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2

Lebe, was in dir nach Tat begehrt;
Und größte Tat des jungen Mannes ist: Liebe!
Dir harrt die Welt im Weibe unverwehrt,
Nun lebe! liebe! glüh auf in deine Triebe!

Am Abend tauchte auf der Strandpromenade des Städtchens, das auf Fünen lag, ein glattrasierter, tiefäugiger junger Mann auf, der seiner sonderbaren Kleidung wegen von den spazierengehenden Leuten sehr beachtet und beurteilt wurde. Er trug nämlich zum schwarzen Anzug eine kanariengelbe Weste, der Hut stak zerknüllt in der Rocktasche, außerdem ging er in Lackhalbschuhen.

Dies war Anlaß genug, daß die Kleinkaufleute und Handwerker mit Frauen und Töchtern hinter ihm tuschelten.

Da macht der lange Mensch kehrt und geht mitten durch den schwatzenden Haufen, den Weg entgegengesetzt hinunter, unbekümmert um das Brummen der Herren, niemanden eines Blickes würdigend.

Irgendein Mann sagt laut: »Das ist wohl ein Fremder – der ...«

Das Wasser klatschte kaum noch an die steinbefestigte Böschung; es blaute tiefdunkel. Der Wind hatte sich gelegt, nur die an den Stegen vertäuten Kähne und Segelboote schaukelten noch.

Die Leute verliefen sich. Auf den Bänken saßen einige Pärchen und sahen in den Mond. Es war zunehmender Mond und eine der wunderbar hellen nordischen Nächte.

Juan ging nachlässigen Schrittes den Strandweg auf und nieder.

Eine blecherne Glocke schlug zehnmal. Von oben her kam tänzelnd eine elegant gekleidete junge Dame. Juan folgte ihr. (Es mochte die Tochter des Großhändlers Andersen aus der Österbrogade sein!) Sie hörte den Fremden hinter sich gehen und fühlte, daß er auf ihren bloßen Nacken sah; darum ging sie zögernder, trat zur Seite und blieb stehen, um nach der kaum noch erkennbaren Landzunge von Dyreborg hinüberzusehen.

Juan trat ohne weiteres auf sie zu und sagte: »Wie heißt du, Weibchen? Nimm bitte meinen Arm; es ist schön heute abend und noch nicht spät.«

Sie war ganz bestürzt, und da sie nicht wußte, was sie sagen sollte, sagte sie nichts und ging hastig fort.

Juan folgte ihr langsam, eigentümlich lächelnd.

Indem sie so den langen, menschenleeren Weg hinunterlief, merkte sie, daß es in ihrer Brust stark klopfte, daß ihre Augen glänzten und daß Wärme in die Schläfen stieg. Sie raffte krampfhaft ihr Kleid. Mußte sie nicht spröde sein, wie es einer Dänin ziemte –? Sie sah sich schnell um – und sah Juan mit gespreizten Beinen, lächelnd, mitten auf dem Wege stehen; wartend, daß sie zurückkommen würde; denn dahinten schloß das Staket eines Badehauses den Weg. Nun – dachte sie, da geh ich eben zurück; ich brauche das ja gar nicht zu verstehen, was er sagt.

Sie wußte ihre Würde zu wahren und trippelte stolz auf ihn zu.

Aber er wich nicht aus dem Wege, nein, er ging ihr mit ein paar großen Schritten entgegen. »Mademoiselle, ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie anfuhr wie ein Schiffer. Aber da ich Sie liebe, nehme ich mir das Recht, Sie zu begleiten.« Damit faßte er sie, als sei das selbstverständlich, um die Taille.

Sie wollte sich wehren, wollte diese Frechheit nicht dulden – ihre Augen stürzten hin und her, aber es gluckste nur unverständlich in ihrem Munde.

Sie gingen.

 

Da Juan und Tore Andersen sich sehr liebten, und Juan alles einerlei war, verlobten sie sich nach einmonatiger Bekanntschaft auf den Wunsch ihrer Mutter. Außerdem sah der reiche Andersen diese Verbindung seiner Tochter mit einem Sprößling aus dem altadligen Hause Reventlow (so hatte Juan sich dem gerngläubigen, alten Herrn genannt, mit dem Bemerken, er sei des Kopenhagener Lebens überdrüssig und wolle hier nun längere Zeit die Kleinstadt genießen) durchaus nicht ungern. Wenn er auch mitunter die etwas fahrigen Manieren und den freien Ton des Schwiegersohnes im stillen tadelte, so tröstete er sich doch bald und glaubte, daß eben dieses Wesen ein durch alte Kultur erzeugtes Kennzeichen des Adels sei. Und im geheimen schmunzelte er, weil nun über seinem Reichtum noch die Sonne des Außerordentlichen prangen würde.

Da er seinen Mitbürgern noch mehr imponieren wollte, nahm er den vornehmen Schwiegersohn, der zwar anfangs höflich-kühl die Einladung ablehnte, zu sich ins Haus.

 

Eines Abends gingen Tore und Juan, Arm in Arm unter einem Schirm, den Strandweg hinunter. Kein Mensch tauchte aus der dichten Regenluft. Die Bänke waren alle leer und spiegelten. Durch die Uferbäume rauschte der Regen, so daß das Wellenklatschen kaum zu hören war.

Juan und Tore blieben stumm.

Da wären sie fast auf zwei aneinandergeklebte Wegschnecken getreten.

»Sieh«, sagte sie, »auch bei diesem Wetter rührt sich Liebe.«

»Ach was, es ist nichts mit der Liebe.«

»Wieso ist es nichts mit der Liebe, wir sind doch verlobt?« sagt sie heftig und zerrt an seinem Arm –

»Jah –«, sagt er gedehnt. –

»Sei nicht so unartig«, spricht sie, indem sie sich auf die Zehen stellt und ihn küßt.

Er sagt aber nichts und macht ein gleichgültiges Gesicht.

»Du weißt«, begann sie wieder, »daß wir für morgen abend in Gesellschaft geladen sind; bessere deine Laune bis dahin.«

»Ich werde nicht mitgehen.«

»Nun?«

»Ich will nicht selber vor eurer illustren Gesellschaft dokumentieren, daß ich mich an einen Körper gebunden habe.«

»Pfui! Pfui! wie ...« sie schwieg plötzlich, denn sie hörten Schritte. Ein Mensch tauchte vor ihnen auf.

Tore räusperte sich, denn sie erkannte an den Umrissen der Gestalt, an dem ins Gesicht gezogenen Wetterhut und dem Regenmantel ihren früheren Verehrer, den Handlungskommis Jenssen.

Er ging langsam, etwas gedrückt an ihnen vorbei und murmelte: »Guten Abend.«

»Kennst du ihn?« fragte Juan halblaut; – und da sie verlobt war, getraute sie sich, ihm die halbe Wahrheit zu sagen:

»Es ist ein früherer Kommis, den mein Vater sehr schätzte; er hat mir auch freundlichst manchen Gefallen erwiesen.«

Juan blickte jedoch hinter ihre Worte und sagte etwas ironisch: »Da kann dir der junge Unbekannte auch heute einen Dienst erweisen. – Heh! – junger Mann!«

Der Zurückgerufene, der noch nicht weit war, drehte um, kam zögernd näher und blieb mit einer gewissen Unterwürfigkeit, wie sie kleinere Leute dem Größergewachsenen häufig erzeigen, vor dem Paar stehen. Man sah Regen aus seiner Hutkrempe herabträufeln.

»Ihr kennt diese junge Dame schon ...« Erschrocken sah Tore zu ihm auf, denn sie wußte nicht, worauf das hinaus sollte: »Was soll das?« sagte sie laut und hart und stellte sich zwischen die beiden Männer. Ihr Verlobter schob sie beiseite und sprach unbeirrt weiter:

»Ich habe nun noch einen wichtigen Gang zu machen, und da Ihr der Liebhaber ... « »Nein!« schrie Tore, »... da Ihr der Liebhaber gewesen seid, verpflichte ich Euch, diese junge Dame nach Hause zu bringen.« (Und ironisch leise): »Vielleicht bekommt Ihr eine kleine Belohnung, wie Ihr sie für frühere Gefälligkeiten bekommen haben werdet.«

Damit drückte er dem widerstandslosen Jenssen den Schirm in die Hand, verbeugte sich mit einem formellen »Gute Nacht« und ging den seitlichen Weg in die düsteren Anlagen.

Vollständig verwirrt standen sich die Dame und der Gehilfe gegenüber; beide peinlich beklommen und stumm. Sie sah sich um, doch Juan war verschwunden; es war also diesmal keine Laune gewesen. –

Einen letzten Rest von Überlegenheit wahrend, sagte sie fast gleichmütig: »Jenssen, führt mich bitte nach Haus; Ihr seht, mein Bräutigam hat Launen.«

Sie nahm seinen Arm, und etwas tapsig ging er nebenher.

Auf dem ganzen langen Weg bis zu Nr. 35 der Österbrogade sprach keiner von den beiden auch nur ein einziges Wort.

Der Großhändler Andersen nahm an, daß es sich um eine jener eifersüchtigen Szenen gehandelt habe, wie sie unter Liebesleuten wohl vorkommen können. Und da seine Tochter kaum von der Sache sprach, statt dessen tüchtig auf dem Klavier hämmerte, – war dem gewesenen Vorfall die tragische Bedeutung genommen.

Nur eines – Andersen hatte sich gar nicht beruhigen können, als er hörte, daß der Kommis Jenssen, »dieser Kommis Jenssen«, seine Tochter begleitet hatte; seine Tochter, die nun bald adelig ..., seine Tochter! »Donnerwetter!« hatte er geflucht; denn obgleich er merkte, daß sein Benehmen gegen seine Großhändlerwürde verstieß, hatte er sich doch nicht mäßigen können.

Frau Andersen hatte nichts gesagt am anderen Tage; nur machte sie ein etwas besorgtes Gesicht.

 

»Warum examinierst du mich so?« sagt sie ärgerlich, legt die Handarbeit auf das Fensterbrett und sieht mit zusammengekniffnen Lidern auf die Straße.

»Noch eins – haben dir Handarbeiten, Klavierspielen, gesellschaftliche Schwatzereien und anderes genügt, deine Leere auszustopfen?«

Sie antwortet nicht; sie trommelt mit zwei Fingern gegen die Scheibe. – »Übrigens, du machst mich nervös mit deinem fortwährenden Umherlaufen«, sagt sie pikiert.

Juan, der bisher die Kante des Perserteppichs auf und ab gegangen ist, bleibt hinter ihr stehen und betrachtet ihren Nacken; seine Augen sind unruhig dunkel.

»Damals hat dich, wie du mir sagtest, mein Blick auf deinen Nacken nervös erregt – jetzt beunruhigt dich schon mein Gehen – du zitterst ja wieder krampfhaft, um diese Blöße dahinter zu bergen.« –

Nur der Pendel der elektrischen Wanduhr rührt sich lautlos. – Am Fenster geht Andersen eilig vorbei – man hört seine Füße auf der Matte im Hausflur scharren – er klinkt die Stubentür auf und bleibt auf der Schwelle stehen, »Nun, Kinder, ihr seid still – ist ...«

»O nein, wir hatten eben über die neuen Möbel gesprochen ...«, sagt sie, steht durchaus nicht verlegen auf und faßt die Hand ihres Bräutigams.

»Recht so«, meint der alte Herr – und geht nach einem freundlichen Kopfnicken in das gegenüberliegende Kontor. Die Tür schließt mit einem weichen Bums.

Sie läßt Juans Hand los, denn er hat so einen bohrenden, ja verächtlichen Ausdruck im Blick, den sie sich nicht erklären kann; sie setzt sich wieder ans Fenster.

Die leere Ruhe im warmen Zimmer wird fast unheimlich.

»Du glaubst, daß wir nach einem Monat heiraten werden ...« (es fällt hart und spitz in die Stille), »du tätest gut, nicht zu glauben, sondern zu hoffen.«

Sie dreht verwundert das Gesicht vom Fenster weg: »... Was willst du denn eigentlich – was ... es ist doch schon alles in Ordnung, so daß wir am fünfzehnten Juni ...«

»Vielleicht heiraten können!« sagt er barsch.

»Also, du meinst, vielleicht ... du ... du scheinst heute wieder verstimmt zu sein, wie man es bei dir schon gewohnt ist.«

»Ich bin nicht verstimmt, sondern bestimmt!« (Sie sieht erschrocken auf den Teppich und zwingt ihr Gesicht dann beim Hochblicken zu einem überlegenen Lächeln): »Du bist doch sonst so wenig energisch.«

Er unterdrückt ein Auflachen und spricht zwischen den Zähnen: »Ja, Fleisch ist ein ganz besonderer Schwamm, – aber auch der kann trocken werden.« Er setzte sich schwer, mit gefurchter Stirn in den entferntesten Sessel, ganz in die Ecke.

Sie hatte die Maske aufgegeben; sie stand, stützte sich mit bebenden Fingern auf die Fensterbank und sah mit nervös zuckenden Augen zu ihm hinüber.

»Das ist also alles – mehr bist du nicht:« (Als sie das hört, fängt sie an, mit unregelmäßigen Schritten an der Fensterwand auf und ab zu gehen.)

»Ich kenne dein Äußeres bis auf die Haut, ich weiß, weshalb du gerade ein schwarzwollenes oder ein gelbseidenes Kleid anziehst, weshalb du durchbrochene Strümpfe trägst und weshalb du die kostbaren französischen Parfüms bevorzugst. – Aber der Schwamm wird trocken, er verliert die Saugkraft.« (Sie geht an die Tür und horcht – und geht dann wieder erregt hin und her.) »Du hast kein reizvolles Gesicht, du hast keinen schönen Körper, der einen Mann lange Zeit fesseln könnte; das wußtest du; darum gabst du dich am fünften Abend unserer Bekanntschaft hin.« (Sie ächzt wie ein gequältes Tier!) »Deine Eltern mußten merken, daß ich ein Abenteurer bin, aber sie sahen nichts, denn sie glaubten, ich wäre adelig; ihr nahmt alle meine Launen, wie ihr es nennt, dafür in Kauf. Aber ihr habt euch geirrt – ich bin nämlich nicht adelig, ich bin kein Reventlow! ich ...«

»Du lügst!« schreit sie und hält sich an der Wand. »Es ist nur bequem von dir zu sagen, daß ich lüge; aber du betrügst dich selbst, denn du fühlst jetzt, daß es brutale Wahrheit ist.«

»Hör auf! ich will nichts wissen!« sagt sie, und will auf ihn zugehen; er wehrt aber mit der Hand ab.

»Ich kenne dein Äußeres bis auf die Haut; nach deinem Inneren zu suchen verlohnt sich nicht, ich gab es schon nach fünf Tagen auf. Es ist gerade so viel, daß es genügt, Körper und Kleider zusammenzuhalten und in Szene zu setzen.«

»Sag doch endlich, was du willst?«

»Ich will dich nicht heiraten«, sagt er kräftig.

»Oh«, stöhnt sie, »so seid ihr alle – doch. – also du willst mich nicht heiraten; du verzerrst und drückst mein Wesen herab und willst dich dann glänzend, hochstehend hinwegheben; das ist schlimmer als Feigheit!«

»Du magst es auslegen, wie du willst, das Endresultat wird dasselbe sein«, sagt er leichthin.

»Und hast du mich nicht haben wollen, weil ich so war, wie ich eben bin?«

»Nun ja, man ist ja ›jung‹; gewesen.«

(Während sie sprach, lief sie wie sinnlos hin und her, nun wirft sie sich in den Sessel und schluchzt und spricht dann mühsam): »Bedenkst du auch, wie schrecklich das für uns alle sein wird?«

»Ich bedenke nichts; wenn ich auch an euch denken wollte, an Onkel und Tante, so müßte ich mich selbst zerschneiden. Ich bin nur Ich – muß Ich sein.«

Sie springt plötzlich auf und rast verstört auf ihn zu: »Weißt du, daß es ganz unmöglich ist, daß du gehst? Wir sind in allen Gesellschaften gewesen – die ganze Stadt kennt uns – mein Vater müßte die Kommunalämter aufgeben – wir könnten uns nirgends wieder sehen lassen – o nein, und – nein, du darfst nicht gehen –«

Langsam, unerbittlich sagt er: »Du vergißt, daß ich nicht adlig bin.« Da fällt sie in den Sessel; und wimmert mit heiserer, verweinter Stimme: »Glaubst du, daß ich mich ertränken würde?«

»Das glaube ich dir, denn du bist ein zu kleiner Mensch, um dich selbst überwinden zu können; dein Leben ist nur ein Hinfristen. Dieser Tod würde deine erste Tat sein.«

Sie hängt plötzlich an ihm und stammelt wirre, unverständliche Bitten. – »Nein!« sagt er entschieden, »ich muß jetzt gehen.« Er schiebt sie zur Seite und geht aufrecht zur Tür hinaus – die Tür schlägt zu; er hört noch einen stöhnenden Aufschrei und einen dumpfen Fall hinter sich; rennt beinahe einen Lehrling im Eingang um – dann prallt er in den glühenden Mittag der Straße.


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