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Sprachproben.

Altfriesisch.

I. Die Not der Waisen. Aus den XXIV Landrechten; Emsgauer Handschrift vom Anfang des 15. Jahrhunderts.

Theth ist thiu forme ned: huuersa en kind fen and efiterad werth north ur hef, ieftha suther inur berch; sa mot thiu moder hire kindes erue setta and sella, and hire kind lesa and thes liwes helpe.

Thiu other ned istet: ief ther erghe ier werthe, anthi heta hungher ur theth lond fare, and theth kind hungher sterwa wille, sa moet thiu moder hire kindes eruue setta and sella, and capia him ther mithe ku and korn, anda alsa dene ting, ther hiu him thes liwes mithe helpe.

Thiu thredde ned isted: huuersa thet kind is stocknakad ieftha huslas, and thenna thiu thiustera nacht and thi nedtkalda winter ur tha thuner hleth; sa farther alra monna hwelic inna sin hof and inna sin hus, and theth wilde diar secht thene hola bam and thera berga hli, alder hit sin lif on behalde; sa weniath thet vniereghe barn, and werpth thenna tha sine nakeda lite and sin huuslase, an sinne feder, ther him reda scholde with thene winther kalda and with thene heta hungher, theth hi sa diape and sa dimme is, vnder eke and vnder eerthe, bislaghen, and biseten and bitacht. Hir vmbe sa mot thiu moder hire kindes eruue setta and sella, umbe theth hiu aget pli and plicht, alsa longhe sa hit vnierich is.

Das ist die erste Not: wo ein Kind gefangen und weggeführt wird nordwärts über die See oder südwärts über die Berge; so muß die Mutter ihres Kindes Erbe versetzen und verkaufen und ihr Kind lösen und des Leibes helfen (dem Leben erhalten.)

Die andere Not ist diese: wenn eine Teuerung (arge Jahre) wird und der heiße Hunger durch das Land fährt und es (das Kind) Hungers sterben will; so muß die Mutter ihres Kindes Erbe versetzen und verkaufen und ihm dafür Kuh und Korn kaufen und solche Dinge, damit sie ihm des Leibes helfe.

Die dritte Not ist diese: wo das Kind ist stocknackend oder hauslos, und dann die düstere Nacht und der notkalte Winter über den Zaun steigt, so fährt ein jeglicher Mensch in seinen Hof und in sein Haus, und das wilde Tier sucht den hohlen Baum und der Berge Schutz, damit es sein Leben darin behalte; dann weint das unmündige Kind und beklagt seine nackten Glieder und seine Obdachlosigkeit und seinen Vater, der ihm raten (helfen) sollte gegen den kalten Winter und gegen den heißen Hunger, daß er so tief und so dunkel ist unter Eichen (Holz) und Erde beschlagen, besetzt und bedeckt. In diesem Falle muß die Mutter ihres Kindes Erbe versetzen und verkaufen, darum weil ihr oblieget die Fürsorge und die Verpflichtung, so lange das Kind unmündig ist.

II. Von der Schöpfung des Menschen, aus der Emsgauer Handschrift (15. Jahrhundert).

God scop thene eresta meneska, thet was Adam, fon achta wendem; thet benete fon tha stene, thet flask fon there erthe, thet blot fon tha wetere, tha herta fon tha winde, thene togta fon tha wolken, the suet fon tha dawe, tha lokkar fon tha gerse, tha agene fon there sunna; and tha blerem on thene helga om; and tha scope Eva fon sine ribbe, Adames liana.

Gott schuf den ersten Menschen, das war Adam, aus acht Stoffen; das Gebein (Knochen) von dem Stein, das Fleisch von der Erde, das Blut von dem Wasser, das Herz von dem Winde, die Gedanken (das Gehirn) von den Wolken, den Schweiß von dem Taue, die Locken (Haare) von dem Grase, die Augen von der Sonne; und da blies er ihm ein den heiligen Odem; und da schuf er Eva von seiner Rippe, Adams Gehülfin.

(Richthofen, Fries. Rechtsquellen S. 211.)

Ostfriesisch-Niederdeutsch aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts.

(Anfang der Vorrede zum Ostfr. Landrecht des Grafen Edzard des Großen, um 1520.)

Edzard Grave tho Ost-Freesland / etc. etc. Besinnende und mit Vlyte averdenckende / dat dair geene hoeger oder groter Doegede is / manck alle den veer hoegesten Doegeden / dan de Rechtverdicheit / vormyddes welck Lande und Lüde / Geistlicke und Wertlicke Persohnen / offt in wat Staett se sinnen / moegen werden regereert / und ein jeder dat Sine mach beholden / und mit Vrede besitten / dorch welker oik dat gemeine Guet und de gemeine Vrede wasset / de Gueden werden beschermet / de Quaeden gestraffet / und de Wairheit / wecke Gott sülvest is / dordorch mag syn gelavet und gebenedyet / tho ewigen Tyden. Worume hebben wy / mit Raitt / Consent und Vulbart / Unserer Rheden / und Junckherrn in Unserm Lande / dartho gedacht / dit sülve / unser Voir-Vaederen Landrechte und Wilkoeren, to Nutte und Orbahr unser Lande und in beter Ordninge claerliker heben laten setten und maecken / up dat de Lande so voel de beth mögen in Rüste und in Vrede geregeert werden / und ein jeder dat Syne mit Rechte rüstelick besitten und vredelich brucken moege.

Hochdeutsch:

Edzard, Graf zu Ostfriesland etc. etc. Nachdem wir besonnen und mit Fleiß bedacht haben, daß da keine höhere und größere Tugend ist unter all den vier höchsten Tugenden denn die Gerechtigkeit, vermittels welcher Land und Leute, geistliche und weltliche Personen oder wes Standes sie sein mögen, regiert werden, und ein jeder das Seine erhalten und in Frieden besitzen kann; durch welche auch das gemeine Gut und der gemeine Friede wächst, die Guten beschirmt werden, die Bösen bestraft und die Wahrheit, welche Gott selbst ist, dadurch mag gelobt und gebenedeiet sein zu ewigen Zeiten. Darum haben wir mit Rat, Zustimmung und Vollmacht Unserer Räte und Junker in Unserm Lande dazu bedacht, dasselbe unserer Vorfahren Landrecht und Willküren zu Nutz und Vorzug Unserer Lande und in bessere Ordnung und deutlicher haben setzen und machen lassen, auf daß die Lande so viel als möglich mögen in Ruhe und in Frieden regiert werden, und ein jeder das Seine mit Recht ruhig besitzen und friedlich gebrauchen kann.

Aus Cadovius Müllers Memoriale linguae Frisicae (1691.)

Ohn freesk wuff, di up en beendaip tirig wiss uhn dunste, kreyg tiding van jum volck, dait ju sihke mohn sturfen wiss, uhn dait di tziugge jum up stree lidzendi nat fridden lait lidsen, sundern jum di eehren will affritten; dait wuff överst wulde nat to hues gungi, sundern quidde uhn ziong all dunssende:

      Reyket di tziugge wet scheff, scheff, scheff;
Za fritt zy mih mohn di eehren nat eff!

Hochdeutsch:

Ein friesisches Weib, das auf einer Kindtaufe lustig war und tanzte, bekam Nachricht von ihrer Familie, daß ihr kranker Mann gestorben sei, und daß die Sau ihn, auf dem Stroh liegend, nicht in Frieden liegen ließ, sondern ihm die Ohren abfressen wollte; das Weib aber wollte nicht zu Hause gehen, sondern sagte und sang, indem sie forttanzte:

      Gebt der Sau was Kaff, Kaff, Kaff,
So frißt sie meinem Mann die Ohren nicht ab.

(Vgl. Buhske di Remmer.)

Sagterländisch.

(Anfang des 19. Jahrhunderts.)

Junge fente quede wel wat, kerrel, kostu mi do olde wette wel telle? Wi hidene fre fisken, fre jagjen, fre baddenjen, fre broen, fre sganken, wi wiren fre fon't ror, hidene fre hondel un wondel, hidene uz fest wikjeld un sget un ßettene uz aien brak, to'n hogsten an tunne bor, faur borgemestern in elk ßaspel. O, wan ik dar an tanke, dat liend biet mi.

Hochdeutsch:

Junge Bursche sprechen wohl etwas, Kerl, kannst du mir die alten Gesetze wohl sagen? Wir hatten freie Fischerei, freie Jagd, freies Branntweinbrennen, freie Brauerei, freies Ausschenken, wir waren frei vom Gewehr, hatten freien Handel und Wandel, wir hatten unser festes Wochengeld und setzten unsere eigenen Brüche, zum höchsten eine Tonne Bier, vier Bürgermeister in jedem Kirchspiel. O, wenn ich daran denke, mein Leib (Körper) bebt mir.

(Ehrentrauts Friesisches Archiv 1849.)

Gewähltes Ostfr.-Plattdeutsch.

(Anfang des 19. Jahrhunderts.)

Wo Jan Lüken un sien Vaar hör Mann ankamen sünd.

Plierogde Wübkemö un Moor sünd beide free wat an de fiene Kante.

As se so bieenander bi de Kunkelpott sitten, word der ehrlieks wat verhackstückt. Elk, van de Röttmester an bet to de Bisejager, kriegen se bi de Kanshaken. Van Vaar word der ook wol so eets wat klönt. 't leepste is, dat de Fleerdagge all mien Schüfkes an Moor verklootfegt, un denn schnoopt se noch faken alle Klumpkes schier up, dat der geen Raband över blifft! – Dat olle Beest!

Nu harr se van Mörgens hier wer flinkfiestert, un kreck was se der wer langs gahn, as ick mien Moor nett up de Drüppel in de Möte quam. Se sagg so vermoords hellsk ut un truck freeslike Schuren vör dat Troontje. Ick gißde stünds, Wübkemö harr hör wer wat inschüünt, denn se was kreck ander Mörgens in de Winkel west, as ick un mien Karnütjes Piepdöpsels köfft harren. Dat harr se nu ook nafleert. Denn Moor greep mi radsdi na de Knappsack, un pluts! luukde se de Pusse darut. – So, Range, sä se, hest du all Weet van so wat! – un bloots! gaff se mi mit de Rubbe een Flirre liek in de Frete. – Jannes, reerde se nu, her mit de Kargism! 't is Saterdag, ick will di verhören. Nu, wat jahnst du? Nüssel nich so! Kittig! – Dar wull ick nu unnö an, denn ick kunn mien Lex man schraa, un buten dat bün ick nich heel schluuksk un gannig darna. Ut Benautheid summelde ick nu gau dat Kargism an de Kante un tierde mi, as wenn ick 't nich upstövern kunn. Do stund Moor hesebesig sülvst up un kreeg »Reineke Voß« van de Schörsteinbossen; de süggt kreck so ut, as dat Kargism. Do se de Focke upsetde un de Prente van Reineke un Isegrimm sagg, kunn ick 't Gniffeln un Schmüsterlachen nich verkroppen. – Wat! gniest du noch? scherst du mi de Geck an? sä se, un radsdi! kreeg ick een fellen Duff in de Mörbra. Ick deh de Galpert wiet open un schreevde. Moor, dat is een Gluptöge! Do sull ick noch een Habberdudas hebben – denn Moor is nich mehr so mall mit mi, sünt ick dör Klaas Brör in't Enterhuck komen bün – man mits quam Vaar. – Jannes, frog he, ho so schlurig? Büst du labeet, of hest dien Gerack nich had? Un du, Moor, süggst ook jo so wrantrig un klutrig ut, hei ji Scheel mitnanner had? – Ei wat wantrig, knurrde se, du verwanradst de ballstürige Jung noch heel un dall. Man so lank ick noch tack un risk bün, will ick hum noch up de Fudden sitten. Sügg, so'n Reve brukt de darten Schleef all – do hull se hum mien Pusse under de Nösters – un du giffst hum Boken mit sück laffe Prenten in de Poten – do gojede se Reineke up de Dele – un van dat Kargism weet he van Tews of Mews nich to seggen, kann telkens man een Plickje of Plackje darvan, man na dien wanschapen Spreckworden is he völ happiger un granniger. – Nu, Moorke, wor man nich gliek so hefig, sä Vaar, bedaar di man. De Kargism sall he ook lehren. Lat de Jung sien Döfke man, he is jo all een hennigen Fent un verquistert ook anners nix, un Reineke is wol putzig, man nich lelk, un in mien Spreckworden is nix Quads in. – Wat, nix Quads in, nix Quads? schnaude Moor hum an un wreef hum all de Spreckworden in, de he ins van de Dom'nees of van de hilge Prekstohl brukt of tegen hör seggt harr. Do fung Vaar wer an: Nu, mien Kroontje, mien Tütleef, Hartlapp, Lammerboltje, bedaar di doch – un eide un strakde hör um dat Kinn; man Moor worr all vieleiniger, so dat Vaar sück toletzt nich mehr krönen dürß. He was stuuf still un sien Tung was hum heel un dall belemmert; denn Moor is geen Katt sünder Hansken antofaten. He gung schlupsterts und sachtjes up sien Schluren na sien Upkamer, truck sien Buseruntje an un gung keiern.

Naschriefsel.

Moor hör Stuke is vörover. Se hett nu een gode Stiem un sück heel un dall bedaart. Mien Puße hebb ick ook al wer. Se harr hum man quantswies' up't Anricht leggt un van Avend eet wi Bollbeisjes. 't is doch een old god Blod!

(Gem. Nachr., 1806.)


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