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» Braune mit Reis, weiße mit Nockerln!«
»Eine Braune.«
»Kleine Gumpoldskirchner.«
»Bringen's mir 'n Gansel, aber nur wenn's sehr gut ist, sonst bringen's mir Ente.«
»Haben's schon was angeschafft?«
»Ein Bier?«
»Ja.«
»Sie! Feier!«
»Pilsner.«
»Leicht?«
»Vincenz, zahlen!«
So klingt es durch einander in dem Speisesaal eines Prager Hotels ersten Ranges, welches die Ecke von zwei Straßen bildet. Der Speisesaal sieht mit vier Fenstern in die Haupt-, mit dreien in die Nebenstraße. Trotzdem ist es dunkel d'rinnen, gelblich dunkel; es thäte Noth, das Gas würde jetzt um zwei Uhr Nachmittag schon angebrannt, ganz wie in London. Indessen wo ist es im November nicht dunkel? Vernünftiger Weise darf man an den siebzehnten November 1859 in Prag keine größern Lichtansprüche machen, als an einen Novembertag überhaupt: nämlich gar keine.
Wir sitzen und essen. Dieses tägliche, aber keineswegs alltägliche Geschäft wird in Oesterreich noch immer ernsthafter betrieben als anderswo, wenn gleich nicht mehr mit der ergötzlichen Wichtigkeit wie früher. Man hört doch so gewisse verhängnißvolle Worte durchklingen, wie Agio Differenz zwischen dem Nominalwert einer Münze oder Banknote und dem tatsächlichen Kurswert., Nationalanleihen und dergleichen. Indessen dabei nährt und stärkt doch ein Jeder sich gewissenhaft, vermuthlich um mögliche politische und kommerzielle Erschütterungen besser aushalten zu können. Man speist wie im Restaurant, an Tischen zu sechs, acht Personen. Wir haben eine Tischecke im letzten innern Winkel des Saales inne, so daß wir diesen fast gänzlich übersehen können. Wir sehen die täglichen Gäste kommen, sich aus ihren barbarischen Pelzen schälen und ihre Plätze einnehmen. Ihre kleinen Gewohnheiten wiederholen sich. Der Herr an einem Tische uns gegenüber leckt seinen Löffel in- und auswendig ab, die Braune hat ihm geschmeckt. Die Millionärin an dem Tische, der seitwärts halb hinter der Säule steht, hat wie immer ihre Coiffüre von schwarzen Spitzen, welche wie zwei Räder von ihrem Kopfe absteht. Aber der Millionär ist heute ungewöhnlich angenehm gegen seine Millionärin – was ist dem Mann begegnet? Wären wir in Belgien, so würde ich glauben, er habe vor Tische einige petits-verres mehr als gewöhnlich geleert, doch in Prag trinkt man keine petits-verres. Nun, warum soll ein Millionär nicht auch ein Mal einen angenehmen Tag haben?
Unser Diner geht zu Ende. Der dicke Augustin, welcher von Zeit zu Zeit und grade heute auch an einem etwas kurzen Gedächtnisse leidet, hat sich nur zwei Mal geirrt, statt Naturkotelettes mit Reis Sprossenkohl mit glasirter Kalbsbrust und statt Topfstrudel Dalken Traditionelles Gebäck der böhmischen Küche; Dalken werden in einer speziellen Pfanne mit halbrunden oder flachen Vertiefungen auf dem Herd in Fett, üblicherweise Schweineschmalz, ausgebacken und können mit Powidl (Pflaumenmus) oder einer Mischung aus Mohn, Zucker und Zimt bestrichen werden. bringen wollen. Indessen wir sind glücklich zu den Naturkottelettes gekommen und haben jetzt auch den Topfstrudel. Das französische Ehepaar, welches mit uns an demselben Tische ißt, steht auf. Ich bin froh, daß die Beiden gehen, sie sind unbeschreiblich langweilig durch Großthun und Anmaßung. Sie sind sparsam, wie nur Franzosen es sein können, essen klein, was nur klein, d. h. in halben Portionen zu haben ist, kleines Rindfleisch, kleinen Auflauf, und machen sich, wenn sie satt sind, immer unerhört darüber lustig, daß sie » à Paris, à Paris« nicht für die Hälfte so essen könnten. Der Franzose ist Werkmeister in einer Fabrik von Hemdeknöpfen. Nun so mag er ruhig seine Hemdeknöpfchen fabriziren, mit Dank kleines Rindfleisch essen und Paris Paris sein lassen.
Der Wirth, sehr elegant, im schwarzen Rock, eine Korallen-Nadel im schwarzseidenen Shawl, kehrt das Tischtuch wieder rein, bringt neue Bestecke, füllt den Ruthenkorb mit neuen Salzstangen. Das ist eine Art gerader Kipfel mit Salz und Garbe, zum Bier vortrefflich.
Einen Augenblick später kommen aus der offenen Seitenthür zu meiner rechten Hand zwei Damen, eine ältere mit scharfer Physiognomie und französisch schwarzem Haar in Trauer, eine junge, das blonde Haar in Rollen zurückgeschwungen, auch schwarz, aber nicht in Trauer, keine gewöhnliche Erscheinung, auf keinen Fall eine provinzielle, auch keine Pragerin. Beide grüßen, die jüngere nimmt den Platz neben mir ein und sagt mir ohne weitere Einleitung: »Ich komme, um Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Ich grüße und warte ab, daß sie sich zu erkennen gebe.
Sie thut es, nennt mir einen Namen, den ich nicht verstehe, und fügt hinzu: »Gesangskünstlerin.« Ich bitte zuerst um Wiederholung des Namens, den ich, als ich ihn auf der Karte lese, nicht kenne. Sie sagt mir naiv, daß sie den meinen auch nicht gekannt, ihn erst von den Baronessen K. gehört.
» Ah, vous les connaissez aussi, ces chères baronnes?«
» Qui ne les connaît pas?«
So entspinnt sich die Unterhaltung und geht bequem fort, in Fragen, wo man gewesen ist, woher man jetzt kommt, wohin man nächstens will.
Sie ist zuletzt in Wien gewesen, wir sind von Stuttgart nach Prag gekommen.
»Kennen Sie in Wien Randhartinger Benedict Randhartinger (1802-1893), österreichischer Sänger (Tenor), Komponist und Hofkapellmeister (seit 1844, also zum Zeitpunkt der Novelle, stellvertretender Kapellmeister und 1862 Kapellmeister)., den Hofkapellmeister?«
»Nein.«
»Kücken Friedrich Wilhelm Kücken (1810-1882), deutscher Musiker und Komponist der Romantik. Er kam 1847 nach Stuttgart, wo von 1851 bis 1861 das Amt des Hofkapellmeisters bekleidete und sich große Verdienste erwarb. Der Operkomponist Giacomo Meyerbeer sagte von ihm: »Ich habe nie einen Dirigenten gefunden, der sorgfältiger einstudiert und so leicht und richtig musikalische Intentionen Anderer aufzufassen versteht, als der Kapellmeister Kücken.« in Stuttgart aber doch?«
»Ja wohl. Wie vortrefflich er dirigirt!«
»Ausgezeichnet. Wir hörten dort die erste Vorstellung des Trovatore.«
»Lieben Sie Verdi?«
»Den Trovatore, ja. Ernani, sonderbar, hört ich noch nie ganz. Die sicilianische Vesper mißfiel mir gänzlich.«
»Wo hörten Sie die?«
»In Paris, in der großen Oper mit Cruvelli.«
»Ah, Cruvelli Sophie Cruvelli, geborene Sophie Johanne Charlotte Crüwell (1826-1907) war eine deutsche Opernsängerin (Sopran). Wenngleich sie als launisch und unberechenbar galt, war sie doch als Opernsängerin eine der glanzvollsten Erscheinungen ihrer Zeit..« Die Sängerin steht mich gespannt an, Cruvelli ist eine Nebenbuhlerin. Zum Glück kann ich meiner Nachbarin sagen, daß ich Cruvelli nicht mag.
»Sie hat doch schöne Arme,« bemerkt meine neue Bekanntschaft mit einem Lächeln.
»Darum hat man ja für sie eigens ein Rollenfach erfunden: les rôles à bras. Indessen rührt sie ihre schönen Arme wie eine Holzfigur, und dann singt man doch nicht mit den Armen. Nein, eine Stimme, die mir gefiel, ist die der Borghi-Mamo Adelaide Borghi-Mamo (1826-1901), italienische Opernsängerin (Mezzo-Sopran) von internationaler Bedeutung. bei den Italienern. Dort hört' ich den Trovatore zum ersten Male – Mario Unter dem Künstlernamen Mario verbarg der italienische Opernsänger Giovanni Matteo de Candia (1810-1883) seine adlige Herkunft, die eine Theaterkarriere damals unmöglich gemacht hätte. sang ihn.«
Mario – der Name ist noch immer Musik für Musiker, wir tauschen Ach's und Oh's über Mario aus. Dann frage ich, was das Fräulein jetzt hierher führt? Sie sagt mir, daß sie ein Konzert geben will, vielleicht mehrere Konzerte. Sie ist in Prag so gut wie zu Hause, hat ihre ersten Studien am hiesigen Konservatorium gemacht, und ist Böhmin von Geburt. Das ist fast eine Versicherung für eine gute Stimme, Böhmen hat förmlich ein Privilegium für Metall in den Kehlen seiner Töchter sowohl, wie seiner Söhne. Mit einer stillen Hoffnung also auf schöne Kavatinen, brillante Arien und mannigfaltige Volkslieder sage ich dem Fräulein und ihrer Mutter, welche die Wittwe eines Generals und eine geborne Edle von – ist, vorläufig guten Tag. Sie fragen mich um meine Stunde, versprechen mir ihren Besuch; sie bleiben noch sitzen und essen, wir stehen auf und grüßen.