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Drittes Hauptstück

Indessen dieses geschah, war Kurt wieder zu dem Geschworenen zurückgekehrt. Er hatte den Stein mitgebracht, den er im Stollen vor Ort aufgelesen hatte, und hatte ihn dem alten Mann aufs Bett gelegt.

Der alte Wiedenhöfer betrachtete den Stein, indem er ihn mit zitternder Hand nach allen Seiten wendete. »Schwerspat mit Quarz durchwachsen,« sagte er. »Das ist das Ganggestein. Da kann das Erz nicht weit sein.« Seine Stimme versagte. Er legte den Stein auf die Bettdecke zurück. »Ich habe recht gehabt, daß ich den Stollen da eingetrieben habe. Der Gang hat sich verworfen. Er streicht höher, ganz, wie ich gedacht habe.«

Er legte sich im Bett zurück vor Schwäche. Plötzlich drehte er sich aus dem Bett heraus. »Bring mir meinen Anzug,« befahl er Kurt, »den Grubenanzug, ich will einfahren. Er hängt dort in dem Schrank.« Kurt wollte etwas erwidern; aber er wagte dann nicht, gegen die bestimmten Worte etwas zu sagen. Er eilte zu dem Schrank, suchte den Anzug heraus und brachte ihn dem Alten. »Die Strümpfe,« befahl der, »dort, in der Schublade.« Kurt brachte ihm die Strümpfe. Eilig zog der Alte die an mit zitternden Händen. Dann erhob er sich und stieg in die Hose. Kurt war ihm behilflich; er hielt ihn und half den zitternden Händen beim Knöpfen. »Wir gehen zusammen zum Stollen,« sagte der Alte. »Du kannst das Licht tragen, ich gehe mit der Rute. Wir machen einen Querschlag, da kommen wir auf den Gang. An einer Stelle haben wir ihn einmal bloß armsdick gehabt, das kann auch hier sein. Da kommt es darauf an, daß wir ihn treffen.«

Der Alte schwankte, nachdem er sich ganz angekleidet hatte. Er mußte sich setzen. Kurt holte ihm die Anfahrschuhe, half ihm beim Anziehen und Verschnüren. Dabei wollte er ihm Vorstellungen machen. Aber der Alte wehrte ab; er sagte: »Da muß ich selber sehen! Wozu liege ich denn immer da im Bett! Ich bin bloß noch ein überflüssiger Esser. Für die Marie ist gesorgt. Wenn ich jetzt einen Anbruch mache, dann kann ich ruhig sterben.« Er faltete die Hände und betete: »Herr, dann lässest du deinen Diener in Frieden fahren.« Er wischte sich mit der flachen Hand über die stoppelige Wange und sagte: »Rasiert bin ich auch nicht.«

Nun erhob er sich vom Stuhl, und Kurt stützte den schweren und großen Mann. Der drängte ungeduldig aus dem Zimmer, durch die Hintertür des Hauses über den Hof in den Garten. Da stand in einer Ecke ein Haselstrauch, dessen Blüten lang und gerade hingen, schon gebräunt und etwas eingetrocknet. Der Alte griff in die Tasche und zog den Schärper heraus; er reichte ihn Kurt und deutete ihm eine Rute, die er abschneiden sollte. Kurt zog den Schärper aus der ledernen Scheide, kniete nieder und schnitt die Rute ab. Der Alte prüfte sie, dann nickte er befriedigt und wendete sich zum Haus zurück.

Aber als er eben den Fuß zum Gehen hob, da rief er laut, in seltsamem Ton: »Wie wird mir?« Da wurde er schwer in Kurts Arm, daß der ihn nicht mehr halten konnte; so bückte er sich und ließ ihn behutsam zur Erde gleiten.

Die Kölschen hatte aus der Küche alles mit angesehen, nun kam sie wehklagend mit erhobenen Händen heraus und rief: »Ein Schlaganfall! Das Gesicht steht ihm ja ganz schief!« – »Holt schnell einen Mann, damit wir ihn ins Bett tragen können,« rief Kurt ihr zu, und die Kölschen eilte schreiend aus der Gartentür zum Nachbarn. Indessen hielt Kurt den liegenden Alten im Arm; der konnte nicht sprechen, das eine Auge rollte ihm unheimlich im Kopf. Der Nachbar kam, nun hoben die beiden den schweren, ungefügen Körper auf und trugen ihn langsam und vorsichtig den Gartenweg hinab ins Haus, hinter der Kölschen her, die schreiend und jammernd die Türen öffnete. Als sie in die Stube mit dem Bett traten, sagte der Nachbar brummig: »Haltet's Maul, Kölschen; macht eine Wärmflasche zurecht.« Die Kölschen warf die Bettdecke zur Erde, strich Laken und Kopfkissen glatt, und die beiden legten den Alten vorsichtig ins Bett. »Lauft zum Bader!« sagte Kurt zu dem Nachbarn, indem er dem Kranken die Jacke aufknöpfte. Der Nachbar entfernte sich eilig, und Kurt kleidete den Kranken aus, vorsichtig und sorgsam. Das dauerte eine Zeit. Inzwischen kam die Kölschen mit der Wärmflasche, die wurde dem Kranken zu den steifen und kalten Füßen gelegt, dann kam der Nachbar mit dem Bader.

Die Kölschen holte eine Schüssel und stellte sie auf den Stuhl am Bett; der Bader schlug mit dem Schnepper die Ader; zäh und stockend kam schwarzes Blut heraus.

Die Kölschen sagte zu Kurt: »Wir müssen der Marie Botschaft schicken, daß sie gleich kommt.« Sie trocknete sich eine Träne ab. Der Kranke lag noch immer regungslos. »Besser ist es, wenn sie kommt,« sagte der Bader. Da nahm Kurt seinen Hut, sagte zur Kölschen: »Ich kann mich auf Euch verlassen, Ihr bleibt hier,« und ging aus der Stube.

Er ging und mußte den Marktplatz überqueren. Da kam ihm ein Mann entgegen, zerlumpt und verwahrlost, schwankenden Gangs, mit schiefsitzender, verdrückter Kappe, mit verglasten Augen. Der redete laut mit sich: »Dann ist der Teufel nach Nordhausen gezogen, und da hat er das Branntweinbrennen angefangen. Meine Kinder sitzen zu Hause und haben Hunger. Wenn Krieg wäre, dann könnte ich mein Fell verkaufen, das Geld könnten die Kinder kriegen, da hätten sie einmal etwas von ihrem Vater. Aber der Teufel hat den Gang verworfen, daß der Mensch keine Arbeit hat, und dann zieht er den Menschen in die Wirtschaft, an den Haaren zieht er ihn in die Wirtschaft, und da sitzt der Mensch wie angepicht und versäuft seinen Kindern das Brot.« Er heulte laut auf, dann schrie er: »Das hat alles der Teufel gemacht, die ganze Welt hat der Teufel gemacht.«

Kurt machte einen Bogen, um dem Menschen nicht zu nahe zu kommen; der aus blutunterlaufenen Augen böse auf ihn stierte. Er ging eilig seinen Weg weiter, aber er hörte ihn hinter sich her schimpfen: »Der hat alles angeguckt, aber gefunden hat er nichts. Die Hexe, die ist besser. Die hat mit dem Teufel einen Pakt gemacht.« Er lachte und fuhr fort: »Mach ich auch, wenn der Teufel will. Die Hexe, die kann den Gang finden. Und wenn sie ihn gefunden hat, dann wird sie verbrannt. Dann hat der Teufel seinen Braten.«

Es sahen Leute aus den kleinen Fenstern der Häuser und hörten das Schimpfen und Fluchen des Betrunkenen, Kinder liefen herbei und stellten sich neugierig um ihn; aber Kurt ging eilig seine Straße weiter.

Inzwischen waren Thilo und das fremde Fräulein, gefolgt vom steifen Diener, von der Lautenmühle herabgeritten.

Das Fräulein bekämpfte ein Lachen, sie biß sich mit den weißen Zähnen in die Unterlippe. Dem Junker war diese Heiterkeit nicht so ganz angenehm, denn eine dunkle Ahnung war in ihm, daß sie vielleicht ihm selber gelten könne. Er sah wohl, daß der gute Franz ein Narr war, der sein treffliches und verständiges Käthchen hatte und das Käthchen ja doch auch liebte, wie man so sagt, aber dabei doch eine ganz lächerliche Vorstellung pflegte, daß er sein Glück auch bei dem fremden Fräulein machen könne, und zwar nur deshalb, weil das Fräulein eben nun von Herzen gut war und deshalb auch dem braven Franz wohl wollte; der brave Franz aber nahm an, daß er dieses Wohlwollen durch seine ausgezeichneten Eigenschaften, wie etwa seine männliche Schönheit, verdient habe. Und da war denn nun nicht weit von dem Gedanken, daß er selber doch auch ein solcher Narr war. Er war ja nun immerhin nicht gerade bloß ein Mühlknappe, aber doch jedenfalls nichts weiter als ein unschuldiger Landjunker, noch dazu in recht bedrückten Verhältnissen, und er hatte gleichfalls eine gute Braut, die er doch herzlich liebte, und auch er hing allerhand närrischen Gedanken nach in bezug auf die Fremde.

Da war es nun, als ob das Fräulein seine Gedanken erraten habe. Sie sagte: »Wenn so ein junges und nicht gerade häßliches Frauenzimmer allein in der Welt herumzieht, dann ist das wohl so, als wenn ein Vogelsteller sein Bäumchen mit den Leimruten aufgepflanzt und darunter seinen Lockvogel im Käfig gestellt hat. Der Lockvogel singt und singt, er denkt sich dabei gar nichts, sondern er singt nun so, weil er eben einmal aus der dumpfen Stube in die frische Luft gekommen ist und weil das nun seine Natur ist, seine Freude durch Singen zu äußern. Da kommen aber alle andern Vögel in der weiten Runde angeflogen und setzen sich auf das Bäumchen, und da kleben sie dann an den Leimruten fest, und da sitzen sie und sperren den Schnabel auf und schlagen mit den Flügeln, bis der Vogelfänger kommt, sie abpflückt und in sein Bauer tut.«

Etwas verdrießlich antwortete Thilo: »Das Bild hat ja wohl etwas Anzügliches; aber es ist doch vielleicht nicht so ganz falsch.«

Da war es, als ob es feucht in den Augen des Fräuleins schimmerte. Sie sagte: »Und habt Ihr denn gar nicht daran gedacht, wie es so einem armen Mädchen zumute sein muß, die da von allen Seiten von allen Arten von Begierden angefallen wird, deren sie sich erwehren muß; und sie möchte doch gut zu den Menschen sein und möchte ihnen helfen, wie sie kann? Habt Ihr Euch denn nicht gedacht, Junker‚ daß doch wohl Ursachen sein müssen, weshalb ein armes Mädchen allein mit dem alten Knasterbart von Diener in der Welt herumrittert? Ja, in früheren Zeiten, als es noch die Ritter gab, wenn da so ein einsames Fräulein war, dann kam der Ritter an und fragte sie, wie er ihr helfen könne. Aber heute ist nun der echte alte Sinn verlorengegangen, da denken die Männer gleich, daß sie da eine leichte Beute machen können.«

Der Junker wurde bis hinter die Ohren rot über diese Rede. Er biß sich auf die Oberlippe und sagte mutig: »Ihr habt recht, allergnädigstes Fräulein, und die Männer müssen sich schämen, daß sie sich so dumm und leichtfertig aufführen.«

Da reichte ihm das Fräulein vom Pferd die Hand, und er schlug in ihre Hand ein; da war es ihm, als ob sie ihm verziehen habe.

Und wie nun seine dummen und leichtfertigen Gedanken vergangen waren, da war er mit einemmal wie von einer Last befreit. Nun freute er sich, daß er neben dem anmutigen und vornehmen Mädchen ritt, aber er freute sich in ganz anderer Weise wie vorher; und so dachte er denn, daß auch seine Braut von dieser Freude etwas abhaben sollte, und er schlug dem Fräulein vor, wenn sie wieder einen Ritt mit ihm machen möge, so bitte er sie, ob er sie nicht nach Gittelde zu seiner Braut führen dürfe und diese ihr vorstellen. Da sagte die Fremde gern zu, und weil sie nun schon im Hause seiner Mutter von den Schwierigkeiten gehört, welche Fräulein Koch hatte, so fragte sie ihn nochmals genau nach allem. Zwischen diesen Gesprächen lachte sie viel, und der gute Junker dachte sich beschämt, daß sie zuweilen wohl auch über ihn lache und die Rolle, welche er gespielt.

Da tröstete ihn das Fräulein und sagte: »Ich bin ja nun wohl noch etwas jünger als Ihr, aber ein Mädchen ist nun eben früher gewitzt als ein Knabe; und vorzüglich, wenn der bewußte Gott mit der Binde vor den Augen ihn berührt hat, dann hat ja der Mann immer einen guten Teil seines Verstandes verloren. Ihr macht mich auch bedenken, daß ich an einem Hofe lebe, und da wird man wohl gescheit.« Sie seufzte. Dann fuhr sie fort: »Ich habe nun viel studiert und bin ein gelehrtes Mädchen, aber lieber wäre mir, ich könnte nicht lesen und schreiben und lebte auf einem Hof bei meinen Eltern, und dann käme so ein braver Landjunker, der auch nicht allzuviel Wissen hätte, und heiratete mich, und dann hätte ich Kinder und beherrschte mein Haus und dächte nicht weiter, als die Grenzen meines Gutes gehen. Das ist nicht gut für ein Mädchen, wenn sie zu viel hat lernen müssen.«

Unter solchen Gesprächen waren die beiden in Lautenthal angekommen. Thilo brachte das Fräulein zum Pfarrhaus zurück und verabredete sich mit ihr, daß er den nächsten Tag sie abholen wolle zu dem Ritt nach Gittelde, und dann verabschiedete er sich von ihr und den Pfarrersleuten und ritt nach Langelsheim zurück. Da war ihm ganz beschwingt zumute, als ob ihm ein besonderes Glück geschehen sei; und es war ihm doch weiter nichts geschehen, als daß die Fremde ihm durch die Blume hatte zu verstehen gegeben, sie sei kein Apfel, der für ihn am Baum gewachsen sei.

Unterdessen war der alte Wiedenhöfer durch die Bemühungen des Baders wieder zu sich gekommen. Nun lag er in seinem blau- und weißgestreiften Bett, die Hände mit den dicken Adern auf der Bettdecke, unbeweglich. Allmählich konnte er mühsam einige Worte bilden, durch welche er seinen Willen kundtat; die Kölschen tröstete ihn und erzählte, daß der junge Mann fortgegangen sei, um seine Tochter zu holen, weil er doch nun einen Schlagfluß gehabt habe und man nicht wissen könne, wie alles werde. Der Geschworene hörte ihr aufmerksam mit starren Augen zu; in seinem unbeweglichen Gesicht konnte man nichts bemerken von einem Eindruck, den diese Worte machten.

Nun wird sich der Leser erinnern, daß die drei jungen Männer an der Straße bei Langelsheim einem alten Mann zugeschaut hatten, welcher die überfleißigen Blüten eines jungen Apfelbäumchens abknipste. Auf der Höhe des Gartens war ein vornehmer Herr auf- und abgegangen, und der Mann hatte den dreien erzählt, das sei der Hofrat Leibniz aus Hannover.

Leibniz hatte damals im Harz viel zu tun. Im Oberharz hatte man dadurch, daß die Schächte immer tiefer geführt werden mußten, Schwierigkeiten mit der Bezwingung des Wassers bekommen. Es war so, daß man sich sagen mußte, der weitere Bestand der Gruben hänge davon ab, daß man des Wassers Herr werde.

Nun hatte Leibniz einen Plan entworfen, die Kraft des Windes zu benutzen, um die Wasser aus den Gruben zu heben. Er hatte seinen Plan dem Kurfürsten vorgelegt, und der hatte ihn gebilligt und den Beamten auf dem Oberharz Anweisung gegeben, ihm Holz, Eisen und Arbeiter zur Verfügung zu stellen, die er für seine Versuche der Durchführung seines Entwurfs brauchte. So hielt sich damals Leibniz in Zellerfeld auf; er wohnte im Schloß, beaufsichtigte und leitete die Arbeiten; und dabei mußte er denn auch öfters andere Gegenden des Harzes besuchen, denn seine eigentlichen Absichten gingen noch sehr viel weiter als auf bloße Aufhebung eines einfachen Übelstandes. Es kam dazu, daß, weil die Gruben einen für die damalige Zeit großen Ertrag abwarfen, für ihn selber ein bedeutender Gewinn herausspringen sollte, wenn seine Pläne einschlugen. Leibniz war von armem Herkommen und mußte sich abhängig durch das Leben drücken; er hatte hier die Aussicht, eine unabhängige Einnahme zu erhalten, welche ihm ein freies und ungehindertes Arbeiten ermöglichte.

Er war an diesem Tage mit dem Wagen nach Lautenthal gekommen, um den alten Geschworenen zu sprechen. Diesen schätzte er als einen tüchtigen und erfahrenen Bergmann, dessen Rat ihm schon oft geholfen hatte. Als er in die Stube trat, da sah er den alten Mann regungslos im Bett liegen. Der Bader saß neben ihm, die Kölschen legte Holz im Ofen nach.

Leibniz sah, was geschehen war. »Ein Schlagfluß?« fragte er den Bader. Dann ergriff er die Hand des Kranken und fühlte den Puls. Der Kranke bewegte die Lippen und versuchte leise ein Wort zu sprechen.

Leibniz setzte sich auf den Stuhl des Baders, den dieser ihm ehrfurchtsvoll abgetreten hatte, und gebot dem Kranken Schweigen. Dann sagte er: »Ihr müßt Euch schonen. Der Anfall ist nicht schlimm. Ihr dürft jetzt nicht sprechen.«

Der Kranke sah Leibniz angstvoll an, er deutete mit dem Finger auf den Mund, daß er gern sprechen wolle. Leibniz lächelte und sagte: »Nun denn, einen Satz zu sprechen will ich Euch erlauben.« Der Kranke flüsterte: »Ganggestein, ich muß jetzt einen Anbruch finden.«

»Nun gut. Jetzt weiß ich alles,« sagte Leibniz. »Ich sage Euch meine herzlichsten Glückwünsche. Dann wird ja noch alles gut. Aber mehr dürft Ihr nicht sprechen.«

Er sagte: »Ich will Euch auch weiter beruhigen. Durch das Versiegen der Laute habt Ihr nun keine Wasserkraft mehr, um den Gaipel von Sanct Jacob zu treiben. Ihr wißt, daß ich auf dem Zellerfeld Versuche mit der Windkraft anstelle. Ich glaube, ich kann sagen, daß es sich gut anläßt.« Er fuhr tröstend fort: »Wenn es mir glückt, dann seht Ihr Euch die Anlage in Zellerfeld an und stellt hier eine ähnliche auf.« Der Geschworene machte eine ablehnende Handbewegung, eine Träne stand ihm in jedem Auge. Leibniz verstand, was er dachte: »Ich werde das ja nicht mehr können, ich muß sterben; aber mein Werk wird dann doch wieder lebensfähig werden. Das wird nun ein anderer machen. Wie gern lebte ich noch so lange, daß ich das selber machen könnte!«

Um seine Rührung zu verbergen, stand Leibniz auf. Er wischte ein Stäubchen von dem Ärmel seines schwarzen Rockes. Dann bückte er sich über das Krankenlager, ergriff die Hand des Kranken und drückte sie zum Abschied. Die Kölschen öffnete ihm dienstbeflissen die Tür, er begrüßte sie und den Bader und ging.

Nachdenklich ging er durch den kleinen Ort. Er hatte feine Schuhe mit roten Absätzen. Er wich den feuchten Stellen auf der Straße aus und betrachtete sinnend seine Fußspitzen. So ging er beim Pfarrhaus vorbei.

Da kam ein Ruf aus einem Fenster des Pfarrhauses. Er blickte hoch, das fremde Fräulein sah aus einem Fenster. »Ich komme, ich komme,« rief sie und eilte die Treppe hinunter auf die Straße. Er begrüßte sie feierlich, indem er den Hut abnahm und ihre Hand zum Kuß an den Mund führte. »Ihr seid erstaunt, mich in Lautenthal zu sehen, Herr Hofrat?« sagte sie lachend. »Ich wohne hier als Gast bei dem Pfarrer des Orts.« Sie ging neben ihm, er antwortete ihr, der Weg führte aus dem Ort hinaus auf die Höhe. Sie schwatzte und erzählte: »Wie freue ich mich, Euch so plötzlich hier zu treffen! Ihr seid hier wegen der Erfindung? Ja, ich ...« Sie stockte etwas verlegen, dann fuhr sie fort: »Ich bin hier bei dem Pfarrer zu Gaste. Wann haben wir uns das letztemal gesehen? In Hannover, als wir dort waren? Das ist nun wohl ein halbes Jahr her.« Sie seufzte.

»In Hannover war es, Fräulein; Fräulein war mit den Wolfenbüttler Herrschaften dort,« bestätigte Leibniz.

»Weshalb sprechen wir so von fremden und gleichgültigen Dingen!« sagte das Fräulein. »Nun habe ich die Gelegenheit, Euch einmal im Freien zu sehen. Ihr seid mir fast wie ein Vater. Ich will Wichtigeres mit Euch besprechen.« Sie stockte wieder.

Leibniz erwiderte: »Ich weiß, was Ihr mir erzählen wollt, Fräulein. Ich bitte Euch, mir alles zu erzählen. Betrachtet mich als einen Beichtvater. Aber Ihr könnt die Worte nicht über die Lippen bringen. So will ich Euch denn Mut machen, denn ich bin ja ein Mann, noch dazu ein älterer, wenngleich nicht gerade ganz so alt, wie Eure Güte mich machen möchte.« Er lächelte, und auch sie lächelte. Sie lächelte und warf ihm einen schrägen Blick zu: »Also etwas eitel ist der Herr Hofrat auch?« Er antwortete: »Das liebt kein Mann, der noch nicht gerade ein Greis ist, wenn ein schönes Mädchen ihn als Vater betrachtet.« Sie lachte hell und sagte: »Ja, so sind wir wohl. Wir sind nun wohl alle Menschen. Ich habe mir ja oft gedacht: Wenn wir so reine Geister sein könnten ...« – »Das denken sich junge Mädchen so,« sagte Leibniz, »wenn sie von guter Gemütsart sind. Deshalb müßten sie eben heiraten.«

Eine rote Lohe schlug über das Gesicht des Fräuleins. Sie erwiderte: »Nun lebe ich hier zwischen einfachen und harmlosen Menschen, die keine Ahnung von dem haben, das mein Gemüt bewegt. Noch heute habe ich einem jungen Mann fast dasselbe gesagt, was Ihr eben sagt, einem braven Landjunker, für den ich nun ein fremder Vogel bin; ja, hier könnte ich mir vorstellen, daß ich heiratete, einen ordentlichen Mann, der sein Eigentum zusammenhält, und daß ich Kinder erzöge, und dann flögen die Kinder in alle Windrichtungen auseinander, und ich würde alt, und das wäre dann das Leben.«

»Ihr wollt mir beichten; vielleicht muß ich Euch Mut machen und selber mit einer Beichte beginnen,« sagte Leibniz. »Seht, Fräulein, es ist wohl kein Zufall, daß wir uns so vertraut geworden sind. An dem dummen Hof waren wir wohl die beiden einzigen, die Verstand hatten.«

»Meint Ihr, daß sie dumm sind?« fragte das Fräulein und blieb stehen.

»Sie sind dumm. Sie sind immer dumm,« bestätigte Leibniz. »Seht, Fräulein, Ihr habt das noch nicht eingesehen, dazu seid Ihr noch zu jung. Wem höhere Gaben verliehen sind, der hat mehr zu tragen. Ich weiß es noch wie heute: fünfzehn Jahre war ich alt, ich ging im Rosental bei Leipzig, da kam mir der Gedanke: ›Ja, nun glauben die Menschen, sie können die Welt mechanisch erklären. Da läuft ein kleiner Hund. An jeder Ecke schnüffelt er und hebt das Bein. Begegnet ihm ein andrer Hund, dann kratzt er mit den Hinterpfoten den Sand, bellt, schnüffelt, und entweder knurrt er, indem sich ihm die Haare auf dem Rücken sträuben, und vom Knurren kommt es zum Beißen, oder die beiden Hunde gehen im Kreis umeinander herum, beriechen sich, kratzen befriedigt wieder den Sand und laufen voneinander. Cartesius sagt, daß die Tiere Maschinen sind. Hat er denn nie so ein Hündchen gesehen? Weshalb sagt er denn nicht, daß auch die Menschen Maschinen sind? Das wagt er nur nicht zu sagen. Ach, die Welt ist geordnet, nach einem wunderbaren Plan geordnet. Die Welt ist schön, sie ist gut; so schön und so gut ist sie. Wie kann man das nur nicht sehen!‹ Ich ging wie auf Wolken, als ich das eingesehen hatte, daß die Welt schön und gut ist, weil sie nach einem Plan geordnet ist. Ich hätte alle Menschen umarmen mögen, die da gingen; ich hätte sie an die Hand fassen mögen und ihnen das Hündchen zeigen, das nun wieder zufrieden und selbstbewußt seines Weges trottete. Ja, und dann sagten mir die Professoren auf der Universität, ich sei zu jung und ich habe noch nicht die Reife, das glaubte ich ihnen auch; ich kam gar nicht auf den Gedanken, daß sie dumm sein könnten. Jetzt bin ich nun vierzig Jahre alt ..., wartet, Fräulein: vor zwei Jahren bin ich zum erstenmal auf den Gedanken gekommen, daß die Menschen dumm sind. Da war ich achtunddreißig. Ich bin aber früh entwickelt. Vielleicht haben es andere erst sehr viel später eingesehen.«

»Ihr seid ein Mann, ich bin ein Mädchen,« sagte seufzend das Fräulein. »Ihr könnt allein stehen, ein Mädchen –‚« sie wurde wieder rot, »ein Mädchen kann nur durch den Mann zu sich selber kommen.«

»Das scheint wahr zu sein,« erwiderte Leibniz. »Aber ein Mann kann gleichfalls nicht durch sich selber zu sich selber kommen. Ich bin noch nicht zu mir gekommen. Ich weiß nicht, ob ich je zu mir kommen werde.« Er dachte eine Weile nach. Dann fuhr er fort: »Die Menschen sind ja so voneinander getrennt. Sie verstehen sich ja nicht, auch wenn einer dem andern alles sagt, was er sagen kann. Deshalb will ich Euch einiges von mir mitteilen; das werdet Ihr auch nicht verstehen; aber es wird Euch doch vielleicht helfen, daß Ihr Euch selber versteht. Seht Ihr, da ist zunächst das Äußere. Ich bin arm. Aber wenn einer denken will, oder vielleicht sage ich richtiger: dichten will, dann muß er den Geist frei haben und darf nicht müssen daran denken: wie bezahlst du morgen die Stubenwirtin und übermorgen den Mittagswirt. Nun ist für einen armen Mann die einzige Möglichkeit, daß er in Dienst geht. Ich will nicht über meine Herrschaften klagen. Das wäre unrecht, wenn ich das täte. Aber es ist nun so: wenn einer Diener ist, dann nimmt ihm Gott einen Teil seines Geistes, und wenn er Herr ist, dann nimmt er ihm einen Teil seiner Seele. Jetzt mühe ich mich ab mit einer Erfindung. Wenn sie mir glückt, dann bin ich frei, dann brauche ich nicht zwischen den andern Menschen zu leben, sondern kann ein Haus auf dem Lande haben in der Nähe einer großen Bibliothek, und da kann ich denn meine Arbeiten machen.«

»Ja,« sagte das Fräulein, »das habe auch ich schon verspürt. Drei Dinge können einem das Leben schwer machen, wenn man – nun, wenn man ein Mensch ist wie Ihr, wenn einer in niedrigem Stand geboren ist, wenn er krank ist und wenn er kein Geld hat. Nun, das erste überwindet sich am leichtesten. Ein jeder Mensch gilt schließlich, was er ist, wenn er nicht gänzlich unfähig ist, sich selber darzustellen. In Krankheit des Körpers schickt man sich, wie man sich auf die Mangelhaftigkeit eines Handwerksgeräts einrichtet, mit dem man schaffen muß. Aber wenn man kein Geld hat, dann verlangen die andern Menschen, daß man ein Sklave sein soll, daß man eine Sklavenseele haben soll.« Ihre Augen blitzten. Sie fuhr fort: »Das möchten die Menschen ja immer verlangen. Aber wenn man Geld hat, dann wagen sie nicht, das Verlangen zu äußern.«

»Mein liebes Kind,« sagte Leibniz, indem er seine feine Hand dem Fräulein auf den Arm legte, »ich weiß, was Euch bewegt, auch ohne daß Ihr es mir gesagt habt. Schon für einen stolzen Mann ist das Leben schwer. Ich kann mir gar nicht ausdenken, wie schwer es für ein stolzes Weib ist, das –«

»Nun, das seine weibliche Aufgabe erfüllen möchte. Ihr versteht das. Aber Ihr könntet ja auch mein Vater sein. Würdet Ihr es schon verstanden haben, als Ihr in den Jahren wart, die zu mir paßten? Da sind wohl die Grenzen des Mannes.«

»Vielleicht solltet Ihr sagen: die Grenzen des Fürsten,« erwiderte Leibniz.

»Des Fürsten?« fragte das Fräulein nachdenklich. »Wenn das richtig wäre, dann brauchte ich mich nicht zu schämen, daß ... Dann wäre meine Wahl nicht auf einen Menschen geringerer Art gefallen, sondern es wäre eine Schicksalsverknüpfung.«

»Des Fürsten, wenn er seinen Beruf so auffaßt, wie Gott will,« vollendete Leibniz. »Der Fürst kann keinen Freund haben, keinen gleichberechtigten Ratgeber, sondern nur Dienstboten. Er kann auch nicht das Glück genießen, sich in einer Liebe ganz zu verschenken, eins zu werden mit einem andern Wesen; sondern er kann nur eine Geliebte haben, ein Spielzeug.«

»Ich könnte kein Dienstbote sein, ich kann kein Spielzeug sein,« rief das Fräulein mit blitzenden Augen.

Leibniz zuckte die Achseln. Er sagte: »Ein Mann will etwas schaffen. Etwas –, was ist das? Ich weiß es nicht. Nun, da nimmt er auf sich, was dazu nötig ist. Ein Mann weiß, daß das Mittel wollen muß, wer den Zweck will. Ja, vielleicht glücken meine Versuche.«

»Ich war auf der Staufenburg, ehe ich nach hier kam,« erzählte das Fräulein. »Da hat vor anderthalb hundert Jahren Eva von Trott gewohnt. Ich habe ihre Geschichte erkundet, bei alten Leuten am Hof und auf der Staufenburg. Sie war keine braunschweigische Untertanin, ihre Familie stammte aus Hessen, aber ihre Verwandten hatten schon in braunschweigischen Diensten gestanden. Ein Bruder von ihr hatte dem Herzog das Leben gerettet und verlor dabei selber das Leben. Das war wohl so Dienstbotenpflicht.«

Leibniz unterbrach das Fräulein: »Weshalb seid Ihr so bitter? Er war ein Diener und starb für seinen Herrn. Er war ein treuer Diener. Wenn sein Herr ein treuer Herr war, dann waren beide vor Gott gleich.«

»Vor Gott – ja,« sagte das Fräulein gedehnt.

»Ihr wißt von dem Diener, weil Ihr aus seinem Stande seid,« erwiderte Leibniz. »Aber Ihr wißt nicht vom Fürsten. Weshalb seid Ihr bitter?«

»Ihr habt wohl recht. Ich muß mich schämen,« erwiderte das Fräulein.

»Ihr wolltet von Eva von Trott erzählen,« sprach Leibniz.

»Ja, von Eva,« sagte das Fräulein. »Ich habe eine alte Aufzeichnung ihrer Geschichte gelesen. Sie war fünfzehn Jahre alt, ein stark, wohlgebildet, gesund Mensch und ein züchtig, wohlerzogen Maidlein, wie der alte Schreiber erzählt, da trat sie als Hoffräulein in Wolfenbüttel in den Dienst der Herzogin. Der Herzog Heinrich faßte eine Liebe zu ihr, und sie war nun eben fünfzehn Jahre alt, und nach einem Jahr nahm sie Urlaub und fuhr nach der Staufenburg, und dort gebar sie heimlich einen Sohn, dem gab sie den Namen Heinrich Teuerdank, dann kehrte sie unbefangen wieder an den Hof zurück. Wir Frauen können uns ja verstellen, wenn wir wollen. Noch zweimal hat sie die Reise gemacht und Kinder geboren. So ging das Liebesverhältnis sieben Jahre lang, aber da kam es doch auf, denn wenn zwei sich lieben, das bleibt ja nie verborgen, und so erfuhr es auch die Herzogin, und ihre Angehörigen in Hessen erfuhren es auch. Da beschloß der Herzog, sie ganz den Augen der Menschen zu entziehen. Es nahte ihre vierte Niederkunft. Da verbreitete sie am Hofe, sie wolle den Dienst aufgeben und zu ihren Eltern zurückkehren. Auf der Reise erkrankte sie in Gandersheim, wo sie in der Burg bei dem alten Amtmann des Herzogs wohnte. Die Krankheit stieg schnell, und es machte den Eindruck, daß das Fräulein von der Pest befallen sei. Da wird denn nun geräuchert, und dann heißt es, daß sie gestorben ist; es wird schnell ein Sarg gebracht und fortgetragen und in die Erde gegraben. Inzwischen aber reist das Fräulein verkleidet mit einer Vertrauten zur Staufenburg, und da hat sie dann neun Jahre gelebt. Das Tor der Burg war verschlossen und die Brücke hochgezogen, kein Fremder durfte hineinkommen, sie war nur mit den Dienstboten zusammen, welche einen Schwur hatten tun müssen. Da hat sie denn noch fünf Kinder bekommen, die pflegte sie und zog sie auf, und ihre Tage verbrachte sie mit den Kindern und indem sie in fürstlicher Kleidung in ihren Gemächern oder in dem Burggärtchen auf und ab ging. Der Herzog kam geritten und besuchte sie, wenn er konnte, ohne Aufsehen zu erregen; aber das geschah nur selten. Da ist sie denn oft schwermütig gewesen und hat zu ihren Dienerinnen gesagt, nur wegen ihrer Kinder möge sie so leben; wenn aber der Herzog kam, dann war sie immer heiter, und er freute sich. Ja, sie war ein Spielzeug für den Herzog.«

Leibniz erwiderte: »Sie hat gesagt: Nur für ihre Kinder möge sie so leben. Das ist nun das Schicksal des Weibes. Das ist auch die Erfüllung des Weibes. Ihr denkt an die Frau. Aber ich denke auch an den Herzog. Der hatte sie nun lieb und hatte auch wohl die Kinder lieb, denn sonst hätte er nicht das alles auf sich genommen; und nun durfte er nur selten und heimlich kommen, und mußte in Wolfenbüttel mit seinem Hof leben und in Geschäften, und ein heiteres Gesicht zeigen, und auch seiner ehelichen Gattin immer ein heiteres Gesicht zeigen. Er wußte, daß er unrecht tat, indem er seiner Liebe nachgab; und er tat ein schweres Unrecht an Eva; denn er war ein Fürst, der doch Hüter des Rechts sein soll. Fräulein, Fräulein, jetzt seid Ihr noch ein Mädchen, da hat sich die schönste Gabe des Weibes noch nicht in Euch entwickelt, die Liebe. Denkt nicht an Euch, denkt nicht, daß Eva nur ein Spielzeug war, denkt auch an den Herzog. Und ich glaube auch, daß Eva ihren Ausspruch nur einmal in einem zufälligen Unmut getan hat. Sie durfte doch einen Mann glücklich machen und ihre Kinder aufziehen.«

»Ihr meint, daß meine Wünsche über die dem Weib gesteckte Grenze hinausgehen?« fragte das Fräulein.

»Mein liebes Kind, Ihr seid sehr klug, Ihr seid sehr gut, und ich weiß nicht, was Euch fehlt, wenn es nicht das ist, daß Ihr nicht durch Geburt an die Stelle gesetzt seid, für welche Eure Eigenschaften Euch passend machen. Ich werde mir nie erlauben, Euch eine Vorhaltung zu machen; dazu steht Ihr mir zu hoch. Wenn ich mit meinem Urteil recht habe, dann ist Eure von Gott gestellte Aufgabe die, innerhalb der Grenzen, in denen Ihr lebt, die Ihr nicht überschreiten könnt, mit Euren Fähigkeiten zu wirken, mit denen Ihr in weiteren Grenzen wirken könntet. Ihr könntet einmal eine Mutter eines Landes werden, wenn ich nur Eure Fähigkeiten betrachte ...«

»Ja,« sagte das Fräulein heftig.

»Aber Ihr seid nur von niederm Adel. Die Grenzen hat Gott gesetzt. Wer sie überschreitet, der zerstört die Welt, denn er zerstört die Ordnung, in welcher allein die Welt leben kann.«

»Ihr habt recht. Ihr habt recht. Ihr habt wie ein kluger Beichtvater gesprochen. Ich verspreche Euch, daß ich nach Eurem Rat leben werde, den Ihr mir gesagt habt; und auch nach dem‚ den Ihr nicht mit Worten ausgedrückt, sondern verschwiegen habt.«

Leibniz nahm das Händchen des Fräuleins in seine schlanke und durchgebildete Hand und führte es achtungsvoll an die Lippen.

Indessen dieses geschah, kam ein reitender Bote aus Wolfenbüttel mit Briefen in unserer Gegend an und brachte auch an den Pfarrer einen Brief vom Konsistorium. Der war von einem Vorgesetzten, welcher dem Pfarrer immer wohlgesinnt gewesen war. In dem war geschrieben, daß in Anbetracht der bekümmerten Umstände der Gemeinde Lautenthal, wo denn auch der Pfarrer in eine schwierige Lage gekommen sein werde, das Konsistorium bei dem Herzog vorstellig geworden sei und dem Pfarrer eine außerordentliche Gabe von zehn Talern aus herzoglicher Kasse erwirkt habe. Diese zehn Taler brachte der Bote mit und zahlte sie gegen Empfangsbescheinigung aus.

Der Pfarrer hatte den Brief gelesen, der Bote hatte die zehn Taler auf seinen Schreibtisch aufgezählt und seine Bestätigung in Empfang genommen, und dann war er gegangen. Nun rief der Pfarrer seine Frau in seine Stube, führte sie zu dem Schreibtisch und zeigte ihr die zehn Taler, die da aufgezählt lagen. Es waren blanke neue Taler; weil gerade der junge Herzog Anton Ulrich volljährig und seines Bruders Mitregent geworden war, so war auf den Talern nicht ein einzelner wilder Mann geprägt, sondern es standen da zwei wilde Männer mit Bäumchen, die ineinander verflochten waren. Die Frau Pfarrerin sah das viele Geld liegen, sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen vor Erstaunen und Schreck, und da erklärte ihr denn ihr Mann, daß das ein Geschenk des allergnädigsten Herrn Herzogs war oder vielmehr der beiden Herren Herzöge. Der Pfarrerin kamen die Tränen. Sie sagte: »So sorgt Gott für die Seinen. Wie viele Gedanken habe ich mir gemacht, wenn ich nachts schlaflos lag! Da hat nun Gott für mich gedacht!« Der Pfarrer nahm seine Frau an den Arm und führte sie zu einem Bild des Gekreuzigten, das da an der Wand hing; die beiden knieten und richteten ein Dankgebet an Gott.

Aber der Brief, den der Gönner des Pfarrers geschrieben, hatte noch einen Nachsatz. Der war ganz vertraulicher Natur. Der Pfarrer schwankte zuerst, ob er ihn seiner Frau mitteilen dürfe, aber dann bedachte er, daß ja Mann und Weib eines sind und keine Geheimnisse voreinander haben dürfen, und daß sein Gönner in Wolfenbüttel als Geistlicher das doch auch wisse, seinen Brief also in der Annahme geschrieben haben werde, daß auch die Frau den Inhalt erfahre. Der Nachsatz besagte aber folgendes.

Es war da ein vornehmes Fräulein, das sehr schön, sehr klug und eine gute Christin war und von allen Leuten auf das höchste verehrt wurde. Der Herr Geheimrat, welcher die Geschicke des Herzogtums leitete, wollte sie gern nach dem Tode seiner Frau, die ihn allein mit drei unerzogenen Kindern zurückgelassen, zu seiner Gattin machen. Das Fräulein hatte gesagt, sie wolle eine Reise an den Harz unternehmen, um den schönen Frühling zu genießen, und zunächst zur Staufenburg gehen. Nun hatte ihr der Herr Geheimrat seinen treuen Diener mitgegeben, auf den er sich ganz verlassen konnte. Der Herr Geheimrat war ja nun wohl ein reifer Mann und dachte sich, daß ein junges Ding so allerhand Vorstellungen im Kopfe hat, denen ein vernünftiger Mann nachgeben muß, wenn er seine Absichten erreichen will, nur daß er alles so einrichtet, daß dem jungen Ding kein Schaden geschehen kann. Dieser Diener gab nun immer geheime Nachricht nach Wolfenbüttel, so daß der Herr Geheimrat wohl beruhigt wurde; aber da er des Schreibens nicht recht kundig war, so waren seine Mitteilungen immer nur recht kurz. Nun wollte der Herr Geheimrat gern eine ausführliche Darstellung über das Ergehen des Fräuleins haben; und so ließ er denn den Pfarrer bitten, einmal nach der Staufenburg zu gehen, dort Erkundigungen einzuziehen und dem Herrn Geheimrat zu schreiben.

»Das ist unser Fräulein,« sagte der Pfarrer; »und ich kann gleich meinen schuldigen Brief aufsetzen und ihn dem Boten mitgeben, der inzwischen in der Küche wartet. Da muß ich dich nun bitten, mich allein zu lassen, denn der Brief will wohl überlegt sein.«

Die Pfarrerin sagte ihm: »Ich will mich nicht in deine Sachen mischen, aber ich rate dir, nichts von der Wünschelrute zu schreiben. Du weißt nicht, wie der Herr Geheimrat über solche Dinge denkt, und auch viele Geistliche denken ja über die Rute anders als du. Deshalb kannst du das ruhig mit Stillschweigen übergehen. Und sonst kannst du das Fräulein doch nur loben.«

Das schien dem Pfarrer nun richtig zu sein, und nachdem seine Frau gegangen, setzte er einen Brief an seinen Gönner auf und dankte für die Gabe, welche er vermittelt, für welche er den Dank außerdem auch noch den Herren Herzögen sagen wollte; und dann kam er auf das Fräulein zu sprechen, erzählte, daß sie in seinem eigenen Haus herberge, und berichtete, daß sie gesund sei und heiter, und daß er viele Gespräche mit ihr führe; und so berichtete er, was ihm zu berichten wichtig schien. Den Brief faltete er und siegelte ihn, und dann ging er zur Küche hinunter, wo der Bote wartete, und übergab den Brief mit einem kleinen Silberstück als Trinkgeld.

Dieses geschah, während das Fräulein das lange Gespräch mit Leibniz hatte. Als sie sich von Leibniz getrennt und wieder zum Pfarrhaus gekommen war, da war der Bote schon wieder abgeritten.

Aber nun war es, daß der Junker Thilo sie zu dem besprochenen Ritt nach Gittelde abholte. Sie berichtete den Pfarrersleuten über die Absicht, indessen der Knecht das Pferd sattelte, und dann ritten die beiden los, hinter sich wieder den steif und ernst auf dem Pferd sitzenden Diener mit dem lang flatternden Schnurrbart.

Nun war es wieder ein schöner Frühlingstag, die Bäume blühten, und der Himmel war blau mit einigen kleinen weißen Wölkchen, die Wintersaat stand spannenhoch und wellte sich leicht im frischen Frühlingshauch, und die Sommersaat spitzte schon. »Mit allen meinen Sinnen nehme ich das auf,« rief das Fräulein glücklich. »Wie schön ist das alles.« Thilo sah sie verwundert an, dann stimmte er ihr bei; und so gingen denn die Pferde im Schritt und trabten, und des Fräuleins Wangen röteten sich in der frischen Frühlingsluft, und ihre Augen blitzten.

Thilo hatte ihr gestern in seines Herzens Fröhlichkeit zwar unbedacht gesagt, er wolle sie zu seiner Braut bringen; aber nun war ihm inzwischen klar geworden, daß da doch eine dumme Lage entstehen konnte, wenn er mit der Fremden bei seiner Braut ankam, denn er hatte doch kein reines Gewissen. So war er denn etwas beklommen, während er neben dem schönen Mädchen herritt; hätte er als ein Dritter sich und das schöne Mädchen sehen können, so wäre er wohl noch beklommener geworden, denn er hatte wohl ein gutmütiges, offenes Gesicht und eine kräftig gedrungene Gestalt, aber das Fräulein war schlank und biegsam mit großen, dunkel leuchtenden Augen, wie ein fremdes Wesen in dieser Welt, in welche er selber durchaus hineingehörte. Das Fräulein spürte seine Verfassung, und sie biß sich auf die Unterlippe, um nicht über den guten Thilo zu lachen; aber in ihrer Lustigkeit verlangte sie nun von ihm, daß er ihr seine Braut beschreibe. Sie fragte: »Sieht sie aus wie ich? Ist sie größer? Ist sie kleiner? Wie sind Augen und Haar?« Bei Thilo tauchten hinten in weiter Ferne wieder die unziemlich verliebten Gedanken auf, die er mit Anstrengung verscheuchen mußte, denn nunmehr wurde ihm auch ihre Lächerlichkeit klar. Aber da ihn das Fräulein nun so genau fragte, da mußte er sich das Bild seiner Braut recht lebendig vorstellen, um die Fragen beantworten zu können, und das ging schwer, denn die lebendige Gegenwart des reizenden fremden Mädchens schob sich immer vor das Bild. So kam es denn, daß er aus Verlegenheit zu schwitzen begann; und das Fräulein, welches alles wohl merkte, fragte ihn mit gespielter Besorgnis, ob er sich vielleicht nicht wohl fühle und ob ihn nicht das Reiten etwa anstrenge.

Nun waren sie schon über Seesen hinaus. Da lag Mönchshof, und da lag auch die Staufenburg. Das Fräulein hob den Arm und winkte mit der Hand hinauf. Da rief sie plötzlich erschrocken: »Der Sattel rutscht.« Das gute Pferd stand still, sie glitt geschickt vom Sattel zur Erde.

Thilo und der Knecht sprangen zur Hilfe. Die Zunge an der Schnalle des Bauchriemens hatte sich verbogen und war dadurch aus dem Loch herausgeglitten. Der Knecht machte sich am Zeug zu schaffen, der Junker hielt die drei Pferde, und das Fräulein sah der Tätigkeit des Knechtes zu.

Da ging barfüßig eine junge Magd vorbei und betrachtete neugierig die Gruppe. Als sie vorübergegangen war, begann sie plötzlich zu laufen. Sie lief nach Gittelde hinein, stürmte zu dem Fräulein Koch ins Haus und rief schon im Flur: »Fräulein Koch‚ Fräulein Koch, der Junker Thilo kommt, und er bringt eine wunderschöne Dame mit.«

Da war es, als ob das Fräulein Koch einen Stich ins Herz erhielte, als das arglose Mädchen das mit der wunderschönen Dame schrie. Sie sagte: »Was ist das für dummes Zeug, Phiechen, schwatze nicht so dumm und geh an deine Arbeit.«

Phiechen aber erwiderte, und die Tränen standen ihr in den Augen: »Wenn ich sie doch aber gesehen habe! Es war gerade an dem Weg, der zur Staufenburg abgeht. Und so schön ist das Fräulein, so etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.«

Eva strich sich hastig mit den Händen über Haar und Kleid, dann eilte sie aus der Tür, die Treppe hinauf, in ihr Schlafzimmer, wo alle ihre Kleider sauber und ordentlich verwahrt im Schrank hingen.

Sie besah sich im kleinen Spiegel. Das Haar war in Ordnung, zwei flachsene Zöpfe, die in anmutigen Ringen über die Ohren gelegt waren. Aber pfui! Sie war durch die Erregung ganz rot geworden! Sie mußte sich bezwingen. Da sah sie durch das Giebelfenster auf den Weg nach Seesen hinaus; richtig, in weiter Ferne konnte sie an der Wegkreuzung nach der Staufenburg deutlich drei Pferde erkennen und Thilo, welcher sie hielt, und konnte die Gruppe des Knechtes und des Fräuleins sehen.

Schnell schloß sie den Schrank auf. Da war ein grauseidnes Kleid mit Schleppe, es stammte noch von der Urgroßmutter, und vor wenigen Wochen hatte sie es für sich wieder zurechtmachen lassen. Das Kleid stand ihr am besten. Schnell knöpfte sie die Jacke auf und legte sie ab, band den Rock auf, ließ ihn fallen und stieg aus ihm heraus. Nun knisterte die schwere Seide um sie. Sie hakte den Bund zu, mit zitternden Händen, gelegentlich einen Blick auf die ferne Gruppe werfend. Da hatte sie einen Haken in die falsche Öse gehakt; sie stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf, der Bund saß schief. Sie hakte wieder los und bezwang sich, daß sie ruhig und besonnen blieb. Die Gruppe hatte sich noch nicht verändert. Sie sah am Kleid nieder. Die Falten fielen tadellos. Sie drehte sich und sah nach der Schleppe. Sie eilte zur Tür und rief nach Phiechen. Phiechen kam und schlug in die Hände vor Entzücken über den schönen Rock; aber Eva fuhr sie an: »Schnell, sieh nach, ob es hinten richtig fällt.« Langsam betrachtete Phiechen sich den Fall des Kleides, dann fand sie, daß er richtig war. Eva sah durch das Fenster. Alles unverändert, Gott sei Dank. Noch einmal einen Blick in den Spiegel wegen der Haare. »Sitzen die Haare hinten auch ordentlich?« fragte sie Phiechen. Phiechen betrachtete umständlich die Haare, dann fand sie‚ daß sie ordentlich saßen, aber man könnte sie vielleicht noch mit etwas Wasser glatter machen. »Du bist eine Gans,« sagte ihr Eva; da standen Phiechen die Tränen in den Augen, und sie sagte: »Das Feine verstehe ich doch nun nicht so.« Schnell nahm Eva die Jacke auf; sie war mit Schößen gearbeitet, die aufgeschlitzt waren. Phiechen half ihr in die Ärmel, sie half auch der Ungeduldigen beim Zuhaken. Die Gruppe war noch immer an derselben Stelle. Die Schöße waren mit weißen Schnüren umsäumt. »Die weißen Schnüre passen gut zu dem Grau, nicht wahr?« fragte Eva, und Phiechen nickte bewundernd mit dem Kopf. Nun kam der Gürtel, ein weißseidner Gürtel mit vergoldetem Schloß. Den legte Phiechen um, sie mußte stark anziehen. Eva sah inzwischen an sich nieder, zupfte das Kleid in neue Falten. Sie zog den Schlüsselbund vom Schrank ab und öffnete die Truhe. Eilig wühlte sie, da hatte sie den Spitzenkragen. Sie warf ihn über. »Sitzt er richtig, die Spitze gerade in der Mitte?« fragte sie Phiechen. Phiechen zupfte, sie stellte sich nahe, sie stellte sich ferner, zupfte noch einmal mit unbegreiflicher Langsamkeit. »Schneller, schneller, Phiechen,« rief Eva. Phiechen sagte ängstlich: »Ich glaube, er sitzt.« – »Nun noch eine Nadel, um vorn den Kragen zusammenzustechen,« sagte Eva. Durch das Fenster sah sie, daß Thilo eben das Fräulein auf das Pferd hob. Sie riß das Schmuckkästchen auf, mit zitternden Händen zerrte sie die Nadel vor, sie knickte in die Knie, um alles im Spiegel zu sehen, und steckte die Nadel fest. Da saß sie. Nun das Schmuckkästchen in die Truhe, die Truhe abgeschlossen, den Schrank abgeschlossen, da setzten sich die drei auf ihren Pferden in Bewegung. Eva lief die Treppe hinunter, sie riß die Tür zur Wohnstube auf, da stand ein Stickrahmen, davor ein Stuhl. Sie setzte sich und nahm hastig eine Nadel, hinter der noch der Faden herschleppte. »Ich bin noch ganz rot,« dachte sie, »das steht mir nicht zu meiner Haarfarbe.« Sie steckte die Nadel wieder fest und lauschte nach außen. Da hörte sie Pferdegetrappel. Dann waren Stimmen, sie hörte den Klopfer am Haustor auf seine Platte fallen.

Da erhob sie sich, sie nahm die Schleppe in die Hand und rauschte streng und würdevoll aus dem Zimmer zum Haustor. Der Hofmeister war eben dabei, den Balken zurückzuschieben und die Flügel aufzuziehen. Sie trat in die Türöffnung und stand da im schleppend schweren grauen Seidenkleid mit weißem Spitzenkragen und Spitzenaufschlägen, das flachsene Haar in Schneckenringen vor den Ohren, das zarte Weiß des Gesichtes etwas gerötet.

Der Diener war abgesessen und führte sein Pferd an der Hand; er war es, der geklopft hatte. Der Junker und das Fräulein saßen noch auf den Pferden und sahen auf das Mädchen im Torweg.

»Eure Braut ist schön,« sagte das Fräulein unwillkürlich bewundernd zu Thilo; Eva hörte die Worte, und eine Welle helleren Rotes flog ihr über das Gesicht vor Stolz. Thilo schien verlegen. Plötzlich war die Fremde abgesprungen und hielt Eva umarmt; da küßten sich die beiden auf die Wangen.

Nun stieg auch Thilo ab; Eva machte sich aus der Umarmung der Fremden frei und gab dem Hofmeister, welcher das Tor geöffnet, Anweisung, mit dem Diener, der die Pferde hielt, um das Haus herum zum Stall zu gehen. Dann nahm das Fräulein Evas Arm, und die beiden Mädchen gingen mit schnellen Schritten über die Diele die Stufen hoch zum Wohnzimmer. Thilo folgte.

»Hier ist es wohnlich,« sagte die Fremde, als sie eingetreten waren. Die Sonne schien gerade durch die beiden Fensterchen auf das warme braune Getäfel der Wand, die Stühle luden behaglich zum Sitzen ein und der Tisch zum Aufstützen der Arme und freundlichem Gespräch. Eva warf ihre Schleppe herum, die Fremde sah auf die Schleppe nieder, sie dachte an Phiechen, wie die gelaufen war, und der Zusammenhang des Empfangs in dem kostbaren Kleid wurde ihr klar; belustigt zuckte es ihr um Mund und Augen; Eva spürte, daß die Fremde etwas gemerkt hatte, da spürte auch sie das Lustige der Lage und lachte, und nun lachten die beiden Mädchen zusammen.

Thilo hatte sich ja wohl über die kostbare Kleidung gewundert‚ aber er war weit davon entfernt, den Zusammenhang zu ahnen; so konnte er auch die Lustigkeit der beiden Mädchen nicht verstehen und blickte nur ratlos von der einen zur andern. Das erhöhte nun die Lustigkeit; die beiden mußten noch mehr lachen, und die Fremde warf sich lachend auf den Stuhl, der vor dem Stickrahmen stand. Hier sah sie die flüchtig eingesteckte Nadel, sie verstand, daß Eva sich hier gesetzt hatte, um unbefangen zu tun; Eva war ihren Blicken gefolgt; sie fühlte, daß sie auch hier erkannt war, und als nun die Fremde einen neuen Lachanfall bekam, da mußte auch sie von neuem lachen.

Nun nahm Thilo das Wort, weil er es doch für richtig hielt, daß alles nach seiner Form ging. Er sagte zu Eva: »Ich wollte gern, daß das Fräulein dich kennenlernt, sie wohnt bei dem Pfarrer von Lautenthal, sie ist Fräulein von Glück.« Da reichte das Fräulein Eva über den Tisch die Hand und sagte: »Nun kennt Ihr mich also.«

Es entstand eine Pause, weil durch die Förmlichkeit Thilos die vorige Heiterkeit abgerissen war. Da sagte Eva plötzlich zu dem Fräulein: »Ich will Euch meine Schmucksachen zeigen, kommt mit mir nach oben.« Während sie so sprach, war sie aufgestanden, die Fremde auch, die beiden hatten sich eingehakt, und nun gingen sie mit flüchtigem Kopfnicken zurück auf Thilo aus dem Zimmer, den armen Jüngling in betroffenem Zustand zurücklassend. Der trat nun an das Fenster und sah verloren auf die Straße hinaus, auf der sich die Hühner herumtrieben, welche sich zuerst über die Hinterlassenschaft der Pferde gemacht hatten und nun dachten, ob nicht noch mehr zu picken sei.

Als die beiden Mädchen oben im Schlafzimmer Evas allein standen, wo noch die Stühle verrückt und das Bett eingedrückt waren, da faßte Eva mit beiden Händen die Arme der Fremden, stellte sich gerade vor sie hin und sagte: »Ihr seid auch schön. Ihr seid schöner als ich. Aber die Menschen müssen nun verschieden sein. Ich war eifersüchtig gewesen, als Phiechen gelaufen kam und mir zuerst von Euch erzählte.« Nun stieg auch der Fremden die Röte ins Gesicht. Sie sagte: »Ich muß Euch danken. Ihr seid gut. Aber wir sind nun zwei Mädchen, wollen wir uns nicht du nennen?« Da umarmten sie und küßten sich.

Eva schloß ihre Truhe auf und nahm das Schmuckkästchen heraus. Das öffnete sie und zeigte der Fremden ihre Schmucksachen.

Da war ein Kreuz mit Karneolen; sie streifte den spitzenbesetzten Ärmel zurück und legte es auf den Arm; man mußte es tragen, wenn man ein ausgeschnittenes Kleid trug, es mußte auf der Haut liegen. Da war eine Kette von weißen Korallen; die Mädchen ließen die warmen und geschmeidigen Kugeln durch die Hand gleiten und freuten sich der schönen Farbe und des angenehmen Gefühls. Eva erzählte die Geschichte der Stücke: dieses hatte die Urgroßmutter als Braut geschenkt bekommen, jenes war die Gabe eines Fürsten an die Frau seines Obristen; die Fremde zog einen Ring heraus mit einem Topas, bewunderte und verglich ihn mit einem eignen Ring, sie steckte ihn an den Finger und zog ihren eignen Ring ab. Ein Armband war da, das war als Schlange gebildet, die in ihrem Maul einen leuchtenden Saphir trug; Eva legte es um und ließ den Saphir blitzen; und so suchten und kramten, lachten und erzählten die beiden Mädchen und steckten die Köpfe zusammen.

Plötzlich rief Eva: »Was ist denn das für ein Ring? Den kenne ich ja gar nicht! Der gehört mir ja gar nicht! Den hast du wohl heimlich zu meinen Sachen gelegt?« Die Fremde lachte, sie lachte und hielt sich die Hände vor die Augen vor Lachen. »Solch ein schöner Ring!« rief Eva entzückt. »Das ist ein Smaragd, der Stein! Solch ein schöner Smaragd; solch einen schönen Smaragden habe ich noch nie gesehen, so klar!« Sie steckte den Ring an den Finger und hielt die Hand prüfend in die Höhe der Augen. »Ja, jetzt erinnere ich mich, du hast den Ring eben noch am Finger gehabt,« sagte sie. Nun nahm sie den Ring zwischen zwei Finger und wollte ihn der Fremden wieder anstecken, aber die legte die beiden Arme auf den Rücken und lachte; sie sagte: »Den Ring habe ich dir geschenkt. Dir macht er Freude. Ich habe viele solche Schmucksachen, mir macht der Ring nicht so viel Freude wie dir.« Eva verstummte vor Glück und wurde rot, sie sah glücklich den Smaragdring an. Plötzlich rief sie aus: »Dann sollst du auch einen Ring von mir haben, meinen schönsten, den will ich an deinem Finger sehen, für mich ist er zu schön.« Damit suchte sie und suchte; sie fand nicht; aber als sie zufällig auf die Hand der Fremden blickte, da hatte die den Ring schon am Finger; es war der Topasring. Da lachte sie und sagte: »Du hast ihn ja schon genommen! Aber nun mußt du ihn auch behalten.« Die Fremde ergriff den Ring, um ihn abzuziehen; aber da sagte Eva: »Dann werde ich böse.« Nun legte die Fremde den Arm um Evas Hals und küßte sie auf den Mund.

So besah jedes der Mädchen den neuen Ring; dann lachten sie beide gleichzeitig auf, umarmten und küßten sich wieder.

Unterdessen war Thilo die Weile lang geworden, und die drei Hühner auf der Straße fesselten ihn nicht mehr. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und war in dem rings getäfelten braunen Stübchen auf und ab gegangen. Dann hatte er die Tür geöffnet und war durch die Hinterpforte des Hauses in den Hof hinabgestiegen.

Da war nun in der Mitte der reinliche, goldgelbe Strohmist gebreitet; an allen vier Seiten der Mistgrube waren Stangen angebracht, und auf dem Mist standen die Kühe und Rinder und langweilten sich. Als Thilo in den Hof trat, da kamen sie alle auf ihn zugerannt und schnaubten; sie drängten sich mit den Köpfen, und er kraute ihnen das krause Stirnhaar; eine Kuh streckte geschwind ihre Zunge weit heraus und leckte ihn am Ärmel; da zog er sich lachend zurück und ging in den Pferdestall, der an der Seite gebaut war.

Fast alle Stände waren leer, denn die Pferde hatten draußen zu tun. In einer Ecke standen die drei Pferde der Besucher zusammen und wühlten behaglich im Hafer; als Thilo in den Stall trat, da wendeten sie ihm ihre Köpfe zu, sie zuckten mit den Ohren, sie hoben den Vorderfuß, eines legte den Kopf dem andern auf den Hals.

Der Diener des Fräuleins saß mit dem Hofmeister auf einer Futterkiste. Er erzählte. Er erzählte vom Geschirr und von seinem Herrn.

»Ich sage so,« erzählte er, »an erster Stelle im Leben kommt der Gaul. Aber an zweiter Stelle kommt gleich das Geschirr. Habe ich recht? Wenn ich mich nicht auf mein Geschirr verlassen kann, dann kann ich mich auch nicht auf meinen Gaul verlassen. Zweimal ist mir nun in diesen Tagen etwas vorgekommen. Das erstemal reißt mir der Schwanzriemen. Und das zweitemal zieht sich bei dem allergnädigsten Fräulein der Sattelgurt auf, weil die Zunge der Schnalle verbogen ist und nicht ordentlich gefaßt hat. Da hätte ein Unglück geschehen können, und ich habe die Verantwortung. ‚Max,‹ hat mir mein allergnädigster Herr noch gesagt, ›du paßt auf das allergnädigste Fräulein auf, auf dich ist Verlaß.‹ Wie kann Verlaß auf mich sein, wenn ich nicht für das Geschirr bürgen kann? Aber weißt du, was mein allergnädigster Herr sagt? ‚Sparsam müssen wir sein,‹ sagt er. ‚Die Herrschaften sind für sich,‹ sagt er, ›die nimmt das Volk so hin. Aber ich, auf mich sieht das Volk. Wenn ich zu viel Geld ausgebe, dann gibt das Volk auch zu viel Geld aus. Und das ist der Krebsschaden,‹ sagt er, ›das Geldausgeben.‹ Recht hat er. Wie ich noch jung war, da habe ich mein Geld auch nur so hinausgeworfen, einen neuen Anzug machen lassen, neue Stiefel machen lassen und so weiter. Jetzt darf ich das nicht mehr. Seit zwanzig Jahren bin ich bei meinem allergnädigsten Herrn. Nichts habe ich mir machen lassen, alles habe ich mir gespart, auch die Trinkgelder. Jeden Mathier habe ich weggelegt. Deshalb lobt mich mein allergnädigster Herr auch. Er war erst zwanzig Jahre alt, wie ich zu ihm kam, und ich war damals schon vierzig. ‚So ein Bürschchen,‹ habe ich mir gedacht, ›da habe ich ein gutes Leben.‹ Aber der hat mich in die Kandare genommen! Da habe ich tanzen müssen! Und das ist gut für mich gewesen, sehr gut. Und jetzt macht er's mit dem ganzen Land so. Da muß alles am Schnürchen gehen, seitdem der am Ruder ist.«

Thilo hatte sich in einem Pferdestand mit den Armen auf den Trog gestützt und hörte verloren den plätschernden Worten zu. Es scharrte einmal ein Gaul oder blies, wühlte im Hafer oder rückte an der Kette; eine Schwalbe flog durch die Türe in den Stall und setzte sich auf eine Krippe; sonst war nur das Plätschern der Rede des alten Dieners, gelegentlich unterbrochen durch ein zustimmendes Murren des Hofmeisters.

So kam es denn nun über Thilo wie ein Traum. Der Pferdestall war so schön ordentlich und sauber, der Hof war so ordentlich; er dachte: »Ja, wenn ich heirate, dann ziehe ich nach Gittelde; in Langelsheim wirtschaftet meine Mutter; wenn ich da einmal in der Woche hinüberreite, das genügt. Ein neuer Kuhstall muß gebaut werden. Der ist damals zu flüchtig gebaut, nach dem großen Krieg. Ich lasse gleich Holz schlagen, damit ich das liegen habe, ich lasse auch immer einmal Steine anfahren, wenn sonst keine Arbeit ist.« Er dachte sich genauer aus, wie er den neuen Kuhstall einrichten wollte; plötzlich fiel ihm ein, daß ja doch der Kaufbrief fehlte und daß Eva jeden Tag vom Hof vertrieben werden konnte. Es war ihm wie ein Erwachen aus einem Traum; er hörte nun auch, daß der alte Diener nicht mehr erzählte und daß nun der Hofmeister berichtete. Er berichtete von einer gescheckten Kuh, die schwer kalbte, die man eigentlich am besten verkaufen sollte; aber daran wollte das Fräulein nicht, weil es eine gute Milchkuh war.

Und während er noch so dachte und lauschte, da hörte er mit einemmal, wie ein Wagen schnell in den Hof hineingefahren kam. Der Hofmeister sprang auf und eilte aus der Tür; der Junker richtete sich aus seiner bequemen Lage auf, zog seinen Rock zurecht und trat gleichfalls aus dem Stall.

Da sah er seinen Korbwagen; auf dem Bock saß seine Mutter und lenkte, und eingespannt war der alte Schimmel. Er ging schnell auf den Wagen zu, indessen seine Mutter abstieg und ihn nicht bemerkte. Er half ihr beim letzten Absprung, da sah sie auf, sah ihm ins Gesicht und rief lachend: »Wie kommst du denn nach hier? Ich wollte mir Kohlpflanzen holen, meine Kohlpflanzen sind nicht geraten, sie sind alle zu spirrelig.«

Der Hofmeister hatte das Pferd abgeschirrt und wollte es eben in den Stall führen. Er rief: »Wir haben schöne Pflanzen, gnädige Frau, wie die Soldaten stehen sie, das ist eine Pracht.« Frau von Uslar nickte ihm freundlich zu, dann fragte sie ihren Sohn: »Wo ist denn Eva?«

Etwas verlegen antwortete der: »Willst du nicht ins Haus kommen? Sie ist oben in ihrer Schlafstube mit Fräulein von Glück, sie zeigt dem Fräulein ihren Schmuck.«

»Soo?« fragte Frau von Uslar gedehnt und sah ihren Sohn verwundert an. »Nun, ich will sie nur gleich begrüßen.«

Sie ging mit ihrem Sohn die Stufen zur Tür hinauf, sie stieg auch die Treppe hoch, und Thilo war hinter ihr. Als sie an die Schlafstube pochte, da blieb Thilo auf der obersten Treppenstufe stehen. Dann ging sie in die Schlafstube; Thilo stand unschlüssig an seiner Stelle, machte dann kehrt und stieg wieder hinab, kam wieder in den Hof, ging in den Pferdestall und klopfte dem Schimmel auf den feisten Rücken; der wieherte leise.

Als Frau von Uslar in das Schlafzimmer trat, da saßen die beiden Mädchen auf dem Bettrand, hatten sich umschlungen und bewunderten jede ihren Ring. Sie hatten wohl angenommen, daß eine Magd geklopft hatte. Nun sahen sie auf, sahen das verwunderte Gesicht der alten Dame und mußten plötzlich ohne Grund wieder lachen.

Frau von Uslar bewegte langsam schüttelnd den Kopf und sagte freundlich: »Junge Mädchen, das kalbert nun so.« Mit diesen Worten setzte sie sich auf einen Stuhl und fuhr fort: »Ich merke doch schon, wenn ich eine Treppe gestiegen bin.«

Eva packte eilig ihre Schmucksachen zusammen; den geschenkten Ring behielt sie am Finger; sie stellte das Kästchen in die Truhe, schloß die ab und versicherte sich, daß der Schlüssel wirklich eingeschnappt war, dann stand die alte Dame auf und ging voraus die Treppe hinunter; die beiden jungen Mädchen folgten ihr Arm in Arm.

In der getäfelten Wohnstube stand Thilo mit etwas mißmutigem Gesicht. Er sagte zu dem Fräulein: »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen, wenn Ihr Eure Wirtsleute nicht warten lassen wollt.« Erschreckt rief die Fremde: »Wir haben uns verschwatzt; schnell, schnell!« Thilo ging hinaus, um dem Diener Anweisung zu geben. Nach kurzer Zeit standen die drei Pferde vor dem Hause.

Die Fremde verabschiedete sich herzlich von Eva und der alten Dame, mit vielen Umarmungen und Küssen, Thilo half ihr in den Sattel; dann verabschiedete auch er sich, und dann ritten die beiden ab, gefolgt von dem ernsthaften Diener.

Die beiden Frauen blickten dem Zug so lange nach, wie sie noch etwas unterscheiden konnten. Dann gingen sie in das Haus und in die Stube zurück. Eva sagte nachdenklich: »Nun kann ich ja wohl mein gutes Kleid wieder ausziehen. Ich habe mich bloß lächerlich gemacht, daß ich es angezogen habe.«

Frau von Uslar wollte sie auf andere Gedanken bringen. Sie befühlte mit zwei Fingern die schwere Seide; sie sagte: »Welch schöne Seide! Du siehst gut aus in dem Kleid.«

»Was nützt das alles!« rief Eva, und die Tränen rollten ihr über die Wangen. Rasch trocknete sie mit einem Taschentuch ihr Gesicht, damit die Tränen nicht auf das gute Kleid fielen. »Was nützt das alles! Er liebt mich nicht mehr! Er liebt die andere!«

»Schwatze nicht so dummes Zeug,« rief ärgerlich Frau von Uslar. »Geh nach oben und ziehe dich um; und dann gehen wir in den Garten, und du gibst mir die Kohlpflanzen.«

Seufzend ging Eva aus dem Zimmer und ging die Treppe hoch. Sie betupfte sich die Augen und wischte die Backen. Frau von Uslar aber setzte sich in einen Lehnstuhl, und da rollten ihr die Tränen in den Schoß.

»Was man mit so einem Jungen für Kummer hat,« sagte sie.

Oben setzte sich Eva auf das Bett, dessen Rand noch niedergedrückt war, wo sie vor kurzem mit der Fremden gesessen hatte. Sie schloß den Gürtel auf und legte ihn sorgsam neben sich, dann knöpfte sie die Schoßjacke auf und wollte sie ausziehen.

Aber da übermannte es sie. Aufschluchzend, die Hände vor das Gesicht gedrückt, beugte sie sich über das Kopfkissen, barg den Kopf im Kissen und weinte. Eine ganze Weile weinte sie so. Dann richtete sie sich wieder auf und machte sich an den Knöpfen zu schaffen. Sie gab sich einen Ruck, stand auf und zog die Jacke aus, die sie sauber auf das Bett legte. Dann hakte sie den Rock auf und legte ihn ab. Sie öffnete den Kleiderschrank, hängte jedes an seine Stelle, sie öffnete die Truhe und brachte alles dorthin, wohin es gehörte, dann zog sie wieder ihr Alltagsgewand an.

Draußen schmetterte ein Fink. »Der kann froh sein,« dachte sie, indem sie die letzten Nestel einknüpfte. Sie beugte das Gesicht über die Waschschüssel und wusch sich Augen und Gesicht mit kaltem Wasser, dann trocknete sie sich ab.

Als sie in das Wohnzimmer unten trat, da hatte Frau von Uslar ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Man merkte ihr nicht an, daß auch sie geweint hatte. »Nun wollen wir die Pflanzen aussuchen,« sagte Eva und ging mit ihr in den Garten.

Eva sagte: »Ich säe sie immer selber in den Saatkasten. Das kann man den Leuten nicht überlassen. Die säen immer zu dicht. Ich lasse auch einen halben Spaten tief tüchtig Pferdemist in den Kasten bringen, der heizt, und so wachsen die Pflanzen schneller und sind schon kräftiger, wenn man sie herausnimmt.« Die beiden gingen zu dem Saatkasten. Da standen die jungen Kohlpflänzchen in frischem Grün. »Des Nachts und wenn kalte Tage sind, dann lege ich Bretter auf,« fuhr Eva in ihrer Erklärung fort. »Die Pflänzchen sind mir noch nie erfroren.«

Die beiden Frauen bückten sich, und Eva zupfte die schönsten Pflänzchen aus und legte sie auf die Seite am Kasten. Sie erzählte: »Manche Frauen kaufen Samen beim Gärtner in Goslar. Das kommt mir lächerlich vor. Ich sammle mir den Samen immer selber, und dann tausche ich mir fremden Samen ein, damit ein Wechsel ist.«

Sie setzte sich plötzlich auf den Rand des Kastens, sah zu Frau von Uslar mit zitternden Lippen hoch und sagte: »Was hat das denn alles nun für einen Zweck! Ich habe auch fünf Hennen auf den Eiern sitzen. Und morgen kommt vielleicht der herzogliche Vogt und sagt mir, ich soll gehen.«

»Thilo ist gut, mein Sohn ist gut,« sagte Frau von Uslar; sie mußte ihre Tränen bezwingen; und Evas Tränen tropften schwer in den Schoß. Da setzte sie sich zu Eva auf den Kastenrand, nahm deren Kopf in die Hände und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn, und Eva legte ihre Arme um sie und drückte ihren Kopf auf die mütterliche Brust. »Du gutes Kind,« sagte die alte Frau, »es wird schon gut werden. Gott läßt uns nicht im Stich.«

»Und ich kann ihr ja noch nicht einmal böse sein, wenn sie ihn mir wegnimmt,« sagte Eva.

»Sei nicht so dumm! Wer will ihn dir denn wegnehmen!« erwiderte erzürnt die alte Frau. »Das Mädchen denkt doch nicht daran. Aber die Männer, die sind gleich, als ob sie Bremsen im Hintern haben, wenn sie ein hübsches Weibsbild sehen.«

Da mußte Eva lachen. Sie fragte: »Sind sie denn alle so?«

»Ohne Ausnahme, einer wie der andere,« erwiderte ärgerlich Frau von Uslar.

Die beiden Frauen standen von ihrem harten und scharfen Sitz auf. Eva nahm die ausgezogenen Pflanzen hoch; von einem Rasenstück raufte sie einige Hände voll höher gewachsenes Gras, dann gingen die Frauen ins Haus zurück, und dort umwickelte Eva die Pflanzen mit dem Gras und band um das Päckchen einen Zwirnsfaden. Inzwischen hatte der Hofmeister das Pferd wieder eingespannt und war vor das Haus gefahren. Die beiden Frauen traten aus dem Haus; sie umarmten und küßten sich zum Abschied, dann stieg Frau von Uslar auf den Bock, Eva legte ihr die Pflanzen sicher in den Wagen, Frau von Uslar nahm die Peitsche in die Hand und rief dem Pferd zu, und das zog an. Eva sah ihr nach, bis sie um die Ecke bog, hinter der auch Thilo mit der Fremden verschwunden war; dann ging sie seufzend wieder ins Haus zurück.

Thilo und das Fräulein mit dem Diener hinter sich waren inzwischen weitergeritten, und so kamen sie denn endlich an die ersten Häuser von Lautenthal. Da sahen sie einen jungen Mann mit einem Mädchen vor sich gehen; der junge Mann trug das Bündel des Mädchens in der Hand, und beide hatten staubige Schuhe, daß man ihnen wohl eine längere Wanderschaft anmerken konnte. Plötzlich erkannten die beiden Kurt Pfeffer. Kurt kam eben aus Goslar zurück mit Marie Wiedenhöfer, die zu ihrem alten Vater eilen wollte. In dem Augenblick, wo die beiden ihn erkannten, wendete Kurt den Kopf zu dem Pferdegetrappel hinter ihm, da erkannte auch er; er blieb stehen und das Mädchen mit ihm, und nun fand die Begrüßung statt. Kurt erzählte, was geschehen war, daß der alte Geschworene von seinem Bett aufgestanden war und sich eine Rute geschnitten hatte und hatte zum neuen Stollen gehen wollen, und daß er da von einem Schlagfluß getroffen war. Marie weinte, während er erzählte, sie sagte entschuldigend: »Es ist doch nun einmal der Vater.«

»Ich kann ja mit der Rute gehen. Beruhigt den alten Mann,« rief das Fräulein. »Ich komme gleich. Ich muß nur erst ins Pfarrhaus, dann komme ich.«

»Ihr könnt mit der Rute gehen?« fragte Kurt mit glänzenden Augen. Marie zog ihn am Ärmel und flüsterte ihm zu: »Wir wollen schnell machen, daß wir zum Vater kommen; wer weiß, wie wir ihn treffen.«

Hastig verabschiedeten sich die vier, dann gingen Kurt und Marie mit ihren lahmen Beinen eilig zum Haus des Geschworenen.

Der lag still und friedlich in seinem saubern Bett. In seinem Gesicht war nichts mehr von dem Anfall zu sehen. Im Ofen rumorte laut ein tüchtiges Feuer; ein Fenster der Stube war weit geöffnet, um die Frühlingsluft hereinzulassen.

Vorsichtig leise öffnete Marie die Tür und lugte erst durch den Spalt. Da sah sie den halbschlummernden Vater liegen. Nun trat sie in das Zimmer, Kurt mit dem Bündel hinter ihr. Auf Zehenspitzen ging sie zum Bett. Als sie vor ihm stand, da hatte der Alte das Geräusch bemerkt. Langsam wendete er den Kopf zu der Seite, wo das Mädchen stand, ein Lächeln überleuchtete sein Gesicht; er sagte: »Ach, du bist gekommen! Das war doch nicht nötig! Weshalb macht ihr so viel Umstände mit mir!« Er hielt ihre Hand fest, die sie in seine gelegt hatte. »Ich bin nichts mehr nütze. Weshalb so viel Umstände mit mir! Du bist jung, du mußt das Leben erst anfangen!«

Die Kölschen trat ein. »Kölschen, die Marie ist gekommen!« sagte der Vater. »Nun hole gleich zu essen. Der junge Mann ist auch mitgekommen, der sie geholt hat. Wie heißt er doch gleich? Sie werden wohl Hunger haben, ein weiter Weg!« Matt schwieg er. Marie küßte ihn auf die Stirn. Er lächelte. »Ich freue mich, daß du gekommen bist,« sagte er leise. »Du mußt dich ausruhen. Weiter Weg!« Er war matt, er schloß die Augen.

»Ich sage es ihm, das freut ihn,« sagte Kurt zu Marie. Dann beugte er sich über den Kranken und sprach leise vor seinem Ohr: »Das fremde Fräulein, das beim Herrn Pfarrer wohnt, kann mit der Rute gehen. Sie kommt nachher zu dir.«

Der Kranke öffnete die Augen groß, er wollte sich aufrichten. »Was, mit der Rute gehen?« sagte er. »Sie findet etwas, einen großen Gang findet sie, der ist da, das weiß ich.«

»Lege dich nieder, Vater,« sagte Marie ängstlich, glättete das Kissen, nahm den alten Mann in die Arme und legte ihn wieder zurück. »Einen großen Gang,« sagte der und bewegte den Zeigefinger der rechten Hand.

Eine Weile schwieg er erschöpft. Dann fragte er: »Sie kommt doch heute? Wer weiß, wie lange ich noch lebe. Das möchte ich doch noch erleben. Ein großer Gang. Das weiß ich. Aber die Leute wollen es mir immer nicht glauben.«

Marie beugte sich über ihn und sagte: »Heute kommt sie. Und du lebst noch lange, Vater. Du erlebst das noch, daß der Silberbote jeden Tag nach Zellerfeld hinaufgeht.«

Der Kranke versuchte zu lächeln und machte eine abwehrende Handbewegung. Dann faßte er Mariens Hand mit beiden Händen und sagte: »Gutes Kind, gutes Kind.« Dann fuhr er fort: »Ja, das Vermögen habe ich ja nun verbergmännelt. Aber das mußte ich doch. Auf mir lag doch die Verantwortung! Du trägst mir das doch nicht nach?«

»Aber gräme dich doch nicht darüber, Vater!« sagte Marie lachend. »Ich bin jung und bin gesund und kann arbeiten, mich können die Menschen überall brauchen.«

Eine Träne stahl sich durch die verharzten Augenwimpern des Alten. »Gutes Kind, gutes Kind,« sagte er. »Nun habe ich doch mein Leben hier vom Bergwerk gehabt; meine Eltern auch, meine Großeltern auch, und so weiter hinaus. Da hängt man doch an dem Werk.«

In der Küche sprach die Kölschen mit Kurt. Sie hatte ihre Bedenken gegen die Fremde. Der Geschworene, der war ein guter Mann, nichts Böses war in dem, und wenn der mit der Rute ging, das kam von Gott. Aber von dem fremden Fräulein wußte man doch nichts. Viele Leute sagten, daß sie eine Hexe sei. Darüber wollte sie ja nun nichts Bestimmtes sagen. Aber Zauberei war das doch nun mit der Rute, mit natürlichen Dingen ging das nicht zu, und da konnte niemand wissen, ob nicht auch der Teufel da seine Pfoten im Spiel hatte.

Kurt lachte. Er sagte: »Kölschen, seid nicht dumm! Wenn es wieder Arbeit auf der Grube gibt, das kommt Euch doch auch zugute, dann kann Euer Mann doch wieder anfahren! Ist das ein christliches Werk oder nicht?«

Die Kölschen trocknete sich mit der Schürze die Augen. Sie sagte: »Das ist ja wohl ein christliches Werk. Wir beten ja auch jeden Abend zum lieben Gott und zum heiligen Jakob, wenn der heilige Jakob ja freilich eigentlich auch katholisch ist, daß er uns wieder einen Anbruch schickt. Aber, aber! Es geht um die himmlische Seligkeit, junger Herr, und Gott läßt sein nicht spotten!«

Während solches in Stube und Küche verhandelt wurde, tat sich die Haustür mit heftigem Gebimmel auf, und Fräulein von Glück trat in das Haus. Kurt kam aus der Küche nach vorn, indessen sich die Kölschen scheu zurückhielt; er begrüßte das Fräulein und führte sie in die Stube des Kranken.

Der versuchte sich aufzurichten; das Fräulein eilte zu ihm und hielt ihn zurück. »Eine Rute,« sagte er. »Eine Rute habe ich schon abgeschnitten.« Er sah sich nach Kurt um und fragte: »Wohin hast du denn die Rute gelegt, die ich abgeschnitten hatte?« Kurt eilte aus dem Zimmer, sie zu holen, Marie folgte ihm.

Die Fremde hatte sich zu dem Alten gesetzt. »Laßt das!« sagte sie; »ich schneide mir meine Rute selber ab. Jeder hat da seine eigene Art.«

»Jawohl, seine eigene Art,« bestätigte der Alte. »Im Garten habe ich einen Haselbusch. Der ist noch von meinem Großvater, der hat die Nuß gelegt. Mein Großvater war nämlich auch schon ein Rutengänger, mein Vater auch. Von dem Busch könnt Ihr abschneiden. Weil nämlich der Boden metallreich ist. Sechs Mariengroschen Feinsilber hat mein Großvater dort vergraben, als er die Nuß gelegt hat. Ich habe sie einmal gefunden, wie ich den Busch zurechtgeschnitten und um die Wurzeln umgegraben habe; da habe ich sie gleich wieder zurückgelegt an ihren Ort.«

Inzwischen suchte Kurt die abgeschnittene Rute im Garten, wo sie geblieben war, als der alte Geschworene den Schlaganfall bekommen hatte; die Kölschen aber sprach in der Küche unter Tränen auf Marien ein; sie sagte: »Ein gefährlich Werk ist das Rutengehen immer. Der Rutengänger muß ein frommer, nüchterner und keuscher Mensch sein. Das ist selten heutzutage, daß einer so ist. Die Welt ist nicht besser geworden, sie ist schlechter geworden. Und der Teufel ist Gottes Affe. Alle Werke Gottes macht er nach. Und von der Fremden hört man nicht viel Gutes. Die Leute sagen ja, sie soll eine Hexe sein. Mit so einer Person will sich nun der Geschworene einlassen! Mich geht es ja nichts an, ich bin ja bezahlte Person hier im Haus. Aber seine Verantwortung hat man doch, wenn man auch nur Dienstbote ist.«

»Aber Kölschen!« sagte Marie. »Mein Vater wird sich doch nicht mit Teufelsspuk einlassen!« Die Kölschen schüttelte den Kopf mißbilligend und machte abwehrende Handbewegungen.

Währenddessen kam das Fräulein aus dem Zimmer des Alten; sie hatte einen scharfen Schärper mit kurzer Klinge in der Hand und ging an der Küchentür vorbei durch die Hintertür in den Garten, wo Kurt noch im Gras nach der verlorenen Rute suchte. »Nicht nötig,« rief sie ihm zu und ging zu dem Haselbusch in der Ecke, den sie gleich gesehen hatte. Die Kölschen und Marie sahen durch das Küchenfenster ihrem Tun zu.

Die Fremde stellte sich vor den Busch mit dem Gesicht nach Osten und suchte sich eine Rute aus, die sich gabelte. Dann bückte sie sich und setzte das Messer unten an, wo die Rute aus dem Boden kam. Dabei sagte sie in seltsam feierlichem Tone: »Gott grüße dich, du edles Reis; mit Gott dem Vater suche ich dich;« damit tat sie den ersten Schnitt und fuhr fort: »Mit Gott dem Sohne finde ich dich;« damit tat sie den zweiten Schnitt und fuhr fort: »Mit Gott des Heiligen Geistes seiner Kraft und Macht breche ich dich;« damit tat sie den dritten und letzten Schnitt; dann nahm sie die abgeschnittene Rute in die Linke, schnitt von den Gabelenden das Überflüssige fort und streifte die Blätter ab, hielt die nun fertige Rute gegen Osten und sagte: »Ich beschwöre dich, Rute und Sommerlatte bei der Kraft des Allerhöchsten, daß du mir wollest zeigen, was ich dir gebiete, und solches so gewiß und wahr, so rein und klar, als Maria, die Mutter Gottes, eine reine Jungfrau war, als sie unsern Herrn Jesum gebar, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen!«

Sie war totenbleich geworden bei diesen Verrichtungen und schwankte. Kurt sprang ihr zu und half ihr, daß sie zurück über den Hof und durch die Hintertür in das Haus gehen konnte, indessen Marie mit der Kölschen sich klopfenden Herzens still in der Küche hielt. Marien standen die Tränen in den Augen.

Als die Fremde mit ihrer Rute in die Stube zurückgekommen war, sagte sie zu dem Alten: »Nun habe ich noch eine Bitte. Ich soll auf Silber suchen. Da muß ich ein Silberstück in der Hand haben; und am besten ein Silberstück, das aus der Grube gekommen ist.«

Der alte Mann wurde verlegen. Dann bezwang er sich und sagte: »Früher habe ich ja den halben Kasten voll Taler gehabt. Aber die sind nun alle ausgegeben, weil ich doch die Löhne habe zahlen müssen, und in der ersten Zeit hatte ich noch die ganze Belegschaft. Seit zwei Monaten habe ich nichts mehr; da haben die Leute nun auch keinen Lohn bekommen. Marie hat einen Taler mit dem heiligen Jakob; aber der ist nun in Goslar. Aber die Kölschen hat einen doppelten Jakobs-Taler, den kann sie Euch borgen. Ich bitte Euch, ruft sie.«

Die Kölschen kam in die Stube und trocknete sich verlegen die Hände an der Schürze ab. »Du mußt uns deinen doppelten Jakobs-Taler borgen, Kölschen,« sagte der Alte; »das Fräulein muß Lautenthaler Ausbeutesilber in die Hand nehmen, wenn sie mit der Rute sucht.«

»Unsern Sankt-Jakobs-Taler?« kreischte die Kölschen, »den soll ich zu so heidnischen Zaubereien hergeben? Auf dem Taler ruht Gottes Segen, der stammt noch von meinem Ururgroßvater, den gebe ich nicht her.«

Der Geschworene runzelte die Stirn. Er sagte ärgerlich: »Sei nicht dumm, Kölschen. Ihr habt Euer gutes Auskommen gehabt, Ihr sollt es wieder haben; nun kannst du uns auch auf eine Stunde deinen Taler borgen.«

»Euch will ich ihn borgen, Geschworener,« sagte die Kölschen. »Ihr seid ein frommer Christenmensch. Aber das fremde Fräulein kenne ich nicht.«

Das Fräulein war noch blaß und ganz matt von der Anstrengung beim Schneiden der Rute. Sie hatte gesessen. Nun stand sie auf, sie lächelte und sagte: »Holt Euren Taler und lauft erst zu dem Herrn Pfarrer und fragt den, ob der Segen von dem Taler fortgeht, wenn Ihr ihn mir auf eine Stunde borgt.« Zögernd entfernte sich die Kölschen.

Die Fremde setzte sich wieder, Marie blickte verstohlen ängstlich auf sie hin, und auch Kurt war inzwischen in das Zimmer getreten. Es wurde Gleichgültiges gesprochen. Endlich kam die Kölschen mit ihrem Taler zurück. Sie hatte verweinte Augen.

»Nun, was hat der Herr Pfarrer gesagt?« fragte das Fräulein lächelnd.

Die Kölschen stotterte: »Das wäre ein unchristlicher Aberglaube, hat er gesagt, daß ein Segen auf dem Taler läge. Wir sind ordentliche Leute, hat er gesagt, und so sollen wir bleiben, und sollen unser Abendgebet beten und unser Morgengebet, und das tun wir ja, und dann, hat er gesagt, kann uns kein Teufel etwas anhaben, und das fremde Fräulein meint es gut mit uns und begibt sich in eine Gefahr für uns, und da sollen wir ihr dankbar sein, hat er gesagt, und hier ist der Taler.«

Damit reichte sie der Fremden das Stück in die Hand. Kurt trat zu ihr und betrachtete ihn mit. »Sieh,« sagte er zu Marie, »der ist ähnlich wie dein Taler, den du mir in Goslar gezeigt hast, aber er ist doppelt.« Die Fremde legte ihm das Stück in die Hand. Er las die lateinische Umschrift. Er sagte: »Hier steht: ›Ohne Gott ist kein glücklicher Ausgang.'« Er fuhr fort: »Seht Ihr, Kölschen, wie kann denn da wohl der Teufel seine Pfote im Spiel haben, wenn das auf dem Taler steht.« Dann las er weiter: »Siehe, die Muschel des erztragenden Jakob, die vorher betrübt war, gibt nun über die Maßen reiche Beute von Silber.« Er legte den Taler in des Fräuleins Hand zurück. »Das ist ein gutes Vorzeichen,« sagte er.

»Ja, das ist der älteste Ausbeutetaler; ich habe schon einmal ein Stück gesehen,« sagte der Geschworene. »Das ist eine fromme Umschrift. Nun, gnädiges Fräulein, möge der Segen Gottes bei Euerm Werk sein. Geht mit Gott, der Jüngling da soll Euch begleiten. Meine Grubenlampe steht noch dort auf dem Ecktisch. Er soll Euch leuchten.«

»Kurt soll mitgehen?« fragte Marie und wurde blaß.

»Ja, ich werde doch das allergnädigste Fräulein nicht allein in den Stollen gehen lassen,« erwiderte lachend Kurt.

Marien standen die Tränen in den Augen, und sie schluckte.

Kurt hatte das Grubenlicht genommen und nachgesehen, ob es in Ordnung war. Das Fräulein nahm ihre Rute zur Hand und verabschiedete sich von dem alten Mann und seiner Tochter, dann ging sie aus der Tür, und Kurt folgte ihr, indem er herzlich zurückgrüßte.

Als die beiden aus dem Zimmer waren, da warf sich Marie weinend auf das Bett des Vaters. »Wenn es nun aber doch Hexenwerk ist,« sagte sie. »Dann sehe ich ihn vielleicht nicht wieder.«

Der alte Mann strich ihr liebkosend über das Haar. »Deine Mutter ängstigte sich auch immer so,« sagte er. »Das ist nun lange her. Ihr seid noch jung. Ihr müßt noch viel erleben.«

Plötzlich sprang Marie auf und lief aus dem Zimmer. Sie lief hinter den beiden her, die rüstig ausschritten. Als sie bei ihnen war, da nahm sie das Fräulein beiseite und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich bitte Euch, allergnädigstes Fräulein, wenn Ihr einen Mann lieb habt, so denkt daran, wie Euch zumute wäre, wenn er in eine Gefahr ginge. Ihr werdet Kurt doch keinen Schaden zufügen?«

»Du bist ein gutes Kind, fürchte dich nicht, ich will keinem Menschen einen Schaden zufügen,« sagte das Fräulein und küßte sie auf die Stirn.


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