Ferdinand Emmerich
Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel
Ferdinand Emmerich

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Der Malaie erschien erst nach Stunden wieder auf Deck. Auf Befragen schüttelte er bedenklich den Kopf und sagte mit einem Ernste, den ich sonst nicht an ihm gewohnt war:

»Wir müssen den Kapitän an Land bringen. Wenigstens muß ein Arzt einen richtigen Verband anlegen. Mir fehlt hier eben alles, da wir ja unser Wohnschiff so plötzlich verlassen mußten. Wenn wir im Laufe des Tages keinen Dampfer treffen, der uns ärztliche Hilfe leihen will, segeln wir mit Einbruch der Nacht nach Celebes hinüber. Dort, unter Kap Temoel, finden wir Freunde.«

Am nächsten Mittag sichteten wir das Kap, liefen aber nicht in die Bai ein, sondern gingen an einem dicht bewachsenen Eilande, das sechs bis sieben Seemeilen vom Festlande liegt, vor Anker. Der Malaie ließ das Boot zu Wasser und ruderte ganz allein auf den hellweißen Strand zu, wo er in einem Einschnitt verschwand. Inzwischen schritt ich mit dem Chinesen auf Deck auf und ab und – machte Fluchtpläne. Die gefährliche Verwundung des Kapitäns sollte den Vorwand zu einem Ausfluge an Land bilden. In der nicht sehr weit von unserm Ankerplatz gelegenen Stadt Sirendja war ich nicht bekannt und konnte, als Weißer, auch keinen Verdacht erwecken. Meine eigenen Papiere wiesen mich den holländischen Behörden gegenüber aus, und mein Begleiter, eben jener zweite Steuermann, trat als Seemann, der auf der englischen Dschunke Steuermannsdienste tat, auf. Wir verabredeten auch noch, um den Kapitän nicht ohne jede Hilfe zu lassen, einen eingeborenen Fischer mit dem durch mich zu unterrichtenden Ärzte an Bord der Dschunke zu senden. Wir selbst aber würden jede Verbindung mit den Schmugglern abbrechen. – Dieser Plan schien auch insoweit vom Glück befürwortet zu werden, als mich der Kapitän in eben dem Moment zu sich bitten ließ und mich ersuchte – gerade als ob er Ohrenzeuge unserer Unterredung gewesen wäre – an Land zu fahren, und alles aufzubieten, einen Wundarzt zu einem Besuche auf der Dschunke zu veranlassen. Er zahle jedes geforderte Honorar.

Natürlich willigte ich sofort ein. Ich fragte auch gleichzeitig, ob mich der zweite Steuermann begleiten dürfe, da er, außer dem Ersten, der einzige an Bord sei, der holländisch verstände. Auch dazu gab der Kapitän seine Zustimmung. Er ließ sich den Chinesen in die Kajüte kommen und gab ihm genaue nautische Anweisungen für den Fall, daß uns die Nacht bei unserer Rückkehr überrasche.

Wir schwammen in Glück. Die Freude über unsere Befreiung aus der Sklaverei der Schmuggler war so groß, daß sie notgedrungen – ins Gegenteil umschlagen mußte. – Das Boot fehlte! In unserm Taumel hatten wir ganz vergessen, daß der Malaie es zu seinem Ausflug auf die Insel benutzt hatte. Ein zweites stand uns nicht zur Verfügung, und weit und breit zeigte sich auch kein Segel, das uns hinüber an die jetzt mit erhöhter Sehnsucht betrachtete Küste hätte bringen können. – Der Chinese erbot sich, dem Kapitän darüber Bericht zu erstatten, als ob dieser ein Boot hätte herbeizaubern können. Tschung-Li bekam vielmehr einen seiner Zornesanfälle, die den zweiten Steuermann eilig aus seinem Bereiche entfernten. – Ich selbst wagte, als letztes verzweifeltes Mittel, dem tobenden Kapitän vorzuschlagen, gleich mit der Dschunke in die Bai einzufahren. Das würde den Arzt sicher viel willfähriger machen, zu ihm zu kommen, als die Aussicht, mit einem offenen Boote sechs Meilen hin- und ebensoviele zurücksegeln zu müssen. Zu meiner Verwunderung lehnte Tschung-Li ab. Er getraute sich nicht den Behörden des Festlandes die englische Dschunke vorzuführen. Man hätte dort Telegraphen – überhaupt, es sei nicht ratsam! Er wolle lieber die Rückkehr des Ersten abwarten. Dann müßten wir aber sofort segeln und den Arzt – er nannte einen bestimmten Namen – selbst bei eingetretener Dunkelheit herausbringen. – Ich versprach alles, nur jetzt weniger zuversichtlich.

Die Stunden, die wir jetzt auf der Dschunke zubrachten, waren geradezu qualvoll. Nicht nur für mich, sondern auch für den Chinesen. Wir sprachen kaum noch ein Wort miteinander. Unausgesetzt hefteten wir unser Auge auf den kleinen dunklen Einschnitt in dem weißen Sande, der von unserm Bord aus ein so unschuldiges Aussehen hatte, als sei nie eines Bootes Kiel durch sein klares Wasser geschwommen.

Endlich, die Sonne ging schon zum Westhimmel hinunter, tauchte das so heiß ersehnte Boot aus dem Schutze der Manglaren auf. Es trug drei Insassen. Als wir das bemerkten, wußten wir beide, daß heute aus unserm Plane nichts mehr werden konnte. – Wir wollten ihn jedoch noch nicht als gescheitert ansehen – obwohl die Hoffnungslosigkeit, die bei dieser Erkenntnis aus unsern Augen sah, genau das Gegenteil besagte.

Die Fahrgäste des Malaien erwiesen sich als zwei Kapitäne von Dschunken der Gemeinschaft, von denen der eine angeblich medizinische Kenntnisse besaß und den Verwundeten kunstgerecht verbinden sollte. In einem letzten Aufbäumen von Hoffnungen zweifelte ich dem Malaien gegenüber die Kunst des Besuchers an und redete von Menschenpflicht und Kameradschaftsinn. Wenn er selbst sich nicht bemühen wolle, so führe ich gern zur Stadt. – Zu meinen Worten fand der Malaie nur die Antwort:

»Regen Sie sich doch nicht auf. Es ist doch nicht Ihre Hand, die auf dem Spiele steht!«

Diesem Weisheitspruch gegenüber mußte ich mich bescheiden. – Noch verzweifelter war ich, als wir kurz vor Sonnenuntergang dicht an die Insel verholten, sie langsam umfuhren und durch einen zwischen dem Kap und dem Eilande verborgen liegenden, natürlichen Kanal in ein geräumiges Becken einfuhren, in dem bereits drei Dschunken lagen. Auch wir ließen dort den Anker fallen. An eine Flucht von hier aus war gar nicht zu denken. Die Insel war zwar sehr dicht mit Urwald bestanden, und das uns umschließende Dickicht wies kaum einen erkennbaren Pfad auf. Aber eine Möglichkeit, sich dort längere Zeit verborgen aufhalten, oder gar an der andern Seite vorübersegelnde Schiffe um Aufnahme bitten zu können, war ausgeschlossen. Diese niederschmetternde Entdeckung, nach so warm empfundener Freude, brachte mich fast zur Raserei. Zum großen Glück für mich, fiel dem ersten Steuermann nicht im Schlafe ein, daß ich wohl Fluchtgedanken hegen könne, sonst wäre ihm meine stille innere Wut bestimmt aufgefallen. – Ich war ihm dankbar, daß er mich zum Abendessen in seine Kabine einlud, mit der Begründung, daß die drei Kapitäne wichtige Dinge zu beraten hätten, die für uneingeweihte Ohren nicht bestimmt seien.

«Den Maharani Mantanari haben sie wirklich abgefangen,« erzählte er während des Essens, als sei das ein für ihn höchst nebensächliches Ereignis. »Er hatte vierundzwanzig Mann an Bord, darunter zwei Kapitäne. Sie alle sind gefangen abgeführt, bis auf drei, die von den Haifischen mehr Gnade erwarteten, wie von den Holländern. – Mantanari hat seine Dschunke wirklich verbrannt. Er soll große Werte mit sich geführt haben.«

»Wie kam das, daß eines euerer Häupter so sorglos in die Falle ging?«

»Die Holländer müssen Wind davon bekommen haben, daß Mantanari mit Kü-schan, Tschung-Li und Dongsa in der Nähe der Adang-Bai zusammentreffen wollte. Die Bai ist nämlich wegen der dort herrschenden Fieber berüchtigt, und kein Holländer hat jemals geglaubt, daß gerade dort ein Sommerhaus des Maharani steht. Die Hütte war sein Wachthaus. Jede vorüberfahrende Dschunke mußte ihr Zeichen melden, damit Mantanari immer wußte, wer unterwegs war. Er telegraphierte dann von Pasir aus die Nachricht an die, welche es anging.«

»Was geschieht nun mit den Gefangenen?«

»Komische Frage. Sie werden natürlich aufgehängt,« erwiderte er lächelnd. »Die meisten werden es zu dieser Stunde bereits überstanden haben. Den Maharani Mantanari bringen sie wohl nach der Hauptstadt, um ihm dort einen regelrechten Prozeß zu machen. Er ist ein Radja von der englischen Grenze im Norden. Sein Vater regiert da irgendeinen der Eingeborenenstaaten, die unter englischem Schutze stehen. Deshalb macht man etwas mehr Lärm. Im Grunde ist aber das Ende dasselbe.«

«Ihr habt die Mitteilungen von einer dieser Dschunken, nicht wahr?«

»Ja, jene dort kam eben aus dem Pasirflusse, als der Tanz losging. Der Kapitän hat alles mit angesehen. Schon in Pasir erfuhr er, daß die Regierung vier große Dampfer, drei Segelschiffe und einen neuen Typ, Torpedoboot nannten sie es, an die Westküste von Borneo und auf die Ostinseln gesandt hat. Man will gründlich mit uns aufräumen.«

»Dann ist ja auch mein Vertrag mit Kü-schan und Tschung-Li erledigt?« wagte ich hervorzubringen.

»Im Gegenteil! Ich glaube, man verhandelt da drinnen über Sie. Die Kapitäne halten eine Luftveränderung für notwendig. Sie möchten den ganzen Betrieb jetzt nach dem englischen Teil verlegen und von den spanischen Inseln aus Geschäfte betreiben. Da werden Sie eine hervorragende Rolle spielen sollen.«

»Nein, ich danke. Ich habe nun genug von den Fahrten. Ich sehne mich nach einer weniger aufregenden Beschäftigung an Land. Für das Seeleben passe ich nicht.«

»Nun ja, man wird Sie natürlich am Lande brauchen. Besonders jetzt, wo Sie einmal eingeweiht sind, können Sie nicht mehr austreten. Das wäre Ihr Tod. Wir haben ja auf den ganzen Inseln unsere Helfer, die Ihnen auf Befehl von oben mit Vergnügen den Kris ins Herz stechen.« Bei diesen Worten sah mir der Malaie zynisch ins Gesicht.

»Gar so weit sind wir noch nicht,« erwiderte ich mit erzwungenem Lächeln. »An Verrat denke ich nicht. Ich will nur nicht mehr fahren.«

»Das habe ich dem Tschung-Li schon oft wiederholt, er bildete sich aber ein, Sie würden ihn verraten. Ich glaube, Kü-schan hat ihm damals, als sie auf dem Laoet-ketijl-Atoll zusammentrafen, so etwas Ähnliches gesagt. Deshalb ließ er Sie auch vor Pasir nicht an die Küste.«

»So etwas hätte ich dem Kapitän nicht zugetraut,« erwiderte ich in beleidigtem Tone. »Ich habe ihm doch während unserer Irrfahrten bewiesen, daß ich zu Euch halte, denn wenn ich Verrat geplant hätte, so fand sich bereits mehr als eine Gelegenheit.«

Der Malaie wurde abberufen und ließ mich mit meinen Gedanken allein. Nun, da er mir so offen von dem Verdachte des Kapitäns gesprochen hatte, zweifelte ich auch nicht mehr daran, daß dieser meine Verabredungen mit dem Chinesen durch einen mir verborgen gebliebenen Schalleiter gehört hatte und darum so prompt auf meine Wünsche eingegangen war. Er wußte ja ganz genau, daß kein Boot an Bord war, dessen wir uns hätten bedienen können. –- Jedenfalls wollte ich den Chinesen warnen und begab mich zu dem Zweck auf Deck, wo ich ihn auf einer Matte liegend antraf. Als ich mich zu ihm niederbeugte, um ihm meine Befürchtungen zuzuflüstern, gebot er mir durch Auflegen eines Fingers auf den Mund Schweigen und zog meinen Kopf zu sich nieder.

»Ich höre jedes Wort, das in dem Kapitänszimmer gesprochen wird. Gehen Sie auf das Oberdeck und legen Sie sich dort zum Schlafe nieder, Wenn die da unten fertig sind, komme ich zu Ihnen.«

Das beruhigte mich wieder. Der Chinese hätte mich sicher gewarnt, wenn unser Plan entdeckt worden wäre. Ich befolgte seinen Rat und legte mich auf die weichen Kissen des Kapitäns, deckte mich mit einer Matte bis an den Hals zu und wartete geduldig auf den Chinesen.

Ein Sonnenstrahl schreckte mich empor. Ich hatte die ganze Nacht durchschlafen und fühlte mich wie neugeboren.

»Das nenne ich schlafen!« tönte es mir ins Ohr, als ich mit einem Sprung auf den Beinen stand. »Aber Sie hatten es auch nötig. Im stillen wunderte ich mich, daß Sie fast zu jeder Stunde an Deck waren.«

Es war der Malaie, der so zu mir sprach. Er kam eben aus seinem Morgenbade, das ihm ein Sprung über Bord verschafft hatte.

»Wo ist denn die große braune Dschunke?« fragte ich erstaunt, als ich den Platz, an dem das ungeschlachte Fahrzeug gelegen hatte, leer fand.

»Haben Sie auch das nicht gehört? Die haben doch Lärm genug gemacht, als sie vor Tagesanbruch ausliefen. – Der Steuermann hat Sie sogar geschüttelt – das haben Sie auch nicht gemerkt?«

»Nein, ich erinnere mich nicht. Welcher Steuermann wollte mich wecken ?«

»Unser Zweiter, der Chinese!«

»Nun, dann mag er mich jetzt besuchen,« erwiderte ich mit möglichst gleichgültiger Miene, obwohl mein Inneres vor Erwartung bebte.

»Das wird er wohl nicht können. Er ist mit der Dschunke ausgelaufen, wir haben ihr die gesamte chinesische Mannschaft mitgegeben, weil der lange Polderang seine Fahrten nach Formosa wieder aufnimmt. Er hat vierhundert Fäßchen Opium an Bord. Das bringt Geld.«

Um meine Aufregung zu verbergen, in die mich diese unerwartete Nachricht versetzte, sprang auch ich über Bord. Ich wollte mich durch ein Bad zu beruhigen suchen, denn instinktiv ahnte ich, daß ich durch Tschung- Li wegen unserer gestrigen Hilfeleistung noch gründlicher ausgefragt werden würde. Dabei brauchte ich meine volle Geistesgegenwart.

Ich plätscherte, in diese nichts weniger als rosigen Gedanken vertieft, unbekümmert in dem kristallklaren Wasser, das mir einen Blick in einen der Feengärten öffnete, mit dem der Meeresboden der tropischen Gewässer so verschwenderisch ausgestattet ist, als mich plötzlich das Gebaren der Matrosen eine Gefahr ahnen ließ.

»Achtung, Kamerad! Ein Hai!«

Da ich ihn vom Wasserspiegel aus nicht sehen konnte, zögerte ich sekundenlang. Das aufgeregte Geschrei der Seeleute auf den andern Dschunken belehrte mich jedoch, daß schleunigste Flucht notwendig war, und ich schwamm daher mit langen Strichen auf die Ankerkette zu, an der ich an Bord zurückklettern konnte. – Das war aber gerade der verkehrteste Weg, denn dadurch trieb ich dem Hai direkt vor den Rachen. Zu meinem Entsetzen gewahrte ich das erst, als ich die sichelförmige Rückenflosse in fast greifbarer Nähe vor mir auftauchen sah. Ich gab mich schon verloren und machte nur, als Reflexbewegung des Selbsterhaltungstriebes, mit Armen und Beinen so viel Lärm als möglich, in der Hoffnung, vielleicht mir dadurch eine Gnadenfrist zu erkämpfen. An ein überlegtes Handeln dachte ich in jenem Augenblicke wohl nicht.

Da nahte mir Hilfe von dem benachbarten Boote. Ein Papuaner sprang, mit einem langen Messer bewaffnet, in das Wasser und tauchte sofort neben dem Hai unter. Bald färbte sich das Meer blutrot, und der Hai überschüttete mich mit einem wahren Sturzbade schäumenden Wassers. An Stelle des Rachens tauchte der furchtbare Schwanz neben mir auf, dessen gewaltige Schläge große wirbelnde Trichter erzeugten, die mich in die Gefahr des Ertrinkens brachten. Jetzt konnte ich aber die Ankerkette erfassen und mit einer Geschwindigkeit, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte, brachte ich mich unter der Klüse in Sicherheit.

Im Wasser aber nahm der Kampf zwischen dem Papuaneger und der gefräßigen Bestie seinen Fortgang. Ersterer schien kein Neuling auf diesem Gebiete zu sein. Er tauchte immer wieder in die Tiefe und jedesmal, wenn sein Kopf verschwunden war, färbte ein neuer Blutstrom die klare Flut. Nach dem vierten Angriff hatte der Hai genug. Er kam leblos, auf dem Rücken liegend, an die Oberfläche, als wollte er uns anklagend die furchtbaren Messerwunden zeigen, die ihm der Mensch in seiner Zerstörungswut verursacht hatte.

Ich wollte mich, nachdem ich mich wieder angekleidet, auf die andere Dschunke begeben, um meinem Lebensretter meinen Dank in greifbarer Form abzustatten. Aber dieser wollte davon nichts wissen.

»Das war doch nur eine Spielerei für mich. In meiner Heimat kann das jeder mannbare junge Mann,« wehrte er lächelnd ab.

»Du hast aber doch dein Leben für mich riskiert!« rief ich, indem ich ihm ein Paket Zigarren in die Hand drückte.

»Ach was! Man sieht, daß du das nicht verstehst,« antwortete er. »Ich wage nicht viel dabei. Nur der Hai riskiert sein Leben und das verliert er sicher. Man muß nur darauf Bedacht nehmen, daß man immer unter ihm bleibt. Dann kann er nicht beißen, weil er sich zum Erfassen seines Gegners immer umdrehen muß. – Wenn wir noch länger hier liegen bleiben, lehre ich dich, wie man es macht.«

Dazu nun spürte ich nicht die geringste Lust. In mein abwehrendes Lachen stimmten auch alle die auf den Schiffen stehenden Farbigen ein, besonders als der Papua in einem gewissen mitleidsvollen Ton sagte:

»Nicht wahr, dazu fehlt den Weißen doch der Mut. Ein Hai ist auch kein armer Papuaneger!«

Worte, die eine bittere Wahrheit enthielten.

Tschung-Li verlangte erst nach dem Frühstück nach mir. Er war sehr frisch und gab mir auf meine Frage nach seinem Befinden die Antwort:

»Schmerzen habe ich nicht mehr. Aber der Arm schwillt an und da versagt auch das Wissen meiner Kollegen. – Sie wollten gestern zur Stadt hinüber, um mir den Arzt zu bringen. Getrauen Sie sich auch heute noch?«

»Aber lieber Kapitän, welche Frage? Warum sollte ich das heute nicht auch tun wollen? Geben Sie mir einen oder zwei gute Seeleute mit und dann fahre ich sofort.«

»Das ist es ja eben. Der chinesische Steuermann ist nicht mehr hier. Wen wollen Sie an dessen Stelle mitnehmen?«

»Sie werden doch genug tüchtige Seeleute haben,« erwiderte ich. »Die Hauptsache ist nur, daß meine Begleiter holländisch sprechen – damit ich mich auf der langen Fahrt mit ihnen unterhalten kann – und wenigstens etwas englisch, weil sonst die Ausrede, der Mann sei Steuermann auf einer englischen Dschunke, nicht leicht geglaubt wird.«

»So – so – das war der Grund!« sagte Tschung-Li gedehnt. »Aber mit dem Engländer ist das jetzt nichts mehr, denn wir liegen ja hier in unserm Versteck. Sie müßten dann schon einen andern Grund angeben, wenn die Behörden neugierig würden.«

»Hm, aber welchen? Ich kenne ja weder die Gegend noch die Stadt. – Und wie soll ich es dem Arzte klar machen, daß er in ein Versteck geführt werden soll, von dem er später nicht reden darf? – Nein, Kapitän, ohne die Dschunke ist das Unternehmen doch zu auffällig. – Wollen Sie nicht selbst den Arzt aufsuchen?«

»Bringen Sie uns den Arzt nur ruhig her. Daß er nicht schwätzt, soll meine Sorge sein,« sagte der mitanwesende Kapitän einer andern Dschunke. Passar nannte ihn Tschung-Li.

»Das Herbringen ist ja gerade der Punkt, um den sich alles dreht,« erwiderte ich. »Und wenn Sie auch den Arzt haben – ohne die Verbindung mit seiner Apotheke oder seinen Instrumenten nützt er Ihnen nichts!«

Ich hatte jetzt die Überzeugung gewonnen, daß mein Fluchtplan von hier aus nicht mehr ausführbar war, und suchte nun meinen Unmut darüber in kleinen Widersprüchen gegen die Vorschläge der andern zu äußern. Dadurch glaubte ich sie zu einem Ausflug in die nächste Stadt anspornen zu können. Ich gestehe, daß ich dabei auch mit dem Gedanken spielte, die ganze Bande der Polizei in die Hände zu liefern. – Wieder verhinderte ein Zwischenfall die Ausführung der Fahrt in die Stadt.

Am Eingang der Fahrtrinne wurde ein mit sieben Seeleuten bemanntes Boot sichtbar, das durch die Last fast bis zum Sinken auf das Wasser gedrückt wurde. Die Leute trugen die Spuren großer Erschöpfung auf dem Gesichte ausgeprägt und als sie sich in der Nähe von Kameraden wußten, entglitten die Ruder den kraftlosen Händen.

Unser Malaie war der erste, der sich tatkräftig der Matrosen annahm.

»Vorwärts, ihr faulen Kerle, holt die Kameraden herauf. – Besinnt euch nicht so lange. Bringt sie hier auf Deck! – Koch! Bringe Tee mit etwas Rum – Reis und Eier her!«

Jeder von uns wußte auch ohne lange Berichte, daß wir hier Unglückliche vor uns hatten, die einer Verfolgung durch die Holländer entronnen waren. – Nur das wo? brannte auf aller Lippen, und diese einzige Frage stellte denn auch der Malaie sofort.

»Vor der Dampelasbucht – – drei Dschunken – ein Dampfer ...« war die Antwort.

Diese wenigen Worte riefen größere Aufregung hervor, als man wohl erwartet hatte, denn eben diesen Kurs mußte ja die heute früh ausgelaufene Dschunke steuern, wenn sie nach Formosa hinüber wollte. Der Malaie lief auch sofort zu Tschung-Li hinunter, um eine Möglichkeit zu beraten, wie jener zu helfen wäre.

Die beiden Kapitäne nahmen die Nachricht von der Nähe eines Dampfers ohne besondere Erregung hin. Sie wähnten sich hier in dem alten Kraterkessel in vollkommener Sicherheit. Passar meinte:

»Der lange Polderang wird sich schon rechtzeitig in Sicherheit bringen. Der kennt die ganze Küste von Celebes mit all' ihren Schlupfwinkeln. Haben die Leute, die da eben ankamen, denn nichts von ihm gesehen?«

»Das weiß ich noch nicht,« erwiderte der erste Steuermann. »Sie sind noch zu erschöpft, um Antwort zu geben. – Ich frage Euch, Kapitän, ob wir Polderang ein Segelboot mit einer Warnung nachsenden sollen. Zwischen hier und Dampelas findet er kein Loch, in dem er seinen Hut verstecken könnte.«

»Laßt ihn laufen, Steuermann,« rief Passar anstelle Tschung-Lis. »Aber ein Boot zur Beobachtung könnt Ihr hinaussenden. Sagt meinem Ersten, er solle meine Jolle dazu hergeben.«

»Und Kapitän Polderang wollt Ihr ohne Hilfe lassen, Kapitän Passar?« fragte der Malaie in scharfem Tone. Als der Angeredete spöttisch die Achseln zuckte, fuhr er fort: »Das werde ich mir für ähnliche Fälle merken, Kapitän! – Und Ihr, Tschung-Li, denkt Ihr auch so?«

»Laßt das viele Fragen, Steuermann,« erwiderte dieser. »Ihr seht doch, daß ich mich nicht frei bewegen kann! Macht unser Boot fertig und wählt zwei Mann aus, die holländisch sprechen. Sie sollen den Deutschen nach Sirendja bringen.«

»Geht der Deutsche hier von Bord?« fragte der Malaie rasch, und ein mißtrauischer Blick traf mich.

»Tut was ich Euch sage,« rief Tschung-Li wütend. »Wer ist hier der Herr? Seid es Ihr oder bin ich es.«

Wortlos verließ der Malaie die Kajüte und warf krachend die Tür hinter sich zu. Der kurze Augenblick, der die Außengeräusche in den Raum dringen ließ, hatte genügt, mir einen Ton zuzutragen, bei dessen Wahrnehmung ich erbleichte. – Die Kapitäne bemerkten das und ließen ihre Blicke fragend zwischen sich und mir hin- und hergleiten.

»Haben Sie denn das nicht gehört?« rief ich heiser, unwillkürlich die Stimme zum Flüstertone senkend.

»Was denn?« fragten beide verwundert.

»Ein Dampfer ist in der Nähe. Ich habe das Zischen des abgeblasenen Dampfes gehört.«

»Zum Teufel, Mann, redet keinen Unsinn,« entfuhr es dem Munde Passars, dessen hochmütige Miene rasch einem ängstlichen Ausdruck wich. »Wie soll hierher ein Dampfer kommen?«

»Lauft doch nach oben und fragt den Malaien, ob er es auch hörte,« sagte Tschung-Li, durch dessen Körper ein Zittern lief.

Passar erhob sich und riß die Türe auf. Seine Zweifel wurden schon hier behoben, denn nun hörte man deutlich das Zischen und – was uns noch größeren Schrecken einjagte – das Klirren von Ketten.

»Bei Allah, der geht hier zu Anker,« knirschte Tschung-Li. »Wenn er den Eingang findet, gibt es eine blutige Geschichte.«

»Bleibt hier!« herrschte mich Passat an, als ich an ihm vorüber auf das Oberdeck gehen wollte. »Ich sehe selbst nach dem Rechten.«

»Was geschieht, wenn uns der Dampfer entdeckt?« fragte ich Tschung- Li, dessen finstere Miene nichts Gutes ahnen ließ.

»Dann kämpfen wir. Unsere Leute sind in der Übermacht und werden die Mannschaft des Dampfers bald überwältigt haben. Ich bedauere nur, daß ich nicht dabei sein darf. Ich würde ihnen das Spionieren austreiben,« erwiderte Tschung-Li wieder vollkommen beherrscht.

»Wenn aber die Holländer Sieger bleiben, Kapitän, dann sind Sie doch wehrlos in ihre Hand gegeben. Wollen Sie sich nicht lieber an die Küste hinüberrudern lassen, bis die Gefahr vorüber ist?«

Nachdenklich ließ Tschung-Li seine Augen über die etwa zwei Seemeilen entfernten Berge von Kap Temoel schweifen. Er mochte wohl meinen Vorschlag überdenken. Der Eintritt Passars riß ihn in die Wirklichkeit.

»Ein Dampfer liegt am andern Ende der Insel vor Anker,« berichtete er. »Euer Malaie ist durch die Mangroven in den Busch gegangen, um ihn auszukundschaften. Es ist alles bereit, um einen Angriff abzuwehren.«

»Was sagen die fremden Seeleute?«

»Drei von Kü-schans Abteilung wurden gestern nachmittag von einem Dampfer gejagt. Ein paar Meilen vom Kap Dampelas holte er die letzte ein und brachte die Mannschaft auf sein Deck hinüber. Darauf gingen von der ersten Dschunke, es war die ›Elf‹, drei Mann mit dem Boot davon. Sie fischten noch vier von der zweiten auf. Fünf nahm sich der Hai. Sie entkamen auf das Kap, trotz Beschießung durch den Holländer. Von da ruderten sie hierher. Die ›Elf‹ und die ›Acht‹ sind nachher gesunken.«

»Wissen sie nichts von Kü-schan?« fragte Tschung-Li rasch.

»Ja, aber nichts Gutes. Sein Dampfer wurde von zwei Holländern verfolgt und strandete in der Koetei-Mündung. Er selbst und seine ganze Besatzung haben sich an Land gerettet. – Ich denke, er wird in dem Versteck bei Kap Sintang warten.«

»Es ist zum Verzweifeln,« rief Tschung-Li aus. »Wenn ich nur eine Möglichkeit sähe, mit Kü-schan zusammenzutreffen! Ich muß ihn sprechen! – Oh, wenn ich hier nicht festläge, ich wüßte schon ein Mittel!«

»Sagt es mir. Ich helfe Euch, das wißt Ihr!« sagte Passar.

»Dasselbe, an das Ihr denkt!«

»Ich warte nur auf die Antwort Eueres Steuermannes,« erwiderte der andere, »wenn nicht gar so viele Matrosen an Bord sind, gehen wir vor Sonnenuntergang noch mit dem Dampfer in See. Sonst ganz bestimmt vor Sonnenaufgang.«

»Ist jemand unter Euern Leuten, der mit Maschinen umzugehen weiß?«

»Hm, das weiß ich nicht einmal. Aber drüben gibt's solche. Die können sich freikaufen, wenn sie den Dampfer nach Kap Sintang bringen.«

»Und nachher verraten sie uns!«

»Seid Ihr so naiv oder stellt Ihr Euch so, Tschung-Li? Ich glaube jetzt selbst, daß wir uns alle mit Kü-schan verständigen müssen. Wir werden in den letzten Tagen schwere Verluste erlitten haben, die unsere ganze Organisation durcheinanderbringen. Auch ich erwartete hier Anweisungen.« – »Ihr habt Waffen, nicht wahr?«

»Tausend Flinten und hunderttausend Patronen für Lombok. Bei Maratoea aber signalisierte mir eine Dschunke mit dem grün-roten Zeichen, ich solle hier auf neue Anweisungen warten.«

«Ihr kommt also nicht von Mindanao?«

»Nein, aus der Lucia-Bai. Die Engländer liefern billiger als die Spanier.«

Der Malaie erschien in der Kajüte.

«Ich zählte sechsundzwanzig Mann. Alle bewaffnet. Sie haben Gefangene an Bord. Einer blickte zufällig durch das Bullauge. Ich gab ihm das Zeichen für die Nacht. Wann sollen wir losgehen?«

»Liegt er weit vom Strande ab?« – »Keine zwanzig Längen.«

»Dann sagen wir, um zehn Uhr. Das ist ein Rufzeichen, das auch die Gefangenen kennen. Verteilt die Leute. Je ein Viertel von den vier Seiten. Keiner darf leben bleiben!«

Ich schauderte bei dem Gedanken an den mörderischen Überfall. Minutenlang ertappte ich mich bei der Erwägung einer Flucht an die nahe Küste. Die zwei Seemeilen würde ich schwimmen können. Und in der Unruhe des Aufbruchs entdeckte sicher kein Mensch mein Verschwinden. – Später würde Gott weiter helfen. – Aber das Abenteuer mit dem Hai war mir noch zu frisch im Gedächtnis, und dann ließ mir Tschung-Li keine Zeit mehr zu längerem Nachdenken.

»Wenn meine Leute bei der Arbeit sind, kann ich hier nicht ruhig sitzen bleiben,« hub er an. »Sie werden sich natürlich auch nicht beteiligen? Da wäre es mir lieb, wenn Sie mit mir auf die See hinausruderten. Wir sehen uns den Verlauf der Operation an und gehen dann gleich an Bord des Dampfers, wenn unsere Leute reinen Tisch gemacht haben. – Wir können schon vor Tagesgrauen am Ziele sein, denn von hier nach Kap Sintang sind es nur hundert Meilen. Unsere Dschunken finden wir wieder. Das Versteck kennen nur die unsern und die sorgen dafür, daß nichts abhanden kommt.«

Nach Lage der Dinge blieb mir nichts anderes übrig, als zustimmend zu antworten. Insgeheim aber machte ich Pläne über Pläne, wie ich diese Gelegenheit zur Erlangung meiner Freiheit ausnutzen könnte. Vom Oberdeck konnte man ein paar alleinstehende, hohe Bäume des Festlandes sehen, die den Baumbestand unserer Insel überragten. Diese prägte ich mir genau ein, denn sie sollten mir als Landmarke für den kürzesten Weg dienen.

In unserm Becken begann eine rege Tätigkeit, die um so eindrucksvoller wirkte, als jegliches vordringliche Geräusch vermieden werden mußte. Unter der Leitung des Malaien, der das Innere der Insel genau kannte, wurden alle verfügbaren Waffen an die Nordseite des Eilandes gebracht. Dort lag der Dampfer in der Glut der Mittagssonne wie ausgestorben. Keiner seiner Besatzung ahnte, wie dicht der Tod neben ihm auftauchte und eifrig Vorbereitungen zu seiner grausigen Ernte traf. – Auf den Dschunken traf Passar die zu sofortigem Auslaufen erforderlichen Maßnahmen. Unmittelbar nach Niedermetzelung der Holländer wollte er seine Schiffe in Sicherheit bringen. Schon jetzt verteilte er die Matrosen auf die Dschunken. Mit den neu hinzugekommenen bestand die Mannschaft aus sechsundvierzig Köpfen, und er rechnete mit so geringen Verlusten unter seinen Leuten, daß er für jedes der drei Fahrzeuge dreizehn Mann bestimmte.

Kurz vor Sonnenuntergang wurde in der Kajüte Tschung-Lis Kriegsrat gehalten. Der Malaie erstattete Bericht über die von ihm getroffenen Maßnahmen. Drei Boote mit je sechs Mann mußten sich so zeitig in der Nähe des Dampfers bereithalten, daß sie beim ersten Angriffssignal den Dampfer enterten und die vom Malaien geführte Landmannschaft wirksam unterstützten. Da als Schützen nur vier Mann in Frage kamen, denen allerdings zehn Mehrladegewehre zur Verfügung standen, so war anzunehmen, daß die Schmuggler unter der Deckung der Gewehre auf Deck des Dampfers gelangten, bevor dessen Mannschaft sich von der ersten Überraschung erholen konnte.

Die Augen des kühnen Malaien leuchteten vor Kampfbegierde. Auch Passar konnte den Moment des Handelns kaum erwarten. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, daß beide bis vor zwei Jahren auf Seeräuberschiffen gefahren hatten. Noch jetzt schwelgten sie in der Erinnerung an die blutigen Kämpfe, die sie mit Engländern und Holländern ausgefochten hatten.

Je mehr sich der Zeiger der Chronometer der verabredeten Stunde näherte, um so größer wurde die Aufregung. Sie äußerte sich recht verschieden bei den einzelnen Individuen. Tschung-Li schien äußerlich kalt und gleichgültig. Er rechnete so fest mit dem Sieg, daß er sich bereits mit den für die Unterredung mit Kü-schan nötigen Papieren versehen hatte, die er in einer Ledertasche auf der Brust trug. Zwei große Revolver, ein Kris und ein Mandang bildeten die Bewaffnung. Passar und der Malaie glühten vor Tatendurst. Ihnen war das blutige Schauspiel ein Freudenfest. Zu oft schon waren sie Teilnehmer derartiger Überfälle gewesen, als daß sie einen Zweifel an dem guten Ausgang des heutigen Unternehmens hegten. – Von der Mannschaft teilten Malaien und Dajaks die frohe Stimmung ihrer Anführer. Die Chinesen dagegen zeigten nicht übel Lust zu desertieren. Auch die Papuas folgten widerwillig den Befehlen. Um ein Zusammenwirken

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dieser Elemente zu verhindern, wurden sie unter den Malaien verteilt, die dafür zu sorgen hatten, daß keine Störungen eintraten.

Ich selbst zitterte vor Aufregung. Der Gedanke, daß drei Kilometer von mir entfernt ein Viertelhundert pflichttreuer Soldaten dem Tode durch Mörderhand ausgeliefert waren, raubte mir fast die Besinnung. Ich nahm meine Zuflucht zu einem Gebete für die Rettung der Menschen in dieser letzten Stunde, ohne jede Hoffnung indessen auf eine derartige Möglichkeit.

Um halb zehn Uhr fuhren die Boote aus der Einfahrt ins offene Meer. Unter dem Schutze der Nacht glitten sie lautlos dahin. Auch die beiden Führer der Landmannschaft eilten auf ihre Posten. – Da erhob sich Tschung-Li und bestieg mit meiner und des Ruderers Hilfe das Boot, das uns zu untätigen Zuschauern des Blutbades machen sollte.

Als wir das Dickicht verließen, bemerkten wir, daß noch ein Boot zwischen den Riffen zögerte. Tschung-Li wollte ihm eben einen seiner Flüche zurufen, da drang ein ungewöhnliches Geräusch an unser Ohr. Das nächtliche Meer trug uns einen Schall zu, aus dem ich das wohlbekannte Schlagen einer Schiffsschraube zu entnehmen glaubte. – Ich zwang den Ruderer zur Ruhe und bedeutete Tschung-Li, er möge lauschen. Doch in diesem Augenblick schwand jeder Zweifel. Der langgezogene Ton einer Sirene lief über die Felsen des Kap Temoel und fand ein Echo an Bord des Dampfers in unserer Nähe. Zwei gleichartige Signale antworteten und vermischten sich mit dem Rasseln der Ankerwinde. Zischend entströmte der Dampf den fesselnden Rohren. Die Schraube peitschte das Wasser... Wenige Minuten später tauchte ein großer Dampfer hinter dem Kap hervor und zog, nach Austausch einiger Lichtsignale, rasch nordwärts, unsern unerwünschten Nachbarn mit sich entführend.

Ein tiefempfundenes »Gott sei Dank« entfuhr mir, als ich die so sicher geglaubte Beute den Schmugglern entgleiten sah. Am liebsten hätte ich laut hinausgejubelt, wenn mich nicht das lästerliche Fluchen des Kapitäns und der um ihren Gewinn betrogenen Mannschaften zur Vorsicht gemahnt hätte. Ich brachte es sogar fertig, Tschung-Li gegenüber meinem Zorn in derben Worten Ausdruck zu verleihen. Alle die Wutausbrüche der Matrosen wurden aber durch das Benehmen der beiden Führer weit in den Schatten gestellt. Sie kamen, atemlos von dem Laufe durch das hindernde Unterholz, mit vor Grimm entstellten Gesichtern, auf Deck gestürzt. Das matte Licht der Laternen ließ ihre blutunterlaufenen, mordgierigen Augen in grünem Glanze funkeln, während die schäumenden Lippen die fürchterlichsten Verwünschungen hervorstießen. Nie sah ich derartig rasende Geschöpfe, die kaum die Bezeichnung Mensch noch verdienten. Es war nur gut, daß Tschung-Li seine Vorgesetztenautorität, zur Verbergung der eigenen Enttäuschung, geltend machte, sonst wäre die Nacht gewiß nicht ohne einen oder mehrere Morde verlaufen. – Er ließ die Unholde ohne ein Wort der Erwiderung austoben. Dann fragte er streng:

»Wen habt Ihr zur Beobachtung hinausgeschickt?«

Die Frage brachte den Malaien zur Besinnung. Er gestand, daß er, vom Zorn verblendet, das unterlassen habe. Er wolle sofort selbst hinaussegeln, um den Kurs der beiden Dampfer festzustellen. Mit nervöser Hast sprang er auf das Verdeck, und einige Minuten später schon hörte man, wie er das Einsetzen eines Mastes befahl und das Boot mit raschen Ruderschlägen in die See trieb.

Die Töne waren noch nicht verhallt, da rief Tschung-Lis Donnerstimme seine Leute an ihre Posten:

»Macht alles fertig zum Auslaufen! – Auch Ihr, Passar, laßt Eure beiden Dschunken seeklar machen. Ich gebe Euch den Malaien als Kapitän für die andere mit. Wir steuern den geradesten Weg auf Kap Sintang. Sollte dahin der Weg verlegt sein, dann sucht Tawao zu erreichen und zwar unter englischer Flagge, verlaßt aber die neutrale Zone nicht, wenn Ihr nicht ganz klar seht.«

Passar wollte Einwendungen machen. Er mochte wohl den englischen Behörden gegenüber kein reines Gewissen haben, und Tawao war britischer Boden. Aber Tschung-Li hörte ihn gar nicht an. Er bestand darauf, daß seinen Befehlen gehorcht würde. Er könne ja so lange kreuzen, bis die Landung vor Sintang möglich sei.

Der Malaie meldete, daß beide Dampfer in großem Bogen gewendet hätten und nach Süden abgedampft seien. Er war mit den Dispositionen seines Kapitäns einverstanden, denn er ahnte wohl, daß ohne sofortige Verständigung mit dem Oberhaupte ein Weiterarbeiten auf der bisherigen Basis nur ins Verderben führen könnte. – Mir persönlich ging der Abschied von dem Malaien, der bei allen niedrigen Charaktereigenschaften wenigstens Offenheit und Mannesmut zeigte, ziemlich nahe. Ich war nun auf Tschung-Li angewiesen, denn unser neuer erster Steuermann verstand nur chinesisch und einen malaiischen Dialekt, den ich nicht kannte.

Unsere Dschunke, als die zuletzt gekommene, verließ als erste den schützenden Kratersee. Es wunderte mich, daß die Holländer dieses ideale Versteck für allerlei gesetzloses Gesindel noch nicht kannten. Allerdings, wer nicht in der Absicht, das Innere der Insel zu durchforschen, in den Kanal eindrang, würde den mit dem Meere zusammenhängenden, ehemaligen Krater kaum zu finden vermögen, denn von See aus deutete nichts darauf hin, daß die anscheinend aus festem Urgestein aufgeführte Insel weiter nichts war, als ein erloschener Vulkan. Außerdem hatte sich gerade an dieser Südostseite eine Reihe von Riffen gebildet, die jedem Schiffer die Lust zu ankern verleiden konnte.

Die Ausfahrt der Dschunken aus dem Becken war ebenso umständlich wie die Einfahrt. Starke Taue wurden um die zackigen Ränder befestigt, und an diesen zogen die Matrosen das schwere Fahrzeug Hand um Hand bis in den Kanal, der so genau die Breite dieser Schiffe hatte, als sei er eigens nach deren Maß gebaut worden. Vom Kanal bis zwischen die Riffe bewegte der Anker die Last vorwärts. Dann lieh der Wind seine Kraft.

Der neue Steuermann verstand sein Geschäft gründlich. Vom Vordersteven aus lenkte er die Dschunke durch seine kurzen, klaren Kommandos glücklich ins offene Meer. Hier kreuzte er vor kleinen Segeln, bis alle drei Fahrzeuge freien Seeraum gewonnen hatten. Dann schallten die Abschiedsrufe von Bord zu Bord, die diesmal eine ganz besondere Note erhielten. Wußte doch keiner, ob und wo er den Kameraden wiedersehen würde!

Eben gesetzt, mußten die Segel jedoch wieder gerefft werden. Um die äußerste Spitze des Kap kamen von Süden herauf zwei Dschunken, die den Schutz der Insel aufzusuchen beabsichtigten. Sie gehörten zu der Abteilung des Maharani Mantanari und hatten ebenfalls den Überfall als Augenzeugen erlebt. Sie entgingen nur mit genauer Not der Verfolgung durch einen Kutter, der auf ein treibendes Floß auflief und kenterte. Die List des alten Malaien war demnach gelungen. – Von der Unterhaltung der Kapitäne, die wieder bei Tschung-Li stattfand, erfuhr ich nicht viel. Ich sah nur, daß beide Dschunken die Ladung über Bord geworfen hatten, denn sie waren leer. Das soll sie auch bei einer Untersuchung, die tags zuvor durch das Kommando des Dampfers vorgenommen worden war, gerettet haben. Zur Beruhigung unserer Kapitäne bestätigten auch die Angekommenen, daß die beiden Dampfer nach Süden gegangen seien, wo Kü-schan durch Dongsa eine fingierte Unternehmung einleiten ließ.

Es war Mittag geworden, als wir das Kap umschifften und den Kurs nach Westen einschlugen. Die drei Dschunken wurden soweit auseinandergezogen, daß jeder einzelnen im Falle einer Überraschung sowohl Raum zur Flucht, als zur Hilfeleistung bei dem Kameraden blieb. Wir begegneten einigen Küstenschiffen, die aber Tschung-Li nicht als zu der Gemeinschaft gehörend erkannte. Kurz vor Sonnenuntergang aber erschien plötzlich ein Segler, der sich eingehender mit uns befassen zu wollen schien. Da an ein Entfliehen mittels der Segel nicht zu denken war, blieb nur der Kampf oder die List. Glücklicherweise lief er zuerst in unsere Nähe und ließ die holländische Zollflagge im Winde flattern. Ich mußte nun meine Eigenschaft als englischer Untertan wieder hervorkehren. Genau wie das erstemal stellte ich mich möglichst ablehnend. Die Frage nach der Herkunft beantwortete ich so zögernd, daß der Holländer schon begann seine Kanone fertig zu machen. – Das löste nun, wie es wohl auch bei jedem echten Engländer der Fall gewesen wäre, eine solche Flut von englischen Donnerwettern aus, daß sich der Holländer tatsächlich zufrieden gab, als er die englische Flagge am Heck sich entfalten sah. Mit stillem Schmunzeln sahen unsere Matrosen, wie sich der Feind entfernte. Unsere beiden Mitsegler ließ er ebenfalls ungeschoren.

Gegen Mitternacht sahen wir an Steuerbord die Lichter des von vielen Chinesen bewohnten Dajakstädtchens Bentang und benutzten diese als Wegweiser zu der zwei Meilen südlicher liegenden, klippenreichen Bucht um Kap Sintang. Hier schien sich die gesamte Flotte der Schmuggler Stelldichein gegeben zu haben, denn gleichzeitig mit uns liefen noch zwei Dschunken in die Bucht. Jeder der Lenker dieser lichterlosen, dunklen Kolosse schien genau mit der schmalen Einfahrt vertraut zu sein, denn alle gingen mit vollen Segeln hindurch. Diese fielen erst knatternd zusammen, als sich vor unsern Augen graue Gebilde zu Dschunken verdichteten, die uns kameradschaftlich in ihre Mitte nahmen.

Der erste Eindruck, den ich von diesem Hafen in mich aufnahm, war kein guter. Ich gab ihm Tschung-Li gegenüber mit den Worten Ausdruck:

»Eine bessere Mausefalle hätten Sie sich gar nicht aussuchen können. Wenn uns hier die Holländer überraschen, sind wir alle verloren.«

»Ah bah!« erwiderte er wegwerfend. »Heute nacht besucht uns keiner und morgen früh gehe ich wieder in See. – Jetzt muß ich zu Kü-schan, und Sie sollen mich begleiten, er wird für Sie neue Aufträge haben.«

Ich stand im Begriff, ihm hierauf eine ablehnende Antwort zu geben, unterließ es aber, weil ich mir doch nichts davon versprach. Ich hoffte in dem Oberhaupt der Bande einen vernünftigeren Menschen zu finden. Außerdem brannte ich darauf, endlich wieder einmal den Fuß auf festes Land zu setzen. Daß mich dann so leicht niemand an Bord zurückbrachte, war mehr als gewiß. Aus diesem Gefühl heraus steckte ich alle meine Papiere, mein Geld, die Waffe und einige sonst wertvolle Sachen zu mir. Ein letzter Blick umfaßte dann noch den Rest meiner Habe – dann ging ich. – Wie gut diese meine Vorsicht war, sollte sich bald zeigen.

Das Boot suchte sich mit einer staunenswerten Sicherheit seinen Weg durch die vielen Fahrzeuge, die hier in der engen Bucht ankerten. Ich glaubte, Tschung-Li etwas Angenehmes zu sagen, wenn ich ihm gegenüber die Gewandtheit des steuernden Matrosen lobend hervorhob. Er knurrte aber nur einen seiner Flüche als Antwort und stützte den verwundeten Arm, den er in einer Schlinge trug, fester. Anscheinend litt er große Schmerzen.

Nach viertelstündiger Fahrt scheuerte der Kiel den Sand. Tschung-Li ließ einen besonderen Pfiff hören, der sofort zwei Männer mit einer verhüllten Laterne herbeirief. Sie behandelten den Kapitän sehr unterwürfig, was sowohl auf sein hohes Ansehen in der Gemeinschaft, als auf rücksichtslose Strenge, die hier gleichbedeutend mit Grausamkeit war, schließen ließ. – Tschung-Li forderte mich auf, dem mit der Laterne vorangehenden Manne zu folgen. Er ging hinter mir. Zum Schluß kam der zweite Mann.

Nachdem wir dem mattleuchtenden Strande etwa fünfhundert Meter gefolgt waren, bog mein Vordermann in eine gähnende Kluft ein. Sie war durch einen Riß im Gestein gebildet und so eng, daß man zu beiden Seiten die Wände berühren konnte. Zahlreiche Windungen, die vielleicht ebenso viele Spalten bildeten, die mir die Nacht verbarg, mußten wir durchwandern, bis mir der Führer endlich ein Zeichen gab. Wir mußten auf Tschung-Li warten, der als guter Seemann ein schlechter Fußgänger war.

»Zum Henker, Deutscher, warum lauft Ihr denn so ?« fragte er schnaufend und sichtlich schlechter Laune.

»Das kommt daher, Kapitän, daß ich eine Landratte bin. Wenn Sie einmal drei Wochen am Lande herumlaufen müssen, freuen Sie sich auch, wenn Ihnen die schwankenden Bretter wieder unter die Füße kommen.«

»Ich denke Kü-schan wird wohl dafür sorgen, daß Ihr nicht mehr allzuviel auf die Dschunke kommt. Da seid Ihr nicht zu gebrauchen.«

»Höchstens als Engländer,« warf ich lachend ein.

Ein herrisches Knurren jagte den Laternenträger in einen Spalt, der in mäßig starker Steigung aufwärts führte. Auf dieser Strecke mußten wir oft halten, um den Kapitän zu erwarten. Er wollte mich wohl nicht aus den Augen lassen, obwohl ich durchaus keine Lust verspürte, diesen nächtlichen Spaziergang ohne Führer zu machen.

Fünf Minuten später umwehte mich die balsamische Luft eines waldähnlichen Parkes. Daß es kein eigentlicher Wald war, sagten indessen nur die schmalen, gutgehaltenen Pfade, denen wir nun folgten. – Plötzlich drangen verworrene Laute zu uns herüber. Ich blieb stehen und wartete.

»Bleiben Sie jetzt an meiner Seite,« sagte Tschung-Li, die höflichere Redeform wieder aufnehmend. »Sie werden der einzige Europäer sein, und wie die Dinge heute liegen, könnte Ihr Erscheinen manchen zu Unbesonnenheiten veranlassen.« – »Wo sind wir hier denn eigentlich?«

»In unserem Eigentum. Hier finden Sie immer Nachrichten über mich und die andern Oberführer. – Gehen Sie nur ruhig weiter. Die Hunde kennen mich. Sie sind uns mehr wert, wie menschliche Wächter.«

Er sagte das, weil ich vor drei ungeheuer großen Hunden unwillkürlich zurückgewichen war. Die Tiere ähnelten eher dem Tiger als dem Hunde, und wenn ich nicht wüßte, daß eine Kreuzung außerhalb jeder Möglichkeit lag, so hätte ich auf eine solche geschlossen. Auf meine Bemerkung hin sagte Tschung-Li auch:

»Die Hunde stehen dem Tiger in nichts nach, vielleicht sind sie noch blutgieriger. Mancher hauchte schon sein Leben unter ihren Zähnen aus.«

»Wieso? Schlichen sich Diebe ein?«

»So etwas der Art! Aber reden wir nicht darüber. Treten Sie nun mit mir in diese Allee ein. Nehmen Sie die Laterne. Die Männer dürfen nicht mitgehen.«

»Brauchen wir denn die Laterne? Es ist doch hell hier.«

»Ich brauche sie später noch.«

Bei einer Wendung tauchte plötzlich ein langes, schuppenähnliches Haus auf, das ganz in javanischer Manier aus bunten Bambushölzern aufgeführt war. Eine breite Veranda umgab es in seiner ganzen Ausdehnung, so daß man eigentlich von zwei ineinandergeschachtelten Häusern reden konnte. Das äußere für den Tag und das innere, geschlossen, für die Nacht. Jetzt schien der nächtliche Teil die durcheinanderredenden Anwesenden aufgesaugt zu haben. Auf der Veranda schritten nur drei Personen, es waren Araber, auf und ab. – Bei unserm Erscheinen löste sich einer von seinen Kameraden ab und fragte nach Namen und Nummer. Tschung-Li antwortete für uns beide, dennoch glaubte der Wächter mich anhalten zu sollen. Europäer seien nicht zugelassen.

»Ich verbürge mich für den Mann,« rief Tschung-Li ungeduldig. »Ist Kü-schan hier?« Der Araber kreuzte die Arme auf der Brust und verneigte sich: »Ja, er ist anwesend. Der Kapitän trete ein.«

»Sage ihm, daß ich da bin, und ihn im Eßraum erwarte. Ich bin verwundet, und muß ihn sofort sprechen. – Hörst du? Sofort!«

Der Araber verschwand, während mich Tschung-Li in ein kleines Gemach führte, das keine andere Sitzgelegenheiten aufwies, als eine Unzahl schwellender Kissen, die auf prächtigen Teppichen lagen.

Kü-schan kam unmittelbar nach Empfang der Meldung herüber. Mit ausgebreiteten Armen schritt er auf Tschung-Li zu und rief:

»Ich habe von deinem Unfall gehört, lieber Freund. Es tut mir herzlich leid, daß es eine Kugel von meinem Dampfer war, die dich verletzte. Ist es schlimm?«

Tschung-Li machte eine abwehrende Handbewegung.

»Davon später. Wie stehen die Dinge hier? Haben wir große Verluste heute erlitten oder sind wir glimpflich weggekommen?«

Kü-schan schien mich nicht zum Mitwisser der Geheimnisse der Gemeinschaft machen zu wollen, denn er erwiderte, mich begrüßend:

»Sie werden es begreiflich finden, wenn wir chinesisch sprechen. Ich sende Ihnen inzwischen einen andern Gesellschafter.« Er schlug auf einen Gong und gab dem aus dem Boden wachsenden Diener einen kurzen Befehl. Eine Minute später erschien – Dongsa! – Der geschmeidige Chinese eilte auf mich zu und schüttelte mir stürmisch die Hand. Während er mich aus dem Zimmer drängte, faßte er meinen Arm und rief:

»Das freut mich, daß ich Sie hier wiedersehe. Sie haben uns ja großartige Dienste geleistet und ich hoffe, daß Sie noch recht lange mit uns arbeiten werden.«

»Den Wunsch teile ich keineswegs!« erwiderte ich kühl. »Das Leben, in das Sie mich da hineingetrieben haben, behagt mir absolut nicht. Wenn Sie mir vorher reinen Wein eingeschenkt hätten, dann wäre ich heute längst in Europa. – Haben Sie übrigens Nachrichten von meinem Kameraden, in dessen Gesellschaft ich damals Ihre Gastfreundschaft genoß?«

»Oh ja. Er ist von Allor nach Batavia zurückgegangen und wird, wie mir Ihr Freund Bruinsma jüngst mitteilte, über Manila nach Japan gehen. Augenblicklich dürfte er auf der Reise sein.«

»Danke sehr! Nun aber sagen Sie mir, Dongsa, was Sie eigentlich mit mir vorhaben. Tschung-Li hat mir verschiedene Andeutungen gemacht, die mit unserm Vertrage im schroffsten Widerspruch stehen. Nicht einmal die ausbedungene erste Vierteljahrsrate hat man mir ausbezahlt – und das ist doch eine der Hauptbedingungen gewesen.«

»Aber bester Nottebohm, bis jetzt brauchten Sie ja gar kein Geld ...«

»Woher wissen Sie das?« unterbrach ich ihn. »Ich muß meinen Angehörigen mit jedem Europadampfer einen Scheck schicken. Sie sind nicht reich und warten darauf.«

»Verzeihen Sie, das konnte ich natürlich nicht wissen. Von Bentang aus haben Sie Gelegenheit Geld abzuschicken Genügen Ihnen einstweilen tausend Gulden?«

»Leider nicht. Ich habe ja das vielfache zu beanspruchen ...«

»Hier sind noch hundert Pfund Sterling. Geben Sie mir morgen eine Quittung über beide Beträge. Und dann lassen Sie sich den Kameraden im Saal vorstellen.«

»Das eilt noch nicht so. Sagen Sie mir zunächst, in welcher Weise Sie auf meine Mitarbeit rechnen. Ich muß doch klar sehen. Das Umhersegeln in der Makassarstraße, mit der Aussicht, eines schönen Tages von einer Rahnocke mit der Schlinge um den Hals die Fernsicht auf die blauen Berge zu bewundern, ist mir unsympathisch und widerspricht unserm Abkommen.«

»Das war ja auch nicht vorauszusehen. Sie sollten unsere Vertretung in Pasir übernehmen. Damals konnten wir nicht wissen, daß eine Landung nicht möglich war.«

»Einverstanden! Aber jetzt? Wo soll ich jetzt arbeiten?«

»Kü-schan wünscht Sie in seiner Nähe zu haben. Ihrer Sprachkenntnisse wegen. Er geht auf seine Besitzungen nach Tawao, auf dem englischen Teile Nordborneos. Dorthin sollen Sie ihn begleiten.«

»Na, das klingt schon annehmbarer. Was soll ich dort tun?«

»Das wird Ihnen Kü-schan selbst sagen. Wollen Sie nun mit in den Saal treten?«

Dongsa führte mich in den Versammlungsraum, in dem etwa fünfzehn Männer anwesend waren, die bei meinem Eintreten erstaunt aufsprangen. Der größere Teil darum, weil in diesem Hause wohl noch nie ein Europäer gesehen wurde. Drei aber riefen mich bei meinem Namen. Es waren der Chinese, Passar und der Malaie, der ebenso wie der chinesische Steuermann jetzt zum Kapitän ernannt worden war. Letzterer machte mir ein unmerkliches Zeichen, das ich als Warnung vor allzu großer Betonung unserer Bekanntschaft auffaßte. – Alle die hier versammelten Männer waren Kapitäne der Schmugglerdschunken und ich muß sagen, es war eine so interessante Gesellschaft der prachtvollsten Typen, wie sie kaum je wieder in dieser Zusammensetzung angetroffen werden wird. – Leider büßten alle die hier in vollstem Genusse ihrer Lebensfreude zechenden Männer bald darauf ihr tatenreiches Leben ein – bis auf einen, außer mir!

Die Unterhaltung drehte sich, wie das eigentlich selbstverständlich war, um die Verluste der letzten Zeit. Dongsa schrieb sie der immer schärfer hervortretenden Sorglosigkeit der Kapitäne zu, die sich kaum noch die Mühe gaben, ihre Bannwaren in unverdächtige Verpackungen zu hüllen. So machte er einen Kapitän namhaft, der vor Allor gefangengenommen wurde. Er soll die Munitionskisten offen unter die Ladeluke verstaut haben, so daß der untersuchende Beamte sie gar nicht vor seinem Vorgesetzten verleugnen konnte, so gern er es getan hätte.

»Den Juwelentransport, den der Maharani selbst führte, muß aber jemand verraten haben,« sagte ein anderer. »Die Dschunken wurden sofort aufgebracht, ohne daß man sich die Mühe einer Untersuchung vorher gemacht hätte.« – »Woher kam er denn?«

»Von Tawao. Dort hatte er Reis in Säcken als Ladung genommen und seine Schätze in gewisse Säcke versteckt. Gerade diese wurden von den Holländern zuerst an Land gebracht. Demnach muß man es verraten haben.«

»Wie soll denn der aber die Nachricht so schnell nach Pasir befördert haben?« fragte Passar. »Wir haben weder Telegraphen noch Dampfer auf Tawao. Eine Dschunke hätten wir aber gesehen.«

Ich beobachtete während dieser Unterhaltung, an der ich keinen Anteil nahm, alle die einzelnen Gesichter und suchte herauszubringen, ob sich der Angeber wohl unter den hier versammelten Kapitänen befinden könnte. Zwei davon heuchelten zu sichtbar eine Gleichgültigkeit an dem Ereignisse, die nicht natürlich war. Beide waren Chinesen. Dann fiel mir ein Araber auf, der wiederum Abwesende mit dem Verdachte der Schuld zu beladen trachtete. Keiner aber ahnte, daß der Hauptschuldige in ihrer Mitte saß und mit den Wissenden verstohlene Zeichen wechselte. Später lief dessen Name allerdings durch den ganzen Archipel. Doch da konnten ihm die meisten von denen, die sich für ihn und seinen Kumpan geopfert hatten, nicht zur Rechenschaft ziehen. Es war – Dongsa!

Der neue Tag breitete seine violetten Tinten bereits über den Park, als endlich Kü-schan, in Begleitung Tschung-Lis, im Saale erschien. Letzterer wurde von allen Seiten mit einem reichen Wortschwall empfangen, und zwanzig Augenpaare drängten sich, den verwundeten Arm, der übrigens recht böse aussah, zu besichtigen. Dongsa sandte einen der Diener sofort nach Bentang, um einen Vertrauensarzt, einen Engländer, herbeizuholen, obwohl der Kranke sich gerade diesen energisch verbat. Aus dem sich aus der Weigerung entspinnenden Wortwechsel hörte ich deutlich die gegenseitige Antipathie der beiden Dunkelmänner heraus. Sie führte in der Hauptsache zu den Ereignissen, die den Schlußakt des Schmugglerdramas einleiteten.

Kü-schan beschäftigte sich endlich mit mir. Obwohl ich nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte und nur einmal flüchtig seine Person sah, behandelte er mich wie einen alten Bekannten. Er sprach mit mir über seine Angelegenheiten, wie mit seinem intimsten Freunde ... Aus allem entnahm ich, daß ich mit unlösbaren Fesseln an die Gemeinschaft gekettet werden sollte, damit ich bei einem Verrat in eigener Schlinge gefangen würde.

Ich ging auf alles ein, was mir der Chinese anbot. Mein Entschluß, keinen Fuß mehr auf ein Schmugglerschiff zu setzen, war so fest, daß mich Berge von Gold nicht hätten umstimmen können. Von hier aus wollte ich fliehen, und das war nur möglich, wenn ich meine Bewegungsfreiheit wieder erlangte. Letztere aber war mit den Anerbietungen Kü-schans eng verknüpft und darum zwang mich mein eigenes Interesse, zu allem ja zu sagen. – Kü-schan war von meiner unerwarteten Bereitwilligkeit überrascht und so froh gestimmt, daß er meinen Wünschen nach einem Landausfluge keine Schwierigkeiten entgegenstellte. Er verstand ohne weiteres, daß eine Landratte das Bedürfnis fühlte, nach längerer Seereise auf dem beschränkten Deck einer Dschunke wieder einmal im Walde herumzustreifen. Er bot mir sogar ein Jagdgewehr an und sprach dabei die Hoffnung aus, als Resultat des Morgenspazierganges einen Hirsch auf seiner Abendtafel zu finden. – Wer war froher als ich?

Das Haus Kü-schans lag inmitten eines Parkes, der dem daran anschließenden Urwalde abgewonnen war, auf den schroff zum Meere abfallenden Klippen. Zu seiner Linken, kaum hundert Meter entfernt, erhebt sich ein einzelner Berg, der dem Kap den Namen gibt. Er ist bis fast an den Gipfel bewachsen und birgt in seinen selten betretenen Waldbeständen reiche Wildmengen. Zur Rechten führen kaum wahrnehmbare Pfade durch den absichtlich in seiner ursprünglichen Wildheit gehaltenen Wald nach dem zwanzig Kilometer entfernten Städtchen Bentang. Wer dieser Pfade unkundig, findet kaum die Besitzung, zu der, wie wir gesehen haben, der eigentliche Weg durch die Felswände der jäh abstürzenden Klippen führt.

– Der ganze ungeheure Waldbestand ist von Sumpfland eingeschlossen, das der fünfzig Kilometer entfernte schiffbare Fluß Koetei alljährlich zur Regenzeit in weite Seeflächen verwandelt. In der trockenen Jahreszeit aber beherbergen die zahlreichen Bauminseln die scheuesten Vertreter der Fauna Borneos.

Ich zeichne diese Gegend deshalb besonders genau, weil sie in der Flucht der Ereignisse eine Rolle spielen.

Nach dem ersten Frühstück brach ich zu meinem Jagdzuge auf. Der zu meiner Begleitung bestimmte Diener, ein Dajak, verstand jedoch keine mir bekannte Sprache, und so hätte er mir keinerlei Dienste leisten können. Ich ersuchte daher den Araber, unter dessen Befehl die zahlreiche Dienerschaft stand, mir einen Mann mitzugeben, der mir wirklich eine Hilfe im Bedarfsfalle hätte bieten können. Nach langem Besinnen fiel seine Wahl auf einen Braunen, der mir bereits am Abend vorher durch die ungebändigte Wildheit, die aus seinen Zügen sprach, aufgefallen war. Auch er war ein Dajak, sprach aber gebrochen holländisch. – Der Mann wagte zwar unter der eisernen Disziplin, die im Hause Kü-schans herrschte, keinerlei Meinungsäußerung. Das seltsame Funkeln in seinen Augen sagte mir aber, daß der Auftrag ganz nach seinen Wünschen war. – Instinktiv mußte er wohl in mir den Mann gewittert haben, der seinen Absichten keinen Widerstand entgegensetzte.

Meinem Aufbruch wohnten mehrere Kapitäne bei, von denen zwei den Wunsch laut werden ließen, einen in meiner Wegerichtung gelegenen hohen Felsen zu besteigen, von dessen Flanken man einen freien Blick bis weit aufs Meer hinaus haben sollte. Einer dieser beiden war jener Steuermann, mit dem ich am Kap Temoel die Flucht besprochen hatte. Dieser ging auch bei unserm Marsche voran, während ich als dritter im Zuge folgte. Ein unbelauschtes Wort konnte daher nicht gewechselt werden. Immerhin hatte ich das Gefühl, daß der Chinese sich mit einer bestimmten Absicht mir angeschlossen hatte.

Der Aussichtspunkt war nicht weit entfernt. Ein kurzer Marsch durch die Parkwege, dann ein Durchschlüpfen von künstlichen und natürlichen Pflanzenmauern brachte uns nach kaum zehn Minuten an das Meer, das tief unten zu unsern Füßen in schäumender Brandung gegen die braunroten Wände anstürmte. Der Blick von hier oben war unvergeßlich. Die in gleißendes Sonnenlicht getauchte, ätherblaue Fläche der Makassarstraße zeigte reges Leben. Eine ungewöhnlich große Zahl von Fahrzeugen drängte sich auf dem Raume zwischen dem halb von den Felsnasen verborgenen Städtchen Bentang und dem südlicher gelegenen Kap zusammen. Kleine Kanoes mit Auslegern, von nackten Eingeborenen getrieben, vermischten sich mit Prauen, Sampangs und europäischen Kielbooten. Hin und wieder schob sich eine schmutzig graue, gar nicht in das farbenfrohe Bild passende Dschunke schwerfällig aus dem Hafen des Städtchens. Wie Spielzeuge aus einem Kinderbaukasten dagegen fesselten jene Schiffe das Auge, die in der versteckten Bucht vor Kü-schans Besitztum auf ihren Ankern schaukelten. Die klare Luft erlaubte uns sogar einzelne bekanntere Männer zu unterscheiden. Vor allen Tschung-Li, dessen weißer Verband sich leuchtend aus dem schattigen Dunkel des Kessels abhob. Seine ungestümen Gesten veranlaßten den Chinesen zu der launigen Bemerkung:

»Der Dicke vermißt seine bisherigen Gesellschafter. Er brauchte immer einen, den er peinigen kann, einen der ihn quält, und einen, der ihm Gesellschaft bei den Mahlzeiten leistet. Diese drei, an die er sich in den letzten Wochen gewöhnt hatte, sind ihm entlaufen. Daher die Aufregung.«

»Er geht in See!« erwiderte der andere Kapitän. »Seht Ihr, er läßt den Anker heben. Was mag da vorgefallen sein? Wir sollten doch erst morgen auslaufen. Heute abend wird ja der neue Arbeitsplan aufgestellt. Da muß Tschung-Li dabei sein!«

»Vielleicht zwingt ihn seine Wunde eine Stadt aufzusuchen,« warf ich ein. »Der Arm sah gefährlich genug aus. Er wird ihn wohl verlieren.«

»Das wäre hart für Tschung-Li,« erwiderte der Kapitän. »Der hält es keine acht Tage an Land aus, und zu unserm Geschäft können wir Einarmige nicht brauchen.«

Des Chinesen Aufmerksamkeit wurde seit einigen Minuten von einem feinen schwarzen Faden angezogen, der sich zwischen den im Süden am Horizont abzeichnenden Pomaran-Inseln in den Äther schob. Er hob den Arm in jener Richtung und sagte:

»Wenn das nicht die Rauchsäule eines Dampfers ist, dann mag man Euch hängen, Kamerad. Betrachtet das einmal genau.«

»Danke für den frommen Wunsch,« gab der Kapitän lachend zurück, indem er die Augen mit der Hand beschattete. »Ihr habt, weiß Allah, recht! Wenn der es sich einfallen läßt, seine Nase in unsere Bucht zu stecken, dann kann es ihm eine Stunde lang übel ergehen. Jedenfalls wollen wir an Bord gehen, damit die Kameraden alles zu den Empfangsfeierlichkeiten bereitstellen.«

»Erst müssen wir wissen, ob es ein Dampfer ist. Kann auch sein, daß einer der Unsern ein großes Feuer unterhält.«

Unser aller Interesse hing jetzt an dem einen dunklen Rauchfaden. Vermutungen flogen hin und her. Bis endlich jeder Zweifel darüber gehoben war, daß es sich um ein Dampfboot handelte, das ungewöhnlich rasch näherkam. Nur daß man noch nichts von einem Rumpf sah, erregte das Erstaunen der Seeleute.

»Ich hörte, daß die Holländer Torpedoboote hierher gebracht haben,« sagte ich. »Die haben so wenig Bord über Wasser, daß man sie auf die Entfernung kaum sieht.«

»Beim Henker, das wird es sein. Da ziehe ich doch vor, die Kameraden zu warnen. Bleibt ihr noch hier?«

«Ja, ich beobachte das Boot und gebe euch das bekannte Signal, wenn es ein feindliches Fahrzeug sein sollte,« erwiderte der Chinese.

Minutenlang sprachen wir kein Wort. Wir fürchteten den Dajak, obwohl ich der Ansicht war, daß er größere Sehnsucht nach der Freiheit in sich spürte, als der Chinese und ich. – Endlich wagte der Letztere die Frage:

»Denkt Ihr noch an den Plan vom Kap Temoel?«

»Mehr als je. Und Ihr?«

«Ich gehe noch heute, wenn es ohne Aufsehen möglich ist! ... Aber blickt dort hinunter. Tschung-Li geht wirklich in See. – Wenn der wüßte, daß ein Dampfer aufkommt!«

»Können wir ihn nicht warnen?«

»Von hier aus nicht. Und warum? In die Bucht kann er jetzt doch nicht mehr ungesehen. Dadurch würde er sich auch nur verdächtig machen. Nur Glück kann ihn noch retten. – Wahrhaftig, das ist ein Regierungsboot! Seht, er setzt die Kriegswimpel.«

»Ein Torpedoboot, wie ich sagte. Armer Tschung-Li, jetzt hilft dir auch deine englische Flagge nicht viel.«

»Und doch hißt er sie!« rief der Chinese. »Da – der Holländer steuert auf seine Dschunke zu. Jetzt bin ich neugierig, was der Dicke vornimmt.«

Das Torpedoboot hatte sich dicht neben die Dschunke gelegt. Man sah, wie Tschung-Li mit dem Führer sprach und erregt gestikulierte. Dann dampfte das Kriegsschiff wieder weiter, aber nur um in großem Bogen zurückzukommen, und sich neben die Dschunke zu legen.

»Oh weh!« rief ich. »Der nimmt sie mit. Armer Tschung-Li!«

Aber auch in der Bucht hatte man die Gefangennahme der Dschunke bemerkt. Jetzt zeigte es sich, daß alle für Einen stehen wollten. Drei scharfgebaute Kutter flogen aus der schmalen Einfahrt und steuerten direkt auf die beiden Schiffe zu. Auch einige in der Nähe befindlichen Prauen und Sampangs ruderten pfeilschnell dem feindlichen Boote entgegen und legten sich hindernd in dessen Kurs. Dadurch, und daß Tschung-Lis Dschunke immer noch alle Segel stehen hatte, war es dem Torpedoboote nicht möglich, seine Beute rasch in Sicherheit zu bringen. Je länger das verzögert wurde, desto schwieriger wurde es, denn die Menge der Fahrzeuge wuchs von Minute zu Minute. Als die Kutter dann noch in unmittelbare Nähe kamen, machte das Torpedoboot Miene, sich der Umklammerung zu entziehen und Hilfe herbeizuholen, vielleicht auch um von den Waffen Gebrauch zu machen. Das aber wollten die Schmuggler verhindern.

Ein grüngestrichener Kutter legte sich hart neben das Kriegsschiff. Wir sahen, wie sich ein Mann, wahrscheinlich der Malaie, auf die Back seines Seglers stellte und auf einen Offizier einsprach. Die Unterredung dauerte wenige Minuten, schien aber sehr erregt zu verlaufen. Plötzlich leuchtete der weiße Verband Tschung-Lis an seiner Bordwand auf. Er sprang auf den zweiten, neben der Dschunke treibenden Kutter, worauf dieser die Segel in den Wind braßte und nach Norden entfloh.

Da löste sich ein weißes Wölkchen auf dem Torpedoboot. Ein Schuß brach rollend das Echo in den Klippen und dann erfüllte ein einziger, gellender Wutschrei aus hundert Kehlen die Luft. Schüsse knatterten von Kuttern, Booten und Sampangs. Braune Leiber flogen zwischen die weißen Uniformen. Krise funkelten in der Sonne. Eine jener Schlachten war im Gange, die so manchen pflichttreuen holländischen Soldaten in ein nasses Grab geworfen hat.

»Ha, da kommt noch ein Dampfer!« schrie der Chinese. »Nun ist das Spiel aus!«

»Dann laßt uns die Gelegenheit benutzen, um uns in Sicherheit zu bringen. Kennt ihr einen sicheren Schlupfwinkel?«

»Nur die Sümpfe. Wenn wir den Fluß überschreiten, sind wir gerettet.«

»Und wie weit ist das noch?«

»Hm, zwei, drei Tage. Vielleicht auch mehr. – Aber den Dajak werden wir hierlassen müssen.«

»Im Gegenteil. Der scheint mehr Lust zu einem Besuche bei seinem Stamme zu haben, wie wir.«

»Ich weiß doch nicht. Kü-schans Leute pflegen ihm blindlings zu gehorchen. – Aber fragen können wir ihn immerhin.«

»He, Dajak, kennst du einen Weg an den Fluß?« fragte ich den mit gierigen Augen auf die allgemeine Flucht dort unten blickenden Diener.

«Beru ist ein Krambitdajak, seine Hütte steht in den Bergen am Koeteifluß. Beru kennt einen sicheren Weg.«

»Wirst du ihn uns zeigen? Wir wollen dort jagen.«

Ein breites Lächeln überflog das unschöne Gesicht.

»Beru wird mitgehen – und auch nicht wiederkommen, Kü-schan ist ein Hund.«

Wir standen eben im Begriff, in den Wald zurückzukehren, als uns Kanonendonner an die Stelle bannte. Die Schmuggler hatten irgendwo unten an der Küste ein Geschütz versteckt, das mit seiner ehernen Stimme den Holländern eine ernste Mahnung in die Ohren brüllte. Die Kugel hatte auch gut getroffen, denn der gelbgemalte Schornstein des Dampfers zeigte ein großes Loch.

Nun antwortete das Torpedoboot mit seinen Geschützen. Da es von See aus kein Ziel fand, näherte es sich der Küste und geriet dadurch unversehens zwischen das Gewehrfeuer der bei der Einfahrt versteckten Schützen ...

Gern hätte ich den weiteren Verlauf dieses eigenartigen Gefechtes mit angesehen, aber der Chinese drängte zur Flucht. Nicht mit Unrecht vermutete er, daß Kü-schan aus seinen Beständen in der Villa Kanonen hierher bringen ließe. Dann waren wir zum Bleiben gezwungen.

Der Dajak führte uns zuerst bis an den Fuß des Sintangberges, wo er eine Hütte Kü-schans wußte. Diese erbrach er kurzerhand und eignete sich ein paar Krise an, die in Unzahl in einer Kiste lagen.

Der Chinese hingegen nahm zwei Flaschen Genever an sich und reichte mir einen Steinkrug mit Whisky.

»In den Sümpfen sind giftige Fliegen. Der Schnaps heilt den Biß.«

Das glaubte ich ihm ohne weiteres, obschon ich gegen Moskitostiche andere Mittel und für Schnäpse andere Verwendungsmöglichkeiten kannte.

Die Flucht durch den dichten Wald wurde ohne längeres Verweilen bis in den Spätnachmittag fortgesetzt. Hin und wieder brachen wir eine Mangustane, eine Duriane oder eine sonst genießbare Frucht, die uns das Mittag- und Abendessen ersetzen mußte. Oft hemmte ich den Schritt, um einen Hirsch oder ein Wildschwein zu schießen, aber die Furcht, uns durch den Knall zu verraten, ließ mich die Kugeln sparen. – Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir eine steppenartige, offene Fläche, die als Lagerplatz für die Nacht wie geschaffen schien. Sie bildete eine Anhöhe und von ihrer höchsten Erhebung aus sahen wir den Kegel des Sintangberges. Der Dajak zündete ein großes Feuer an und lief in den Wald zurück, um grünes Brennmaterial herbeizuschaffen. Während wir seiner Rückkehr harrten, bot sich uns ein seltenes Schauspiel. Ein Orang-Utan kam in unsere Nähe und betrachtete die Eindringlinge in sein Reich mit scheuem Interesse. Er war nur wenig über einen Meter hoch. Sein Arm aber, den er ausgestreckt gegen einen Baum reckte, schien fast die Körpergröße zu erreichen, was einen äußerst drolligen Anblick bot. Als ich mich erhob, um mich ihm einige Schritte zu nähern, stieß er ein unwilliges Knurren aus und kletterte behende in den nächsten Baum. In einer Astgabelung machte unser mutmaßlicher Stammvater Halt und begann einige kräftige Zweige abzubrechen, die er wie einen Schutzschirm vor sich ausbreitete. Ob er sich dadurch unsichtbar zu machen glaubte?

Die Rückkehr des Dajaks lenkte uns von dem interessanten Menschenaffen ab. Als wir Beru von dessen Anwesenheit erzählten, war er sehr erfreut.

»Dann sind wir dicht an den Sümpfen. Der Mias – wie die Dajaks den Orang-Utan nennen – geht nicht weit von dem sumpfigen Lande weg. Mit Tagesanbruch werden wir die Niederungen erreichen.«

Die Nacht brachte uns eine trübe Kunde von dem Schicksal der Schmuggler. Unaufhörlich krachte es vom Meere herüber und da sich kaum viele Dschunken gerettet haben konnten, war das Schicksal der Eingeschlossenen nicht zweifelhaft. Kurz nach Sonnenaufgang hörten wir auch unweit von uns im Walde menschliche Stimmen. Flüchtlinge, die der drohenden Gefangennahme zu entrinnen hofften. Wir machten uns nicht bemerkbar, da wir jede Gemeinschaft mit den ehemaligen Kameraden abzubrechen wünschten.

In dem sumpfigen Urwald hielten wir es jedoch nicht lange aus. Ein furchtbar übelduftender Geruch lag über den seltenen Lichtungen, und im Walde selbst zwang uns das Unterholz zu angestrengtester Arbeit, die ich vermeiden zu können glaubte, wenn wir wieder den höhergelegenen Teil aufsuchen würden. Der Chinese war sofort damit einverstanden. Der Dajak aber fürchtete den langen Arm seines mächtigen Brotherrn und zog das Leben im Sumpfe der Rückkehr in seine Sklaverei vor. Erst nachdem wir ihm feierlich gelobten, alle Schuld an seiner Entfernung auf uns nehmen zu wollen, beruhigte er sich. Nun wußte er auch wieder gangbare Pfade. Sie führten nach Süden und brachten uns so nahe an den Fluß, daß wir beschlossen, dessen Ufer am nächsten Morgen aufzusuchen.

Abends peinigte uns der Hunger. Ich beschloß irgendein Tier zu schießen, denn die Früchte, so wohlschmeckend und saftig sie auch waren, brachten uns keine Sättigung. Ich stand in dem goldenen Lichte der untergehenden Sonne und besprach mich mit meinen Begleitern über den am leichtesten zu erlegenden Braten, als es plötzlich neben uns in den Büschen lebendig wurde. Eine rauhe Stimme rief gebieterisch:

»Die Waffen nieder! Keine Bewegung oder du bist ein toter Mann!«

Überrascht ließ ich das Gewehr fallen und blickte mehr belustigt als erschreckt auf die auf uns einstürmenden Soldaten. Ich versuchte sogar einen Scherz. Der Offizier jedoch war nicht auf Humor gestimmt.

»Warte, Bursche, das Lachen wird dir vergehen. – Vorwärts, fesselt die beiden! – Wo ist der Dajak?«

Ja, wo war der Dajak? Es ist uns stets ein Rätsel geblieben, wie er so rasch verschwinden konnte.

Als ich die feinen Stahlketten an den Handgelenken spürte, verging mir wirklich der Humor. Ich protestierte gegen die Behandlung und fragte nach dem Grunde der Fesselung.

»Du bist mit der Waffe in der Hand betroffen worden. Das erschwert deinen Fall!«

»Herr Leutnant, ich ersuche Sie dringend mir die Fesseln abzunehmen. Sie scheinen sich in der Person zu irren. Ich bin ...«

»Kenne ich,« unterbrach er. »Du bist ein Schmuggler und folgst uns jetzt! Sonst ...«

»Gut! Wenn Sie mich nicht hören wollen, muß ich der Gewalt weichen. Ich freue mich aber schon jetzt auf das – schlaue Gesicht, das Sie machen werden, wenn Sie erst wissen, wer ich bin.«

Bei diesen Worten lachte auch der Chinese, der zu meiner Verwunderung die ganze Prozedur wortlos über sich hatte ergehen lassen. Er sagte kurz:

»Habt recht, Deutscher. Laßt sie nur machen. Wir sind rasch wieder frei.«

»Was, Deutscher sind Sie?« fragte der Leutnant etwas höflicher.

»Na, das sehen Sie doch. – Allerdings hat mich das Seewasser etwas stark gefärbt ...«

Auf eine weitere Auseinandersetzung ließ sich aber der Leutnant nicht ein. Er wollte uns vor Einbruch der Nacht noch in sicherem Gewahrsam wissen, und brachte uns in halbem Laufschritt auf ein kleines Dampfboot, das auf dem Flusse wartete, wir fanden dort bereits fünf Gefesselte, die wir jedoch nicht kannten.

Nach kurzer Fahrt kamen wir vor der Stadt Samarinda an. Hier mußten wir durch eine dichtgedrängte Menge Spießruten laufen, bis ein hohes, massives Haus seine Tore hinter uns schloß.

Jetzt protestierte ich nochmals. Ein General war im Hofe anwesend.

»Ist Kapitän Dekker hier? Der Herr wird mich legitimieren.«

Die Offiziere sahen sich fragend an. Einer flüsterte dem General einige Worte ins Ohr.

»Nehmt meine Papiere hier aus dem Gürtel. Sie werden vielleicht Ihrer eigenen Regierung Glauben schenken, wenn meine Worte nicht genügen.«

Einer der Offiziere nahm mir die Papiere ab und übergab sie dem General. Er steckte sie in die Seitentasche seines Rockes und entfernte sich.

»Abführen! «Einzelzelle!« schnarrte einer der Leutnants. Fünf Minuten später saß ich vor einem Kruge Wasser auf einer Matte und hatte nun Muße über meinen Fall gründlich nachzudenken.

Erst der kommende Tag brachte mir Befreiung von den fesselnden Ketten. Kapitän Dekker war zufällig in der Nacht mit einem Dampfer eingelaufen und hatte von dem gefangenen Deutschen gehört. Immerhin hatte ich noch fünf lange Stunden Rede und Antwort zu stehen, bevor sich die Pforten des Gefängnisses vor mir öffneten. Mein Retter erzählte mir dann noch einige Einzelheiten über den gelungenen Überfall auf die Burg der Schmuggler. Ein chinesischer Kapitän hatte den Tag und Ort der Zusammenkunft verraten, um sich Straflosigkeit und das Kopfgeld zu sichern. Es war mein Begleiter auf meiner Flucht.

Wenige Tage später wurden die Gefangenen abgeurteilt und gehängt. Auch der Malaie und Passar waren unter diesen. Tschung-Li fiel im Kampfe beim Kap. Der Hauptanführer der Bande aber, Kü-schan, wurde nach Batavia verbracht. Um seine Freilassung bemühten sich Fürsten und Radjas von Timor – vergeblich. Die Holländer ließen der Gerechtigkeit freien Lauf. Der reichste Mann der Sundainseln büßte sein Vergehen am Galgen. – Mit seiner Vernichtung nahmen auch die Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel ihr Ende.


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