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Trommelwirbel


Eine Herbstnacht war es, kalt und regnerisch. Der Sturm pfiff um die Fenster wie ein Klagelied, und die Regentropfen fielen so schwer und unaufhörlich, wie Tränen unendlichen Leids.

Dunkel und still lag die Straße der kleinen Garnison, nur in einem Giebelhause nahe am Tor brannte ein Licht mattrötlich durch die verhängten Scheiben, und drinnen in dem dämmrigen Zimmer seufzte ein bleiches, junges Weib in den Kissen.

Ihr Gatte neigte sich über sie, küßte sie zärtlich auf die Stirn unter dem zerwühlten Blondhaar und flüsterte ermutigende Worte, und der stämmige Militärarzt nickte dazu, lachte im behaglichen Baß und sagte: »Nur Courage, meine gnädige Frau! Bedenken Sie, daß unser Kaiser stramme Jungens für seinen blauen Rock gebraucht! Noch ein halbes Stündchen Geduld, dann sollen Sie mal sehen, was für ein famoser kleiner Zukunftsleutnant Ihnen in die Arme zappelt!« Die junge Frau lächelt unter Tränen, blickt in das strahlende Antlitz des Geliebten und duldet tapfer weiter – und als aus dem halben Stündchen zwei endlos lange, qualvolle Stunden geworden sind, da hält der stolze Vater seinen Erstgeborenen und jubelt mit gedämpfter Stimme: »Gott im Himmel sei Lob und Dank – ja, es ist ein strammer Junge!« Kaum aber, daß der Kleine zuerst die großen Augen aufschlägt – rasselt und dröhnt es plötzlich vor dem Fenster, ein langer, mächtig hallender Trommelwirbel, – so laut und jäh, daß die junge Frau zusammenschrickt.

»Was bedeutet das?« murmelt sie, ihr Mann aber hat bereits seinen Knaben auf die Knie der Wärterin gelegt und lauscht betroffen dem Signal, welches fernher durch die Nacht klingt.

»Alarm!« stößt er kurz hervor, küßt sein Weib und ruft dem Arzt ein paar hastige Worte zu. »Zum Kuckuck noch eins, das hat sich der neue Divisionär schlecht ausgesucht!« – und er stürmt zur Tür, reißt draußen an der Klingel und gibt dem Burschen flüsternd seine Befehle. Und wieder rasselt die Trommel unter dem Fenster, und der Neugeborene weint in den Kissen.

Erstaunt neigt sich die Kinderfrau und starrt ihn an, winkt dem Arzt und flüstert: »Nee, aber so was! Nun sehn Sie mal den Jungen an, Herr Doktor! Er weint schon Tränen! Wirkliche, große Tränen! So was ist mir im ganzen Leben noch nicht vorgekommen!«

»Hm … Das ist jedenfalls selten! Der Spektakel drunten auf der Straße scheint dem jungen Herrn nicht zu behagen!« und er streicht lächelnd mit der Hand über das dumme Blondhärchen und schilt: »Schäme dich, junger Mann, wie kann ein Soldatenjunge weinen, wenn die Trommel klingt!«

 

– – Wochen sind vergangen, die junge Mutter badet ihr Büblein selber und blickt strahlenden Auges auf den dicken, rosigen kleinen Kerl hernieder, welcher so vergnüglich im Wasser plätschert und recht ein Bild lebensfrischer Gesundheit und Kraft ist.

»Sehen Sie nur an, Frau Schmehl, was er für Ringelchen um Arme und Beinchen hat!« sagt sie mit glückseligem Lachen zu der alten Kinderfrau, welche das Badelaken gegen den Ofen hält: »Und dieses Brüstchen! So gewölbt und breit! und die drallen Fäustchen! Der wird mal ein tüchtiger Grenadier werden, ein schneidiger Soldat, der in des Königs Rock sein Glück macht!«

Die Alte antwortet nicht allsogleich.

Sie macht ein gar wunderliches Gesicht, tritt neben die junge Mutter und sagt mit beinah düsterem Klang in der Stimme:

»Darf ich der gnädigen Frau wohl noch einen guten Rat geben?«

»Das versteht sich, liebe Schmehl! Ist Bubi schon zu lange im Wasser?«

Die Genannte schüttelt den Kopf, blickt aber ernsthaft auf das Kind nieder und sagt: »Lassen Sie den Jungen nie Soldat werden, – das bringt ihm kein Glück!«

»Aber Frau Schmehl!!«

»Ich sag's, gnädige Frau, – und ich beschwör's!«

»Aber um alles auf der Welt, wie kommen Sie auf solch ungeheuerliche Idee? Vater – Großvater – Urgroßvater … alle sind sie Soldat gewesen, und der Prachtjunge hier sollte fahnenflüchtig werden? Undenkbar!«

»Ich wiederhole es, gnädige Frau! Wenn Sie das Kind mal glücklich sehen wollen, lassen Sie's nie unters Militär!«

Es liegt etwas so Wunderliches, Unheimliches in der Stimme der Alten, daß die Frau Hauptmann ganz ängstlich wird.

»Aber sagen Sie, um alles in der Welt, warum?!« fragte sie dringlicher.

Frau Schmehl schlägt das Badetuch um das entrüstet schreiende Knäblein, legt ihn mit energischen Händen auf den Wickeltisch und reibt ihn trocken. »Das will ich Ihnen wohl sagen!« fährt sie mit Grabesstimme fort. »Als der kleine Bubi geboren wurde – Sie entsinnen sich's wohl! da gab es just Alarm, und als der Trommelwirbel unter dem Fenster erklang, da weinte der Bub dicke, richtige Tränen! Was aber der neugeborene Mensch zuerst in der Welt mit Tränen begrüßt, das bringt ihm zeitlebens Unglück. Dem Bubi bringen's die Trommeln! Es ist an sich schon eine große Seltenheit, wenn ein kleines Kind Tränen weint – und nun gar in der ersten Lebensstunde! – Das will viel besagen, und wenn Sie den Rudi mal unter die Soldaten geben, werden Sie's erleben, warum ihm die Trommeln das Glück zerreißen!«

»Aber, liebe Schmehl! Solch ein Aberglauben!!«

»Aberglauben? Na, die gnädige Frau werden schon an mich denken! Und nun nehmen Sie, bitte, den Buttel aus dem heißen Wasser, ich denke, unser Küken schläft heut schon bei der ersten Flasche ein!« –


Etliche Jahre waren vergangen, der Hauptmann ward als Major in eine andere Stadt versetzt und wohnte weit vor dem Tore draußen, wo man selten, fast nie etwas von dem militärischen Getreibe merkte.

Der kleine Rudi war ein Schuljunge geworden und nach ihm hatten noch zwei Brüder und eine Schwester in der Wiege gelegen, von Frau Schmehl mit viel Sorgfalt, aber ohne so viel Sorge gepflegt wie einst der Erstgeborene. Rudi war und blieb ihr Angstkind, welches sie stets voll besonderen Interesses im Auge behielt, was sie veranlaßte, manch geheimnisvoll mahnenden Blick mit der Mutter zu wechseln, wenn der Kleine, ganz entgegen all seinen Altersgenossen, keinerlei Freude am Soldatspielen zeigte.

Ein kleines Gewehr, welches ihm der Vater einst am Weihnachtsabend aufgebaut, nahm er wohl hie und da zur Hand, eine Trommel jedoch, welche daneben stand, rührte er kaum an und überließ sie ohne Widerstand den jüngeren Brüdern.

»Ich mag sie nicht!« antwortete er nur mit einem ernsten Blick aus den großen Kinderaugen: »Sie geht so laut, und das ist häßlich.«

Eines Tages klagte er über Kopfweh, er fühlte sich matt, ward in das Bett gelegt und schlief ein.

»Wenn er nur nicht krank wird!« seufzte die Mutter.

Da rasselte es plötzlich laut auf unter dem Fenster. Ein Trommelwirbel, scharf und lang und dazwischen die schrillen Pfeifen der Militärmusik.

Rudi schreckt entsetzt empor aus dem Schlaf, er umkrampft mit fieberheißen Händchen den Arm der Kinderfrau.

»Das ist häßlich! Das tut mir weh im Kopf!« klagt er mit verstörtem Blick.

»Nun weiß ich, daß er schwer krank wird!« sagte Frau Schmehl leise; »die Trommeln haben's nicht gelitten, daß er sich gesund schlief.«

Und er ward krank, zum Sterben krank, und als es endlich besser ging, blickte Frau Schmehl auch dem Major warnend in die Augen und sagte: »Lassen Sie ihn nicht Soldat werden!«

Die Mutter war längst zu ihrer Ansicht bekehrt, aber der Major sagte auch jetzt noch halb unwillig, halb nachgiebig: »Wenn ich am Leben bleibe und es bezahlen kann, mag er meinethalben studieren, ihr Frauen seid ja ganz verrückt mit euerm törichten Aberglauben!«

 

Und abermals vergingen ein paar Jahre, da brachten sie den Vater vom Exerzierplatz heim, als stillen Mann, dem ein Blitzschlag vorzeitig das Leben geendet.

Da war es, als sei die Sonne des Glücks für ewige Zeiten hinter den dunkeln Trauerschleiern untergegangen, und als die Leichenparade vor dem Hause Aufstellung genommen, als das laute Kommando, das dumpfe Geräusch der präsentierten Waffen vor dem Sarge erklang, da stand Rudi und starrte mit weit offenen Augen das unbekannte Schauspiel an.

Noch hatte es sein Kinderherz kaum begriffen, was diese Stunde ihm nahm, als aber die Trommeln leise und gedämpft einsetzten, als ihr seltsamer Klang ihm durch Mark und Bein ging, da kam es plötzlich über ihn wie ein großes, unaussprechliches Weh, da schluchzte er laut auf, da streckte er in jäher Angst die Arme nach dem Sarge aus, als wolle er ein fernes, traumhaftes Glück festhalten, welches rettungslos für ihn mit diesem Sarg in dunkle Grabestiefen sank.

Und wieder schlich die Zeit mit bleischweren Flügeln dahin, und in dem Haus der Witwe kauerte ein graues, hohläugiges Weib auf der Schwelle, das hieß die Sorge. Not und Entbehrung gab es, wo so viele Kinder und so wenig Mittel waren, und der Vormund war ein strenger Herr, welcher nicht auf einer alten Kindermuhme abergläubische Prophezeiungen hörte.

»Die Jungen müssen in das Korps! – Rudi schon jetzt, die anderen ein und zwei Jahre später! Weibererziehung taugt da nichts, und je eher ein Knabe den militärischen Drill bekommt, desto besser ist's für seine Zukunft!«

»Es ist ein so inniger Wunsch von mir, Rudi studieren zu lassen!« seufzte die blasse Frau mit flehendem Blick, »er hat so wenig Passion für den bunten Rock … und lernt so vorzüglich …«

Der Vormund schaute die Sprecherin groß an.

»Ja, das wäre ja sehr schön, meine gnädigste Frau, aber studieren kostet Geld – und wo wir das hernehmen sollen, weiß ich nicht! Keine Passion, sagen Sie? Welch eine Idee! Ein Soldatenjunge keine Passion für's Militär? So etwas gibt's gar nicht! Die wird sich im Korps bald einstellen! Und außerdem – Sie müssen sich selber sagen, daß uns keine Wahl bleibt!«

Nein, es blieb keine Wahl, – das sahen sie alle ein, und Rudi, der verständige, brave Sohn wußte es am besten, – es mußte sein.

So schied er von daheim und kämpfte tapfer die Tränen herunter, der armen Mutter das Herz nicht noch schwerer zu machen.

Just zogen die Soldaten wieder zur Felddienstübung mit Trommeln und Pfeifen hinaus, wie damals, als er so schwer erkrankte, – sonst kamen sie niemals dieses Weges.

Da schlugen ihm die Trommeln abermals wie schwere, kleine Hämmerchen auf das Herz, als wollten sie die Tür des seligen Kinderparadieses für immer zuschließen und vernageln hinter ihm.

Und sie hatten recht, die Trommeln, – die schönste, glücklichste Zeit seines Lebens war vorüber, die frohe Kindheit am Herzen der Mutter, das Jubeln und Spielen, das Lernen und Schaffen im Vaterhaus.

Nun kam das Leben voll unerbittlicher Härte, und schnitt der Trommelwirbel auf dem Hof des Kadettenkorps so manch schönen, goldnen Faden durch, nun übertönte er voll rauher Strenge so manch holden Traum, welcher seinen Zauber um den stillen, geduldigen Knaben spann.

Wohl hatte er sich nie in der Anstalt gefühlt, und wenn er sich auch mit der Zeit an den Klang der Trommeln, welche ihm seit jeher »so häßlich« in den Ohren geklungen, gewöhnte, wenn er durch eisernen Fleiß zu ersetzen suchte, was ihm an Eifer und Passion fehlte, es blieb doch nur ein saures und freudloses Dasein, ein Dornenreis, welches keine Rosen für ihn trug.

Auch diese Zeit ging dahin, und aus dem fleißigen Kadett ward ein pflichtgetreuer, strebsamer Offizier, welcher nur um eines einzigen Zieles willen arbeitete, seiner Mutter dereinst ein Halt und eine Stütze zu sein.

Noch einmal schien es, als ob durch all die grauen Nebelschleier, welche sein junges Leben umflort hatten, eine sieghaft, leuchtend helle Sonne brechen wollte.

In der kleinen Garnisonstadt, welche das Bataillon, dem er zugeteilt war, beherbergte, war vor längeren Jahren schon eine Fabrik erbaut worden, welche vortrefflich rentierte, mehr und mehr vergrößert ward, bis sie bald zu einem der größten und bestrenommierten Unternehmen des Landes gehörte.

Der Besitzer der Fabrik, ein Herr Doktor Felsen, war ein allgemein beliebter Mann, welcher mit seiner noch jungen und lebenslustigen Frau eines der gastfreiesten und opulentesten Häuser der Stadt ausmachte.

Das Offizierkorps verkehrte viel und gern bei dem liebenswürdigen Paar und Rudi gehörte bald zu den besonderen Lieblingen der Hausfrau, welche viel und gern mit ihm musizierte und dem ernsten, gediegenen jungen Mann ihr aufrichtiges Interesse schenkte.

Als er zum erstenmal ihr Boudoir betreten, stand er jählings still vor einem lebensgroßen Ölbild und blickte überrascht in das süße Kindergesicht, welches ihm aus dem goldenen Rahmen entgegenlachte.

»Ist dies ein Genrebild, gnädige Frau?«

Frau Felsen lachte. »Was glauben Sie wohl, was es alsdann vorstellen sollte, Herr von Nauendorf?«

Rudi schaute sinnend auf das zierliche Figürchen im weißen Spitzenkleid, welches da, von Meisterhand gemalt, vor ihm im schwellenden Grase lag, einen Rosenkranz im wallenden Goldhaar, Blumen in den Händchen, Blütenzweige über sich an neigendem Gebüsch, von Blumen überstreut die luftigen Röckchen und kleinen Füße, – von Schmetterlingen umgaukelt, ein lachendes, glückliches Elfenkind, dessen zwitscherndes Stimmchen man zu hören vermeint, wenn man den kleinen Kirschenmund ansieht. –

»Es ist der verkörperte Frühling!« antwortete Rudi sinnend: »nur er allein kann so wonnig sein wie dieses Kind!«

»Ich danke für das Kompliment und werde es Gesa lieber nicht übermitteln, auf daß sie nicht eitel werde! – Ahnten Sie es wirklich nicht, daß dieses Frühlingskind meine Tochter, unsere Einzigste ist?«

»Ihre Tochter! Wie müssen Sie glücklich sein, gnädige Frau!« sagte er schlicht und seine ernsten Augen bekamen einen weichen Glanz: »warum habe ich die Kleine noch nie im Hause hier gesehen?«

»Weil die ›Kleine‹ schon recht groß geworden ist und in eine Pension geschickt werden mußte!« lachte die stolze Mama noch schelmischer wie zuvor: »Wenn Sie Weihnachten hier geblieben wären, hätten Sie Baby sicher kennen gelernt, aber im Mai – wenn sie wiederkommt, sollen Sie den ›verkörperten Frühling‹ mit – Augen schaun!«

»Ist sie noch so schön wie auf diesem Bild?« fragte er beinah naiv.

»Das entzieht sich meiner Beurteilung!«

»Kann man sie noch auf dem Arm tragen?«

»Sie sind ein Spötter, lieber Nauendorf. Tennis können Sie mit ihr spielen!«

Sein Blick streifte wie zweifelnd die so sehr jugendliche Mama, er antwortete nicht, sondern trat an das Klavier und sah die Geigennoten durch, welche sie ihm mit graziösen Händen hinschob.

 

Der Mai kam, ein wunderholder Mai mit Blüten und Nachtigallen, silbernem Mondschein und kräuselnden Flußwellen, er kam wie ein König voll verschwenderischer Pracht und brachte zwischen all den Rosen und Veilchen das reizendste mit, was ein Menschenauge sehen konnte: Gesa! –

Da lachte sie ihm mit rosigen Wangen entgegen wie ehemals auf dem Bilde, nur waren die wehenden weißen Spitzenröckchen länger und die klaren Kinderaugen inniger und sinniger geworden. Gesa!

Er empfand etwas bei ihrem Anblick wie andächtiges Entzücken, wie das fromme Gefühl eines Menschen, welcher zum erstenmal auf einem Berge steht und hinab in eine fremde, zauberschöne Wunderwelt blickt, durch welche noch rein und lauter Gottes Odem weht. – Sie waren bald gute Freunde, das übermütig heitere Backfischchen und der so ernst blickende Offizier, und grade weil sie so gar verschieden waren, kamen sie so gut miteinander aus.

Ihr silberhelles Lachen klang so gut zu seiner ruhigen Art, und während seine erst so schwermütige Stimme von Tag zu Tag heiterer tönte, ward die ihre leiser und weicher, und dieweil ihre Lebhaftigkeit ihn ansteckte, daß er das Scherzen und Plaudern lernte, legte sie mehr und mehr die Schmetterlingsflügel ab und ward ein gar holdes, sinniges junges Weib an seiner Seite.

Anfänglich hatte er sie noch wie ein Kind behandelt, spielte Tennis und Krocket mit ihr, warf ihr die bunten Reifen und den Federball zu, und als ihr Geburtstag war, der fünfzehnte, den sie feierte, brachte er ihr einen Pompadour voll Bonbons und wünschte ihr, daß sie Michaelis die beste Zensur bekommen möchte.

Nachmittags, als die Freundinnen kamen, nahm ihn Gesa schmeichelnd an der Hand, zog ihn hinaus in den Garten und bat mit reizenden Grübchen in den Wangen: »Nicht wahr, Sie alter Onkel spielen noch einmal ›Böckchen schiele nicht‹ mit uns, es fehlt nämlich eine Person!«

Er war alles zufrieden, stellte sich neben ihr auf und stürmte hinaus auf den weichen Rasen, als das »Böckchen« in die Hände klatschte.

»Wir müssen uns wieder zusammen finden! Daß Trude Sie um Gottes willen nicht einfängt!« hatte sie ihm noch voll allerliebster Wichtigkeit zugeflüstert, und dann flog sie nach der anderen Seite davon!

Trude machte ihnen das Wiederfinden herzlich sauer, hin und her jagten sie durch die blühenden Gebüsche, und als sie sich nach großem Umweg weit hinten an dem Goldfischteich endlich entgegenkamen, da jubelte sie hell und triumphierend auf und brauste ihm in die Arme wie eine junge Windsbraut.

Er fing sie unwillkürlich auf und hielt ihr schlankes Körperchen an seiner Brust, – das war so weich, so warm und duftig und gar nicht so kindlich klein, wie er immer gedacht, ihr Kopf mit den zerzausten Goldhaaren ruhte an seiner Schulter.

Sie kam so wild daher gelaufen, daß er sie fast an sich drücken mußte, um sie zu halten, und sie sah mit glühendem Gesichtchen zu ihm auf – und ihre rosigen Lippen lachten nah ganz nah den seinen …

Da ward es ihm plötzlich so heiß um das Herz, so wunderlich heiß, wohl und weh zu gleicher Zeit, über ihnen in dem Blütenbaum zwitscherte ganz leise ein Vöglein und streute weiße Blumenflocken auf sie nieder. –

Tief sahen sie einander in die Augen – anders, ganz anders plötzlich wie sonst … und dann erglühte Gesa noch tiefer, ihre Händchen erzitterten leise in den seinen, sie riß sich los und entfloh, mehr vor ihm wie vor Trude.

Seit dieser Stunde war etwas Neues, Geheimnisvolles zwischen sie getreten, eine lichte Frauengestalt, rosenbekränzt und weiß verschleiert, welche sie nicht kannten, von der sie nicht wußten, daß es die Liebe war. –

Dann schieden sie bald. – Gesa reiste ab, »zum letztenmal nach der Pension zurück!« wie sie mit leuchtenden Augen versicherte.

Rudi sagte ihr Lebewohl, er nannte sie aber nicht mehr »Fräulein Gesachen«, wie bisher, sondern »mein gnädiges Fräulein« – und er brachte ihr auch keine Bonbons als »Reise…Lek…türe« wie sonst, sondern einen Strauß herrlicher roter Rosen.

Sie blickte unter den langen Wimpern hervor zu ihm auf, verwirrt und hold verlegen … lächelte wie im Traum und ward noch röter wie die Blumen in ihrer Hand.

 

Wie lang ward ihm diesmal die Zeit, bis sie wiederkam, – wie freudlos und öde war die Welt plötzlich geworden, seit sie gegangen! Oft stand er noch tief in Gedanken verloren an jener Stelle im Park, wo sie ihm damals wie ein wildes Vöglein an die Brust geflattert war! Der Herbst streute sein welkes Laub über den Rasen, die ersten Flocken hüllten ihn ein … und als die Weihnachtsglocken läuteten, kehrte sie zurück.

Zum erstenmal reiste er während dieses Festes nicht heim, – er war Bataillonsadjutant geworden und hatte viel zu tun, das war der Grund dafür.

So sagte er auch zu Gesa, – die nickte lächelnd und sah aus, als ob sie es wahrlich glaube.

Doktor Felsen gab einen Hausball und Gesa durfte zum erstenmal mittanzen.

»Sind Sie schlechter Laune, Nauendorf? warum machen Sie ein böses Gesicht?« lachte ihm die junge Ballmutter zu.

Er fuhr aus tiefen Gedanken auf, – er hatte es just beobachtet, wie die wonnige Kleine von einem Arm in den anderen flog.

»Ihr Fräulein Tochter tanzt zu viel, gnädige Frau!« sagte er statt aller Antwort, »das wird ihr schaden!«

»Ei, so verbieten Sie es ihr! dem guten alten ›Onkel‹ gehorcht sie vielleicht mehr wie mir!«

Er ging auch wirklich hin.

Ihre Augen leuchten ihm entgegen: »Wie gut, daß Sie kommen! dieser Walzer ist so besonders schön!«

»Sie haben schon so viel getanzt, Fräulein Gesa!«

»Nicht mit Ihnen!« –

Da legt er seinen Arm um sie und hält sie an der Brust, wie damals im Garten.

Und ihre Blicke treffen sich wieder… und sie sagen einander so viel. – –

 

Es ist Frühling geworden, Frühling auf der Erde und Frühling in den Herzen.

Rudi ist nicht mehr so häufig zu Gast in der Villa Felsen, wie sonst.

Blaß und schweigsam geht er seines Weges und der Major hat ihn schon wiederholt gefragt: »Sind Sie krank, Nauendorf? Sie haben sich überarbeitet! Sie sehen schlecht aus.«

Nein, er hat sich nicht überarbeitet, er hat nur Tag und Nacht keine Ruhe mehr, er sinnt und grübelt: »warum ist Gesa so jung, so schön, so reich? und warum bin ich so arm – so arm gegen sie?« –

Der Kompagnon des Doktor Felsen ist aus dem Ausland zurückgekehrt, nicht mehr ganz jung, aber geistreich, elegant und reich … sehr reich … so reich wie Gesa selbst – und er küßt ihr die kleinen Hände und macht kein Geheimnis aus seinen Absichten. – Wenn man aber sehen muß, wie ein anderer die Rose pflückt, für welche man sein Herzblut geben möchte – dann wird man zu Tode traurig, – krank und bleich …

 

Die Wochen ziehen träge hin, die Julisonne glüht ins Land.

Da steigen schwarze Wetterwolken im Westen auf, der gallische Hahn spreizt zornmutig die Flügel, und sein geller Kampfschrei klingt über den Rhein.

Krieg! Der Krieg ist erklärt!

Frau Felsen schickt zu Nauendorf, sie läßt ihn bitten, jede freie Stunde noch in ihrem Hause zu verleben. –

Wie wenig sind es deren noch! –

Nur flüchtig kann Rudi das Mittagessen bei ihnen nehmen.

Gesa blickt ihn aus starren, in Tränen glänzenden Augen an, – ihre kalte kleine Hand liegt schwer in der seinen …

»Warum sind Sie in letzter Zeit so wenig zu uns gekommen?« – fragt sie leise.

Was soll er antworten darauf? Ringsum gibt es Augen und Ohren.

Das Gespräch dreht sich um den Krieg man erwägt mit ernster Sorge alle Möglichkeiten.

Frau Doktor Felsen ist nervös, sie blickt voll sorgender Unruhe auf ihr bleiches Kind, – auf den ernsten jungen Freund an ihrer Seite …

Die Ordonnanzen kommen und gehen… es ist ein ungemütliches, oft gestörtes Mahl … schließlich kurz abgebrochen, weil Rudi wieder nach dem Bureau stürmen muß.

Als er Gesa die Hand reicht, sieht sie ihn flehend an.

»Ich muß Sie noch einmal einen Augenblick allein sprechen … möchte Ihnen etwas geben …« flüstert sie: »morgen früh – den ganzen Vormittag bin ich im Garten …«

»Wir rücken sehr früh schon aus …« murmelt er.

»Gleichviel – wenn Sie kommen … sagen Sie mir noch ein Lebewohl!«

Wie sie ihn ansieht … wie ihre Hand die seine mit bebendem Druck umkrampft … sein Herz schlägt wild auf.

»Ich komme, Fräulein Gesa!« nickt er mit halb erstickter Stimme, dann reißt er sich los und stürmt davon, seinen Dienst zu versehen. –

Ein lachender, leuchtender Sommermorgen! die Blumen glitzern im Frühtau, goldene Lichter spielen auf den samtweichen Rasenflächen und die Wasser des Springbrunnens glühen in allen Farben des Regenbogens.

Da stürmt ein junger Offizier in feldmarschmäßiger Ausrüstung über den gelben Sandweg, an den Gebüschen vorüber, zu jener Stelle am Teich, wo er die Geliebte damals in den Armen aufgefangen, dort sucht sie sein Herz, und dort erwartet sie ihn auch.

Wie blaß sie ist, wie umschattet die tränenfeuchten Augen.

»O daß Sie kommen!« haucht sie, »daß ich Sie noch einmal sehen kann. …«

»Sie befahlen es, Fräulein Gesa … und … ich kam so gern … so unbeschreiblich gern!« Seine Stimme bebt wie seine Hand, welche die ihre umschließt.

»Ich würde Ihnen so gern einen Talisman mitgeben, Herr von Nauendorf –« fährt sie aufgeregt fort: »aber ich weiß keinen besseren, wie mein Gebet, welches Sie auf Schritt und Tritt geleiten, welches für Ihr Leben und um Ihre Heimkehr flehen soll! – Und hier … nehmen Sie dies noch mit, falls Sie einen Platz dafür wissen …«

Laut aufschluchzend schlägt sie die Hände vor das Antlitz, er aber reißt die Papierhülle von dem kleinen Gegenstand, welchen sie ihm gereicht.

Wie ein Jubelschrei klingt es von seinen Lippen: – »Ihr Bild!« –

Und dann faßt er ihre Hände und starrt ihr voll übermächtiger Empfindung in das süße, todtraurige Gesicht.

»Gesa!« Zwei weiche Arme umschlingen ihn, – ihre zitternde Gestalt ruht an seiner Brust.

»Rudi, bleib bei mir – ich sterbe, wenn du gehst!«

»Gesa – hast du mich lieb, – wahrlich mich? – mich?!« –

Da lächelt sie unter Tränen zu ihm auf: »Daß du noch fragen kannst! O Herrgott des Himmels – was wäre mir das Leben noch ohne dich!«

Die rotgoldenen Sonnenlichter wogen vor seinen Augen, wie berauscht von dem Übermaß der Glückseligkeit preßt er sie an sich und küßt ihre Lippen, wieder und wieder – als müßte er diese Minuten festhalten, als müßte er alle Seligkeit der Liebe in einem einzigen Zuge schlürfen!

»Gesa – bete für unser – Glück!«

»Ja, für dich – für mich – für unser Glück! Du wirst heimkehren, du wirst mich wieder im Arm halten als Braut …«

»Als Weib! – Für Zeit und Ewigkeit! Behalte mich lieb, Gesa – und küsse mich – küsse mich zum Lebewohl!«

Wie brennen ihre Lippen auf den seinen! Wie weit hinter ihm liegt alles Weh und Leid, die Welt voll Kriegslärm und Kampfruf … Der offene Himmel strahlt über seinem Haupt. Da rasselt und dröhnt es laut auf! Wie ein schriller Mißklang zerreißt der Trommelwirbel, welcher von der Straße herübertönt sein morgenschönes Glück!

Noch nie schnitt er ihm so in Herz und Seele wie in diesem Augenblick, wo er ihn zu langem, bangem Scheiden vom Herzen der Liebsten reißt!

Das Bataillon zieht vorüber zum Bahnhof. –

»Leb wohl, Gesa, – leb wohl!«

Noch einen Kuß, noch einen Blick herzzerreißenden Weh's aus ihren Augen … dann muß er hinweg. Und die Trommeln wirbeln und tosen … Die Trommeln übertönen den letzten Gruß. –


Die Kanonen brüllen aus ehernem Rachen von den Höhen herab.

Pulverdampf verhüllt das Schlachtfeld, – wie rasende Gebilde des Fiebers jagen die Kavallerieregimenter in den Morgennebel hinein.

Dunkle Massen schieben sich von allen Seiten vor, Granaten zischen durch die Luft und platzen mit dumpfem Knall – die Erde, der Rauch wirbelt auf, Rosse bäumen und die dunkle Masse der Regimenter verschiebt sich momentan, – dann ein erneutes »Hurra!« aus rauhen Kehlen, ein sprungweises Vorwärtsgehen – Signale und das Geknatter der Salven …

An dem Regiment vorüber sprengt ein Offizier und biegt seitlich in die Ebene ab, neue Befehle von der Brigade zu holen. Eine kurze Strecke jagt er querfeldein.

Da pfeift und zischt es über ihm … das Geschoß krepiert … in blutigem Knäul stürzen Roß und Reiter zusammen.

Rudi. –

Ein einziger leiser Aufschrei bricht von seinen Lippen –: »Gesa!« –

Und dann wird es dunkel vor seinen Blicken, er strebt empor und ringt nach Luft …

– Gesa! –

Wilder braust der Lärm der Schlacht zu ihm herüber – lauter und lauter stürmt es heran … und da … horch da rasselt und dröhnt es plötzlich nah – ganz nah an seiner Seite … Trommelwirbel! – Die Tamboure schlagen zum Sturm … wie das lärmt und wirbelt … wie das all seine Sinne betäubt …

»Hurra! – Hurra!« –

Und wieder die Trommeln … die Trommeln …

Ein leises Röcheln und Zucken … sein Blick umflort sich und starrt gläsern ins leere … Blut sickert in das zerstampfte Gras …

Trommelwirbel … das erste, was er mit Tränen auf der Welt begrüßt … das letzte, was er mit brechendem Herzen vernimmt …

Trommelwirbel! –


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