Ferdinand Emmerich
Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel
Ferdinand Emmerich

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Der Monsun legte sich mit seiner ganzen Kraft in die großen Mattensegel und trieb das schwerfällige Fahrzeug mit großer Schnelligkeit durch die bewegte See. Ein bewölkter Himmel verhieß einen tüchtigen Regenschauer. Ich verließ das Verdeck und zog mich in die Kajüte zurück, als die letzten Lichter von Kupang in der Ferne verschwanden. Dort zog ich meinen Reisesack hervor und begann meine Instrumente und Geräte zu ordnen, da die einzige Öllampe nicht genügend Helligkeit zum Lesen oder Schreiben verbreitete. Das nahm etwa zwei Stunden Zeit in Anspruch. Hierauf entkleidete ich mich und warf mich auf die Kissen, die an Stelle einer Koje das Bett bildeten. Ich schlief sofort ein. Mitten in der Nacht weckte mich ein Stampfen auf Deck über meinem Kopfe. Die Segel knarrten. Das Schiff lag stark nach Backbord über und ächzte in seinen Spanten. Ich vermutete einen heftigen Wind und drehte mich auf die andere Seite. Schlafen konnte ich jedoch nicht mehr. Ich verfolgte in Gedanken den Lauf der Dschunke und wartete auf den Augenblick, wo sie wieder auf den andern Bug gehen würde, wie das beim Kreuzen gegen widrigen Wind zu geschehen pflegt. Bei diesem Warten verfiel ich jedoch in einen Halbschlummer, aus dem mich wiederum das Laufen auf Deck weckte. Nun bemerkte ich, daß das Schiff seine normale Lage zurückerhalten hatte und nur noch geringe Fahrt machte.

Ich kleidete mich an und ging auf Deck. Dunkle Nacht umfing mich. Zu meiner Linken zeichneten sich die Umrisse hoher Berge in die Finsternis. Am Steuerbord tanzte das Toplicht eines kleinen Dampfers auf den Wellen. Wir trieben vor einem kleinen Segel und machten nur soviel Fahrt, daß sich die Dschunke eben von der Küste freihalten konnte. Ich begriff – ein holländisches Wachtschiff kontrollierte das Fahrzeug.

An der Steuerbordreling lehnte ein Mann. An ihn wandte ich mich mit der Frage nach der Bedeutung der Durchsuchung. Es war ein Malaie, der mir in holländischer Sprache antwortete, daß der Holländer die Dschunke zur Durchsuchung nach Landu bringen wollte, wogegen aber Kapitän und Eigentümer protestierten. Sie befänden sich auf dem Dampfer.

Die Mitteilung erstaunte mich. Wie konnte man das Schiff nach Landu zurückbringen, da wir doch weit davon in der Timorsee sein mußten. Ich sagte das dem Matrosen, der aber kurz erwiderte:

»Das hier sind die Berge von Timor. Rotti liegt dort.« Dabei deutete er erst nach links und dann nach rechts.

»Mann, das kann nicht sein. Du täuschst dich. Wir wollen doch nach Allor. Nach deiner Angabe müßten wir ja in der Westsee sein.«

»Wohin der Kapitän segelt, pflegt er uns nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß wir von Kupang um Samaoe herumgingen und durch die Rottistraße Kurs auf Menifon nahmen. – Dann hielt uns der Zolldampfer an, als wir eben vom Lande frei waren.«

Bevor ich noch meiner Überraschung Ausdruck geben konnte, lief der Portugiese an mir vorüber. Als er mich erblickte, zog er mich in den Kajüteingang und rief in befehlendem Tone:

»Sie werden nichts von Allor sagen, wenn der Holländer Sie fragt. Sie wollen in Suaio an Land gehen, verstehen Sie mich?«

»Vollkommen. Und wenn ich das nicht sage?«

»Herr, Sie würden es bereuen, den Fuß auf mein Schiff gesetzt zu haben.«

»Das tue ich schon jetzt, denn...«

Die Ankunft zweier Uniformierter unterbrach mich. Eine scharfe Stimme, die mir nicht unbekannt war, fragte, den Blick in das dunkle Gelaß richtend: »Wer von Ihnen ist der Passagier?«

Ich trat vor und meldete mich. Der den Frager begleitende Soldat hob die Blendlaterne und leuchtete mir ins Gesicht. Ein kurzer Ausruf entschlüpfte ihm dabei. Der Kapitän dagegen verriet mit keinem Tone, daß er mich schon gesehen hatte. Ich war ihm im Innern dankbar dafür und wahrte auch meinerseits das Geheimnis, froh, ihm durch meine Anwesenheit auf der Dschunke schon deren wahren Charakter verraten zu haben. Der Kapitän wußte durch Bruinsma und durch mich, daß ich nach Allor wollte. Der Form wegen stellte er ein Verhör an.

»Wohin begeben Sie sich? Haben Sie Ausweispapiere?«

»Der Herr geht mit uns bis Suaio. Er besitzt einen holländischen Regierungspaß,« erwiderte schnell der Portugiese.

»Warum antworten Sie für ihn. Spricht er nicht holländisch?« fragte der Beamte scharf.

»Ich kann die Angaben des Herrn bestätigen, weil er und Sie es zu wünschen scheinen,« antwortete ich, meine Heiterkeit unterdrückend.

»Wissen Sie auch, daß Europäern das Betreten timoresischen Gebietes verboten ist?« fragte der Offizier weiter. »Das hätte man Ihnen doch sagen müssen, als Sie hier an Bord gingen.«

Wieder antwortete der Portugiese für mich:

»Ein Freund des Herrn hat die Erlaubnis vom Radja von Suai erwirkt. Er erwartet uns in Suaio?«

»So, so! Und wie heißt dieser Freund?«

»Bruinsma. «Er ist Geheimsekretär in den Diensten des Radja.«

»Danke. Dann bin ich vollkommen beruhigt! Sie können Ihre Reise fortsetzen. Guten Morgen, mein Herr, und viel Vergnügen in Suaio!«

Ich konnte nicht antworten, so sehr mußte ich mich bemühen, mein Lachen über diesen Reinfall der Schmuggler zu unterdrücken. Unbewußt hatten sie sich selbst dem Strick ausgeliefert. Denn daß man uns nun vor der Kalabahibucht auf Allor abfassen würde, war sicher.

Zu meinem Erstaunen behielt die Dschunke während der nächsten drei Tage den Kurs bei. Sie steuerte wirklich an der Südküste von Timor entlang nach Osten. Als ich dem Kapitän darüber Vorhaltungen machte, wies er mich an den angeblichen Eigentümer der Ladung, dessen Befehlen er zu gehorchen habe. Letzterer behauptete, Dongsa gegenüber keinen Hehl daraus gemacht zu haben, daß seine Dschunke in der Nähe des Vorgebirges Allas die Ladung ergänzen müsse, bevor sie nach Allor ginge.

»Wann gedenken Sie ungefähr in Mataru einzutreffen,« fragte ich.

»In längstens vierzehn Tagen. Für Sie ist die Fahrt übrigens ein Gewinn, denn Sie lernen ein Land kennen, das selten noch ein Weißer betreten hat. Der letzte war vor drei Jahren hier. Der suchte auch Käfer und Insekten. Es war ein Engländer, der gute Empfehlungen von seiner Regierung mitbrachte, sonst wäre er nicht lebend von Timor weggekommen.«

»Ich besitze doch auch einen Regierungspaß,« warf ich ein.

»Von den Holländern – das ist nicht dasselbe. Sprechen Sie lieber nicht davon.«

»Nun, er hat Ihnen doch gute Dienste getan. Der Zolloffizier war sofort beruhigt, als er von dem Paß hörte.«

»Sie irren sich. Er ließ uns erst frei, als ich ihm von den beiden Radjas sprach. Mit denen wollen es die Holländer nicht verderben. Ich glaube nicht, daß Ihnen Ihr Papier viel geholfen hätte, wenn meine Ladung... nun, wenn sie weniger einwandfrei gewesen wäre.«

»Ich weiß doch nicht. Schade, daß ich es nicht auf den Versuch ankommen lassen kann.«

»Seien Sie eher froh darüber und meiden Sie Schmugglerfahrzeuge.«

Nach dieser Unterredung wußte ich, daß man hier an Bord nichts von meinem Abenteuer mit dem bunten Kasten erfahren hatte. Der Portugiese glaubte auch meinen Verdacht eingeschläfert zu haben, denn er erging sich jetzt mit Vorliebe in der Erzählung von glücklich abgelaufenen Schmugglerfahrten. Er selbst hatte natürlich nie den Versuch dazu gemacht – wie er mir auf eine Frage mit heiligem Eide versicherte.

Am vierten Tage abends sichteten wir den 3600 m hohen Altas-Gebirgsstock. Der Kapitän legte den Bug nun dicht unter die Küste und setzte eine sehr große weiße Flagge, die er bei Eintritt der Dunkelheit durch große, hellbrennende Petroleumlaternen – drei übereinander – ersetzte. Es war das Signal für den Lotsen, der die Dschunke zu ihrem Ladeplatz zu bringen hatte. Der Mann schien aber nicht zu Hause zu sein, denn die Signallaternen brannten die ganze Nacht vergeblich. Am nächsten Morgen bemerkte ich, daß uns die Strömung in beängstigende Nähe der Küste versetzt hatte, und daß unserer Dschunke bei Aufkommen eines stärkeren Windes große Gefahr drohe. Derselben Ansicht schien auch der Führer eines rotgemalten Küstendampfers zu sein, der dicht an uns herandampfte und seine Hilfe anbot, wie ich aus dem Namen am Bug schloß, war es ein Holländer, der jedoch schroff abgewiesen wurde. Möglicherweise war es auch ein Zolldampfer, der sich den Vogel, den er so nahe der Küste nicht anhalten durfte, genauer betrachten wollte.

Unser Kapitän verstand aber sein Handwerk. Er ließ sein Boot zu Wasser und holte sich die Hilfe einiger in der Nähe angelnder Fischerboote. Diese mußten ihn von der Küste ab- und aus der Strömung schleppen. Langsam segelten wir den gelaufenen Kurs wieder zurück, bis gegen Mittag eine schnellsegelnde Prau hinter einer Landzunge hervorschoß und bald darauf längsseit der Dschunke festmachte. Ein Mann entstieg dem Fahrzeug, der sich sofort in die Kajüte begab, wo ihn der Kapitän und der Portugiese erwartete. Im Vorübergehen streifte mich ein erstaunter Blick.

Er war groß, von kräftiger Muskulatur und finsterem herrischen Blick. Der kupferbraune Körper stak in einer rohseidenen Jacke und ebensolcher Hose, die durch einen breiten Ledergürtel zusammengehalten wurde. Die Füße waren nackt, von seiner Schulter hing eine Tasche aus buntem Leder, deren Verschluß mit Muscheln behangene Schnüre bildeten. Auf dem Bauche saß eine Art unserer alten Patronentaschen, worin kleine Bambusröhrchen staken. Der heruntergeklappte Deckel war mit darauf genagelten Goldmünzen übersäet. Ein kurzer breiter Kris, mit geflammter Klinge, zeigte einen reich mit Edelsteinen besetzten Griff. Ebensowenig wie die Waffe, paßte auch zu der Kleidung eine Anzahl größerer goldener Scheiben, die dem Manne an einer echten Kette um den Hals, bis tief auf die Brust, herabhingen. Was mich aber am meisten überraschte, waren seine Hände, die bis zu den Gelenken dick mit geronnenem, gar nicht so altem Blute bedeckt waren.

Während ich noch über meine Wahrnehmungen nachdachte, traten die drei aus der Kajüte und blieben an der Reling stehen. Nun sah ich, daß auch die Kleidung des Mannes größere Blutspuren trug. Die Unterhaltung drehte sich augenscheinlich um meine Person, obschon ich kein Wort ihrer Sprache verstand. (Auf Timor spricht man vierzig verschiedene Idiome). Ich weiß noch ganz gut, daß ich damals wie absichtslos hinter ein Wasserfaß stellte und meinen Revolver in die Seitentasche steckte. – Die erwartete Anrede des Mannes blieb aus. Er berührte seine Stirn mit der Hand zum Gruße und sprang leichtfüßig in sein Fahrzeug, das sofort wieder dem Lande zuflog.

Der Portugiese glaubte mir eine Aufklärung schuldig zu sein. Vielleicht wollte er auch hören, wie ich über den ungewöhnlichen Besucher urteilte.

»Das war der Radja von Suai. Der Herr über das Volk der Lamkitos, die das Land zwischen dem Meere und jenen Bergen bewohnen. Sie leben augenblicklich im Kriege mit einem Nachbarstamme. Das wird uns einige Tage Aufenthalt geben. Die Ladung liegt bereit, aber die Männer fehlen.«

»Dann darf ich das Land wohl nicht betreten?« fragte ich.

»Solange nicht Frieden geschlossen ist, nein!«

»Aber Sie wollen doch nicht hier liegen bleiben, bis die da drüben ihre Kriege beendet haben?« rief ich aus. »Das kann doch Monate dauern.«

»Meistens nur Wochen. Und dieser Krieg dauert schon einige Zeit. Sie sahen, daß der Radja ganz allein kam. Das dürfte er nicht wagen, wenn seine Männer nicht schon gesiegt hätten. Er ließ auch durchblicken, daß der Gegner bereits den Austausch der Köpfe angeboten habe.«

»Was will damit gesagt werden?« fragte ich erstaunt.

»Ah, Sie kennen ja die herrschenden Gebräuche nicht,« fügte der Portugiese, erfreut, daß er dem Weißen etwas erzählen konnte, das dieser noch nicht wußte. Und mit einem überlegenen Lächeln fuhr er fort:

»Unter den Stämmen auf Timor besteht die Sitte des Kopfabschneidens. Das heißt, nur im Kriege. wenn einmal eine Kriegserklärung ergangen ist, dann sucht jeder dem Gegner soviel Schaden zuzufügen, als ihm nur immer möglich ist. Man zerstört die Wohnungen, raubt und plündert und schneidet jedem feindlichen Untertan, dessen man habhaft wird, den Kopf ab. Einerlei ob Mann, Weib oder Kind. Selbst Greise und Säuglinge verschont man nicht. Natürlich köpft man auch jene Gegner, die man im Kampfe verwundet oder tötet. Je mehr Köpfe ein Krieger heimbringt, desto höher steht er im Ansehen. Für jeden Kopf wird dem Sieger eine goldene Scheibe zuerkannt...«

»Donnerwetter, dann muß der Radja aber gehörig zu Werke gegangen sein, denn er trägt mindestens ein Dutzend solcher Scheiben, und seit der letzten derartigen Operation scheint er sich auch nicht mehr die Hände gewaschen zu haben!«

Er hat in den letzten Wochen sechzehn Köpfe erbeutet. Er wäscht sich die Hände nicht mehr, bis der Krieg zu Ende ist – so will es die Sitte!«

»Das ist nicht gerade appetitlich und ich hoffe, der Radja wird mich während des Krieges nicht zur Tafel laden.«

»Sie werden kaum die Erlaubnis zum Betreten des Landes erhalten; denn wenn auch der Krieg zu Ende ist, so folgen doch noch die Versöhnungsfestlichkeiten, bei denen die Köpfe ausgetauscht, d. h. den Angehörigen der Gefallenen zurückgegeben werden. Bei der Gelegenheit läßt man fremde Besucher nicht ins Reich.«

»Wie werden denn die Köpfe solange aufbewahrt. Die verwesen doch in der langen Zeit und in einem solchen Klima?«

»Jeder, der einen Kopf erbeutet, nimmt ihn mit nach Hause, löst dort das Gehirn aus und trocknet die Haut mit dem Fleische über der Glut. Dann bewahrt er ihn gut auf, um ihn beim Austauschfest gegen die Köpf der eigenen Stammesgenossen auswechseln zu können. Ehe der Kopf nicht zurückgegeben ist, kann auch der Leichnam nicht begraben werden. – Diese Zeremonien werden mit langewährenden Festen verbunden, auf denen unheimliche Mengen Palmwein und europäischer Schnaps getrunken werden. Das will ich lieber nicht abwarten, denn ich traue dem Radja alles zu – nur kein ehrliches Handeln!«

»Was für Waren liefert er Ihnen denn ?«

»Hm – Verschiedenes... Reis, Mais, Baumwollgewebe. Was er gerade hat. Diesmal hat er ziemlich viel. Da er aber im Kriege liegt, so will ich ihm vorschlagen, die Waren bei Nacht bringen zu lassen. Er fürchtet nämlich, daß ihm der Nachbar auf der andern Seite des Berges mit seinen Praus die Waren wegnimmt, wenn er sie bei Tage hinaussendet. Nach zwei Seiten kann er sich nicht wehren.«

Ich hätte nun gern das Volk, über das ich so viel Interessantes erfahren hatte, persönlich näher kennen gelernt, aber ich glaubte doch davon absehen zu sollen, weil mich auch Bruinsma dringend vor einem Versuche, ohne Begleitung eines portugiesischen Beamten an Land zu gehen, gewarnt hatte. Und daß mir der Zufall einen solchen Begleiter, noch dazu auf einer Schmugglerdschunke, zuführen könnte, glaubte ich nicht.

Und dennoch war es der Fall. Wenn auch nicht zu dem Zwecke, sich mir zur Verfügung zu stellen. – Wir hatten den ganzen Tag vor dem Kap Atlas gekreuzt. Zuerst liefen wir westlich bis Suaio, kehrten an der Flußmündung um, und gingen auf dem Kurse zurück bis zu einem Berge, den mir der Portugiese als Rabalati bezeichnete. An seinen Hängen entdeckte ich mit dem Glas eine ganze Anzahl von Hütten, die nach Art jener von Rotti mit Palisaden umgeben waren. Dort sollten die Feinde des Radja von Suai wohnen. – Die Gegend beobachtete der Kapitän besonders lange mit seinem Fernglase. Angeblich erwartete er von dort ein Signal des Radja.

Endlich, kurz vor Sonnenaufgang wehte drüben auf einem kahlen Hügel eine Flagge aus. Sofort gab der Kapitän ein Antwortsignal und ließ die Manöver ausführen, die erforderlich waren, die Dschunke durch die Strömung hindurch in den Schutz der Küste und hinter das Vorgebirge zu bringen. Eben bemühte sich die Mannschaft um den Anker, da tauchte in der Ferne eine andere Dschunke auf, die mit der Strömung vor allen Segeln flotte Fahrt machte und rasch näherkam. Deren Erscheinen rief große Aufregung unter dem Schiffskommando hervor. Auch der Portugiese, den man auf das Achterdeck holte, schien unangenehm überrascht zu sein, wenn er auch weniger nervös umherlief.

Ich stand auf dem höchsten Aufbau unseres Schiffes und beobachtete mit dem Interesse, das ein unbeteiligter Fachmann stets fremden, begegnenden Fahrzeugen entgegenbringt, die sich stets deutlicher vom Abendhimmel abhebenden Umrisse der Dschunke. Sie fiel mir angenehm auf durch die peinliche Ordnung, die in der Takelung herrschte, und durch die scharfe Bauart des Rumpfes. – Dem neben mir auftauchenden malaiischen Steuermann machte ich meine Bemerkungen darüber und sagte:

»Wenn der Sonnenball sich auf die Kimme setzt, haben wir sie längsseit.«

Der Portugiese hatte die Worte gehört. Er kam zu mir und fragte:

»Haben Sie ein gutes Glas? Können Sie eine Flagge unterscheiden ?«

»Der setzt doch jetzt bei Sonnenuntergang keine Flaggen,« erwiderte ich. »Das wäre ja gegen die Regel. Oder erwarten Sie einen Flaggengruß von ihm, wenn er vorüberläuft?« Bevor er antwortete, rief ich:

»Die Dschunke geht ebenfalls hier zu Anker! Sie macht ihn schon klar! Geben Sie acht, sie wird gleich ein paar Segel wegnehmen.«

Ein lästerlicher Fluch rang sich von den Lippen des Portugiesen, dem sich der Kapitän anschloß. Man war sich offenbar nicht klar, was jetzt zu geschehen hatte. Daß aber ein Entschluß dringend nötig war, das bewiesen die vor unserm Bug in bedrohlicher Nähe auftauchenden Klippen. Jetzt war nur ein Manöver möglich.

»Anker fallen!« kommandierte dann auch der Kapitän. Und es war die höchste Zeit, denn als nun die Dschunke vor ihrem Anker herumschwoite, lag das Hinterteil so dicht an der felsigen Küste, daß man vom Lande bequem hätte hinüberspringen können.

Hatten unsere Führer noch einen Zweifel über die Absichten des andern Seglers, so wurden sie jetzt darüber belehrt. Kaum spritzte das Wasser über unserm Anker in die Höhe, da fielen drüben die Segel. Zehn Minuten später lag die Dschunke in einer halben Seemeile Entfernung von uns still und zwar so, daß wir unsern Liegeplatz nur verlassen konnten, wenn der andere verholte.

In jenen Breiten folgt die Nacht dem Tage fast ohne Übergang. Es war schon dunkel, als das andere Schiff zur Ruhe kam. Vorschriftsmäßig erschienen drüben die Ankerlaternen. Die hellbrennenden Lampen warfen ihren zitternden Schein auf die Meeresfläche und nahmen auch noch einen Teil unseres Rumpfes in ihren Lichttegel auf. Unsererseits geschah jedoch nichts dergleichen. Kein Schimmer beleuchtete unser Verdeck, noch sonst einen Teil der Dschunke. Die Bullaugen in unserer Kajüte waren durch Schiebebretter geschlossen und verhinderten auch die schwachen Strahlen der Öllampe, sich hinauszustehlen. Wer die Dschunke nicht vor wenigen Minuten in voller Tätigkeit gesehen hatte, mußte glauben, das Fahrzeug sei ausgestorben, so lautlose Stille herrschte an Deck.

Lebhafter ging es dafür in einem Räume zu, den ich noch nie betreten, der aber wohl die Wohnung des Kapitäns und das Navigationszimmer zugleich war. Die starke Türe war wohlverschlossen und wer auf Deck stand, konnte keinen Laut von der Unterhaltung hören. Nur in meiner Kajüte ließen dumpfe Geräusche darauf schließen, daß unter mir mehrere Personen in einem Gespräch begriffen waren, das sich nicht gerade in höflichen Formen bewegte.

Plötzlich erschien in bloßen Füßen der Portugiese in der Kajüte. Seine hastigen, ungestümen Bewegungen zeigten deutlich die große Aufregung, die in seinem Innern tobte. Er warf seine bisherige Kleidung ab und zog dafür die Tracht der hiesigen Eingeborenen an. In den Gürtel steckte er den Kris und einen Revolver.

Ich sah mich nicht veranlaßt, ihn über den Grund seiner Aufregung zu befragen. Es war mir längst klar, daß unser ungebetener Nachbar im Begriff stand, meinen Schiffsgenossen einen dicken Strich durch ihre Rechnung zu machen. Natürlich wußte ich noch nicht, ob Konkurrenzneid oder obrigkeitlicher Eingriff die Veranlassung war.

Als mein Kajütsgenosse seine Metamorphose beendet hatte, sah er ungefähr so aus, wie der Radja. Natürlich ohne den kostbaren Behang. Er richtete nun das Wort an mich und sagte:

»Ich fahre mit dem Kapitän an Land. Der erste Steuermann wird Ihnen beim Abendessen Gesellschaft leisten. Wenn Sie später auf Deck gehen, sorgen Sie dafür, daß kein Licht gemacht wird. Auch die Zigarre bitte ich unter Deck anzuzünden. Vor morgen komme ich nicht zurück.«

Ich fand an der Mitteilung nur das Auffällige, daß der Kapitän sein Schiff in solcher Lage auch nur für eine halbe Stunde verließ. Das würde einem Deutschen nie einfallen. Dem Steuermann, der bald darauf in die Kajüte trat, machte ich daraus auch keinen Hehl und wies auf die Möglichkeit des Ausbruches eines Sturmes hin, der die Dschunke unfehlbar zum Wrack schlagen mußte, wenn nicht sofort eingegriffen würde. Er entgegnete:

»Es sind Umstände eingetreten, die nur durch den Kapitän in eigener Person wieder ausgeglichen werden können. Dabei muß selbst der Verlust der Dschunke samt Ladung in Berechnung gezogen werden. Übrigens steht das Wetterglas gut. Sie können beruhigt schlafen.«

»Angst habe ich nicht im geringsten!« rief ich lachend. »Ich würde mich leicht an die Küste retten, wenn die Dschunke in Bedrängnis geriete.«

»Dann wären Sie vielleicht schlimmer daran, als wenn Sie Ihre Rettung nach der Seeseite suchten,« erwiderte der Steuermann trocken. »Wenn Sie den hiesigen Eingeborenen in die Finger fallen, dann sind Sie ein toter Mann. Sie hassen die Weißen.«

Diese Worte riefen mir meine Lage ins Gedächtnis zurück. Ich hatte vergessen, daß wir uns in einem Lande befanden, in dem jeder Weiße für das Unrecht büßen muß, das eroberungslüsterne Nationen seit undenklichen Zeiten den armen Wilden zugefügt haben. Der Gedankengang führte automatisch zu der andern Dschunke hinüber. Ich setzte die Unterhaltung fort und fagte:

»Das hatte ich allerdings vergessen. Aber drüben ankert ja noch eine Dschunke, die eingreifen würde, denn deren Kapitän erkennt unsere ungünstige Lage so gut wie wir selbst.«

»Wenn ich die Wahl hätte, entschiede ich mich in einem solchen Falle vielleicht doch noch für die Wilden,« entgegnete mein Besucher. »Das da drüben ist nämlich ein Holländer.«

»Na, das sind doch keine Kopfjäger!« rief ich aus. »Ich habe sie immer nur als brave Seeleute kennen gelernt, denen ich mich jederzeit anvertrauen würde. – Was für Ladung mag der übrigens hier einnehmen wollen?«

»Das ist kein Frachtfahrzeug. Wir halten es für eine Regierungsdschunke, die hier herum etwas ausspionieren will.«

»Das glaube ich nicht, Maat. Wir liegen doch hier in portugiesischem Gewässer. Dahin würde sich kein Regierungsfahrzeug der Holländer begeben. Es sei denn, daß er die Erlaubnis der Portugiesen hat. – Ubrigens hätte er kurz vor Sonnenuntergang noch Farbe bekannt.«

»So etwas Ähnliches sagte ich auch unserm Kapitän,« erwiderte sinnend der Malaie. »Er aber behauptete fest, das sei ein Holländer.«

Nun fiel mir wieder die tadellose Ordnung auf der Dschunke ein, und ich stand eben im Begriff, mich mit meinem Gegenüber auszusprechen, als ein taktmäßiger Ruderschlag über das Wasser tönte, und ein Anruf laut wurde. Gleichzeitig schob sich ein Matrose in den Raum, der dem Steuermann etwas ins Ohr flüsterte.

»Dachte ich es doch!« rief dieser. »Der andere will an Bord. Aber ich werde mich hüten, ihm zu antworten. Wir sind Portugiesen!«

»Warum wollt Ihr denn nicht antworten?« fragte ich erstaunt. »Ihr braucht ja nur zu sagen, daß der Kapitän an Land ist und hinterlassen hat, daß niemand das Schiff betritt. Es ist doch feig, Verstecken zu spielen. Oder habt Ihr irgend etwas zu fürchten?«

Der Ruf wiederholte sich draußen. Das Boot war neben dem Schiff. Man hörte, wie die Ruder eingeholt wurden. Zum dritten Male rief man.

»So gebt doch Antwort!« rief ich aufspringend. »Der Mann muß doch an Bord kommen, wenn sich hier nichts rührt. Das würde jeder Weiße Seemann tun!«

Die letzten Worte hörte der nun wirklich Eintretende noch. Er faßte an den Hut und fragte: »Kapitän hier!«

Der Steuermann sprang auf und sagte, seine Erregung unterdrückend:

»Was wollt Ihr hier an Bord?«

»Das hat der Mann eben ausgesprochen.« Er deutete auf mich. »Seid Ihr der Kapitän dieser Dschunke?« Er sah ihm forschend ins Antlitz.

»Ich bin der erste Steuermann. Der Kapitän ist an Land gegangen.«

»Kann ich ihn erwarten? Wie lange wird er sich dort aufhalten?«

»Glaube nicht. Er hinterließ, daß er keinen Besuch wünsche. Ich hätte Euch nicht an Bord lassen dürfen.«

»Das fällt Euch recht spät ein, Maat. Jetzt bin ich hier. Und damit Ihr wißt, mit wem Ihr es zu tun habt: Ich bin zweiter Offizier auf jener Dschunke. Sie fährt als Küstenwacht der portugiesischen Regierung. Wir haben also ein Recht, jedes Schiff zu betreten, das in unsern Gewässern ankert. – Wollt Ihr mir nun einige Fragen beantworten?«

»Tut mir leid, Leutnant,« antwortete der Malaie, der bedeutend höflicher geworden war. »Ich möchte aber meinem Kapitän nicht vorgreifen. Ihr werdet das verstehen?«

»Ganz gewiß,« antwortete der Leutnant mit eigentümlicher Betonung. »Und Ihr? Wer seid Ihr?« wandte er sich nunmehr an mich.

»Ich bin Passagier,« erwiderte ich schmunzelnd, denn ich erwartete genau das verblüffte Gesicht, das ich jetzt bei dem Offizier beobachtete.

»Passagier?« wiederholte er voll Erstaunen. »Nach welchem Hafen wollen Sie denn?«

Er nahm seinen Hut ab und legte eine höfliche Nuance in seine Worte.

»Ich bin Naturforscher und besuche die Inseln des malaiischen Archipels.«

»Dazu können Sie sich aber doch der Dampfer bedienen, die alle erlaubten Häfen anlaufen. Sie reisen da schneller und bequemer. Übrigens sind Sie hier bereits auf verbotenem Boden.«

»Das weiß ich alles. Aber der Dampfer, der Kupang anläuft, hat irgendwo Unglück gehabt. Die Wartezen dauerte mir zu lange und so benutzte ich die erste sich bietende Gelegenheit, um weiterzukommen. Gerade diese verbotene Küste ist mir sehr interessant. Vielleicht darf ich doch einen Tag am Lande verbringen.«

»Das ist unmöglich. Ohne Begleitung eines unserer Beamten würden Sie den größten Gefahren ausgesetzt sein.«

»Auch das hörte ich bereits. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Um so weniger, als mir mein guter Stern die Möglichkeit in nächste Nähe gerückt hat.« – »Wie soll ich das verstehen?« – – –

»Daß ich Sie hiermit in aller Form bitte, mich an Land begleiten zu lassen, besser noch, selbst zu begleiten. Es würde mir eine hohe Ehre sein.«

So etwas mochte dem Offizier wohl noch nie vorgekommen sein. Er wußte sich auch nicht gleich zurechtzufinden, sagte dann aber nach einigen Augenblicken ernsten Nachdenkens:

»Wie die Dinge hier liegen, kann davon keine Rede sein. Immerhin wird es meinen Kapitän interessieren, von Ihren Wünschen zu hören.«

Sich an den Steuermann wendend, sagte er dann in verändertem Tone:

»Ich sollte eigentlich eine Wache hierlassen. Sagt Euerm Kapitän, sobald er zurückkehrt, er solle sich sofort drüben auf der Dschunke melden, einerlei, zu welcher Stunde. Je früher er kommt, desto eher könnt Ihr in See gehen.«

Mit kurzem Gruße verließ uns der Offizier. Die verhallenden Ruderschlage bewiesen, daß er zu seinem Schiffe zurückkehrte.

»Seht Ihr, Steuermann, daß ich recht hatte, als ich euch sagte, das sei kein Holländer. Ihr hättet den Mann schon etwas höflicher behandeln dürfen, denn schließlich gehört Euere Dschunke doch auch einem Portugiesen.«

»Ach was, der alte Kü-schan ist so wenig Portugiese wie Ihr und ich,« rief der Steuermann. »Der ist und bleibt Chinese, wenn er auch hundertmal den Radjas und Sultanen das Gegenteil schwört. Auf seiner anderen Dschunke fahren nur Chinesen. Da kann er keinen von uns brauchen. – Na, er weiß auch, daß ihm kein anderer die Arbeit besorgt.«

»Ich dachte, er hätte die Fahrt ganz aufgegeben,« warf ich harmlos hin, obgleich mir das, was ich eben hörte, die Pulse schneller schlagen ließ. »Dongsa ließ so etwas verlauten.«

»Der gibt das Handwerk nicht eher auf, bis es zu spät ist,« erwiderte der Malaie. »Augenblicklich ist er wieder nach der Celebes-See unterwegs.«

»Er wollte nach Pasir, nicht wahr?«

»Das weiß ich nicht. Der dicke Tschung-Li hat ihn an Bord und wird ihn wohl da absetzen, wo sein Schiff ihn erwartet. – Wenn er wüßte, wie ihn der Dongsa betrügt! Ich glaube, der Hund würde ihn auch verkaufen, wenn man ihm einen hohen Preis zahlt! ... Aber ich rede wieder zuviel! Weiß Allah, sobald ich den Genever etwas hastig trinke, geht mir die Zunge durch. – Ich gehe in meine Koje. Gute Nacht, Passagier. Ihr vergeßt doch das dumme Zeug?«

»Aber natürlich. Was geht mich das an? Man redet nur so, um die Zeit totzuschlagen. Morgen früh ist alles verschlafen. – Gute Nacht, Steuermann!«

Die Nachrichten, die ich soeben unerwartet über Kü-schan und Tschung-Li bekam, beunruhigten mich außerordentlich. Sie bestätigten den Verdacht, den mir Bruinsma mehrfach ausgesprochen hatte, und ich begann ernstlich, für Nottebohm zu fürchten.

Mitten in der Nacht erschien Teireica wieder in der Kajüte. Er schlich leise an seine Kiste und machte sich lange dort zu schaffen. An dem Klange merkte ich, daß er Gold holte oder brachte. Auch kleidete er sich um und verschwand dann wieder. Bald nachher reizte ein Scharren und Klopfen meine Neugier. Es drang aus dem Räume unter mir, woraus ich den Schluß zog, daß der Kapitän etwas in seinem Zimmer verbergen wollte. Es mußte sich aber um eine größere Arbeit handeln, denn das dumpfe Gerausch dauerte bis kurz vor Sonnenaufgang. Mehrere Male kam Teireira in die Kajüte zurück, anscheinend nur, um sich zu vergewissern, ob ich wachte oder schliefe.

Wie gewöhnlich erhob ich mich und ging auf Deck, wo ein großer Bottich mit Seewasser für mein Bad bereit zu stehen pflegte. Heute vermißte ich ihn. Dafür fand ich den ganzen Raum um die Ladeluke herum mit Reiskörnern bedeckt. Es sah ganz so aus, als ob man in der Nacht Reis geladen oder – umgestaut hätte. Der erste Steuermann kam mit verschlafenem Gesicht vom Achterdeck und fragte:

»Seid Ihr gestört worden letzte Nacht?«

»Ich? – nein,« gab ich zurück. »Ich bin großartig ausgeruht. – Warum? Ist etwas vorgefallen?«

»Nichts! Ich frage nur, weil der Kapitän und der Portugiese, wenn sie von Land kommen, meistens geräuschvoll zu Werke gehen.«

»Sind die zurückgekommen?« fragte ich mit gemachtem Erstaunen.

»Und schon wieder fort. Sie machen Besuch beim Nachbarn.«

»Schade, dann muß ich allein frühstücken. – Wo ist denn mein Bad?«

»Ach ja – das haben die Kerle wieder vergessen. – Nun, einmal können wir auch wohl ohne die äußere Anfeuchtung auskommen, besonders wenn man innen gut gewaschen hat,« antwortete er lachend.

»Ich habe doch nicht viel getrunken.«

»Aber ich! Mir brummt der Schädel ordentlich.«

Ich wollte nicht weiterfragen, um nicht in Dinge eingeweiht zu werden, deren Kenntnis mir am besten verborgen blieb. Nach ein paar nichtssagenden Redensarten holte ich mir selbst einen Eimer Wasser herauf und setzte mich nach den Waschungen an den, wie gewöhnlich in heißen Ländern, reich beschickten Frühstückstisch.

Gegen neun Uhr kehrte Teireira mit dem Kapitän von dem Portugiesen zurück. Sie waren lustig und guter Dinge und machten den Eindruck von Leuten, die einer Gefahr glücklich entronnen sind. Ersterer war besonders aufgeräumt und plauderte über alle möglichen Dinge.

»Sie haben ja dem Landsmann da drüben eine riesig gute Meinung von sich beigebracht,« rief er lachend. »Wenn Sie da ein wenig weiterbohren, werden Sie vielleicht an Land gehen können. Auch der Radja, dem wir von Ihnen erzählten, möchte Sie kennen lernen. Der Engländer, von dem ich bereits sprach, war damals ebenfalls bei ihm.«

»Ist denn der Radja auch auf dem Regierungsschiff?« fragte ich.

Teireira merkte, daß er sich verplappert hatte. Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort auf meine Frage.

»Wir sahen ihn gestern abend noch flüchtig,« sagte er dann. »Er gedenkt noch heute mit den Gegnern, den Teloes, Frieden zu schließen. – Wenn Sie also noch vor den Austauschfestlichteiten einen Ausflug in sein Gebiet machen wollen, dann rate ich Ihnen, den Kapitän drüben um einen Begleiter zu bitten.«

»Bleibt denn die Dschunke noch lange hier liegen? – Und wann gehen wir wieder in See?«

»Wir werden vielleicht übermorgen mit Tagesanbruch segeln. Wann der dort drüben seine Reise fortsetzt, wissen wir leider nicht.«

»Leider? – Dann soll ich das wohl erforschen?« fragte ich lachend.

»Nun – uns kann es schließlich einerlei sein. Wir haben ihm bewiesen, daß wir hier nur Reis und Baumwollgewebe laden. Damit ist seine Neugier befriedigt, und wir denken, daß er uns nunmehr in Ruhe läßt.«

»Muß er denn wissen, was jede Dschunke an der Küste zu suchen hat?«

»Ach, das ist so eine Liebedienerei gegen die Holländer. Die sehen in jeder Dschunke einen Waffenschmuggler. – Als ob die Eingeborenen hier im Innern moderne Gewehrfabriken besäßen! Sie sollten sich lieber die Australier und Engländer genauer ansehen. Sarawak und Labuan sind viel verdächtiger. – Und erst die Chinesen in den Philippinen!«

»Wenn Sie mir ein Boot leihen, besuche ich den Kapitän da drüben,« sagte ich, dem Gespräch eine andere Wendung gebend.

»Nehmen Sie gleich die Prau, die noch am Fallreep liegt,« rief Teireira. »Ich werde dem Kapitän sofort Bescheid sagen. – Kommen Sie!«

»Stop, Freund!« entgegnete ich lachend. »Erst muß ich mich für den Besuch ankleiden. Ich brauche auch wohl Papier und Geld. – Gehen Sie nur voraus. In weniger als zehn Minuten bin ich fertig.«

Auf dem Schiffe schien man mich erwartet zu haben. Vier Offiziere, darunter ein Farbiger, empfingen mich in dem gut eingerichteten Salon der Dschunke und begrüßten mich mit zuvorkommender Höflichkeit. Ein Neger brachte die üblichen eisgekühlten Getränke, und nun ging die Unterhaltung von den gleichgültigen Höflichkeitsphrasen auf ernstere Dinge über. – Ich brachte mein Anliegen vor.

»Ich erwartete Ihre Dschunke bereits gestern,« nahm der Kapitän das Wort. »Von Land sowohl, wie vom Radja von Kupang aus wurde uns durch einen unserer Staatsdampfer mitgeteilt, daß sie hier irgendwo an der Küste verdächtige Ladung an Bord nehmen würde. Man nannte uns auch Suaio. Doch glaubten wir eher an Kailato. Erst als uns der angebliche holländische Dampfer, der Ihrer Dschunke Hilfe anbot, diese Bucht nannte, wußten wir, wo Ihr Kapitän zu Anker gehen würde. Der Radja von Suai ist uns schon lange verdächtig. Zu einem Vorgehen gegen ihn durch seinen Sultan fehlen uns jedoch Beweise. – Haben Sie irgend etwas bemerkt, was uns auf eine Spur führen könnte? Nach dem guten Fang, den Sie den Holländern in Landu ermöglichten, dürfen wir Sie wohl für einen Freund der Bestrebungen unserer Inselnachbarn halten?«

»Herr Kapitän! Ich bin vor allen Dingen neutral, und mein Beruf zwingt mich, es zu bleiben. Daß die Holländer die Prau bei Rotti abfingen, war ihnen durch deren Unvorsichtigkeit möglich geworden. Man wollte sich meiner Person als Blitzableiter bedienen und rechnete nicht damit, daß ich meinem eigenen Kopfe folgte. Ob die Leitung der Dschunke ähnliche Absichten verfolgt, weiß ich noch nicht. Hier wird sie jetzt, da Sie zur Stelle sind, kaum wagen, Bannware zu laden, und vor Ankunft in Mataru werden wir, wie der Kapitän sagte, keinen Hafen anlaufen.«

»Nach Mataru auf Allor wollen Sie?« fragte der Kapitän erstaunt, indem er seine Offiziere mit einem bedeutungsvollen Blick ansah. »Und vor zwei Stunden sagte mir Teireira noch, Sie wollten nach Timorlaut? Dahin lauten auch die Papiere der Dschunke.«

»Das verstehe ich dann nicht,« erwiderte ich, unangmehm berührt von dieser Eröffnung. »Ich habe mir einen ganz bestimmten Reiseplan gemacht, den ich nur ungern ändern würde. Und nach diesem Plane ist Allor mein erstes Ziel. In Kupang gab man mir die Versicherung, daß mich jene Dschunke in Mataru oder doch in der Kalabahibucht an Land setzen würde. Auf See erfuhr ich erst, daß vorher noch Suaio zur Auffüllung der Ladung angelaufen werden solle. – Und nun heißt es wieder anders! Ich möchte nur wissen, welche Pläne die Eigentümer der Dschunke mit diesen Winkelzügen mir gegenüber befolgen. Es kann ihnen doch nichts daran liegen, mich für den geringen Preis ein paar Wochen zu beköstigen.«

»Daß die Dschunke ihren wahren Bestimmungsort geheimhält, kann ich nach allem, was Sie mir sagen, begreiflich finden. Mit Ihnen an Bord, lenkt sie die Aufmerksamkeit von ihrer Ladung ab. Wenigstens spielte Teireira mir den Trumpf aus, daß Sie mit Empfehlungen der holländischen Regierung reisen und daß sogar der Zolldampfer von Landu, nach Einsicht der Papiere, die Dschunke sofort freigab. – Ich gestehe, daß auch ich mich zu gleicher Rücksicht verpflichtet fühlte. Erst Ihre Unterredung mit meinem Kameraden regte Zweifel in mir. – Haben Sie wirklich ein solches Papier?«

»Ich besitze, auf Empfehlung europäischer bekannter Institute, ein Rundschreiben der Regierung an alle Behörden, worin man ersucht, mir in jeder Hinsicht zur Förderung meiner Bestrebungen dienlich zu sein. Insbesondere werde ich dem Schutze jeder Behörde empfohlen. Vor Monaten nahm mich sogar ein Kanonenboot mit von Billiton nach Batavia. – Übrigens bitte ich von dem Paß Einsicht nehmen zu wollen. – Das Zusammentreffen mit dem Zolldampfer und das Unterlassen der Durchsuchung hatte wohl einen andern Grund. Der Kapitän kannte mich und mein Reiseziel, ohne daß Teireira das wußte. Man läßt sich durch die falschen Angaben nicht täuschen. Vor Mataru wird wohl der Knoten gelöst.«

»Und fürchten Sie nicht für Ihr Leben? Man wird Sie doch bei der Überrumpelung ohne weiteres ermorden.«

»Hoffentlich warten die Holländer, bis ich von Bord bin,« erwiderte ich. »Sonst sähe es allerdings schlecht aus. – Sie werden wohl die Güte haben, das nach Landu zu melden?«

»Also glauben Sie immer noch, daß die Dschunke Allor anläuft?« »Ganz bestimmt. Sie werden aber gut tun, meine Mitteilung darüber als vertrauliche zu behandeln, sonst muß ich doch wohl vorher von Bord gehen. Wenn Sie mich irgendwo hinbringen könnten, wo ich sichere Reisegelegenheit finde, wäre es mir natürlich lieber.«

»Wir sind im Dienst an der Südküste. Die ist bekanntlich für Weiße geschlossen. Sonst wäre ich natürlich gern bereit .... Aber Ihren Wunsch, einen Blick in das Reich Suais tun zu können, will ich gern erfüllen. Um ein Uhr holt mein Boot Sie an der Dschunke ab.«

Als ich an Bord zurückkehrte, nahm mich Teireira sofort in Anspruch. Er wollte genau wissen, über was wir uns unterhalten hätten, und ob ich an Land gehen würde. Als er hörte, daß das heute schon sein sollte, schien er etwas enttäuscht. Auch suchte er herauszubringen, wer und wieviel Mann als Bedeckung mitgingen.

»In ein paar Stunden sehen Sie nicht viel von Land und Leuten,« sagte er. »Versuchen Sie wenigstens bis morgen Mittag drüben zu bleiben. Der Radja wird Ihnen gern eine Hütte zur Verfügung stellen. – Außerdem würden Sie hier an Bord schlecht schlafen, denn wir nehmen die ganze Nacht hindurch Ladung über. Das geht ohne Lärm nicht ab.«

Ich versprach mein Bestes zu tun, ließ ihn aber nicht darüber im unklaren, daß ich mich dem Willen der Offiziere unterzuordnen hätte. – Daß diese Wünsche Teireiras mit einem schlechten Streiche in Verbindung standen, unterlag für mich keinem Zweifel.

Drüben auf der Dschunke war es inzwischen lebendig geworben. Hörnsignale tönten herüber. Der Anker ging auf, und vor kleinen Segeln fuhr der Portugiese mit der Strömung langsam nach Süden. Während wir noch unser Erstaunen über die unerwartete Abreise ausdrückten, sahen wir, daß das Fahrzeug nach kurzer Fahrt wieder über Stag ging und gegen seinen früheren Liegeplatz zurückkehrte. Es lief ein paar Seemeilen darüber hinaus, kreuzte noch einmal und warf dann unweit von uns, aber viel näher zur Küste, den Anker in die Tiefe. – Nun bemerkten wir auch, daß drei große Boote, europäischer Bauart, im Schlepp der Dschunke trieben.

Merkwürdigerweise erregte dieses Manöver der Dschunke den Zorn unserer Schiffsleitung. Mit den lästerlichsten Flüchen begleiteten sie jede Handlung der andern, und ganz besonders kritisierte Teireira die offene Aufstellung von drei Kanonen auf dem Achterdeck.

»Das soll sich der Radja nicht gefallen lassen,« schrie er, rot vor Zorn. »Das ist eine Bedrohung seiner Küste. Dazu hat der da drüben kein Recht.«

Der Allorese nahm die Beobachtung kaltblütiger auf.

»Vergeßt nicht, daß die Lamkitos im Kriege liegen. Es kann leicht sein, daß die Offiziere oder unser Passagier angegriffen werden, dann werden die Kanonen ein ernstes Wort dreinreden.«

«Ich glaube, Ihr verteidigt das noch, Kapitän,« rief Teireira aufgebracht. »Glaubt Ihr denn, daß uns die Eingeborenen helfen, wenn sie die Dinger da sehen? Die abergläubische Bande läuft ja jetzt schon davon, weil der Uniformierte mit dem Fernglase das Land betrachtet. In dem Glas sehen sie wieder einmal einen ihrer bösen Geister! Da seht nur!«

In der Tat strebten die zehn Fischer in hastiger Fahrt dem Strande zu. Ich unterschied im Fernrohr deutlich die angstvoll zurückgeworfenen Blicke der Männer. Eine Bootbemannung, drei Personen, lief mit großen Sprüngen in ihre befestigten Wohnungen und warf die Tore zu.

»Kurz nach dem Tiffin, dem zweiten Frühstück, erschien das Regierungsboot längsseit. Ein Offizier und drei Unteroffiziere kamen zu uns an Deck und stellten sich zu meiner Verfügung. Der Offizier erkundigte sich bei unserm Kapitän, wann er in See zu gehen gedenke.«

»Vielleicht morgen – wenn wir bis dahin mit Laden fertig sind. Wegen des Krieges arbeiten die Leute nur bei Nacht,« antwortete der Kapitän.

»Aber das ist doch verboten? Erlaubt das der Radja?«

»Er wird es schon müssen, wenn er die Waren verschiffen will. Solange kann ich nicht hier liegen bleiben, bis die da drüben sich gegenseitig die Hälse abgeschnitten haben,« warf Teireira mürrisch ein.

»Besitzen die Lamkitos denn genügend Prauen, um eine größere Ladung herauszubringen? Was ladet Ihr denn?«

»Reis und Baumwolle. – Der Radja besitzt schon den Kaufpreis. Er muß also wissen, wie er die Ladung an Bord bringt,« rief Teireira.

»Ich sehe, Ihr seid ungehalten über den Aufenthalt. Ich werde versuchen, den Radja zur rascheren Arbeit zu veranlassen. Zur Not stelle ich ihm ein Dutzend unserer Soldaten zur Verfügung.«

Der Offizier wartete die Antwort des Portugiesen nicht ab. Sein Gesicht drückte innere Freude aus, während das Antlitz Teireiras einen überschäumenden Zornesausbruch in nahe Aussicht stellte. Ich malte mir die Unterhaltung aus, die zwischen den Schiffsleuten nach unserer Abfahrt geführt wurde. Der Offizier sagte, als wir allein waren, lächelnd:

»Dem habe ich seine Pläne gründlich durchkreuzt. Es kommt aber noch besser!« Da er sich nicht weiter aussprach, unterließ ich das Fragen.

Unter den kräftigen Ruderschlägen von sechs Matrosen durchflog unser Kielboot die kurze Strecke bis zu der Stelle, an der auf den Strand gezogene Kähne den Landungsplatz anzeigten. Er war jetzt menschenleer. – Als wir an Land sprangen, befahl der Offizier den Matrosen, sich bis zu unserer Rückkehr auf der Dschunke bereitzuhalten. Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang sollten sie uns an der gleichen Stelle erwarten, wenn nicht vorher das Signal gegeben würde. Mir empfahl der Offizier, in der unmittelbaren Nähe meiner Begleiter zu bleiben.

Der schmale Strand war von einem Gürtel strauchartiger Malven von dem bebauten Lande getrennt. Als wir diesen durchschritten hatten, befanden wir uns zwischen abgeernteten Reisfeldern, die sich bis an die zerstreut liegenden Häuser heranzogen. Die Häuser selbst waren auf Pfählen erbaut. Etwa einen Meter über dem Boden begann das eigentliche Bauwerk, das über einer niedrigen Holzwand ein gewaltiges Dach trug. Eine Leiter vermittelte den Zugang vom Hofe, der Hunden und Schweinen zum Aufenthalt diente, zur Wohnung. Die Dächer trugen Verzierungen aus Holz und Seemuscheln. Je drei bis fünf Häuser, einer Familie gehörig, sicherten sich gegen unberufene Besucher durch starke Palisaden.

Sobald unsere Ankunft bemerkt wurde, liefen alle Frauen und Kinder unter lautem Angstgeschrei in die nächste Umzäunung und warfen krachend die schweren Tore hinter sich zu. Unsere Soldaten riefen ihnen in ihrer Sprache beruhigende Worte nach, die aber keine Beachtung fanden. Die ganze Umgebung erschien plötzlich menschenleer. – Einer der Unteroffiziere, der hier ortskundig war, führte uns an einer größeren Anzahl derartiger Wohnstätten vorbei zum Hause des Radja. Vor diesem bemerkten wir schon von weitem ein schauerliches Wahrzeichen seiner Macht. Innerhalb seines Zaunes erhob sich ein langer Pfahl, auf dessen Spitze ein dreieckiges Gestell thronte, dessen Ecken mit Menschenköpfen geziert waren. Ein vierter, ziemlich frischer Kopf hing von einem der Querhölzer herab. Er war an den Haaren aufgehängt.

Der Offizier zog bei dieser Wahrnehmung die Stirn kraus und sagte:

»Unsere Regierung hat schon seit zwei Jahren den Radjas die Verhängung der Todesstrafe verboten. Ich muß diesen Fall zur Anzeige bringen ....«

»Man sagte mir, das Kopfabschneiden sei Kriegsgebrauch,« unterbrach ich.

»Allerdings, aber dies sind keine Kriegstrophäen. Diese Menschen hat der Radja auf Grund seiner alten Gesetze hinrichten lassen. Es werden Diebe sein. Zur Warnung für andere Verbrecher läßt er deren Köpfe aufpflanzen.«

Das Tor des Hauses war verschlossen. Ein Zeichen, daß der Radja nicht anwesend war. Das war mir sowohl als dem Offizier unangenehm, denn nun bekam ich von seinen Untertanen nichts zu Gesicht. Der Unteroffizier rief öfter um Einlaß, da es sich um Regierungssache handle. Aber obwohl wir bestimmt wußten, daß Menschen anwesend waren, ließ sich niemand blicken. – Mißmutig setzten wir unsern Weg fort, um am Hause des unteren Beamten den Versuch zu wiederholen, als plötzlich der Radja uns auf dampfendem Pferde entgegenkam. Schon in zehn Schritt Abstand sahen wir, daß neue Blutspuren den Anzug bedeckten. Auch die Hände zeigten die grausigen Merkmale blutiger Arbeit.

Den Offizier begrüßte der Radja mit großer Höflichkeit. Den Unteroffizieren wurde ein leutseliges Wort zuteil – ich war Luft für ihn! Nach einigen kurzen Worten geleitete uns der Radja zu seinem Hause zurück. Von unsichtbarer Hand geöffnet, flogen die Torflügel auf und wir betraten einen Hofraum, der einem übelriechenden Sumpfe glich. Im schroffsten Gegensatze dazu stand der Raum, den wir dann betraten. Hier atmete alles indische Pracht und Bequemlichkeit. Zahlreiche, dickgepolsterte niedrige Sessel luden zur Ruhe ein. Schwellende Polster standen den hohen Besuchern zur Verfügung. Auf letztere warfen sich Offizier und Radja. Die Sessel wurden den Soldaten angewiesen. Ich war wiederum Luft!

Das ärgerte mich. Ich hielt mich dem Braunfell ebenbürtig. Mit lauter Stimme bat ich den Offizier, dieser unwürdigen Situation ein Ende zu machen. Ich sei es nicht gewohnt, wie ein Lakai behandelt zu werden, am wenigsten von ...

Der Offizier war aufgesprungen und verhinderte somit, daß ich das epitheton ornans aussprach, das ich für den Radja auf der Zunge hatte. Zu meiner Überraschung verstand letzterer etwas holländisch und wer weiß, wie er meine Äußerung aufgenommen hätte?

»Eben erkläre ich dem Radja den Zweck Ihres Besuches. Sie wissen, daß es Weißen strengstens verboten ist, das Reich Timor zu betreten. Eine Erlaubnis dazu kann nur die Regierung in Delhi geben, und diese muß den Besucher vorher bei den Sultanen und Königen anmelden. Da Suai jedoch einen eigenen König in der Person dieses Herrn hat, so hielt ich mich für berechtigt, Sie bis hierher zu begleiten. Der Radja wird Ihnen die Erlaubnis erteilen. Sie sollen bis morgen abend sein Gast sein. Da dies jedoch wegen der Befehle meines Vorgesetzten nicht möglich ist, so verhandeln wir um einen Spaziergang durch den Markt des Dorfes.«

Ich verstand den Sinn der Rede. Auffallenderweise wollte aber der Radja nicht auf unsere Wünsche eingehen. Er schien es darauf angelegt zu haben, ebenso wie sein Freund Teireira, mich über Nacht von der Dschunke zu entfernen. – Endlich erhob sich der Offizier und gab einem Unteroffizier einen kurzen Befehl. Dieser verließ den Raum und durchschritt den Hof bis zur Umzäunung, wo er einen weithin schallenden gellenden Pfiff aus einer Trillerpfeife abgab, wenige Augenblicke später heulte der Ton des Nebelhorns von der Dschunke herüber.

»Wir kehren an Bord zurück,« sagte der Offizier, »Wir sind nicht gern gesehen. Belieben Sie meinen Arm zu nehmen. Sie sind unter dem Schutze der portugiesischen Uniform unverletzlich.«

Zum Radja sprach er noch kurze, dienstliche Worte, dann führte er mich auf dem Wege, auf dem wir gekommen waren, wieder dem Meere zu. Links von mir ging ein Unteroffizier, zwei deckten mir den Rücken. Während des Marsches fragte ich nach der Bedeutung der Vorsichtsmaßregel.

»Solange der Radja nicht ausdrücklich seine Erlaubnis dazu gibt, darf ein Weißer den Boden seines Reiches nicht betreten. Ausgenommen sind nur die Beamten der portugiesischen Regierung und derm Schützlinge. Letztere nur, wenn sie in nächster Nähe des Beamten sind.«

Bei durchschreiten des Buschwaldes tauchten plötzlich von allen Seiten bewaffnete Männer neben uns auf, die eine bedrohliche Haltung gegen uns einnahmen. Der Pfiff des Unteroffiziers brachte aber die Besatzung des am Strande harrenden Bootes im Laufschritt in unsere Nähe und so erreichten wir ungehindert unser Fahrzeug. Ehe wir zur Dschunke zurückruderten, ließ der Offizier den Blick über die nächste Umgebung schweifen. Er wollte sich das gegen vorher völlig veränderte Bild einprägen, um seinem Vorgesetzten Meldung davon zu machen. Erklärend sagte er:

»Die nächtliche Ladung der Dschunke ist der Vorwand für irgendeine ungesetzliche Handlung. Ich sehe nirgendwo Reis, wohl aber verdächtige Sandhügel, unter denen ebensogut Gewehre wie Opiumkisten versteckt sein können. Dazu die für die kleinen Boote unverhältnismäßig große Zahl von Männern, die sämtlich bewaffnet sind. – Fast will es mir scheinen, als wolle man unsere Dschunkenbemannung um vier Soldaten verringern!«

»Zu welchem Zwecke?«

»Es wäre nicht das erstemal, daß eine Regierungsdschunke von den Eingeborenen überfallen wird. Vielleicht gehört das zu dem Plane Ihres Herrn Teireira. Jedenfalls werden die beiden Herren die Nacht bei uns zubringen müssen, während einer unserer Offiziere die Gastfreundschaft Ihrer Dschunke in Anspruch nimmt.«

Teireira war bereits von unserer Unterhaltung mit dem Radja unterrichtet. Meine Rückkehr an Bord war ihm sichtlich unangenehm:

»Sie hätten ruhig bei dem Radja bis morgen bleiben können.« sagte er übellaunig. »Kein Mensch würde Ihnen ein Haar gekrümmt haben. Im Gegenteil. Der Radja hätte Sie mit allem versehen, was nur ein Europäer wünschen kann. Jetzt ist er beleidigt und läßt auch uns das fühlen.«

»Das tut mir leid, Teireira. Ich sagte Ihnen aber vorher, daß ich mich den Anordnungen der Offiziere zu fügen hätte. Der Leutnant fragte mich übrigens gar nicht um meine Zustimmung oder Ablehnung. Sonst hätte ich vielleicht eingewilligt.«

»So?« rief er schnell. »Dann will ich das dem Radja sagen lassen. Er läßt Sie dann durch seine Leute abholen.«

»Nein, nein!« wehrte ich ab. »Ich habe genug gesehen. Mein Interesse ist nicht mehr so groß. – Außerdem würde es der Kommandant von drüben nicht erlauben, und der muß doch erst gefragt werden.«

»Der merkt das gar nicht. Oder fahren Sie noch einmal hinüber?«

»Nein, das nicht, aber... Hören Sie, Teireira, ich will Ihnen eine Mitteilung machen, von der ich Kenntnis erhielt und die vielleicht von Wert für uns alle ist. Sie erhalten heute Nacht eine Wache von drüben, die...«

Er ließ mich nicht ausreden. Zornig sprang er von dem Wasserfasse, das ihm als Sitz diente, und rief, mit einem Fluch als Einleitung:

»Das soll mir der Radja büßen! Der Hund glaubt, daß er, nun wo er sein Geld hat, mit uns so verfahren kann, wie damals mit dem Dongsa! So feige bin ich nicht! Wissen Sie, was der saubere Herr für Handel treibt? Er ver...«

»Ich will es nicht wissen, Teireira,« unterbrach ich ihn. »Ich weiß auch nicht, ob der Radja über Sie gesprochen hat. Ich hörte nur, wie der Offizier über die Sandhügel eine Bemerkung machte.«

»Und was sagte er darüber?« fragte er lauernd.

»Die Mitteilung galt seinen Unteroffizieren,« erwiderte ich ausweichend. Im Anschluß daran hörte ich das, was ich Ihnen vorher sagte. Es wäre mir aber lieb, wenn Sie das dem Offizier nicht sagten.«

»Gewiß nicht. Sie ahnen nicht, welchen Dienst Sie uns damit erweisen. Dafür tue auch ich Ihnen wieder einen Gefallen.«

»Ja? Dann gehen Sie so rasch als möglich nach Allor in See. Am liebsten noch heute. Der Reis kommt ja doch nicht mehr.«

Bei den letzten Worten horchte er auf und sah mich aufmerksam an. Mein Gesicht verriet aber nichts von dem Verdacht, den ich schon länger mit mir herumtrug. Da der Aufwärter zum Kaffee auf das Achterdeck rief, brach unser Gespräch ab. Oben, auf dem erhöhten hinteren Teil der Dschunke wartete bereits der Kapitän mit seinem ersten Steuermann. Beide sahen aufmerksam nach der Küste hinüber, die man von diesem Punkte aus bis weit in die Vorberge hinein überblicken konnte. Nur eine hohe Klippe im Vordergrunde verdeckte einen Ausschnitt nach dem nahen Strande hinüber. Als ich unhörbar in den leichten Bordschuhen die Treppe hinaufeilte, hörte ich eben noch, wie der erste Steuermann dem Kapitän auf holländisch sagte: »...ein Tau ausbringen, dann kann man sie von der Klippe hinunterlassen. Auch der da drüben sieht nichts davon.« Die Worte waren von einer Armbewegung begleitet, die ihn veranlaßte, sich umzudrehen. Dabei gewahrte er mich. Betreten schwieg er einen Augenblick. Dann mußte er wohl meine Unaufmerksamkeit sehen. Er rief mich hierauf an und lud mich ein, die Aussicht zu betrachten.

»Eben zeige ich dem Kapitän den prachtvollen Blick, den man von hier aus über das Land hat. Ist er nicht schön? Und da wohnen nun Menschen, die ihr ganzes Leben damit zubringen, darüber nachzudenken, wie sie ihrem Nachbarn am bequemsten den Kopf abschneiden können.«

Das Panorama war wirklich bezaubernd. Die dem Westhimmel zueilende Sonne goß einen goldigen, gleißenden Schimmer über Meer und Küste. In den Gräben der Reisfelder mischte sie in das Braun der Erde einen kupferfarbenen Unterton, eilte dann sprungweise über flimmernden Sand, und ließ flutendes Licht über eine Anzahl aufgeregter Menschen niederfallen, die lebhaft gestikulierend ein einsames Haus umstanden. Die Gruppe fesselte unwillkürlich meine Aufmerksamkeit in dem Maße, daß ich den einzig schönen Rundblick für Minuten vergaß. Auch die Aufforderung des Kapitäns überhörte ich. Bis dieser sich aus dem Liegestuhl erhob und neben mich trat.

»Was erregt Ihre Neugier so, daß Sie den Kaffee kalt werden lassen?«

Ich reichte ihm das Glas und deutete auf die Menschenansammlung, Lächelnd zog er mich mit sich und sagte:

»Das ist etwas Alltägliches. Die schleppen einen Toten oder Verwundeten zu ihrem Zauberer, der irgendeinen Hokuspokus damit treibt.«

»Schade, daß ich das nicht mit ansehen darf. Ich hätte mir gern die Gebräuche der Menschen eingeprägt. Wer weiß, wie lange sie noch aufrecht erhalten bleiben, denn die vordringende Kultur vernichtet das Alte, und wer nach fünfzig Jahren hierherkommt, findet an Stelle dieser Urwüchsigkeit Fabriken und Steinhäuser. Für das spätere Studium der Menschenrassen sollten derartige Dinge aufgezeichnet und erhalten bleiben.«

»Davon verstehe ich nichts. Ich möchte jedenfalls nicht in dem Haufen stecken, denn der Landfremde ist bei den abergläubischen Menschen immer der Sündenbock.«

»Na, gar so schlimm wird's nicht sein, Kap'tain,« erwiderte ich. »Mich hätten sie sicher ungeschoren gelassen, denn ich tue keinem Menschen wehe.«

Nur zu bald sollte ich das Gegenteil erfahren!

Teireira erschien am Tische. Das Gespräch drehte sich jetzt wieder um das, was jenem am nächsten lag. Seine Ladung und die Regierungsdschunke. Der Kapitän nahm die Nachricht von der Bordwache ruhig auf.

»Ich trinke gern ein paar Flaschen Wein mit den Offizieren,« sagte er. »Es sind brave Männer, die nichts dafür können, daß sie gerade auf eine Küstenfahrt kommandiert wurden.«

»Ihr redet einmal wieder ohne zu denken,« fuhr Teireira auf. »Was soll dann aber aus unserer Abrede werden?«

»Sendet einen Boten an Land!«

»Habe ich schon! Aber ich habe das Warten satt, Kap'tain. Am liebsten ginge ich heute noch in See.«

»Donnerschlag! Steht es so?«

»Noch schlimmer! Verholt jedenfalls vom Lande weg. Zum Auslaufen ist es doch wohl zu spät, da die Sonne zu dicht auf dem Meere liegt und die Klippen unsichtbar macht.«

Nun kam Leben in den phlegmatischen Alloresen [*?*]. In wenigen Sprüngen war er auf Deck. Kommandorufe wurden laut und drangen, von Mund zu Mund wiederholt, bis in die innersten Räume der Dschunke. Zehn Minuten später knarrte bereits das Ankerspill unter dem monotonen Gesange der Matrosen. Das Schiff setzte sich in Bewegung und trieb fast unmerklich vom Lande ab. Etwa eine halbe Meile weiter, und in ebensolchem Abstande von der Regierungsdschunke, fiel der Anker wieder und das schwerfällige Fahrzeug legte sich, dem Drucke der Strömung nachgebend, parallel zu dem andern.

Dieses Manöver mußte sowohl am Lande, wie auf dem Portugiesen Erstaunen hervorgerufen haben. Von letzterem stieß ein Boot ab, von dem am Heck die Landesfarben flatterten, das also einen dienstlichen Besuch machte. Am Strande sammelten sich Gruppen von Eingeborenen, die in der gewohnten lebhaften Art über das Ereignis zu debattieren schienen. Aber auch auf unserer Dschunke hatten sich Parteien gebildet, die in der Kapitänskajüte in einen so lebhaften Meinungsaustausch geraten waren, daß sie sogar das Erscheinen eines Offiziers mit Begleitung überhörten. Das ermöglichte letzterem, mehr von der lauten Unterhaltung zu hören, als es der Besatzung dienlich sein konnte. In eben diesem Augenblick verwirkten Teireira und die Schiffsmannschaft ihr Leben!

Der aufgeregt herausstürmende erste Steuermann prallte beim Anblick des dicht vor der Türe stehenden Offiziers und seiner Soldaten entsetzt zurück und konnte so die Streitenden vor der Gefahr warnen – leider zu spät! Der Leutnant verriet allerdings mit keiner Miene, was er gehört hatte. Höflich erkundigte er sich nach der Ursache des Verholens.

»Wir wollen in See gehen,« erwiderte der Rapitän. »Wegen des glänzenden Wassers müssen wir noch warten. Vielleicht segle ich morgen früh, ich weiß noch nicht.«

«Habt Ihr Euere Ladung übergenommen?«

»Der Radja wird nicht fertig. Bis jetzt sehe ich noch keinen Sack am Strande. Ich bin des Wartens müde und werde daher auf der Rückreise von... von... hm – von Timorlaut die Waren mitnehmen.«

»Danke, Kap'tain! Mein Kommandant beauftragt mich, zu Euerem und Eures Schiffes Schutze mit meinen beiden Leuten bis zur Abreise hier an Bord zu bleiben. Wollt Ihr die Güte haben, für unsere Unterkunft Sorge zu tragen?« ,

»Aber natürlich!« rief der Kapitän, sichtlich erfreut, während Teireira die Lippen zusammenkniff. »«Es hätte mir nichts Angenehmeres zustoßen können. Bitte, bemüht Euch hier in meine Räume.«

Am Strande nahm die Menge inzwischen bedeutend zu. Verworrene Laute drangen bis zu uns herüber, die anscheinend den auf dem Meere fischenden Männern zugerufen wurden. Diese wiederholten die Worte, aus denen ich nur die wenigen, besonders gellend hervorgestoßenen Silben: hena mitin! swangi und motahodi verstand; als Teireira an mir vorüberging, fragte ich ihn nach der Bedeutung dieser Phrasen.

»Die Leute reden hier die Tetusprache, hena mitin heißt Weißer und...« Alle Wetter, unterbrach er sich und sah mich mißtrauisch an. »Haben Sie im Dorfe irgend etwas getan, das die Eingeborenen gegen Sie feindlich stimmen könnte?«

»Ich?« fragte ich erstaunt. »Nein, ich bin dem Offizier nicht von der Seite gewichen. Gilt denn das mir?«

»Die Rufe, wenn Sie richtig gehört haben, heißen: Der Weiße ist ein Swangi. Motahodi heißt soviel wie ertränken..! Das kann doch nur mit Ihrem Besuche zusammenhängen.«

»Ich weiß wirklich nicht, was man von mir will...«

»Swangi ruft eben einer. Damit meint man einen Menschen, der imstande ist, seinen Körper zu verlassen, um andern Böses zuzufügen. Wahrscheinlich wird während Ihrer Anwesenheit im Dorfe jemand gestorben sein. Da die Lamkitos nicht glauben, daß man eines natürlichen Todes sterben kann, sondern Krankheit und Tod immer einem bösen Geist zuschreibt, so hält man Sie für den Swangi. Jetzt bin ich selbst froh, daß Sie nicht an Land geblieben sind, denn wenn erst einmal einer als swangi erkannt ist, dann wird er auf grausame Art hingerichtet. Meistens gepfählt oder verbrannt. – Es gilt wirklich Ihnen. Sehen Sie die vielen Boote, die jetzt vom Lande abfahren. Da! Hören Sie? kaubeng! kaubeng! Das heißt herausgeben. – Gehen Sie lieber unter Deck und benachrichtigen Sie den Offizier, damit er durch seine Autorität die Kerle im Zaume hält.«

»Der Radja weiß aber doch ...«

»Der kann da nichts machen. Gerade in diesem Falle wird er auch nicht eingreifen wollen, weil er hofft, durch die Wut seiner Untertanen, einen andern Plan zur Reife zu bringen. – Sehen Sie, dort fahren schon ein paar Boote zu der andern Dschunke hinüber. – Gehen Sie unter Deck! sage ich. Der Offizier muß Sie schützen.«

Nur ungern folgte ich dem Rate Teireiras. Ich war mir keiner Schuld bewußt, und sah keine Veranlassung mich zu verbergen. Der Offizier hingegen nahm meine Meldung mit großer Besorgnis entgegen Er fragte den Kapitän, ob er die internationalen Flaggen führe. Zum Glück war das der Fall. Nach dem Signalbuche stellte er eine Mitteilung zusammen und signalisierte sie zu seinem Schiff hinüber. Von da kam prompt Antwort. Wenige Minuten später hob auch die Regierungsdschunke die Anker und legte sich in unsere nächste Nähe, so daß man, bei der guten Schalleitung der See, sich von Bord zu Bord verständigen konnte.

Inzwischen hatte das Tagesgestirn seinen Lauf beendet und die Nacht begann ihre Herrschaft. Auf den Booten der Eingeborenen flammten vereinzelte Späne auf. Sie wurden auf gleiche Weise vom Lande her beantwortet. Bald war der Strand in seiner ganzen Länge von Feuern besäet, und ebenso belebte sich das Meer rings um unsere Dschunken mit fackeltragenden Kanoes. – Die Rufe waren verstummt. Man wartete auf den Ausgang der Unterredung mit den Männern, die von der Abordnung der Lamkitos an Bord des Portugiesen gesandt worden war, um die Auslieferung des Missetäters zu betreiben.

Wir sahen mit wachsender Besorgnis auf die an Zahl immer noch zunehmenden Kanoes, die bereits einen vielfachen Gürtel um unsere Fahrzeuge gelegt hatten und deren Angriff wir zweifellos unterliegen mußten, wenn sie zu offenen Feindseligkeiten übergehen würden. Es war ja ein äußerst malerischer Anblick, die kräftigen, schön gebauten, fast nackten Männer in der flackernden Beleuchtung ihrer Spanfackeln zu sehen, wie sie die trotzigen Köpfe hoben, um jeder feindlichen Bewegung von unserer Seite mit dem Pfeile zuvorzukommen.

Da rief man uns von drüben an:

»Der Kommandant befiehlt, alle Waffen zur Abwehr bereitzuhalten, aber nicht zu schießen, bis ein Befehl erfolgt. Man zweifelt an einer befriedigenden Lösung.« – Wenige Minuten später ging eine Bewegung durch die Reihen der Boote. Man hörte wieder die Worte, swangi – hena mitin – Rassa rahun' – der Weiße mit dem Barte ist der swangi. Das galt mir! – Ich muß gestehen, daß mir nun doch etwas warm ums Herz wurde, denn allzuviel Vertrauen setzte ich nicht auf den Schutz der Seeleute. Was lag ihnen an einem fremden Weißen? Plötzlich rief ein Matrose von drüben sein vorschriftsmäßiges: »Dampfer an Backbord!«

Aller Augen blickten nach Westen. Richtig – ein rotes Licht näherte sich. Ein nach Osten bestimmter Dampfer zog seine Bahn. Der mußte uns helfen! Ein gleicher Gedanke durchblitzte uns alle in diesem Augenblick, denn nun stieg zischend eine blaue Rakete in den sternbesäeten Äther. Eine zweite und dritte folgte. Kurz darauf trug uns der Wind den Ton einer Sirene herüber. Die rote Scheibe verschwand und machte der grünen Platz, die unter dem Toplicht ihren Schein auf die Fläche des Meeres warf.

Ungeheuer war der Eindruck, den diese Notsignale auf die Lamkitos machten. Ein hundertstimmiges, markerschütterndes Geheul erfüllte die Luft. In wilder Unordnung stieben die Kanoes auseinander. Viele Männer warfen sich ins Meer, um schwimmend die Klippen zu erreichen. Andere hoben die Hände und riefen:

»Peluk-nai« (Freunde sind wir!). – Der Zauber wirkte besser, wie es ein paar Kanonenschüsse vermocht hätten. Von diesem abergläubischen Vorurteil zog auch der Kommandant der Dschunke insofern Nutzen, als er die Abgesandten gefangennehmen ließ, um sie als Geiseln an Bord zu behalten, bis der neue Tag uns die Abreise möglich machte.

Der Dampfer näherte sich vorsichtig der ihm unbekannten Küste. Er rief uns durch das Sprachrohr an und fragte:

»Ist das Wasser hier gefährlich? Kann ich näher herankommen?«

Von drüben hieß es: »Keine Gefahr! Wir setzen ein Boot aus.«

Eines der Kielboote schoß bald darauf an unserm Heck vorüber, dem Dampfer entgegen, der sich uns langsam näherte. Die Unterredung zwischen den beiden war nur kurz. Das Boot kehrte zurück, der Dampfer wartete.

Plötzlich verlangte unser Nachbar seinen Offizier zu sprechen. Er wurde abberufen und verließ uns mit seinen Soldaten in ziemlicher Eile. – Wieder löste sich ein weißes Boot von der Regierungsdschunke und nahm Kurs auf den Dampfer. Diesmal erkannte ich die Gestalt im Stern. Es war der Leutnant, den man uns zum »Schutze« an Deck geschickt hatte. – Drüben rasselte die Dampfwinde. Erstaunt fragten wir uns, ob auch der Dampfer hier zu Anker gehen wolle. Doch vergeblich warteten wir auf das Aufschlagen der schweren Eisenmasse aufs Wasser. Das Nachtglas verriet uns den Grund. Man nahm das Boot mitsamt seiner Bemannung an Bord, wenige Minuten später stieg vom Deck unseres Nachbarn eine gelbe Rakete in die Luft, der Dampfer zog die Sirene, und bald lag friedliche Stille über der kleinen Bucht.

Mitternacht war vorüber. Eine steife Brise wehte vom Lande her. Ungeduldig zerrte unsere Dschunke an ihrer Ankerkette und wiegte sich in der bewegten See von einer Seite auf die andere. Durch den Raum lief ein geheimnisvolles Knirschen, wie wenn Eisen auf Eisen trifft. Dunkle Gestalten huschten um die Masten. An der Ruderpinne arbeitete ein Malaie mit der Ölflasche.

Da klatschte ein schwerer Gegenstand auf das Wasser. Als ob das ein verabredetes Zeichen gewesen wäre, tauchten plötzlich aus allen Winkeln Matrosen hervor. Ohne den üblichen Singsang flogen die großen Segel in die Höhe und in rascher Fahrt rauschte die Dschunke in das freie Meer. Anker und Kette waren geopfert, um freie Bewegung zurückzuerhalten. Mit frohem Gesichte begrüßte mich der Kapitän.

»Jetzt werden wir uns nicht mehr aufhalten. Wenn der Wind es gut mit uns meint, sind wir in acht Tagen vor Mataru. Dort werden Sie von uns erlöst.«

Ich drückte dem Alloresen meine Befriedigung über seine Mitteilung aus, vermied es aber, auf die ungewöhnliche Art der Abreise zurückzukommen. Notwendigerweise hätte das zur Erörterung eines Themas geführt, das ich nicht wissen wollte – um nicht darüber aussagen zu müssen.

Wir hatten bei Sonnenaufgang bereits das Land aus den Augen verloren und liefen vor dem Winde auf Südwestkurs durch eine bewegte See. Beim Mittagessen machte ich eine Bemerkung über diese Richtung und fragte so nebenbei, warum wir nicht den näheren Weg über die Nordostspitze von Timor gewählt hätten. Das würde uns über hundert Seemeilen Fahrt ersparen.

»Trotzdem kommen wir mit unserem Kurse rascher ans Ziel,« antwortete Teixeira. »Ich habe unsern gestrigen Nachbarn im Verdacht, daß er uns wegen ... nun, wegen der Aufruhrgeschichte von gestern abend Schwierigkeiten in den Weg legen will. Darum schickte er seinen Offizier mit dem Dampfer weg, der ihn so dicht an die Küste von Bibifussu bringen soll, daß er mit seinem Boot die Telegraphenstation erreichen kann. Bei dem Winde wird das allerdings sehr gefährlich sein.«

»Was für ein Dampfer mag das gewesen sein?«

»Ich war mit einem Kanoe dicht bei ihm. Den Heimathafen konnte ich lesen. Er hieß Hamburg...«

»Was, ein Deutscher war's? Wenn ich das gewußt hätte! Wie hieß er?«

»Das andere Wort konnte ich nicht entziffern. Ich sah nur die ersten Buchstaben: ›Itze...‹ weiter kam ich nicht, da mich ein Schraubenschlag abtrieb.«

»Das war die ›Itzehoe‹ aus Hamburg,« erwiderte ich. Eine Art Trauer umfing mich. So dicht bei der Heimat und ich wußte es nicht! – Vielleicht war es besser so, denn ich glaube, ich wäre unter allen Umständen dort an Bord gegangen und – wäre dort geblieben.

Vier Tage später sichteten wir an Steuerbord die blauen Umrisse eines gebirgigen Landes. Teixeira näherte sich mir, als er sah, daß ich es mit dem Fernglase betrachtete.

»Kennen Sie die Insel?« fragte er schmunzelnd. »Dort wohnen Freunde von Ihnen, bei denen Sie Gastfreundschaft genossen haben.«

»Das ist doch die Kupang-Halbinsel nicht?«

»Nein. Das ist Rotti. Schade, daß wir es in der Nacht passieren, sonst würden uns die Holländer sicher einen Besuch abstatten.«

Der Besuch unterblieb allerdings, weil wir so weit von Rotti sowohl wie von Savu entfernt durch die Straße steuerten, daß die holländischen Beamten es nicht gut wagen durften, eine Dschunke anzuhalten. Um so eifriger machten sie sich auf die Jagd, als wir wenige Tage später in der Timorsee in eine größere Anzahl von Fahrzeugen gerieten, die nicht ohne Absicht in beängstigend engem Zusammenhang auf die Inseln östlich von Flores zusteuerten. Die Führer dieser Dschunken kannten sich alle. Es schien mir nach allem, was ich schon über diese Fahrten gehört hatte, daß jeder Schiffsführer auf die für den Uneingeweihten harmlos scheinenden Bedingungen eines Einzigen zu achten hatte. Teireira und der Kapitän blieben auch unausgesetzt auf dem Verdeck, und ohne daß ich es für notwendig gehalten hätte, legten sie das Ruder bald so, bald so, dadurch einer andern Dschunke einen Kurs freigebend, der uns nicht gemeldet war.

So liefen dicht neben uns etwa acht Dschunken plötzlich aus reinem Ostkurs nach Norden in die Maurissastraße. Drei gingen zwischen Pantar und Allor in die Flores-See. Uns zwang die hereinbrechende Nacht, wie auch zwei andere Dschunken, vor Mataru zu kreuzen. Das so heiß erkämpfte Land durfte ich trotz meiner Bitten nicht mehr betreten. Der nächste Morgen erst brachte uns von Land einen Lotsen, der die drei Dschunken, unsere voran, direkt vor den Bug eines in einem Winkel der Bucht versteckt liegenden holländischen Kanonenbootes brachte. Im Handumdrehen nahmen die Blaujacken Besitz von den Schiffen, und jeder an Bord befindliche Mensch mußte es sich gefallen lassen, als Gefangener behandelt zu werden. Mein energischer Protest ersparte mir zwar die Fesselung, doch mußte ich ohne jede Nahrung bis zum Spätnachmittag in der Kajüte, zwischen der gesamten hier eingesperrten Besatzung, auf meine Vernehmung warten. Auf Deck übten fünf holländische Offiziere das Richteramt aus. Wie das Urteil über die Schmuggler ausfallen würde, zeigte das grausige Bild, das die beiden mitgefangenen Dschunken boten. –

Es war mir nicht schwer, meine Unschuld an der Schmugglerfahrt darzutun. Ich ließ mich aber auch nicht dazu bewegen, belastend über die Mannschaft unserer Dschunke auszusagen, denn, wie ich dem Richter betonen mußte, gehört und gesehen hatte ich nichts, was auf unerlaubte Handlungen des Kapitäns und seiner Leute schließen ließe, und Vermutungen auf meinen Eid zu nehmen, hielt ich nicht für zulässig. – Ich wurde noch vor Sonnenuntergang durch ein Boot des Kriegsschiffes mit meinem Gepäck in Mataru an Land gesetzt. So wurde mir der Schmerz erspart, der Hinrichtung der armen verblendeten Menschen beizuwohnen. Sie wurden sämtlich aufgehängt. Die Ladung ihres Schiffes bestand aus Waffen. – So endete meine zweite Schmugglerfahrt.


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