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1

So werde, was du bist. In ungebundnem Drange
Dem Rufe in dir folgend ohne Scheu.
Das ist dein Ziel, daß du dich selbst erfährst im Zwange
Der Erdenzeit; enttäuscht, doch immer wieder neu.

Don Juan wurde in Thistedt in Jütland geboren. Er war ein außergewöhnlich großes Kind; hatte die fünfzigjährige Mutter ihn doch zwölf Monate getragen. Er hieß nach seinem Vater: Nielsen.

Da diesem dies einzige Kind, dieser braunhäutige, schwarzhaarige Knabe (obgleich Vater und Mutter blond waren), ganz besonders gefiel, wollte er etwas Großes aus ihm machen. Er fing damit an, daß er ihm den merkwürdigen Rufnamen Juan gab.

Der kleine Juan spielte nie auf der Straße; ging, obgleich er, nach der Aussage des Lehrers, sehr begabt war, ungern zur Schule. Er lag lieber allein am Strande, schlug mit seinem Stock ins Wasser – und rannte dann plötzlich wieder in den Wald, um Frösche zu fangen und sie schrecklich zu quälen.

Eine Katze und eine Lachtaube, die oft im Zimmer waren, mußten die Eltern verschenken, weil der Junge in jedem unbewachten Augenblick hinter ihnen her war.

Im Nachbargarten saß mitunter die kleine Karin des Fischers Jörgensen. Da konnte Juan nun wohl eine halbe Stunde lang am Holzgitter stehen und die jauchzende und schwatzende Kleine mit unheimlich starrem, dunklem Blick ansehen, um dann, wenn das Mädchen anfing zu weinen, mit kurzem Auflachen schnell davonzulaufen. Niemand wollte mit ihm spielen; ließ er sich am Hafen sehen, die Hände in den Taschen und trotzig vor sich hinunterstarrend, so gingen die Kinder mit ihren kleinen Schiffchen an eine andere Stelle. Bei den Schiffern, die abends an der Randbrüstung lehnten, wurde das fremde Kind, wie sie ihn schon seiner rabenschwarzen Haare wegen nannten, nicht geduldet; mürrisch sahen sie an ihm herunter, spieen Tabaksaft aus und jagten ihn mit einem gurgelnden Fluch weg. Sie wußten auch, daß er einmal in einer Schulpause den Peter Mogensen vor den Leib getreten hatte, so daß dieser lange Zeit nicht zum Unterricht kommen konnte.

Kamen manchmal die runden, alten Nachbarinnen zu der Mutter auf die Diele, um auf den Jungen zu schimpfen, so hörte sie bekümmert zu und sagte, daß er ganz aus der Art schlüge, und das könne sie gar nicht begreifen. Dann wurde die Stubentür heftig aufgestoßen; der Vater stampfte heraus: er wollte nicht, daß man seinen Juan anschwärzte! Drohend hieß er die Weiber an ihre Kochtöpfe gehen. Sie ließen sich auch nicht wieder sehen.

Sogar dem Lehrer gegenüber, der die Ungebärdigkeit des Knaben auf mangelnde Hauszucht zurückführte, benahm der Vater sich so, wenn er kam und heftig klagte: auch der Lehrer mußte unverrichteter Sache gehen!

Wurde Juan in der Schule mit dem Stock bestraft, so blieb er tagelang fort: niemand wußte, wo er war. Es war nichts mit ihm anzufangen.

Zu seinem achten Geburtstage schenkte der Vater ihm eine kleine, schon angerostete Vogelflinte, die er auf dem Boden stehen gehabt hatte. Das Blei verschloß er aber.

Da fand man eines Abends die Tür des Schrankes, in dem die Gartengeräte standen, aufgebrochen – und das Blei fehlte.

Juan trieb sich bei den außenliegenden Häusern herum und schoß die ganze Nacht hindurch, bald hier, bald da, auf die bellenden Hunde.

Am anderen Tage fanden die Häusler mehrere Hunde auf ihren Höfen und eine Katze auf der Chaussee verendet.

Der Vater fluchte und schimpfte. Juan ließ sich aber nicht sehen. Gegen Abend kam er, trotzig geradeaus sehend, als sei gar nichts gewesen. Der Vater schlug den Jungen fürchterlich; bis schließlich die Mutter dazwischen trat und ihn ins Bett schleppte.

Am anderen Morgen schlug Juan zwei Mitschülern den Schreibkasten über den Kopf. Sein Vater sagte nichts dazu; er wollte ihn überhaupt nicht mehr sehen.

Nach den vierwöchigen Sommerferien, in denen Juan Nielsen in den Heidedünen der Umgebung herum wilderte (ohne aber Besonderes zu verüben), erkrankte sein Lehrer an schnellerscheinender Schwindsucht. (Vielleicht hatte er sich zuviel ärgern müssen!)

Eine Lehrerin wurde aushilfs- und ausnahmsweise für ein halbes Jahr angestellt. Sie arbeitete sich schnell ein und hatte ein besonderes Augenmerk auf Nielsen, der ihr gleich beim ersten Eintritt in die Klasse aufgefallen war.

Der saß nun in der Bank, die ihm längst zu klein geworden war (er war der Größte der Schule), saß und starrte auf seine Art die Lehrerin an – wie früher die kleine Karin. Oft wurde er dabei ertappt, daß er ganz abwesend war und gar nicht dem Unterricht folgte; wurde er dann aufgerufen, so gab er gar keine Antwort. Hatte Juan bei dem Lehrer schon sehr wenig getan, so tat er bei dem Fräulein, wie die Lehrerin bei den Kindern hieß, so gut wie gar nichts; Hausarbeiten machte er überhaupt nicht mehr.

Der Oberlehrer sprach dann eines Tages zu der Lehrerin in der Konferenz etwas von Fürsorgeerziehung. Es blieb aber vorläufig, wie es war.

Da geschah etwas Merkwürdiges. Nach dreitägigem Versäumen der Schule kam Juan Nielsen wieder: er blieb vor der Lehrerin stehen, und ließ sich, ohne Ungeduld zu zeigen, zornig von ihr anfahren. Dann setzte er sich. Er sah bleich aus. Nachdem er eine kleine Zeit so gesessen und am Unterricht vorbeigehört hat, steht er plötzlich auf, geht auf die Lehrerin zu, die gerade vor der großen Tafel steht, stellt sich vor sie hin und sieht sie an, so daß sie, ganz erstaunt, im Exempel aufhört. Er starrt sie an. In den hinteren Bänken lachen und sprechen die Kinder schon. Da faßt er sie am Arm (er ist ebenso groß wie sie!) und sagt: »Ich liebe dich!« – Ehe sie ihm eine Ohrfeige geben, ihn zurückstoßen kann – hat er sie wild geküßt und rennt hinaus. Alle Schüler springen auf, schreien – das Fräulein stürzt hinaus mit heiser vibrierendem Rufen –.

Juan Nielsen war fort; keiner wußte wohin. Man sah Juan Nielsen in Thistedt nie wieder.


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