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Dreizehntes Kapitel

Polizeiinspektor Zwießler hatte es doch für geratener gehalten, dem Herrn Polizeiamtmann Fischer selbst Meldung zu machen, bevor man weitere Schritte unternahm.

Denn es handelte sich nicht bloß um die Frage, ob man die Marianne vorläufig festhalten und dem Amtsgericht vorführen sollte – denn trotz aller Verdachtsgründe, die sich plötzlich gewichtig gegen die Tochter des Hauses, gegen Hedwig Steinhauser aufdrängten, schien der Gedanke, man habe in ihr die Diebin zu suchen, absurd – sondern es galt auch zu überlegen, welche Schritte man gegen die unbescholtene Tochter eines angesehenen Kaufmanns unternehmen wollte.

Aber selbst der Herr Polizeiamtmann war diesmal in hohem Grade unschlüssig und er schüttelte nachdenklich den Kopf, als er Eiseles Erzählung hörte. »Wir mußten das Fräulein mehrere Male rufen, bis sie die Treppe heraufkam, und als ich schnell nach ihr sehen wollte, glaubte ich zu bemerken, daß sie gerade der Köchin etwas übergab.«

»Und Sie haben es nicht sofort gemeldet?«

Eisele sah sehr schuldbewußt aus. »Ich maß dem Vorgang keine Bedeutung bei,« sagte er unsicher. »Der Gedanke, daß die Tochter die Täterin sein könnte, konnte damals doch nicht ernstlich in Erwägung gezogen werden.«

»So mußte es kommen,« erklärte der Polizeiamtmann ärgerlich. »Selbstverständlich hat doch dann die gründlichste Durchsuchung keinen Wert mehr. Wachtmeister Eisele, etwas Derartiges sollte einem gewiegten Polizeimann nicht passieren!«

Was Eisele in dieser Angelegenheit schon an Rügen hat anhören müssen, ist mehr, als er hat einschieben müssen, solange er bei der Polizei ist. Aber er schweigt und schluckt auch diese bittere Pille. Denn es ist nicht gut, des Vorgesetzten Grimm noch weiter zu reizen.

»Es ist ja nicht anzunehmen,« sagte, der Polizeiinspektor, »daß Herr Steinhauser Strafantrag gegen seine Tochter stellt. Aber unmöglich ist es doch nicht, und man wird nicht umhin können, weitere energische Nachforschungen anzustellen, schon um eine Verdunkelung der Sache zu verhüten und zu verhindern, daß irgend etwas vertuscht wird.«

»Sehr richtig,« sagte Amtmann Fischer etwas spöttisch. »Es ist ganz selbstverständlich. Das Verfahren ist einmal anhängig und muß zu Ende geführt werden, selbst wenn es einen unliebsamen Skandal gibt. Und anscheinend haben Sie nicht überdacht, Herr Polizeiinspektor, daß, selbst wenn die Köchin Marianne die Wahrheit angegeben hat und Herr Steinhauser keinen Strafantrag gegen seine Tochter stellen sollte, die Köchin Marianne der Begünstigung oder Hehlerei schuldig ist. Sie werden sich auch noch weiter zu überlegen haben, daß Fräulein Hedwig Steinhauser der falschen Anschuldigung verdächtig ist. Sie hat, obgleich sie selbst die Uhr entwendete, der Polizei gegenüber den Professor Nußotter als Täter verdächtigt, ihn wissentlich falsch angeschuldigt. Es gibt einen Paragraph 164 in unserm Strafgesetzbuch! …Ich muß bitten, Herr Polizeiinspektor, daß Sie ein bißchen mehr überlegen!«

Also hatte auch Inspektor Zwießler seinen Rüffel weg und Wachtmeister Eisele fühlte sich nicht unbedeutend erleichtert. Nun werde ich von dieser Seite ziemlich Ruhe haben, denkt er. Es hat folglich jeder Mensch seine schwache Seite. –

Durch das Zimmer des Polizeiamtmanns geht ein Engel. Das ist aber nur eine schlecht angebrachte Redensart, um die verlegene Stille zu bezeichnen, die auf die letzten Worte des Polizeiamtmanns entstanden ist. Denn durch dieses Zimmer mit seinen dicken, dunkeln, getäferten Wänden, der gewölbten Decke, den kleinen Fenstern, die kein Tageslicht hereinlassen, geht in Wirklichkeit niemals ein Engel, dazu ist die Stätte nicht angetan.

Wachtmeister Eisele denkt an die Nase, die er selbst erhalten hat und die jetzt auch sein unmittelbarer Vorgesetzter erhielt, und freut sich, der Polizeiinspektor denkt an die Ungerechtigkeit des Vorwurfs, daß er mehr überlegen soll, und bereut es, daß er vor Abschluß der Nachforschungen dem Polizeiamtmann Meldung gemacht hat, und er denkt, daß doch immer alles an ihm hinausgehen soll, wenn etwas Unangenehmes passiert, der Herr Amtmann sinnt, wie man die heikle Geschichte am diskretesten weiterbehandelt, und der alte Amtsdiener Roth, der gerade im Zimmer des Polizeiamtmanns Dienst tut, denkt vermutlich gar nichts.

Ihn geht die Geschichte auch gar nichts an, er ist nicht von der Kriminalabteilung, vielmehr ist er nur hereingekommen, weil er wegen der Herstellung des neuen städtischen Adreßbuchs dem Herrn Polizeiamtmann zur Hand sein muß.

Diese allgemeine feierliche Stille unterbrach plötzlich in unangenehmer Weise die schrille Klingel des Telephons, die aus dem Nebenraum ertönte, und der Amtmann fuhr aus seinem Nachdenken empor. »Sehen Sie auch nach, Roth,« sagte er verdrießlich. »Das Telephon soll der+…« Er verschluckte den Nachsatz. »Man kann nichts Gescheites denken bei dieser fortwährenden Klingelei!«

Es war dies zwar etwas übertrieben, denn es war das erste Mal, daß das Telephon des Polizeiamtmanns heute in Tätigkeit trat, aber man kann die Übertreibung verstehen, da dieses Geklingel regelmäßig in den ungeschicktesten Augenblicken zu erfolgen pflegt.

»Nun?« fragte er doch interessiert, als sich die Tür wieder öffnete und der Amtsdiener Roth aus dem Telephonzimmer zurückkam;

Der Amtsdiener war keiner der erleuchtetsten Männer im Rathause. Er lächelte töricht vor sich hin. »Es ist nichts, Herr Polizeiamtmann,« sagte er, wie nebenbei.

Das ärgerte den Vorgesetzten aufs neue. Erst wird man im wichtigsten Punkte der Beratung gestört, und wenn man frägt, was die Störung hervorgerufen hat, so ist es nichts. Das ist noch schlimmer, als wenn man wirklich ernstlich unterbrochen würde. »Einfalt!« knurrte Fischer. »Etwas muß es doch gewesen sein, sonst hätte man nicht angerufen. Und warum lachen Sie denn so geistreich?«

Sofort nahm Roth eine ernsthafte Miene an. »Es war nur falsch verbunden,« sagte er und die Heiterkeit blitzte ihm wieder aus den Augen.

»Teufel noch einmal! Was freut Sie denn so?«

»Weil gerade das Fräulein Hedwig Steinhauser am Telephon war, von dem der Herr Polizeiinspektor vorhin gemeldet hat.«

Einen Augenblick stutzten alle die andern, der Amtmann, der Inspektor, der Wachtmeister. Es kommt ja dann und wann vor, daß man von der Sprechstelle falsch verbunden wird, aber allen dreien kommt doch derselbe Gedanke: Ein sonderbarer Zufall! Wenn er Bezug hätte auf den Diebstahl!

»Wie? Wie?« sagte der Polizeiamtmann ungeduldig. »Das möchte ich genauer hören! Nehmen Sie Ihre Sinne zusammen, Roth, so weit es Ihnen möglich ist, und erzählen Sie ganz genau, was soeben am Telephon geschehen ist.«

Darauf erzählte Roth den Vorfall ganz genau.

»Ich nehme das Hörrohr in die Hand …›Ja?‹ sage ich. ›Ist der Herr Doktor zu sprechen,‹ fragt ein Fräulein. ›Nein‹ sage ich. ›Wer ist dort?‹ ›Fräulein Hedwig Steinhauser. Ich muß den Herrn Doktor sofort sprechen, ganz dringend sprechen!‹ Ich merke gleich, daß sie falsch verbunden ist. ›Hier ist kein Herr Doktor,‹ sage ich …›Mit wem wollen Sie denn sprechen, Fräulein?‹ ›Sind Sie nicht der Schreiber des Herrn Rechtsanwalts Zoller?‹ ›Ach woher!‹ sage ich. ›Sie sind falsch, Fräulein, hier ist Nummer 686.‹ ›Ach,‹ sagt sie und man hört, daß sie wild wird. ›Ich verlangte doch Nummer 1686.‹ Und gleich darauf läutet das Fräulein ganz rasend ab und ich hänge das Hörrohr wieder auf. Das ist alles, Herr Polizeiamtmann.«

Die drei Polizeibeamten horchten auf. »Ei der Kuckuck,« sagte Fischer, »da hätte man bald etwas zu hören bekommen!«

Inspektor Zwießler vergaß vor dienstlichem Interesse die erhaltene Nase. »Den neuen Rechtsanwalt will sie sprechen, muß sie sprechen, muß sie dringend sprechen!« sagte er mit Betonung.

»Das ist sehr verdächtig,« erlaubte sich der Wachtmeister eine Bemerkung mit dumpfer Stimme.

Polizeiamtmann Fischer zog mit nervöser Hand die Uhr aus der Tasche. »Die Entschließung drängt …Aber wie doch der Zufall spielt! Es kann wohl kaum mehr ein Zweifel sein, daß die eigene Tochter die Täterin ist! …Sie hat Lunte gerochen, sie hat ein schlechtes Gewissen und deshalb ist ihr erster Gedanke, daß sie einen Rechtsanwalt nehmen will. Aber wir müssen es verhindern, auf alle Fälle müssen wir ihr zuvorkommen. Wenn sie sich erst mit Rechtsanwalt Zoller beredet hat, geht die ganze Geschichte in Scherben und verläuft wie das Hornberger Schießen …Also die Sache drängt …Nur das eine ist mir noch nicht klar,« sagte er nach einer kleinen Pause etwas ruhiger zu seinem Vertrauten, dem Polizeiinspektor gewendet, »das Motiv, das Motiv! Es soll mir ein Mensch erklären, wie das Fräulein dazu kommt, ihrem Vater die Uhr zu stehlen!«

»Ja, das Motiv!« sagte der Polizeiinspektor und machte ein gelehrtes Gesicht, weil er im Augenblick auch keinerlei Antwort zu geben wußte.

Der Wachtmeister wagte wieder eine schüchterne Bemerkung. »Wäre es nicht denkbar, daß sie etwas Geld unter die Hand bekommen wollte? Die Uhr soll ja unter Kennern vierhundert Mark wert sein. Und vielleicht wurde das Mädchen zu Hause knapp gehalten und solch ein Fräulein hat mancherlei Wünsche, und wenn es nur Näschereien sind oder Schmuckgegenstände.«

Das wollte den andern nicht recht einleuchten, die Erklärung war auch gar zu unbefriedigend.

»Möglich ist es ja,« sagte der Polizeiamtmann. »Roth, hätten Sie nicht auch noch einen Augenblick warten können mit Ihrer Enthüllung!« setzte er halb im Ernst, halb im ärgerlichen Scherz hinzu. »Wir hätten gewiß auf die allereinfachste Weise erfahren, wo wir daran sind und warum sie den Rechtsanwalt so dringend zu sprechen wünschte.«

Der alte schwachsinnige Amtsdiener Roth lachte einfältig. »Oh,« sagte er mit Überzeugung, »das kann ich mir schon denken. Man weiß, was man weiß!«

Nun brach dem Polizeiamtmann der Geduldsfaden. »Sprechen Sie doch nicht so töricht heraus! Was können Sie sich denken? Was wissen Sie?«

Der alte Diener schien gekränkt. »Man weiß, was man weiß,« sagte er noch einmal, aber diesmal ohne die gewohnte Heiterkeit. »Meine Frau ist nämlich Wäscherin bei der Frau Steinhauser, und da erfährt sie natürlich dies und jenes. So hat sie auch erfahren, daß Fräulein Hedwig Steinhauser den Professor Nußotter heiraten sollte. Sie mag ihn aber gar nicht, den Professor. Und da wird sie wohl den Rechtsanwalt befragen wollen, ob sie den Professor heiraten muß oder nicht. Das ist so mein Gedanke, Herr Polizeiamtmann. Ich weiß es ja nicht gewiß, aber es wird schon so sein.«

Der Polizeiamtmann schien plötzlich in der größten Aufregung. Er nahm sogar den alten Diener am Arm und rüttelte ihn. »Mensch,« sagte er mit starker Stimme, »wissen Sie das ganz gewiß, daß sie den Professor Nußotter heiraten sollte und daß sie das nicht wollte?«

»Nun freilich, Herr Polizeiamtmann! Meine Frau weiß es von der Köchin, der Marianne, und die wird es doch wohl wissen!«

Der Polizeiamtmann schlug leicht mit der geballten Faust auf den Tisch. »Nun ist die Sache geklärt! Nun haben Sie das schönste Motiv, das sich denken läßt! Nun erklärt sich aber auch alles!+… Darum beschuldigte sie den Professor der Tat! Das Mädchen hat die Uhr entwendet, nicht um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, sondern um den Professor in Verdacht zu bringen, ihn in Mißkredit zu bringen, um ihn nicht heiraten zu müssen! …Das ist so klar wie Tinte! …Herr Polizeiinspektor, lassen Sie sofort Frau Steinhauser holen, damit man sie von der Sachlage in Kenntnis setzt! …Nun haben wir ja die Geschichte!«

-

Eine Stunde später ging folgendes Telegramm an Herrn Kaufmann Steinhauser in Meran ab:

»Furchtbarer Skandal passiert!
Komm sofort zurück.

Amalie.«


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