Bruno Ertler
Die Königin von Tasmanien
Bruno Ertler

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Die Königin von Tasmanien

Ich habe die kleine gelbe Marke nie gesehen – oder doch – einen Augenblick, den flüchtigen, tieferregten Augenblick vor ihrem Ende. Aber die frühe, gewaltige, bilderschaffende Sehnsucht, meine erste leidenschaftgroße Sehnsucht ging nach ihrem Besitz, Tage lang, Nächte durch, im Träumen und Wachen, im Spielen und Beten, und alles Schöne und Abscheuliche, Freude und Schmerz, Liebe und Haß, alle Engel und Dämonen, die jemals mein Leben weiterrissen oder hemmen wollten, wirbelten damals zum erstenmal ihren gestaltenreichen, tief sonderbaren Tanz um jenes Nichts, daraus in gläubigen Herzen eine Welt von Wundern wächst.

Wie jeder im Leben, wenn die Zeit an ihn kommt, nicht an der Liebe vorbei kann, so entging keiner aus unserer Klostergemeinschaft um die Zeit, da das Herz voll Angst und Gier nach der ersten Leidenschaft tastet, ehe Eros alle andern Götter entthront, dem zwingenden Lebensgesetz, Briefmarken sammeln zu müssen. Und wie in jeglichem Dorf und Städtchen eine Schöne wohnt, von der jeder einmal träumt, bis sie gewöhnlich ein schlechter Kerl bekommt, so überfiel die gelbe Marke aus Tasmanien irgend einmal jede der zwei Dutzend halberwachten Seelen und riß sie in die Höhe, ihre Art zu bekennen.

Ja, dieses kleine Stückchen bedrucktes Papier war unser Dämon.

*

Keiner wußte sicher zu sagen, wer die gelbe Marke jeweils besaß; aber jeder kannte sie. Allerdings gingen die Beschreibungen weit auseinander, so daß es plötzlich wieder den Anschein gewinnen konnte, als habe sie keiner je gesehen. Ja, manchmal stiegen Zweifel auf, ob die Marke aus Tasmanien überhaupt unter uns vorhanden wäre, bis unvermutet ein Gerücht auftauchte, Karl habe sie im Katechismus versteckt, oder Drogo, der älteste und stärkste unter uns, halte sie in der Lade seines Nachttischchens verborgen. Wenn dann aber einer heimlich Karls Katechismus durchsuchte oder gar in der Nacht in Drogos Lade stöberte – denn um die Marke aus Tasmanien wagte man alles – so fand sich nichts.

In den Markenbüchern, die wir mit Stolz einander vorführten, war sie nicht zu suchen. Keiner wäre so dumm gewesen, die gelbe Marke dorthin zu kleben, wo sie keinen Tag geblieben wäre. Sie kam natürlich auch nie auf den Markt, wo andere Marken gegeneinander oder für Semmelteile hitzig und wortreich verfeilscht wurden. Der Semmelteil (eine Semmel hatte fünf Teile) war unsere Scheidemünze. Es gab Marken, deren drei man für einen Teil haben konnte, aber auch solche zu zwei, vier oder sogar sechs Teilen. Die Tasmania-Marke wurde auf den unerhörten Wert von acht bis zehn Semmelteilen geschätzt!

Ja, wer die hatte, war glücklich – – –.

Voll Mißgunst schlich oft einer um den andern, mit verstellter Freundlichkeit suchte man Vertrauen zu erstehlen, wo man Besitz vermutete, einer wurde plötzlich hinterrücks überfallen und bis auf die Haut durchsucht, wobei es grobe Püffe setzte, treue Freundschaften zerriß der Neid, und während des Gebetes fraß ein zehrendes, nimmersattes Begehren alle Andacht auf.

*

Geraume Zeit ging das alles an mir vorbei, ohne mich mehr oder weniger zu bekümmern, als dies im allgemeinen fremde Freuden und Leiden tun. Damals schlief mein Herz noch in schöner Ruhe zwischen Wiesenfreude und Christbaumsehnsucht. Aber die Flamme züngelte und leckte. Ich begann, mehr dem allgemeinen Brauch als eigener Neigung folgend, von Briefen und Postkarten die Marken vorsichtig abzulösen und klebte sie nach Sammlerart an einem Streifchen Papier in ein Heft, das ich mir zu diesem Zwecke angelegt hatte. Deutschland, Österreich, Ungarn und Frankreich waren bald gut vertreten, Italien, die Schweiz und Amerika folgten; langsamer ging es mit Rußland, Spanien und England. Ich fand mich jetzt natürlich auch auf dem Tauschmarkt ein, der in den Pausen stattfand, handelte und kämpfte, und genoß stets nur die Hälfte meiner Frühstücksemmel.

Mit sicherem Griff packte mich der Teufel beim Kragen.

Mein ganzes Innenleben, das bis dahin nur Heiligen und Tieren gehört hatte, war jetzt von der einzigen Sucht besessen, möglichst viele und verschiedene buntbedruckte, kleine Papierchen zusammenzufassen. Ich lernte viele gegenwärtige und etliche vergangene Staatsoberhäupter Europas in allen Farben kennen, fand mich schnell in Münzwesen und Wappenkunde zurecht, erfuhr den Begriff des Liebhaberwertes, aber leider auch allerhand Kniffe und Schliche, dem Unerfahrenen eine wertlose Marke anzudrehen oder ihn sonstwie zu übertölpeln. Man mußte vorsichtig sein. Es gab da gewisse Marken mit kleinen Fehlern, die fortwährend als falsche Tauschwerte unterwegs waren, aber auch einige wertvolle, die andauernd gestohlen wurden, so daß man selbst bei ehrlichstem Handel plötzlich als Dieb oder Hehler dastehen konnte und sehen mußte, wie man seine Haut und Habe rettete.

Ja, das Dasein wurde hart und gefährlich.

Ich bekam viele Feinde und hatte auf einmal keinen Freund, je reicher mein Markenbuch wurde. Dagegen drängte sich nun der rothaarige Berner mit kriechender Ergebenheit an mich heran, und auch einige andere erwiesen mir unerwartete Artigkeiten, die mir deshalb unheimlich waren, weil ich in meinen eigenen Werten keinen Unterschied gegen früher fand, wo sich oft keiner um mich gekümmert hatte. Auch bemerkte ich recht gut, daß sie hinter meinem Rücken flüsterten, als planten sie etwas gegen mich. Da niemand recht zu mir hielt, erfuhr ich nichts von den Dingen um mich her; fragen und schleichen wollte ich nicht, und so kam es, daß ich immer mehr in mich hineinkroch und einsam mit meinem Reichtum mitten unter ihnen stand, die sich stritten, prügelten und betrogen, einander Treue gelobten, wenn es nützlich schien, sie ebenso leicht und froh wieder brachen und bei alledem lustig und laut waren, als drückte sie nie ein Traum oder eine Sorge.

Sie lebten – und ich hatte Sehnsucht danach, zu sein wie sie.

Aber so oft ich einen Versuch machte, mich ihnen zu nähern, fühlte ich mich unverkennbar zurückgestoßen.

»Was willst du von uns?« schienen sie zu sagen, »du brauchst ja nichts – du hast ja alles.«

Es war wie ein Griff ins Wasser: Nichts blieb in meinen verlangenden Händen zurück, als höchstens ein kleiner, glatter Wurm, der sich mir flink durch die Finger wand.

Ich hatte nur mein Markenbuch; das freilich war stattlich und reich wie keines. Tagsüber trug ich es stets bei mir, und abends nahm ich es mit ins Bett, weil ich lauter Diebe um mich witterte. Ich hatte auch gerungen darum und Hunger gelitten – ach wie viel! Immer wieder blätterte ich darin, obgleich ich jede Seite schon auswendig kannte, und streifte mit der Hand liebkosend über dieses und jenes farbige Läppchen, um das ich besonders gebangt und gefastet hatte. Der rote Berner saß dann gewöhnlich als einziger neben mir, obwohl ich ihn nicht leiden mochte, und lobte mich und meine Marken.

»Ja – du kannst stolz sein – nicht einmal der Karl hat die rote Kanada – wenn du jetzt noch die Tasmania hättest –.«

»Wer hat die?« fragte ich schnell.

»Ich weiß es nicht – aber ich werde es schon herauskriegen. Was gibst du mir?«

Ich sah den Berner von der Seite an. Er blinzelte mit seinen kleinen, rotgeränderten Äuglein zu mir herauf, denn er kauerte, wie dies seine Gewohnheit war, zu meinen Füßen.

»Was gibst du mir?« fragte er noch einmal.

»Eine Semmel« sagte ich.

Er überlegte.

»Und wenn ich sie dir gar verschaffe –?«

»Wie wolltest du das? Ich will nur wissen, wer sie hat. Das andere mache ich schon selber.«

Er blinzelte wieder. »Ich weiß, wo sie ist –.«

»Wo?«

»Der Jan Merkel hat sie.«

»Jan –?«

Jan Merkel war mein bester Freund gewesen, bis sich die französische 50-Centimes-Marke, die ihm gestohlen worden war, eines Tages in meiner Sammlung vorfand. Ich hatte sie von Drogo für fünf Teile ehrlich gekauft. Das glaubte mir Jan nicht und nannte mich einen Dieb. An den starken Drogo getraute er sich nicht heran. Wir aber sprachen seither kein Wort mitsammen.

»Soll ich sie dir schaffen –?«, flüsterte der rote Berner lauernd.

Ich wandte mich ab und schwieg.

Aber nun fraß die Sucht in mir.

Auf ehrlichem Wege war die Tasmania-Marke nicht zu bekommen – für mich zu allerletzt – das stand fest. Jan Merkel würde sie mir nie geben, auch dem Berner nicht, den er verachtete wie ich – und mit dem er mich doch immer beisammen sah. Der gelbe Dämon aber hatte mich nun einmal in den Krallen und rüttelte so viele schlummernde Kräfte in mir auf, daß ich davor erschrak und zeitweilig wie im Fieber ging. Ich dachte nur noch an die Marke aus Tasmanien, meine ganze Sammlung freute mich nicht mehr ohne sie.

*

»Wie sieht sie aus?« fragte ich einmal plötzlich den Berner.

»Wer?«

»Nun wer! Die Marke!«

»Die Tasmania?«

»Ja –! Wie sie aussieht!!« drängte ich voll Ungeduld.

Er blinzelte, als freue er sich über etwas.

»Ich habe sie nur einmal gesehen,« sagte er, »damals gehörte sie dem Karl. Sie ist gelb – orangegelb; die Königin Viktoria von England ist darauf, denn Tasmanien ist ein englisches Land –.«

»Wo liegt das?«

»Ich weiß es nicht. Weit irgendwo – Ja, wenn du die noch hättest –.«

Ja, wenn ich die noch hätte – –!

Während der Schulstunden liefen meine Augen verstohlen aber unentwegt über die Landkarten, die nicht weit von meinem Platz an der Wand hingen.

Ich suchte das Land Tasmanien.

Ganz Afrika durchforschte ich, denn das hing zunächst. Ich kam nach Ägypten, stieß nach Abessynien vor, entdeckte Somali-Land und das Volk der Suaheli, fand an der Küste von Mozambique die Städte Quelimane und Inhambane, ging Flüssen von unglaublicher Länge nach, kam an dunkelbraune Bergstöcke mit weißen Gletschern und in weite, gelbe Wüsten. Ruhelos forschte ich weiter, durchsuchte Arabien und Indien, ganz Asien und Amerika – aber Tasmanien fand ich nicht.

In der Nacht jedoch, wenn ich auf meinem Markenbuch schlief, war ich plötzlich dort. Da gab es Palmen in hellem Sonnenschein, Papageien in allen Farben, und drollige, langgeschwänzte Affen, die einander mit seltenen roten Früchten bewarfen. Dunkle Menschen waren da und ein unendliches, blaues Meer mit großen Schiffen, die weiße Segel hatten.

Es war nichts als Farbe und Sonne in diesem Land.

Und einmal sah ich seine Königin, wie sie ganz allein in einem Palmenhain spazieren ging. Sie war nicht dunkel, wie die anderen Tasmanier, sondern eine liebenswürdige, schöne, weiße Frau von unnahbarer, einsamer Hoheit. Ein wenig sah sie der Königin Viktoria ähnlich, wie ich sie von den Briefmarken kannte, ein wenig der Mutter Gottes auf dem Hochaltar unserer Kirche. Aber noch etwas empfand ich an ihr, was weder Königin noch Himmelmutter war, mich unerhört glückselig machte und wofür ich keinen Namen fand. Das Strahlen und Leuchten aber, das von der Erscheinung ausging, so daß man die Hand vor die Augen halten mußte, kam von einem glänzenden, tief gelben Mantel, der die Königin vom Kinn bis zu den Zehen umhüllte und eine lange Schleppe hatte. Und ich wußte nicht, was ich zu ihr sagen sollte, denn ich hatte ja noch nie mit einer Königin gesprochen. Weil sie aber auch der Mutter Gottes ähnlich sah, kniete ich nieder und breitete die Arme nach ihr aus. Da aber sprang ein flinker Affe von der nächsten Palme und schob seinen langen, dünnen Arm zwischen mich und die Königin. Und während ich mit Staunen bemerkte, daß er einen roten Schopf und kleine zwinkernde Äuglein hatte, war die gelbe, strahlende Königin plötzlich verschwunden.

Ich wachte auf. Es war finster und kalt. Draußen pfiff der Wind.

*

Immer dachte ich an meinen Traum – an die Marke – an die Königin. Ich schlief jeden Abend mit dem Wunsch ein, von ihr zu träumen – aber sie kam nur selten. Am Tage jedoch konnte es sein, daß ich sie durch beharrliches, starkes Denken auf einen kurzen Augenblick wirklich herbeizauberte. Ich sah ihren gelben Mantel leuchten, sah sie wie vom Himmel herab lächeln, sich ein wenig neigen – und war glücklich. Hatte ich früher zuweilen an meiner Einsamkeit gelitten und mich zu den andern gesehnt, so war jetzt Licht und Frieden in mir, ich war reich und verlangte nach nichts als meiner Königin.

Auch das Land Tasmanien suchte ich nicht mehr auf der Karte. Was sollte mir seine geographische Lage, seit ich sein ganzes Glück besaß!

Und während sich alle um mich her an den Schulaufgaben mühten, zankten, balgten und feilschten, ahnte keiner von ihnen, daß eine strahlende, wunderschöne Königin zu mir kam, so oft ich mit meinem ganzen Herzen nach ihr verlangte.

*

An einem kalten Novembermorgen, als ich eben in meine Frühstücksemmel beißen wollte, blinzelte mich der Berner vielsagend an.

»Ich hab' sie,« zischelte er, »gib mir deine Semmel –.«

Ich tat, als hätte ich ihn nicht verstanden, denn ich fühlte Jan Merkels Augen auf mich gerichtet, und ich schämte mich immer, so oft er mich mit dem Berner sprechen sah.

Noch ein zweitesmal versuchte der Berner, mir etwas zuzuflüstern, indem er zugleich verstohlen die Hand herhielt; aber ich wich ihm aus. Etwas zog mich von ihm weg.

Während der Schulstunden aber wurde ich den Gedanken an die Marke nicht los, immer und immer wieder war er da, so oft ich ihn auch mit ganzem Willen zurückdrängen mochte. Heimlich blätterte ich in meinem Sammelheft, wo schon längst ein Ehrenplatz für die Heißersehnte bestimmt war. Dann verirrten sich meine Blicke sonderbarerweise gerade heute wieder auf die Landkarte und gingen dort planlos hin und her, auf und ab, eigentlich ohne etwas zu suchen.

An die Königin dachte ich diesen ganzen Vormittag nicht einen Augenblick.

Um die Mittagsstunde wußten bereits alle: Einer hatte dem Jan Merkel die gelbe Tasmania-Marke gestohlen. Das Gerücht summte hin und her, bös und gefährlich, wie eine Hornisse am Fenster, und es war nicht abzusehen, wen schließlich der giftige Stachel treffen würde. Ich war unruhig und getraute mich nicht dem Jan Merkel in die Augen zu sehen. Einmal war ich nahe daran ihm alles zu sagen. Ich hatte den Berner nicht gedungen – hatte ihm keine Antwort gegeben – damals nicht, als er sich erbötig machte – und heute früh auch nicht –. Ich bin kein Dieb, Jan Merkel!

Aber ich sagte kein Wort.

Was ging mich die Marke überhaupt an? Ich hatte doch die Königin. Zwar heute – heute wollte sie nichts von mir wissen – und plötzlich war es mir klar, daß ich nur deshalb so ruhelos war und ein schlechtes Gewissen hatte.

Unwillig blätterte ich während der Abendpause in meinem Markenheft, das ich heute beinahe haßte. Über keine Marke streichelte ich liebkosend – ich hätte sie auf einmal alle zerreißen mögen. Das Gemurmel wegen der gestohlenen Tasmania ging um mich herum, und ich konnte recht gut merken, daß der Verdacht sich mehr und mehr auf mich senkte. Blicke trafen mich – spitze Worte fielen, wie von ungefähr, in meiner Nähe. Da packte mich ein wilder, häßlicher Trotz gegen alle: Und wenn auch! Haltet mich für einen Dieb oder wofür ihr wollt – ich besitze doch das reichste Markenbuch – und wenn ich will, habe ich heute noch die gelbe Marke aus Tasmanien!

Absichtlich laut rief ich den roten Berner zu mir, der eilig und dienstbeflissen herangelaufen kam, und ging mit ihm in das leere Klassenzimmer nebenan, als wollte ich dort etwas holen. Alle sahen uns nach. In der Klasse war es dunkel, nur das Ofenfeuer gab einen schwachen Schein.

»Wo hast du sie?« fragte ich den Berner.

»Was gibst du mir?« war seine schnelle Gegenfrage.

»Hier, das ganze Markenbuch –,« sagte ich und hielt ihm meine Sammlung hin. Er zwinkerte schief zu mir auf, als fürchte er eine List.

»Nimm!« fuhr ich ihn an, »wo hast du die Marke?«

Er nahm mit einem schnellen, gierigen Griff mein dickes Markenheft, kauerte vor dem Ofen nieder und machte die Feuertüre auf, um sich im Flammenschein zu überzeugen, ob es auch richtig voll wäre.

»Also –?« drängte ich.

»Da – da ist sie –.«

Er nestelte an seinem Kragen umher und brachte an einer schmutzigen Schnur ein Skapulier zum Vorschein, das er um den Hals gehängt auf der bloßen Brust trug.

»Was ist das?« fragte ich, denn ich hatte so etwas noch nie gesehen.

»Ein Herz-Jesu. Hast du keines? Das ist sehr gut,« pisperte er grinsend, »hier sucht niemand was, siehst du?«

Er drehte das Skapulier um; es zeigte sich ein kleines Täschchen aus der Rückseite, aus dem er mit spitzen Fingern die gelbe Marke hervorzog und mir mit zitternder Hand hinhielt, indes seine Linke das Markenbuch fest umkrallte.

Mein Herz klopfte so stark, daß ich die Hand daraufpressen mußte, als ich das gelbe Papierchen gegen den Ofen hielt, um es genauer zu besehen. Da ging die Tür auf und Jan Merkel mit einigen andern kam herein. Eine Sekunde lang sah ich nach ihm hin, der wortlos auf uns zukam, sah seine kalten, unversöhnlichen Augen und den hochmütigen Mund, der einmal »Dieb« zu mir gesagt hatte – und ließ die gelbe Marke aus Tasmanien ruhig in die Flammen gleiten.

Der rote Berner, der allein wußte, was hier geschehen war – denn die andern waren noch zu weit – schaute mit offenem Munde auf mich.

»Was macht ihr da?« fragte Jan Merkel, als habe er uns auf einer Untat ertappt.

»Wir –? nichts –«, stotterte der Berner.

Jan Merkel sah verächtlich über ihn weg.

»Gib uns dein Markenbuch«, sagte er zu mir.

»Ich habe keines«, entgegnete ich ruhig.

Der Berner hüpfte in die Höhe und erzählte geschäftig, daß ich ihm eben meine Markensammlung geschenkt hätte, denn ich hätte die dummen Papierchen satt und wolle von nun an nur noch Mineralien sammeln – das sei doch etwas ganz anderes und gefalle mir viel besser – und während er geschwätzig weiter log, wie der tasmanische Palmenaffe umherschwänzelte, ihnen seine Reichtümer zeigte und mit den Staunenden, die ganz auf mich vergaßen, zur Tür hinausging, wurde es in mir seltsam licht und frei.

Aus der zuckenden Glut aber, darin der gelbe Dämon sein Ende gefunden hatte, stieg die wunderbare, schöne Königin von Tasmanien, strahlender, als ich sie jemals sah, lächelte wie vom Himmel herab, neigte sich ein wenig und küßte mich auf die Stirne.


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