Georg Engel
Der verbotene Rausch
Georg Engel

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Onkel Pökel

oder

die Schatzgräberei zu Knüppelhagen.

Niemals hätte ich geglaubt, daß ich dieses Stück aus meiner Jugendzeit noch einmal ausführlich erzählen würde, und mein Nachbar, der Kaufmann Albrecht behält recht, wenn er sagt: »er is'n ollen guten Kerl, aber das Maul kann er nicht ordentlich halten«. Damit zielt er auf mich. – Leider ist es auch ein schlechtes Stück, denn ich habe es der Hauptperson meiner Erzählung, meinem lieben alten Onkel Pökel, vor vielen Jahren fest und sicher versprochen, daß ich über diese Begebenheit rein stillschweigen wollte. Und als er darüber beruhigt war, da hat er mir die Hände geschüttelt und so recht überlegen und selbstbewußt vorgebracht: »Na, Jörging, denn kannst du dich auf mir verlassen, denn komme ich auch mal nach Berlin und grabe für dir so'n lütten Privatschatz aus der Erd' raus. Denn glücken tut mich das. Und wenn mich das zu Knüppelhagen nicht geglückt is, so liegt das an die ollen Däsköpp, die mich in meiner Sympathie unterbrochen haben; und Jörging« – hier steckte sich mein Onkel Pökel so recht behaglich die Hände in die Taschen und stand vor mir, als wäre er der Besitzer von dem Berg Sesam mit allen seinen Schätzen, oder als wenn ihn Bleichröder oder Rothschild eben flehentlich gebeten hätten, er solle doch ihr Kompagnon werden –. »Un Jörging,« sagte er, »in Berlin, da liegen noch Schätze von die alten Griechens und Römers her, – die da mal gewohnt haben, und wenn ich erst mal so dazwischen steige, dann müßt' das ja mit dem Deuwel zugehen, wenn ich das viele Geld nicht finden sollt'. Und denn kennst du mir ja, mein Jünging.«

O ja, ich habe dich gut genug gekannt, du alte treue Seele, und wie habe ich mich immer gefreut, wenn es in der kleinen Stadt zu raunen begann:

»Onkel Pökel is' wieder da! – Hast all gehört? – Ne, was denn? – Er will ja hier wieder Schätzen finden! – Na, wo denn all wieder? – Na, in Vatter Krügern seine Mistkuhl' soll er ja liegen. – Donnerwetter! Krügern sein' Küh' machen woll Gold?«

So ging das, wenn du in die kleine Stadt reinkamst, lieber alter Onkel Pökel, mit Deiner mageren, dürren Gestalt und den langen, langen Beinen, die du immer in gelben Nankinghosen stecken hattest, und mit deinem alten ehrlichen Gesicht, das stets so feierlich aussah, wie von einem Propheten aus dem alten Testament, wenn er gerade seinen alten Juden etwas vorprophezeien wollte. Und als du nun wirklich einmal aus dem Rapsfeld von Ackerbürger Schröder einen kleinen Henkeltopf mit sechs Fünfgroschenstücken herausgeholt hattest, da wollten Dir ja deine Mitbürger beinahe einen Fackelzug bringen, und abends wurde auf den Topf hin ein wissenschaftlicher Verein gegründet, von dem sie dich zum Präsidenten machten, – und dann wurde in dem kleinen Henkeltopf eine schöne Bowle gebraut, und meinem eigenen Vater ist von diesem schönen Trank auf diesem schönen Fest sehr übel zumut geworden.

Lieber Gott, wie lange ist das nun schon her. Die Fackeln sind ausgelöscht, und die Lebensfackeln sind auch ausgelöscht, und mein Vater schläft schon lange, und auch mein lieber Onkel Pökel ist tief, tief in die Erde niedergestiegen und liegt dort ganz still – und hat selbst einen großen Schatz mit in die Erde genommen – einen großen Schatz von Liebe und Menschenfreundlichkeit und ein warmes, weiches Herz, ein Menschenherz – und diesen Schatz, den wird keiner mehr aufspüren, der muß liegen bleiben unter der kalten Erde, und erst am jüngsten Tage, da nimmt ihn der große, der himmlische Schatzgräber in die Höhe und besieht sich das Herz und sagt: »Das ist echt, das ist eitel Gold, und das kommt in meine beste Schatzkammer.« –

Onkel Pökel, bis dahin vergeht aber noch eine geraume Spanne Zeit, und als ich jüngst in meiner alten Heimat an deinem Grabe vorüber wanderte, da stand kein Leichenstein darauf. Nur ein paar Vögel sangen auf deinem Grab, und ein paar gelbe Butterblumen blühten an dem Ort, die sahen beinahe so aus, wie deine gelben Nankinghosen. Und da ist es mir eingefallen – wie wär's, wenn ich selbst versuchte, dir ein Denkmal zu setzen. Siehe, und da war's mir beinahe, als wenn du deinen alten Kopf zur Höhe gebracht und gelacht hättest: »Jung', du willst mich doch nich etwa einen Steinmetz auf mein Grab bringen?« Ne, Onkel Pökel, dies wird ein geschriebenes Denkmal – hab' auch keine Furcht, daß es zu anspruchsvoll wird, denn kuck, es kann nur ein kleines bescheidenes Denkmal werden, weil ich selbst nur ein kleiner bescheidener Steinmetz »mit der Feder« bin. Und nun schlafe wohl, Onkel Pökel; ich fange an und erzähle das

Erste Kapitel.

Es war in der Schummerstunde. Leise fielen die Schneeflocken von dem grauen Himmel auf die festgefrorene Erde hernieder. Alles war still, als gäbe es hier etwas zum Zuhören. Die alten Pappeln standen steif und starr mit ihren weißen Hemden vor dem einsamen verlassenen Wirtschaftshaus zu Knüppelhagen, und die alten Pappeln sahen aus, als wollten sie auch in ihr weißes Bett gehen, müßten aber vorher noch revidieren, ob auch die Sonne, die noch am Himmel stand, gleich einem kleinen, rosigen Mädchen, das noch nicht schlafen gehen will, ob auch die Sonne hübsch artig in ihr weißes Bett ginge. – Die Sonne ging in ihr weißes Bett, ein bißchen zögernd, als wenn sie noch ein wenig aufbleiben wollte – und gerade als sie ihren letzten Blick zurückwarf, da wurde unten auf der Erde ein tiefer, schmerzlicher Seufzer laut.

Die Pappeln waren es nicht; wer war das?

Es war ein großes, schlankes Mädchen mit schlichtem Goldhaar und einem Paar dunkelblauer Augen, und die dunkelblauen Augen sahen aus einem blassen, lieblichen Gesicht so sehnsüchtig hinter der Sonne her, als hätte eben die Hoffnung von ihr Abschied genommen und wollte gar nicht mehr wiederkommen.

»Lening, is dich was?« fragte hinter ihr eine scharfe Stimme, und eine große, starke Frau, die bis jetzt in der warmen Stube an dem Bett ihres Mannes Krischan Sellentin gesessen hatte, sah sich nach ihr um.

»Ne, Mutting, mir is' nichs,« erwiderte Lening vom Fenster aus.

»Na, ich dacht' man, mein Döchting, und nun bring Vatting seinen Tee.«

Lening stand auf, brachte Vatting den Tee und strich dabei mit ihrer weißen Hand über sein Haar: »Vatting, geht dir das all besser?«

Aus dem Bett rülpste sich etwas mit einem scheußlich heiseren Ton, als wenn eine alte Baßtrompete das erstemal probiert werden sollte:

»Ne, Lening – mein G'nick, das ist noch ümmer so steif – und das Kreuz – das verdeuwelte Kreuz – so steif wie 'ne Wagendeichsel – nu kuck ich all zwei Tag' lang ümmerzu an die Decke – und da is doch gar nichs zu sehen, als ein paar dämliche Fliegens, die da einges'lafen sünd.«

»Krischan,« ermahnte seine Frau, »du mußt Geduld haben.«

»Da hab' mal wer Geduld,« tutete es wieder aus dem Bett – »wenn en Mensch nichs als Fliegenbiesters zu sehen kriegt – tut – tut –; da soll ja der Deuwel reins'lagen.«

»Vatting,« wandte Leníng sanft ein, »der Doktor sagte mir heut« – – –

»Ach was, der Dokter – so'n unanständigen Kirl – er will mir ja woll einreden, daß meine Krankheit ganz wie en Frauensmensch heißen tut – Fru Enzan heißt ja woll das oll' Kretur.«

»Frauensmensch?« rief Frau Sellentinen hier scharf und richtete sich überaus gerade in die Höhe. – »Krischan, hier – vor Lening? s'weig rein still!«

»Was? – noch still s'weigen? und ich kenn' gar kein' Fru Enzan?« jammerte es wieder aus dem Bett.

Lening war ganz rot geworden, nun sagte sie: »Vatting, du hast den Herrn Doktor woll nich richtig verstanden, er meinte ja, du hattest die Influenza.«

»Das is mich ganz parti egal, Lening. – Influenza, pfui, das is ja ene Pferdskrankheit. – Bünn ich 'n Pferd? – Lening, kuck eins – –« hier wollte er noch weitere Erklärungen abgeben, daß er kein Pferd wäre, aber er verrückte sich in seiner Lage und fing wieder schrecklich zu stöhnen an: »Je – je –, je – nu' hab ich's wieder –, ich darf mir nich rühren – ich kann von die verdammten Fliegenbiesters nich los – 's sitzt wieder ins G'nick – Mudding, lies mir vor aus das Buch – das ist noch's best'.«

»Na, Sellentin, denn lieg' aber auch rein still. Dies is ein sehr religiöses Buch, haben sie mir aus Strelitz sagen lassen, denn ich wollt' was Erbauliches für dir haben.«

»Na, wie heißt's denn?«

Frau Sellentin machte sich den Finger naß und schlug die erste Seite auf: »Das Buch heißt – der Olymp, oder – My–to–lo–gie der Griechen und Römer mit Einschluß der ägyptischen, nordischen und indischen Götterlehre von A. H. Petiskus.«

Aus dem Bett drang so ein winziger verlorner Seufzer: »Mutting, dies wird woll sehr fromm?«

Und nun fing seine liebe Frau an zu lesen von all dem alten Götterkram, und Krischan sah immer fromm nach oben, als schicke er tausend Gebete zu Zeus und Apollo in die Höhe, in Wahrheit aber blickte er immerfort nach seinen beiden Fliegen; und Lening setzte sich auch wieder ans Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

Draußen fielen noch immer die Schneeflocken, und das schöne große Mädchen sah so angespannt in das Schneetreiben hinein, als sollte dort jemand herausschreiten, den sie über alles lieb gehabt. Aber derjenige, an den sie dachte, der konnte ja nicht kommen. Der hatte ihr ja erst heute einen Brief geschrieben, daß sein Vater, der reiche Gutsbesitzer Dankward, ihn enterben wollte, wenn er sich noch weiter um die arme Bauerndirn' bekümmere; und sie selbst solle nun entscheiden. – Und sie hatte gleich entschieden. All' seine Geschenke hatte sie ihm zurückgeschickt und seinen Brief hatte sie in kleine Fitzeln gerissen. – Das tut weh, arm Lening, sehr weh. – Und als sie nun so in das Schneegestöber hineinstarrte, da kam ihr ein merkwürdiger Gedanke:

Die Erde hatte dem Himmel auch die Treue gebrochen, und der Himmel zerriß gleichfalls den Brief von seiner alten Liebsten, und die Schneeflocken, die nun herniederfielen, das waren die Fitzeln von dem Brief, und die fielen der treulosen Erde gerade ins Gesicht. – – Da schlug der Hund an, die Tür ging auf – und herein trat – –

»Je, ein Dunner! das is woll Pökel?« schrie Krischan aus seinem Bett und machte wieder einen traurigen Versuch, von seinen Fliegen loszukommen.

Jetzt stand die Frau auf; Lening sprang ebenfalls heran, um Onkel Pökel seinen Sommerüberzieher in Empfang zu nehmen. Denn er trug im Winter einen Sommerüberzieher; er machte aus der Armut eine Tugend und sagte, er wär' für die »Fentilatschon«. – Und als sie ihn nun ausgepackt hatten, sagte Onkel Pökel mit seiner alten feierlichen Stimme:

»Was is' dies hier? Krischan liegt im Bett und hat 'n rotes Schnupftuch um den Kopf gebunden.«

– – Hier trat er ans Bett. »Krischan, guten Abend, warum kuckst du mir gar nich' eins an – was schad't dich denn?«

Krischan wollte sich auch zu seinem alten Freund herumdrehen, allein es ging nicht.

»O je – je – je,« jammerte er, »Pökel, Pökel, ich hab' ja was mit en Frauensmensch.«

Onkel Pökel sah sich sehr ernsthaft um, dann faßte er nach der Hand des Patienten und sagte: »Reg' dir also nich auf. – Du hast es woll ein bißchen im Kopf?«

»Jawoll, Pökel,« stöhnte es wieder, »die beiden Fliegenbiesters – ich bin nun woll bald selbst 'ne Flieg'.«

»Süh, süh, Krischan, 'ne Flieg',« nickte Onkel Pökel und wurde ganz blaß, und leise flüsterte er der Frau zu: »Mein arm' Freundin, wie lang is' er nu all so übers'nappt?«

»Was, mall soll er sein?« rief jetzt die Frau, und nun riß ihr die Geduld! »Die Gripp hat er, weil er vergangene Woch' wegen seine Frostbeulens mit nackte Füß' in'n Schnee rumgelaufen is.« –

»Was? bloß Frostbeulens?« fragte Onkel Pökel sehr erleichtert, nahm sich einen Stuhl und bekam mit einmal wieder Oberwasser, »denn zeig mich mal deine Füß', Krischan. Dagegen weiß ich 'ne Sympathie. – Du mußt den großen Zeh in'n Mund nehmen und sieben Vaterunser dazu sagen, denn is' gut.«

Hier schwieg er still, denn Frau Sellentin nahm das Buch und schlug ihm damit auf das Knie:

»Pökel, Pökel – wollen Sie mal endlich mit Ihr' Zauberei aufhören? Ich will das nicht in meinem Haus! Sie werden mich ja noch in Verruf bringen.« –

Sie wollte noch ein bißchen weiter predigen, aber Onkel Pökel nahm ihr die Mühe ab, indem er beide Hände in die Höhe brachte, beinahe über ihren Kopf, als wenn er Madame Sellentin alle Haare ausreißen oder einen fürchterlich gräßlichen Fluch aus dem alten Testament loslassen wollte.

»Madame Sellentin,« sagte er feierlich, und nun sah er gleichfalls nach Krischans Fliegenbiesters in die Höhe, »ich sag Ihnen, heut ist der Tag und die Stunde und das Zeichen von ein glückliches Gelingen – denn die Planetens sünd in die Reih, und die Monetens sünd in die Reih, und die Trabantens sünd in die Reih – – – –«

»Aberst Ihre fünf Sinnen sünd nich in die Reih,« schrie Frau Sellentin und warf das Buch hin, daß der ganze Olymp ins Wanken kam. »Sie sollen mich mit Ihren Monetens vom Leibe bleiben. Haben Sie mich nu verstanden?«

»Frau Sellentin, ich mein ja doch bloß die Konstellatschon – wegen ihr bin ich ja man gekommen.«

Frau Sellentin warf sich auf ihren Stuhl und rang nach Luft: »Ach was, Pökel, lügen Sie nich, Sie sünd gekommen, weil Sie glaubten, daß wir uns' Schwein all geschlachtet hätten. – Na, ich hätte Sie ja auch gern bei das Essen dabei gehabt, aber durch Krischan seine Krankheit muß ich das noch aufschieben. – Für heut gibt das man Krankenkost, und die soll Lening gleich besorgen.«

Bei diesen Worten stand Lening still auf und ging in die Küche.

Pökel wollte sich nun entschuldigen und schwatzte viel von Marsen und Venussen, die ein paar ausgezeichnete Planeten für die Schatzgräberei wären, und daß Frau Sellentin ihr Glück mit Füßen fortstieße, weil sie ihn nicht einmal unter der großen Eiche in ihrem Garten nachgraben ließe; als er aber auch von dem Planeten Jupiter erzählen wollte, da fing sich auf einmal das Bett von Krischan an zu bewegen, gleich dem weißen Berg Hekla, wenn er ins Feuerspucken kommt, und als Pökel noch einmal »Jupiter« sagte, da brach in dem Berg das richtige Erdbeben los, nur daß statt des Donners immer so'n kreischendes Lachen gehört wurde: »Ju–pih–Ju–pih–ter–, je –, je –, Ju–pih – – –«

»Gott bewahr' mir,« segnete sich Onkel Pökel. »Krischäning, was willst du denn von dem alten Heidengott?«

Allein jetzt wäre beinahe der Lavastrom aus dem Bett Hekla herausgeschossen, so fing der Berg an zu tanzen.

»Pökel – sag eins,« – so rollte es aus den Kissen – »Jupiter, das is ja woll der alte S'weinigel?«

»Was für'n S'weinigel?« echote Onkel Pökel, gleichsam vor den Kopf geschlagen.

»Na, Mutting, du weißt doch, der oll' Kerl aus das Buch, der ümmer so hinter die lütten Menschenmädchens her is.«

Frau Sellentin sank in ihren Stuhl und schlug die Hände zusammen. »Krischan,« brachte sie, ins Herz getroffen, hervor, »und das in dein' Erbauung? Ne, ich schanier mir ja vor Pökel die Augen aus'n Kopf; pfui, schäm dir, schäm dir, schäm dir.«

Als sie dies zum dritten Male gesagt hatte, da war sie auch in der Küche verschwunden, und Krischan lag und wollte von seinen beiden Fliegen eine Auskunft darüber haben, was sich eigentlich hier um ihn herum ereignete. Nach einer Weile fing er wieder an:

»Pökel!«

»Na, was is denn all wieder?«

»'s is doch en höllischer Kerl.«

»Wer? ich?«

»Ne, der oll' Jupiter.«

»Deuwel, laß ihm doch sein.«

»Ne, wie das oll' Mannsmensch das bloß angefangen hat?«

»Gott bewahr mir, was denn all wieder?«

»Na, daß er seine leibliche S'wester heiraten konnt'.«

»So?« fragte Pökel mißfällig dagegen, »das hat er getan?«

»Und noch Kinders mit ihr bekommen,« wollte Krischan, sich aufrichtend, hinzufügen, brach aber über die Untaten von Zeus in ein klägliches Jammern aus: »Je, je, mein G'nick – daß der Großherzog von die Griechens aber auch so was zugibt – au! mein Kreuz – das wär' ja beinah', wie wenn ich mein eigen Lening freien wollt'.«

»Leg dir man wieder hin,« sagte Pökel. »Apropos, Lening – was is das mit den kleinen Mädchen, das sieht mich ja ordentlich verstört aus.«

»Ach, Pökel, sie rohrt mich über ihre Verhältnissen.«

»Über was?« fragte Pökel, als könnte er seinen Ohren nicht trauen.

»Ach, über meine s'lechten Verhältnissen und über den ollen Gutsbesitzer Dankward, der sich ja für 'n reichen Mann aufspielt.«

Und nun erfuhr Onkel Pökel die ganze traurige Geschichte.

»Donnerwetter,« sagte er zum Schluß, »das is kein Spaß – mein klein Lening – und dabei sünd meine Planetens so hübsch in die Reih' gewesen –. Na, wart' eins Krischan.«

Damit ging er gleichfalls in die Küche, und Krischan lag wieder unter seinem Hekla und konnte zwei Beobachtungen machen. – Erstens, daß in der Küche viel geweint und viel geküßt ward.

»Donnerwetter, was hat Pökel mein' Fomilie abzuküssen?«

Und zweitens, daß in der Zwischenzeit eine von den beiden Fliegen eine Strecke an die andere herangekrochen war. »'s is nich möglich, nun werden sie woll bald anfangen Karussell zu spielen,« wunderte sich Krischan und verlor sich in ein tiefes Nachdenken.

Zum Abendbrot wurde nur wenig gegessen. Der Tisch stand vor Krischans Bett, aber der Gastgeber konnte sich nicht rühren, Frau Sellentin war ärgerlich über Petiskussen und den alten Dankward, Lening nur über den jungen Dankward, und Onkel Pökel warf immer einen trauervollen Blick auf das blasse Lening und einen vergnügten auf sein Stück Mettwurst, aber langsam versank er auch in ein tiefes Nachdenken, bis er endlich mit der Faust auf den Tisch schlug, ausrufend: »Fein – nun hab' ich's.«

»Was denn, Onkel Pökel?« fragte Lening, die ordentlich zusammengefahren war.

»Oh, nichts nich, ich habe bloß etwas sehr Ernsthaftes vor.«

Das hörte Frau Sellentin, und es stimmte ganz mit ihrem Ärger über Petiskussen überein: »Pökel,« schalt sie leise, »Sie werden mir doch nicht wieder mit Ihr abergläubig dumm' Zeug kommen wollen?«

»Ne,« sagte Pökel siegessicher, »meine liebe Freundin, Planetens und Trabantens, das sünd astronom'sche Konstellatschonen und kein Aberglaube. – Abergläubisch bün ich auch nich, und wo ich so was hör, da vermahn ich die Leut' zu Einsichten, z. B. Ihre Frau Nachbarn da drüben, die Frau Muchown. – Was hat mir die Ollsch vergangene Woch' für Unsinn vorgetragen! – Die Frau leidet in der Nacht an die Mort oder, wie es hochdeutsch heißt, ans Alpdrücken; und nun denken Sie bloß, was das alte Weib nu glaubt. ›Herr Pökel,‹ sagte sie zu mich, ›es gibt Menschens, die über die Nas' zusammengewachsene Augenbrauen haben, und diese Menschen, die müssen nachts umgehen und kommen in fremde Stuben herein und fassen andere Menschen, die da im Schlaf liegen, fest um und drücken sie, und das ist denn der Alp. – Und wenn man zu solchem Gespinst sagt: »Ich lad' dir morgen auf's Mittagessen ein«, dann muß sich das Gespinst einstellen‹ – Frau Sellentin, haben Sie all solche Drähnerei gehört?«

Möglich, daß Frau Sellentin etwas derartiges noch nicht gehört hatte, jedoch im Augenblick beugte sie sich vor und sah ganz ängstlich auf die Nase von Onkel Pökel.

»Wo?« fragte der Gast und nahm sich seine Serviette, »ich habe mich woll Mettwurst angesmiert?«

»Ne, Pökel – Gott bewahr mir! Aber Sie haben ja auch ganz zusammengewachsene Augenbrauen,« rief Frau Sellentin und rückte ihren Stuhl ein wenig ab. »Sünd Sie mir auch ganz gesund?«

Als Onkel Pökel ihr ängstliches Gesicht sah, da wurde er sehr ärgerlich, er stand auf, nahm sein Licht und sagte: »Nehmen Sie's mich nich übel, Frau Sellentinen, was wollen Sie damit sagen? Hab' ich Sie all mal in die Nacht gedrückt? – Oder hab ich Krischan all gedrückt? – Krischan,« fuhr er auf, »sag eins, hab ich dir schon in der Nacht gedrückt?«

»Ne,« schallte es aus dem Bett, »auf so was hast du dir noch nich eingelassen, Pökel.«

»Und hab ich Lening vielleicht gedrückt?«

»Pökel,« lenkte die Frau ein, »ich habe es ja nicht so gemeint –«

»Nich so gemeint – so? – aber Sie haben mir zu'n Gespinst machen gewollt! – sehe ich aus wie 'n Gespinst, das mit dem ersten Hahnens'rei vers'winden muß? – Bün ich bei Ihnen schon mal mit 'm ersten Hahnens'rei vers'wunden?«

»Pökel, ich bün ja überzeugt, daß Sie kein Gespinst sünd, nun geben Sie sich doch auch, alter Freund.«

»Kein Gespinst? – schön – aber vers'winden tu ich nu doch – ich schlafe mit Ihrer Verlaubnis in Ihrer Dachkammer; und nun – gut' Nacht, Krischan, und gute Besserung.«

Damit ging er, und Lening leuchtete ihm nach oben. Als sie beide jedoch die kleine Treppe heraufgestiegen waren, blieb Onkel Pökel plötzlich stehen und sagte, er müsse noch einmal herunter, und als ihn Lening gerade verwundert fragen wollte, was er noch in dem Schnee zu suchen hätte, da faßte Onkel Pökel das schöne große Mädchen um, gab ihr einen zärtlichen Kuß auf ihren roten Mund und flüsterte:

»Lening – mein süß' Lening – nicht weinen, Lening – 's wird allens wieder gut. – Onkel Pökel is auch noch da. – Un die Planetens und die Monetens sünd in die Reih' – ich helf dich, mein lütt Dirn.»

Und damit ging er wieder die Treppen hinab und verschwand in der Winternacht.

Zweites Kapitel.

Nun, meine allergnädigsten Leser, müssen Sie mich entschuldigen; ich weiß nämlich nicht mehr, wie meine Erzählung weiter geht. Aber desto besser weiß ich, was Sie zu dieser Eröffnung sagen werden.

»Was?« werden Sie mir vorwerfen, »erst führst du uns an der Nase herum, so daß wir all dein dumm' Zeug mit anhören müssen, wie Onkel Pökel einen Sommerüberzieher trägt, und Krischan was mit Frau Enzan zu tun hat, und wie Frau Sellentin ihre Bekanntschaften im Olymp erweitert, und daß es Menschen mit zusammengewachsenen Augenbrauen gibt; lauter solch Zeug haben wir mit dir durchmachen müssen, und nun endlich, wo du etwas ordentliches zu erzählen hast oder, wie man sagt, wo das Moment der Spannung eintritt –, da willst du uns im Dreck sitzen lassen und Reißaus nehmen?«

Meine allergnädigsten Leser, darauf habe ich etwas sehr Gebildetes zu antworten:

Der alte Plato, – das ist aber nicht der alte Instrumentenmacher, der in den Zeitungen stets seine Harmoniums und Leierkästen bei uns anpreist – nein, der alte Philosoph Plato, der ein höllisch witziger Kopf gewesen ist, der hat einmal geäußert: das menschliche Leben wär' man »so – so«. Wir wüßten gar nicht, ob wir das nun in der Tat sehen, was draußen passiert, oder ob wir es nicht sehen. Das könnte auch möglicherweise alles nur Schein bedeuten oder Schatten der Wirklichkeit. Wie wenn ein Mensch sein ganzes Leben lang in einer düsteren Höhle säße, mit der Rückseite gegen das Licht, und gucke immerfort an eine Steinwand. Und an dieser Wand, da huschten beständig die Schatten von all dem vorüber, was draußen in Wirklichkeit passiert, und der Mensch würde nun sagen, eben diese Schatten wären das Wahre. – Sehen Sie, meine allergnädigsten Leser, so ist es mir immer mit Onkel Pökel gegangen, wenn ich ihn einmal nach dieser Nacht fragen wollte und was er da eigentlich ausgeführt hätte. Da hat er mir gleichfalls stets seine Rückseite zugekehrt und hat an die Wand gesehen und hat allerlei Worte vor sich hingebrummt und mit den Händen dazu gefuchtelt, als wenn er sich mit lauter ekligen Schatten herumzuschlagen hätte, und daraus sollte ich dann klug werden.

Nun, ich werde Sie ja nicht im Ungewissen sitzen lassen und auf jede Gefahr hin lieber weiter erzählen, aber wenn wir nun doch an eine dunkle Stelle kommen, dann müssen Sie eben das Gefühl haben, als säßen wir nun alle miteinander in der dunklen Höhle, und Platos und Onkel Pökels seltsame Schatten stiegen vor uns auf und nieder. – – –

Als die Uhr halb zwölf schlug, da kam Onkel Pökel mit zwei kleinen Jungen beinahe erfroren auf den Hof geschlichen und kuckte sich ein wenig unsicher um. Wo er die Jungen hergenommen hat, das weiß ich nicht, geht mich auch gar nichts an, das sind schon zwei von den düsteren Schatten, ich glaube aber, daß es die beiden halbausgewachsenen Jungen des alten Stadthalters Pagel waren, die ihr Vater Onkel Pökeln bei seiner Schatzgräberei in die Lehre gegeben hatte.

Der Mond steckte hinter schwarzen Wolken, der Schnee blinkerte auf der zugefrorenen Erde und es war bitterlich kalt: »Jungens,« flüsterte Onkel Pökel plötzlich seinen Lehrlingen zu, »wird da nich vor uns ein swarzer Schatten sichtbar, der durch den Garten schwebt und in der Luft verschwindet?«

Die Jungens aber waren in der Schatzgräberei noch zu dämlich und sagten, sie sähen nichts.

»Na, denn is gut,« meinte ihr Lehrherr, »und nun haltet mich das Maul. Bei der Schatzgräberei darf auch nich ein Sterbenswort gesprochen werden, sonst is allens vorbei. Kuckt, dort ist die Eich', und nun warten wir noch bis Klock zwölf.«

Und nun standen sie dort zu dreien und warteten auf die Geisterstunde.

So steht manchmal der Mensch und wartet auf eine bestimmte Stunde, wo das Glück kommen soll, und das Glück steht dabei schon hinter ihm, und es ist ein weißes, rosiges, wundersames Mädchen, das mit Herzklopfen darauf lauert, daß der Mensch ihr um den Hals fallen soll; und der Mensch tut es nicht und meint, das Glück müsse erst kommen; und dann hört er plötzlich so ein leises Rauschen, und wenn er sich danach umschaut, dann ist das rosige Glücksmädchen unter Tränen von ihm gegangen, und hinter ihm steht Frau Sorge mit ihrem grauen Mantel und greint ihn an und sagt: »Schafskopf, nun kannst du lange auf die kleine Dirn' warten, aber ich, mein Jünging, werd' dir zur Gesellschaft ein bißchen hier bleiben.«

Auch Onkel Pökel hörte über sich in dem kahlen Eichbaum so ein leises Rauschen, aber als er seine lange Nase in die Höhe reckte, da bemerkte er nichts, und nun stand er wieder und sah nach Lenings Fenster. Da hingen ein paar Eiszapfen herunter, die sahen beinahe so aus, als wären es Tränen. Und seine Lehrlinge, die kleinen Pagels, standen bei ihm, und ihnen liefen gleichfalls die Tränen über die Wangen, allein es geschah vor Kälte, und weil sie noch so unerfahren bei diesen Zaubergeschäften waren.

Da schlug die Uhr aus dem Dorfe zwölf. – Die dumpfen Schläge rollten durch die Nacht und dazu fing der Wind an zu wehen, und der Eichbaum knarrte und stöhnte, als wohnten Geister in seinen Zweigen und streckten ihre weißen Hände nach Onkel Pökel aus.

»Nun man zu,« flüsterte dieser, obgleich ihm zumut war, als sollte er sich jetzt in eine Geisterschlacht einlassen, »nun schüppt los, Jungens.«

Auf dieses Kommando begann das Graben. In tiefem Schweigen wurde in die Erde gehackt, und Pökels Lehrlinge griffen die Sache gleich so herzhaft an, daß Schliemann sie, wenn er zugesehen hätte, gewiß sofort für Troja engagiert hätte. So wurde das Loch immer tiefer, und der Wind heulte immer unheimlicher, und der Eichbaum stöhnte und wimmerte, als wäre er ein Geizhals, dem man seine Schätze nehmen wollte. – Und ich glaube, sie hätten den Schatz auch gehoben, wenn er nämlich dagewesen wäre, und wenn nicht einer von den Lehrlingen die Sympathie gar zu dämlich unterbrochen hätte.

»Herr Pökel,« schrie plötzlich eine laute Stimme.

»Jung – Gott schütz' dir – willst du woll das Maul halten!«

»Jawoll, Herr Pökel,« krähte das wider, »aber kucken Sie, da oben – das Schwarze mit den feurigen Augen – das ist der Deuwel, der auf uns zukrabbelt, um uns das Genick umzudrehen. – Ich werd' mir hüten!« – Und damit warfen beide Lehrlinge ihre Hacken weg und fuhren wie der Sturmwind aus dem Garten heraus. Nur aus der Ferne klang es noch herüber: »Der Deuwel – in Sellentin ihren Garten spukt der Deuwel!«

Von dem Eichbaum kroch etwas herunter, setzte sich auf einen Ast und leuchtete Onkel Pökel mit feurigen Augen an. Den Schwanz hatte das Gespenst zwischen die Füße geklemmt.

»Je, je,« stotterte nun mein lieber Onkel Pökel und wäre beinahe in die Knie gebrochen, »wat is das?«

Er richtete sich auf, räusperte sich und sagte recht kleinlaut: »Wer sünd Sie?« – Keine Antwort. – Der Deuwel saß da und tat immer so, als wollte er dem Schatzgräber sofort an den Hals fahren.

»Hören Sie nich? – Wer Sie sünd? – und wo kommen Sie hierher? – Ich kann doch nicht glauben, daß Sie der Deuwel sünd? Ich bün Pökel, wollen Sie was von mich?« –

Allein der Deuwel war nicht für die modernen Vorstellungen, er nahm seinen Schwanz nach vorn und fing an, damit nach Pökel zu schlagen. Der Schwanz war spitz wie eine Nadel.

»Gott segen mir,« stammelte Pökel kläglich, »so haben wir nich gewett',« und nun vollführte er einen Sprung und schoß mehr tot als lebendig in die Küche von Frau Sellentin hinein, um dort nach Licht zu suchen. Er fand aber keins, warf nur ein paar Teller auf die Erde, riß jedoch in seinem Eifer auch die Schlafstube auf, wo die beiden Ehegatten schlummerten, und stand nun, nach Luft ringend, auf der Schwelle. In der Stube hatten sie wegen Krischans Krankheit ein Nachtlicht angesteckt, und Krischan, der fortwährend von Pökels zusammengewachsenen Augenbrauen geträumt hatte, richtete sich vor Schreck in die Höhe, sah seinen alten Freund an und fing fürchterlich an zu jammern:

»Mudding – da is er all – da steht Pökel – und nun will er uns drücken kommen.«

Frau Sellentin wachte auf, sah Pökel in ihrem Heiligtum, und hui! kroch sie wieder unter ihre Decke, bis nichts mehr von ihr zu sehen war.

Onkel Pökel jedoch war ebenfalls vor Schreck um die Sprache gebracht, er konnte nur die Arme in die Höhe heben, aber dies bestärkte Krischan immer mehr in seiner Meinung:

»Pökel – ich lad dir morgen aufs Mittagessen in,« jammerte er mit seinem steifen Genick. »Es gibt auch Erbsensupp' mit S'weinsohren, aber ich bitt' dir, oll Freund, hüpp' mir nich auf die Brust.«

Und als er das gesagt hatte, da verschwand er ebenfalls von der Oberwelt, bloß unter der Decke bullerte das noch so ein bißchen vor: »Aufs Mittagessen – aufs Mittagessen – au, mein G'nick!«

Ich weiß nun nicht, ob Onkel Pökel eine kleine Probe vom Alpdrücken gegeben hat, ich glaube es aber nicht, denn er befand sich bereits ein paar Sekunden später als ein ganzer Kerl wieder vor seinem Eichbaum, und diesmal trug er ein Licht in der Hand, als wollte er vor dem Deuwel eine Prozession abhalten. Aber wo war der Deuwel? In dem Loch in der Erde saß er und fing auf einmal an zu bitten:

»Herr Pökel – ach, ich bitt' Sie – helfen Sie mir doch aus diesem verfluchten Loch heraus – ich hab' mir meinen ganzen Fuß versprungen.«

»Süh, süh,« sagte Onkel Pökel, »was wird das? Mein Deuwel fängt ja an, höllisch höflich zu reden.« Und nun leuchtete er ihm ins Gesicht.

»Was? Fritz Dankward, Sie sünd der Deuwel?« rief Onkel Pökel jetzt fassungslos und hielt ihm das Licht unter die Nase. »Herr, – ich weiß gar nich – wo kajolt Sie denn der Deuwel auf unseren Eichbaum rauf?«

»Herr Pökel, später – erst helfen Sie mir bloß aus das Loch.«

»I, ne, bleiben Sie man noch'n bißchen sitzen. Das is 'ne gute Abkühlung auf den Brief, den Sie an uns' Lening geschrieben haben. Was? Erst so'n Brief und denn diese Kletterei auf unseren Eichbaum? – Herr, ich glaube, in Ihrem Kopf muß das nüdlich aussehen.«

Nun wurde der Deuwel wild. »Herr, was geht Sie das an?«

»Was mir das angeht? Viel geht mir das an. – Kommt so'n Kiekindiewelt und verdreht erst solchem kleinen unerfahren Mädchen den Kopf und denn will das mit einmal nich und spielt sich hier als Deuwel auf. – Na, ich werd' doch aber mal die Leute zusammenrufen, damit sie sich das Gespinst doch mal in die Nähe bekucken können.«

Damit tat er, als ginge er fort.

»Um Gottes willen, Herr Pökel, bleiben Sie hier, ich will Ihnen ja alles erklären, ich – ich bin ja man bloß auf den Baum gestiegen, weil – –«

»Na, weil?«

»Weil« – Und nun begann das aus dem Loch heraus ganz sanftmütig zu reden:

»Onkel Pökel, wenn Sie auch zurzeit Wittmann sind, sie haben doch auch mal eine Braut gehabt.« –

»Ja,« sagte Onkel Pökel, »war 'ne süße Dirn.«

»Nun sehen Sie, Onkel Pökel, ich hab's ja nich aushalten können, weil ich Lening dies angetan hab', aberst« – hier seufzte er tief auf – »aber mein Vater, der is gar nich dazu zu bewegen, der will mich ja von Haus und Hof jagen, und da habe ich mich verleiten lassen und den unseligen Brief geschrieben.«

»Ja, das is allens sehr schön, aber was haben Sie denn dabei auf dem Baum' zu suchen?«

»Onkel Pökel, begreifen Sie doch, ich habe sie ja doch bloß noch mal sehen gewollt! –«

»Was, mir?«

»Ach, Lening – dort oben liegt sie nun in der Kammer, und ich bin ihr so nah' und weiß mir nich zu helfen.«

Onkel Pökel sah ihn eine Weile ernsthaft an, dann sagte er: »Nun hören Sie mir eins zu: Erstens is Lening viel zu schad' für Ihnen, – verstehen Sie mir?«

»Herr Pökel – –«

»Zweitens sünd Sie ein jämmerlicher Kerl von einem Bräutigam.«

»Herr Pökel – –«

»Und drittens – in Ihrem Vater seinen Kopf spielt der Deuwel ja woll Brummküsel?«

»Herr Pökel, ich versteh' Sie gar nicht.«

»Das glaub ich, aber ich will Ihnen das ausdeuten. – Was? so'n Kerl wie Sie, der hält sich ümmer noch an Vaters Rockschlippen fest?«

»Herr Pökel, soll ich das schöne Gut fahren lassen?«

»Ne, Herr, dann lassen Sie Lening fahren,« schrie Pökel in lichterlohem Zorn.

»Ach, das kann ich ja auch nicht.«

»Nun sehen Sie, was Sie für'n lieblicher Gast sünd?« schalt Onkel Pökel. – »Junger Mensch, ich hab Erbarmen mit Sie. Is es Ihnen denn noch nie eingefallen, daß die vielen Gutsbesitzer hier in der Nähe Sie gern zum Inspektor annehmen würden? Is das nich eine auskömmliche Stelle?«

Mit einem Male sprang Jung-Dankward aus dem Loch:

»Onkel Pökel, is das Ihr Ernst?«

»Na, glauben Sie, Herr, daß ich hier mit meine kalten Füß' Spaß betreiben will?«

»Herr Gott – Herr Pökel, eingefallen ist mir das auch schon oft, aber jetzt bin ich fest entschlossen.«

»Junger Mensch,« sagte Onkel Pökel, »dann haben Sie sich zu was sehr Vernünftigem entschlossen, und wenn Sie weiteren Rat gebrauchen, denn wenden Sie sich man an mir. Und nun gut' Nacht, mir schuddert das durch den ganzen Leib.«

»Onkel Pökel – noch ein einziges Wort; – darf ich Lening nicht bloß noch eine einzige Minute sprechen?«

»Das is nich übel,« griente Pökel. »So'n Filu – Herr, seit Sie den Deuwel gespielt haben, da haben Sie sich solche dämon'sche Ansichten zugelegt. – Aber nu is genug. Nu marschieren Sie man gleich aus den Garten heraus. – Eins, zwei – drei!«

Damit gingen sie auseinander.

Als Onkel Pökel nach seiner Kammer schritt, wobei er auch an derjenigen von Lening vorbei mußte, da wurde die Tür ein wenig aufgemacht, und durch den Spalt lugte ein liebliches, blondes Mädchenantlitz, und bei dieser Gelegenheit bekam Onkel Pökel ein Stück eines weißen Armes zu sehen, durch dessen Anblick Fritz Dankward sicherlich um seinen Verstand gebracht worden wäre.

»Onkel Pökel,« flüsterte eine bebende Stimme, »was war das für ein Mann da unten? Und was war das für eine Stimm'?«

Aber nun schäme ich mich beinahe für meinen Haupthelden. Was tut unser Onkel Pökel? Er faßt den Kopf und den weißen Arm und küßt immer umschichtig auf ihnen herum, und dabei flüstert er: »Sei stilling, Lening, sei ganz stilling. Das war Gottes Stimm'. Und nun kommt das Glück wieder, und die Liebe wieder; und was hab' ich dich ümmer gesagt? – Die Planetens und die Monetens sünd in die Reih'.«

Der Mond blitzte ein wenig später silbern in zwei Kammern herein. In der ersten lag Lening auf den Knien, hatte die Hände gefaltet und blickte ernsthaft zu der strahlenden Scheibe hinauf. Und der Mond flimmerte und flammte ihr Antwort: »Nun kommt das Glück, Lening, nun kommt das Glück.«

In der anderen Kammer saß Onkel Pökel in seinem Bett und überlegte sich:

»Das mit die Planetens hat gestimmt, aber das mit die lütten Pagels hat nich gestimmt, und das kann mir kein Mensch zu meinem Nachteil anrechnen.«

Mit diesen Gedanken schlief er ein. Allein sein Freund, der Mond, lachte auf ihn nieder und fragte ein bißchen spöttisch:

»Pökel, hast nich 'nen Schatz gefunden? Ich hab so was gehört.«

»Ne, oll Fründ,« erwiderte Pökel ärgerlich, »ich glaub' nich.«

»Du hast ihn doch gefunden,« widersprach der Mond.

»Du lügst!« schrie Pökel.

»Mensch, achte auf deine Worte,« greinte der Mond. »Hast du nicht Lening ihren Schatz gefunden? Und gilt dir ein Mensch nicht mehr als Silber und Gold? Und kuck, weil du so'n ollen ehrlichen Kerl büst, will ich auch was für dich tun.»

Und mit einem Male war es, als wenn aus dem Mond lauter kleine Bäche und Quellen von eitel Silber herunterflössen, gerade vor Onkel Pökels Bett. Und in den Bächen spielten niedliche, goldene Fische, die hatten lauter Louisdors auf dem Leib. Und Onkel Pökel sah sich selbst in seinem Traum, wie er dasaß mit einer silbernen Krone auf dem Kopf, aber mit nackten Beinen, und wie er mit einem Netz immer einen von den goldenen Fischen nach dem anderen aufangelte, bis der Mond endlich sagte: »Nun bist du reich genug, Pökel, nu adjüs.«

Und nun lassen wir Onkel Pökel in seinem Reichtum schlafen, und sagen ganz leise, damit er nicht aufwacht, dasselbe, was der Mond gewünscht hat, nämlich »adjüs«. Und das tue ich hiermit.


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