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Zur Ausstellung von Lithographien Eduard Munchs im Kestnermuseum

Wer wird diesen dunkelsinnigen, aufgewühlten Norweger hier nicht als fremden Eindringling empfinden – doch möge kein Besucher das denken, was jener hier sagte: modern ist verrückt und verrückt ist modern. Möge keiner zu den Futuristen, Kubisten und anderen Entgleisten diesen Munch werfen.

Munchs Ruf in der europäischen Kunstwelt ist der eines Großen. (Er wird jedoch wohl in unserer alles-vereinenden oder übertrieben gesagt: alles-gleichmachenden Zeit, wie alle einzelnen, eigenwilligen Persönlichkeiten, überschätzt.) Der erste Rundblick hier läßt schon erkennen, daß Munch ein Künstler von unheimlichem Ernst, ein Künstler von Blutberuf ist.

Da ist ein wunderbar zur Größe eingezwungener »Ibsen im Kaffeehaus« – man halte im Geist die Ibsen-Lithographie Karl Bauers daneben –, und man wird fühlen, daß dies der Weltdichter des Brand und Peer Gynt ist. (Unser Museum sollte diesen Druck kaufen.) Ein Strindbergkopf zeigt Strindberg, den Weibsucher und -hasser, den Weibabhängigen. Das ist überhaupt der Hirn-Knotenpunkt Munchs: das Weib. Das Weib als des Mannes Vampyr, das Weib als ewiger quälender Spukgedanke des männlichen Hirns: überall das Triebtier Weib, und der Hörige, der Mann. Munchs Dämon treibt ihn, Dämmerzustände darzustellen: Alpdrücken; Menschen, die in düsterer Landschaft von Angst befallen sind; versteinerte Verzweiflung in Sterbezimmern; – diese Blätter sind erschreckend intensiv, es ist etwas in ihnen wie erstarrtes Schreien, wie ersticktes Atemholen. Auch wo er Einfach-Bildliches gibt: badende Kinder, Tierstudien, sitzende alte Frau, weibliche Akte: in allem lauert irgendwo ein Unheimliches, ein Rätsel – bedrückende, unbewußte Naturabhängigkeit der Kreatur. Selbst in den guten Bildnissen Leistikows und Glasers (mit Frauen) ist dies fühlbar.

Alle diese Themen, Gefühle sind durch leidenschaftunterwühlte Striche und Flächen und mystische Traumfarben zu einer beklemmenden Ausdrucksfähigkeit gesteigert, wie man sie sich stärker kaum vorstellen kann.

Der Gesamteindruck ist (gerade gesagt): Pathologische Kunst. Munch leidet an dem Übel der Germanen: dem instinktiven Denken, welches unter den Norwegern besonders stark wühlt. (In Norwegen sollen prozentual die meisten Geisteskrankheiten vorkommen.) Er leidet an der gefährlichen Grübelsucht, die manchmal bis zum leisen Wahnsinn steigt (man denke hier auch an seine Landsleute Hamsun und Obstfelder). Vor fast keinem der Blätter wird man das Gefühl des durch die Leidenschaften verschieden stark variierten Pathologischen los – und doch wieder fühlt man in jedem den Gegen-sich-selbst-Kämpfenden, den Selbstbezwinger, der sich in diesen Kunstgebilden befreit: den über den drangbeschwerten Menschen hinauswachsenden Künstler. Alle diese primitiven, oft holzschnittähnlichen Ausdrucksformen lassen den Trieb zur wenigstens möglichen Erlösung des Hirn-Chaos zur Formeinfachheit, zum Kunstwerk erkennen.

Diese Lithographien sind wahrscheinlich in früheren Jahren entstanden. Munch scheint sich aus dem Grübelbann immer mehr und willensstärker »herauszumalen«. So sind seine Gemälde von einfacher, suggestiver, erdverwurzelter Größe; und seinen größten Sieg in der Kunst, seinen größten Sieg über sich selbst hat er in den kosmisch gefühlten großen Wandbildern der Universität zu Christiania erreicht. Besucher, berührt dich dieser leidenschaftliche Träumer nicht, »spricht« er nicht zu dir, so schimpf nicht auf ihn – geh in den Hauptsaal und erfreue dich an der abgeklärten Feierlichkeit Feuerbachs.

(Erschienen im Hannoverschen Kurier am 10. März 1914.)


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