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Drittes Kapitel

Und er kam.

Frau Amalie Steinhäuser war keine besonders gescheite Frau, aber dumm war sie auch nicht, ganz und gar nicht. Als der Detektiv kam, gefiel er ihr nicht, ausgesprochen nicht.

Sie vermochte sich zwar nicht sofort klar darüber zu werden, warum er ihr nicht gefiel, aber Tatsache war, daß sie einen kleinen Augenblick sogar bereute, ihn gerufen zu haben. Dann aber dachte sie, daß Herr Schwägerle nur der Inhaber des Instituts sei und vielleicht eine Anzahl sehr geschickter, ansprechender Gehilfen beschäftigte. Sie begrüßte ihn daher mit einer mit Scheu und Ehrerbietung gemischten Vertraulichkeit, wie sie durch die Sachlage hervorgerufen wurde.

Herr Schwägerle war ein kleiner Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, hatte lange mißfarbene, stark mit Grau gemischte Haare, ein ebenso mißfarbenes gelbliches Gesicht mit vielen Runzeln um die Augenwinkel und ein Paar kleine, verschlagen blickende Augen, die dadurch besonders häßlich aussahen, daß das Weiße der Augen diesen Namen nicht verdiente. Er trug zu hellen Beinkleidern einen langschößigen Rock von gutem Stoff, der aber nicht für ihn zugeschnitten schien, und sah wie ein entlassener Strafgefangener aus, der einen neuen Anzug mit auf den Weg bekommen hat.

Frau Amalie führte ihn in das Empfangszimmer und erläuterte mit kurzen Worten – wie ihr wenigstens dünkte – den Tatbestand.

Es zeigte sich sogleich, daß sie dem Mann entschieden Unrecht getan hatte, und sie kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß sie ihm abzubitten habe. Denn er ließ sie ruhig ausreden und das nahm sie sogleich für ihn ein, und hernach sprach er ihr seine Anerkennung dafür aus, daß sie den gescheiten Gedanken gehabt hatte, die Marianne in ihre Küche zu sperren und Fräulein Hedwig auf ihr Zimmer zu verbannen.

Wenn sich Frau Amalie allerdings vorgestellt hatte, nun werde er seine Detektive nach allen Windrichtungen versenden, so täuschte sie sich, denn er erklärte ihr mit ruhiger Miene, daß er alles selbst besorge, sich nicht auf Gehilfen verlasse und grundsätzlich allein arbeite.

Hernach ließ er sich den Tatort zeigen, das blaue Zimmer, und insbesondere den Tisch, auf dem die Uhr lag und den er längere Zeit sorgfältig betrachtete. »Also hier lag die Uhr?«

»Ganz richtig.«

»Und später war sie nicht mehr da?«

»Später war sie nicht mehr da.«

»Die Nummer?«

»Leider nicht bekannt. Vielleicht hatte die Uhr auch gar keine Nummer, weil sie ein Altertum war.«

Herr Schwägerle zog die Augenbrauen auf eine drollige Art in die Höhe und bemerkte mit Bedauern, daß dies den Fall erschweren könnte. Ob man die Uhr mit Schlüssel aufziehe oder ob sie Bügelaufzug habe? – Nachdem er sich dergestalt orientiert hatte, begann er mit äußerster Sorgfalt das Zimmer abzusuchen und da er es nicht gerne hatte, wenn man ihm bei seiner Tätigkeit zusah, bat er Frau Amalie höflich, insolange das Zimmer zu verlassen.

Das tat sie denn auch mit klopfendem Herzen und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit auf das Rumoren des Mannes, wie er die Stühle rückte, unter den Kasten sah, auf den Schemel stieg, um auf der Kredenz nachzusehen, und sogar den Ofen aufmachte.

Endlich, endlich öffnete er die Tür und Frau Amalie durfte eintreten. Mit ängstlicher Neugierde sah sie ihn an und suchte zu erraten, was dieser seltsame Mensch wohl gefunden habe. Denn daß er tatsächlich eine wichtige Entdeckung gemacht habe, glaubte sie ihm an den Augen abzulesen. In Wirklichkeit aber war in diesen verschlagenen Augen nichts zu lesen, vielmehr war Herr Schwägerle ein schlauer Fuchs, der sich gerne den Anschein gab, als sehe er mehr als andre.

Da er so lange nichts sagte, sondern sinnend und anscheinend in Gedanken verloren in die Ferne blickte – er konnte nämlich durch das Fenster des Zimmers den Weinhof überblicken und sah gerade, wie sein alter Freund und Mitarbeiter Alois Treiber an der Synagoge vorüber in die Köpfingergasse hinein ging – hielt es Frau Amalie, die wie auf Nadeln war, nicht mehr aus. »Und haben Sie etwas gefunden?« fragte sie schüchtern.

Herr Schwägerle sah sie starr an, wie erstaunt über diese Frage. »Nun natürlich. Die erste Voraussetzung eines Erfolgs ist jetzt gegeben. Man muß in erster Linie Grund machen. Ich habe alles genau durchsucht und festgestellt, daß die Uhr in der Tat nicht mehr da ist. Das ist der Punkt, in dem unsre Tätigkeit einsetzen muß.«

Frau Amalie war zwar etwas enttäuscht, aber sie wagte es nicht einzugestehen, und da sie ihrer eigenen geringen Erfahrung in solchen Dingen bewußt war, ordnete sie sich dem kleinen Mann, der mit solcher Bestimmtheit auftrat, völlig unter. »Bitte, rufen Sie mir nun Ihre Köchin herein!«

Augenblicklich gehorcht Frau Amalie. Nun wird sie aber aufpassen. Sie will ihre Augen aufmachen, denkt sie, und sehen, ob die beiden schon einig sind miteinander. Kein Blick wird ihr entgehen, keine Miene, keine Silbe, die noch so leise gesprochen wird.

Aber sie sah auf den ersten Blick, daß ihr Verdacht völlig unbegründet war, und daß Marianne die Wahrheit gesagt hatte, als sie beteuerte, sie kenne ihn nicht selbst. An dem prüfenden Blick, den der Rechtsagent über das Mädchen laufen ließ, von unten bis oben, an dem verächtlichen Ausdruck der Augen, mit dem Marianne das kleine Männchen von oben bis unten musterte, erkannte sie sofort, daß die beiden einander völlig fremd waren.

Herr Schwägerle versuchte, sich ein vornehmes Aussehen zu geben, was ihm aber gänzlich mißlang. »Bitte,« sagte er mit höflicher Gebärde zu Frau Amalie, indem er gleichzeitig durch einen inquisitorischen Blick das Mädchen einzuschüchtern unternahm, »lassen Sie mich mit ihr allein.«

Aber er hatte sich gänzlich verrechnet und sein ganzer Angriff brach vernichtet zusammen angesichts der Frechheit dieses Mädchens. »Bilden Sie sich doch nichts ein,« sagte sie höhnisch. »Was werde ich mit Ihnen allein bleiben. Sie sind nicht so verlockend, mein lieber Mann, daß ich mit Ihnen allein bleiben möchte.«

Frau Amalie verwies ihr strenge diesen Ton. »Marianne,« sagte sie nachdrücklich, »dies ist Herr Schwägerle!«

Marianne schürzte die Unterlippe. »So?« sagte sie trocken. »Den habe ich mir allerdings ein klein bißchen anders vorgestellt.«

Herr Schwägerle fühlte, daß etwas geschehen mußte, wenn seine Autorität wiederhergestellt werden sollte. Er unterdrückte deshalb seinen Zorn und blies sich mehr auf als zuvor. »Frau Steinhauser,« sagte er, ohne das Mädchen noch eines Blickes zu würdigen, »Voraussetzung einer ersprießlichen Tätigkeit ist natürlich, daß Sie meine Person vor Invektiven und Verbal- oder Realinjurien schützen.«

Da er einmal fast ein Jahr lang auf dem Bureau eines Rechtsanwalts tätig gewesen war, so lange, bis er eines unangenehmen Vorkommnisses halber plötzlich seine Stelle niederzulegen sich gezwungen sah, hatte er sich eine Menge hochtönender Worte angeeignet, deren Anwendung in geeigneten Fällen nicht zum geringen Teil ihm seine jetzige Praxis und den Zulauf gewisser Klassen von Menschen verschaffte.

Auch auf Frau Amalie verfehlten diese gelehrten, fachmännischen Bezeichnungen keineswegs ihren Eindruck und selbst Marianne schien einen gewissen Respekt zu bekommen. Sie machte nur noch einige geringe Einwendungen – »man könnte ja meinen, ich hätte die Uhr gestohlen,« protestierte sie – und als Frau Steinhauser sich gehorsam zurückzog, blieb ihr nichts übrig, als dem kleinen Manne Rede und Antwort zu stehen. –

Außen vor der Tür geriet Frau Amalie von einer Aufregung in die andre. Wie aufreibend und anstrengend doch eine solche Untersuchung ist! Nicht um alles in der Welt möchte sie, Frau Amalie Steinhauser, Untersuchungsrichter sein! Nun dauert die Geschichte knapp anderthalb Stunden und sie zittert schon an allen Gliedern und kann sich kaum mehr auf den Beinen halten! Und was das dümmste ist, die schwere Tür schließt so gut, man hört gar nicht recht, was sie miteinander sprechen, wenn man auch noch so angestrengt horcht …ab und zu schimpft die Marianne, das ist alles! …Ob es doch die Marianne nicht ist? Ob es doch der Hafnergeselle ist? Oder der Professor? Das wäre ja schrecklich, der Gedanke ist gar nicht auszudenken! Und vielleicht ist es doch die Marianne, und die beiden spielen da drinnen ein abgekartetes Spiel!

»Es ist mir nur leid, daß ich die Madame überhaupt auf Sie aufmerksam gemacht habe,« hört sie jetzt die Marianne sehr laut sagen. Wieder atmet sie erleichtert auf, weil dieser Verdacht also sicher nichts ist. – Gleichzeitig geht auch die Tür auf und die Marianne erscheint und verschwindet prustend und knurrend und mit gerötetem Gesicht in der Küche und schlägt die Tür hinter sich zu.

Da die Tür des blauen Zimmers offen blieb, konnte Frau Amalie ja wieder eintreten. Herr Schwägerle stand in der Stube gleich dem ersten Kaiser Napoleon, er zog eine hörnerne Dose aus der Westentasche und schnupfte umständlich und mit vollem Genuß, steckte sie wieder ein, besah seine schmutzigen Fingernägel und schwieg.

»Nun?« sagte Frau Amalie ungeduldig. »Wie steht die Sache? Haben Sie was herausgekriegt?«

Herr Schwägerle kniff die häßlichen Augen zusammen, daß um die Augenwinkel unzählige Fältchen entstanden und sein Gesicht einen überaus pfiffigen Ausdruck gewann und sagte ruhig: »Ich bin zufrieden.«

Frau Amalie zitterte vor Aufregung. »Doch nicht die Marianne? Um Gottes willen, sagen Sie, ist es die Marianne?«

Herr Schwägerle neigte leicht das Haupt. »Ich möchte es bezweifeln. Ich habe ja in meiner Praxis auch schon diese Fälle gehabt – wir Juristen nennen es Gesindediebstahl – und es ist ja nicht ausgeschlossen, aber ich möchte es bezweifeln. Ich glaube sicher annehmen zu dürfen, daß der Täter – verstehen Sie recht, Frau Steinhauser, ich sage: der Täter – ganz wo anders zu suchen ist+… Hätten Sie jetzt die Freundlichkeit, mir das Telephon zu zeigen?«

Damit zeigte er seiner Auftraggeberin an, daß er vorerst nicht entschlossen sei, ihr seine Pläne und das Ergebnis seiner Nachforschungen weiter zu enthüllen und, seiner gehorsamen Führerin folgend, stieg er mit behaglicher Würde die breite, dunkeleichene Treppe hinab zum Privatkontor des Herrn Steinhauser. Mit einer Sicherheit, als wäre er hier zu Hause, durchblätterte er das Telephonbuch, bediente er sich des Fernsprechers und bestellte er sich die Nummer 492.

»Hier Rechtskonsulent Schwägerle …Herr Hafnermeister Frizenschaft? Sind Sie es selbst, Herr Frizenschaft? …Hätten Sie die Güte und würden Sie Ihren Arbeiter, der heute morgen bei Herrn Steinhauser war, noch einmal hierher schicken? …Ja, sogleich, wenn ich bitten dürfte! …Es ist etwas sehr Dringendes! Aber nicht wahr, zu Herrn Steinhauser? Ich bin hier bei Herrn Steinhauser! …Ja, ja, ich sage es Ihnen gelegentlich …Danke, Schluß!«

Während er so in der Ecke des Zimmers steht, halb gegen den Apparat gewendet, in nachlässiger Haltung, mit dem Hörrohr am Ohr, betrachtet ihn Frau Amalie Steinhauser und wieder will sich bei ihr ein Gefühl des Mißbehagens bemerklich machen. Wie eine schlechte Kopie eines Rechtsanwalts sieht er aus, muß sie denken. Am Ende wäre es doch gescheiter gewesen, wenn ich mich gleich an einen Rechtsanwalt gewendet hätte, oder an die Polizei. Und dann fällt ihr wieder ein, daß die Hedwig einen geschickten Rechtsanwalt kennt, und daß sie das herausbringen muß, woher ihre Hedwig diese Kenntnis hat.

Während sie dies überdenkt, sieht sie, wie das Männchen am Telephon vergnügt ihr zublinzelt, indem er abläutet, und sofort gewinnt der alte, aus Büchern und Romanen aller Art gewonnene Respekt vor dem, der sich den Namen eines Detektivs beilegt, wieder die Oberhand. Er hat schon eine Spur, er weiß gewiß schon etwas, flammt es in ihr auf.

»Ist es der Hafner?« forschte sie.

Herr Schwägerle neigte wieder in seiner schlauen Art den dicken Kopf und lächelte. »Ich sage nicht Nein …Bis er kommt, könnten wir ja noch den geschäftlichen Teil unter uns abmachen.«

Frau Amalie fühlte eine gewisse Beklemmung. »Wie meinen Sie da?«

Herr Schwägerle verlor keinen Augenblick seine eindrucksvolle Ruhe. »Es ist so üblich bei derartigen Unternehmungen, daß der Mandant einen kleinen Kostenvorschuß bezahlt. Ich werde Ihnen sogleich eine Quittung erteilen.«

Damit zog er aus der Brusttasche des langschößigen Rocks, der für einen andern zugeschnitten schien, eine durch langjährigen Gebrauch abgenutzte und an den Ecken durchgescheuerte lederne Brieftasche heraus, entnahm ihr ein langes schmales Formular – von dem nicht ausgeschlossen war, daß es noch aus der Zeit stammte, als er noch Bureauvorstand eines Rechtsanwalts war – schrieb mit einem Stümpfchen Tintenblei »20 Mark, in Worten zwanzig Mark« in das Formular und reichte es mit einer höflichen Gebärde der nicht sehr angenehm berührten Herrin des Hauses. »Die andre Hälfte des Honorars ist erst nach Beendigung meiner Tätigkeit verfallen,« sagte er schlicht.

Daß sie die Rechnung teuer finde, wagte Frau Amalie Steinhauser nicht zu sagen, und sie tröstete sich in dem Gedanken, daß solche Prozesse bekanntermaßen immer ungeheuer viel Geld kosten. Doch war sie der Meinung, man hätte den Hafnergesellen überraschen sollen, ihm die Pistole auf die Brust setzen und Haussuchung bei ihm halten sollen.

Demgegenüber erklärte Herr Schwägerle, daß er das alles überdacht habe, daß das seine Sachen seien, und daß er bitten müsse, ihm in seine Sachen nicht dareinzureden. Wenn natürlich das Vertrauen fehle, sei der Erfolg von vornherein ein zweifelhafter.

Darauf schwieg Frau Amalie, leistete die Anzahlung und wartete geduldig, während Herr Schwägerle eine von den besseren Zigarren des Herrn Steinhäuser rauchte, auf das Eintreffen des Verdächtigen.

-

Es war ein kurzer, stämmiger junger Bursche von fünfundzwanzig Jahren, mit einem breiten, knochigen Gesicht, schwarzen gerollten Haaren und stechenden Augen.

Als er das blaue Zimmer betrat – man hatte ihn der Feierlichkeit halber und weil das Verhör am Tatort am erfolgreichsten erschien, hier hereingeführt – und das hohe Tribunal vor sich sah, befiel ihn eine sichtliche Unruhe.

Das Tribunal bestand nämlich jetzt nicht bloß aus dem Rechtskonsulenten Schwägerle als Vorsitzendem und Frau Amalie Steinhäuser als Beisitzerin, sondern Herr Schwägerle hatte – vorsichtshalber, weil er den Gedanken erwog, es könnte zu einem schlimmen Auftritt kommen und weil er vielleicht nicht mit Unrecht für seine Haut fürchtete – diesmal entgegen seiner sonstigen Praxis zur Unterstützung die handfeste Marianne beigezogen und Fräulein Hedwig gebeten, die zweifellos die flinksten und hurtigsten Füße besaß und im Ernstfälle nach Hilfe ausgesandt werden konnte.

»Belieben Sie sich zu setzen,« sagte Herr Schwägerle – bis er aufspringt, habe ich schon einen Vorsprung, dachte er! – »und geben Sie mir auf meine Fragen wahrheitsgetreue und aufrichtige Antworten. Es wird am besten für Sie sein. Die Wahrheit zu sagen, ist die beste Art der Verteidigung« – er selbst hatte sich allerdings in eigener Sache meist auf andre Weise verteidigt! – »darum ermahne ich Sie eindringlich, beantworten Sie die Fragen offen und ehrlich!«

Diese Einladung diente offenbar nicht dazu, den Burschen ruhiger zu machen, denn er rollte seine Augen umher und ließ sie von einem zum andern laufen.

»Haben Sie dieses Zimmer betreten?«

»Ja,« gab er leise und scheu und doch mit einer gewissen Verbissenheit zur Antwort.

Darauf fiel Frau Amalie aus der Rolle, indem sie sich plötzlich in großer Aufregung von der Beisitzerin zur Verhandlungsleiterin aufzuschwingen suchte. »Sie haben aber in diesem Zimmer doch gar nichts zu suchen gehabt?«

Vielleicht wußte der Bursche immer noch nicht, um was es sich handelte. Er wand sich auf eine widerwillige Art hin und her und knurrte und murrte, halb verächtlich, halb verlegen, zwischen den Zähnen: »Weil ich sehen wollte, ob hier auch ein Ofen zu rußen ist.«

»So?« sagte Frau Amalie. »Warum haben Sie nicht gewartet, bis man Ihnen Weisung gab?«

Auch Marianne hielt den Zeitpunkt für geeignet, einzugreifen. »Man weiß schon, weshalb Sie hereingekommen sind, man weiß es ganz gut!«

Jetzt warf Herr Schwägerle ein Veto ein. »Wenn Sie wünschen, daß ich weiter tätig sein soll,« sagte er fein, »so muß ich bitten, mir das Ausfragen zu überlassen. Ich pflege immer allein zu arbeiten.«

Sofort richtete er weitere Fragen an den Burschen, der immer verwirrter zu werden schien. »Haben Sie eine Taschenuhr?«

»Das geht Sie einen Dr… an,« sagte der Bursche.

»Also Sie haben keine eigene?«

Der Bursche schien zwischen einer noch derberen Antwort und einer Art Galgenhumor zu schwanken, während Schwägerle seinen Stuhl ein bißchen wegrückte und sich bereit hielt, aufzuspringen. Aber der Humor gewann die Oberhand. »Wenn Sie das alles wissen wollen, ich habe keine. Aber ich hab' mal eine schöne feine Uhr gehabt, von meinem Vater, zur Konfirmation, so schön, daß sie der Pfandleiher nicht mehr herausgeben wollte, und jetzt behelf ich mich mit der Uhr, die ich im Magen habe.«

Herr Schwägerle quittierte diese Antwort mit Befriedigung. Er rückte wieder ein bißchen mit seinem Stuhle, weil er jetzt den Hauptschlag führte. »Sahen Sie auf diesem Tisch eine Uhr liegen?«

Augenblicklich errötete der Bursche und er rollte ängstlich seine Augen und jedermann sah, daß er sich besann, welche Antwort er geben solle. Gleichzeitig sahen sich sämtliche Mitglieder des Tribunals an und Herr Schwägerle nickte bedeutsam.

»Ja,« sagte der Bursche frech, »ich sah solch eine alte Zwiebel.«

Frau Amalie schien willens, sich auf den Menschen zu stürzen, der eine Uhr im Schätzungswerte von vierhundert Mark eine alte Zwiebel nannte, aber Herr Schwägerle hielt sie mit einer feierlichen Handbewegung noch rechtzeitig zurück.

Er stand auf und trat hinter seinen Stuhl, den er an der Lehne faßte, offenbar um eine bessere Haltung zu gewinnen. »So,« sagte er, »Sie sahen diese Uhr? Sie lag auch da, hier auf dem Tische. Aber nachher, als Sie fort waren, war auch die Uhr fort!«

Jetzt wurde der Bursche feuerrot. »Herr, das ist eine Unverschämtheit,« schrie er und sprang auf. »Wenn Sie sagen, ich habe die Uhr gestohlen, so haue ich Ihnen eine herunter, links und rechts!«

Die Frauen kreischten und sprangen ebenfalls auf. Kurze Zeit schien es zu einem unangenehmen Zwischenfall kommen zu wollen, allein Herr Schwägerle war der Situation gewachsen. »Wenn Sie sich nicht anständig aufführen,« sagte er, »so telephoniere ich der Polizei.«

Der Bursche mit seinen unruhigen schwarzen Augen besaß ein unangenehm lautes Organ. »Das können Sie tun! Meinetwegen können Sie auch telegraphieren! …Wissen Sie was? Ich gehe selbst sogleich auf die Polizei und zeige Sie an. Ich lass mir nicht noch Unverschämtheiten machen, wo ich sowieso kein Trinkgeld bekommen habe, wie sonst in jedem besseren Hause.«

»Bleiben Sie ruhig da,« sagte Herr Schwägerle mit Hohn. »Gelt, das möchten Sie, damit Sie mittlerweile die Uhr auf die Seite bringen könnten? Sehen Sie dort drüben am ›Schwanen‹ den Schutzmann? Ich darf bloß das Fenster aufmachen.«

Darauf wurde der Bursche bedeutend stiller und er überlegte. »Sie können mich ja aussuchen,« sagte er ziemlich ruhig, aber mit einem bösen Blick.

Frau Amalie ist noch nie bei einer Gerichtsverhandlung gewesen. Sie zittert wieder vor Aufregung. Das ist fürchterlich, denkt sie. Nun wird er vor meinen Augen ausgesucht werden. Das ist nicht viel anders, als wenn er gehenkt würde. Ich mag gar nicht hinsehen.

Das ist eine böse Geschichte, denkt auch Fräulein Hedwig. Wenn ich nur auf meinem Zimmer wäre. Der Mensch tut mir leid. – »Es ist gar nicht der Hafner, es ist der Professor,« sagt sie darum leise zur Mutter.

Was die Köchin Marianne denkt, ist nicht recht klar. Vielleicht denkt sie an die Polizei, denn sie sieht hinüber zu dem Schutzmann, der am ›Schwanen‹ auf und ab patrouilliert.

Herr Schwägerle aber ist Geschäftsmann und ist Praktiker. Er denkt nur, daß er jetzt ausführen will, was ihm der Bursche angeboten hat, weil er es jetzt am gefahrlosesten tun kann. »Die Damen können ja insolange ein wenig auf die Seite sehen,« sagte er mit großer Dezenz, und die Frauen folgten gerne seiner Aufforderung und hörten mit gruseligem Gefühl, wie der kleine Mann an dem schwarzen Burschen herumsuchte.

Die Köpfe aber drehten sie nicht eher, als bis sie seine höhnische Stimme hörten. »Jetzt darf ich doch wieder gehen? Sie?«

»Gerne,« sagte Herr Schwägerle.

Darauf ging der Mensch, finster und böse, ohne zu grüßen, und schlug die Tür hinter sich zu. Aber Herr Schwägerle eilte mit kurzen schnellen Schritten die Treppe hinab, ohne auch nur ein Wort zu sagen, und man hörte, wie er das Kontor betrat und heftig die Klingel des Telephons in Bewegung setzte, und mit einem Gemisch von Grausen und Neugierde vernahmen die Frauen seine unverständlichen Worte am Telephon.

Endlich hielt es Frau Amalie nicht mehr aus, sie mußte hören und sehen, was der unheimliche Mensch machte. Sie hob also die tatsächlich schon unterbrochene Gerichtssitzung jetzt formell auf, indem sie ebenfalls mit großer Schnelligkeit die Stube verließ und ihre Beisitzerinnen in Unruhe zurückließ.

Als sie atemlos das Kontor betrat, war Herr Schwägerle anscheinend gerade mit seinem Gespräche zu Ende, denn er hing soeben das Hörrohr an den Haken und nickte ihr mit freudestrahlendem Gesicht zu, so daß sie erstaunt stehen blieb.

»Haben Sie's heraus?« stammelte sie.

»O ja,« sagte er mit Würde und der kleine Mensch schien zu wachsen. »Der Täter ist der Hafnergeselle.«

»Ja wieso?«

»Ich habe soeben seinen Meister gesprochen und ihn gebeten, schleunigst seine Sachen zu durchsuchen.«

»Und man hat die Uhr gefunden?«

»Das nicht. Der Mensch hat gar nichts, nicht das Geringste. Wie er ging und stand, ist er frisch von der Wanderarbeitsstätte gekommen, Herr Frizenschaft hat ihn nur zur Aushilfe.«

Frau Amalie staunte. »Nein, so was! Und so was schickt man mir in das Haus?«

Der Detektiv nickte ernst. »Schickte man zu Ihnen in das Haus! Und wird von Ihnen allein gelassen! Er ist in dem Zimmer gewesen, da er doch nichts in dem Zimmer zu suchen hatte. Er gibt zu, daß er die Uhr gesehen hat und nachher ist sie nicht mehr da. Er selbst besitzt keine Uhr und somit mußte ihn die Gelegenheit verlocken, die Uhr, die er für nicht besonders wertvoll hält, zu stehlen …Stimmt das oder stimmt es nicht?«

Frau Steinhauser bestätigte, daß es sehr wohl stimme.

»Nun kommt dazu, daß er überhaupt der einzige ist, der als Täter in Betracht kommen kann. Ein Professor Nußotter stiehlt keine Uhr, andre fremde Menschen sind aber bis zur Entdeckung des Diebstahls überhaupt nicht in das Haus gekommen. Er wird gerufen und ist auffällig verlegen und verwirrt. Auf die Frage, ob er die Uhr gesehen habe, besinnt er sich auf die Antwort. – Sie sahen es doch, Frau Steinhauser? – Und als ich ihm den Diebstahl vorhielt, wird er feuerrot. – Sie mußten es sehen, Frau Steinhauser? – Und anstatt seinen Fehler offen einzugestehen, wird er frech und grob, wie es alle Diebe machen …Sagen Sie selbst, Frau Steinhauser, kann hier noch der geringste Zweifel bestehen?«

Auch Frau Amalie hatte nicht den geringsten Zweifel. »Ich bin so froh, daß Sie den Täter so bald entdeckt haben und ich werde sofort meinem Manne die ganze Geschichte schreiben.«

»Das würde ich nicht tun. Es würde ihn nur unnötig aufregen und ihm die Reise verderben.«

»Und die Uhr?«

»Sie wird sich finden, nachdem wir den Täter haben.«

Darauf schüttelte Frau Amalie Steinhauser dem kleinen dicken Menschen in dem langschößigen Rocke herzlich die Hand. »Ich bin Ihnen dankbar, sehr dankbar, wirklich dankbar,« sagte sie dreimal.


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