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Zwölftes Kapitel

Heute war ein böser Tag für die Schutzleute Wachter I und II, sie mußten sich fast die Beine aus dem Leibe rennen. Das war ein ewiges Kommen und Gehen von der Polizeiwache und zu der Polizeiwache.

Und noch durch etwas andres zeichnete sich dieser Tag aus. Jeder einzelne der Polizeibeamten stieg zur höchsten Glorie empor, durfte sich der Sonne des Glücks erfreuen, durfte aus dem berauschenden Becher des Ruhms nippen, und sank wieder plötzlich zur stillen Freude der Kollegen auf seine frühere bescheidene Stufe zurück.

Erst war es Wachter I, der den Hafnergesellen Ackerknecht überführte, dann war es Wachtmeister Eisele, der stundenlang im Triumphgefühl schwelgte, und auf ihn folgte der Polizeiinspektor mit seiner genialen Entdeckung, die ihm sicherlich Ehren genug eingebracht hätte, wenn nicht der kleine Schwägerle, nachdem er erst alles im Bewußtsein des von ihm verübten schlechten Streiches an Professor Nußotter abgeleugnet hatte, schließlich infolge der Hartnäckigkeit, mit welcher der Junge ihn als den Mann mit der Uhr bezeichnete, seinen Anteil eingestanden, aber zugleich sich zu seiner Entlastung auf den Maler August Wiedmann berufen hätte.

Und als der ehrliche August Wiedmann herbeigeholt war, verblaßte der Stern des Polizeiinspektors in einem Augenblicke. An seine Stelle trat nun plötzlich der, der am bescheidensten im Hintergründe stand und über dessen Konjunktur die andern mit einem mitleidigen Lächeln zur Tagesordnung übergegangen waren.

Vergeblich hatte August Wiedmann den Versuch gemacht, unter Aufopferung seiner eigenen Person seine Liebe zu schützen, indem er mit der größten Unverschämtheit zwar nicht ableugnete, dem Schwägerle das Paket mit der Uhr gegeben zu haben – denn so schlecht konnte er nicht sein! – aber behauptete, er könne sich nicht erinnern, wie er zu der Uhr gekommen sei.

Darauf brach ein Sturm der Entrüstung los, dem aber August Wiedmann keck die Stirne bot. –

Jetzt war der Zeitpunkt für ein erfolgreiches Einschreiten des Schutzmann Wachter II gegeben.

Er tat es und gab sogar in treuer Pflichterfüllung seine alte Freundschaft preis.

Ob er ihm, Wachter II, nicht einmal in der Frauenstraße vor der Wirtschaft »Zum roten Husaren« gesagt hätte, er werde zu seinem Geburtstage von seiner Marianne eine Uhr bekommen? Ob er das auch leugnen wolle? In der Entrüstung über die dreiste Stirn des Malers sagte er sogar »Sie« zu ihm. Damit war der Bruch besiegelt für alle Zeiten.

Nachdem die Uhr im Hause Steinhauser weggekommen war, Marianne ihm eine Uhr versprochen hatte und die Uhr bei ihm, August Wiedmann, sich vorfand, wie hätte er noch leugnen können, das Paketchen mit der Uhr von Marianne erhalten zu haben. Das vermochte selbst er nicht.

Mit umwölkter Stirne und einem haßerfüllten Blick auf den ehemaligen Freund legte er also ein Geständnis ab und von da ab verharrte er in einem undurchdringlichen Schweigen und ließ apathisch alle Fragen und alle Vorwürfe über sich ergehen.

Christian Philibert Schwägerle aber wurde, wenn auch ungern, entlassen und entfernte sich, so eilig er es vermochte, mit eingezogenem Genick, als fürchte er Schläge zu erhalten.

Das Telephon trat wieder in Tätigkeit. Frau Amalie Steinhauser wurde gebeten, doch möglichst umgehend die Köchin Marianne auf die Polizeiwache zu schicken.

Da sie kam, wiederholte sich in der dunkeln, unidealen Kanzlei ein dramatischer Auftritt. August Wiedmann wagte nicht die Augen aufzuschlagen, aber Marianne, die keinen Augenblick zweifelte, warum sie »gebeten« wurde, ging stolz erhobenen Hauptes an ihm vorüber.

»August,« sagte sie, »entweder bist du ein Schwachkopf oder ein ganz miserabel schlechter Verräter!«

Diese Ankündigung übertraf die kühnste Erwartung des Schutzmanns Wachter II. Denn sie ließ das kommende Geständnis voraussehen.

Also war er jetzt der Held des Tages.

» Sie waren es, die dem Maler August Wiedmann die Steinhausersche Uhr gaben?« fragte der Polizeiinspektor strenge.

»Ja, ich gab diesem Menschen das Paket. Warum er aber mit demselben sofort auf die Polizei gelaufen ist, das verstehe ich nicht,« gab sie zur Antwort.

Darauf hörte man einen doppelten Ausruf. Der eine, schmerzliche, kam aus dem Munde des armen Bräutigams, der mit hängenden Armen dastand und im Gefühl seiner Ungeschicklichkeit aussah, wie ein Häufchen Elend, der andre, strenge, kam aus dem Munde des Polizeiinspektors.

»Schweigen Sie! Sie« – mit starker Betonung! – »Sie haben es nicht nötig, den Mann zu beschimpfen, eine solche Person!«

Das war fehlgeschossen von dem Herrn Polizeiinspektor. Man sieht, daß sogar ihm einmal etwas passieren kann. Seit Marianne von Fräulein Hedwig Steinhauser das Paket erhalten hat und weiß, was sie jetzt weiß, ist sie gar nicht mehr so niedergeschlagen und zerschmettert, wie damals, als man ihr die Durchsuchung ankündigte, als sie noch annehmen mußte, es werde der Verdacht an ihr hängen bleiben. Nun trägt sie den Kopf stolz und hoch, denn sie weiß, sie darf ja nur den Namen Hedwig Steinhauser nennen und ist selbst aus jeder Fährlichkeit.

»Person?« sagte sie und warf den Kopf zurück. »Ich werde einmal meinen Rechtsanwalt fragen« – sie sagte meinen Rechtsanwalt! – »ob es gestattet ist, mich eine Person zu heißen.«

Darauf schluckte der Herr Polizeiinspektor und wurde in seinem Tone noch schärfer als zuvor, aber er nahm sich in acht und gebrauchte diesen Ausdruck nicht mehr. »Sie können gehen, August Wiedmann, vorerst brauche ich Sie nicht mehr.«

Mit einem rührenden Blick auf Marianne, der aber ohne Wirkung blieb, denn Marianne schien vergessen zu haben, daß hier ein Maler August Wiedmann ist, entfernte sich der Unglückliche.

»So, nun kommen wir an sie,« sagte der Polizeiinspektor unheilverkündend. »Wollen Sie jetzt zugeben, daß Sie die Uhr gestohlen haben?«

»Ich? Fällt mir gar nicht ein! Ich habe die Uhr nicht gestohlen, ich habe meiner Lebtage noch nicht gestohlen!«

»Nicht?« sagte der Polizeiinspektor.

»Nicht?« sagte Schutzmann Wachter II.

»Nicht?« wiederholten Eisele und Wachter I, alle voll Erstaunen über diese Frechheit.

»Aha,« nahm der Polizeiinspektor wieder das Wort, »Sie sind eine geriebene!«

Er hatte heute entschieden eine unglückliche Ausdrucksweise. Schon wieder lag ihm das verpönte Wort auf der Zunge. »Da müssen wir systematisch vorgehen. Setzen Sie sich!«

Und Marianne setzte sich, stolz und aufrecht, strich sich die blendend weiße Schürze glatt, drückte eine Haarnadel in ihrer kunstvollen Frisur zurecht und sah siegesgewiß und ohne Scheu einen der Männer um den andern an.

»Von der Geschichte mit der silbernen Dose will ich schweigen,« begann der Polizeiinspektor.

»Meinetwegen können Sie auch davon reden,« war die ungenierte Antwort.

»Hm! Hm! …Vielleicht kommen wir ein andermal darauf zurück. Sie geben zu, daß Sie Zutritt hatten zu dem sogenannten blauen Zimmer, in dem die Uhr lag?«

»Das wäre noch schöner, wenn ich als Köchin und Mädchen für alles nicht Zutritt hätte.«

»Sie geben zu, daß Sie dem Maler August Wiedmann zum Geburtstage eine Uhr versprochen haben?«

»Ja, aber es reut mich, so viel ich Haare auf dem Kopfe habe.«

»Sie geben zu, daß Sie aber zuerst überhaupt abgeleugnet haben, einen Geliebten zu haben?«

»Ganz richtig, weil das keinen Menschen was angeht! Ich habe den Schutzmann auch nicht danach gefragt, ob er verheiratet ist.«

»Hm, hm! Sie geben auch zu, der Frau Steinhauser abgeraten zu haben, Anzeige bei der Polizei zu erstatten und geraten zu haben, sich lieber an den Kommissionär Schwägerle zu wenden?«

Marianne schürzte die Lippen. »Von dem Schwägerle hat mir der August Wiedmann einmal erzählt. Wenn ich gewußt hätte, daß der Mensch ein solcher Schwachkopf ist – den August meine ich – wär' mir es natürlich nicht eingefallen.«

»Ich will von andern kleinen Indizien absehen, daß Sie erschraken, als Schutzmann Wachter II kam, und so weiter, ich frage Sie jetzt nur noch einmal: Sie geben zu, daß Sie das Paket mit der Uhr Ihrem Geliebten August Wiedmann gegeben haben?«

»Ganz richtig.«

Der Polizeiinspektor sprang auf. »Und da haben Sie noch die Stirne zu behaupten, Sie hätten die Uhr nicht gestohlen?«

»Ja, die hab' ich!«

Nun schwoll aber die Stimme des Polizeiinspektors zu einer beträchtlichen Stärke an. »Wo haben Sie dann die Uhr her? Wahrscheinlich von der Frau Steinhauser oder von dem Fräulein Steinhauser?« Er nannte aufs Geratewohl diese Namen, um die Frechheit ihrer Lüge zu unterstreichen.

»Ganz richtig,« sagte Marianne kalt, »ich habe sie von Fräulein Hedwig.«

Nun waren sie alle platt und stumm. Nur Herr Zwießler lachte schrill und höhnisch auf. »Nicht wahr, geschenkt erhalten?«

»Nein, gar nicht geschenkt erhalten. Nur zum Aufheben bekommen!«

Hier konnte sich Schutzmann Wachter II nicht mehr zurückhalten. Er klatschte sich mit der flachen Hand auf den Schenkel, daß es knallte. Hat man je so etwas gehört, hieß das!

Inspektor Zwießler warf ihm einen mißbilligenden Blick zu, aber er rügte sein Benehmen nicht weiter, denn er konnte den Mann, dessen Vermutung sich doch nun vor allen andern als richtig erwiesen hatte, und seine Erregung verstehen. »So,« sagte er spöttisch zu Marianne, »zum Aufheben haben Sie sie erhalten? Wissen Sie was? Ich streite nun nicht mehr länger mit Ihnen herum, ich denke, ich will Sie selbst nun auch aufheben, in sicherem Gewahrsam will ich Sie aufheben, und morgen werden Sie dem königlichen Amtsgerichte vorgeführt. Haben Sie mich verstanden?« Damit wandte er sich in schwerem Zorne ab und schien das Verhör als beendigt zu betrachten. –

Wie es kam, daß Marianne ihre junge Herrin verriet und alles angab, daß Fräulein Hedwig damals, als die Reihe der Durchsuchung im Steinhauserschen Hause an ihr Zimmer kam, leichenblaß die Treppe hinaufsprang, so lange die Polizei noch in den Gastzimmern war und leichenblaß wieder herunterkam von ihrem Zimmer und ihr das Paketchen mit der Uhr in die Hand drückte und kaum zu sprechen vermochte vor Schrecken und Not, und wie sie wider Willen das Päckchen behalten mußte, das ist leicht verständlich. Wenn man unschuldigerweise in das Gefängnis abgeführt werden soll, in ein dunkles und gräßliches Gefängnis, in dem Mäuse und Ratten über den Weg springen und man vor Furcht geradeswegs tot sein könnte, da öffnet sich der Mund. Da konnte auch die trotzige Marianne nicht mehr standhalten und ihrer Herrin nicht mehr helfen.

Darum erzählte sie jetzt alles, was sie wußte – es war allerdings nicht viel mehr – haarklein und mit den lebhaftesten Farben schildernd. Und es ging ein großes Erstaunen durch das Zimmer.

Nur der Schutzmann Wachter II schien nicht zu staunen. So leicht ließ er sich die Früchte seines Sieges nicht entwinden. Da alles schwieg, nahm er sich den Mut und sagte ganz laut in der allgemeinen Stille: »Das ist aber doch ein ganz infamer Schwindel!«

Das war das erlösende Wort. So dachte auch Herr Polizeiinspektor Zwießler. »Sie haben ganz recht, Wachter,« sagte er. »Es ist ja geradezu blödsinnig, was dieses Frauenzimmer da vorbringt. Wie soll denn Fräulein Hedwig Steinhauser dazu kommen, ihres Vaters Uhr zu stehlen? Da könnte man sich ja an die Stirne greifen über solch einem Unsinn!«

Er wollte noch eingehender diese Unsinnigkeit darlegen, aber er hielt inne. Wachtmeister Eisele war aufgestanden. Sein Gesicht zeigte eine seltsame Mischung von Verlegenheit und Grauen als er sagte: »Um Vergebung, Herr Polizeiinspektor! Das Mädchen sagt doch die Wahrheit. Ich habe es selbst mitangesehen. Jetzt erst wird mir verständlich, was damals auf der Treppe passierte!«

Darauf entstand wiederum eine große Stille.


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