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Brzetislav sagte nun gute Nacht, und diese Formel der Höflichkeit erwiederte Norbert gedankenlos oder in Gedanken. Dann trennten sie sich, denn Brzetislav wohnte am Franzensquai, Norbert im Stern.
Daß Brzetislav nach einem gut angewandten Tage seine wohlverdiente Nacht- oder vielmehr Morgenruhe fand, glaube ich mit Gewißheit annehmen zu können. Norbert dagegen schlief nicht. Er saß die ganze Nacht im Lehnstuhl, noch dazu im kalten Zimmer, denn er hatte vergessen, sich Feuer anzumachen. So kam es denn, daß ihm das Blut mehr und mehr an das Herz drang. Zugleich sammelte er sich in einer entsetzlichen Entschlossenheit. Er hatte gerade keine bestimmten Gedanken, aber wol den bestimmten Willen, Carlotta heute zu zwingen.
Mit dem Morgen kam er einigermaßen wieder zur Besinnung der äußerlichen Erfordernisse und Bedürfnisse, er ließ einheizen, kleidete sich aus und um, frühstückte oder glaubte wenigstens zu frühstücken, mit einem Worte, er geberdete sich wie ein vernünftiger Mensch im normalen Zustande. Die unnatürliche Ueberspannung seines ganzen Wesens indessen währte fort und wurde immer gewaltsamer, je näher die Stunde kam, wo er zu Carlotta gehen sollte. Pünktlich wie der Weiser an der Uhr trat er mit dem Schlag Zwölf in ihren sogenannten Salon, wo sie in Erwartung seines Antrages auf dem Canapee saß. Welchen Antrag er ihr machte, wissen wir. Er that es mit Sanftmuth, aber auch mit Entschiedenheit. Ueberrascht und erbittert antwortete Carlotta ihm mit Heftigkeit. Beide sagten noch einmal Alles, was Jedes von ihnen bereits so und so oft gehört und bestritten hatte. Norbert sprach es in so wenigen Worten wie möglich aus, Carlotta in einem Schwall leidenschaftlicher Redensarten. Endlich sagte Norbert mit einem Zusammenpressen seiner ganzen Aufregung: »Charlotte, ich bitte Sie!« Carlotta, die aufgesprungen war, sah ihm einen Augenblick in das bleiche Gesicht, dann nahm sie eine theatralische Stellung an und sang mit schmetternder Stimme die ersten Worte der Donna Anna:
Non sperar, se non m'uccidi,
Ch'io ti lasci fuggir mai!
Glaube nicht, ich ließe dich gehen; du müßtest mich schon töten!
Norbert entstellte sich, seine Brust begann zu keuchen, mit heiserem Tone stieß er heraus: »Charlotte, treiben Sie mich nicht zum Aeußersten.« Sie lachte laut und höhnisch: »Was soll denn das heißen? Wollen jetzt Sie etwa Komödie spielen?«
Da war er endlich auf dem Punkte, dem er sich schon die ganze letzte Zeit hindurch und besonders seit dem vorigen Tage zugedrängt gefühlt. Das Blut stieg ihm zischend zu Kopfe, er sah nur noch durch einen röthlichen Nebel. Sein Athem pfiff, seine Hände streckten sich unwillkürlich nach Carlotta aus, er empfand das körperliche Bedürfniß, sie zu würgen, wie man eine Schlange würgen würde, wenn man sie zu packen bekäme. Carlotta erkannte erst jetzt, wo er in dem Schwindel der Wuth auf sie zutrat, die Gefahr, in der sie sich schon seit Anfang der Unterredung befunden hatte, sie wollte schreien, die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie wollte zurückspringen, die Füße versagten ihr, beim Uebermuth ist nur selten Muth. Noch ein Augenblick, und Norbert's mächtige, krallenhaft gekrümmte Hände faßten das unselige Mädchen.
Plötzlich wich er zurück und erhob die Hände, um sie vor seine Stirn zu halten, als würde er von einem zu starken Lichte geblendet. Ein Gesicht schwebte ihm vor, außer ihm oder in ihm, das wußte er nicht, aber er schaute. Statt des blutigen Nebels erblickte er eine strahlende Glorie. Sie theilte sich wie ein Vorhang, und zwischen ihren Lichtwogen erschien ihm das Innere der kleinen Kirche von Hanswyck, wie er sie gesehen, als er seine Mutter zur Erfüllung ihres Gelübdes begleitet hatte. In der Mitte der eleganten Rotunde stand der Altar, oben von hohen, flimmernden Kerzen, unten von duftenden Blumenstöcken umgeben. Rings um die Wände hingen die Bogen der blauen Draperien über den bunten Büschen künstlicher Blumen, welche an die Pfeiler geheftet waren. Der ganze Raum war voll von Duft, Licht und glänzenden Farben, und auf dem Altar unter dem schimmernden Baldachin saß die Jungfrau mit dem Kinde auf dem Arme, Beide mit Gold und Juwelen gekrönt. Aber es war nicht das Mutter-Gottesbild von Hanswyck, welches auf dem kleinen Flusse im Kahn an die Stelle getrieben ist, wo es jetzt verehrt wird, es war die Gebenedeite selbst. Ihr Blick, der Blick der ewigen Mutter fiel wie aus den Himmeln herab auf Norbert, und die Wuth wich von ihm, wie eine gewitterschwere Wolke vor dem Sonnenscheine weicht. Niederknieend beugte der Gerettete das Haupt, und unwillkürlich kam auf seine Lippen die Bitte, welche er damals an dem Altar gelesen, der ihm jetzt erschienen war: monstra te esse matrem, zeige, daß du Mutter bist.
Carlotta verstand nicht, was er murmelte, sie starrte ihn gleichsam blödsinnig an, die Furcht hatte ihre Verstandeskräfte völlig gelähmt. Norbert hatte sie über dem Entzücken vor seinem Gesicht gänzlich vergessen, ihm war für den Augenblick nur bewußt, daß er durch die himmlische Liebe Maria's aus einer entsetzlichen Gefahr gehoben worden sei. Erst als er den Kopf erhob und sich allmälig wieder in der Wirklichkeit zurechtfand, erinnerte er sich auch Carlotta's wieder und sprang rasch auf, um sich ihr beruhigend und hilfebringend zu nähern. Sie fuhr entsetzt vor ihm zurück und fiel dann in kläglicher Ohnmacht zusammen, ohne jedoch das Bewußtsein zu verlieren. Nur ihre Glieder knickten und schlotterten dermaßen in- und aneinander, daß sie sich nicht länger aufrecht halten konnte. Norbert brachte sie auf das Canapee und allmälig wieder zu sich selbst. Als er sie im Stande sah, ihn zu verstehen, bat er sie demüthig und ritterlich um Vergebung wegen des Schreckens, den er ihr verursacht. Er sei nicht recht bei sich selbst gewesen, sagte er der Wahrheit gemäß; jetzt, wo er sein Bewußtsein wieder habe, sei sie völlig sicher vor ihm. »Und nicht nur für jetzt sind Sie es,« fuhr er sanft fort»auch für immer. Ich entsage der Bewerbung, welche Sie so gequält hat. Sie hatten Recht, daß Sie mir nicht folgen wollten, Sie gehören der Welt, bleiben Sie ihr. Ich gehöre seit einer Minute einer anderen Liebe, ich bin Mariens eigen. Schon zwei Mal wollte ich Priester werden, jetzt werd' ich's wirklich. Leben Sie glücklich und vergessen Sie mich.«
Er bot ihr freundlich die Hand. Carlotta legte die ihrige hinein, ohne zu wissen, was sie that, sie hatte keinen klaren Gedanken, nur die Empfindung, daß er Abschied nehme, daß sie ihn verliere. Gerade in der Stunde, wo sie gemeint, er werde sich ihr ganz und ausschließlich zu eigen geben! Sie hatte ihn mit Vorwürfen über seinen Wuthanfall zerschmettern wollen, und jetzt schmetterte er mit seinem sanften reuigen Lebewohl sie danieder. Sie versuchte, zu sprechen, ihn zu beschwören, er möge sie nicht verlassen, sie vermochte kaum die Lippen zu bewegen. Norbert bat sie noch ein Mal um Verzeihung, sagte ihr ein zweites Lebewohl und schied.