Emil Ertl
Freiheit die ich meine
Emil Ertl

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Wenige Tage später saßen Bethi und Julie in der großen Familienstube des »Goldenen Stucks« bei ihrer Arbeit. Das Schwarz ihrer Kleider bildete einen düsteren Gegensatz zu dem Weißzeug, mit dem ihre Hände sich beschäftigten, und auf dem das fahle Licht des Schnees lag, der vor den Fenstern wirbelte. Mosch-Eskeles, gleichfalls in tiefer Trauer, trat ein.

»Hier bringe ich den Kaufbrief,« sagte er, ein Papier aus der Brusttasche ziehend und vor Bethi ausbreitend. »Das ehemalige Schusterhäusel ist unser. Morgen beginnen die Handwerker mit den nötigen Herrichtungen. In wenigen Wochen werden wir die ersten Stiftungsplätze ausschreiben können.«

»Ich freue mich für den Götsch Schani,« sagte Julie. »Jetzt im Winter ist es gar zu düster, da unten in der Kammer.«

»Ihr Pflegling leidet an einer Schußwunde, so viel ich weiß,« gab Mosch zu bedenken; »und wir hatten uns doch auf Ihren Wunsch dahin geeinigt, daß die Stiftung unheilbar Kranken zugute kommen sollte, die dauernd arbeitsunfähig wären?«

»Das trifft für Götsch Schani leider zu,« bemerkte Bethi. »Von seiner Wunde ist er längst genesen; aber ein Krankheitsprozeß, der sich im Inneren daraus entwickelte, hat die Wirbelsäule ergriffen und ihn beinahe vollständig gelähmt. Er wird nie wieder zum Gebrauch seiner Gliedmaßen kommen.«

»Dann wollen wir mit dem armen Teufel das neue Haus einweihen,« sagte Mosch. »Das Kapital für acht Stiftungsplätze ist sichergestellt. Die Aufnahme, beziehungsweise die Entscheidung über die einlangenden Bewerbungsgesuche ist, solange Sie leben, Ihnen und Frau Julien anheim gestellt.«

»Acht Stiftungsplätze?« wunderte sich Julie. »Woher nehmen wir das Kapital? Unsere kleinen Beiträge reichen nicht so weit.«

»Es gelang mir, wohlhabende Freunde für die Sache zu interessieren.«

»Sie sind großmütig,« sagte Bethi. »Es ist fast beschämend.«

»Beschämend? Für wen? Glauben Sie, daß die acht armen Dulder sich schämen werden, sich ihr trauriges Los von Leuten, die überflüssiges Geld haben, wenigstens so weit lindern zu lassen, als es in Menschenkräften steht?«

»Nein, das glaub' ich wirklich nicht,« versetzte Bethi lächelnd und drückte ihm warm die Hand.

»Die Stiftungsurkunde habe ich durch meinen Rechtsfreund entwerfen lassen,« sagte Mosch, ein zweites Schriftstück hervorziehend. »Vielleicht sehen Sie das Instrument gelegentlich durch und sagen es mir, falls Sie noch etwas daran zu erinnern finden.«

Sie entfalteten das Blatt und lasen die Überschrift: »Fred und Görgi Leodolter'sche Erinnerungsstiftung Zu den Leiden Christi.«

Beiden Frauen standen die Augen voll Tränen.

»Es ist ein ganz unmaßgeblicher Vorschlag,« entschuldigte sich Mosch; »ich dachte nur, weil die Stiftung doch einen Namen haben muß ... Man könnte auf diese Weise das Andenken an zwei, die uns lieb waren, mit dem schönen, versöhnenden Zweck der Barmherzigkeit verknüpfen?«

»O, Sie sind gut, Mosch! Sie wissen die geheimsten Gedanken zu erraten!«

»Vielleicht könnten Sie,« fragte Mosch lächelnd, »wenn es Ihnen genehm ist, beim alten Brodbeck inzwischen eine jener Flaschen mit den ›Leiden Christi‹ bestellen?«

»Was sollen wir damit?« fragte Julie.

»Ich verstehe!« rief Bethi, »Sie wollen ein solches Kunstwerk irgendwo im neuen Hause als Wahrzeichen ausstellen!«

»Im Eingangsflur, hätt' ich mir gedacht, lassen wir eine kleine Nische ausnehmen, die durch ein Glastürchen verschließbar gemacht wird. Und dahinter sollen, wie die alten Häuser ihr Hausschild haben, die ›Leiden Christi‹ des alten Brodbeck zu sehen sein.«

Der Muschir kam herunter, weil er gehört hatte, Mosch sei da. Er brachte ein Buch über Hyazinthen mit und wollte wissen, welches die dankbarste Sorte sei.

»Wie sehen Sie aus?« fragte Mosch verwundert. Des Muschirs Wangen starrten von Bartstoppeln.

»Ich lasse mir einen Vollbart wachsen,« sagte er. »Sollen sie mich nur arretieren deswegen, dann werden wir schon sehen!«

»Wegen eines Vollbartes arretieren?« wunderte sich Bethi.

»Nicht wahr, das findest du unglaublich! Aber es ist so! Noch nie haben die Rasierstuben so viel zu tun gehabt in Wien. Die ganze Stadt läßt sich den Bart abnehmen, man erkennt oft seine besten Bekannten kaum. Denn wer einen Bart trägt, riskiert auf offener Straße als Revolutionär verhaftet zu werden. Teufel auch, sind das nicht Extremitäten? Jetzt möcht' ich es doch darauf ankommen lassen, ob der Patriotismus wirklich nach dem Bart eingeschätzt wird!«

Nachdem er von Mosch die gewünschten Auskünfte erlangt hatte, entfernte er sich rasch wieder, als hätte er große Eile und alle Hände voll zu tun.

»Die Blumenzucht scheint ihn doch zu locken?« fragte Mosch befriedigt.

»Gott, unser ganzer Salon steht voll von Blumentöpfen,« seufzte Julie; »überall, auf dem Parkettboden, auf den Fensterbrettern und sogar auf den Möbeln sind die nassen Ränder. Aber ich bin froh darüber, daß er sich mit solchem Eifer darauf stürzt. Das lenkt doch seine Gedanken ab; der Tod Freds hat ihn kaum weniger hergenommen als der Tod Görgis. Er geht gar nicht mehr ins Geschäft, er scheint zu fühlen, daß er es nicht mehr leisten kann.«

»Ich will ihm eine Auswahl besonderer Zwiebel senden,« sagte Mosch ... »Was unser Stiftungshaus anlangt, so haben wir noch versäumt zu besprechen, wer als leitender Arzt bestellt werden soll.«

»Der Patzenhauer selbstverständlich!« entschied Bethi.

»Meinen Sie? Es gibt so viele tüchtige jüngere Kräfte.«

Auch Julie fand, man könnte einen mehr auf der Höhe Stehenden finden. Aber Bethi wehrte sich um Patzenhauer.

»Zu heilen gibt es an Unheilbaren doch nichts! Wir brauchen einen Gemütlichen, der die Leute ein bißchen unterhält, ihnen Zuversicht einflößt, ihnen ein Freund wird!«

»Einen, der Mesmerismus in sich hat?« fragte Mosch mit leichter Ironie.

»Jawohl! Einen, der noch an irgendetwas glaubt, das es nicht gibt ...«

Sie wurden alle drei etwas verlegen, als in diesem Augenblick Patzenhauer selbst eintrat. Fast fürchteten sie, er könnte die letzten Worte ihres Gesprächs erlauscht haben; aber er blickte ganz harmlos drein.

»Wie sehen sie aus, Doktor?« rief Julie ihm entgegen, zweifelnd, was sich eigentlich an ihm verändert hätte?

»Ich bitte Sie!« sagte er; »das ist ein Denunziantenwesen jetzt, unter dieser Säbelherrschaft – sollten Sie für möglich halten, daß es Familien gibt, die sich keinen Arzt mehr zu rufen getrauen, der einen Bart trägt?«

Jetzt wußten sie erst, worin die Veränderung bestand: den weißen Bartkranz um den Hals hatte er sich abnehmen lassen.

»Steht Ihnen übrigens gut,« meinte Bethi, sich zu einem schwachen Lächeln zwingend. Sie hatte sich vorgesetzt, dem Leide, das in ihr nagte, nicht länger nachzugeben und den gewöhnlichen Umgangston festzuhalten.

»Mein Gott, alt wird man halt,« sagte Patzenhauer geschmeichelt ... »Sie kannten doch einen gewissen Mießrigel, wenn mich nicht alles trügt? Ich erinnere mich, vor Jahren einmal Susann seinetwegen behandelt zu haben. Sein Mesmerismus schien bereits tief in ihr Nervensystem eingedrungen – trotzdem war meine Kur damals von Erfolg gekrönt; denn sie entzog ihm bald darauf ihre Neigung und ließ von ihm.«

»Was ist mit Mießrigel?« fragte Bethi ablenkend.

»Er scheint sehr an unserm armen Fred gehangen zu haben« ...

»Sie waren miteinander bekannt.«

»Als ich vor einer Stunde durch die Donaustraße fuhr, zog man eben Mießrigels Leichnam aus dem Wasser. Man rief mich zu Hilfe, aber es war nichts mehr zu machen.«

»Und Sie meinen, daß der Gram um Fred ihn in den Tod getrieben habe?«

»Es fand sich ein beschriebenes Blatt bei ihm vor, das trotz der Nässe noch zu lesen war. Daraus hab' ich ja auch den Namen erfahren.«

»Und was stand in dem Blatte?« fragte Bethi gespannt.

»Verrücktes Zeug durcheinander. Daß er einen Schwamm in der Brust hätte statt der Seele, und daß dieser Schwamm nun gänzlich vertrocknet wäre, seit Fred nicht mehr lebe. Wahnvorstellungen mit einem Wort.«

»Vielleicht war es symbolisch gemeint?«

»Keine Spur! Ausgesprochene Extasis. War' er nicht ein kompletter Narr gewesen, so hätt' er sich doch nicht selbst der Standrechtskommission gestellt!«

»Tat er dies?«

»Wenigstens stand es auf dem Papier. Er sei ein Mitkämpfer Freds gewesen und habe deshalb Anspruch darauf gehabt, gleichfalls füsiliert zu werden. Aber die Standrechtskommission habe ihm sein gutes Recht verweigert und ihn für harmlos erklärt.«

»Und gerade, weil man ihn laufen ließ –? «

»Eben deswegen! Ein anderer ist froh, wenn er durchrutscht. Und dann habe man ihm auch den Antrag gemacht, die Redaktion eines reaktionären Blattes zu übernehmen. Das treibe ihn ins Wasser, schrieb er; denn wenn er noch lange auf dem Trocknen säße, so würde er den Antrag schließlich noch annehmen, fürchte er. So ungefähr lauteten seine Worte. Sie sehen, der Mann war übergeschnappt. Es ist mir eine Genugtuung, Susann damals von ihm kuriert zu haben.«

Da man den Doktor nun einmal bei der Hand hatte, machte man ihm gleich den Vorschlag, die ärztliche Leitung im Krankenasyl »Zu den Leiden Christi« zu übernehmen. Er erklärte sich gern hierzu bereit und meinte. Unheilbare zu behandeln, sei eigentlich eine dankbarere Aufgabe für den Arzt, als Heilbare. Weil die Letzteren es sich meist in den Kopf gesetzt hätten, gesund werden zu wollen, und die Schuld dann gern auf den Arzt schöben, wenn es nicht im Handumdrehen der Fall sei; während sichs mit den Unheilbaren, die sich schon die nötige Geduld zum Kranksein angeschafft hätten, gewöhnlich doch viel leichter auskommen lasse.

Mosch lachte: »Auch ein Standpunkt!«

Vierzehn Tage später konnte man bereits den Götsch Schani in das erste Zimmer übersiedeln, das fertig geworden war. Es geschah ohne jede Feierlichkeit, indessen hatten sich doch Bethi, Julie, Mosch und Patzenhauer dazu eingefunden. Die Wände des sonnigen und behaglich durchwärmten Stübchens waren weiß getüncht und mit ein paar farbigen Stichen geschmückt, die Einrichtungsgegenstände zwar blos einfach gestrichen, doch überaus nett und reinlich, das Bettzeug frisch und neu; auf dem Fensterbrett stand eine Reihe Tulpen aufmarschiert. Der Götsch Schani aber hatte bloß harte verächtliche Blicke. Er war entschlossen, seinen proletarischen Haß, den alle Gräuel der Revolution nicht hatten kühlen können, mit ins Grab zu nehmen.

*

In der ersten Dezemberwoche geschah es, daß der alte Beywald in hitziger Erregung beim Muschir eintrat, eine Nummer von Bäuerles »Österreichischem Courier« in der Hand schwingend.

»Hast du schon das Neueste aus Olmütz gehört?«

Der Muschir stand inmitten einer Legion von Blumentöpfen im ungeheizten Salon, mit einem neuen großgeblümten Schlafrock angetan, den er sich in seiner mächtig erwachten Blütenfreudigkeit jüngst hatte anfertigen lassen. Ein mit goldnen Lilien in Applikationsarbeit verziertes Hauskäppchen schmückte seinen Scheitel, an den Füßen trug er Pantoffel, die mit roten und weißen Rosen zwischen grünem Laub bestickt waren, und in der Hand eine grünlackierte Gießkanne.

»Was geht mich Olmütz an?« sagte er behaglich. »Ich verkehre nur mehr mit Haarlem, Bloemendaal, Hillegom und Nordwijk.«

»Als Holländer solltest du dir aber wenigstens deinen struppigen Bart rasieren,« meinte Beywald.

»Justement tut er es nicht!« bockte der Muschir. »Solang es noch Feldwebel und Haslinger gibt, die sich über meinen Bart ärgern, so lange kommt kein Rasiermesser über mich.«

»Es wird jetzt bald eine andre Luft wehen und ein neuer Geist einziehen in unser gutes altes Österreich!« sagte Beywald mit leuchtenden Augen. »Hör einmal!«

Und er las: »Olmütz, den 2. Dezember. Gegen acht Uhr Morgens versammelten sich auf hohen Befehl sämtliche Zivil- und Militärautoritaten in der erzbischöflichen Residenz. Um die neunte Stunde trat ein Hofbeamter in den Saal und verkündete die inhaltsvolle Nachricht, die niemand geahnt hatte: Se. Majestät der Kaiser habe zu Gunsten seines Neffen, des durchlauchtigsten Erzherzogs Franz Josef abdiziert ...«

Der Muschir stellte die Gießkanne aus der Hand, nahm sein Sammtkäppchen vom Kopf und stand zusammengefaßt da wie in der Kirche, als ob er dem feierlichen Entsagungsakte persönlich anwohnte.

»Welch ein Tag!« fuhr Beywald mit bewegter Stimme zu lesen fort: »Wir sind noch nicht gesammelt genug, der welthistorischen Wichtigkeit des Aktes bis in alle ihre Folgen nachzugehen; wir fühlen nur dankbar die edle Absicht, die den großen Entschluß in der Brust unseres unvergeßlichen Monarchen, Ferdinands des Gütigen, zur Reife gebracht haben mag: Die Revolution entgiltig zum Abschluß zu bringen.«

»Da sollen sie nur jetzt auch den ekligen Belagerungszustand zum Abschluß bringen und die miserable Spitzelwirtschaft!« warf der Muschir vorlaut dazwischen.

»Wird schon nach und nach kommen! Was glaubst du denn?« eiferte der alte Beywald, in einem ganzen Meer von freudiger Hoffnung schwimmend. »So ein helläugiger junger Herr! Der wird es bald heraus haben, daß man mit Haslinger und Bajonett nicht regieren kann! Laß ihm nur Zeit, der findet den rechten Weg, das kannst du mir glauben!«

Und begeistert fuhr er zu lesen fort: »Mit dem neuen Kaiser beginnt auch ein neues Zeitalter in der Geschichte Österreichs. In der jugendlich glänzenden Erscheinung, die jetzt den Thron der Habsburger besteigt, erblickt das wiedergeborene Vaterland eine Gewähr für sein eigenes jugendfrisches Aufblühen ...«

»Wenn sie nur auch Erfahrung hätte, die Jugend!« sagte der Muschir.

»Das ist ja eben das Glück, und darauf beruht aller Fortschritt,« versicherte Beywald, »daß sie immer wieder von vorne anfangen kann! Müßte sie alle Erfahrungen auf ihrem Buckel mit sich schleppen, die das Alter gemacht hat, so wäre die Menschheit längst an Entkräftung zugrunde gegangen!«

»Ein bissel hart bleibt es halt immer für die Alten: Abdanken–!« sagte der Muschir vor sich hinbrütend.

Da erriet Herr Beywald aus der ganzen Art, wie er es sagte, daß er nicht bloß an Kaiser Ferdinand und das Reich, sondern vielleicht mehr noch an sich selbst und die Firma Leodolter dachte.

»Am besten, man tut es rechtzeitig,« sagte er schonend. »Ich habe mich auch schon zurückgezogen. Im Anfang gibt es einem freilich einen kleinen Bremsler. Aber das ist schon einmal der natürliche Lauf der Welt, im Großen wie im Kleinen: Sie will immer wieder von vorne anfangen, und setzt größere Hoffnungen auf die Jugend als auf das Alter. So macht es halt jetzt auch unser Vaterland. Es ist gut gesagt, wie es hier gedruckt steht ...«

Und er las mit feierlich erhobener Stimme: »Alle Liebe, die das Volk Ferdinand, dem Gütigen, bewahrt, überträgt es nun auch auf den jugendlichen Erben seines Thrones. Er verkörpert in sich unsere teuersten Hoffnungen für die Zukunft, er wird den Stern Österreichs nach schweren Tagen der Not in neuem, herrlichem Glanze aufleuchten machen!«

»Ja, das Altwerden, das Altwerden!« seufzte der Muschir. »Es gehört schon etwas dazu: Platz zu machen!« ...

Die Sache ging ihm nach und wurde reifer und reifer in ihm. Und am Neujahrstag kam Pappelmann zu Poldi und meldete, der Herr Onkel lasse ihm sagen, er möge seinen schwarzen Rock anziehen und ins Kontor hinüberkommen. Verwundert folgte er der Weisung und fand Herrn Beywald und Herrn Patruban, beide in feierliches Schwarz gekleidet, beim Muschir, der den großen Brillanten in der riesigen schwarzen Atlasbinde trug. Und es wurde ihm ein großes Schriftstück überreicht und die Eröffnung gemacht, der Muschir habe, das Beispiel Kaiser Ferdinands nachahmend, auf alle Rechte als Chef des Hauses Leodolter Verzicht geleistet und ihm selbst die ausschließliche Regierungsgewalt übertragen. Die verschiedenen Rechtsverhältnisse, die sich daraus ergaben, wurden eingehend erörtert und das Besprochene durch Unterschrift und Siegel in Gegenwart der beiden Zeugen bekräftigt und festgelegt.

»Und nun mach es gut, Poldi!« sagte schließlich der Muschir, indem er aufstand und ihm die Hand reichte. »Mir ist vieles mißlungen – aber in der Zeit der Not und Gefahr hätte sich unser Schiff doch schwerlich halten können, wie es sich gehalten hat, hätt' ich in meinen jüngeren Jahren nicht alle Kraft daran gesetzt, es seetüchtig und windfest zu machen. Nütze auch du deine frische Jugendkraft, die Pluzer, die kommen später dann schon von selber. Ich übergebe dir nun auch öffentlich und in aller Form Rechtens das Steuer – im Stillen hast du es ja schon längst allein geführt. Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann. Was von dir abhängt, das wirst du leisten. Hoffen wir, daß die neue Zeit, die jetzt in Österreich kommt, eine Zeit der segensvollen Arbeit sein kann, für dich und unsere Firma. Ich wünsche dir recht herzlich viel Glück!«

Er war bewegt, und Poldi dankte ihm, gleichfalls tief ergriffen. Auch Beywald und Patruban beglückwünschten Poldi. Als er aus dem Kontor trat, war die erste, die ihm ihren Glückwunsch darbrachte, Tante Sephine. Jetzt werde sie sich wohl von ihren Büchern zurückziehen, meinte sie; denn ein junger Chef würde eine alte Frau vielleicht nicht mehr brauchen können. Als er sie aber aufrichtig bat, ihm ihre Erfahrung und Mitarbeit nicht zu versagen, da lächelte sie geschmeichelt ihre Ringe an.

»Wenn du es wirklich wünschest,« sagte sie, »so bleibe ich natürlich meinem Amte treu. In dieser Zeit des Säbelregiments dürfen wir Bürger einander nicht im Stiche lassen.«

Den Winter über gab es für Poldi reichlich zu tun. Auf dem Braunhirschengrund muhte beinahe wieder von vorne angefangen werden. Von den Arbeitern hatten viele sich verlaufen, andere waren in ihre Heimatsgemeinden abgeschoben oder als verdächtig eingezogen worden. Herr Vielkind schwang oft ganz verzweifelt sein »Fazolettl«. Dann lächelte Poldi und sagte: »Wir haben schon Schlimmeres durchgemacht, lieber Freund – erinnern Sie sich nur!«

Übrigens bewirkten die großen Hoffnungen, die man auf den jungen Kaiser setzte, einen allgemeinen Aufschwung der Geschäfte. Der Adel und die Wohlhabenden, die zum großen Teil aus Wien geflohen waren, kehrten jetzt dahin zurück, Handel und Wandel begannen sich wieder zu beleben. Es hatte de» Anschein, als ob des Muschirs Wünsche sich erfüllen und gesegnete Jahre kommen wollten.

*


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