, der Wildhüter warf sich stolz in die Brust und sagte zu der Mutter: »Da schaut's Euch die kleinen Sakramenter an, Mutterl! Zählen und rechnen können's nun wie die Däus, so daß sie fein ordentlich zuschauen können, wenn's einmal ihren Lohn gezahlt bekommen, denn dös ist die Hauptsach'. Und wie's in der Welt ausschaut, wissen sie nun auch!«

Da machte die Alte ein saueres Gesicht und schüttelte den Kopf.

»G'rad a rechte Narrheit hast' gemacht. Das Rechnen lob ich mir, weil's da später mal keins betrügen kann, aber mit der Welt – das behagt mir nit! Grad neugierig hast die Lapperln g'macht und unruhig obendrein. Der Wendl is so schon ein Aufbegehrer, der sich schwer regieren laßt, nun wird's ka Fried geb'n, bis er fein selber die Nas in die Welt steckt hat, und nach'n bist'n los, den Bub!«

Der Beckhaber ward ganz blaß und starrte erschreckt in die Stubenecke.

»Gott erbarm' sich!« murmelte er: »Ich hab' nix Liebes mehr dahier als wie den Bub und denk', er bleibt mal hier an meiner statt und druckt mir die Augen zu.«

An diesem Abend erfuhren die Kinder zu ihrem großen Erstaunen, daß es draußen in der Welt sehr schlimm zugehe.

Alle Schrecknisse eines Fegfeuers malte der Aloys in Stadt und Dorf hinein und die Ungeheuer, welche draußen in Wald und Tal hausen und die Kinder fräßen, die seien so grausig schlimm, daß sie nie nit im Bild gemalt werden könnten! Der Wendl hob zwar trotzig den braunlockigen Kopf und ballte die Hände mit einem kampfmutigen: »I schlag's all z'sammen!« Aber er warf doch einen scheuen Blick nach dem Fenster, als der Sturm just daher brauste und an den Riegeln rüttelte. Die Creszenz aber klammerte sich an den Wildhüter und flüsterte angstvoll: »Gel', Vata, du gangst ni nit mit uns 'nab?«

Was der Aloys ihr heilig und fest versprach.

Nun war es Frühling geworden.

Die große, gelbe Glucke führte ihre kleine, emsig pickende Schar auf dem engen Hof spazieren, die dunkeln Tannenzweige hingen tief über das Stalldach hernieder und fingen an, ganz zarte, lichtgrüne Spitzchen an allen Zweigen zu treiben.

Das winzige Stückchen Himmel, welches man von Hof und Garten aus sah, war azurblau und wolkenlos, und so lange wie die Sonne auf der Höhe stand, schickte sie ihre goldig zitternden Strahlen zu den einsamen Kindern herab, welche soeben voll Jubel und hohen Interesses ein gelbes Blümchen im Rasen entdeckt hatten. Die Vögel zwitscherten so hell in den Zweigen, flogen zutraulich zu den Kindern heran und schauten sie mit den klugen, blanken Äuglein verwundert an, als wollten sie sagen: »Was seid ihr für zwei arme, unglückliche Wesen, daß euch keine Flügel gewachsen sind?«

Der Wendl hatte im Garten gegraben. Er stieß plötzlich mit krauser Stirn den Spaten in die moosigduftende Erde und schaute auf das Cenzerl, welches just seinen Wurzelmann spazieren fuhr.

Besagter Wurzelmann war der Kinder liebstes Spielzeug, denn er war von dem Wendl selber sehr künstlich aus einer großen, wunderlich geformten Baumwurzel geschnitzt und sah aus, als habe er ein richtiges, wahrhaftiges Gesicht.

Als der Wendl gar noch den außerordentlichen Gedanken gehabt, dem »Wurzli« ein paar blanke Nägel als Augen in den Kopf zu hämmern, da sah er so unheimlich lebendig und funkelnd drein, daß sein Verfertiger selber begann, sich vor ihm zu fürchten und ihn für einen Berggeist zu halten, der tief innen im Steinicht haust.

Da aber der braune Gesell sich in nichts bösartig zeigte, faßte man Zutrauen zu ihm und gewann ihn bald unbeschreiblich lieb.

Cenzerl kleidete ihn phantastisch in ein paar alte Flicken, welche es der Großmutter mit Bitten und Flehen abgerungen, und dann setzte es den »Wurzli« respektvoll in einen jener riesigen Holzschuhe, welche der Wildhüter bei Schneewetter trug, band einen Strick an und fuhr den hohen Herrn durch den Hof spazieren. Der Wurzli war der einzige, welchem im Leben das außerordentliche Ereignis widerfuhr, gefahren zu werden, und darum behandelten ihn die Kinder mit Hochachtung und das Cenzerl sprach: »Gestern hab' ich am Türloch geguckt, es saßen wieder zwei Mannerleut in der Postkutsch; der eine wird der Kaiser, der andere wohl der Küni gewest sein!«

»Da hat nur noch der Wurzli als dritter gefehlt!« meinte der Wendl. »Möchtest auch du einmal einsitzen, Cenzerl?«

»Jessas! – i stürb vor Angst am Fleck!« schrie das Dirndel auf, »und du Wendl?«

»Pah! dös macht mir nix! i führ mit!« Und jetzt stemmte er die Arme auf das Grabscheit, blickte die Spielgenossin an und sagte plötzlich: »Weißt, was i mein, Cenzerl?«

Das steckte den Finger in den Mund.

»Naa!« schüttelte es mit fragendem Blick den Kopf.

»Arg dumm find' ich's hier in dem engen Loch!« – platzte der Bub zornmutig heraus. –

»Dahier? … arg dumm ?!«

»Allweil sitzt ma wie an Vogel im Käfig! Nix sieht man von der Welt, g'rad gar nix!«

»Wendl … wünsch dir's nit! Die Welt ist arg bös!«

»Pah! Zum ansehn nit!«

»Wenn du's aber schauen willst, mußt du weit fort von hier, denn die Welt liegt so fern, daß ka' Mensch zu Fuß hinkönnt!«

Der Wendl trat geheimnisvoll näher und zwinkerte listig mit den Augen.

»Weißt, Cenzerl, – ganz furt von hier, dös will i net! – Aber i mein', mal über den Zaun schauen, dös könnt ma' ungestraft! – Warum nit? Da ist kei Gefahr bei! Und siehst, gar für mein Leben gern möcht' i wissen, wie's dahinter ausschaut! A Stückerl Welt sieht ma' vielleicht doch! I mein', da hier am Garten, wo die Felswand bis in die Wolken aufisteigt, is die Welt zu End, – da geht's nit weiter, aber dahinaus …« und der Sprecher reckte den Arm nach der Lattenwand am Hof, »da muß es in die Welt hineingehn, denn da ist die Luft offen, da stehn keine Bäum' und keine Felswand, – und da hinab fahrt auch allzeit die Post!«

Cenzerl schob den Finger angstvoll und beklommen noch tiefer in den Mund. »An der Wand aufklettern willst und überschauen?«

»Justement das! – Guck, das laßt mir ka Ruh, daß ich mal die Welt seh'n möcht! Nur von weitem, weißt, nit in der Näh', denn das hat der Vata verboten! Ein Astloch ist in einem Brettl, dadurch hab' ich schon längst mal geäugt, aber g'rad is ein kleines Wacholderstaudel davor gestanden, das tragt im Frühling grüne, im Sommer rote und im Herbst schwarze Beerdeln. Dös is alles was man sieht. – Die Großmutter schlaft jetzt, wann'd mir helfst, schieben wir das Regenfaß an die Holzwand, – nachen langt's, dann komm' i nauf. Gel, Cenzerl, du willst? Und wann nit, dann schaff i's fein selbst!« – Das war ein recht trotziger und energischer Ton, welchen der Wendl da anschlug, und da das lustige Cenzerl von Herzen gutmütig und kein Spielverderber war, so willigte es zwar etwas beklommen, aber doch allsogleich ein, und auch sein kleines Herz schlug in brennender Neugierde, zu erfahren, wie es wohl draußen in der großen, weiten Welt aussehen möchte.

Da war's zum erstenmal, daß in den schlummernden Kinderseelen ein kleiner Funken aufblitzte, daß sich ein Sehnen und Verlangen regte, daß es da lebendig ward, wo es bisher so still und tot gewesen.

Bis zu der Stunde, wo Aloys begann, die Kleinen in seiner schlichten und eng begrenzten Art zu unterrichten, hatten sie auf ihrem winzigen Spielflecken kaum gelebt, sondern nur vegetiert.

Wie kleine Tiere im Käfig aufwachsen und wie ein Lamm im Stall kaum den Wunsch hegt, durch die Türe hinaus zu schauen, so hatten sich auch Wendl und Cenzerl nie mit dem Gedanken beschäftigt, wie es wohl hinter der hohen Lattenwand ausschaut, und erst das Buch mit seinen bunten Bildern klopfte an die dämmernden Hirnkästlein, daß die weltfremden Menschenkinder die Äuglein auftaten und zum erstenmal forschenden Umblick hielten.

Im Schweiße ihres Angesichts rollten die Kleinen die leere Regentonne an die Holzwand; der Wendl stand noch einen Augenblick tief aufatmend und sah vor Anstrengung und Aufregung dunkelrot im Gesicht aus.

Dann schwang er sich kraftvoll und behende auf die Tonne und maß mit blitzenden Äuglein die Höhe der Latten, welche nun noch blieb.

Die war nicht mehr der Rede wert, und außerdem war just an rechter Stelle ein Span ausgebrochen; in diese Lücke schob Wendl den Fuß, faßte droben am Holz an und zog sich empor.

Sein Kopf ragte über die Wand, und sein Herzchen hämmerte in der Brust.

Beinah gewaltsam riß er die Augen auf und ein leiser Schrei höchster Überraschung klang von seinen Lippen!

»Die Welt, Cenzerl! – Jessas! I sieh die Welt!«

Und dann verstummte er und starrte atemlos hinaus in das ferne, weite Unbekannte, was sich das Dirndel neben ihm noch gar nicht vorstellen konnte.

Ein paar Augenblicke respektierte Creszenz die sprachlose Verwunderung ihres Spielgenossen, dann aber überkam sie eine heiße, begehrliche Ungeduld.

»Sag, was d' siehst, Wendl!«

Der Bub atmete nur schwer. »O, so viel!« klang es beinah wie Stöhnen.

»Laß mich's auch seh'n!«

»Hm …«

»Wendl!«

»Hm!«

Da kletterte das Dirndel mit zuckendem Mündchen unter großer Anstrengung auch auf die Tonne, schob Brust und Bäuchlein über den Faßboden und zog emsig die Beine nach. Da stand sie auch droben und faßte des Wendl nackte Beine und zerrte und riß daran.

Der Bub erwachte wie aus tiefem Traum.

»Sei stad, Cenzi! Sollst auch herauf!«

Und er glitt behend zurück und das Mädel stellte den Fuß in die Lücke und zog sich hoch.

Aber es war um einen Kopf kleiner wie sein Spielgenoß und die Augen starrten nur gegen das Holz und kamen nicht darüber hinaus.

Da erhob es ein Wehgeschrei, halb zornig, halb kläglich, der Wendl aber schlug ihm zum erstenmal derb auf den Mund und schalt es heftig aus, daß sein Geschrei die Großmutter aufwecke und dann alle Freud vorbei sei. Das sah das Kleine auch ein und glitt leise schluchzend herab, der Bub aber schüttelte es aufgeregt am Arm und flüsterte: »Sei stad, ich schaff's, daß wir alle beid' auf eins hinausschauen können!«

So intelligent hatten des Wendl Äuglein noch nie zuvor geblitzt, und er huschte zum Holzstall und holte des Vaters handfestes Schnitzmesser.

Hei, wie schafften die kräftigen kleinen Fäuste! Ein Span nach dem anderen flog heraus und über dem ersten Loch klaffte bald ein anderes, und nun konnte Cenzerl bequem noch höher steigen.

Das tat es mit leisem Jauchzen, und bald schob es die Stumpfnase über das grünmoosige Lattenholz und starrte mit glotzenden Äuglein in die große, fremde Wunderwelt hinaus. – Wendl benutzte die untere Lücke, sich empor zu ziehen, und so hingen sie beide an der Wand und zitterten vor Staunen und Entzücken an allen Gliedern.

Sie, die zeitlebens nur das enge Winkelchen des Hofes und den kleinen Garten kannten, welche so hoch von Fels, Haus und Lattenzaun überragt wurden, daß kaum ein Stückchen blauer Himmel hinein lachte, sie sahen plötzlich eine weite, endlosgestreckte Talebene vor sich, so weit und fern, daß sie das Ende kaum absehen konnten.

Der Berg, auf welchem ihr Häuschen stand, fiel hier schroff zum Tale ab, die mächtigen schwarzen Tannen standen wie zwei Wände zu beiden Seiten und in ihrer Mitte lag wie ein herrliches Bild, das tiefe, bunte Land, jene unbekannte, geheimnisvolle Welt, welcher all ihr Sehnen galt!

Ja, bunt, rätselhaft bunt war sie! – Gelbe, grüne und braune Striche zogen sich kreuz und quer über das Land, Felder und Wiesen, deren Anblick den kleinen Einsiedlern ebenso neu war wie derjenige des schmucken Dörfchens, welches wie winzig kleines Spielzeug, halb versteckt hinter Gebüsch und blühenden Obstbäumen, zu ihren Füßen im Grunde lag.

Weit, weit hinaus streckte sich dann das Tal und ganz in der blauen Ferne, kaum dem Auge noch erkenntlich, sah man einen Kirchturm ragen, unzählig viele Häuser darum her und mächtige Schornsteine, aus welchen Dampfwolken stiegen.

»Das ist die Stadt! G'rad wie auf dem Bild sieht sie aus!« erklärte Wendl wichtig: »Und hier drunten liegt's Dorf – und vor ihm das Helle, was so blinkt, ist Wasser, – i denk' mir, dös wird das Meer sein!«

»Glaub's scho',« nickte Cenzi und schauerte vor Andacht zusammen; »ich seh's genau, es schwimmen weiße Vögel drauf 'rum!«

»Gäns' oder Enten, wie der Vata einmal tote von drunten 'rauf gebracht!«

»Und da seh' ich Mannerleut und Kinderln!!«

»Und Rösser vor ein' narrischen Wagen. «

»Jessas dahint!!« – Das Cenzerl schrie laut auf vor Entsetzen und wäre beinah abgestürzt, aber der Bub hielt's noch fest.

»Was denn? Was siehst?«

»O mei, dös Untier! – schaust net die schwarze Schlang, die Feuer schnauft?«

Und das Dirndel wies mit zitterndem Finger in die Ferne, wo soeben eine Eisenbahn um eine Bergkulisse sauste, um jenseits in einem Tunnel zu verschwinden.

Auch der Wendl war käseweiß im Gesicht geworden und starrte der furchtbaren Erscheinung mit weit offenen Augen nach. »A Loch im Fels hat dös Ungeheuer, da wohnt's drin! – Dös is so a grausig's Vieh, was die Leut verschlingt. – Alles ist so in der Welt, wie's im Buch steht, der Vata hat recht. Und fein sehen kann man alles von hier oben und hier 'nauf kraxeln kann der Feuerdrach nit.«

»Wirklich nit?«

»Nie nit! Er hat ja keine Bein'!«

Das leuchtete dem Dirndel der Lindbäuerin ein, so daß es erleichtert aufatmete und sogar fröhlich lachte ob seiner guten Sicherheit.

Seit diesem Tage war es mit der Langeweile der beiden einsamen Kinder aus. Sie arbeiteten heimlich und emsig an der Lattenwand, daß die Löcher bald bequem wie eine Leiter lagen und das Aufsteigen auch ohne das Regenfaß vortrefflich vonstatten ging.

Der geschickte Wendl nagelte oben auf den Rand der Latten ein breites Querholz, da konnte man sich gut mit den Armen auflegen und ward nicht so leicht müde und schrundig von dem langen Hängen.

Nun schauten sie manche Stunde hinaus in die fremde Welt und kannten bald alles ganz genau darin.

Auch Zeit und Stunden, wann der Feuerdrach sein Wesen drunten trieb, hatten sie bald heraus und lagen mit hochklopfenden Herzen auf der Lauer, um zu sehen, wie das Untier mit schrillem Schrei, dampfschnaubend aus dem Berg heraus oder hineinsauste, wie es den schwarzen Schlangenleib wand und schüttelte, und wie oft in der Sonne seine Augen blitzten. Dann sah man, daß an seinem ganzen langen Körper blinkende Augen saßen, und zwei hatte es vorn am Kopf, die glühten sogar feuerrot in der Dunkelheit und waren rund zu schauen.

Das Cenzerl tat anfangs immer noch einen hellen Angstschrei, wenn das Scheusal daher gezischt kam, der Wendl aber starrte mit grimmigem Blick hinab und verwunderte sich, daß noch niemand das Tier kämpfend angegangen habe, um es zu töten. Er reckte die kleinen Fäuste und zeigte einen gewaltigen Mut, vermaß sich auch, er wolle mit des Vaters Axt hinab und den Drach zusammenschlagen, worüber das Cenzerl in Todesangst geriet und sich gar nicht trösten lassen wollte.

Gott sei Dank ward der ungestüme Bub bald anderen Sinns.

Eines Tags saßen sie wieder auf den Latten und schauten zu Tal, und plötzlich schrie der Wendl –: »Da guck, da guck!! Nun endlich kommt einer, der schlagt ihn tot!«

Und richtig, aus dem Drachenloch im Fels trat ein Mann, der stellte sich kühn auf und schaute dem bösen Vieh, welches er nicht in seiner Höhle angetroffen hatte, entgegen.

Und der Lindwurm schien das bald zu merken; denn er raste aus dem Tal heran und schrie und pfiff so furchtbar, daß es den Kindern durch Mark und Bein ging. Der kühne Mann aber blieb trutzig stehn, hob ein Fähnlein, hinter welchem sicherlich eine scharfe Axt war – wie der Wendl meinte – und schwenkte es dem Ungetier furchtlos entgegen!

Das aber stürzte feuerspeiend geradeswegs auf den Angreifer zu, daß die Kinder mit zitterndem Angstruf die Hände vor die Äuglein drückten.

Aber durch die Finger blinzten sie doch hindurch, und sie sahen, wie das Ungeheuer den Mann mit dem Rachen aufschlang und mit ihm in den Berg hineinfuhr.

Nicht ein Fetzlein war mehr von dem Armen zu sehn, und der Wendl war seit jener Stunde doch recht kleinlaut geworden und sprach nicht mehr davon, daß er hinab wolle, das schlimme Vieh zu erschlagen.

»Wendl?« fragte die Creszenz eines Tages: »Ist dies nun die ganze Welt, die wir dahier schauen?«

Der Bub nickte ernsthaft.

»Ei gewiß! – und ich mein', groß genug ist sie! Da guck doch, wie weit sie reicht!«

»Wo die Stadt liegt, da ist das End'?«

»Justement.« Der Wendl machte ein sehr kluges Gesicht und fuhr belehrend fort: »Siehst den großen, hohen Berg hinter der Stadt? Ja? Na, schau, das ist akkrat so einer, wie hier bei uns, und ist dort an den Himmel genagelt, wie eine hohe, hohe Wand. – Da kann ka Mensch nit weiter, – da ist die Welt zu End'. – Hier über unsern Fels kannst auch nit über, der ist auch festklebt an' Himmel, aber bei uns hier ist der Anfang. Und alles, was da unten zwischen liegt, das ist die Welt. – A Dörfl, a Stadt, a Meer und so viele Bäum' und Mensch' und Viehcher. Arg groß ist's, – und ich mein, wenn wir dahinab wandern wollten, da kämen wir im ganzen Leben nit bis an's Ende, denn so weit ist's, daß man kaum noch bis hinschauen kann! – Aber in der Näh' sehen möcht' ich es doch arg gern … und wenn ich erst mal so groß und stark bin wie der Vata … nachen gang i doch mal hin!«

Und es lag eine heiße Sehnsucht in den hellen Kinderaugen, die konnte selbst des Cenzerls größte Angst und seine bittersten Tränen nicht daraus bannen.

»Ich nehm' dich mit!« tröstete der Bub schließlich, »dann fassen wir uns beide an die Hand und wandern bis ans Ende der Welt!«

»A Freud' hast nit davon!« versicherte das Cenzerl; »denn der Feuerdrach' freßt uns, eh daß wir hinkommen!«

Aber trotz dieser trostlosen Überzeugung war das Dirndel fest entschlossen, mit dem Wendl zu geh'n; denn ohne ihn konnte es nimmer sein, und auch der Bub gab es in einem schwachen Augenblick zu, daß das Cenzerl doch die Hauptsache in der Welt sei, und daß es nirgends gut wäre, wo es nicht sei!

Das war ein guter Trost.


III

Und die Zeit zog langsam, langsam weiter.

Monat reihte sich an Monat und Jahr an Jahr, und die Kinder wurden groß, blühend und stark, – Leib und Glieder wuchsen üppig heran, aber die Seele blieb in den Kinderschuhen stecken, und wenn Wendl und Cenzerl mit der Zeit auch durch einen Zufall erfuhren, daß der Feuerdrach' eine gute, harmlose Eisenbahn, und das vermeintliche Meer nur der kleine Ententümpel hinter dem Dorf sei, – so schauten sie dennoch unverändert wie ehemals als kleine Hascherln über den Lattenzaun in die Welt, welche ihrer Ansicht nach immer noch hinter jenem fernen Berg zu Ende sei.

Die Großmutter war sehr abständig geworden und Cenzerl besorgte schon längst Haus und Hof und schaffte fleißig und umsichtig wie ein Altes.

Der Beckhaber hatte eines Tages den Herrn Kaplan in das Häuschen geführt, der hatte die großen Kinder freundlich angeschaut und ihnen gar eindringlich von ihrem Seelenheil gesprochen.

So oft ihn sein Weg zum Paß führte, kam er nun heran und bereitete die Kinder vor, daß sie gefirmt werden sollten.

Dazu sollte der Aloys sie hinab ins Dorf bringen, und bei dem Gedanken kam dem Wendl und dem Cenzerl ein ungeheures Zittern und Zagen an.

Hinab in die Welt! welch ein Gedanke!

Aber es kam anders. – Der Vater nahm seinen stämmigen Bub nun oft mit in den Wald, daß er ihm seinen Dienst beizeiten ablerne; denn es war des Aloys sehnlichster Wunsch, den Sohn dereinst als seinen Nachfolger im Amt zu sehn.

Da hatte der Wendl denn auch beim Holzschlagen geholfen, und die schwere Axt war ausgefahren und hatte ihn derb in den Fuß getroffen.

Da lag er nun im einsamen Waldhäuschen und der Vater pflegte und verband ihn. Aber so ganz richtig hatte er es wohl nicht gemacht, denn der junge Bursch konnte wochenlang nicht gehn und stehn, und es war wohl nur seine so urkräftige Natur, welche sich durchrang und über das Verderben siegte. Der Kaplan aber, welcher just vorbei fuhr, mochte wohl auch denken: »Der wird nimmer wieder!« und er segnete die beiden Gespielen droben in ihrem einsamen Häuschen ein, damit der Wendl doch wenigstens als Christ sterben möchte.

Der Bub jedoch starb nicht, wohl aber die Großmutter, welche man eines Tages sanft eingeschlafen auf der Ofenbank fand. Da kamen zum erstenmal Leute aus dem Dorf herauf, welche einen Wagen brachten und die alte Frau herabholten.

Der Sarg hatte schon lange auf dem Boden parat gestanden; denn die Alte hatte gemeint: »Wann i im Winter sterb' – wo schaffst mir dann mei' letzt's Kasterl herzu?«

Das war alles wunderlich hier droben im Hochwald, – so ganz anders in allen Dingen wie in der Welt drunten, und keiner fragte groß danach und jeder drückte ein Auge zu und meinte: »O mei! da droben muß alles gehn, wie's geht! Da ist noch eine gar g'mütliche Zeit!«

Nun ging alles im alten Geleise weiter, nur, daß die Creszenz die blonden Zöpfe um den Kopf wand und an Stelle der alten Frau sehr fleißig, geschickt und sittig im Hause waltete, so wie sie es bei der Großmutter schon seit Jahren gelernt.

Der Wendl ward auch wieder frisch und kräftig, nur sein linker Fuß blieb ein wenig mißgestaltet und gebrauchte einen größeren Bergschuh wie der rechte.

Als der Erzherzog das letztemal zu den Herbstjagden im Schloß anwesend war, hatte der Aloys Beckhaber eine Audienz bei dem hohen Herrn nachgesucht und fein demütig und herzlich die Bitte vorgebracht, daß der Wendl als Wildhüter von ihm dürfte angelernt und in ein paar Jahrdeln sein Nachfolger werden – was der Erzherzog in freundliche Erwägung ziehen wollte.

Von da an kam eine große, friedliche Ruhe über den Beckhaber, und er saß oft in stillem Sinnen auf der Bank vor dem Waldhaus und dachte: »Nun kann ich meine Tage hier beschließen, wo mein Kathi heim'gangen ist, – und der Bub wird dahier oben bleiben und das Cenzerl freien, und wir all' brauchen nimmer hinab von unserm lieben Berg!«

Dann mußte er mit dem Wendl zum Amtmeister und den Bub vorstellen. Das war ein großes Ereignis und das Cenzerl schluchzte vor Angst und Sorge in die Schürze.

Wendl aber ruckte mit blitzenden Augen das Grünhütel aufs Ohr und stieg mit dem Vater zu Tal, und als er heimkehrte, war er aufgeregt wie im Fieber und konnte nicht genug von der Welt erzählen, wie arg schön es drunten im Schloß und Dorf gewesen, und daß er wohl allzeit dort leben möchte, –: »nur die Cenzi müßte dabei sein; denn so allein sei's kei Freud'!« Der Wendl sagte das so leicht und harmlos, wie er seit Kindesbeinen an auf mit der Creszenz gesprochen hatte, er legte dabei auch die Hand auf ihre Schulter und fuhr mit lebhaften Augen lachend fort: »Weißt, was sie im Schloß gesagt haben? Zum Militär stellen müßt' i mich, und zwar in der Stadt, so sei's Vorschrift! – In der Stadt, hörst', Cenzerl, dort am End' der Welt, wohin mich allzeit ein so arges Verlangen hin'zogen hat! – Jessas, wie mich das gefreut! Grad' hinaus juchzen möcht' i! Aber du fahrst mit mir, Cenzerl, das hab' i mir in' Kopf gesetzt; denn wenn man so eine grausig weite Reise macht, weiß mer nit, ob mer jemals z'rückkommt!«

Der Sprecher hatte es nicht bemerkt, wie dem Dirndel das Blut so heiß in das abgewandte Gesicht geschossen war, wie es jetzt plötzlich wieder so leichenblaß ward und ihn mit großen, tränenfeuchten Augen anstarrte.

»O mei! – daran därfst nit denken, Wendl! Wer soll dem Vata ufwarten, wann i fortging? – Weißt, wie allein er ist!«

Wendl setzte sich auf die Ecke des schweren Holztisches und schlug fröhlich das Bein über.

Er lachte, daß die kernfesten, weißen Zähne blitzten. »Darauf hab' ich längst denkt, und damit hat's kei Not! Nehmen tun's mich nit beim Militär von wegen mein' Fuß, und der Amtmeister sagte, wann i mit der Post führ', könnt' i am nämlichen Tag noch bis zum Dorf z'rück, und wenn i zu Fuß hier heraufstieg, nachen wär i am nämlichen Abend wieder daheim! – Da ist der Vata nit gar viel verlassen und wir haben ein' großen Jux und schau'n die ganze Welt!«

»Sie nehmen's dich nit?« wiederholte Creszenz und hantierte mit bebenden Fingern an ihrem Spinnrad. »O mei! wie möcht' i die Heiligen fein bitten, daß 's wahr wird! – Aber ein' grausige Angst hab' i auf'm Herzen, Wendl, daß es dir viel gut in der Stadt gefallt, und daß du nimmer wieder 'nauf magst, auf unsern stillen Wald!«

Der Bursch lachte.

»Da könntest schon 's Rechte treffen, Cenzerl! Nit viel Kurzweil is dahier droben, dös hab' i schon jetzt im Dorf 'merkt! Aber weißt, wenn es uns gar zu arg gut drunten gefallt, nachen bleiben wir in der Stadt! I such' a Arbeit, wir hol'n den Vata nach und sind all' z'samm' kreuzfidel in der schönen, bunten Welt!« Und dabei pfiff er sich eins, griff nach dem Grabscheit und wandte sich dem Garten zu, wo er die Zwetschgenbäumchen, welche der Aloys mitgebracht, einpflanzen wollte.

Das Dirndel aber blieb gedankenvoll an seinem Spinnrad zurück und schaffte mit zitternden Händen.

An die Stunde dachte es zurück, wo es hier mit der Großmutter – fünf Tage zuvor, ehe sie starb – auch gesessen und gesponnen hatte.

Da war es plötzlich über die sonst so stille alte Frau wie eine beredte Unruhe gekommen. »Weißt auch, Cenzerl, daß du gar nit dem Wendl sei' Schwester und dem Beckhaber sei' Kind nit bist? – Ja, ja! allweil geglaubt hast's! und der Wendel weiß es zur Stund' auch nit besser. Aber nit wahr is'! – Guck, das kam so!« – Und nun begann die Großmutter zu erzählen, vom Lindhof, dem Lenerl, seiner Ankunft hier droben und seinem Todessturz mit der Post! Und die Creszenz saß wie in sprachlosem Entsetzen und konnte so viel Überraschendes gar nicht fassen.

»Nun seid ihr beiden Hascherl mitsammen groß geworden, und ich sieh's alle Tag, daß ihr nit voneinander lassen könnt. – Gut is, arg gut. – Noch ein paar Jahrdeln, nachen wirst dem Wendl sein Weib und der Aloys behalt sein warmes Nest.«

Minutenlang blieb es still, dann nahm die Sprecherin die bebende Hand des Mädchens zwischen ihre runzligen, welken Finger, streichelte sie und gab dem Dirndel viel guten Rat und ernste Mahnung für die Zukunft, und während des Sprechens schon ward sie müde, und die Worte fielen ihr schwer, sie lallte noch einmal: »Cenzerl, verlaß den Wendl nit! Sei ihm ein braves und treues Weib … schau, er hat dich viel lieb, der Bub!« … und schlief ein.

Andern Tags wußte sie wohl kaum noch, was sie dem Mädchen alles gesagt in dem lichten Augenblick, die Creszenz aber schritt anders daher, wie sonst, schaute ganz verwandelt drein und lächelte wie in einem süßen, unfaßlichen Traum.

Wenn sie den Wendl ansah, stieg es heiß und rot in ihre Wangen, und derweil er so unbefangen zärtlich zu ihr war, wie sonst, zitterte ihr das junge Herz in der Brust, und sie senkte die dunkeln Wimpern und dachte mit stockendem Atem nur immer das eine: »Cenzerl, verlaß den Wendl nit! sei ihm ein braves und treues Weib!«

»Ja, Cenzerl! tu dem Wendl sein' Willen und begleit' ihn in die Stadt!« nickte Vater Aloys und schob seine kurze Jagdpfeife von einem Mundwinkel in den andern; »es ist allweil gut so, und der Bub is nit verlassen und kimmt nit auf dumme Gedanken! Schau, Cenzerl, da treiben's viel Hallodria, die Rekruten, und wann du nit da bist und heimtreibst, halten sie den Wendl drunt' fest!«

»Ja, ja, ich verlaß ihn nit!« nickte das Dirndel treuherzig; »ich gang mit ihm, bis ans End' der Welt!«

»No, no! so schlimm kommt's grad' nit!« lachte der Beckhaber und ahnte es nicht, wie ernst es dem Cenzerl mit dem Ende der Welt war.

Bis ins Dorf hinab begleitete der Wildhüter seine beiden Kinder, und als sie am Morgen mit hochklopfendem Herzen vor dem Waldhäuschen standen und auf die Post warteten, da konnte es selbst der kecke Wendl nicht leugnen, daß er vor Aufregung bis in die Lippen blaß war. Das Cenzerl hatte die Hände gefaltet und betete in seiner Angst halblaut daher, – und als es in der Kutsche neben dem Wendl saß, und die Pferde anzogen, da wurde sein frisches Gesichtchen kreideweiß und es klammerte sich an den kraftvollen Bursch und flüsterte: »Schau! ehmals haben wir den Wurzli respektiert, weil er im Schuhwagen daher fuhr … und nun sitzen wir selber im Postkastel und kutschieren mit leibhaftigen Rössern daher!«

Dem Wendl war die Sache anfänglich auch etwas ängstlich und ungewohnt, aber er nahm allen Mut zusammen, lachte, pfiff und tröstete das Dirndel in seinem Kleinmut.

Der Wildhüter saß stumm und nachdenklich und rauchte seine Pfeife, plötzlich legte sich des Cenzerls Hand auf seinen Arm und eine halb erstickte Stimme flüsterte: »Vata … gel, mei Mutterl hat sich in selber Post hier zu Tod gestürzt?«

Der Beckhaber fuhr empor, als habe ihn ein Faustschlag getroffen.

»Creszenz!« schrie er, »von wem hast so a Kund?!«

Erschrocken senkte das Dirndel den blonden Kopf. »Die Großmutter …« stammelte es.

»Die Mutter? – hat sie's doch vor der Zeit ausgeplauscht?« rief der Aloys heftig. »Dös is nit mei' Willen gewest! – Nix wissen solltet ihr dös … dös …« und der Sprecher verstummte ingrimmig und murmelte in den Bart: »Noch zwei Jahr hätt's Zeit gehabt! … dös!«

Wendl hatte hoch aufgehorcht.

Er ruckte näher und blickte dem Vater starr ins Gesicht.

»Was sollt' ich nit wissen? Vata … sag's … was is damit, daß sich unser Mutterl totgestürzt hat!«

» Dei Mutterl hat sich nie nit an' Schaden getan!« rief Aloys heftig, »die is fein fromm und selig im Bett gestorben … aber dem arm' Cenzi sein's …«

»Dem Cenzerl sein's? Ei haben wir denn nit ein und dasselbe Mutterl g'habt?« – fragte der junge Bursch beinah erschrocken.

»Naa!« schrie ihn der Wildhüter kurz und barsch an.

»Ja … mei! … was heißt dös? hast etwa zweimal gefreit, Vata?« –

Aloys schlug heftig mit der Faust aufs Knie. »So 'ne Untreu' hab' ich mein Kathi nit angetan! Aber a Narretei is 'gewest, daß die Großmutter geschwatzt hat!« –

Mit starrem Blick schaute Wendl auf das angstvoll bebende Mädchen an seiner Seite.

»Da is etwan das Cenzerl gar nit dein Kind?«

»Vom Geblüt nit … aber angenommen hab' ich's … und bleibt's auch … Krutzi Türken! dös d' Großmutter geschwatzt hat!« –

Dem Wendl stockte der Atem. Sein sonngebräuntes Gesicht, welches erst so farblos geworden, flammte rot auf. – »Da wär also die Creszenz gar nit mei' Schwester … oder Halbschwester?«

»Doch is sie's!« schrie der Beckhaber grob, »nit der Geburt nach, aber um aller Heiligen willen! Und gar nix is anders dadurch! … so wie es seit allen Jahren gewest is, so bleibt's auch in Zukunft!«

»Dös is g'wiß!« nickte Wendl und riß jählings den Kragen seiner Joppe auf, als sei er ihm plötzlich zu eng geworden; »aber weißt, Vata, so a halbe Wissenschaft taugt nix … und guck, fein Zeit haben wir allweil, da könnt'st uns gut erzählen, wie das alles z'sammen hängt. Alt genug zum verstehn, sind wir, mein' i, und wenn die Großmutter dem Cenzerl doch schon ausgeplaudert hat, da nutzt a Verduckeln doch nix mehr!«

Der Wildhüter paffte ärgerlich die dicken Dampfwolken aus der Pfeife, weil aber des Dirndels Hand ihn gar so angstvoll streichelte, überwand er die Mißstimmung und klopfte seinem Pflegetöchterlein schier zärtlich die Wange.

»Na, wein' nit, Cenzi! hast ja Vata und Mutterl doch nimmer kennt, und bist allzeit gern bei uns g'west! – Und ich mein', du bist ganz und gar mein leibliches Dirndel 'worden! Wenn die Großmutter dir schon erzählt hat, wie d' zu uns kommen bist, nachen kann's ja der Wendl auch wissen!«

Und der Beckhaber erzählte das Vergangene, aber mit viel Schonung für die leichtfertige Lindbäuerin und des Diebstahls an der Toten tat er vollends nicht Erwähnung.

Der junge Bursch hatte atemlos gelauscht. Er saß mit tiefgeneigtem Kopf und strich nur von Zeit zu Zeit über die Stirn, wie einer, dem es heiß wird. –

Das Cenzerl sah er nicht viel an und als der Wildhüter geendet, sagte er nur voll verlegener Heiterkeit: »Dös is mal g'spassig, und nix vermutet hat mer sich! Aber ich mein', keine eingeborenen Geschwisterln haben sich besser vertragen kunnt wie das Lindenbauerdirndel und ich! Gel' Cenzerl, fein schön auskommen sind wir miteinand?« –

Da nickte ihm die Creszenz dankbar zu, und weil der Wildhüter ein Frühbrot verlangte, packte sie geschäftig ihr Körbchen aus und bot ihm das Schwarzbrot mit Käse dar.

»Magst' auch ein, Wendl?«

»Naa, – noch hungert's mich nit!«

Und dann saßen sie schweigsam … und die Post holperte schwerfällig zu Tal.

Wendl drehte seinen Grünhut zwischen den Händen und starrte in den Hochwald, welcher die Fahrstraße säumte, hinaus.

Es war ihm so wunderlich im Kopf.

Warum hatte er es sich eigentlich so sehr gewünscht, in die Welt hinaus zu kommen? Ganz unklar war es ihm plötzlich. Eine Unruh war über ihn gekommen, seit im letzten Herbst ein junger Forstläufer beim Holzfällen mit ihm gescherzt hatte.

»Na, Wendl, allweil allein haust du droben am Paß?«

»Nit allein! Der Vata und mei' Schwester sind ja daheim!«

»A Schwester!« Der andere hatte hell aufgelacht, »a Schwester ist doch kein' Schatz, Wendl, und so ein sakrisch fescher Bub wie du muß doch sei Dirndel küssen!«

Die Worte waren ihm wie Funken in das Herz gefallen und brannten es wund.

Ja, ein Dirndel küssen!

Welch ein narrischer Gedanke.

Nur das Cenzerl mochte er leiden und hatte es lieb … zum Sterben lieb … aber es war seine Schwester, und so viel hatte er selbst in seiner Einsamkeit erfahren, daß man eine Schwester nicht freien kann. Auch das hatte ihm der Forstläufer klar gemacht. Da war die Unruhe, die quälende, unverstandene Sehnsucht über ihn gekommen.

»Geh' nur hinab unter die Leut'! da find'st bald ein blitzsauberes Dirndel dös d' noch tausendmal lieber hast, wie dei Schwester!« hatte der Forstläufer ihm lachend versichert.

Nun zog's ihn voll krankhafter Ungeduld hinab, und als er mit dem Vater ins Dorf und Schloß kam, da brachte ihn das Heimweh nach dem Cenzerl schier um! So ging's nit an! – Mit ihm gehn muß das Dirndel, dann hat er Ruhe und dann findet er wohl eher einen Schatz, – das Cenzerl hilft ihm suchen, und was ihr gefällt, das kann er wohl auch lieb haben. –

So narrisch war alles in seinem Kopf, gar so narrisch, – er fand sich selber nicht aus damit! –

Und nun? –

Jessas im Himmel, das Dirndel ist ja nie im Leben sei' Schwesterl west!! –

Das ist so plötzlich gekommen, wie ein Schlag vor'n Kopf.

Zuerst hat's ihn dösig gemacht, aber nun kommt's über ihn wie eine ganz tolle, übermütige Heiterkeit, und er fängt aus dem Stegreif an zu lachen und hat plötzlich Hunger und wirft's Hütl in die Luft und setzt's jählings dem Philaxl', welches mitgefahren ist, auf die spitzen Ohren.

»Bub! was sind dös für Faxen!« lacht der Beckhaber und beobachtet unter den buschigen Wimpern hervor den schmucken Bursch, welchem alle Gedanken so gar deutlich in dem frischen Gesicht zu lesen stehn, »da guck, Cenzerl! da fangt der Hallodria schon an!«

Im Dorf steigt der Wildhüter aus, nachdem er die beiden jungen Leute noch mit viel guten Ermahnungen und Weisungen für die fremde Stadt ausgerüstet hat, – zu seiner Beruhigung steigt der Gendarm statt seiner in die Post und verspricht dem Aloys, daß er für die beiden jungen Leute sorgen und dem Wendl sogleich den rechten Weg weisen will.

Dieweil die Magd des Dorfwirtshauses dem Postillon noch einen schäumenden Bierkrug emporreicht, stehen Wendl und Cenzerl neben der ungefügen großen Kutsche, um einmal frische Luft zu schöpfen.

Mit lebhaften, schier hungrigen Blicken schaut der junge Bursch um sich und wieder prickelt ihm alle Jugend- und Lebenslust durch die Glieder.

»Da guck, Cenzi, gefallt's dir nit auch arg gut dahier in der Welt? Sel is das Dorf hier, das schaut in der Nähe doch noch viel lustiger drein, wie droben von der Lattenwand!« –

Er flüstert es leise und aufgeregt und neigt sich noch näher zu dem Dirndel. »All die vielen, schmucken Häuseln beisammen! und so viel Leut'! und allweil Gelächter und Kurzweil! Wie i mit dem Vata im Schloß war – weißt, am Sonntag! – da haben's hier in dem Wirtshaus grad a kreuzfidele Musik macht, und getanzt haben's und getrunken, o mei'! wann d' dös geschaut hättest, Cenzi! – Und wie mag das nun erst in der Stadt sein! I mein' doch, wann es uns so arg viel gefallt, bleib'n wir all beisammen dahier unten!«

Der Lindbäuerin Tochter schaute sich nur mit großen, angstvoll starren Augen um, als sei all das Fremde um sie her ein schlimmer Traum, welcher sie fürerst mehr ängstigt wie erfreut, – sie hatte auch keine Zeit mehr zu einer Antwort, denn der Schwager strich mit dem braunen Handrücken die letzten Schaumflocken von dem grauen Schnauzbart und wandte den Kopf.

»Steigt's ein, ihr Leut, – i fahr'!«

Dazu knallte er mit der Peitsche und der Beckhaber schob mit den letzten guten Ermahnungen seine beiden Weltreisenden in die Kutsche hinein.

Fort ging's, und die Cenzi rückte noch angstvoller neben den Jugendgespielen, während der Gendarm sein Pfeifchen ansteckte und freundlich zu schwatzen anhub. Der Wendl überwand schnell das letzte Gefühl von Unbehagen, welches die Aufregung über all das Neue auch ihm schuf, und stand dem Hüter des Gesetzes Red' und Antwort, erzählte von droben, dem Hochwald, daß im letzten harten Winter gar wieder zwei Bären an den Laugenspitzen von den Förstern eingespürt seien und was es sonst an Besonderem da gab. Dann aber forschte er fleißig nach der Stadt und all ihren fremden Wundern, und der Gendarm schmunzelte und erzählte mit gewichtiger Miene.

»Na, Augen wirst machen, Wendl, über all die Feinheit! So a Getreib und Gespreiz kennt ma dahier auf'm Land schon gar nit! Und Weiberleut kannst sehn, dös d' glei' meinst, du schaust alle Engerln im Himmel beisammen! Aber fein Obacht mußt geben, dös d' net an so am' sackrischen Engerl hangen bleibst!!« – Der Sprecher lachte dröhnend auf und zwinkerte der Cenzi verschmitzt zu. »Und vollends du, Dirndel, sei arg auf der Hut! So ein bildsauberes Blut wie du haben s' nit oft in der Stadt und die Manner kennen sich aus auf was Neues! Da wird's nit lang dauern und du hast an jedem Fingerl a Schatz hangen!«

»No, no!« fuhr der Wendl auf und schaute ganz wild auf das heißerglühende Mädchen, »daran ist dem Cenzerl fein gar nix gelegen und i mein, wann i an seiner Seit' steh', nachen halt sich jeder andere fern!«

Der Gendarm machte eine Bewegung mit der Hand und paffte ein paar dicke Rauchwolken. »A Bruder hat da gar nix zu schaffen bei!« lachte er vergnügt. »Glaubst, so a Sakramenter, der um a Dirndel lauft, fragt viel danach, ob's a zweiter erlaubt? O mei'! was raufen's allweil um so a Madl!«

»Raufen tun's?« rief das Cenzerl entsetzt, »Jessas, nur dös nit!«

Der Wendl aber reckte sich hoch auf und alles Blut schoß ihm ins Gesicht.

»Und … und … wann i sagen tät, die Creszenz sei allweil mei Schatz?«

Wieder lachte der Gendarm und machte einen Ruck mit den Schultern, als wollte er sagen: bist du a Damischer!

»Du kennst so a Stadt und die Leut' noch nit, Wendl! Ob's du sagst ›mei Schatz‹ oder nit, daran halt sich kein's. – Grad des is der Jux bei den Buam, dös einer dem anderen sein Schatz abspenstig macht! Da raufen's und schlagen's sich z'samm' und wer den Sieg hat, der hat auch's Madel, denn weißt, leichtfertig und eingebild't werden die Frauensleut fein sehr in der Stadt und spielen sich auf damit, wer'n schneidigsten Liebsten hat! Na, ich mein, Wendl, du, mit deine Fäust schaffst schon was, und wann dir's Dirndel nit selber'n Laufpaß gibt um ein'n, der fixer oder reicher is, nachen halt'st du allweil den Sieg!«

Der junge Bursch starrte den Sprecher an und murmelte durch die Zähne: »So'ne Madeln gibt's a?«

»Wendl, du kennst die Welt noch nit!« nickte der Gendarm sehr behäbig und würdevoll. »Schau, in mein' Amt lern' i gar mancherlei Leut kennen. O mei', wieviel Loderer und Flanken hab i schon hinter Schloß un Riegel bracht, und wieviel schlechte Weibspersonen hab' i auf'n Tanzboden z'sehn kriegt! Da lernt's eine von der andern und dös is 's Malheur! – Und was i euch sagen wollt: Habt Obacht auf eure Tascheln, dös euch kei Langfinger die Münz stiehlt. Trauen därf ma in der Stadt keinem einzigen, und wann'r noch so a kreuzbrav's Gesicht macht. I sag' dir's, Wendl, du kennst die Welt noch nit! – Da droben in dein' Hochwald, da bist Herr und König, da wagt sich kei' Marder an dein' Taubenschlag und kimmt ka Dieb, der dir dein' Schatz stiehlt, aber da hier unten … o mei', – so a Falschheit und Hinterlist laßt's dir gar nit träumen!« Und der Sprecher spuckte verächtlich aus, nahm eine Prise und nieste herzhaft drauflos, und derweil er sich schnäuzte, sah man nicht, wie er verschmitzt in den Bart lachte.

Hätte es nur der Beckhaber hören können, wie er daher redete!

Na, der hätte seine helle Freude dran gehabt.

Ganz still und schweigsam saß der Wendl plötzlich und starrte nieder auf seine Nägelschuh und zerrte an dem dunkeln Bartflaum der Oberlippe.

Oft glimmte es in seinem Blick auf wie Unglauben und Mißtrauen, aber die Hochachtung vor dem Manne des Gesetzes kämpfte gegen die Zweifel, welche in ihm laut wurden.

Endlich räusperte er sich und sah mit schnellem Seitenblick nach dem armen Cenzerl, welches ganz blaß und mit bebenden Lippen immer angstvoller in seine Wagenecke kroch.

»Weißt, Gendarm,« sagte er mit rauher Stimme, »du hast mit deinen Worten dem Dirndel allen Mut g'nommen. Nun tät i di fein bitten, hüt' das Cenzerl, bis i mei' Sach auf dem Amt ab'macht hab'. – Der Vata meint, so lang dauert's nit, weil der Offizier auf'n ersten Blick an mein' Fuß sieht, daß i freikommen muß. Derweil bleibst beim Cenzerl, gel? damit's ka Schaden nimmt in der fremden Stadt!« –

»Der Vata hat gemeint, ich soll im Wirtshaus still sitzen bleiben und warten, bis daß du z'ruck kommst, Wendl!« – flüsterte das Lindbauermädel zaghaft zu ihm auf, der junge Bursch aber schüttelte mit finsterm Blick den Kopf, daß sein Grünhütel tief in die Stirn fiel und antwortete barsch: »Nix damit! I will nit, daß d' allein und verlassen sitzt! – Vorm Gendarm seinem Wams und Käppi haben's a Respekt und lassen dich aus, die Loderer!«

»Sei nur stad, Wendl! I bleib dabei! Recht hast, so ein blitzsauberes Madel wie dei Schwesterl laßt ma nit unbehüt', das Cenzerl is so viel unschuldig und kennt sich nimmer aus auf die feinen Stadtherrn. Bei mir aber is 's sicher. Nach'n sitz' i beim Dirndel und wir trinken a Maß, und wann du frei bist, schlandern wir durch die Stadt, dann seht'r, wie's da ausschaut. Nach'n aß'n ma a Geselchtes oder gute Weißwursteln im Wirtshaus und schauen zu, was dös für'n Getreib is, denn weißt, heut', wo all die Rekruten einkommen, da is rein der Teufi los! Um sechs Uhr fahrt die Post z'ruck, da könnt ihr heim und dem Beckhaber alles vermelden, – o mei'! Zu erzählen werd's schon genug haben!«

Der Wendl atmete tief auf und reichte dem Sprecher zum stummen Dank die Hand, die Creszenz aber schlug mit zitterndem Angstschrei die Hände vor das Gesicht.

»Der Feuerdrach! – Jessas Maria! – er kimmt!« – Die Post hielt am Bahnwärterhaus vor der geschlossenen Barriere, der Zug sauste mit schrillem Pfiff heran und rasselte wie ein Spuk so traumhaft geschwind vorüber.

Der Wendl zuckte wohl zusammen, aber er saß hoch aufgerichtet und starrte voll brennender Neugierde jenes Ungeheuer an, welches er lange Jahre hoch, hoch vom Gebirge herab voll Furcht und Grausen angestarrt hatte.

Wunderlich genug war es auch in der Nähe und der Atem konnte einem wohl stocken bei seinem Anblick, aber es war schnell vorbeigerast, dicke, weiße Dampfwolken hüllten momentan die Post ein, dann öffnete der Wärter den Schlagbaum und die Pferde zogen gelassen an.

Wendl atmete hoch auf, und weil der Gendarm über das entsetzte Dirndel lachte, so lachte auch der junge Bursch, aber weil das Cenzerl gar so elendig schluchzte, freute er sich der Gelegenheit, es bei der Hand nehmen zu können, und aus lauter Vergeßlichkeit hielt er seine bebenden Fingerchen fest, – immer zu, bis sie in die Stadt kamen.

Daß sie sich dieser näherten, merkten sie bald an dem lebhaften Getreibe, welches sich plötzlich auf der Straße entwickelte.

Mehr und mehr Wagen fuhren daher. Auf vielen saßen Landleute und junge Burschen mit Bändern und Sträußchen an den Hüten, – viele wanderten auch zu Fuß vorbei, den Stock mit dem geknüpften bunten Sacktüchel auf der Schulter. Wenn die Post sie überholte, taten sie zum Gruß einen hellen Juchzer und schwenkten die Grünhütel, und Reiter trabten vorbei und klopften übermütig mit Hand oder Stock an die Fensterscheiben der Post.

Ein paar Löslbuam waren sonderlich dreist und schritten neben der Kutsche her, dieweil diese langsam den Berg hinauffuhr. Sie schauten auf das Cenzerl, nickten ihm zu und fingen voll Übermut an zu singen.

Dem Wendl schoß wieder das Blut in die Stirn und er packte den Alpstock fester mit der Rechten, der Gendarm aber legte ihm die Hand auf das nackte Knie und sagte streng: »Ka' Faxen, Wendl! Die jungen Leut' sind nit uneben und singen eins, – dös kann ka Mensch ihnen verwehren. Halt dich fein stad, dös d' ka Rauferei anfängst, sonst stecken sie dich ins Loch und das Cenzerl is mutterseel verlassen unter den Mannern!« –

Das half.

Der junge Beckhaber biß die Zähne zusammen und schaute fortan sehr gleichmütig drein, das Dirndel aber klammerte sich noch ängstlicher an ihn und flüsterte: »Hätt'st mich nur daheim gelassen, Wendl! Dahier hab ich doch ka Freud nit!«

»Di kimmt scho'!« flüsterte er entgegen, »is dös nit a Spaß, daß wir selband bis ans Ende der Welt kommen sind? Guck, gleich is so weit, – i siech schon den Berg himmelhoch vor uns ragen und die Stadt meld' sich auch schon an!« –

Ja, sie meldete sich, einzelne Häuser in prächtigen Gärten tauchten auf, und bald schrumpften diese zusammen und die Häuser drängten sich enger und enger zusammen, wurden so hoch, daß man kaum noch das Dach sah, und die Wagen rasselten durcheinander, Menschen über Menschen eilten daher, so viel an einem Fleck, wie die beiden einsamen Hochwaldkinder im ganzen Leben noch nicht beisammen gesehen hatten.

Das Cenzerl schaute mit großen, weit offenen Augen umher.

Seine Bangigkeit schien sich plötzlich zu verlieren, lachende Überraschung, größtes Staunen malte sich in seinen Blauaugen, und plötzlich blies es die Backen auf, drückte die Hand mit den gespreizten Fingern vor den Mund und prustete in schallender Heiterkeit los: »Jennerl über so was! Sind's denn allesamt verruckt dahier, die Weibsleut? Da schau, Wendl, was für a narrsches Werk sie auf'n Kopf setzt haben! und die Gewandung schlampert um die Füß' bis auf die Erd' und schleift in allem Dreck daher!«

Auch der Wendl starrte die modernen Stadtdamen höchst betroffen an und murmelte: »Ja, an' gesunden Verstand können die nit haben!« Aber er lachte nicht so lustig wie das Dirndel, welches soeben über einen feuerroten Sonnenschirm vollends außer sich geriet. »Und die da hat ein' Vogel derwürgt und ihn auf'n Strohdeckel setzt und tragt ihn nun auf'm Kopf daher! und jene da hat Blümeln gerauft, so viel, dös a Kuh sich 'n Magen dran verplatzt, die bringt's auch wieder auf'm Kopf daher … und die Haar hangen ihr allweil in die Augen und von den Ohr'n hat's sie auch nit wegkämmt! Wendl, guck nur … ich mein', die ganze Welt hat an' Rappel kriegt!«

Der Gendarm lachte, daß er sich bog, und sagte nur: »Willst wohl bischbern, Dirndel! Wann die Damen hören, wie d' ihre Gewandung schimpfierst, kratzen s' dir die Augen aus!« –

Aber das Cenzerl schien ganz außer dem Häuschen. Es hob den Finger und deutete erstaunt auf ein paar schmucke Soldaten:

»O mei! und da die Mannerleut! – die sehn aber viel schön aus! – Guck, Wendl, a Wams mit blanken Knöpferln und grün und rot … dös kann ein' wohl gefallen, gel?«

»Nix gefallen kann's ein'!« schrie der Wendl zornmutig und drückte den Zeigefinger vom Dirndel unwirsch herab: »tät grad noch fehlen, dös d' auf solche Flanken schaust! Sag's ihr, Gendarm, dös a reputierliches Madel nie nit nach'n Soldaten schaut!«

»Sell is wahr!« nickte der Gendarm, schnäuzte sich abermals und rollte das erschrockene Cenzerl über's Sacktuch hinweg gewaltig mit den Augen an. »Allweil weg mußt gucken, wann solch arge Gesellen daher kommen! Aber dös is pudelnarrsch, Wendl, dös selbst die unschuldigsten Dirndeln allsoglei' vom bunten Tuch einifangen sind! – Na, und nu' steigt's aus, Leut; dahier ist die Posthalterei, da spannens die Rösser aus. Den Wendl bringen mer allsoglei' auf's Amt, und i verwahr' so lang dei Schwester und wart' mit ihr im ›Weißen Hirschen‹, bis daß d' dei Sach abwickelt hast!« –

Damit hatte der Wendl viel Glück, denn es ging alles glatt vonstatten, und doch deuchte es dem schmucken Bursch eine wahre Ewigkeit, welche er in dem schwülen, niedrigen Saal verbringen mußte. Eine fiebernde Angst und Unruhe hatte ihn erfaßt, seit der Gendarm von all den Loderern und nichtsnutzigen Flanken erzählt hatte, welche einem Bub'n sein Dirndel wegstehlen. Seit nun das Cenzerl die Soldaten so gar schön genannt, war es vollends um des Wendls Ruhe geschehen.

Die Fröhlichkeit des Dirndels ängstigte ihn und seine Fäuste bebten ihm, als möchte er gleich die ganze Stadt zusammenschlagen.

Ganz und gar nicht gefiel es ihm mehr in der Welt, zuwider bis an den Hals war sie ihm schon jetzt, und als er sich in seiner Sorge ums Dirndel nach dem Saalfenster drängte, um nach ihm auszuschauen, da kam ein Feldwebel oder General – der Wendl kannte sich noch nicht auf den Unterschied aus – der packte ihn grob am Arm, stieß ihn zurück und nannte ihn ein' frechen Lümmel, der sonder Respekt dahier herum stolpere!

Wäre der Grobian nicht ein alter Mann gewesen, hätte der Wendl solchen Schimpf nicht eingesteckt, aber so würgte er den Zorn hinab und dachte: »Wann i ein' Streit anfang', komm' i gegen all die vielen doch nit auf, und wann s' mich ins Loch stecken, is mei Cenzerl mutterseel verlassen!« –

Aber als er entlassen war, rannte er davon wie ein Unsinniger, stieß auf der Straße gegen einen feinen Herrn, der ihn einen Erzflegel um den andern hieß, seinen blanken Schornsteinhut, welcher ihm vom Kopf gefallen, mit dem Ärmel glatt strich und mit der Polizei drohte.

Als der Wendl in seiner Verwirrung eilig davonstiefelte, geriet er zwischen die Wagen auf der Fahrstraße und ein Roß rannte ihn schon gegen die Schulter, daß er taumelte, der Kutscher hieb mit der Peitsche nach ihm und hub ein grauenvolles Schimpfen an über so ein' Bauerndalk, der zwei Glotzaugen im Kopf hat wie die Mühlstein, aber nit mal a Wagen damit sehn kann! – Alle Leute standen still und lachten und dem Wendl schoß alles Blut in den Kopf und er hätte sich mögen auf den Schwätzer werfen, ihm das Kreuz abschlagen, – aber er dachte an das verlassene Cenzerl, biß ingrimmig die Zähne zusammen und ging davon.

Im Gasthof zum »Weißen Hirschen« fand er es neben dem Gendarm sitzen, jedes hatte einen Maßkrug vor sich und schauten auf die Gasse hinaus, welche dem Dirndel eine große Kurzweil schien.

Es schwatzte und lachte wie daheim und hatte alle Scheu verloren.

Das erschreckte den Wendl vollends.

Unwirsch setzte er sich hin und stützte den Kopf in die Hände, hatte auch gar kein' Schneid darauf, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, als aber das Cenzi so lieb darum bat, stand er auf und sprach: »In Gottes Namen, – aber i sag dir's im voraus, – gefallen tut mir's dahier nie und nimmer nit!«

Er schritt auch mit finsterm Blick daher und achtete nicht viel auf Häuser, Türme, Schauläden und geputzte Menschen, nur auf das Cenzi paßte er, ob's etwa nach einem Soldaten ausschaue, oder ob vorübergehende Mannerleut länger als nötig das saubere Dirndel anlachten.

Dabei hielt er es fest an der Hand – »damit, daß d' nit zwischen die Wagen kimmst!« sagte er, und dieweil der Gendarm ihnen so arg viel Schönes, Wunderliches, Fremdes und Unbegreifliches zeigte, daß ihnen der Kopf brummte und selbst das fröhliche Madel blaß und still wurde, dachte er nur eins in seinem Herzen: »A Schandwelt is 's, und a Schandwelt bleibt's, und auf mi braucht's nit zu spekulieren, – mich siehcht's all mei' Lebtag nit wieder.«

Auch dem Cenzi war's recht, daß sie endlich in den »Weißen Hirschen« zurückgingen, um »eins z' essen« – und der Gendarm drückte ihnen die Hand, klopfte dem Cenzerl noch freundlich die Wange und sprach: »Nun müßt's mal allein fertig werden, i gang und ess' bei mein' verheirateten Sohn. – Halt die Augen auf, Wendl, döß d' nit betrogen wirst und döß 's Cenzi nit zu Schaden kimmt. Un' a Ruh gib un' bleib' allweil stad, sonst arretiern's di! – Kennst die Welt noch nit, Wendl! I hab's g'sagt.«

Nun saßen sie allein in der großen, niederen Wirtsstube des »Weißen Hirschen« und aßen »a Kraut mit Speck«, und weil der Gendarm nicht mehr bei ihnen war, fühlten sie sich sehr verlassen und preisgegeben. Der Wendl wollte sich das zwar nicht merken lassen, aber behaglich war es ihm nicht, und vollends als er den Lederbeutel aus der Tasche zog, um zu bezahlen, kam ihm seine Lage doch recht verzweifelt vor.

Ein nicht allzu sauberer Hausknecht stellte sich breitspurig vor ihm auf und rechnete mit schier unheimlicher Geschwindigkeit eine Menge Kreuzer zusammen, die zu bezahlen seien.

Der Wendl war wieder blutrot bis unter die Haare; denn wenn keine Haselnüsse auf dem Tische lagen und nicht viel Zeit und Weile zum Rechnen war, dann sah es doch gar bedenklich mit dieser Kunst aus.

Aber merken lassen wollte er sich das doch nicht.

So legte er mit schwerem Druck einen blanken Silbergulden auf den Tisch.

»Da zieh' ab!« sagte er.

Der Hausknecht sah noch verschlagener aus wie sonst und zuckte die Achseln.

»Was soll der Larifari! Glaubst denn, der eine Gulden reicht, wenn zwei Leut sich daher setzen und ein halb' Faß Kraut verschlingen?«

Der Wendl bekam einen Schreck, lachte ein wenig verlegen und legte den zweiten Gulden dazu, – das war all sein Reichtum, welchen er bei sich führte.

Der Hausknecht strich das Geld ein, wühlte hastig in seiner Ledertasche und warf ein paar Kupfermünzen auf den Tisch zurück.

Er rechnete dabei abermals mit sinnverwirrender Schnelligkeit, drehte sich kurz um und ging davon.

Verblüfft schaute der Wendl auf die wenigen Heller nieder.

»Dös stimmt nit, Cenzerl!« sagte er grollend, »da müss'n mer halt nachrechnen.«

Und nun saßen die beiden und zählten laut und umständlich an den Fingern, und nach langer Zeit waren sie überzeugt, daß sie arg betrogen seien!

»So a Lump! so a Stoanesel elendiger!« schrie der Wendl zornmutig und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dös vermeld' i dem Wirt!«

Und da dieser just in die Tür trat, sprang er auf und erzählte ihm mit erregten Worten, was da vorgefallen sei.

Der dicke Alte zuckte nur mit einem nicht allzu freundlichen Gesicht die Achseln.

»Da hättst mi gleich rufen müssen! Jetzt kann a jeder daherkommen und sagen, er hätt' zu wenig 'raus kriegt. Wann d' kei' Zeugen hast, nützt dir dös Ramenten fein gar nix. Wann d' in die Stadt kimmst, mußt rechnen können, sonst bist allweil blamiert!«

Wieder kochte das heiße Blut hinter des Burschen Schläfe, aber er sah den flehenden Blick des Cenzerl und hörte sein leises: »Sei stad, Wendl, es bringt dir nur a Schand!« Da lachte er ingrimmig auf und setzte sich auf seinen Platz zurück.

Noch eine ganze Stunde währte es, bis die Post zurückfuhr.

Ganz und gar keinen Jux machte es ihm, zum Fenster nauszuschauen, und wenn das Dirndel sich auch bald tröstete und den Verlust der Gulden verschmerzte, so fraß solch ein Falsch und Betrug dem Bursch doch wie Gift am Herzen und ließ ihn immer finsterer und feindseliger dreinschauen.

Das Cenzerl verlustierte sich derweil am Anblick der Stadtleute und lachte just wieder so recht aus vollem Halse über einen Zylinderhut und das buntschottische Kleid einer Touristendame, als ein paar Rekruten vorübergingen und ihre Bänderhüte mit hellem Jodeln dem fröhlichen Dirndel entgegenschwenkten.

Wendl biß die Zähne zusammen und tat, als sähe er solche Keckheit nicht, als aber die Burschen noch einmal umkehrten und sich dem Cenzerl noch bemerklicher machten, da murmelte er: »So 'ne Dalk, el'nden! Ich sag' dir, Cenzi, kehr' dich ab und schau's nimmer an!«

Das tat die Kleine sofort und all ihre Heiterkeit wich wieder einer großen Beklemmung, der Wendl aber stampfte zornig mit dem Fuße auf, denn die drei Lösbuam traten in die Wirtsstube ein, setzten sich unter Lärm und Lachen an den nächsten Tisch und führten laute Reden »über das bildsaubere Dirndel, dös ma glei' auf'm Platz hernehmen und abbusseln möcht'!«

»Ich hör's gar nit, Wendl! Ich bitt' dich, bleib' stad!« flehte Cenzerl zu dem Zornbebenden auf.

Aber just die grimme Miene des Burschen schien die Eindringlinge anzureizen! Sie bestellten sich ihr Bier, führten stichelnde Reden und einer schob sein Grünhütel auf Krakehl und hob mit zärtlichem Blick auf das Cenzi an zu singen:

»Du mei flachshaarig Dirndel,
Du schönstes auf Erd'n –
I möcht' um dei Flachshaar
A Seiler glei' werden!«

Wendl ballte die Fäuste und starrte den Sänger mit funkelndem Blick an, das Dirndel aber flüsterte angstvoll: »Laß uns hinaus, wir gehn allweil zur Post!«

»Naa!« stieß der Wendl heiser hervor, »wir müssen dahier auf den Gendarm warten!«

In demselben Augenblick hatte einer der Rekruten das Sträußchen von blanken Zitternelken von seinem Hut gelöst und warf es über den Tisch in den Schoß des erschrockenen Dirndels.

»Wer die Bliemeln tragt, der is mei' Schatz!« rief er dazu und schnalzte mit der Zunge.

Wie ein Rasender sprang der Wendl auf und wies die Fäuste.

»Kimm' nur her, wann d' a Schneid auf ein' Schatz hast, und hol' ihn dir!« rief er mit blitzenden Augen, und der Gegner am andern Tisch sprang ebenfalls mit einem spottenden: »Hoho! Wann d' etwa hier willst raufen, dann kannst bald dei' Zähn' allz'samm' wackeln fühl'n!«

»Wendl!« schluchzte das Cenzerl außer sich und hing sich an seinen Arm, der aber war wie von Sinnen vor Wut, packte den Stuhl als Waffe und stand hoch und markig wie aus Stahl und Eisen geschmiedet.

»Wendl – das wird nit gut!« jammerte das Dirndel, in demselben Augenblick aber tat sich die Tür auf, der Gendarm, der Wirt und der Hausknecht traten ein und blieben überrascht vor den beiden so kampflustig ausschauenden Buben stehen.

Von dem lauten Klang der Stimmen war auch die Wirtin mit ihren beiden Madeln angelockt, und so stand sie, die Hände eingestemmt und hub just ein heftiges Schelten »über so zwei Lausbub'n, die schon am hellichten Tag das Raufen bekommen« an, als der Gendarm mit schnellem Schritt schon neben dem Wendl stand und mit festem, drohend erhobenen Griff dessen Arm herabzwang.

»Gott sei gelobt, daß d' kimmst!« rief Cenzerl wie von Todesangst erlöst. Der Gendarm aber schaute mit grimmigen Blick von einem der Burschen zum andern und sagte barsch: »Wann dös etwa Spaß sein soll, so schreit's nit daher wie zwei Vagabunden! Zum Teufi mit so'n Ulk! I versteh' mi' nit viel drauf, und wer da a Lärm schlagt, der fliegt ins Loch! Habt's gehört? Verhöllte Gerst' no' mal!!«

Der fremde Löslbub lachte ein wenig verlegen und trat beiseite.

»Is ja nur a Schnacken 'west, Gendarm, jener Buab da versteht sich nur nit drauf aus!«

Wendl schüttelte wie ein gereizter Löwe die Haare aus der Stirn.

»Bleameln wirft er der Creszenz in' Schoß und ruft: ›Wer sie tragt is mei' Schatz‹,« wiederholte er außer sich, wie in himmelschreiender Anklage.

»Sell Bleameln?« Der Gendarm nahm geringschätzig die Zitternelken vom Tisch und hob sie musternd dicht unter seine blaurote Nase. Und dann zuckte der graue Schnauzbart und er sagte mit listigem Augenzwinkern: »No, gut! Dann nimm dös Straußel mit und bind's deiner schecketen Kuh an' Schwanz! Dann tragt sie's und is dem Loisl sei' Hochzeiterin!«

Da erhob sich ein schallendes Gelächter im Kreis, selbst des Wendls Lippen zuckten momentan, der Loisl aber machte gute Miene zum bösen Spiel, faßte die Schankin um die Hüften, tat einen Schnalzer mit den Fingern und der Zunge und sang kreuzfidel:

»Kei Weiberl, kei Maderl,
Kei nix nit dazu –
Bleibt allweil zur Tröstung
Die buntscheck'te Kuh!«

Da gab es ein Geiuchz und Gelärm umeinand, und derweil faßte der Gendarm den Arm des Wendl und blinzte ihm zu: »Fix hinaus mit euch, zur Post! Selbes mal is noch gut ab'gangen; denn der Grieshübler Loisl is ein gutmütiges Mannerleut! Aber drei gegen einen – dös hättst nit geschafft, Wendl, und allweil dumm bist gewest, döß di in so'n schiefen Handel hast einlaßt! I sag's aber schon, – kennst die Welt no nit, Wendl! Und wann d' no' lang' dahier drunten verweilst, rennst dein' Schädel ein und gehst ganz und gar verlustig aufs Cenzerl!«

Der junge Beckhaber biß die Zähne zusammen und schritt schweigend über die Straße nach der Post, dieweil das Dirndel nach all der ausgestandenen Angst käseweiß aussah und sich so fest an des Wendl Hand hielt, als sei es dran angeleimt.

Der aber dankte dem Gendarm mit halb erstickter Stimme und sagte: »Weißt, einmal bin i in der Welt 'west, – aber wiederseh'n tut's mi nit, dös soll a Wort sein.«

»Recht so! Auf'm Wald hast a Herrenleben, hier drunt' aber is schlechte Zeit. Na, da behüt's Gott! Und sagt's dem Beckhaber: I tät ihm sei Kinder heil und g'sund z'ruckschicken. Das wär' alles fein gut so kommen, wie i's sagt hätt'!« Und der Sprecher schob die beiden jungen Menschenkinder in die Post, welche um solch zeitige Stunde nicht besetzt war, und nickte ihnen noch einmal zu und rief: »Kimmt's gut über!« und dann schritt er säbelrasselnd davon und Wendl und Cenzerl blieben allein.

Schon führte der Postillon – diesmal war es ein junger, munterer Gesell – die Pferde aus dem Stall, und es dauerte nicht lange, so knallte er hell mit der Peitsche, schaute noch einmal rechts und links, ob wohl noch ein Passagier daherkäme, und setzte das Horn zu einem prächtigen Stücklein an die Lippen.

Das Cenzerl horchte entzückt auf und auch der Wendl hob hoch den Kopf, – dann ruckten die Pferde an und die große, ungeschickte Kutsche holperte die Straße entlang.

Mehr und mehr schwanden die Häuser, die Menschen verloren sich, Felder und Gärten dehnten sich bald wieder rechts und links, und der Wendl schaute mit brennendem Blick hinaus, atmete tief auf und stieß aus tiefster Brust hervor:

»Cenzerl! bet' a Vaterunser, döß ma solch an Teufelsnest hinter uns hab'n! Weißt, seit Kindesbeinen auf hab' i mir g'wünscht, die Welt z' schauen und hab's von weitem viel lieb gehabt und denkt: so schön, wie's ausschaut, muß 's auch wohl sein! Aber a Lug und Trug is damit, für a offnes Herz und a kindlichen Sinn is die Welt nit eingericht'. – Mir gefallt's schon gar nit, – und fein besser is, mir schauen's uns halt nur von dem Lattenzaun an, – wie a narrisches Gespiel, über dös ma stolz wegguckt und eins lacht! – Gel, Cenzerl? Nu' sind wir all beid' draußen gewest, weit, weit, weit fort, bis ans End' der Welt, und nu' haben wir a Ruh. – Oder möchst z'ruck in die Welt?«

Die letzten Worte klangen wieder halb zornig, halb angstvoll, das Dirndel aber wischte sich mit dem Schürzenzipfel die Augen aus; denn es hatte sich alle Schrecken der letzten Stunden von der Seele geweint, und in allem Leid jauchzte es dennoch auf und schüttelte stürmisch den Kopf.

»Z'ruck in die Stadt? Wann d' dös sagst, Wendl, nachen bist a Narr! – O mei! Auf'n Knien möcht' ich allen Heiligen danken, döß i all das narrsche Zeug nit mehr siehch! Ganz damisch is mir in' Kopf und wirbelt durcheinand', döß i vermein', so kann's nit bleiben! – Hier aber werd mir schon wieder leicht ums Herz – i siehch Bäum' und Wiesen … und Luft und Freiheit!«

»Und ganz allein san wir allzwei –!« Der Wendl legte den Arm um das Dirndel und sah plötzlich strahlend froh und glücklich aus, »nu' gib dich z'frieden, mei Cenzi, mei lieb's, allweil gaht's hoam!«

»Wie der Gendarm dabei war, konnt' ma gar nit um sich schauen!« meinte die Kleine und lachte wieder so lustig wie ehedem. »Nu' gib fein Obacht, dös ma' nix vergessen! Gleich komm' wir an' Feuerdrach sein Loch, und dort steht das Häuserl, was wir vom Lattenzaun immer geseh'n haben, so klein wie a Klötzerl! und bald kimmt der Wald und die grünen und gelben Strich im Land … und vor dem Dorf das Meer mit den Gäns' und Enten drauf!«

Ja, nun hatte die Fahrt erst eine Freude für die beiden weltfremden jungen Menschen, alle Angst und Beklemmung vor dem fernen Unbekannten war von ihnen genommen, sie hatten das stolze, selige Empfinden von zwei Reisenden, welche den Erdball gemessen und nach langen Jahren voll Gefahr, Forschen und Ergründen, voll Angst, Entbehrung und Heimweh zurückkehren in das geliebte Vaterhaus.

Wie viel hatten Wendl und Cenzerl an diesem Tag erlebt! – So viel, daß ihre Kinderseelen zeitlebens davon zehren konnten und doch nicht arm wurden!

Die Abendsonne vergoldete die fernen Berge und malte ihre letzten Streifen über das blühende Tal, dann sanken die Schleier der Dämmerung, still und stiller ward's und der Mond stieg wie eine bleiche Silberscheibe hinter dem Hochwald empor. Der Postillon ließ die Pferde gemächlicher schreiten, griff abermals zum Horn und blies ein schönes Stückchen nach dem anderen.

»O mei'!« flüsterte das Cenzerl und seine Hand zitterte in der des Burschen: »ich mein, so glücklich wie in selber Stunde war i noch nie! – Wunderlich wird mir bei der Musik, Wendl! ach so wunderlich!«

Und eben so wunderlich ward es auch dem jungen Bursch zu Sinn, daß er schwer und tief atmete, allweil nur auf dem Dirndel sein blondes Köpfchen schaute und dachte: »Es is ja nit mei Schwesterl! O Jessas Maria, wie mich dös g'freut!«

Und dabei zitterte ihm das Herz in der Brust und ganz scheu und zaghaft hielt er des Cenzerls Hand.

Der Postillon aber blies immer süßere und innigere Weisen und der Mond leuchtete immer silberner und des Wendl Atem ging immer schwerer …

Fester und fester faßte er die kleine, weiche Hand … und auch die zitterte.

Ach wie wunderlich ist das … so gar nicht zum Begreifen und Verstehen.

Keines sprach mehr ein Wort.

Nur die Posthornklänge zogen wie ein holdes, berückendes Liebeswerben durch die dämmernde Waldeinsamkeit und des Cenzerls Köpfchen neigte sich tief und tiefer gegen des Wendl Schulter.

Hundebellen erscholl. »Grüaß Gott!« riefen Stimmen, Häuser tauchten aus dem Gewirr der Blütenbäume.

»Dös Dörfel is!« sagte Wendl leis'. »Bis dahier fährt nur die Post, – hier müß' ma raus.«

Und schweigend stiegen sie aus, sagten dem Postillon ein »Schön Dank für die Musik« und ein »Behüt's Gott«.

»Bist auch nit müd, Cenzerl, döß d' noch auf'n Berg aufkraxeln kannst? Guck, die Straß'n is viel komod, mein i!«

»Was d' fragst!« schüttelte das Dirndel den Kopf, »i freu' mich gar viel aufs Gehn, – was a Luft daher weht, wann ma so lang im engen Kasterl 'sessen hat!«

»So kimm'!«

Und abermals faßten sich beide an der Hand und schritten rüstig bergauf.

»Zwei Stundeln dauert's! Länger nit!«

»Macht nix!«

»Ich hör' allweil noch die Liedeln vom Postillon!«

»Auf die vergeß' ich auch niemals nit!«

»Schön waren's!«

»Ich mein' das allerschönste vom ganzen Tag!«

Wendl drückte plötzlich die Hand der Sprecherin heißer noch in der seinen.

»Das Allerschönste?« wiederholte er erregt, mit einem beinah jauchzenden Klang in der Stimme: »Ach na! – da weiß ich noch was, dös ist mir's liebste gewest von allen, was i bis daher derlebt hab!«

Cenzi blickte erstaunt zu ihm auf.

»Dös sag mal! Da bin ich aber damisch, dös ich so an' Freud bei dir nit 'merkt hab!«

»Ratst's nit?«

»O mei! – dös d' freikommen bist vom Militär?«

Wendl machte eine jäh verneinende Bewegung mit dem Kopf.

»Dös d' bis ans End der Welt komm'n bist?«

»Fehlg'schossen!«

»Dös d' nit arretiert bist?«

»Erst recht nit!«

Cenzerl sah sehr nachdenklich aus, sann ein Weilchen und schüttelte den Kopf.

»Nachen woaß i's nit!«

»Wirklich nit? Guck, und ich mein, du müßt a g'rad so eine sakrische Freud' d'ran gehabt haben, wie i?«

»Malträtier mich nit, Wendl! Geh her und sag's!«

Da lachte er hell auf, halb verlegen, halb entzückt, zog das Madel noch fester an sich und benutzte den hellen Mondstrahl, welcher quer über den Waldweg fiel, um in das frische Rosengesichtchen zu sehen.

Ganz nah zu ihrem Ohr beugte er sich.

»Die Kund', mein i, Cenzerl, dös d' nit mei Schwesterl bist!«

Er fühlte wie sie erbebte.

Voll ängstlicher Hast wich sie ein wenig zur Seite und lachte noch verlegener wie er.

»So a Narretei! Ich mein halt, dös is ganz egal was i bin, und der Vata sagt a, es verändert ganz und gar nix!«

»Der Vata! Was weiß der Vata!« stammelte der Bursch und fühlte es selbst, wie heiß ihm das Blut in die Wangen schoß; »allweil hab i dich lieb habt, Cenzerl, so viel lieb, daß es nie nit ärger werden kann! Aber so a Unterschied is doch dabei, wie ma sei Schwesterl gern hat oder … oder …« Und er würgte an dem Wort, als ob es ihn ersticken wollte, und weil das Dirndel seine zitternden Fingerchen aus seiner Hand löste und einen Schritt zur Seite wich, da hatte er nicht gleich den Mut, es festzuhalten.

Er zog das Sacktüchel und strich über die Stirn und hielt den Grünhut mit dem Gemsbart in der Hand, als sei er ihm zu heiß auf dem Kopf.

Einen Augenblick schritten sie schweigend nebeneinander her und jedes vermeinte den Schlag seines Herzens zu hören, so wild und aufgeregt hämmerte es in der Brust. Die Tannen ragten hoch und tiefschwarz zur Seite, köstlich frischer Duft wehte daher und hoch über ihnen türmten sich die gewaltigen Bergmassen mit den klüftigen Felszinken und starrenden Steinwänden, über welche weiß und flimmernd wie ein Strom flüssigen Silbers das bleiche Mondlicht floß.

»Cenzerl!«

»Dahier bin i!«

»'s ist arg dunkel dahier im Wald! Fürchtest dich auch nit, Cenzerl?«

»Fürchten? o mei! Wann du allweil an meiner Seit' bist?«

»Ach, Cenzerl, mei lieb's! Ich tät selbst 'n Teufi z'sammenschlag'n, wann er dich stehlen wollt!«

Bei dem schlimmen Wort fuhr das Dirndel erschrocken zusammen und ruckte wieder ganz nah an den Wendl heran und der nahm verstohlen seine Hand und zog's unvermerkt ein bißchen dichter und dichter zu sich.

Und so schritten sie weiter, schweigend, mit übervollen Herzen, unfähig, das Glück zu schauen und zu fassen, welches bereits lächelnd zwischen ihnen schritt und ein Kränzlein von duftigem Rosmarin flocht. Und plötzlich stand der Wendl hochatmend still, neigte den Kopf vor und lauschte.

»Hörst's, Cenzi? Hörst's?«

Fern, fern vom Tal herauf klang ein süßes, leises, echohaftes Klingen empor. Der Ton des Posthorns, welches auf der entlegenen Fahrstraße von neuem erklang. Ach, wie wonnesam, wie zauberisch sang und hallte die Weise um die jungen, liebezitternden Herzen im Hochwald. Und all das heiße, leidenschaftliche und glückselige Empfinden, welches in des Wendls Brust nach dem erlösenden Wort rang, das ward geweckt von dem Klang des Liedes, das ward wach und lebendig, kühn und riesenstark, daß es hervorbrach wie der Felsenquell, welchen nicht Stein und Erz bannen können, welcher mit Götterkraft dem Licht und Leben entgegenstürzt … wenn seine Zeit gekommen ist.

»Cenzerl!«

Wie ein wilder, halberstickter Aufschrei klang's.

Wendl schlang die Arme um das Dirndl und preßte es an sich wie einen Raub, und küßte das junge Angesicht wie der Sturmwind, welcher ein Röschen liebkost.

»Cenzerl, Cenzerl, mei Schatz!«

Das wehrte sich nicht.

Fester und fester hat es sich in des Burschen Arm gedrückt und hat gelacht und geweint in einem Atem.

Und als der Wendl ungestüm gefragt hat:

»So schwätz doch, Cenzerl! so sag's doch, daß d' mir a bissel gut sein kannst!« – da hat es nur seine Hände gefaßt und geflüstert:

»O Jessas, über so an Glück!«

Die dunkeln Tannen hatten so viel Lieb und Glück wohl auch noch nicht gesehen, denn sie wiegten träumend die schlanken Wipfel und schauten herab auf die beiden jungen Menschen wie auf ein Rätsel, welches zwischen all den unfaßlichen Wundern der schönen Gotteswelt doch ewig das lieblichste und unerklärlichste bleibt.

Arm in Arm schritten sie dahin, und obwohl sie so viel an diesem Tag erlebt hatten, wußten sie doch gar nichts zu sprechen, sondern schauten sich nur schweigend in die Augen, als ob alles fremd und neu an ihnen sei, als ob sie sich zum erstenmal begegneten. Drunten im Tal aber klang das Posthorn ferner und ferner:

»Nu hab' i g'funden
Auf'm Bergli mein' Schatz,
Da hab' i hie drunten
Im Tal koan' Platz.

Wo's Almrösel blühet
Da wachst nu' mei Glück –
Döß Gott di b'hüet –
Kimm nimma z'rück.«

Die Töne die weichen, langgezogenen, verhallten im Wind und weiße Nebel wallten wie bräutliche Schleier über der Ebene.

Wendl und Cenzerl hatten keine Eile bergauf zu steigen, Schritt für Schritt, wie im Traum ging's daher, bis das Dirndel plötzlich aufschrak und sagte: »Ganz damisch sin' ma' worden, Wendl, und schleichen daher wie a Schneck! Ganz und gar auf'n Vata hab'n wir vergessen und ich mein, dem währt d' Zeit nit so kurz wie uns!«

Da wich die Träumerei von dem Bursch und eine kreuzfidele Lustigkeit kam über ihn, daß er sein Hütel hoch warf und mit einer Stimme hell aufjodelte, als ob's eine Posaune sei.

»Holdrio juhu!«

Und dann lauschten sie überrascht. »Juhu!« antwortete es ein wenig leiser und heiserer vom Waldeck herab.

»Sell war kein Echo nit!«

Nochmal »Juhu!«

Und droben klang's: Hallihohaho!«

»Der Vata! 's ist der Vata! Der kimmt uns entgegen! Der wart' auf uns!« jubelte das Cenzerl, und der Wendl war schier narrisch vor Übermut, und sie faßten sich beide wieder an die Hände und stürmten wie von Flügeln des Glücks getragen bergan.

Da stand der Beckhaber mitten auf dem mondhellen Fahrweg und schwenkte mit einem Juchzer den Hut, und nach wenig Augenblicken hingen die beiden jungen Leute an seinem Hals.

»Bist frei kommen, Bub?!«

»Naa, Vata! naa!« lachte der Wendl überlaut.

»Naa? Was heißt dös?«

»Gar a narrisches heißt's, Aloys Beckhaber!«

»Als a freier Bursch bin i 'nab gestieg'n und als a ganz a unfreies Leut kimm ich z'ruck. Viel verlorn hab ich auf'm Fleck! Mei Schwesterl … mei Herzel … mei Freiheit! Aber gefunden hab i noch mehr, – Vata! Da schau hier! A Schatz! A sakrischen Schatz, der mich für allzeit hier auf'n Berg g'fangen halt!«

Mehr sprechen konnte der Wendl nicht, denn schon hatte er das Cenzerl wieder umgefaßt und busselte es ab, daß ihm der Atem ausging.

»No guck mal an!« sagte der Wildhüter und kratzte sich halb betroffen, halb freudig entzückt hinterm Ohr. »I sag's ja immer, nix wie Hallodria treiben's in der Welt drunten! Gott sei's geklagt, daß i euch fortlaßt hab!« Aber er nahm die Brautleute mit überströmenden Augen an die Brust und murmelte: »Alle Heiligen segnen's euch diese Stunde! Zwei Jahrdeln hätt's noch Zeit gehabt, – aber das Mutterl hat geplauscht … und … Gott hab's selig … a Glück hat's doch g'schaffen.«

* * *

Der Wendl und das Cenzerl haben nie im Leben wieder Lust verspürt, in die Welt hinab zu gehen.

Vom Lattenzann aus gefiel sie ihnen am besten, und wenn auch der Wendl des öfteren zum Dörfchen hinab gemußt hat, lang aufgehalten hat er sich niemals dort.

Als der Aloys hoch bei Jahren war und sein Ende nahe fühlte, hat er's dem Sohn anheimgegeben, daß er sich doch solle von seinem Geld einen Bauernhof kaufen, aber der Wendl hat den Kopf geschüttelt.

»I für mei' Person nie nit, Vata, ich bleib mit dem Cenzerl auf mein' Berg; dahier will i leben und sterb'n. Das Geld is für die Kinder, die leben in der Welt und können es gut brauchen.«

Und er hatte recht.

Als das Cenzerl so jung freite, hat der Aloys ihm eine ältere, erfahrene Jungfrau gedingt, die blieb bei ihm und half ihm vier kleine Hascherln großziehen.

Die Zeiten änderten sich und alles ward strenger in der Welt, auch die Schulgesetze. Wendl und Creszenz waren aufgewachsen wie die Pilze im Wald und kein Huhn und kein Hahn hatte danach gekräht.

Ihre Kinder aber sollten es nicht so gut haben, die mußten hinab ins Dorf, in die Schule, und wurden gar klug und anstellig und fühlten sich daheim in der Welt und mochten nicht allzulang in der Bergeinsamkeit hausen.

Da ward es vor der Zeit wieder still in dem Wildhüterhäuschen, und wie Wendl und Cenzerl ehemals verlassen und allein droben auf ihrem winzigen Erdenwinkelchen gehaust, so lebten sie auch wieder als alternde Menschen, still und vergessen, hoch droben im Herzen des Hochwaldes.

Da standen sie oft Arm in Arm an der Stelle, wo ehemals der morsche Lattenzaun geragt, und schauten hinab in die Talebene und gedachten vergangener Zeiten.

Die Eisenbahn blieb für sie ewig der schlimme Feuerdrach, und oft fragte Cenzerl bang und leise: »Wendl, denkst auch noch drauf, wie wir die weite, weite Reis' machten, bis ans Ende der Welt?«

Der Wildhüter mit dem ergrauenden Kopf und dem Kinderherzen nickte gewichtig.

»Da schau – bis dahinten am Berg sind wir mal gewest, Cenzerl!«

»Wie a Wunder deucht's mir, döß wir die Gefahrnis so gut überstanden haben, Wendl!«

Der wiegt nachdenklich das Haupt. »Und a schöne Erinnerung is' doch für's ganze Leben! Wie oft schwatz'n ma' noch davon, un' wieviel stolz macht so an Gedank – dös ma die ganze Welt z'sehn kriegt hat!«

Eines Tages war an der Extrapostkutsche ein Strang gerissen.

Der Postillon hielt vor dem Wildhüterhaus und der Wendl Beckhaber half mit einem neuen Strick aus.

Er und sein Weib saßen auf der Bank vor der Türe, und die Fahrgäste stiegen aus und plauderten derweil mit dem einsamen Menschenpaar.

Eine Touristin schüttelte beinah entsetzt den Kopf.

»Zeitlebens wohnen Sie hier in der Waldeinsamkeit? Sind Sie denn niemals von hier fort gekommen?«

Da sah sich das alte Paar mit gar geheimnisvollem Schmunzeln an, und Cenzerl hob die geblümte Schürze an die Wange und kicherte halb verlegen, halb schämig:

»O mei! Was d' daher schwätzt, Frau! – der Wendl und i sind grausig weit von dahier fort gewest! Eine Reis' haben wir gemacht, bis ans End der Welt!«

»So weit?« staunte die Dame und sah den Wildhüter fragend an, der aber nickte nur ernsthaft mit dem Kopf und wiederholte wie in träumerischem Sinnen: »Akrad so, wie das Cenzerl sagt! Stadtleut wie ihr hab'n ma genug geschaut und bis ans End der Welt sind ma kommen!«

Auf weitere Fragen haben sie sich aber nicht eingelassen, sondern in ihrer wortkargen Weise nur genickt und gelächelt: »Hm, hm!«

Der Postillon knallte mit der Peitsche, die fremde Dame stieg in die Post ein, nahm noch einmal die Lorgnette vor die Augen und musterte interessiert das schlichte Paar in seiner Bauerntracht.

»Seltsam!« sagte sie zu ihren Reisegenossen: »Wie die Wanderlust doch selbst die geringsten Leute erfaßt! Jene beiden Waldmenschen dort sind weit, weit gereist, ich denke mir, bis nach Amerika, oder gar noch weiter, bis Australien! Aber das Heimweh! Ja, wenn das nicht wäre! Sicher ist's die Sehnsucht nach ihrem stillen Wald gewesen, welche die beiden Wandervögel heimgezogen!« Und die Umsitzenden stimmten dem bei und es erhob sich ein lebhaftes Gespräch ?ber soziale Verhältnisse, über die Unruhe und die Unzufriedenheit, welche bereits ihren Weg bis in die fernsten Alpwälder findet.

Wendl und Cenzerl aber saßen Hand in Hand vor ihrem Häuschen und lauschten lächelnd auf das Tannenrauschen und das Lied der Vögel.

»Die armen Weltmenschen!« sagte Wendl leise, »sie ahnen's gar nit, wie das Glück ausschaut! Wir aber wissen's, gelt mei Cenzerl?«

Das lehnte den Kopf an seine Schulter und atmete so leis' und friedlich wie im Traum.

Weit ab lag die Welt mit all ihrem Treiben, Jagen und Drängen, mit ihrer Sünde und ihrem Unfrieden, mit Lug, Trug, Haß und Feindschaft, – hier droben im Wald aber äste die Hirschkuh zutraulich an der Creszenz Gartenzaun und die Vögel flogen nicht scheu davon, und die Blumen blühten unzertreten.

Hier droben rastete das flüchtige Glück und ließ sich lächelnd nieder im weichen Moos.


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