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Viertes Kapitel

In dem unteren Teil der Frauenstraße war an der Wirtschaft zum ›Roten Husaren‹ ein langes Gerüst aufgeschlagen und auf demselben saß ein Malergeselle und pinselte frisch und froh an dem neuen Wirtschaftsschilde, das die ganze Länge des Hauses einnahm. Er hatte ein langes, farbenverkleckstes Hemd an, das um die Hüfte durch einen Gürtel zusammengehalten wurde, und auf dem blondlockigen Kopfe einen mit den schönsten Farben gezierten dreieckigen Helm aus Zeitungspapier, wie ihn sich die Buben zusammenzufalten pflegen.

Der Maler setzte sein Lineal an, maß und zeichnete und bog sich wieder weit zurück, um wohlgefällig sein Werk aus der Ferne zu betrachten, das er offenbar für sehr gut befand. Er hatte ein hübsches keckes Gesicht, und die Arbeit hinderte ihn nicht, seine Lieblingsarie aus einer unbekannten Oper vor sich hinzupfeifen, vielleicht war es auch bloß der Radetzkymarsch, so genau war das nicht zu unterscheiden.

Er mußte sehr vielseitig sein, denn bei alledem fand er noch genügend Zeit, nach rechts und links die Straße hinabzusehen und zu beobachten, wie die Dienstmädchen ihre Einkäufe machten. Nur jetzt war er gerade an einem schwierigen Punkte angelangt, dem Buchstaben H in dem Worte Husar, der seine volle Aufmerksamkeit und sein ganzes Können derart in Anspruch nahm, daß der Künstler nicht einmal seinen Freund, den Schutzmann Wachter II, aus dem engen Rosengäßchen herauskommen sah.

Auch Schutzmann Wachter II war ein Mann, der, wenn er schon seinen Beruf mit großer Hingebung und Treue ausfüllte, auch noch für Dinge außerhalb seines Berufes lebhaftes Interesse zeigte. Er war soeben auf einem Dienstgang begriffen und hatte nicht so bald das Gerüste und den Maler entdeckt, als er hinter demselben auf die Straße trat und mit lebhafter Anteilnahme die Vollendung des Kunstwerks verfolgte.

Endlich war der letzte Bogen in scharfen, sauberen Konturen auf der Wand zu sehen und der Maler legte zufrieden den Pinsel weg, als er hinter sich die Stimme des Schutzmanns Wachter II hörte.

»Schon so fleißig, August?«

Der Maler zeigte keinerlei Überraschung. »Geht an,« sagte er gleichgültig und begann wieder genau an dem Punkte seines Liedes weiter zu pfeifen, an dem er vorher der Schwierigkeit seiner Arbeit halber aufgehört hatte.

Wachter II ärgerte sich ein wenig, weil der andre so wenig Notiz von ihm nahm, aber nur einen Augenblick. »Du hast es schön, August,« sagte er mit leichter Wehmut in der Stimme. »Immer lustig und munter?«

Nun drehte sich der Maler schnell nach ihm um und brachte mit großer Gewandtheit seine Beine auf die andre Seite des Bretts, auf dem er saß, so daß er jetzt seinem Freunde das Gesicht bot. Nach der Vollendung dieses schwierigen Teils seines Werkes hielt er sich offenbar für berechtigt, eine Pause in der Arbeit eintreten zu lassen. Er war ein Witzbold und liebte eine kleine Unterhaltung.

»Warum soll ich nicht lustig und munter sein?« sagte er. »Wenn ich doch morgen meinen Geburtstag feiere?«

»So? …Ich gratuliere herzlich.« Der Schutzmann ging auf den eingeschlagenen Ton ein. »Jedenfalls kriegst du auch ein schönes Geburtstagsgeschenk?«

»Natürlich! Diesmal bekomm ich was ganz Feines!«

»Da wäre ich doch auch neugierig, was und von wem?«

Der lustige Maler warf sich in die Brust. »Oho, Freund, du meinst wohl, es sei alles nichts? …Die reinste Wahrheit!« Er klopfte sich beteuernd auf die kräftige Brust, daß es hohl klang. »Eine Uhr erhalte ich zum Geburtstage, eine schöne Uhr.«

»Herkules!« sagte der Schutzmann ungläubig. »Darf man auch fragen von wem?«

Der Maler machte ein ungemein drolliges Spitzbubengesicht. »Weiß mir ein schönes Schätzelein, mit zwei schwarzbraunen Äugelein, die mir, die mir, die mir das Herz erfreut,« trällerte er. »Und eine Uhr zum Geburtstag schenken will,« setzte er hinzu.

Schutzmann Wachter II lächelte verständnisinnig. »Willst du wieder einmal einen für Narren halten, August?«

»Oh!« Der Maler machte ein tiefernstes Gesicht und legte die flache Hand auf die linke Brustseite. »Ich liebe.«

Wachter II lachte immer vergnügter. »Und wer ist die Glückliche?«

Der Maler wurde pathetisch. »Es ist kein Geheimnis, wen August Wiedmann liebt! …Es ist die Marianne bei Herrn Steinhauser am Weinhof,« setzte er leiser und vollkommen ernst hinzu. »Diesmal ist es richtig. Wir haben uns das Heiraten versprochen.«

Dem Schutzmann blieb vor Erstaunen der Mund offen. »Allen Ernstes?« fragte er und er war soeben im Begriffe, diese interessante Neuigkeit noch eingehender zu erforschen, als er erschrocken innehielt. Der Maler gab ein leises Warnungszeichen und warf schnell beide Beine über das Sitzbrett zurück, seiner Arbeit zu. »Der Polizeiinspektor!« sagte er halblaut.

Sofort nahm der Schutzmann Wachter II in gerichteter Haltung seinen Patrouillengang wieder auf, indem er mit besonderem Eifer rechts und links spähte und sich bemühte, ein streng dienstliches Gesicht zu machen, bis ihn das Gelächter des Malers hinter seinem Rücken belehrte, daß er wieder einmal genarrt worden war. – Verdrießlich setzte er seinen Weg zur Polizeiwache fort.

-

Das Rathaus, in dem die Polizeiwache untergebracht ist, ist ein schönes großes Gebäude von ehrwürdigem Alter und auf den Hauptfronten ganz mit Fresken geschmückt. Mit seinen langen Reihen gotischer Fenster sieht es freundlich und doch achtunggebietend her, ein stattlicher Säulengang ziert seine nördliche Seite und eine hohe, breite, architektonisch ausgestattete Freitreppe führt zu den Räumen des imposanten Baus, in welchem die Stadtväter über Wohl und Wehe ihrer Mitbürger beraten und entscheiden, und der so recht das Wahrzeichen der guten alten ehrbaren Stadt selbst ist.

Wer aber aus diesem prunkvollen Gebäude schließen wollte, daß die Polizeiwache nicht minder schön sein müsse, befindet sich in einem erheblichen Irrtume. Es ist ein altes dunkles, rauchgeschwärztes Lokal von einer unglaublichen Nüchternheit und mit einem unangenehmen Beigeschmack, Kennzeichen, wie sie vermutlich sämtliche Polizeiwachen des Landes aufzuweisen haben.

Als Schutzmann Wachter II diesen wenig ergötzlichen Aufenthalt für Menschen – Schutzleute sind immer auch noch Menschen – betrat, kamen ihm infolge seines langjährigen Vertrautseins mit dieser Umgebung die angedeuteten Schattenseiten nicht so sehr zum Bewußtsein, zumal er durch den dicken Tabaksqualm nur mit Mühe zu erkennen vermochte, daß sein Namensvetter, mit dem er im übrigen keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen hatte, der Schutzmann Wachter I, der einzige Insasse der Wache, war.

Es fiel ihm aber auf, daß derselbe emsig schrieb und auf einem halbgebrochenen Bogen mit Eifer eine umfangreiche Meldung zu erstatten schien. »Etwas Neues?«

»Und ob!« erwiderte der andre und schrieb emsig weiter. –

Wachter I war ein Streber, der Ruhm und Ehre für sich allein erringen wollte. Aber als Wachter II Helm und Seitengewehr an den eisernen Haken der weißgetünchten Wand hing, hielt er inne und sah ihn von der Seite an, als überlege er, ob der andre würdig sei, um Rat gefragt zu werden. »Eine ganz dumme Geschichte!« sagte er.

»Wieso?«

»Vor einer Stunde war ein Mensch da, ein Hafner, und erstattete Anzeige. Es ist in dem Hause, solange er da war und die Ofen rußte, eine Uhr gestohlen worden, und da man behauptete, er habe sie gestohlen, wehrt er sich und verlangt, daß man die Sache untersucht.«

Wachter II blieb kalt.

»Er selbst hat sie jedenfalls nicht gestohlen. Man hat ihn ausgesucht und die Uhr nicht gefunden. Er müßte sie nur gerade auf dem Wege zu seinem Meister weggeworfen oder irgendwo angebracht haben, und das ist doch kaum anzunehmen, zumal er fremd ist. Und wenn er selbst die Uhr gestohlen hätte, hätte er es doch nicht angezeigt?«

»Das scheint mir einleuchtend,« sagte Wachter II.

»Sonst ist aber in der kurzen Zeit – der Diebstahl ist in kaum einer halben Stunde entdeckt worden – niemand in das Haus gekommen.«

Wachter II ergötzt sich an der Verlegenheit seines streberhaften Kollegen. Er empfindet eine aufrichtige Schadenfreude, weil ihn dieser Kollege gerne über die Schulter anzusehen pflegt, und er möchte ihn deshalb noch mehr in Verlegenheit bringen.

»So heißt es immer,« sagte er deshalb, »und wenn inzwischen zwei Dutzend Menschen hereingekommen sind.«

»Es ist aber sicher, daß außer dem Hafner und einem Professor niemand in das Haus gekommen ist, denn es ist immer geschlossen und wird durch einen Aufzug geöffnet. Und man kann doch nicht annehmen, daß der Professor die Uhr gestohlen hat!«

»So hat es eben jemand im Hause getan.«

»Im Hause waren aber nur eigene Leute, die Frau und die Tochter des Bestohlenen, sowie die Köchin.«

Allmählich beginnt nun auch bei Wachter II sich das Interesse zu regen und er prüft, ob es nicht möglich wäre, dem überlegenen Kollegen den Rang abzulaufen und Licht in das Dunkel zu bringen. Es wäre doch ein großer Triumph, wenn er diesem Streber einmal zeigen könnte, daß andre Leute auch noch da sind, die etwas verstehen. »Die Frau wird die Uhr nicht genommen haben,« sagte er, »und die Tochter kommt wohl auch kaum in Betracht?«

»Was denkst du, es ist ausgeschlossen. Es handelt sich um ein gutes Kaufmannshaus, und die Tochter ist schon zwanzig Jahre alt.«

»So bleibt noch die Köchin.«

Wachter I legte kummervoll die Feder zur Seite, trocknete sorgfältig mit dem Tintenwischer die großen kräftigen Schriftzeichen seiner Meldung, klopfte seine kurze Pfeife aus, stopfte sie aufs neue mit dem Tabak aus einer getrockneten Schweinsblase und zündete sie an. Dann stand er auf und ging einigemal in dem rauchigen Zimmer auf und ab. »Ja, es kann niemand gewesen sein außer der Köchin«, sagte er. »Es bleibt nur die Köchin. Etwas andres ist ausgeschlossen …wenn es nicht doch der Hafner war und er die Anzeige nur gemacht hat, um den Verdacht von sich abzuwenden.«

Was ist doch dieser Mensch für ein unbeholfener Geselle, denkt Wachter II. Stets versteht er mehr als andre und es fehlt ihm doch jede Anlage, jedes Genie, jede Initiative und jede Entschlossenheit. Er ist ein Gernegroß, hinter dem nichts ist, wie bei allen seinesgleichen. »Weißt du,« sagte er, »ich hätte mich kurz besonnen, wäre hergegangen und hätte die Sachen der Köchin einmal durchsucht.«

Das ärgert den andern. Er hält ein mit seinem Spaziergang um den eichenen, verstoßenen und verklecksten Tisch und nimmt die Pfeife aus dem Mund. Seinen Kollegen aber sieht er mit einem Blick an, der bedeutet: Hältst du mich eigentlich für so dumm oder willst du mich bloß ärgern? »Das ging natürlich nicht an. So grob darf man doch nicht vorgehen. Ich denke, dazu gehören mehr Anhaltspunkte. Sonst kommt man am Ende selbst in die Patsche und steht in der Zeitung, bevor man sich umsieht. Man kennt das!«

»Nun, dann läßt du es eben bleiben,« sagte Wachter II. In seinem Innern aber heißt er ihn ein Hasenherz und ist im Begriffe, ihm jede Art von Hochachtung zu verweigern. –

An der hintern Wand des Wachzimmers hängt eine große, runde Uhr. Man sieht sie erst nicht, weil die gewölbte Decke den Blick behindert, und weil durch das kleine Fenster der armsdicken Wände überhaupt nur spärliches Licht bis zu der gegenüberliegenden Wand dringt, besonders aber, weil das Lokal beständig von Dunst und Tabaksqualm erfüllt ist. Aber die Schutzleute sind dieses Halbdunkel gewöhnt und sie sehen ganz genau, welche Zeit die Uhr zeigt. Sie ist sehr einfach und schmucklos. Aber das ist völlig Nebensache. Wenn sie nur genau geht, daß man nicht zu spät aus dem Dienst kommt.

Wachter II sah auf die Uhr und entdeckte, was er übrigens vermutlich schon vorher wußte, daß es sehr stark auf Mittag ging. Frau Anna Wachter war sehr pünktlich bei der Zurichtung des Mittagessens und er freute sich, daß es nur noch zehn Minuten bis zwölf Uhr war. »Wo ist denn die Geschichte passiert?« fragte er mit nur noch geringem Interesse.

Wachter I machte eine Bewegung mit dem Kopfe über die Schulter. »Gleich dort drüben, auf dem Weinhofe. Bei Herrn Steinhauser.«

»Oha!« sagte Wachter II.

Sein Kollege verstand nicht, was das heißen solle. Noch weniger aber verstand er, daß Wachter II plötzlich den Helm vom Haken nahm und das Seitengewehr umschnallte. »Wo gehst du denn hin?«

»Mir fällt da gerade etwas ein,« sagte er und ging; er ging sehr schnellen Schrittes durch die Lange Gasse bis zur Frauenstraße, und es kümmerte ihn wenig, daß sich die Leute nach ihm umsahen, und daß auch einige neugierige Jungen in angemessener Entfernung ihm folgten in der Erwartung der Festnahme eines Halunken oder eines ähnlichen schaudererregenden Auftrittes.

Schutzmann Wachter II ging aber nur noch einmal zu dem Maler August Wiedmann zurück und es traf sich glücklich, daß dieser eben erst seine Pinsel zusammenpackte. Er wollte nämlich ganz genau wissen, ob es dem Wiedmann ernst war oder ob er nicht bloß wieder Sprüche machte und ihn für Narren hielt, wie es seine Gewohnheit war. Und nachher mußte er noch einmal den ganzen Weg zurücklegen und mußte er auf den Weinhof und in das Haus des Herrn Steinhauser und sehen, ob es das Mädchen zugab, daß sie dem Wiedmann eine Uhr versprach. Dann aber muß sie sich auch zu einem Geständnis bequemen. Tut sie es aber nicht und bestreitet sie, was Wiedmann angegeben hat, dann ist ein Widerspruch hergestellt mit einer Zeugenaussage und dann ist der Beweis der Schuld erst recht da. So denkt Wachter II und seine Gedanken sind durchaus logisch.

Es kam auch so, wie er es sich gedacht hatte. Der Maler August Wiedmann machte eine Menge von Narrenspossen und stellte seine Geduld auf eine harte Probe. Der Mensch war nämlich überzeugt, daß der Schutzmann Wachter II nichts mehr und nichts weniger als eifersüchtig sei. Hernach aber, als der Schutzmann eine gar zu strenge Amtsmiene anschlug und er an dem Ernst der Lage nicht mehr zweifeln konnte, während er doch nicht sah, wo die Sache hinauslief, versicherte er mit zehn Eiden, daß er die Wahrheit gesagt habe.

Das genügt, denkt Wachter II. Jetzt noch schnell auf den Weinhof! Und ohne sich um den Maler August Wiedmann und sein Erstaunen weiter zu kümmern, machte er kehrt und ging in aller Eile den Weg zurück, so daß die Jungen, die die Hoffnung auf ein interessantes Abenteuer immer noch nicht aufgeben wollten, kaum Schritt zu halten vermochten und die Leute auf der Straße stehen blieben und kopfschüttelnd nach ihm umsahen.

Er änderte aber sein Verhalten gänzlich, als er an der Hauptwache vorüberkam und sich dem Weinhofe näherte. Der Schutzmann muß diskret sein. Er muß die Gefühle der Betroffenen schonen und darf sie bei den Nachbarn nicht in Mißkredit bringen, und da hierzu in der Regel allein schon das Eintreffen der Polizei genügt, muß er sich nähern, als wäre er ein guter Freund und käme, um seine Aufwartung zu machen. Der Schutzmann muß auch unauffällig kommen. Denn sonst entgehen ihm hundert Gelegenheiten und wird ihm der Täter unter den Händen entschlüpfen, da er auf sein Kommen vorbereitet ist. Er muß also so harmlos aussehen, als sei er nicht imstande, ein Kind zu schelten. Dabei aber muß er doch umsichtig sein, ein scharfes Augenmerk haben und darf sich nicht das geringste entgehen lassen.

Alles dies überlegte sich Wachter II ganz genau, als er am Weinhof eintraf. Er mäßigte deshalb jetzt seinen Schritt, legte die Hand auf den Rücken, versuchte sein Lieblingslied vor sich hinzusummen und vermied es peinlich, das Haus, auf das er zuschritt, auch nur anzusehen. In Wirklichkeit aber warf er mit gesenktem Haupt unter den buschigen Augenbrauen scharfe Blicke, drohte heimlich den Jungen mit der Faust, um sie davonzujagen, und war er jede Sekunde bereit, seine Handschellen, von deren Vorhandensein in der Tasche er sich überzeugte, in Gebrauch zu nehmen.

Er erweckte somit auf dem Weinhofe nur mäßiges Aussehen und es öffneten sich höchstens vier oder fünf Fenster an den Nachbargebäuden, als er mit ernstem Gesicht die Glocke an dem Steinhauserschen Hause in Bewegung setzte.

Bevor er das stille alte Haus, dessen Tür wie von Gespensterhand aufging, betrat, stellte er noch pflichtgemäß fest, daß allerdings die Haustür keinen Türgriff besaß, verschlossen und nur von innen durch einen Aufzug zu öffnen war, und daß die Fenster des Erdgeschosses durch kunstvoll geschmiedete Gitter vor jeglichem Einbruch gesichert waren. –

Das Eintreffen der bewaffneten Macht wurde im Hause sofort von zwei verschiedenen Seiten bemerkt, da Frau Steinhauser und Marianne gleichzeitig die Köpfe zu den verschiedenen Türen herausstreckten, um zu sehen, wer geläutet hatte. Während aber die Köchin, über das Auftauchen der Polizei anscheinend erschrocken, schleunig die Küchentür wieder schloß, schien Frau Amalie darüber erfreut zu sein.

Es gibt wenige Frauen, die in ihren Urteilen beständig sind. Das hängt damit zusammen, daß die Frau stets subjektiv, stets impulsiv ist. Auch die Frau Steinhauser ist nicht anders. Sobald sich der Inhaber des Detektivinstituts Schwägerle aus ihrem Hause entfernt hatte mit dem unbestimmten Versprechen, seine ganze Kraft in die Wiederauffindung der Uhr setzen zu wollen, sank sein Ansehen bei der Herrin des Hauses Steinhauser auf den Nullpunkt und ihr wandelbares Gemüt neigte sich beim Erscheinen des Schutzmanns Wachter dem berufenen Organ der Ordnung und Erforschung von Freveltaten zu, und sobald er ihr eröffnet hatte, weshalb er komme, erwies sie sich ihm überaus dankbar und gab ihm einen Überblick über die Tätigkeit Schwägerles und seine Erfolge, wonach nur der fremde Hafnergeselle der Täter sein konnte.

Dies war der Zeitpunkt für Wachter II, um aufzutreten. Er lächelte fein, aber mit leichtem Hohn. »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß sich dieser gewisse Schwägerle – wie Sie auch auf diesen Schwindler kamen! Schwägerle ist ein Schwindler, nichts weiter! – in einem bedeutenden Irrtum befunden hat,« sagte er bestimmt. »Der Hafnergeselle ist nicht der Täter.«

Darüber erschrak nun Frau Amalie doch ein wenig. »Sie werden doch nicht Verdacht haben auf+…?«

»O ja! Wenn nicht alles trügt, so ist es die Köchin.«

»Das wäre ja entsetzlich! Aber sehen Sie, ich hatte selbst augenblicklich Verdacht auf sie.« Und sie gab die Geschichte mit der silbernen Dose zum besten, die fehlte und nach einigen Tagen sich wiederfand.

Das war Wasser auf die Mühle des andern und da Vertrauen Vertrauen erweckt, so erzählte er, was er von August Wiedmann erfahren hatte.

Jetzt zeigte sich Frau Steinhausers impulsive Art. Sie schlug die Hände zusammen. »Da haben wir's ja! Nun ist jeder Zweifel ausgeschlossen! Also darum riet sie mir ab, auf der Polizei Anzeige zu machen und lieber zu diesem Duckmäuser zu gehen!«

Das interessierte wiederum den Schutzmann Wachter lebhaft. »Und darum erschrak sie vermutlich auch so, als sie mich die Treppe heraufkommen sah. Ich sah es sofort ganz genau.«

Frau Amalie Steinhauser war der Ansicht, es bedürfe jetzt keines weiteren Beweises mehr, und sie war bereit, die Verbrecherin sofort den Händen der Justiz zu übermitteln oder sie mindestens sofort aus dem Hause zu jagen, denn ihre Empörung war mächtig. Aber der erfahrene Schutzmann war andrer Ansicht. »Wir wollen sie auf alle Fälle doch noch befragen, ob sie einen Bräutigam hat. Wir werden ja sehen, was sie für eine Antwort darauf gibt, und sie gehörig in die Enge treiben.«

Es wird selten vorkommen, daß eine Köchin, von der Dienstherrin in Gegenwart eines scharfblickenden Schutzmanns befragt, ob sie einen Liebsten habe, dies zugestehen wird. Dies ist verständlich, denn es erscheint dies als ein ungerechter Eingriff in Privatangelegenheiten, wenigstens nach Ansicht der Befragten. Darum ist es auch nicht verwunderlich, daß Marianne in erregter und rechthaberischer Weise und unter Berufung darauf, daß sie ein ehrbares Mädchen sei, jede zärtliche Beziehung rundweg ableugnete, daß sie beim Verlassen des Zimmers heftig und mit hochrotem Gesicht die Tür hinter sich zumachte und die bestimmte Versicherung abgab, sie werde in einem Hause nicht länger bleiben, in dem man Verdächtigungen jeder Art ausgesetzt sei, und kurz und gut, am Ersten könne sich Frau Steinhauser nach einem andern Mädchen umsehen.

Schutzmann Wachter II zählte die Indizien an den Fingern auf. Außer dem Hafnergesellen, dessen Unschuld ziemlich sicher nachgewiesen ist, kann bloß die Marianne überhaupt in Betracht kommen, es ist sonst niemand in das Haus gekommen. Der Professor zählt ja nicht+… sie ist von früher verdächtig wegen der silbernen Dose …sie wird rot, wenn man sie fragt, ob sie einen Bräutigam hat und leugnet dies rundweg ab. Sie hat aber einen Bräutigam und hat ihm eine Uhr versprochen …sie hat ihm die Uhr gerade auf die Zeit versprochen, in der sie dann wegkam. Sie rät ab von einer Anzeige des Diebstahls auf der Polizei …sie erschrickt, wenn die Polizei kommt. Sollten diese Indizien nicht ausreichend sein? denkt sich Wachter II.

Darum eröffnet er jetzt der Verdächtigen den hochnotpeinlichen Beschluß der Durchsuchung.

Darauf kam ein weiteres, überaus wichtiges Indizium gegen die Köchin Marianne hinzu. Marianne wurde nicht zornig, nicht wütend, nicht ausfällig, sie war nicht beleidigt, nicht entrüstet, schimpfte nicht und wurde nicht grob, sondern sie begann furchtbar zu weinen, gestand ihre Brautschaft zu, gestand zu, daß sie ihrem August zum Geburtstage eine Uhr versprochen habe, und beteuerte nur unter solch flehenden Ausdrücken ihre Unschuld, daß es einen Stein hätte erweichen können.

Aber Schutzmann Wachter II ist kein Stein. Er ist Schutzmann und kennt seine Pflicht. Wenn ich alles so sicher wüßte, denkt er, als er in der Begleitung Frau Amalie Steinhausers Mariannes Kammer aufsucht, als daß ich jetzt die gestohlene Uhr finden werde, so wäre ich goldfroh und der glücklichste Schutzmann der Stadt. Ich werde zuerst die Kammer durchsuchen, nötigenfalls noch die Küche, und wenn ich die Uhr gefunden und der Eigentümerin zurückerstattet habe, werde ich Meldung machen. Und vielleicht werde ich kommenden Herbst zum Wachtmeister vorgeschlagen. So denkt er.

Aber die Uhr fand er nicht. Und darum stiegen Mariannes Aktien wieder, wenn auch nicht viel.


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