Ferdinand Emmerich
Schmugglerfahrten im Malaiischen Archipel
Ferdinand Emmerich

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Bei unserer Rückkehr aus den Bergen war der kleine Küstendampfer eben abgefahren. Unmutig standen wir auf dem Felsenvorsprung, der in dem Hafenort Pariti, auf der Insel Timor, den einzig möglichen Anlegeplatz bildet. Unsere Blicke verfolgten sehnsüchtig die Rauchfahne des Schiffes, dessen vorzeitige Abfahrt uns für drei lange Wochen an ein Dorf bannte, in dem wir kaum auf ein für Europäer zugeschnittenes Unterkommen rechnen durften.

Da ich eigentlich die Ursache unseres verzögerten Eintreffens war, mußte ich meinen Grimm hinunterwürgen. Mein Kamerad aber ließ seinem Zorne freien iauf. Ein kerniger deutscher Rraftausdruck leitete eine Flut von holländischen Unmutsbezeichnungen ein, die im Handumdrehen sämtliche Müßiggänger des Ortes, und das waren wohl alle Bewohner, an unsere Seite brachten.

Ein verschmitzt dreinschauender Malaie wagte die Frage: »wollen die Herren nach Kupang (so heißt der Haupthafen der Insel)?«

»Nein, nach Mataru auf Allor!« entgegnete ich.

Der Malaie pfiff durch die Zähne, besann sich eine Weile und sagte dann:

»Das ist nicht möglich!«

»Was?« fragte ich. »Daß wir nach Allor hinüber wollen?«

»Daß ich mit meiner Prau die Herren fahre.«

»Eine Prau hast du?« fiel jetzt mein Gefährte eim »Und das sagst du uns erst jetzt? Wir mieten dein Boot, vorwärts, wo liegt es?«

Diese in gutem Malaiisch gesprochenen Worte zeigten dem Malaien, daß er es mit einem Weißen zu tun hatte, der auf den Inseln zu Hause war. Er witterte einen der holländischen Beamten, die damals bereits auf dem portugiesischen Timor festen Fuß faßten. Den durfte er sich nicht zum Feinde machen.

»Mein Fahrzeug gehört nicht mir, Tuwán,« erwiderte er ausweichend. »Ich muß noch heute nach Kupang zurückkehren. Dorthin nehme ich die Herren gern mit, wenn es Ihnen angenehm ist.«

Da wir in dem größeren Orte eher auf eine uns zusagende Wohnung rechnen durften, gingen wir aus das Anerbieten ein. Etine halbe Stunde später schwammen wir bereit« auf der herrlichen Bai, die von der Hauptstadt ihren Namen entlehnt.

Während der Fahrt suchte unser Barkenführer sich Gewißheit über unsere Persönlichkeiten zu verschaffen. Da wir bald die Unterhaltung in deutscher Sprache wieder aufgenommen hatten, schwanden seine Befürchtungen, Er prüfte uns dagegen auf die Möglichkeit einer Ausbeutung. Eine mit vollen Segeln vor dem Winde dahinrauschende Dschunke bot den Anknüpfungspunkt. Der Malaie tauschte Zeichen mit der Besatzung und ließ so nebenbei die Worte fallen:

»Die fährt nach der Insel Allor. wenn wir Glück haben, treffen wir auch die andern Dschunken noch, die morgen nach der Kalabahibucht abgehen.«

»Nehmen die Dschunken denn Fahrgäste mit?« fragte ich arglos.

»Gegen gute Bezahlung werden sie sich kaum weigern, die Herren in Mataru an Land zu setzen, wenn die Herren befehlen, versuche ich den Kapitän dazu zu überreden.«

Ich blickte fragend auf meinen Gefährten, der die entschwindende Dschunke aufmerksam durch das Fernglas betrachtete und die Worte des Malaien anscheinend überhört hatte, »was sagen Sie zu dem Vorschlage, Nottebohm?«

Statt aller Antwort schlug er sich auf den Schenkel und rief:

»Lust hätte ich schon so eine Fahrt mitzumachen, wenn ich nur wüßte, wie sie schließlich endet. Das da vorn ist nämlich ein Schmuggler.«

»Das geht doch die Fahrgäste nichts an.«

»Wenn sie beweisen können, daß sie an dem Unternehmm unbeteiligt sind, läßt man sie laufen. Das ist aber nur sehr selten der Fall. Wird eine solche Dschunke von den Rriegsschiffen aufgebracht, dann springt man mit der Besatzung sehr summarisch um. Man hängt sie kurzerhand auf.«

»Aber doch die Fahrgäste nicht?«

»Mein lieber Freund, wenn die Holländer erst anfangen auf solche Leute Rücksicht zu nehmen, dann wird der Schmuggel bald in höchster Blüte stehen. Die Hälfte der Bemannung würde sich als Fahrgäste ausgeben.«

»Was für Waren schmuggeln denn die Dschunken? Der Gewinn kann doch» in gar keinem Verhältnis zu dem Risiko stehen, wenn das so ist, wie Sie sagen.«

»Der materielle Nutzen kommt für diese Leute erst in zweiter Linie in Frage. Sie wagen ihr Leben für ihre Freiheit. Alle die Fürsten auf der Inselkette von Bali bis Timor wehren sich verzweifelt gegen die holländische Oberherrschaft. Sie lassen kein Mittel unversucht, um sich durch Einführung von modernen Waffen für den Widerstand zu stärken, und tatsächlich haben die Holländer, außer den Küstenplätzen, nur wenig von den Inseln unter ihre Botmäßigkeit gebracht. Kein Wunder, daß sie alles aufbieten, um die Unterstützung der Eingeborenen zu verhindern.«

»Woher wissen Sie, daß die Dschunke dort Schmugglerware führt? Wenn man diese Schiffe so leicht erkennen kann, dann dürfte ihnen bald das Handwerk gelegt werden.«

»Sehen Sie den kleinen Dampfer, der gleichen Kurs mit der Dschunke läuft? Hier, nehmen Sie das Fernglas! «Er zeigt die holländische Flagge, nicht wahr? Als der seinen Rurs auf den Schmuggler richtete, änderte dieser sofort die Fahrt und suchte die Dreimeilenzone der Küste auf. Das ist portugiesisches Gebiet, wo ihn der Holländer nicht anhalten darf. Das Manöver gibt mir die Gewißheit, daß die Dschunke Bannware an Bord hat. Sie wird daher auch nicht aus dem Bereich der Fürsten von Timor herausgehen, solange das Kriegsboot in Sicht ist.«

Unser Bootsmann hatte, obgleich er kein Wort von unserer Unterhaltung verstand, mit dem seiner Rasse und dem schlechten Gewissen eigenen Spürsinn herausgefunden, daß mein Begleiter mehr von den Verhältnissen der Sunda-Inseln wußte. Er suchte uns daher von Schlußfolgerungen, die seiner Person nachteilig werden konnten, abzubringen, indem er, auf die hinter den Bergen verschwindende Dschunke deutend, sagte:

»Da habe ich mich doch getäuscht. Sie nimmt Kurs auf Amfuang auf Timor. Die Dschunke nach Allor ist also noch im Hafen. Die Herren haben Glück, wir kommen noch rechtzeitig an. – Soll ich mit dem Kapitän wegen der Überfahrt nach Mataru verhandeln?«

»Ist das auch ein Schmugglerschiff?« fragte Nottebohm.

Mit gut geheucheltem Erstaunen blickte uns der Bootsmann ins Gesicht und rief dann lachend:

»Glaubt der Tuwán auch an diese Märchen? von hier aus gehen keine Schmugglerschifft nach Allor. Die Dschunken gehören alle dem Chinesen Kü-schang, der den portugiesischen und holländischen Behörden als eln achtbarer, ehrlicher Kaufmann bekannt ist. Er ist ein Freund der Fürsten auf Timor. Nie würde er die Hand zum Schmuggel bieten.«

»Es kann sein, daß du recht hast,« erwiderte Nottebohm. »Bevor wir uns jedoch zu einer Reise mit der Dschunke entschließen, wollen wir uns Koepang ansehen. Wenn es sich da leben läßt, haben wir keine Eile.«

»Aber die Dschunke geht morgen früh, wer weiß, wann sich wieder eine Gelegenheit nach Allor bietet.«

»Ich bin dir dankbar für deine Sorge um unser Wohlergehen,« gab Nottebohm lächelnd zur Antwort. »Morgen früh bekommst du Bescheid. Sorge jetzt vor allen Dingen dafür, daß wir nicht auf die Klippen laufen.«

Wir näherten uns wieder der Küste, Ein auf der äußersten Spitze der vorspringenden Felsen erbauter, grellweißer Tempel vertrat die Stelle eines Leuchtturmes, Er zeigte uns von weitem schon die halbmondförmige enge Bucht, in die jetzt die Prau, vom Winde gejagt, pfeilschnell einbog. Eine schwere Brandung donnerte gegen die steil aus dem Meere emporsteigenden Korallenwände, und neugierig suchte ich die Einfahrt zu dem vermuteten Hafen der Hauptstadt.

Der Malaie war aber hier zu Hause, Er steuerte sein Fahrzeug haarscharf an den schäumenden Brechern vorbei auf eine Mauer zu, die von einer breiten Treppe unterbrochen wurde. Das Segel fiel.

»Aufpassen, Tuwán!« schrie er. »Wenn das Boot hochgeht, herausspringen!«

»Na, ich danke,« antwortete mein Gefährte. »Der geringste Fehltritt befördert uns auf raschestem Wege in die Ewigkeit. Sahen Sie die Haie?«

Als alter Seemann war ich mit derartigen Manövern bekannt und nahm mir daher nicht die Mühe zu antworten. Mit einem Sprung erreichte ich die Treppe, wo sich mir ein Dutzend Hände hilfreich entgegenstreckten. Das Boot nahm die Brandungswelle wieder mit sich zurück. Geschickt benutzte der Malaie die nächste heranflutende Woge, um auch meinen Freund auszubooten, während er selbst die Prau wieder ins offene Meer steuerte und um einen Felsenvorsprung verschwand.

»Halt! Unser Gepäck!« schrie ich hinter ihm her, und war eben im Begriff, meinem Zorn über den vermeintlichen Raub Ausdruck zu geben, als ein freundlich lächelnder Chinese meinen Arm berührte und in ruhigem Tone sagte: »Taban wird Ihnen Ihre Sachen bringen, wollen Sie mir bitte folgen und meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen?«

Verblüfft blickten wir den Mann an, der mit solcher Selbstverständlichkeit über uns verfügte. Bevor wir die Einladung annahmen, wollten wir uns doch vergewissern, ob es in dem Städtchen keine Gasthäuser gab. Es widerstrebte uns Verpflichtungen einzugehen, die wir nicht wettmachen konnten. Der Chinese aber überhob uns der Mühe:

»Der Radja weilt augenblicklich in der Stadt,« sagte er mit gewinnendem Ausdruck. »Sein Gefolge hat alle freien Räume belegt. – Ich freue mich, den Herren mein Gartenhaus zur Verfügung stellen zu können».«

Nun tauchte in uns der Verdacht auf, daß uns der Mann wohl für holländische Beamte halten könnte, deren Gunst er sich durch zuvorkommendes Benehmen zu erringen trachtete. Um derartigen Mißverständnissen vorzubeugen, machte ich den Chinesen mit unserer Nationalität bekannt und erwähnte dabei, daß wir uns auf Timor nur mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigten.

»Das weiß ich bereits,« erwiderte er verbindlich. »Die Herren waren in den Paritibergen und versäumten die Abfahrt des Dampfers. Da das nächste Schiff nach Allor erst in drei Wochen unsern Hafen anläuft, so wiederhole ich meine Bitte um Annahme meiner Gastfreundschaft.«

Unser Erstaunen über diese genaue Kenntnis unserer Pläne prägte sich wohl deutlich auf unsern Zügen aus, denn der Chinese fügte seinen Worten erklärend hinzu: »Unsere Fürsten haben ein großes Interesse daran, die Absichten aller auf Timor landenden Fremden kennen zu lernen.«

»Aber wir haben doch keinem Menschen gesagt, daß wir nach Allor zu gehen beabsichtigen,« warf ich ein. «Unser Bootführer allein erfuhr es während der heutigen Fahrt...«

»Die Herren lagerten vor einigen Tagen oben auf den Kalkfelsen hinter Pariti und unterhielten sich über die in der Ferne sichtbaren Umrisse einer Insel. Sie verwechselten die Insel Lomblen mit Allor,« sagte der Chinese.

»Donnerwetter, Herr, Sie haben ein vorzügliches Kundschafterkorps,« rief Nottebohm. »Dann wissen Sie vielleicht auch, wer ich bin!«

»Privatmann, Herr Nottebohm. Seit Sie Ihre Stellung bei der Firma Reis drüben auf Borneo aufgaben,« antwortete lächelnd der jetzt in einen großen Garten eintretende Chinese. »Hier sind wir an Ort und Stelle. Belieben die Herren hier auf der Veranda Platz zu nehmen. Die Diener werden sofort erscheinen.«

»Halt, verehrter Herr,« rief ich. »Soweit sind wir noch nicht einig. Wollen Sie die Güte haben, uns den Preis für die Unterkunft zu nennen.«

«Ich stelle den Herren mein Haus unentgeltlich zur Verfügung,« erwiderte er mit seinem verbindlichsten Lächeln. «Es ist doch so der Brauch auf den Inseln. Herr Nottebohm wird das wissen.«

»Allerdings. Aber doch nur, wo die Möglichkeit der Gegenseitigkeit besteht was bei uns nicht der Fall ist. wir reisen nur von Insel zu Insel und verlassen dann die Sundastraße für immer.«

»Herr Nottebohm nicht,« widersprach der Chinese. «Er wird mir vielleicht doch noch Gegendienste leisten können. Damit ist mein geringes Entgegenkommen

mehr als bezahlt.«

«Sie irren sich, Herr...?« – »Dongsa heiße ich«.

»Sie irren sich, Herr Dongsa. Ich beabsichtige keineswegs hier in den Inseln zu bleiben, sondern ich kehre nach Europa zurück.«

»Wenn sich Ihre Verhandlungen mit Makassar zerschlagen, jawohl, Herr Nottebohm. – Sie sehen, daß die Kalkberge auf Timor indiskret sind,« beeilte er sich hinzuzufügen, als mein Begleiter mit einem Fluche auffuhr.

»Übrigens reden wir noch darüber. Dort kommen meine Diener mit Ihrem Gepäck, wollen Sie gütigst Ihre Befehle geben.«

Mit diesen Worten eilte unser geheimnisvoller Gastfreund davon, und wir folgten einem weißgekleideten Malaien in das Haus, das nach Art der dort draußen allgemein üblichen Herrenhäuser mit zierlichen Bambusmöbeln ausgestattet war. Zwei Räume standen zu unserer Verfügung. Die sonst noch vorhandenen Zimmer waren durch vorgelegte Bambusstäbe gesperrt. Schlösser gab es nicht an den Türen. Die streng befolgten Gesetze der Gastfreundschaft machten sie überflüssig. Kein Mensch würde es wagen, in die so von dem Betreten ausgeschlossenen Räume einzudringen.

Als wir mit widerstrebenden Gefühlen unsere Wäsche für die Nacht ausgepackt hatten, erschien eine Malaiin mit einigen schneeweißen Tüchern und meldete:

»Das Bad ist fertig.« Das war aber nicht die einzige Überraschung, die uns zuteil wurde, denn als wir neugestärkt, in dem wohligen Behagen, das ein warmes Bad in den Tropen hervorruft, ins Haus zurücktraten, erwartete uns eine reichbesetzte Tafel. Ehe wir noch unserm Erstaunen darüber Ausdruck verleihen konnten, riefen uns die Diener zu Tisch. Nur Augenblicke zögerten wir. Dann siegte der Hunger über alle Bedenken, und wir nahmen von all' den vielen Gerichten, bis uns das erstaunte Gesicht des leitenden Dieners ins Gedächtnis rief, daß wir uns in einem Lande ausgesprochenster Mäßigkeit befanden.

Die wohlriechenden Wachskerzen, die uns zur Abendmahlzeit geleuchtet hatten, ließ der Diener in das Schlafgemach bringen, während wir uns auf der Veranda in die langen Ruhestühle legten und den Rauch der Zigarren in die prächtige Nacht hinaus sandten.

Wir hatten es bisher vermieden, über all das Unerklärliche, das uns hier auf Schritt und Tritt begegnete, irgendein Wort zu verlieren. Wußten wir doch, daß selbst deutsch geführte Gespräche dem geheimnisvollen Wirte überbracht wurden. Hier auf der Veranda aber fühlten wir uns vor Lauschern sicher. Trotzdem prüften wir auf einem kurzen Spaziergange um das Haus herum Dach und Seitenwand auf das Vorhandensein von Störenfrieden.

»Jetzt erklären Sie mir, was das alles zu bedeuten hat, Nottebohm,« hub ich im Flüstertone an, als ich meinen Stuhl dicht an den Gefährten herangezogen hatte. »Der Chinese behandelt uns wie seinen Fürsten und ist über unsere Persönlichkeiten unterrichtet. Das muß einen Haken haben.«

»Ja, auch ich zerbreche mir den Ropf, wie der schlitzäugige Ehrenmann von meinen persönlichen Verhältnissen Kenntnis haben kann. Daß ich von Reis & Comp. fortgegangen bin, kann er ja durch Bootsleute erfahren haben, denn mich kennen alle die Schiffer, die mit der großen Handelsfirma zu tun hatten. Aber von den Verhandlungen mit dem Exporthause in Makassar auf Celebes habe ich bisher mit keinem Menschen gesprochen.

Und daß man das hier auf Timor weiß, wundert mich am meisten.«

»Vielleicht hat die Makassarfirma hier einen Vertreter, der darüber gesprochen hat, als wir in Sutrana landeten?«

»Es ist eine deutsche Firma, die sicher verschwiegen ist... Hallo, wer ist da?« unterbrach er sich plötzlich aufspringend.

Aus dem Dunkel des Gartens schälte sich, katzenartig schleichend, eine Gestalt hervor, die bei dem Anruf zusammenfuhr, dann aber in demütiger Haltung sich der Veranda näherte.

»Was willst du zu dieser Stunde?« rief Nottebohm den Menschen an.

»Verzeih' Tuwán. Mich sendet Taban, der Schiffer. Ich soll fragen, ob der Tuwán sein Gepäck richtig empfangen hat, und wann Taban morgen früh mit dem Boote kommen darf?«

»Aha! Er will sein Geld,« sagte Nottebohm, zu mir gewendet. »Wollen wir ihm ein paar Gulden Trinkgeld geben? Die Fahrt war ja billig.«

Ich willigte ein und zog die Brieftasche. Der Malaie jedoch hob abwehrend die Hand und rief schnell, diesmal in fließendem Holländisch:

»Nein, nein. Taban ist bezahlt. Er steht zur Verfügung der Herren, solange sie auf der Insel weilen. Wann darf Taban morgen an der Treppe warten?«

»Wir wissen noch gar nicht, was wir morgen unternehmen wollen,« erwiderte ich. »Erst wollen wir gründlich ausruhen, das weitere findet sich.«

Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, da zerflossen die Umrisse des Malaien mit den Schatten der blühenden Sträucher. Lautlos wie er gekommen, war er auch wieder verschwunden.

»Das wird ja immer rätselhafter! Lieber Nottebohm, ich glaube, hinter diesen Vorgängen steckt irgendeine Teufelei. Je eher wir abreisen, desto besser wird es für unser Wohlergehen sein.«

»Na, na, so ängstlich bin ich nicht. Man erlebt hier auf den Inseln allerlei, was für den Europäer unerklärlich ist, wenn ich auch zugebe, daß die Sorg« des Chinesen für unser Wohlergehen einen besondern Grund haben muß. Wir werden ihn aber erfahren, wenn wir von der sofortigen Abreise sprechen. – Aber jetzt möchte ich schlafen. Hoffentlich läßt man uns nunmehr in Ruhe.«

Unser Schlafraum war gegen die Veranda mit der landesüblichen schöngeflochtenen Matte aus Bambusfasern abgeschlossen. Sie vertrat die Stelle der Tür. Eine einfache Schlinge, über einen Knopf gestreift, ersetzte den Riegel. Die heiliggehaltenen Gebräuche der Gastfreundschaft boten sicheren Schutz gegen Überfälle auf Leben und Gut. Dennoch konnte ich lange nicht einschlafen. War es das langentbehrte schwellende Bett oder die ferne Brandung des Meeres, die meine Nerven in Aufregung versetzten? Ich warf mich von einer Seite auf die andere. Aber je mehr ich den Schlaf herbeizwingen wollte, desto mehr floh er mich. Bis ich es aufgab. Ich fügte mich in das Unvermeidliche und beschloß wachzubleiben. Nun achtete ich auf jedes Geräusch. – Irgendwo im Städtchen erklangen die kreischenden Töne der chinesischen Fiedel. Unweit unseres Hauses wieherte ein Pferd, das dadurch ein paar Hunde zum Bellen veranlaßte. Ein Kreischen schlechtgeölter Angeln durchschnitt die Gegend um das eiserne Gartentor. Vor unserer Matte huschte ein Schatten blitzschnell vorüber... Ich hielt den Atem an und lauschte. – Ein Nachtvogel, dachte ich! Nichtsdestoweniger verharrte ich in meiner Horcherstellung. Dabei beschlich mich langsam ein seltsames Gefühl, das mich zwang, das Auge fest auf die Matte zu richten. Da ich mich zu dem Zwecke auf die andere Seite legen mußte, warf ich mich in der geräuschvollen Art des Schläfers herum. Dann markierte ich die regelmäßigen Atemzüge eines vom tiefen Schlafe Umfangenen.

Lange Minuten tiefsten Schweigens vergingen. Der Schlaf, den ich vor einer Stunde mit allen Mitteln herbeigesehnt, senkte sich nun, wo ich geheimnisvolle Vorgänge auf der Veranda vermutete, mit Gewalt auf meine Lider. Mit Anstrengung hielt ich die Augen offen.

Da plötzlich fiel die schließende Schlinge, von unsichtbarer Hand zurückgestreift, von dem Knopfe. Ein nebelhafter Schatten zwängte sich durch den Spalt, wuchs zu riesiger Größe empor und glitt an der gegenüberliegenden Wand gespensterhaft vorüber. Dort, wo die Verbindung mit den abgesperrten Räumen durch unser Gepäck absichtlich verstellt war, knickte der Schatten zusammen und verschwand, als habe ihn die Finsternis aufgesaugt.

Mit einem Satze stand ich an der Türe und riß die Matte zurück. – Sie war Mit der Schlinge verschlossen, so wie ich sie selbst verhängt hatte! Ein Blick durch den Spalt zeigte mir einen dunklen Gegenstand, der dicht vor dem Eingang auf dem Boden lag. In dem Bruchteil einer Sekunde hatte ich die Matte zurückgerissen. Ein kräftiger Fußtritt brachte Leben in die Masse ... «Es war ein chinesischer Kuli, der anscheinend aus tiefstem Schlafe erwachte, und zitternd, den getroffenen Körperteil reibend, sich erhob.

Nottebohm war durch das Geräusch geweckt worden und erschien in der Türöffnung. Gähnend fragte er nach der Ursache der Störung. Mit kurzen Worten erzählte ich ihm meine Wahrnehmung und deren Folgen. Da erkundigte er sich bei dem Kuli nach dem Grunde seiner Gegenwart.

»Mein Herr hat mir befohlen, hier auf der Schwelle zu wachen, damit die fremden Herren nicht gestört würden,« gab er zur Antwort. Dabei kämpfte er sichtlich mit dem Schlafe.

»Dann hast du aber schlecht aufgepaßt, denn soeben war ein Mann in unserm Räume,« ließ ich ihm durch Nottebohm sagen.

Mit einem Erstaunen, das zu plump ausgedrückt war, um echt zu sein, beteuerte er seine Unwissenheit. Wir ließen ihm aber keinen Zweifel darüber, daß der nächste, der in unser Zimmer träte, ohne gerufen zu sein, mit unsern Schießwaffen Bekanntschaft machen würde. Er brauche sich mit dem Wachen nicht weiter aufzuhalten, denn von jetzt ab würde einer von uns stets selbst wachbleiben.

Als wir wieder auf unsern Betten lagen, sagte Nottebohm schlaftrunken:

»Sie werden geträumt haben, lieber Freund. Der Kuli war sicher nicht im Zimmer. – Wie spät ist es eigentlich?«

»Zwölf Uhr vorüber,« erwiderte ich, das Zifferblatt gegen die Kerze haltend. »Aber ich war so wach wie jetzt. Ich habe deutlich den Mann gesehen. Dort an der Wand verschwand er. Genau neben Ihrem Reisesack.«

»Na ja, Mitternacht und Geister, die gehören ja zusammen. Gute Nacht, lieber Freund. Löschen Sie das Licht und folgen Sie meinem Beispiele. Morgen reden wir weiter über das Erlebnis.«

Als ich erwachte, flutete helles Sonnenlicht in den Raum. Nottebohms Stimme drang aus dem Nebenzimmer zu mir herüber. Er unterhielt sich mit jemandem in malaiischer Sprache und schien sehr lustig zu sein. Bei meinem Eintritt erkannte ich unsern Gastgeber, der mir in gutem Holländisch sein Bedauern über die nächtliche Störung aussprach. Er versicherte uns der absoluten Treue seines Kuli und wies den Gedanken an einen nächtlichen Eindringling weit von sich.

Während wir noch darüber sprachen, näherte sich dem Hause ein Europäer.

»Entschuldigen Sie mich, meine Herren,« rief ich, mich zurückziehend.

»Ich werde rasch Toilette machen und helfe Ihnen dann beim Verzehren der herrlichen Gerichte, die den Kaffeetisch schmücken.«

Der Europäer wurde mir als ein Holländer vorgestellt, der in den Diensten des Radja stand und dort eine angesehene Stellung einnahm. Er hatte von der Ankunft der Fremden gehört und wollte uns begrüßen. Während des Frühstücks, an dem neben dem Gaste auch Dongsa teilnahm, erzählte ich mein nächtliches Erlebnis mit allen Einzelheiten. Sehr zum Mißvergnügen unseres Gastgebers, der sichtlich bemüht war, die Erzählung als Traumgebilde darzustellen. Der Holländer wollte ihn darin, vielleicht aus Höflichkeit, unterstützen, indem er vorschlug, die Stelle des Zimmers, an der der Schatten verschwand, zu untersuchen. –

Ich war sofort dazu bereit und wollte mich erheben, als Dongsa mir ein Stück gebackenen Fisches auf den Teller legte. Das verpflichtete mich zu bleiben, und nun streifte die Unterhaltung alle möglichen Tagesereignisse. Zu mir gewendet, fragte Dongsa:

»Schlagen Seeungetüme auch in das Gebiet Ihrer Forschungen?«

»Allerdings interessieren sie mich. Gibt es hier etwas Derartiges?«

»Drüben in den Klippen auf Samaoe soll ein gewaltiger Polyp seinen Standort haben. Mehrere malaiische Fischer sind ihm schon zum Opfer gefallen. Wenn Sie sich das Tier ansehen wollen, wird Taban Sie hinüberfahren.«

»Das Anerbieten nehme ich gern an,« erwiderte ich. »Können Sie uns einen Köder verschaffen, der die Sepie anlockt, oder bedarf es dessen nicht?«

»Bei uns drüben werden heute Pferde geschlachtet,« warf der Holländer ein. »Es wird mir leicht sein, größere Stücke davon zu liefern. Wohin sollen sie gebracht werden?«

»Sie werden uns doch jedenfalls die Ehre Ihrer Gesellschaft zuteil werden lassen,« sagte Nottebohm. »Wir holen Sie im Boote ab und nehmen dann auch das Fleisch an Bord.«

Dongsa nahm die Einladung des Fremden nicht günstig auf. Allein sie war einmal erfolgt und angenommen, und nun ließ sich nichts mehr daran ändern. Als der Holländer gegangen war, glaubte ich Dongsa ein paar Worte der Entschuldigung sagen zu müssen. Er wehrte aber höflich ab und sagte so obenhin:

»Meinen Schiffern wird der Mann nicht angenehm sein. Die Beamten des Radja sind bei den Malaien nicht sehr beliebt. Aber ich werde Taban senden, der seine Leute im Zaume zu halten weiß.«

»Wenn aber irgendein Zusammenstoß zu befürchten ist, verzichten wir lieber auf die Fahrt. Ich möchte nicht, daß irgendein Insasse des Bootes gekränkt werden könnte.«

»Dafür sorge ich schon, lieber Freund,« erwiderte Dongsa. »Sie dürfen ganz beruhigt sein. Übrigens ist der Herr ja Holländer?« Die Worte waren fragend an Nottebohm gerichtet.

»Er stellte sich als solcher vor,« antwortete dieser. »Außerdem erkennt man das auch an der Sprache.«

Mit einer Schnelligkeit, als sei alles vorher verabredet worden, erschien plötzlich Taban auf der Veranda. Er wechselte ein paar Worte in Liplap (so heißt der in den Inseln gesprochene malaiische Dialekt) mit seinem Herrn und trat hierauf in unser Schlafzimmer. Sich zu dem Gepäck niederbeugend, fragte er:

»Welches Stück nehmen die Herren mit?« Sofort stand ich neben ihm und rief:

»Halt, Taban! Nicht anrühren! Die Säcke bergen zerbrechliche Dinge, die muß ich erst auspacken. Gehe nur voraus zu deinem Boote, wir tragen das wenige, was wir mitnehmen, selbst.«

Nun trat Dongsa herzu. Meinen Arm berührend, sagte er:

»Sie dürfen hier auf Timor keine Lasten tragen. Das schadet dem Ansehen der Europäer. Taban wird Ihnen helfen. – Hierher Taban!«

Nottebohm hatte inzwischen seinen Rucksack aufgehoben und war eben im Begriff, ihn auf den Tisch zu legen, als ein Gegenstand herunterfiel, der einen metallischen Klang von sich gab. Zufällig haftete mein Blick an der Stelle. Ein funkelnder Blitz, grüngold schimmernd, traf mein Auge und ein heller Lichtstrahl zuckte empor. Bevor ich aber noch einen Laut von mir geben konnte, lag Taban dort auf den Knien und hob einen Kris empor. Eines jener gewöhnlichen Messer, wie sie jeder Eingeborene trägt. Mit der unschuldigsten Miene von der Welt fragte er Nottebohm:

»Gehört der Ihnen, Tuwán?«

Mein Kamerad streifte die Waffe kaum mit einem Blick und verneinte dann. Auch ich lehnte ab, wollte aber noch eine Bemerkung hinzufügen, die mich ein zwischen Dongsa und dem Schiffer gewechselter Blick jedoch *unterdrücken ließ. Den angefangenen Satz ließ ich in den Wunsch übergehen, das Messer an mich zu nehmen, um damit den nächtlichen Besucher ausfindig zu machen. Als ich später mit Nottebohm allein war, teilte ich ihm meine blitzartig kurzen Wahrnehmungen mit. Wie vorauszusehen, sandte er auch diese Angaben in das Reich der Fabel, indem er unter lautem Lachen sagte:

»Gegenstände, die mit funkelnden Edelsteinen besetzt sind, habe ich leider noch nie besessen. Das blendende Sonnenlicht hat Ihnen einen Streich gespielt. Legen Sie dies Märchen zu dem Gespenst, und denken Sie nicht mehr daran.«

Taban hatte es durchgesetzt, daß er unser Gepäck zu seiner Prau hinuntertragen durfte. Sie lag nicht an dem gestrigen Anlegeplatz, sondern in einer kleinen Bucht, deren Rückseite der Palast des Radja, richtiger dessen Gartenmauer, bildete. Der Holländer war bereits zur Stelle. Drei braune Burschen trugen eben das in eine Haut eingeschlagene Pferdefleisch herbei, dessen Geruch Tausende von Fliegen heranlockte.

»Hoffentlich werden wir diese Fracht bald los!« rief Nottebohm. »Sonst fressen uns die Fliegen, bevor wir den Tintenfisch zu Gesicht bekommen.«

»Sobald wir vor dem Winde segeln, merken wir nicht viel davon,« warf ich ein und ließ mein Auge über das Boot schweifen.

»Wo ist denn unser Gepäck, Taban?« fragte ich.

*»Dort in dem großen Kasten, Tuwán,« gab er zur Antwort, indem er mir einen in drei Farben angestrichenen Behälter zeigte, der recht aufdringlich hinter dem Maste stand und die Bordwand überragte.

»Warum denn das? Wenn ich meine Geräte rasch brauche, kann ich doch nicht erst den Kasten aufschließen. Das ist mir zu unbequem.«

*»Wir nehmen hier viel Wasser über, Tuwán, denn die Strömung ist sehr stark. Es ist besser so.«

Ich wußte nicht viel dagegen einzuwenden. Ein die ganze Breite des Fahrzeugs überspringender Spritzer gab ihm recht, obwohl er nicht ganz ohne Schuld daran war. Ich ließ ihn auch nicht darüber im unklaren. Er sollte wissen, daß ich kein Laie in seiner Kunst war.

Auf der kurzen Fahrt – sie dauerte kaum eine halbe Stunde – begegneten uns ein paar tiefgeladene Dschunken, die pfeilschnell mit der Strömung dahinschossen. Mit jedem der Steurer tauschte Taban einen Gruß, was mich zu der Bemerkung veranlaßte, daß er eine weitbekannte Persönlichkeit sein müsse.

»Die Dschunken sind Eigentum meines Herrn,« antwortete er. »Darum kenne ich all' die Leute der Besatzung.«

Nottebohm pfiff leise durch die Zähne und sagte auf deutsch:

»Denken Sie an die gestrige Begegnung? Ich glaube, wir finden bald den Schlüssel des Geheimnisses. Diese Dschunken werden ebensowenig einwandfrei sein, wie die von gestern.«

Der Holländer streifte uns mit einem fragenden Blick, da er die Worte nicht verstand. Auch Taban war aufmerksam geworden. Nottebohm entschuldigte sich, er habe unbewußt eine Bemerkung in deutscher Sprache fallen lassen. Dann machte er eine bedeutungslose Mitteilung auf holländisch.

Dicht vor einer Reihe von steil aus dem Meere emporstrebenden Klippen ließ Taban das Segel fallen. Das Boot trieb langsam durch einen Korallengürtel in stilles Wasser, das so klar war, daß man tief hinunterblicken konnte.

»Hier wohnt das Tier,« sagte Taban. »wir werden es rufen!«

Er ließ einen größeren Stein über Bord fallen, dessen Spur wir lange verfolgen konnten. Der Polyp ließ sich nicht blicken. Dagegen strebte ein kleiner Hai aus der Tiefe an die Oberfläche. Langsam, fast ohne Schwimmbewegung, hob sich der graugrüne Leib empor, plötzlich schoß der Hai blitzschnell zurück in die Tiefe. An der Stelle, an der er eben noch gestanden, lagen jetzt zwei lange dunkle Striche, die sich wie gewaltige Aale vorwärts bewegten. – Es waren Arme des Oktopus.

»Donnerwetter, das ist ja ein ganz gefährlicher Kerl,« rief ich aus, als ich bemerkte, daß sich die schon meterlangen Arme immer weiter aus den Felsen heraushoben.

»Nimm dich in acht, Taban. wenn dich solch ein Arm packt, sind wir alle verloren. Jedenfalls haltet die Beile bereit.«

»Weiß schon, Tuwán! Habe schon ein paar arme Fischer hier verschwinden sehen. – Soll ich das Fleisch über Bord werfen?«

»Natürlich!« rief Nottebohm, den das zu erwartende seltene Schauspiel ganz aufgeregt hatte. »Rasch, Taban, er zieht die Arme schon wieder ein.«

Damit war ich aber durchaus nicht einverstanden. Ich hatte schon zuviel über diese tückischen Ungetüme und ihre Kraft von Augenzeugen gehört, um ohne größte Vorsicht mich in deren unmittelbare Nähe zu wagen. Eine der flachen Klippen schien mir größere Sicherheit zu bieten. Dorthin ließ ich das Boot rudern. Auf dem höchsten Punkte dieses Felsens befanden wir uns zehn Meter über dem Wasserspiegel und konnten aus der Höhe das zu erwartende Schauspiel noch besser beobachten.

Taban blieb im Boot zurück. Als er uns oben angekommen sah, stieß er das eine Fleischstück, ein ganzes Hinterviertel, über Bord. Wir sahen durch die kreiselnde Oberfläche hindurch, wie das Stück hin- und herpendeln sank. Schon fürchteten wir, der Polyp würde es nicht annehmen, da schoß blitzschnell ein Arm hervor. Er streifte das Fleisch nur mit dem Gliede, und schon hatte es der Saugnapf im Falle aufgehalten. Ein zweiter und dritter Arm wurden sichtbar. Dann folgte eine gewaltige schwarze Masse, die sich über das Fleisch legte und dort fast regungslos verharrte. Die Oberfläche hatte sich inzwischen beruhigt, und wir konnten jede Bewegung des Tieres beobachten. Anfangs deuteten nur die zitternden, seitlich herabhängenden lappigen Anhängsel des Tieres auf das Vorhandensein von Leben in dem dunklen Körper. Unmerklich veränderte dann der Oktopus seine Lage, und nun leuchtete uns eine große matte Scheibe entgegen, die viel Ähnlichkeit mit den Gläsern einer großen runden Laterne hatte. Während wir uns noch über den matten Glanz dieses riesigen Auges unterhielten, bemerkten wir, wie sich dasselbe zusehends vergrößerte. Der Polyp stieg an die Oberfläche. Ein vielstimmiger Schrei rief Taban zu schleuniger Flucht. Aber auch er hatte die Bewegungen des Tieres verfolgt. Mit einem Fußtritt warf er das zweite Fleischstück in die Flut, das jedoch ziemlich entfernt von dem Ungetüm in die Tiefe sank. Diesmal fand sich ein anderer Bewerber um die saftige Speise ein. Wie der Blitz schoß ein Haifisch heran, der vielleicht durch das Blut angelockt in der Nähe des Bootes auf die Beute gewartet haben mochte. Der weiße Bauch glitzerte in der Sonne, und wir bemerkten deutlich, wie er das ganze Stück im Rachen davonschleppte. Nun kam auch Leben in die dunkle Masse der Sepie. Mit einer Geschwindigkeit, die man in der formlosen Bestie nicht gesucht hätte, schoß sie durch das Wasser – dem Haifisch nach. Dieser mußte wohl einen Bissen von seinem Beutestück abgetrennt haben und dadurch auf seiner Flucht, wenn es sich um eine solche handelte, aufgehalten worden sein. Er wurde mit der Spitze seiner Rückenflosse auf der Oberfläche des Meeres sichtbar. Seine unsteten Bewegungen deuteten an, daß der Hai mit seinem Fund noch immer nicht fertig war.

Plötzlich schnellte ein starker Arm aus dem Wasser, blieb den Bruchteil einer Sekunde stehen und fiel klatschend auf die Oberfläche zurück. In demselben Augenblick wurde das Wasser zu Schaum gepeitscht. Starke Wellenbewegungen brachten das Boot ins Schwanken und mit hastigen Ruderschlägen strebte Taban der nächsten Klippe zu. Unter dem Meeresspiegel aber spielte sich ein Drama ab, wie es selten dem menschlichen Auge zu sehen vergönnt ist. Der Hai, ein wohl fünf Meter messender Bursche, wehrte sich mit seiner ganzen Kraft gegen die fürchterlichen Saugarme des Tintenfisches. Während letzterer sichtlich bemüht war, den Feind in seine Felsenburg hinabzuziehen, strebte der Hai ins offene Meer hinaus. Oft schoß der massige, olivgrüne Kopf steil in die Höhe und ließ den Blick auf das furchtbare Gebiß frei. Dann wieder stieß ein Polypenarm aus dem Gischt und fiel wie ein Schmiedehammer zurück. Einmal erschien der Stumpf eines der gewaltigen Tentakeln wie anklagend über dem Wasserspiegel – dann wurde die Meeresfläche ruhiger. Immer weiter zogen sich die Kreise auseinander. Der Kampf war zu Ende. Wer blieb Sieger?

Wir erfuhren es nicht mehr, denn wir bekamen plötzlich Besuch. Schon seit geraumer Zeit waren mir drüben auf der Insel zwei Männer aufgefallen, die ihre Ferngläser auf uns richteten. In der Aufregung des unterseeischen Duells hatte ich den Leuten weiter keine Bedeutung beigelegt, bis mir jetzt beim Erscheinen des kleinen Dampfbootes der Umstand wieder einfiel. Ehe ich meinen Gefährten die vielleicht für sie nicht unwichtige Mitteilung machen konnte, scholl der Ruf durch das Sprachrohr herüber: »Boot ahoi! Wer seid ihr und was treibt ihr hier?«

Die am Heck wehende holländische Flagge und der goldbetreßte Tropenhut des Schiffsführers ließ uns die Verpflichtung zur Auskunfterteilung anerkennen. Taban antwortete für alle:

»Wir sind von Kupang herübergekommen. Die fremden Herren wollten sich das Meeresungeheuer ansehen, das hier sein Unwesen treibt!«

»Bequeme Ausrede,« lachte der Goldbetreßte. »Müßt aber doch mit uns kommen, werde euch ein paar Mann auswechseln.«

Das Dampfboot war inzwischen quer vor unsern Bug getrieben.

Nun legte ich mich ins Mittel.

»Verzeihung, Herr Kapitän. Es ist wirklich so, wie der Bootführer sagt. – Belieben Sie Einblick in diese Papiere zu nehmen. Es ist ein von Ihrer Regierung ausgestellter Inlandpaß, der mich allen Behörden, also auch Ihnen gegenüber ausweisen dürfte. Das Boot mietete ich in Kupang.«

Der Beamte nahm das Papier mißtrauisch in Empfang. Als er es durchgelesen hatte, wurde er höflicher. Er tippte an den Hut und sagte, den Paß zurückreichend, mit scharfer Betonung:

»Ich nehme an, daß Sie in keiner engeren Beziehung zu den Eigentümern dieser Prau stehen. Meine Pflicht verlangt jedoch, daß Sie mir sagen, was in dem Kasten ist, der dort vor Ihrem Maste steht.«

»Meine Sammelgerätschaften und einige Reservekleidungsstücke. Bitte überzeugen Sie sich.« Mit den Worten klappte ich den Deckel zurück. Nach einem prüfenden Blick sagte er, wieder an den Hut tippend:

»Dante, mein Herr! Werden Sie länger hier verweilen?«

»wir haben das gesehen, was wir sehen wollten und kehren nunmehr zurück. Da unser Dampfer nach Allor aber erst in zwanzig Tagen von Kupang abgeht, werden wir uns noch öfter zu Sammelzwecken die zahlreichen Eilande hier herum ansehen. Bedarf es dazu einer Erlaubnis?«

»Jetzt nicht mehr – danke!«

»Wir trennten uns in verschiedenen Richtungen, während meines Gespräches mit dem holländischen Beamten war es mir aufgefallen, daß Taban eine unverkennbare Freude über meine Worte empfand. Auch den beiden Begleitern war das nicht entgangen, wir tauschten unsere Ansichten darüber aber erst aus, als wir eine halbe Stunde später durch den Park des Radjas der Stadt zugingen.

»Kennen Sie unsern chinesischen Gastfreund näher?« fragte Nottebohm den Holländer, das Gespräch über die Tagesereignisse einleitend.

»Sie meinen Dongsa?« lautete die Gegenfrage.

»Allerdings. «Er war es, der uns am Hafen in Empfang nahm und in das Landhaus geleitete. Er ist doch der Eigentümer des Hauses?«

»wir kennen als Besitzer nur den Kaufmann Kü=schan, einen Chinesen, der bei unsern eingeborenen Fürsten großes Ansehen genießt. Auch mein Radja hält große Stücke auf ihn. Bei den Holländern ist er allerdings weniger geschätzt. Man vermutet in ihm den Mann, der allen diesen Inselvölkern in ihrem Widerstand gegen die holländische Oberhoheit das Rückgrat stärkt. Allerdings konnte ihm bis heute noch nichts nachgewiesen werden. Ein einziger Malaie, der beim Waffenschmuggel ertappt, seinen Namen aussprach, fand noch am gleichen Tage ein geheimnisvolles Ende. Jedenfalls muß der Mann, wenn er wirklich das ist, wofür ihn die Holländer halten, über ein Heer von verschwiegenen Leuten verfügen. Ein Beispiel dafür ist jener Taban!«

»Wie? Unser Bootführer? Der steht doch im Solde von Dongsa?«

»Und dieser ist sicher von Kü-schan abhängig. Ich müßte es wissen, wenn letzterer die Villa veräußert hätte, denn, um es offen zu sagen, ich leite die Geheimpolizei unseres Fürsten.«

»Ah! Dann hatte Ihr Besuch bei uns einen bestimmten Zweck?«

»Nun ja. Meinem Fürsten kam vorgestern ein wertvoller Kris abhanden. Nach Lage der Sache konnte er nur von fünf Personen, sagen wir, gefunden worden sein. Ich ließ diese fünf überwachen und ermittelte, daß einer von ihnen gestern früh eine lange Unterredung mit Dongsa hatte. Ihr Eintreffen bot mir willkommenen Anlaß, die Villa zu betreten.«

»Und haben Sie irgend etwas bemerkt? Sie brauchen nicht zu antworten, wenn die Frage indiskret erscheint.«

»Ihre Gespenstergeschichte bringe ich mit irgendeiner geplanten ungesetzlichen Handlung in Zusammenhang.«

»Also glauben Sie daran? Sie lächelten heute früh so skeptisch.«

»Letzteres gehört zu meinem Berufe. Im übrigen glaube ich alles, was Sie uns über die Geistererscheinung erzählten. Bestärkt wurde ich in dem Glauben durch das Benehmen des Chinesen, der zu geflissentlich eine Nachprüfung verhindern wollte. Nur bin ich mir noch nicht klar darüber, was man mit der Komödie bezweckt. Auch die sonst nicht übliche Aufnahme von zwei stadtfremden Europäern in der Villa muß einen besonderen Zweck haben, hinter den ich unter jeder Bedingung kommen muß.«

»Das habe ich mir auch schon gedacht, vielleicht dient Ihnen noch eine andere Wahrnehmung, die ich machte, als Fingerzeig. Nur möchte ich heute noch nicht darüber reden.«

Wir hatten inzwischen das gartenreiche Europäerviertel durchschritten und waren durch enge Gäßchen auf einen jäh zum Meere abfallenden Felsen getreten, der einen herrlichen Blick auf den alten portugiesischen Dom mit der Altstadt und über das tiefblaue Meer bot. Im Vordergrunde, dicht am Abhang, erhob sich ein weißer chinesischer Tempel, dessen emporgeschwungenes Dach unwillkürlich den Eindruck hervorrief, als sei dieses Wahrzeichen der gelben Rasse hier nur geduldet. Auch ein danebenliegender, mit Bäumen bewachsener Kaffeegarten schien nicht in dieses prachtvolle Bild zu passen, ebensowenig wie die zahlreichen Zopfträger, die hier bei einer Tasse Kaffe der Unterhaltung pflegten.

Noch überlegten wir, ob wir uns an einem der Tischchen niederlassen sollten, als mich der Holländer am Arm berührte und mir einen dicken Chinesen zeigte, der inmitten einer Anzahl Landsleute eifrig debattierte.

»Das ist Kü-schan, der reichste Chinese auf Timor, von den übrigen Chinesen kenne ich nur jenen Alten mit der Brille und Ihren Gastgeber Dongsa. – Sehen Sie, man hat uns bemerkt. Ob Dongsa uns an seinen Tisch holt? Die Landessitte erfordert das eigentlich.«

Es geschah aber nichts dergleichen. Im Gegenteil, Dongsa beugte sich so tief über den Tisch, daß darin leicht eine Entschuldigung für das Übersehen gefunden werden konnte. Kü-schan selbst gönnte uns keinen Blick, als wir an dem Tische vorübergingen. Als wir den Garten durchschritten hatten, wandte sich Nottebohm noch einmal nach den Chinesen um, die indessen keine Notiz von uns zu nehmen schienen. Mein Gefährte aber rief:

»Wißt ihr, wer dort mit am Tische sitzt? Der in der ganzen Bandasee als verwegener Schmuggler gefürchtete Kapitän Tschung-Li von Pasir auf Borneo. Donnerwetter, wenn die Holländer das wüßten!«

«Ich gebe Ihnen den guten Rat, die Bekanntschaft hier nicht zu erwähnen. Der Mann ahnt sicher nicht, daß ihn in Kupang jemand kennt – außer seinen Geschäftsfreunden,« erwiderte unser holländischer Begleiter. »Weiß der Kapitän, wer Sie sind?«

»Das glaube ich kaum, obwohl es mir unbegreiflich ist, wie Dongsa über mich so genau unterrichtet ist.«

»Hm, das läßt allerdings darauf schließen, daß man Ihren Gastfreund auf Ihre Person aufmerksam gemacht hat. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn man mit bestimmten Anträgen an Sie herantreten würde.«

»Was für Anträge könnten das sein?«

»Das weiß ich nicht. Ich möchte Ihnen in solchem Falle allerdings raten, sie anzunehmen, wenigstens zum Schein. Andernfalls könnte es Ihnen das Leben kosten, vergessen Sie nicht, daß Kü-schan im malaiischen Archipel allmächtig ist. Was er sich vornimmt, setzt er durch. Je mehr ich über alles, was Sie mir erzählten, nachdenke, komme ich zu dem Schlusse, daß er zu irgendeinem Zweck unbewußte Helfer benötigt, die den Behörden auf Timor, oder einer andern Insel, noch nicht bekannt sind. Das ist wenigstens die einzige Erklärung, die ich für das zuvorkommende Verhalten Ihres Dongsa finde.«

»Dazu werde ich mich natürlich nicht hergeben,« erwiderte Nottebohm. »Es sei denn, daß die Geschäfte einwandfrei sind.«

»Es wird nicht leicht sein, das von vornherein zu beurteilen,« antwortete der Holländer. »Jedenfalls seien Sie vorsichtig und zeigen Sie vor allen Dingen kein Mißtrauen.«

Der Holländer trennte sich am Gartentor von uns. Er versprach, uns am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang zu einem Ritt in die Umgebung abzuholen. Dongsa ließ sich während des ganzen Tages nicht blicken. An seiner Stelle leitete ein anderer Chinese unsere Diener und Dienerinnen. Die Bewirtung war wiederum eines Fürsten würdig. Nach dem Essen blieb uns noch eine Stunde bis Sonnenuntergang. Die Zeit hätten wir gern der Besichtigung des Parkes und seiner nächsten Umgebung gewidmet. Die Anlage schien ein gärtnerisches Kunstwerk zu sein. Nottebohm äußerte dem Chinesen diesen Wunsch, der ihn sichtlich in Verlegenheit setzte.

»Tuwán Dongsa ist nicht anwesend. Ich bin leider nicht ermächtigt, eine solche Erlaubnis zu erteilen,« entgegnete er. »Wenn die Damen im Garten sind...«

»Ah, ich verstehe!« rief Nottebohm. »Der Herr Dongsa ist Mohammedaner. Dann allerdings verzichten wir. Der Park des Radja ist doch offen für jedermann?«

»Jetzt nicht mehr,« beeilte sich der Chinese hinzuzufügen. »Es wird bald dunkel, dann schließt man.«

»Na, dann bleibt uns nur ein Bummel durch die Stadt,« sagte ich, meinen Hut aufstülpend. Aber auch das schien dem Vertreter unseres Gastgebers nicht zu passen, Er fand wieder eine Ausrede:

»Ich habe Befehl, den Herren jede Art Zerstreuung zu beschaffen. Befehlen die Herren Musik, Tänzerinnen oder eine Lustfahrt auf dem Meere... ?«

Wir lehnten ab. Gleichzeitig empörte sich unser Inneres gegen diese Bevormundung. Ich bat Nottebohm, dem Chinesen zu verdolmetschen, daß wir morgen unsere Reise fortzusetzen beabsichtigten. Der Holländer würde schon Rat wissen. Zu unserer Verwunderung nahm er die Mitteilung ohne jede Überraschung entgegen. Er entfernte sich unter höflichen Verbeugungen. Die erbetenen Erfrischungen würden uns die Diener bringen.

»Was für ein Kerl war jetzt das wieder?« fragte Nottebohm, als wir auf der Veranda unsern Kaffee schlürften. »Ein Chinese war es nicht. Nicht einmal ein Mischling. Malaiisch spricht er mit einem Akzent wie... na, wie etwa ein Schwabe. – Donnerwetter, ich glaube, das ist ein Deutscher! Den hat Dongsa geschickt, um uns auszuhorchen.«

»Bah, dann reden wir englisch oder französisch, wenn wir uns Dinge mitzuteilen haben, die nicht für jedermanns Ohren bestimmt sind.«

»Hilft nichts, lieber Freund. Wenn es ein Landsmann ist, versteht er auch die Sprachen ... Was beginnen wir übrigens jetzt?«

»Briefe schreiben!« erwiderte ich. »Sollten wir vor dem Postdampfer von hier fortkommen, dann besorgt sie unser holländischer Freund.«

Das Schreibmaterial mußten wir von unserm Gastfreunde erbitten. Kaum war der Schlag auf den Gong verklungen, da stand ein Diener vor uns. Wo dieser sich aufgehalten hatte, blieb uns ein Rätsel. Ebenso rasch war auch unser Befehl ausgeführt. Es kam uns vor, als kenne man im voraus unsere Wünsche.

Die Nacht verlief ohne Störung. Eine Stunde vor Sonnenaufgang nahmen wir unser Bad und legten die Gamaschen an. Von dem beabsichtigten Ritt hatten wir kein Wort unter uns fallen lassen. Wir befahlen dann das Frühstück. Der Diener, der wohl über alles, was wir unternahmen, Bericht erstatten mußte, wagte die Frage, ob er mehrere Gedecke auflegen solle. Auf die verneinende Antwort sagte er zögernd, daß Taban erst um sieben Uhr kommen würde. – Da in diesem Augenblick Aufschläge von der Straße her hörbar wurden, rief Nottebohm aus:

»Dann verzichten wir auf das Frühstück. Es wird wohl ein Wirtshaus in Nupang geben, in dem wir eine Tasse Naffee bekommen können.«

Mit den Worten verließen wir das Haus und gingen zum Gartentor, wo der Holländer mit drei Pferden und einem berittenen Diener harrte.

»Das Tor ist noch geschlossen,« rief er. Zu dem uns folgenden Diener gewendet, verlangte er Einlaß. Doch dieser zuckte nur die Achseln und sprudelte eine Flut von malaiischen Worten hervor.

»Das werden wir gleich haben!« sagte ich, Nottebohm winkend. »Klettern wir 'rüber. Wir haben in den letzten Wochen ganz andere Kunstleistungen vollbracht.«

Über die entsetzte Miene des Dieners, als er seine Schutzbefohlenen auf dem Wege seiner Obhut entgleiten sah, mußten wir noch lachen, als wir schon im Sattel saßen und in den prachtvollen Morgen hinausritten.

»Dongsa und Rü-schan hatten gestern abend eine lange Unterredung mit meinem Radja,« sagte der Holländer später. »Leider konnte ich noch nicht erfahren, um was es sich handelte. Vielleicht sucht man ihn gegen mich zu beeinflussen, denn mein Verkehr mit Ihnen scheint nicht im Rahmen ihrer Pläne zu liegen. – Es mag auch sein, daß man über den Kris gesprochen hat.«

»Ah, der Kris!« rief ich. »Darüber kann ich Ihnen vielleicht einen Anhaltspunkt geben. Ich erwähnte das gestern schon.« Nun erzählte ich unserm neuen Freunde, was mir aufgefallen war, als Taban Nottebohms Reisesack von der Stelle rückte. Letzterer lachte.

»Haben Sie immer noch Gespenster im Kopf? Betrachten Sie lieber die herrliche Aussicht auf das Meer und die goldüberzogenen Inseln. Da vergehen Ihnen die Phantasiegebilde.«

Der Holländer hingegen zog sein Gesicht in ernste Falten.

»Jetzt kann ich mir die Geschichte zusammenreimen,« sagte er. »Man hat es zunächst auf Sie abgesehen, Herr Nottebohm. Sie sollen in Küschans Stab aufgenommen werden. Man weiß, daß Sie die Sprachen verstehen und mit Land und Leuten vertraut sind. Sie genießen den Ruf eines tüchtigen Kaufmannes und sind Deutscher ....«

»Lesen Sie das alles aus der Gespenstergeschichte heraus?« fragte Nottebohm belustigt.

»Allerdings. Und ich will Ihnen auch die Auslegung derselben nicht vorenthalten. – Der ›Geist‹ war Taban, der in der Nacht den gestohlenen Kris in Ihr Gepäck schmuggeln sollte. Da er gestört wurde, ließ er ihn fallen. Bei den Nachforschungen nach dem Wertstück – ich sagte Ihnen bereits, daß die Spuren in das Landhaus führen – hätte Dongsa die Waffe in Ihrem Gepäck gefunden, und nun waren Sie ihm auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert. Sie wissen, daß man hier mit dem Strick rasch bei der Hand ist? Was hätten Ihnen alle Beteuerungen genützt? Das corpus de1icti zeugte gegen Sie. Und Dongsa hätte Sie vor die Wahl gestellt, entweder – oder.«

»Aber, bester Herr Bruinsma, das ist ja der reinste Schauerroman, den Sie uns da auftischen. Da wäre es doch einfacher für Dongsa gewesen, wenn er mich gleich gefragt oder mir ein Anerbieten gemacht hätte.«

»Nun, das kommt vielleicht noch. Er konnte vorher nicht wissen, daß Taban der Streich nur unvollkommen gelang. Ich bin übrigens noch gar nicht so sicher, daß der Kris des Radja zu dieser Stunde nicht doch in Ihrem Gepäck liegt.«

»Donnerwetter, das will ich nicht hoffen! Das wäre eine nette Bescherung,« rief Nottebohm, nun ernstlich beunruhigt, aus. »Am liebsten kehrte ich gleich wieder um.«

»Nun, jetzt haben Sie nichts mehr zu fürchten, nachdem ich unterrichtet bin,« erwiderte der Holländer. »Ich bin nur froh, daß ich von Ihren Wahrnehmungen Kenntnis erhielt. Das vereinfacht die Sache bedeutend.«

»Man wird Taban oder Dongsa einsperren,« warf ich ein.

»Das wird leider Kü-schan verhindern. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich dem Radja von der Entdeckung sprechen soll. Ich fürchte, ich bringe Sie beide damit in schwere Lebensgefahr. Wenn Sie erst die Insel hinter sich haben, ist immer noch Zeit dazu. Wohin gedenken Sie übrigens von hier aus zu reisen?«

»Ich will nach Allor. Nottebohm hat auf Celebes Geschäfte.«

»Hm, Allor ist in Händen Kü-schans. Die Alloresen sterben für ihn, wenn es sein muß. Da sind Sie leicht erreichbar. Und Celebes? ... Na, es macht den Radja nicht arm, wenn er den Kris nicht wiederbekommt.«

»Können Sie uns nicht zu einer Uberfahrtsgelegenheit nach Allor verhelfen?« fragte ich. »Drei Wochen, bis zur Ankunft des Dampfers, halte ich es bei Dongsa nicht mehr aus. Er müßte uns denn unbeschränkte Freiheit lassen.«

Bruinsma schüttelte den Kopf. »Die Dschunken gehören fast alle Kü-schan. In einer Prau können Sie die Reise nicht machen. Sie brauchen mindestens fünf Tage dazu, vielleicht auch mehr. Die kleinen Küstendampfer, die sehr unregelmäßig Kupang anlaufen, kommen meist von Allor und gehen von hier nach Savoe und Sumba. Der Postdampfer ist das einzige Mittel ... doch halt!« unterbrach er sich. »Wenn Sie es möglich machen könnten, auf dem holländischen Zollkutter hinüberzufahren. Sie haben ja einen Regierungspaß!?«

»Der hilt aber nur für mich. Nottebohm wird keinesfalls mitfahren dürfen. Und ohne ihn reise ich nicht, wenn die Dinge so liegen.«

Wir hatten unterdessen die Stadt in ihrer ganzen Ausdehnung umritten und befanden uns vor einem prächtigen Park, aus dessen Grün ein weites, vornehm gebautes Herrenhaus hervorschimmerte.

»Das ist Kü-schans Wohnhaus. Der Park zieht sich über die beiden Hügel bis an das Meer. Dort in einer kleinen Bucht liegt sein Dampfboot immer abfahrtbereit. Auf jener Seite schließen sich noch ein paar kleinere Landhäuser an; eines davon bewohnen Sie jetzt.«

»Also sind wir eigentlich Gäste Kü-schans? Dann gehört es sich, daß wir ihm einen Besuch machen, Nottebohm.«

»Respektieren Sie lieber sein Inkognito, bis sich die Dinge geklärt haben. Er zeigte gestern deutlich, daß er nichts von Ihnen wissen will.«

Unwillkürlich waren wir in langsamer Gangart an der Besitzung vorbeigeritten. Dann und wann zügelten wir auch unsere Pferde, um Bemerkungen über besonders prächtige Anlagen auszutauschen. Da öffnete sich plötzlich vor uns ein kleines Tor in der Mauer, aus dem ein reichgekleideter Chinese trat und uns in fließendem Holländisch zum Eintritt in den Park aufforderte. Er würde uns führen.

Mit einem Blick las ich in den Augen meiner Begleiter die Ablehnung. Ich nahm daher das Wort und sagte:

»Wir danken herzlichst für die freundliche Einladung. Augenblicklich ist es uns leider nicht möglich, sie anzunehmen, wir sind Gäste des Herrn Bruinsma, und außerdem« – ich deutete auf unsere bestaubten Kleider – »möchten wir in diesem Anzüge nicht das Besitztum betreten, wenn Sie uns für eine andere Stunde die Erlaubnis erteilen wollen, so werden wir es uns zur Ehre anrechnen ....«

»Die Herren sind jederzeit willkommen. Dieses Tor wird für Sie immer geöffnet sein.« Der Chinese kreuzte die Arme über der Brust, verneigte sich und ging ohne weiteres in den Park zurück.

»Wer ist das?« war unsere erste Frage.

Der Holländer zuckte die Achseln und richtete die Frage an seinen Diener.

»Der Bruder des reichen Kü-schan,« lautete die Antwort.

»So, den kannte ich noch nicht. Es ist merkwürdig, daß er ihn meinem Radja noch nicht vorgestellt hat. Und wie gut der Mann unsere holländische Spracht beherrscht. Ob der Bruder echt ist?«

Ich konnte mich nicht enthalten, über diese letztere Äußerung eine Bemerkung zu machen, indem ich darauf hinwies, daß Kü-schan sich keiner besonderen Achtung seitens unseres neuen Freundes zu erfreuen schien.

«Ich persönlich halte ihn jeder Schandtat für fähig. – Leider ist er zu schlau und zu reich, um sich auf einer Gesetzwidrigkeit ertappen zu lassen. Dafür müssen seine Leute den Kopf in die Schlinge stecken.«

Bei unserer Rückkehr empfing uns Dongsa in gewohnter Liebenswürdigkeit. Eine reichgedeckte Tafel erwartete uns. Da vier Gedecke aufgelegt waren, luden wir auch unsern Holländer ein. Er lehnte jedoch ab, versprach aber zum Nachtisch zurückzukehren. Als er gegangen war, trat aus einem der bisher verschlossenen Zimmer ein neuer Gast. Jener Mann, den Nottebohm gestern als den gefürchteten Kapitän Tschung-Li bezeichnete. Er war heute europäisch gekleidet. Nur das Käppi, das den Zopf verbarg, deutete auf seine Nationalität.

Nach den ersten schwülstigen Redensarten begann der neue Gast das Gespräch: »Ich glaube Sie schon früher gesehen zu haben, Herr Nottebohm. Sie waren Einkäufer bei dem Hause Reis & Comp., nicht wahr?«

»Allerdings Herr ...« – »Tschung ist mein Name. Kaufmann aus Makassar!«

Beinahe wäre meinem Freunde ein unbesonnenes Wort entschlüpft. Er besann sich aber rechtzeitig und sagte, nach den üblichen Schmeicheleien:

»Ich beabsichtige jetzt in meine Heimat zurückzukehren und dort meine Kenntnisse der Sunda-Inseln nutzbringend zu verwerten. Der nächste Dampfer schon wird mich unter seinen Fahrgästen finden.«

»Das bedauere ich lebhaft. Ich dachte Sie für eine mir nahestehende Firma auf Borneo gewinnen zu können. Wir stehen in regem Verkehr mit Ihrer früheren Firma, das heißt mit der Niederlassung in Soerabaya. Würden Sie sich nicht überreden lassen, die Stellung anzunehmen? Die Bezahlung ist glänzend, die Stellung unabhängig.«

»Wie heißt die Firma und wo ist ihr Sitz?« fragte Nottebohm, dem ich unter dem Tische einen leisen Stoß mit dem Fuße versetzt hatte. Wir fühlten beide, daß jetzt die Lösung des Rätsels kommen würde.

»Es ist ein spanisches Haus. Mayol hermanos. Sie kämen für die Niederlassung in Pasir in Betracht.«

»Das Haus ist mir bekannt. Soviel ich weiß, ist der Inhaber ein Malaie?«

»Einer der Inhaber, ja. Die beiden Brüder Mayol leiten das Haus in Manila. Für die Zweigstelle in Pasir suchen wir – ich meine die Firma – eine geeignete Persönlichkeit, die mit den Verhältnissen vertraut ist.«

Nottebohm spielte den Unentschlossenen. Er blickte sinnend auf seinen Teller und schüttelte wie unbewußt den Kopf. – Nun griff Dongsa ein:

»Das wäre eine Gelegenheit zu Gegendiensten,« sagte er lächelnd. »Ich habe ebenfalls ein Interesse an den Geschäften der Firma.«

Mein Kamerad blickte mich an und sagte zögernd:

»Es wird mir schwer, eine Antwort zu geben. Am liebsten ginge ich nach Deutschland zurück ... Aber lassen Sie mir Zeit bis morgen. Ich will es mir bis dahin überlegen.«

»Im zusagenden Falle müßten Sie morgen abend abreisen. Meine Dschunke ist segelfertig und wartet nur noch aus mich – und auf Sie.«

»So schnell soll ich schon fort?« rief Nottebohm. »Das geht nicht! Ich will meinen Freund hier nicht allein lassen. Den müßten Sie bis Mataru mitnehmen.«

»Wir laufen westlich von Flores durch die Sapi-Straße,« erwiderte Tschung. »Ein Umweg über Allor würde uns bei dem herrschenden Monsun zuviel Zeit nehmen. Ihr Freund wird Sie entschuldigen.«

Die Ankunft des Holländers brach das Gespräch ab. Nach wenigen Höflichleitsminuten erhob sich Tschung und ging, von Dongsa begleitet, in den Garten. Da wir nicht wußten, über welche Sprachtenntnisse die anwesenden Diener verfügten, unterließen wir jede Bemerkung über die eben geführte Unterhaltung. Ich konnte Bruinsma nur noch die Worte ins Ohr raunen: »Die Bombe ist geplatzt«, was er mit einem vielsagenden Blick auf Nottebohm entgegennahm.

Als Dongsa wieder eingetreten war, lenkte er die Rede auf den gestrigen Ausflug auf die Klippen vor Samaoe und sagte, zu mir gewendet:

»Sie sollen ja dem Zollkutter gehörig imponiert haben,« sagte mir Laban. »Sie stehen wohl im Bunde mit den Holländern?«

Die Frage sollte scherzhaft klingen, ließ aber die Neugier durchblicken.

»Nein, nicht im geringsten. Ich zeigte dem Beamten meinen deutschen Paß, das war alles. Ich stehe wohl noch nicht auf der schwarzen Liste,« erwiderte ich lachend.

»Man hat das Boot auch untersucht?« fragte er weiter.

»Ja, der große bunte Kasten erregte die Neugier der Behörde. Ich werde nächstens einen so auffälligen Behälter zu Hause lassen.«

»Im Gegenteil!« fiel Dongsa lebhaft ein. »Nun wo man ihn kennt, wird man Sie wegen des Kastens nicht mehr belästigen. Ich würde ihn erst recht mitnehmen.«

»Warum sollte man mich belästigen? Ich versäume nichts, wenn mich der Kutter anhält. Und irgendeine verbotene Ware führe ich nicht.«

»Sie haben doch den Revolver bei sich, wenn Sie auf das Meer hinausfahren? Auch die Waffe ist bei den Holländern verboten.«

»Ich führe keine Waffe, wenn ich auf See spazierenfahre,« log ich, worüber Dongsa anscheinend besonders befriedigt war.

Nottebohm, der während unserer Unterhaltung das Zimmer verlassen hatte, nahm jetzt wieder an unserer Tafel Platz. In gleichgültigem Tone fragte er mich: »Haben Sie sich an meinem Reisesack zu schaffen gemacht?«

»Ich? Nein, fehlt etwas darin?«

»Reden wir nicht weiter darüber. Die Sache ist nicht wichtig.«

Wir erwarteten, daß Dongsa auf die Frage reagieren würde. Da das nicht geschah, fragte der Holländer: »Ist Ihnen etwas abhanden gekommen?«

»Nein, nein. Nur der Verschluß ist nicht mehr so, wie ich ihn anbrachte. Es wird wohl durch Zufall geschehen sein. – Aber ich schlagt vor, wir machen einen Spaziergang durch den schattigen Park. Zum Ausgehen ist es zu heiß. Unser liebenswürdiger Gastfreund macht wohl den Führer?«

Dongsa, den seit einigen Minuten eine lebhafte Unruhe befallen hatte, lehnte jedoch ab. Er versprach einen Diener zu senden, der uns führen würde. Kaum waren wir allein, da zog Nottebohm einen mit Juwelen besetzten Kris aus dem Gürtel und reichte ihn Bruinsma.

»Hier, lieber Freund, nehmen Sie das Stück an sich. Verlieren wir kein Wort darüber, solange ich noch hier bin.«

»Werden Sie das Angebot des Schmugglers annehmen?«

»Ja. Ich reise morgen abend mit der Dschunke ab. Ich gebe Ihnen aber mein Wort, daß der Kerl und seine Spießgesellen hängen sollen, sobald ich sie auf verbotenen Wegen ertappe. Herr Bruinsma, als Holländer, wird mich bei seinen Landsleuten rechtfertigen, wenn es soweit ist.«

Am nächsten Morgen unterschrieb Nottebohm einen glänzenden Vertrag mit dem Handelshause Mayol hermanos in Manila. Er geriet dadurch in die Gemeinschaft der gefürchtetsten Schmugglerbande, die je den malaiischen Archipel unsicher machte.

»Nun ist die Reihe an Ihnen,« sagte mir Nottebohm beim Abschied. »Ich bin begierig auf Ihren Bericht über den weiteren Verlauf der Dinge. Herr Bruinsma wird Sie übrigens in seinm geheimpolizeilichen Schutz nehmen.«


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