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Sechstes Hauptstück

Die kleine Schar kam in Gittelde an. Da stand das Haus, in welchem Fräulein Koch wohnte. Das Haustor war verschlossen, durch kein Fenster kam Licht; es schlief offenbar schon alles im Haus. Im Hof belferte ein Hund und riß an seiner Kette; die übrigen Hunde im Ort schlossen sich an und bellten; in keinem andern Haus war Licht; nur in einer Hütte war ein Fenster hell; es zeigte sich in ihm ein dunkler Schatten.

Thilo sprang vom Pferd, hob den Türklopfer und ließ den schallend auf seine Eisenplatte fallen. Es widerhallte auf der Diele. Der Hund belferte und riß heftiger, im Stall wurde das Vieh unruhig; aber noch erscholl im Haus nichts. Von neuem ließ Thilo den Klopfer niederfallen. Da öffnete sich ein Fenster neben dem Tor, ein Männerkopf sah ängstlich vor und fragte ärgerlich: »Wer ist da?« – »Gut Freund,« antwortete Thilo; »ich bin es, Thilo von Uslar, wir bringen einen Gast für das Fräulein Koch.« Nun öffnete sich auch ein Fenster im Stockwerk, das Fenster des Fräuleins. »Bist du es, Thilo?« fragte sie. »Ja, ich bin es, wir bringen das Fräulein von Glück zu dir und bitten dich, sie für die Nacht zu behalten,« erwiderte Thilo. »Ich komme gleich,« rief sie zurück; sie schob ihr Fenster wieder zu und machte sich eilig zurecht. Und bald kam auch der Hofmeister, nur dürftig bekleidet, mit einer Laterne; er schloß den Balken auf, welcher das Tor hielt, schob ihn zurück und öffnete das Tor; da standen die fremden Reiter.

»Nun wollen wir wieder zurückreiten,« sagte Kurt zu seiner Frau und dem Fuhrherrn. »Wir sind hier nicht weiter nötig.« Die Drei verabschiedeten sich, und das Fräulein gab Kurt und Marien die Hand mit herzlichem Dank. Dann stiegen Thilo und der Diener von ihren Pferden, sie halfen dem Fräulein absteigen, und der Diener führte die zwei ledigen Pferde um das Haus herum durch den Hofeingang, den der Hofmeister inzwischen gleichfalls geöffnet, in den Hof und dann in den Stall, indessen der Hofmeister den Hofeingang wieder schloß, um nachher dem Diener zur Hand zu gehen; Thilo hielt sein Pferd und stand mit dem fremden Fräulein in der Torfahrt; die beiden warteten; das Tor war noch geöffnet. Da kam Eva die Treppe herab; sie kam mit etwas verlegenem Gesichtsausdruck. Sie begrüßte die beiden, und Thilo entschuldigte sich, daß er da mit dem Pferd stehe; er erzählte mit kurzen Worten, was geschehen war. Das fremde Fräulein lachte. Sie sagte: »Ich fand die Gefahr ja nicht gerade so sehr groß, aber man muß doch als Mädchen den Männern die Freude nicht verderben. So bin ich nun gerettet.« Sie fiel Eva um den Hals, und die hatte nun schon alle Verlegenheit und Befangenheit verloren. Da sagte Thilo: »So kann ich denn nun also nach Langelsheim zurückreiten.« Er verabschiedete sich mit Handdruck von den beiden Mädchen, schwang sich aufs Pferd und ritt davon; da kam auch schon der Hofmeister und schloß das Tor; die beiden Mädchen aber gingen in das getäfelte Zimmer.

Da saßen sie nun am Tisch. Zwischen ihnen brannte das kleine Öllämpchen. Es kam eine Magd, verschlafen und unordentlich angezogen, und Eva gab ihr Anweisung, das Besuchszimmer zurechtzumachen.

»Ich habe ja schon von dem Wassereinbruch gehört,« sagte Eva klagend. »Nun hatte ich mich so gefreut, denn Thilo war doch ganz verzweifelt; er wollte in die Fremde gehen und sich anwerben lassen, und nun hatten wir die Hoffnung gehabt, daß wieder Ausbeute von den Kuxen gezahlt wurde, nun ist das auch wieder nichts, und der Vogt bedrängt mich jeden Tag.« Sie legte den Kopf in die beiden Hände und weinte, die Tropfen fielen auf die Tischplatte. »Ich weiß, das ist unanständig, daß ich dir gleich etwas vorheule,« sagte sie; »aber ich kann nicht anders, es steht mir bis an das Herz.«

Das fremde Fräulein erhob sich, trat hinter sie und legte den Arm um sie und beugte sich über, um sie zu trösten. Eva legte schwach den Kopf an ihre Brust und schloß die Augen. Sie sagte: »Ach, ich bin müde. Ich kann nicht mehr. Nimm du ihn und heirate ihn. Du bist reich, du kannst ihn heiraten. Und ich, ich gehe dann von hier fort. Ich suche mir einen Dienst.«

Das fremde Fräulein lachte laut und sagte: »Erstens bin ich nicht reich, ich habe gar nichts. Und zweitens weißt du ja nicht, ob er mich überhaupt will.« Wehmütig sagte Eva: »Dich hat er doch viel lieber als mich, das sehe ich doch wohl; und Geld hast du auch, das kann ich auch sehen. Du mußt nicht so häßlich sein zu mir. Es kommt mir wirklich von Herzen, was ich gesagt habe. Es ist mein Ernst. Und dir gönne ich ihn, du wirst gut sein zu ihm.«

Die Fremde lachte noch stärker; dann sagte sie: »Das möchte ich hören, was du sagtest, wenn ich dich beim Wort nähme.«

Das Lämpchen flackerte durch die Bewegung der beiden und die Schatten der Mädchen tanzten bis zur Decke hoch. Die Fremde sah plötzlich auf eine Stelle der Wand, auf welche der Lichtschein fiel. Sie fragte: »Hast du denn in diesem Zimmer schon nach der Urkunde gesucht?«

»In diesem Zimmer?« fragte befremdet Eva. »Hier hat immer nur der Tisch gestanden und die beiden Stühle. Das Zimmer ist zu klein. Wo soll ich hier suchen!«

Die Fremde ergriff die Lampe und ging mit ihr zu der Stelle der Wand, auf welche der Lichtschein gefallen war. Eva erhob sich verwundert und trat hinter sie. Die Vertäfelung war dort etwas abgegriffen, wie wenn an der Stelle öfters getastet wäre. Die Fremde leuchtete sorgfältig und sah genau hin, dann drückte sie plötzlich auf einen Punkt, und da sprang ein viereckiges Stück der Vertäfelung zur Seite in die Wand hinein.

»Die abgegriffene Stelle war mir auch aufgefallen, aber die Feder habe ich nicht gefunden,« rief erstaunt Eva. In dem kleinen Raum, der offen vor ihnen war, lagen viele Papiere, ein ganzer Stoß. Die Fremde gab Eva die Lampe zum Halten; sie griff mit beiden Händen hinein und erfaßte die Papiere; sie sah nach, ob noch etwas in dem Raum lag, und ging mit dem Stoß zum Tisch. Eva folgte zitternd. Auf dem Tisch fiel der Stoß auseinander.

Die Mädchen machten sich begierig an die Durchsicht. »Rechnung des Dachdeckermeisters Schniel ...« las die Fremde. »Das ist es nicht. Dein Taufschein. Das ist es auch nicht. Hier hat dein Vater alle seine Papiere aufbewahrt. Sein Trauschein. Ist es auch nicht. Hier: ›Lehnbrief für Obrist Johann Koch. Ausgefertigt im Jahre 1647. Der Junkernhof in Gittelde. Mit dem Zubehör. Das Kirchenlehen. Der Meierhof, bezeichnet mit der Nummer C 23 auf der Flurkarte von Gittelde.‹ Das ist der Lehnbrief.«

Eva war halb ohnmächtig in ihren Stuhl gesunken. »Das ist der Lehnbrief,« sagte sie leise. Da strömten ihr die Tränen aus den Augen, die Tränen strömten wie ein Bach, sie legte den Kopf auf die Tischplatte und schluchzte und weinte.

»Ja, was hast du denn, weshalb weinst du denn?« fragte das Fräulein ratlos. »Es ist der Lehnbrief, hier ist die Unterschrift des Herzogs und das Siegel.«

Eva sprang auf und fiel dem Fräulein um den Hals. »Nun ist alles gut,« sagte sie; »nun ist alles gut.« Sie weinte und lachte und weinte, und die Tränen fielen dem Fräulein auf den bloßen Hals und liefen ihr auf der Haut hinunter unter das Kleid. »Nun wird ja alles gut,« sagte sie wieder. »Wenn nun der Vogt kommt, dann zeige ich ihm den Brief, und dann: Hinaus! Aber schnell! Hinaus! Dies hier ist mein Haus! Hinaus!«

Sie stand in der Mitte des Zimmers und zeigte mit der Hand nach der Tür, und es war, als ob sie den Vogt vor sich sehe. Die Fremde lachte und sagte: »Das bin ich ja, der Vogt ist ja gar nicht hier.« Da lachte Eva auch, sie lachte so heftig über sich selber, daß sie sich setzen mußte.

»Nein, wie oft habe ich an der Stelle in der Vertäfelung gesucht und nichts gefunden!« sagte Eva; »und du, bloß einmal siehst du hin, da findest du gleich die Feder!«

Sie nahm den Lehnbrief und las: »Vier Hufen Land und drei Kothöfe zu Echte. Ja, das ist es. Ein Hof und eine halbe Hufe Land daselbst. Ja, ja. Drei und zwei Hufen zu Calefeld. Ja, ja. Ach, wie ist denn das nur, nun gehört mir ja mein Gut. Keiner kann es mir ja nehmen!« Sie lachte, sie beugte sich hintenüber vor Lachen. »Und ich habe mich so geängstigt.« sagte sie. »Und wie wird sich Thilo freuen,« sagte sie. »Der ist jetzt eben in Langelsheim angekommen. Morgen früh reiten wir gleich fort, das muß er gleich erfahren.«

»Ich denke, ich sollte ihn heiraten?« fragte das fremde Fräulein neckend.

Eva wurde rot. Sie sagte: »Ach, was schwatzt man nicht alles, wenn man so verzweifelt ist und keinen Ausweg sieht! Ich, ins Wasser hätte ich gehen mögen. Lieber ins Wasser gehen, als Hans Kühn heiraten!«

»Nun, das ist also jetzt nicht mehr nötig, ins Wasser zu gehen,« sagte ruhig die Fremde. »Aber spät ist es. Alle Leute schlafen schon. Morgen darfst du nicht blaß aussehen, wenn Thilo dich sieht, sonst findet er dich häßlich, und da kann man nicht wissen, dann heiratet er doch lieber mich, trotzdem du jetzt ein reiches Mädchen bist, und ich habe nur eine Truhe mit Kleidern und Wäsche.«

»Ja, ja, zu Bett!« rief Eva ganz verwirrt. »Ich kann nicht schlafen, aber zu Bett! Du mußt schlafen.« Sie nahm das Lämpchen, ergriff die Hand des Fräuleins, stieg mit ihr die Treppe eilig hoch und führte sie in das Gastzimmer. Sie setzte das Lämpchen auf den Tisch, sie sagte: »Ich gehe im Dunkeln schlafen;« noch boten sich die beiden Mädchen gute Nacht, dann eilte sie aus dem Zimmer.

Nun kleidete sich jedes der Mädchen in ihrem Stübchen aus und legte sich in das mit Federn hochgestopfte Bett; und kaum hatten sie den Kopf auf das Kissen gelegt, da schliefen sie auch schon, und sie schliefen tief und glücklich in traumlosem Schlaf die ganze Nacht hindurch, bis sie durch die Geräusche des Morgens geweckt wurden.

Eva wachte am Morgen auf und dachte an ihre Urkunde. »Vielleicht kommt der Vogt heute wieder,« dachte sie. »Der soll kommen!« Sie ballte beide Fäuste. »Der hat mir nichts mehr zu sagen. Der soll kommen!« Sie lachte. »Ich lade ihn ein, wenn die Hochzeit mit Thilo ist,« dachte sie. Und da stand Thilo vor ihren geistigen Augen, und Sehnsucht und Glück stiegen ihr aus dem Herzen auf. »Ich bin glücklich,« seufzte sie. »Wie schön wird alles werden!« dachte sie. »Ist die Fremde wirklich arm?« dachte sie; »oder hat sie nur einen Scherz gemacht? Sie tut mir leid, sie steht ja doch ganz allein in der Welt. Ich weiß, wie das ist, wenn man allein steht in der Welt. Da wollen alle Leute etwas von einem haben. Wenn Thilo nicht wäre, was wäre dann wohl mit mir! An Thilo kann ich mich halten. Ach, wenn sie arm ist, dann ist sie ein armes, armes Mädchen. Und ich, ich habe immer von ihr haben wollen.«

Sie sprang mit beiden Füßen aus dem Bett. Sie sagte zu sich: »Das muß anders werden. Ich darf nicht immer bloß an mich denken. Dann kann ich auch keine gute Frau für Thilo sein.«

Die beiden Mädchen trafen sich zum Frühstück in der getäfelten kleinen Stube, die erhöht neben der Toreinfahrt lag. Eva sah oft nach der Stelle in der Wand, wo das Geheimfach war, wohin sie die Papiere wieder gelegt hatte; in aufgeregter Lustigkeit verzehrten die beiden das Frühstück; sie beschlossen, gleich die Pferde zu besteigen und nach Langelsheim zu reiten, um Thilo das Geschehene zu berichten. Nur mußte Eva noch Verschiedenes in der Wirtschaft besorgen. Die Knechte waren auf dem Feld; sie konnte nicht mehr zu ihnen hinaus, sie wollte sich darauf verlassen, daß alles nach ihrer Anordnung geschah, weil sie doch immer ihr Kommen fürchten mußten. Aber im Stall mußte sie genau nachsehen, sie mußte auch den Speicher und Heuboden durchgehen. Das wurde alles besprochen, es wurde der Zeitpunkt des Reitens abgemacht.

Da sahen die beiden Mädchen vor den Fenstern einen Reiter vorbeireiten; das Fräulein verfärbte sich. »Der Geheimrat!« rief sie mit blassen Lippen. In dem Augenblick schlug auch schon der Türklopfer auf das Tor.

Die Mädchen hörten, wie der Hofmeister herbeieilte und den Balken zurückschob, sie hörten, wie der Fremde dem Mann mit kurzen Worten das Pferd übergab, nach der Herrin fragte; da hörten sie auch schon männliche kurze Schritte die Stufen zu ihrer Tür hinauf. Das fremde Fräulein hatte sich vom Tisch erhoben und war in einen Winkel entwichen, Eva war zur Tür gegangen; es wurde geklopft, auf den Anruf öffnete sich die Tür, und der Geheimrat stand ihr gegenüber.

Der Geheimrat war ein sehnig schlanker Mann von etwa vierzig Jahren mit scharfen Zügen. Er fragte kurz: »Fräulein Koch?« Eva war bestürzt, sie machte in ihrer plötzlichen Verlegenheit einen Knicks wie vor einem Fürsten und stammelte: »Herrn Geheimrat zu dienen.« Dem huschte ein flüchtiges Lächeln über das Gesicht; er sah zu der Ecke, wo sich Fräulein von Glück so abgewendet hatte, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, und wieder lächelte er leicht. Er ging auf das Fräulein zu, das sich nun wohl zu ihm wenden mußte; mit gespielter freudiger Überraschung eilte sie ihm entgegen, bot ihm beide Hände und rief: »Welch ein glücklicher Zufall, Herr Geheimrat, daß wir uns hier begegnen!« Der Geheimrat führte achtungsvoll ihre Hand an seine Lippen und küßte sie; ein flüchtiges Rot huschte über die Wangen des Fräuleins.

Verwirrt rief Eva: »Ich bin gar nicht vorbereitet!« Sie stellte die Teller zusammen, die auf dem Tisch gestanden hatten; eben kam eine Magd in die Stube gestürzt, der gab sie die Teller, sie lud den Gast zum Sitzen ein. Nun saßen die drei an dem Tisch.

»Ihr werdet Euch denken, Fräulein, weshalb ich komme,« sagte der Geheimrat zu Eva. »Ich habe in Lautenthal zu tun; bei der Gelegenheit wollte ich mit Euch sprechen. Der Vogt hat mir über Euch geschrieben, Ihr sollt Euch unrechtmäßig in den Besitz des Junkernhofs gesetzt haben, der eine herzogliche Domäne ist. Stimmt das?«

»Mein Vater hat das Gut ehrlich gekauft, ich bin seine einzige Erbin,« rief Eva mit blitzenden Augen. »So? Er hat es gekauft. Habt Ihr den Kaufbrief?« fragte der Geheimrat ruhig. »Der Kaufbrief war verloren, gerade gestern abend haben wir ihn wiedergefunden; das Fräulein hat ihn gefunden,« erwiderte Eva. »So? Ich will ihn sehen,« sagte der Geheimrat.

Eva ging an das Geheimfach und drückte auf die Feder. Da sie in ihrer Erregung ungeschickt war, so schob sich die Tür nicht gleich zurück. »Weshalb seid Ihr nicht zum Lehnsamt gegangen, wenn sich der Brief nicht fand? Dort ist ja alles eingetragen,« fragte der Geheimrat. »Das wußte ich nicht, daß es das gibt,« sagte Eva. »Habt Ihr denn niemanden gefragt?« forschte der Geheimrat weiter nach. »Ich habe bloß mit meinem Bräutigam darüber gesprochen, dem Herrn von Uslar in Langelsheim, der wußte davon aber auch nichts,« erwiderte Eva. »Der Vogt schreibt mir doch, Ihr seid mit einem Hans Kühn verlobt,« sagte der Geheimrat. »Ich, mit Hans Kühn?« rief Eva mit blitzenden Augen. Sie hatte eben den Schriftenstoß aus der Öffnung geholt und stand mit ihm mitten im Zimmer. »Ich, mit Hans Kühn? Ja, der Vogt hat mir immer zugeredet, ich soll Hans Kühn heiraten, dann kann ich meinen Hof behalten. Aber lieber gehe ich ins Wasser, als daß ich Hans Kühn heirate. Ich bin mit Thilo von Uslar verlobt.« »So?« forschte der Geheimrat weiter nach. »Ist Hans Kühn vielleicht mit dem Vogt verwandt?« »Er ist doch sein Neffe,« erwiderte Eva. »So, so, das wußte ich nicht,« schloß der Geheimrat lächelnd und betrachtete die gereichten Papiere. Er fand gleich den Kaufbrief heraus, überflog ihn und sagte: »Alles in Ordnung. Kein Mensch kann Euch das Gut nehmen, Fräulein. Ich möchte mit dem Vogt gleich ein paar Worte sprechen, um ihn zu unterrichten. Schickt einen Jungen, er soll sofort nach hier kommen. Ich habe wenig Zeit. Ihr erlaubt doch?«

Eva eilte aus dem Zimmer, um den Jungen zu schicken. Einen Augenblick blieb der Geheimrat mit dem Fräulein von Glück allein. Er sagte zu ihr: »Ich möchte nachher auch mit Euch ein paar Worte sprechen, aber allein. Ich bitte, richtet das ein!« Das Fräulein wurde verlegen, sie sagte ungeschickt: »Ich weiß nicht, wie ich das machen soll.« Da lächelte der Geheimrat und sagte: »Nun, dann werde ich es einrichten.«

Inzwischen war Eva wieder in das Zimmer gekommen. Der Geheimrat fragte: »Wie geschah es, daß Euer Verlobter Euch nicht gesagt hat, daß Ihr zum Lehensamt gehen konntet? Sagt ihm, ein Junker darf sich nicht bloß um seine Landwirtschaft bekümmern, heutzutage muß er auch etwas vom Rechtsweg wissen; sonst kann ein Unglück geschehen.« Eva wollte ihren Bräutigam verteidigen, sie begann: »Thilo ...« Der Geheimrat unterbrach sie: »Schon gut. Er wird schon ein ordentlicher Kerl sein, das sehe ich Euch an, das sehe ich auch an Euerm Haus. Aber das geht nicht mehr heutzutage. Sagt ihm das! Ich meine es gut mit Euch.«

Es klopfte, auf den Anruf trat ein Mann ein, es war der Vogt, der eilig gekommen war. Er war ein breiter Mann mit listigen Augen und schnellen Bewegungen. Etwas verängstigt und etwas unverschämt sah er aus.

Der Geheimrat fragte: »Ihr habt mir berichtet, das Fräulein da hat sich unrechtmäßig in den Besitz des Hofes gesetzt. Das Fräulein sagt, sie hat den Hof von ihrem Vater geerbt. Wie ist das?«

»Das ist sehr einfach zu erklären,« sagte der Vogt dienstfertig. »Ich bin hier herzoglicher Vogt. Ich habe für die Herrschaft zu stehen. Der Vater des Fräuleins war schon unrechtmäßig in Besitz. Der hat sich so hineingesetzt in der letzten Zeit des großen Krieges, da ist das noch gegangen. Ein Kaufbrief ist nicht da.« »Hans Kühn ist Euer Neffe, nicht wahr?« fragte der Geheimrat. Dem Vogt traten die Schweißtropfen auf die Stirn. Er wurde unsicher, begann weitschweifig: »Ja, das heißt, meine verstorbene Schwester ...« Der Geheimrat unterbrach ihn und sagte: »Also Euer Neffe. Der Kaufbrief hat sich gefunden. Er ist in Ordnung. Das Fräulein sitzt auf dem Junkernhof zu Recht.« Der Vogt faßte sich schnell; mit unverschämtem Lächeln wendete er sich zu Eva und sagte: »Ei, da kann man ja Glück wünschen, gnädigstes Fräulein ...« Der Geheimrat unterbrach ihn: »Weshalb habt Ihr nicht auf dem Lehnsamt nachgeforscht, ehe Ihr die Eingabe an mich gemacht habt?« Der Vogt stotterte: »Ich ... das heißt, ich habe mir gesagt, der Lehnbrief ist nicht da ... ich ... ich dachte ...« »Ich will Euch sagen, lieber Freund, was Ihr gedacht habt,« sagte der Geheimrat. »Ihr habt gedacht: ich verlasse mich auf Eure Angabe, ich verfüge, daß das Fräulein aus dem Hof gesetzt wird, das Fräulein hat dann nichts, in ihrer Angst heiratet sie Euern Neffen, und wenn sie verheiratet ist, dann schickt Ihr mir einen Auszug vom Lehnsamt und sagt, daß Ihr leider versäumt habt, Euch auf dem Lehnsamt zu erkundigen, aber nun habt Ihr Euch erkundigt, und das Fräulein muß wieder in ihren Besitz eingesetzt werden; Ihr bekommt von mir eine Nase, aber Euer Neffe hat den Junkernhof und das hübsche Mädchen dazu. Das habt Ihr Euch gedacht. Lieber Freund, Er ist entlassen. Einen Schurken kann die Herrschaft nicht als Vogt brauchen.«

Plötzlich, wie vom Blitz getroffen, fiel der Vogt dem Geheimrat zu Füßen. Er jammerte: »Herr Geheimrat, habt Erbarmen, habt Erbarmen, wenn Ihr es nicht mit mir habt, habt es mit meiner Familie! Ich habe fünf Kinder, bringt die nicht ins Unglück!« Der Geheimrat sagte ruhig: »Die fünf Kinder hat Er ins Unglück gebracht, nicht ich. Jetzt komme Er mit, ich will bei Ihm versiegeln; wahrscheinlich hat Er noch andere Schurkenstreiche gemacht.«

Eva trat zu dem Geheimrat; sie legte die Hände bittend ineinander und sah ihn mit Augenaufschlag an. »Ich bitte auch für den Vogt,« sagte sie. »Mir tun die armen Kinder leid.« Der Geheimrat lächelte und sprach: »Ja, ja, Ihr seid nun so ein Frauenzimmerchen, und ein hübsches dazu, da regt sich denn das gute Herz. Aber merkt Euch das: Mitleid mit den Schlechten ist Untreue gegen die Guten.« Er wendete sich von ihr ab zu Fräulein von Glück und sagte: »Ihr habt wohl meinen Max bei Euch? Er soll sich vom Stockmeister Handschellen holen und mir dann nachkommen.« Er grüßte verbindlich die beiden Mädchen, die blaß geworden waren vor Schreck, gab dem Vogt einen Wink, vorauszugehen, und folgte ihm; er hatte die Hand am Griff seines Degens.

Fräulein von Glück sagte: »Mir ist schwindlig, ich muß mich setzen.« Sie setzte sich auf einen Stuhl; Eva war bemüht um sie; aber sie war so erregt über das Geschehene, daß sie nur zwecklos hin und her lief, dann streichelte sie ihr die Wange, dann fragte sie: »Möchtest du nicht etwas genießen?« Sie sagte: »Wie stand der Vogt da, wie niedergedonnert! Und als er dem Geheimrat zu Füßen fiel! Und Hans Kühn! Aber da hat sich der Herr Geheimrat geirrt, den hätte ich nie geheiratet; und wenn ich Scheuerweib hätte werden müssen!« Und so schwatzte sie, lief herum und streichelte das Fräulein, bis die sich erhob und sagte: »Nun ist mir wieder wohl.«

Dann sagte das Fräulein: »Wir müssen doch Thilo alles mitteilen. Der Geheimrat wird bei dem Vogt zu tun haben; nachher reitet er nach Lautenthal. Wir wollten doch ohnehin jetzt nach Langelsheim. Wollen wir uns nicht auf den Weg machen? Nun hat Max bei dem Geheimrat zu tun. Wir können ja die kurze Strecke allein reiten, es wird uns schon nichts geschehen.«

»Ja, ja, Thilo!« rief Eva; sie eilte aus dem Zimmer und gab Anweisung, daß die Pferde gesattelt werden sollten; sie kam zurück und sagte: »Schnell, schnell, wir müssen uns für den Ritt zurechtmachen,« und so sprangen die beiden Mädchen die Treppe hoch zu ihren Zimmern, daß sie oben Herzklopfen bekamen und zum Ausruhen stehenbleiben mußten.

Nun standen die Rosse gesattelt, und die beiden Mädchen ritten ab nach Langelsheim. »Nicht am Haus des Vogts vorbei,« sagte die Fremde; »es wäre doch peinlich, wenn der Vogt uns noch einmal sähe.« Eva erschrak: »Der Geheimrat! Den haben wir ja ganz vergessen! Er muß ja noch einmal zurückkommen, er hat sein Pferd bei uns eingestellt. Was wird er denken, wenn wir nicht anwesend sind!«

»Er wird denken, wir sind ausgerissen,« sagte das Fräulein lachend und gab ihrem Pferdchen einen leichten Streich mit der Reitpeitsche. Das senkte den Kopf, hob ihn und fiel in schnellere Gangart, indem es leise wieherte.

Da blitzte es verständnisvoll in Evas Augen auf. Auch sie setzte ihr Pferd in schnellere Gangart; sie sagte: »Ach so!« und lachte. Sie sagte noch einmal: »Ach so!« Dann sagte sie: »Nun wird mir manches klar.«

»Gar nichts wird dir klar,« sagte das Fräulein lachend. Und so ritten denn die beiden Mädchen lustig nach Langelsheim zu.

Unterdessen hatte der Geheimrat in der Amtsstube des Vogts sich verschiedene Akten durchgesehen, während der Vogt mit stumpfem Gesichtsausdruck auf einem Stuhl saß und vor sich hinstarrte. »Alles, wie ich es mir gedacht hatte,« murmelte der Geheimrat. »Der hat gemeint, er setzt mir eine Brille auf, der Dummkopf. Ja,« sagte er laut, »wenn man ein Schuft sein will, da nutzt einem die bloße Unverschämtheit nicht, da muß man auch etwas mehr Verstand haben als Er. Zünde Er mir ein Licht an, und gebe Er mir Lack zum Siegeln!«

Gehorsam, mit schnellen Bewegungen verrichtete der Vogt das Verlangen; der Geheimrat verschnürte ein Paket Akten und versiegelte es. Da trat Max ein mit den klirrenden Handschellen. Der Geheimrat gab ihm einen Wink. Wortlos reichte der Vogt seine Hände, und Max schloß sie.

»Du mietest bei einem Bauern einen Wagen und bringst den Gefangenen nach Wolfenbüttel ins Gefängnis. Diese Akten lieferst du in meinem Amt ab,« befahl der Geheimrat. Dann verließ er die Amtsstube.

Vor der Stube standen die Frau und die Kinder des Vogts. Sie weinten und streckten die Hände aus. »Laßt mich! Ich kann euch nicht helfen,« sagte der Geheimrat. »Nach Euch will ich mich erkundigen, Frau. Wenn ich es verantworten kann, so sollt Ihr einen Posten bekommen, damit Ihr Eure Kinder durchbringen könnt.« Er ging eilig fort und ging zum Junkernhaus.

Da traf er nun Phiechen, welche einen Eimer Wasser mit einem Scheuerlappen schleppte. »Wo sind die Damen?« fragte der Geheimrat. Phiechen starrte ihn aus runden Augen ratlos an. »Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue dir nichts,« sagte der Geheimrat; »ich will wissen, wo die beiden Fräulein sind.«

»Die sind doch nach Langelsheim geritten,« brachte Phiechen mühsam vor.

»So, so, nach Langelsheim; da wohnt wohl der Bräutigam des Fräuleins?« fragte lächelnd der Geheimrat.

»Ja, freilich,« antwortete Phiechen, indem sie beschämt ihren Rock niederließ, den sie hochgeschlagen hatte, weil sie sich eben zum Scheuern hatte niederknien wollen.

»So, und das fremde Fräulein ist mit zu dem Bräutigam geritten?« fragte lächelnd der Geheimrat.

Phiechen nickte stumm.

»Es ist gut, mein Kind,« sagte der Geheimrat und ging hinaus, wo die Tür in den Hof führte. In der Stalltür stand der Hofmeister. Der Geheimrat winkte ihm zu, der Hofmeister verschwand und kam mit dem Pferd zurück, das der Geheimrat bestieg.

Der Geheimrat ritt nach Lautenthal zu. Als er vor den Ort kam, fand er drei Männer beschäftigt, eine Ehrenpforte, welche aus Schwartlingen gebaut war, mit Fichtenhecke zu verkleiden. Ein Kranz aus Fichtenhecke hing schon oben von der Pforte herab; in ihm stand geschrieben: »Es lebe der Herr Geheimrat.«

»Nicht hier durch!« rief ihm einer der Männer zu, welcher auf einer Leiter stand und Hecke festnagelte. »Habt Ihr denn keine Augen?«

Der Geheimrat verbiß ein Lächeln und ritt an der Seite vorbei. Da lugten aus der Tür des ersten Hauses zwei junge Burschen vor, welche als wilde Männer verkleidet waren. Sie waren ganz nackt und hatten nur einen Schurz von Fichtenzweigen, und weil es ihnen doch kühl war, so hatte jeder eine Pferdedecke umgehängt. Sie warteten darauf, daß die Ehrenpforte fertig wurde, damit sie sich an beiden Seiten aufstellen konnten.

»Wo geht es zum neuen Stollen?« fragte der Geheimrat die beiden Burschen. Die stürzten dienstbeflissen vor, wiesen mit der Hand die Richtung und erklärten den Weg. Der Geheimrat dankte und ritt weiter. Aus den Fenstern schauten neugierige Männer und grüßten den Reiter.

Der Geheimrat ritt weiter, bis er vor dem Stolleneingang ankam. Da stand Kurt und gab einem Mann eine Anordnung. Der Geheimrat winkte ihn zu sich, und er trat an das Pferd. »Wer seid Ihr?« fragte ihn der Geheimrat. »Kurt Pfeffer, Geschworener,« erwiderte der kurz. Der Geheimrat sah ihn prüfend an. »Es ist gut,« sagte er. »Ich will mir den Anbruch ansehen.«

Jetzt wurde es Kurt klar, daß er den Geheimrat vor sich hatte. Schnell riß er die Mütze vom Kopf und entschuldigte sich. »Macht nichts, macht nichts,« erwiderte der. »Ihr seid aus Annaberg, da kennt Ihr mich nicht. Die Leute aus Lautenthal scheinen mich ja auch nicht zu kennen,« fügte er lächelnd hinzu. »Ihr müßt aber gleich noch Anordnungen geben. In zwei oder drei Stunden kommt der Herr Herzog, der junge Herr Herzog mit einigem Gefolge. Da muß etwas hergerichtet werden. Ihr habt ja da schon eine Pforte für mich bauen lassen. Den Kranz mit der Inschrift laßt abnehmen, dann paßt es ganz gut so. Aber dann, das ist die Hauptsache. Da soll im Freien ein Theaterstück aufgeführt werden. Hier wird wohl gleich in der Nähe ein Tal sein, das hinten geschlossen ist. Laßt eine kleine Bühne herrichten für die Schauspieler und Sitzreihen, etwa für zwanzig Personen. Das Stück dauert eine Viertelstunde. Die Bühne ist ein Bretterboden, etwa drei Fuß über die Erde erhöht. Auf beiden Seiten zieht sich eine Holzwand, etwa anderthalb Mannshöhe, hinter der die Schauspieler verschwinden können, damit sie nicht mehr gesehen werden. Ihr versteht?«

»Jawohl,« erwiderte Kurt.

»Ihr habt wohl Bohlen liegen,« schloß der Geheimrat. »Jetzt will ich mir erst den Anbruch ansehen, ehe die Herrschaften kommen. Gebt mir einen Mann mit, der mir alles zeigt; ich kenne mich schon aus und gebt Ihr gleich die Anordnungen. In zwei Stunden muß das Tor fertig sein. Ich halte die Herrschaften etwas auf, aber mehr als dreiundeinehalbe Stunde habt Ihr für die Bühne nicht.«

»Das kann in der Zeit gemacht werden,« sagte Kurt. »Bänke habe ich. Aber es ist ein Unglück im Stollen geschehen. Es sind Wasser eingebrochen. Oberirdische Wasser.«

»Ärgerlich, ärgerlich,« sagte der Geheimrat. »Da strömt es ja heraus.« »Der Wasserstand ist schon niedriger,« erwiderte Kurt. »Ich habe schon gesucht, woher die Wasser kommen.« »Nun gut. Geht an Eure Arbeit!« schloß der Geheimrat. Eben kam der Steiger aus dem Stollen. Der Geschworene sagte ihm ein paar Worte, dann entfernte er sich und ließ den Geheimrat mit dem Steiger zurück, der eine Erzählung von dem Wassereinbruch gab.

Der Geheimrat betrachtete aufmerksam das fließende Wasser. »Zuerst war es gelb, habt Ihr gesagt?« fragte er. Der Steiger bejahte. »Es ist jetzt trübe, aber nicht gelb,« fuhr der Geheimrat fort. »Man sieht an dem Gras an der Seite, es muß schon anderthalb Schuh gefallen sein.« Plötzlich rief er: »Was ist denn das? Es fällt ja!« In der Tat, das Wasser gurgelte, strudelte, der Strom wurde zusehends fast schwächer; plötzlich rieselte nur noch ein dünnes Wässerchen, dann fielen nur noch Tropfen über die Böschung, über welche sich der Strom in die Innerste ergossen hatte.

Der Steiger sagte: »Herr Geheimrat, die Wasser sind abgelaufen.« »Das sehe ich,« erwiderte der trocken und wollte in den Stollen hineingeben. Aber die Bohlen, auf welchen man ging, waren fortgeschwemmt, die Sohle des Stollens war versumpft. Der Geheimrat sah die Krempelstiefel des Steigers an, betrachtete dann seine kurzen Reitstiefel. »Jetzt kommen die Herrschaften; wenn ich denen mit schmutzigen Stiefeln entgegengehe, dann fühlen sie sich womöglich beleidigt,« brummte er.

Gleichzeitig geschah in der Lautenmühle etwas, das wohl im Zusammenhang mit dem Geschehen im Stollen war.

Franz und Käthe sprachen über die Fremde. Käthe sagte: »Du mußt es ja besser wissen. Aber wie sie so prophezeite, daß das Wasser wiederkommt, da war es mir, als ob sie wirklich die Wahrheit vorhersagte. Da habe ich ihr wahrhaftig geglaubt.« Franz erwiderte: »Das ist es ja eben. Das lernen die Komödianten, das ist nun eben ihr Handwerk. Ich habe einen gesehen, der konnte Feuer essen. Das heißt, er tat nur so. Aber das machte er ganz natürlich. Neben mir saß ein Herr, der hat mir das gesagt, daß das nur Augenverblendung ist; zuerst habe ich das auch geglaubt.«

»Feuer essen?« rief entsetzt Käthchen. »Da verbrennt sich einer doch!« »Ja, Feuer essen. Und einen Bart hatte er, der wurde nicht einmal angesengt,« beteuerte Franz. »Das heißt, der Bart, der war auch kein richtiger Bart, denn die Komödianten gehen immer rasiert, der war ein falscher Bart, den er abnehmen konnte.«

»Wenn das Wasser wiederkäme, das wäre doch aber schön,« sagte Käthchen. »Dann könnten wir doch heiraten, nicht wahr?«

Franz lachte. »Da kannst du lange warten, ehe das Wasser wiederkommt,« sagte er. »Ich erlebe das nicht mehr.«

Der alte Müller, der müde im Haus herumschlurfte, kam zu dem Gespräch; er hatte die letzten Worte gehört. »Ja, ich erlebe das auch nicht mehr, daß das Wasser wiederkommt,« sagte er. »Und das fremde Fräulein schafft das Wasser auch nicht wieder an. Das kann ja viel, das fremde Fräulein, aber das Wasser schafft sie nicht wieder an. Das sage ich.«

Käthe trocknete sich die Tränen und ging auf den Hof hinaus. Plötzlich blieb sie stehen und sah nach dem Gefluder. Es tropfte und rann. Die Bohlen waren durch die Trockenheit gerissen und hielten das Wasser nicht. Sie lief zurück, riß die Hoftür auf und schrie: »Es ist Wasser im Gefluder; es ist Wasser im Gefluder!«

Die beiden stürzten heraus und sahen hoch. Da rann es ganz gehörig und spritzte auf den Boden. Sie hörten es rauschen. Sie liefen um die Ecke; da sahen sie, wie ein dünner Strom auf das Rad fiel, das Rad setzte sich knarrend, knackend, quiekend langsam in Bewegung. Es kam ein stärkerer Schub Wasser. Es war, als ob das Rad ausholte, dann bewegte es sich schneller. Franz und der Müller stiegen atemlos den Hügel hoch, sahen in den Mühlbach; da lief Wasser; es wurde immer mehr Wasser, das da lief; aus dem Gefluder prasselte es jetzt ganz gehörig nieder; das Rad drehte sich weiter. »Die Laute ist wieder da!« rief Franz. »Die Laute ist wieder da!« sagte der Alte.

Käthe stand unten und sah zu den Männern hoch. »Das hat das Fräulein gemacht!« rief sie. »Ich habe gesehen, wie sie an einem Bach saß und Laute spielte.« Franz wurde verwirrt. Er sagte: »Die Laute ist wieder da.« Er stand und sah in den Bach, der Alte stand und sah in den Bach; das Wasser rauschte, spritzte und plätscherte; und das Rad bewegte sich langsam, schwerfällig und knarrend, und in der Mühle drinnen war schon das Geräusch der sich drehenden Steine.

Während dieses alles geschah, ritten das Fräulein von Glück und Eva nach Langelsheim. Die beiden Pferdchen gingen in ihrer muntersten Gangart; sie hatten lange im Stall gestanden und freuten sich der Bewegung, und die Reiterinnen waren froh und ungeduldig.

Nun ritten sie durch den Ort, nun waren sie vor dem Haus. Da stand Thilo, er gab eben einem Knecht einen Verweis, der mit einer Mistfuhre da hielt. »Wie ist der Mist geladen?« rief er. »Hast du den Mist mit dem Brett festgeklopft, wie es sich gehört? Sieh dich um, vom Misthaufen an hast du Brocken verloren. Glaubst du, ich will die Landstraße düngen? Augenblicklich holst du das Brett und klopfst den Mist erst fest; ich bleibe hier stehen. Und wenn ich eine solche Schweinerei noch einmal sehe, dann weißt du, was geschieht.«

Thilo war so von seinem Ärger beansprucht, daß er das Kommen der Mädchen gar nicht bemerkt hatte. Er stand mit dem Rücken zu ihnen. Da sprang Eva ab, sie warf dem Fräulein von Glück den Zügel zu, und mit einemmal fiel sie Thilo um den Hals; der Knecht war eben gegangen, das Brett zum Festklopfen zu holen. Thilo stand verdutzt und steif; sie küßte ihn auf den Mund, da wurde er lebendig. »Was ist denn das?« fragte er. »Der Kaufbrief ist da, wir haben den Kaufbrief gefunden, der Geheimrat hat gesagt, daß alles in Ordnung ist, und der Vogt sitzt im Gefängnis!« sprudelte Eva heraus. Thilo konnte nicht gleich alles auf einmal auffassen. Er stotterte: »Gefängnis.« Da lachte Fräulein von Glück auf ihrem Pferd über sein ratloses Gesicht, Eva lachte, und das eine Pferd wieherte, dann wieherte das andere Pferd.

Nun kam Frau von Uslar aus dem Haus; sie hatte die Gruppe gesehen. Mit kurzen Worten sprudelnd erzählten die beiden Mädchen die Geschichte, eine immer der andern ins Wort fallend. Ruhig erwiderte Frau von Uslar: »Erst müssen die Pferde in den Stall.« Sie winkte dem Knecht, der eben mit seinem Brett ankam; Fräulein von Glück stieg nun gleichfalls ab, und der Knecht führte die beiden Pferde in den Stall. »Und hier auf der Straße wollen wir nicht weiter verhandeln,« sagte Frau von Uslar, indem sie voran ins Haus ging.

Aber als die vier noch auf der Diele standen und die beiden Mädchen noch durcheinander schwatzten, Thilo eine Frage einwarf und die Mutter vergeblich in die Stube winkte, da tat sich das Haustor plötzlich wieder auf, mit einer heftigen Bewegung, und ein Läufer stand im Tor, wie damals fürstliche Herrschaften wohl hatten, ein Mensch in buntem Gewand aus allerhand Lappen, und sagte keuchend: »Der Herr Herzog Anton Ulrich kommen mit Gefolge, zwanzig Personen, und ein Wagen mit drei Komödianten, und wollen geruhen, hier das Frühstück einzunehmen.«

Da verlor Frau von Uslar ihre Fassung. »Ach, du lieber Gott!« rief sie aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was soll ich denn da machen! Schinken ist da, Wurst ist da, Harzkäse ist da, mögen denn die Herrschaften Harzkäse? Wann kommen sie denn?« »In einer Stunde geruhen die Herrschaften zu kommen,« sagte der Läufer maschinenmäßig, schwenkte um und lief weiter in der Richtung nach Lautenthal.

Das Fräulein von Glück war wie mit Blut übergossen. Sie zitterte und hielt sich an Eva fest. Die merkte nichts von ihrem Zustand, sie rief der fassungslosen Frau von Uslar zu: »Ich helfe, ich helfe, ich decke gleich den Tisch! In der großen Sommerstube, nicht wahr?« Sie lief auf den Hof, in den Stall, da trödelte eben eine Kuhmagd beim Vieh herum, der Hofmeister betrachtete sich die Zuchtsau. Sie nahm gleich die beiden Leute mit, um die Möbel zu rücken, sie gab der Magd Anweisung, sich die Hände zu waschen; und so wirtschaftete sie schon in der oberen großen Stube, indessen Frau von Uslar in die Küche schoß, in die Speisekammer, Thilo beauftragte, Schinken und Würste aus dem Rauchfang zu holen.

Das fremde Fräulein fand sich allein. Sie sah sich hilflos um. Dann faßte sie sich. Sie ging in den Hof; in den Stall; da stand ihr Pferd. Es wieherte, als sie eintrat, und hob den Kopf aus dem Hafer, in dem es gewühlt hatte. Sie ging zu ihm, sie wollte ihm den Sattel auflegen, den Halfter abnehmen; der Sattel hing da an einem Nagel, wie ihn der Knecht aufgehängt hatte; es war niemand im Stall.

Sie konnte den Sattel eben mit der Hand fassen, aber sie war nicht groß genug, um ihn vom Nagel zu nehmen. Sie suchte mit den Augen nach einem Schemel. Das Pferd wendete sich um und verfolgte ihre Bewegungen mit den Augen.

Ein Schemel fand sich nicht. Plötzlich wurde ihr ihre Verwirrung bewußt. Sie stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf, sie sagte zu sich: »Ach was! Weshalb soll ich ihm ausweichen! Ich habe nichts getan!« Sie klopfte dem Pferdchen den Hals, das sich der Liebkosung freute, dann verließ sie den Stall und ging in das Haus hinauf, in die Küche, wo sie Frau von Uslar traf, die eben von dem großen Schinken Scheiben abschnitt und schön geordnet auf einen Teller legte. »Kann ich nicht helfen?« fragte sie.

Frau von Uslar antwortete nicht und beugte den Kopf tiefer auf ihre Arbeit. Da sah das Fräulein, daß sie weinte; dicke Tropfen fielen auf ihr Busentuch, ein Tropfen hing an der Nase, den sie ungeduldig abwischte. »Was soll ich denn zu trinken aufsetzen?« sagte sie weinend. »Ich habe nur Braunbier und Nordhäuser im Hause!«

Das Fräulein lachte. Sie sagte: »Dann setzt das auf den Tisch. Bei Hofe gibt es auch oft Braunbier. Die Herren trinken einen Schnaps dazu.« »Wirklich?« fragte Frau von Uslar halb getröstet. »Ja, zu meiner Zeit war es wohl so. Aber die Menschen sind seitdem doch alle feiner geworden.«

Das Fräulein legte den Arm um die traurige Frau und tröstete sie. Die wurde zutraulicher und sagte: »Wenn man wüßte! Ich habe so guten Harzkäse, ganz durch ist er! Aber weiß man denn, ob die Herrschaften das mögen! Ganz durch ist er, er fließt! Ich lege ihn immer in Braunbierlappen ein, das gibt ihm so einen guten Geschmack und nimmt ihm die Schärfe.«

Das Fräulein griff flink mit zu, die Mägde halfen, der Tisch oben war schon gedeckt, nun pflückte das Fräulein noch Blumen; an der Gartenhecke im Garten blühten Veilchen; sie pflückte Veilchen ab und streute die über die sauber mit glänzendem Tischtuch gedeckte Tafel.

»Ach, und ich muß mich ja auch noch zurechtmachen!« klagte Frau von Uslar. »Das gute Schwarzseidne ziehe ich wohl an. Eigentlich ist es ja bloß ein Frühstück, dazu paßt es ja nicht. Aber es ist doch nun der Hof, und ein anderes gutes Kleid habe ich doch nicht!«

Und so erscholl nun durch das ganze Haus Befehl und Rufen, Treppenlaufen und Türeschlagen, aber es kam doch alles in die Ordnung‚ in die es kommen sollte. Thilo hatte indessen im Stall gewirkt, denn es war doch auch möglich, daß die Herrschaften sich den Stall ansehen wollten. Er hatte mit dem Hofmeister und einem Knecht die Kühe gestriegelt, daß sie glatt und schmuck waren, der Stallboden war gefegt und frische Streu war gestreut und die Kühe wußten gar nicht, wie ihnen geschah. Und so war denn nun wirklich alles bereit zur Stunde. Da kam ein barfüßiger Dorfjunge gelaufen, daß man nicht wußte, wo ihm der Kopf saß und wo die Füße saßen, und schrie aus vollem Halse: »Sie kommen, sie kommen!« Die Torfahrt zum Hof stand schon weit geöffnet, der Hof war sauber gekehrt, der Mist war schön glatt und ordentlich. An der Torfahrt stand der Hofmeister und ein kleiner Knecht auf der einen Seite, die Mägde auf der andern Seite, alle im Sonntagsputz; vor dem Haustor stand Frau von Uslar stattlich in mütterlicher Breite im schwarzseidenen Kleid; an ihrer rechten Seite stand Thilo in Seidenstrümpfen und zierlichen Schuhen mit roten Absätzen, an ihrer linken Seite Fräulein Koch; die hatte das Kleid nicht wechseln können, aber hatte sich zurechtgeputzt, wie es ging; die Schwiegermutter hatte ihr eine goldene Kette geborgt mit einer Schaumünze, und ein Spitzentaschentüchlein von Frau von Uslar hielt sie vor sich in der Hand. Hinter den dreien hielt sich das fremde Fräulein, fast schon im Haustor, als ob sie nötigenfalls hinter dem verschwinden könnte.

Da kam schon der erste Wagen angefahren, in dem saß der junge Herzog allein. Die Pferde sprengten an; vor dem Haustor hielten sie mit einem Ruck und standen wie die Säulen. Der junge Herzog sah die Begrüßenden, freundlich lächelnd hob er die Hand zum Hut, da erblickte er das fremde Fräulein; ein tiefes Rot färbte ihm plötzlich das Gesicht, und auch das Fräulein wurde tiefrot; sie trat entschlossen neben Eva.

Der junge Herzog warf die Wagendecke zurück und sprang ab; Frau von Uslar knickste tief ein, Thilo machte seine Hofverbeugung, die beiden Mädchen machten den Hofknicks; der Herzog wendete sich zu Frau von Uslar und entschuldigte die Plötzlichkeit des Kommens; er sagte, er liebe es, mit seinem treuen Adel zusammen zu sein, und so sprach der junge Mann huldvoll zu der würdigen alten Frau, die vor Stolz rosenrot erblühte. Die Mutter stellte Thilo vor, auch an ihn richtete der Herzog ein freundliches Wort; dann stellte sie die Verlobte vor; der Herzog nickte mit dem Kopf und wünschte ihr Glück, und dann wendete er sich, ohne die alte Frau weiter zu beachten, zu Fräulein von Glück und sagte: »Treffe ich Euch hier! Niemand wußte, wo Ihr wart! Aber Ihr seid gut und sicher aufgehoben bei meinen Freunden!« Sie dachte: »Er wußte doch, wo ich bin, er hat mir doch die Kette durch den Pfarrer schicken lassen.«

Nun ging der Herzog in das Haus, Frau von Uslar und die andern folgten ihm; der Hofmeister trat zu dem Kutscher, der stieg ab und führte seine Pferde auf den Hof, wo er sie abschirrte. Im Stall war schon alles für sie vorbereitet: Heu in der Krippe und Hafer im Barren. Und da kamen auch schon die andern Wagen; der Hofmeister und der Jungknecht empfingen sie, die Herren und Damen stiegen aus und wurden ins Haus geführt. Zuletzt kam der Wagen mit den Komödianten; das war ein hagerer und bekümmerter langer Mann, ein junges Mädchen, das nicht mehr ganz jung war, und eine Frau im mittleren Alter von herrschsüchtigem Ausdruck und von einem gewissen Umfang. Die Herrschaften im Haus waren um den Herzog beschäftigt, der Hofmeister, der Jungknecht und die Mägde, welche die Dienerschaft vorstellten, um die Damen und Herren vom Hof, und so blieb für die Komödianten niemand übrig, der sich ihrer annahm. Sie stiegen aus und standen schweigend vor dem Haustor, indessen der Kutscher den schon etwas klapperigen Wagen zu den andern Wagen in den Hof fuhr, die beiden Pferde abschirrte und dann in den Stall führte. Da war für sie aber kein Platz mehr. Er führte sie wieder hinaus und stand unschlüssig mit ihnen auf dem Hof, und die Pferde blickten wehmütig zu Boden.

Die Tafel war gerichtet. Der Herzog saß an der Spitze, ihm zur Seite rechts die Frau vom Hause und links Eva. Zur andern Seite von Eva saß Thilo. Die Damen und Herren vom Hofe hatten sich paarweise geordnet, wie es kam, und zwischen ihnen hatte auch das Fräulein von Glück ihre Stelle gefunden.

Plötzlich wurde Frau von Uslar tief verlegen. Sie hatte die Vorbereitungen nicht bis zum Schluß überwachen können, weil sie sich hatte umziehen müssen; wahrscheinlich hatten auch die beiden Mädchen versäumt, den letzten Blick auf die Tafel zu werfen; und da fand sich nun, daß die Wurst nicht aufgeschnitten war. Wenn man im Kreis der Familie aß, dann schnitt man natürlich die Wurst nicht auf, sondern jeder schnitt sich von der ganzen Wurst Stücke ab, wie er wollte, denn die aufgeschnittenen Scheiben, welche nicht gegessen, sondern aufgehoben werden, sind doch am nächsten Tag grau. Man kann sie ja natürlich noch essen, ißt sie auch, aber sie schmecken nicht mehr so gut. Nun hatte die Küchenmagd gedacht, diese sparsame Regel müsse man auch heute befolgen, und so hatte sie denn die ganzen Würste aufgetischt: drei lange, lange Schlackwürste und zwei dicke, runde Blutwürste. Die standen da nun lächerlich verteilt über die veilchenbestreute Tafel. Nun war schon gewesen, daß Braunbier und Nordhäuser hatten aufgestellt werden müssen. Frau von Uslar warf einen hilflosen Blick auf Fräulein von Glück, die aber machte ein ernstes und ruhiges Gesicht. Da faßte sich Frau von Uslar. Auch sie machte ein ernstes Gesicht. Sie sagte zum Herzog: »Fürstliche Gnaden werden sich gewiß wundern über die langen und dicken Würste, welche da liegen. Ich dachte, daß Fürstliche Gnaden gern einmal wissen möchten, wie der Landadel lebt. Wir schneiden aus Sparsamkeit die Wurst nicht auf, denn die aufgeschnittenen Scheiben, welche nicht verzehrt werden, verlieren ihren Geschmack. Deshalb kommt bei uns die Wurst immer ganz auf den Tisch.« Von dem Braunbier und Nordhäuser hatte sie gar nichts gesagt; sie nahm an, daß es am richtigsten sei, wenn sie diese Getränke als selbstverständlich betrachtete. Der Herzog aber sagte: »Ausgezeichnet, Frau von Uslar, ausgezeichnet! Diese Würste sind der schönste Schmuck der Tafel, den ich mir vorstellen kann. Ihr habt erraten, was mir Vergnügen macht, ich bin Euch sehr dankbar.« Damit nahm er seinen Krug Braunbier in die Hand, nickte artig mit dem Kopf gegen Frau von Uslar und trank einen Schluck. »Ausgezeichnet, das Braunbier!« sagte er, »ausgezeichnet! Gewiß selber gebraut?«

Frau von Uslar wußte ja wohl, daß dieses Lob nur so eine Höflichkeit war, wie ein Fürst sie wohl sagt; aber es tat ihr doch wohl. Sie sagte stolz: »Ich braue nach meiner eigenen Art, die habe ich noch von meiner Mutter.« »Ausgezeichnet,« sagte der Herzog, »ausgezeichnet!«

Der Herzog erzählte, wie es gekommen war, daß er plötzlich den Entschluß der Reise gefaßt hatte. »Liebe Frau von Uslar,« sagte er, »Ihr wißt nicht, wie das ist. Der Minister faßt doch seine Stellung immer so auf, als ob er einen unter seiner Vormundschaft hat. Je tüchtiger er ist, desto schlimmer ist das. Was soll man machen? Also der Geheimrat sagt mir, er will nach Lautenthal und sich den neuen Anbruch ansehen und überhaupt die Verhältnisse da. Nun, ich sage ihm: ›Ich komme mit.‹ Was will er machen? Ein saures Gesicht, aber das macht auf mich gar keinen Eindruck. Seht, da habe ich so einen Herrn am Hof, dort unten sitzt er, mit dem zerstreuten Gesichtsausdruck der, der hat ein Schäferstück geschrieben, das die Auffindung des neuen Ganges behandelt. Gut. Die Komödianten nehmen wir mit. Da feiern wir gleich an Ort und Stelle. Nun muß der Geheimrat auch noch die Bühne herrichten lassen. Wenn wir kommen, dann ist alles fertig. Ihr müßt natürlich mitkommen, mit Euerm Sohn und Fräulein Eva, das Fräulein von Glück auch; die hat sich so wortlos vom Hof verzogen, ganz zufällig finde ich sie hier; keine Ahnung habe ich gehabt; auf Ehre, keine Ahnung.«

Das Fräulein von Glück saß zwar um einige Plätze entfernt von den Sprechenden. Aber ihr nächster Nachbar war ein stiller, dicker Herr, der sich ein großes Stück Blutwurst abgeschnitten hatte und das nun mit Andacht aß; neben ihm saß eine spitze ältere Dame mit zusammengezogenem Mund, die vergeblich versucht hatte, ihn zum Sprechen zu bringen. Dann kam ein junger, rotbäckiger und harmloser Herr, der erstaunt sich überall umblickte und keine rechten Worte fand, und neben dem saß denn nun Frau von Uslar. So konnte denn das Fräulein von Glück das meiste verstehen, das der Herzog zu Frau von Uslar sagte, und den Rest erriet sie. Sie verbiß sich ein Lachen.

In der Gesellschaft befand sich auch Leibniz. Er saß dem Fräulein gerade gegenüber. Er hatte ihren Blick aufgefangen, den sie auf den Herzog geworfen. Mit ernstem Gesichtsausdruck und mit Zucken in den Mundwinkeln sagte er über den Tisch hinüber: »Der leitende Staatsmann eines Landes hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen.« Da konnte sich das Fräulein nicht mehr halten. Sie lachte los. Erstaunt sah sie ihr Nachbar an, er hatte ein Stück Blutwurst auf der Gabel stecken, die halb erhoben war.

Unterdessen hatten in Lautenthal Männer fleißig gearbeitet. Längst war die Eingangspforte fertig; sie war mit Tannenzweigen benagelt, und die beiden wilden Männer, zunächst noch in den umgeworfenen Pferdedecken und auf Holzpantoffeln, probten aus, wie sie stehen und ausschauen würden. Jeder hatte ein ausgerissenes Fichtenstämmchen in der Hand, wie der wilde Mann auf den Geldstücken gebildet ist. Der Lehrer hatte seinen Kindern Anweisung gegeben, sich ihr schönstes Gewand anzuziehen; er hatte sie in der Schulstube versammelt und übte mit ihnen ein Lied ein, mit welchem er den Herzog empfangen wollte; natürlich hatte er das Lied mit ihnen früher schon oft geübt; es war das Lied vom Jäger aus Kurpfalz, der durch den grünen Wald reitet. Auf der Straße waren Jungen als Posten aufgestellt; der äußerste mußte dem zweiten zurufen, wenn er die Wagen erblickte, und so sollte der Ruf durch die ganze Postenkette gehen bis in den Ort. Auch die Erwachsenen hatten sich in ihre besten Kleider geworfen. Die Männer standen in den Haustüren, sahen die Straße hinunter und warteten, die Frauen machten sich noch im Haus zu schaffen. An einer geeigneten Stelle am Waldrand war die Bühne aufgeschlagen und standen die Bänke für die herrschaftlichen Zuschauer. Es war vorgesehen, daß die Leute aus dem Ort im Hintergrund unter den Bäumen stehen und an dem Stück gleichfalls teilnehmen konnten. Über die Bühne hinweg aber sah man in das stille Tal mit der Kirche, den fleißigen und saubern Häuserchen.

Da kam der Ruf der aufgestellten Jungen: »Sie kommen!« Der Lehrer zog schnell mit seinen quirlenden und aufgeregten Kindern zu der Pforte, wo schon die wilden Männer nackt und frostig im Blätterschurz mit dem Bäumchen in der Hand auf beiden Seiten standen. Er ordnete die Kinder; auf die eine Seite die Reihe der Mädchen, auf die andere die Reihe der Knaben, die beständig noch verstärkt wurde durch die zurücklaufenden Posten. Schon drängten sich die Erwachsenen auf beiden Seiten der Straße hinter der Reihe der Kinder und machten neugierig lange Hälse die Landstraße hinab. Da kam auch der Pfarrer geschritten, im Talar, unterm Arm seine Bibel mit breitem Goldschnitt. Er stellte sich auf der innern Seite der grünen Eingangspforte auf.

Nun waren die ersten Staubwolken zu sehen, schon hörte man Pferdetrappeln. Da kam auch schon der erste Wagen; in dem saß der junge Herzog, nachlässig zurückgelehnt. Er richtete sich auf, als er an die Pforte kam, und grüßte, alle Leute riefen ihm eine Begrüßung zu, der Lehrer erhob seinen Taktstock und die Kinder sangen den Jäger aus Kurpfalz. Sie sangen den ersten Vers, und unterdessen kamen hinter dem Herzog die andern Wagen an und hielten in einer Reihe. Während das geschah, erschien auch der Geheimrat, der noch bei der Grube sich hatte allerlei zeigen lassen; er trat neben den Pfarrer. Die Kinder sangen den zweiten Vers und sangen den dritten Vers; der Geheimrat flüsterte dem Pfarrer einige Worte zu, und der machte dem Lehrer ein Zeichen, so kam es nicht zum vierten Vers. Als nun Stille war, trat der Pfarrer an den Wagen; er las aus der Bibel eine Stelle und sprach dann einige kurze Worte, welche der Herzog mit zerstreutem Gesichtsausdruck anhörte.

Die Frau von Uslar saß in einem der Wagen, aber Thilo, Eva und Fräulein von Glück hielten zu Pferde. Einmal während der Rede des Pfarrers sah sich der junge Herzog nach dem Fräulein um.

Die Rede des Pfarrers war zu Ende, und nun sagte der Herzog einige Worte des Dankes; er sagte sie mit leiser Stimme, und man sah ihm die Verlegenheit an. Plötzlich, noch ehe er zu Ende war, denn die Hintenstehenden hörten nichts von den Worten des Herzogs, kamen laute Hochrufe, die Leute hielten die Hände hoch und riefen laut, und ihre Gesichter, denen man die Sorgen und die Not der letzten Zeiten ansah, waren glücklich und strahlend.

Nun kam der Geheimrat vor, er begrüßte ehrfurchtsvoll den Monarchen, der etwas errötete, und sagte dann dem Kutscher ein paar Worte. Er gab ihm Anweisung, wie er fahren und wo er halten sollte. Als er zurückgetreten, setzte sich der Wagenzug langsam in Bewegung. Hinter dem letzten Wagen, in dem die Komödianten saßen, ritten Thilo und die beiden Mädchen.

Auf dem Marktplatz hielt der Zug. Da waren im Freien Tische und Bänke errichtet, an denen die Herrschaften später speisen sollten; abgeschlagene Tännchen waren da in die Erde gepflanzt, die Schatten geben sollten.

Der Herzog stieg aus, die Herren und Damen vom Gefolge stiegen aus, und die andern verließen ihre Pferde. Der Zug ging die Straße hinauf, welche zum Wald führte. In wenigen Minuten hatte man den Ort hinter sich, dann waren da zu beiden Seiten abhängige Wiesen; und bald war man im Wald. Da war denn auch schon die Bühne zu sehen mit den Bänken dahinter. Die Leute aus dem Ort hatten sich auf allerhand kleine Wege verteilt und strebten bunt und unruhig gleichfalls nach der Höhe. Als der Herzog mit dem Hof vor den Bänken ankam, da standen schon im Wald unter den Bäumen die Leute, Männer wie Frauen, neugierig und still, und sahen auf die leere Bretterbühne.

Der Geheimrat ging neben dem Fräulein. Er sagte: »Ich hoffte Euch in Gittelde noch anzutreffen, als ich von dem Vogt zurückkam. Aber Ihr wart schon abgeritten nach Langelsheim.« Das Fräulein errötete und erwiderte nichts. Sie hatte einen kleinen Fichtenzweig in der Hand, den sie zerpflückte.

»Der Herr Herzog muß nun wohl die Dichtung anhören, die da vor ihm aufgeführt wird,« sagte der Geheimrat. »Mir hat sie der Dichter schon vorgelesen, und er wird es mir gewiß nicht allzusehr verübeln, wenn ich sie nicht noch einmal anhöre. Ich möchte mit Euch sprechen. Wir gehen hier zur Linken einen Fußweg in die Höhe.« Das Fräulein hatte eine Einwendung machen wollen, aber sie sagte nichts und ging mit ihm.

Bald hatten die beiden die Menschen hinter sich und gingen nun auf den glatten Fichtennadeln allein in dem stillen Wald, in dem nur von fern das Summen der Menschen zu hören war.

»Ihr wißt, um was es sich handelt,« sagte der Geheimrat. »Ihr wolltet eine Zeit des ruhigen Nachdenkens in der Natur haben. Die habt Ihr nun gehabt. Ich habe Euer Verlangen billig gefunden, denn Ihr seid jung, Ihr habt noch keine Erfahrung des Lebens und Ihr kennt Euch selber noch nicht. Ich kenne Euch besser als Ihr.«

Das Fräulein wollte ihm entgegnen. Aber da dachte sie: »Er hat ja recht.« Sie schwieg.

»Ich habe nun das Fräulein auf dem Junkernhof in Gittelde gesehen,« fuhr der Geheimrat fort. »Ihr kennt sie gut, Ihr seid mit dem Mädchen befreundet, soweit das für Euch möglich ist, mit einem so einfach harmlosen Kind befreundet zu sein.«

»Was meint er denn damit?« fragte sich das Fräulein.

»Ich habe auch den neuen Geschworenen gesehen, der nun jung verheiratet ist, dem Ihr geholfen habt beim Finden des neuen Anbruchs. Das war gut, daß Ihr einmal aus der läppischen Hofgesellschaft herauskamt und natürliche Menschen kennengelernt habt. Der Hof muß ja nun sein, die regierenden Herrschaften müssen sein. Ein Fürst muß nun wohl ein bedeutender Mensch sein, wenn er nicht durch sein schweres Leben in Albernheit hineingedrückt werden soll. Er bringt sich selbst zum Opfer und weiß das nicht. Ein Mensch, der niemanden über sich hat, der hat ein schweres Leben. Ihr habt das alles angesehen, wie ein dummes junges Mädchen nun eben Glanz und Flitter ansieht. Man darf ja auch die Komödianten nicht ernst nehmen wollen, aber es gibt junge Mädchen, die für so einen armen Teufel von Komödianten schwärmen. Nun wißt Ihr, daß ich Euch eine Aufgabe stelle. Ich bin in dem Alter, ich könnte Euer Vater sein.«

Unwillkürlich sagte das Fräulein einen Laut, der gegen diesen Satz gemeint war. Der Geheimrat lächelte. »Um so besser,« sagte er.

»Seht, der harmlose Junker, der nach Gittelde heiraten wird, der noch nicht einmal hinter die plumpen Schliche des Vogts kam, der gute Geschworene, der die Tochter seines Vorgängers geheiratet hat, die sind nun wie zwei Vögelchen, die ihr Widerpart gefunden haben; da schnäbeln sie sich und bauen ihr Nest. Solche Leute sind im Glück des natürlichen Lebens. Ja, ich habe solche Leute oft beneidet.«

Das Fräulein seufzte. »Ich auch,« sagte sie leise.

»Wenn man das eine hat, dann kann man eben das andere nicht haben,« fuhr der Geheimrat fort. »Das ist sehr schwer, daß man sich das klarmacht.«

»Ja,« sagte kleinlaut das Fräulein.

»Sieh, mein liebes Kind, ich will dir mein Leben erzählen,« sagte der Geheimrat. »Meine Eltern waren arm und lebten im einfachen Bürgerstand. Ich bin von viel niedrigerem Herkommen als der gute Leibniz, der einem immer von seiner schweren Lage erzählt. Nun, ich wußte, daß etwas in mir war, das ich betätigen mußte. Das Herzogtum ist ja nun bloß ein kleiner Staat; aber seine Beherrschung ist gerade die Aufgabe, die mir angemessen ist. Es gibt Höheres, aber das ist nun nicht für mich, das habe ich eingesehen. Nun, ich habe mir gesagt: Was die gewöhnlichen Menschen so Glück nennen, das kannst du nicht erwarten. Du bist durch dein innerstes Wesen auf die Höhe berufen. Ob die Männer, welche von Natur oben stehen, glücklich sind, das weiß ich nicht, ich bezweifle es. Aber sicher kann nicht Glück verlangen, wer die Höhe erst ersteigen muß. Wem das Leben von Jugend an leicht wird, der bildet seine Kräfte nicht aus. Nun, ich habe bewußt auf das verzichtet, was die Menschen so Glück nennen. Ich fand eine Frau, die wesentlich älter war als ich und häßlich war; aber sie war reich und hatte Familienbeziehungen. So kam ich an die Stelle, wo ich nun wirken kann. Nun, es war schwerer, als ich gedacht hatte. Meine Frau war auch läppisch. Ich hatte schwer an ihr zu tragen, und ich fühlte, wie meine Kräfte verzehrt wurden durch die Ehe. Drei Knaben hat sie mir geboren. Die schlagen zum Glück nach mir. Dann starb sie. Es war ein Glück für sie und für mich, daß sie starb ..., ein armes Wesen, nicht dafür geschaffen, die Frau eines Mannes zu sein, wie ich bin.

Aber nun, nun habe ich dich gesehen, mein Kind. Ja, du bist für mich ein Kind. Ist das Liebe, was ich reifer Mann von vierzig Jahren für dich Kind von noch nicht zwanzig Jahren fühle? Ich kann ja nicht erwarten, daß du mich lieben kannst. Jugend geht nun eben zu Jugend. Aber ich fühle, daß meine Kräfte wachsen würden, wenn du mit mir gingest. Siehst du, Leibniz ist ein großer Mann. Ich will mich nicht mit ihm vergleichen. Aber er kann sein Leben nicht führen. Vielleicht ist es für einen Mann des Lebens auch leichter, sein Leben zu führen als für einen Mann des Denkens. Sein Leben zerflattert und sein Denken zerflattert. Er hat einmal einen großen staatsmännischen Gedanken gehabt. Er wollte Frankreich veranlassen, seine Kraft gegen Ägypten zu wenden, um unser armes deutsches Vaterland von ihm zu entlasten. Das war nun einer seiner großen Gedanken neben vielen andern. Was hat er mit ihm gemacht? Er hat ihn dem König Ludwig vorgetragen, und dann war es zu Ende. Ich, wenn ich den Gedanken gehabt hätte, ich hätte nicht eher geruht, als bis der König eine Flotte gegen Ägypten geschickt hätte, und ich hätte es erreicht. Aber man kann nicht einen fremden Gedanken annehmen. Das kann man nicht. Ich bin nun hier in dem kleinen Herzogtum, und da tue ich, was getan werden muß. Das kann ich, und das ist gut. Das ist gut, was ich hier arbeite. Und dabei sollst du mir helfen. Du sollst meine Frau sein. Ein Mann muß eine Frau haben, die er lieb hat, sonst zerflattert er. Wenn er eine Frau hat, die er nicht lieben kann, dann wird er zerstört. Ich wollte ja doch meine verstorbene Frau lieben; ich hätte es erreicht, daß ich sie liebte. Aber sie war läppisch. Ich konnte nicht.«

Der Geheimrat ging mit dem Fräulein auf dem Waldweg weiter und sah angestrengt denkend auf den Boden.

»Ihr seid für mich wie eine Pflanze, die ich pflegen möchte. Wenn Ihr gepflegt werdet, dann werdet Ihr blühen. Eine schöne Blüte! Und ich; ja, irgend etwas muß ein Mann wohl haben, das er lieben kann; das er lieben kann; das ist es. Ich weiß doch, daß Ihr eine Neigung zu dem jungen Herzog habt, wie so junge Mädchen sind. Ihr habt Euch wohl gedacht, daß ich es weiß.«

»Ja, ich habe mir das gedacht. Und Ihr habt Geduld gehabt mit mir,« sagte das Fräulein mit beklommener Stimme.

»Ja, solch ein junger Herr, der denkt nun, die Welt ist ein Garten mit Blumen, und die Blumen sind dazu da, daß er sie pflücken kann,« fuhr der Geheimrat fort. »Das denkt jeder junge Mensch. Nur, wenn einer ein Mensch von höherer Art ist und unten lebt, der kann das nicht denken. Aber das ist nun so Natur, daß der junge Mensch gedankenlos die Blumen pflücken will. Und das ist das Glück der Natur. Mir tut der junge Herzog ja leid. Wenn er begriffe, daß er ein schweres Leben hat, dann könnte etwas aus ihm werden. Ihr habt Euch nicht getäuscht, als Ihr Eure Liebe auf ihn warft.« Er schwieg nachdenklich.

»Ich habe aber auch eingesehen, daß ich nicht eine Blume bin, die blüht, um gepflückt zu werden,« sagte das Fräulein mit fester Stimme.

»So, habt Ihr das?« fragte der Geheimrat und sah sie an. »Ich dachte mir, es wäre gut für Euch, wenn Ihr die Reise machtet.«

»Ja, es war gut für mich,« erwiderte das Fräulein. »Ich habe mit meinen Augen gesehen, wie die Menschen leben. Das konnte ich am Hof nicht sehen. Und da habe ich gesehen, daß ich anders bin als die andern Menschen.«

Der Geheimrat sagte: »Ihr meint, daß Ihr mittellos seid und deshalb am Hof leben müßt. Ich muß Euch nun noch mitteilen, wie eigentlich Eure Lage ist. Man hat Euch früher davon nichts gesagt; auch jetzt seid Ihr ja noch ein junges Ding, dem man gewöhnlich Dinge verschweigt, wie ich Euch erzählen werde. Aber Ihr seid so, daß es gut für Euch ist, wenn Ihr alles erfahrt.« Er schwieg eine kleine Weile, dann fuhr er fort: »Man hat Euch gesagt, daß Eure Eltern gestorben sind. Das ist nicht wahr. Eure Mutter ist tot. Sie starb bei Eurer Geburt. Aber Euer Vater lebt noch. Euer Vater ist ein hoher Herr, er steht höher als der Herzog. Eure Mutter – verzeiht einem Mann, wenn er gerührt wird im Andenken an seine Jugend – war das schönste, klügste und beste Mädchen, das es damals gab. Sie war am Hof und war arm. Auch ich war arm, und ich war damals noch ein junger Mann, der eben von der Universität gekommen war, wo er sich durch Stundengeben kümmerlich durchgeschlagen hatte. Ich hatte nicht das Geld, um mir einen Anzug zu kaufen, in dem ich in der vornehmen Gesellschaft hätte erscheinen können. Eure Mutter hat nichts gewußt von mir; wenn sie mich wirklich einmal gesehen haben sollte, dann hat sie mich nicht bemerkt. Ich habe einmal den wundervollen Klang ihrer Stimme gehört, als sie mit jemandem sprach. Nun, da kam also jener hohe Herr nach hier. Er war ein glänzender Mann, er war einer von denen, welche die Blumen brechen. Ich weiß nicht, ob er mehr war als glänzend. Er ist heute Mönch in einem sehr harten Orden. Nun, was Eure Mutter sich gedacht hat, das weiß ich nicht. Sie war ja eine leidenschaftliche Natur wie Ihr selber; sie konnte nicht halb sein; und sie liebte jenen Mann. Als Ihr geboren wart, da kam ein Schreiben an die herzogliche Kammer; es wurde ein großer Geldbetrag für Euch ausgesetzt, den die Kammer verwalten sollte, bis Ihr großjährig wäret. Seit Jahren habe ich selber diese Verwaltung Eures Vermögens geführt. Es ist in der Zeit sehr beträchtlich geworden. Ihr werdet wohl das reichste Mädchen im Adel des Herzogtums sein und Ihr könnt zu Eurem Gatten wählen, wen Ihr wollt.«

Der Geheimrat schwieg und das Fräulein schwieg. Die beiden gingen nebeneinander auf den glatten Fichtennadeln des Weges. Da sagte das Fräulein mit ganz leiser Stimme, indem sich ihre Wange hochrot färbte und ihre Augen zu Boden sahen: »Ich wähle Euch, und ich verspreche Euch, daß ich Euch eine gute Frau sein will und Euern Kindern eine gute Mutter, und wenn mir Gott selber Kinder von Euch schenkt, so will ich sie gut aufziehen.«

Der Geheimrat ergriff ihre Hand und preßte sie fest; er konnte nicht sprechen. Aber sie schmiegte sich an seine Brust und sagte: »Ich habe Euch ja schon immer gehört, aber ich habe es nicht gewußt. Das andere, das war nun so eine Kinderdummheit; da war der Glanz und der Flitter.« Sie sah hoch zu ihm und bot ihm den Mund zum Kuß. Er beugte sich über sie, küßte sie und strich ihr liebkosend über ihr braunes, starkes, widerspenstiges Haar.

Ohne ein Wort zu sagen, kehrten die beiden um und gingen zurück in der Richtung der Stelle des Festes. Da sahen sie durch die Stämme hindurch die Leute des Orts, und sahen einiges von den Bänken, und sahen ein Stück der Bühne, und hörten Worte aus dem Spiel, das die Komödianten auf der Bühne aufführten.

Da war ein Mann auf der Bühne, in Felle gekleidet, mit einem mächtigen, weißen Bart; der war der Geist des Gebirges. Dann war eine nicht magere Frau in himmelblauem Gewande, die stellte die Luft vor; und ein junges Mädchen, die mit vielen Schilfblättern umgürtet war, mußte eine Wassernixe sein. Die drei sprachen nun darüber, daß Lautenthal zu Wolfenbüttel gehörte und daß ein neuer Erzgang gefunden war; dabei hatten die drei Geister geholfen; und nun sollte der Herzog lang und ruhmreich regieren.

Das Stück war beendet, und der Herzog erhob sich von dem Stuhl, der allein für ihn vor den Bänken für den Hofstaat aufgestellt war. Er trat den beiden entgegen und wollte ein freundliches Wort sagen, denn er dachte, daß auch sie bei der Aufführung zugegen gewesen seien; aber das Wort starb ihm auf der Lippe, als ihm der Gesichtsausdruck der beiden klar wurde. Der Geheimrat hielt den Arm des Fräuleins; er verbeugte sich, und das Fräulein machte einen schüchternen Knicks; der Geheimrat sagte: »Wir bitten Eure fürstliche Gnaden, uns zu erlauben, uns ehelich zu verbinden.«

Der Herzog wurde ganz blaß, ein irres Lächeln zuckte um seine Lippen und seine Hände bewegten sich unsicher. Er sagte: »Aber natürlich, mein lieber Geheimrat, liebes Fräulein, wie freue ich mich, ich freue mich sehr, ich wünsche herzlich Glück.«

Der Hofstaat umstand die Gruppe, die Leute aus dem Dorf standen und sahen schüchtern von fern. Die Komödianten hatten hinter einer Bretterwand an der Seite der Bühne ihre Umkleidung vollendet und traten vor; sie trugen Kleider, Schilf und Bart auf dem Arm und zogen sich bescheiden weiter in den Wald zurück; ein Teil der Leute folgte ihnen.

Der Herzog sah sich im Kreis um. Da sah er den Münzmeister Bornemann, der aus Zellerfeld gekommen war und nun gleichfalls die Aufführung im Kreis der Einwohner mit angehört hatte. Er ging auf ihn zu und sagte: »Ich habe schon den neuen Löser gesehen, den Ihr aus dem Lautenthaler Silber geprägt habt. Sehr schön, ganz ausgezeichnet. Besonders die Vorderseite mit dem lautenspielenden Mädchen. Das ist ein Meisterwerk, Münzmeister. Ihr habt Euch selber übertroffen. Ich sage Euch meine Glückwünsche.«

Bornemann wurde rot vor Glückseligkeit über das herzogliche Lob. Er verbeugte sich tief, er stotterte: »Man tut, was man kann, man tut nur seine Pflicht, und ein solches Lob spornt ja denn auch an.«

Der Herzog nickte ihm zu und ging; der Hofstaat folgte ihm. Er ging den Berg hinab nach Lautenthal hinein, wo auf dem Marktplatz Tische und Bänke aufgeschlagen waren für die herzogliche Tafel.

Im Wagen waren Küchenbedienstete, Geschirr und Vorräte gefolgt. In der Küche des Gasthofs war gekocht. Nun sollte hier im Freien gespeist werden. In einem weiten Kreis waren Bergleute in ihrer Tracht aufgestellt, welche den Raum frei hielten. Hinter ihnen drängten sich die Leute: Männer, Frauen und Kinder, welche dem Festmahl zuschauen wollten. Auch unsere alten Bekannten waren unter ihnen: Franz und Käthchen mit dem alten Müller, welche eben das Aufgebot beim Pfarrer bestellt hatten, Kurt und Marie, welche wegen der Trauer die Aufführung nicht gesehen hatten, aber nun den Anblick der speisenden Herrschaften nicht versäumen wollten, die alte Dienstmagd aus dem Pfarrhaus und die Kölschen mit ihrem Mann. Der Pfarrer und die Pfarrerin nahmen am Mahl mit teil, Frau von Uslar, Eva und Thilo, Leibniz und die übrigen Herren und Damen vom Hof.

Als der Herzog mit dem Gefolge ankam, da riefen alle »Hoch«, und der Herzog grüßte artig und freundlich. Es war für ihn allein ein Tisch gestellt mit einem einzigen Stuhl; er lachte und gab einen Wink; da wurde für ihn an der Spitze der einen Tafel ein Platz bereitet; zur Rechten und Linken ließ er den Geheimrat und die Verlobte sitzen, dann setzten sich die andern nach Rang und Vorschrift. Die Bergleute standen stramm und ruhig und sahen unbeteiligt und still aufmerksam den Geschehnissen an der Tafel zu.

Die Diener brachten die Suppe und setzten jedem einen Teller vor; dazu wurde ein dunkelgelber Wein eingegossen. Die Bergleute und die zuschauende Menge reckten die Hälse.

Der Herzog sagte zu dem Fräulein von Glück: »Ja, viel Glück wünsche ich Euch, Fräulein,« und hob sein Glas. Das Fräulein wurde rot und dankte; der Geheimrat dankte. Dann sagte der Herzog: »Es ist wohl nicht leicht für mich, daß ich mich im Leben zurechtfinde. Ich bin jung, ich bin ein Fürst und soll nun Menschen befehlen. Sie, Herr Geheimrat, haben ein Amt. Da tun Sie, was getan werden muß. Ich, ich soll nicht etwas tun, ich soll etwas sein. Was soll ich sein? Mein Vorfahr war der tolle Christian, der im Dreißigjährigen Krieg ein Feldherr war. Ja, so etwas wie der tolle Christian könnte ich vielleicht sein, habe ich mir gedacht, wenn wieder Krieg wäre. Aber nun sind wir bürgerlich. Ich bin ja auch bürgerlich, ich bin ja gar nicht ein toller Christian. Wenn ich das wäre, dann würde ich schon etwas finden, das ich tun könnte. Nun stehen da die Leute im Kreis und sehen zu, wie wir essen, und denken: Das ist nun der Herzog, der ist glücklich und ist reich und kann alles haben, was er will; aber wir, wir wollen froh sein, daß nun wieder ein Gang gefunden ist und daß wir unsere Arbeit kriegen. Es ist wohl so, daß ich gelähmt bin. Weshalb bin ich gelähmt? Nun geht das Leben so hin. Es hat nur an mir gelegen. Alles hätte anders sein können.«

»Ja, Herr Herzog,« sagte das Fräulein.

Der Herzog lächelte. Er sagte: »Mein liebes Kind, Ihr heiratet nun einen tüchtigen Mann, der für Euch sorgen wird, bei dem Ihr gut aufgehoben seid. Auch das Land ist gut bei ihm aufgehoben. Aber einmal ist doch etwas in Euch gewesen, das anderes wollte. Was? Ich weiß es nicht. Daß ich das nicht weiß, das ist meine Schuld.«

»Auch meine Braut weiß es nicht,« sagte der Geheimrat. »Und das ist gut so. Es wächst viel in uns, das nicht zur Blüte kommt. Menschen, bei denen alles zur Blüte kommt – ja, die sind wohl seltene Menschen. Das sind wohl seltene Zeiten, in denen sie möglich sind. Ich kann mir solche Menschen und Zeiten nicht vorstellen, vielleicht sind sie nur Wunschbilder von uns. Ich für mich wünsche nicht anders zu sein, als ich bin, ein anderes Schicksal gehabt zu haben, als ich hatte.«

»Es hat wohl oft ein Strauch viele Knospen, und nicht alle kommen zur Blüte,« sagte das Fräulein. »Aber die Kraft, welche sie hervorgetrieben, die geht dann zurück zum Herzen des Strauches und wird von dort dahin gesendet, wo er wirklich blüht, und da werden denn die wirklichen Blüten schöner.«

Am andern Tisch saßen Frau von Uslar und ihre Kinder. »Ja, sie ist eine Kaisertochter,« sagte Thilo. »Sie gehört nicht in unsere kleine Welt.« – »Wie ein freundliches Wesen aus einer andern Welt ist sie zu mir gekommen,« sagte Eva. »Es wird erzählt, daß sie ein großes Vermögen haben soll,« schloß Frau von Uslar das Gespräch.

Und in der Menge, welche sich hinter dem Kreis der Bergleute drückte, standen der junge Geschworene mit seiner Frau und der junge Müller mit seiner Braut zusammen. Der Müller sagte: »Ich habe sie gleich wiedererkannt. Sie war die Komödiantin, welche die Schilfblätter umgebunden hatte und die Wasserfrau spielte.« – »Nein, sie ist wirklich eine Wasserfrau,« sagte Käthchen; »ich habe doch gesehen, wie die Karpfen die Köpfe aus dem Wasser streckten und ihr zuhörten.«

»Ich bin dir treu gewesen, und du bist mir treu gewesen,« sagte Franz. »Ich habe in der Fremde nur an dich gedacht, und da waren viele Versuchungen. Und damit wollen wir zufrieden sein, denn nun haben wir wieder Wasser, und da soll die Mühle schon gehen.«

»Jawohl,« sagte lachend der alte Müller, »da soll sie schon gehen. Und das Mühlwerk ist in Ordnung, darauf habe ich gehalten.«

»Nun ist unser Vater tot; es hätte ihm gewiß Freude gemacht, wenn er das alles noch mit erlebt hätte,« sagte Marie zu Kurt. »Aber wir haben uns nun, und das Leben ist schön, und darauf kommt es doch an.«

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