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Das Neujahr war herangekommen und vorübergegangen, Carlotta hatte es in den Wirbeln der Geselligkeit verlebt, Norbert war finster für sich geblieben, nur zu mir gekommen, um mir ceremoniell Glück zu wünschen. Seine Stimmung war so grau wie die Luft. Er mußte wider Willen anfangen, zu begreifen, daß er sich gänzlich verrechnet habe. Carlotta war fanatischer als je Sängerin. Obgleich der Theaterdirektor durchaus nicht recht daran wollte, obgleich der Kapellmeister den Kopf schüttelte und das ganze Opernpersonal unisono seufzte, Carlotta hatte es doch durchgesetzt, daß sie auftreten konnte. Zur ersten Rolle hatte sie, mit gerechter Kühnheit, sagten ihre Gönner, mit anmaßendem Uebermuthe, versicherten ihre Gegner, die »Donna Anna« gewählt. Am fünfzehnten Januar 1860 sollte die Vorstellung stattfinden. Während der Woche vorher sprach und träumte Carlotta von Nichts als von ihrer Rolle, kannte und sang nur »Don Juan«, und ich, die Anbeterin Mozarts und besonders »Don Juans«, konnte nicht anders als mit ihr sympathisiren. Mich gegen Dujardin, der mir mit unwilligem Erstaunen zuhörte, von Zeit zu Zeit durch einen halb bittenden, halb neckenden Blick entschuldigend, half ich Carlotta probiren und studiren, daß es ein Vergnügen war. Da ihr so ziemlich die ganze Literatur fremd war, so kannte sie auch noch nicht Hoffmanns unvergängliche Don Juans-Phantasieen »Don Juan« (1813), romantische Künstlernovelle von E. T. A. Hoffmann.. Ich ließ sie mir bringen und las sie Carlotta vor. Sie wurde davon ganz so heftig ergriffen, wie es vorauszusehen war, denn das geschriebene Wort wirkt immer am meisten bei denen, die am wenigsten lesen, und deren Empfänglichkeit daher, um so zu sagen, immer brach liegt. Carlotta wollte augenblicklich die Donna Anna ganz so singen, wie Hoffmann sie aufgefaßt, fand jedoch zu ihrem Aerger, und, wie ich argwöhnte, selbst ein wenig zu ihrer innerlichen Demüthigung, es sei das, wie so manches Andere, leichter gewollt, als gethan. Die überlieferte Auffassung, in welcher sie bisher eingeübt gewesen war, kam der neuen unaufhörlich in den Weg, und so gab es anfangs ein Durcheinander, welches ergötzlich gewesen wäre, wenn es nicht ernstliche Besorgnisse für den endlichen Erfolg der Darstellung eingeflößt hätte. Daß ich während der Tage, welche dazu gehörten, um dieses Wirrsal aufzuklären, es nicht gerade zum Besten hatte, kann man sich leicht vorstellen. Wieder und wieder wurde ich feierlich zur Rechenschaft dafür gezogen, daß ich der Sängerin dumme neue Ideen in den Kopf gesetzt, mit denen sie nun Nichts anzufangen wisse. Es that mir aufrichtig leid; hätte ich geahnt, daß ich Carlotta in solche Aufregung versehen würde, ich hätte die Rolle, wie sie eben genommen und gesungen wird, völlig unangetastet in ihr gelassen. Da ich indessen das Unheil einmal angestiftet, so that ich wenigstens mein Möglichstes, um es wieder gut zu machen, und meine Bemühungen blieben nicht fruchtlos: ich sprach so viel in Carlotta hinein, daß die Masse meiner Worte in ihr Verständniß eindrang. Sie begriff zuletzt Hoffmann wirklich, und die neue Donna Anna kam in ihr glücklich zur Erscheinung, allerdings noch nicht ganz rund und glatt, aber doch immer schon recht ansehnlich anzuschauen. Und nun war die Freude groß, Carlotta versprach sich Wunder von ihrem ersten Auftreten, und versicherte mich ein Mal über das andere stürmisch ihrer ewigen Dankbarkeit.
Der arme Norbert wurde in dieser Zeit über Don Juan so ziemlich vergessen. Wie gesagt, er sah aus wie ein lebendiger Vorwurf gegen mich. Doch ich hatte ein gutes Gewissen, ja, das beste Bewußtsein von der Welt. Ich schloß so: vielleicht wird er jetzt, wo er es doch mit Augen sehen, und mit Händen greifen muß, wie durch und durch Carlotta Sängerin ist, endlich mit sich darüber in's Reine kommen, daß er seit zwei Jahren ein Phantom verfolgt hat, und daß es ein Unsinn wäre, von Carlotta Weiblichkeit, Häuslichkeit, Christlichkeit, überhaupt etwas Anderes zu verlangen, als Portamento und Coloratur.
Ich schloß falsch, er fuhr fort, als ein verhängnißvoller Schatten in Carlotta's buntes Tagesleben hineinzuragen und so tragisch zu drohen, wie ein Mensch es durch finstres Stillschweigen nur vermag. Allmälig fing er an, mir unheimlich zu werden. Wider Willen fielen mir die vielen Liebesdramen mit blutigem Ausgang ein, von denen ich während der Jahre gelesen, die ich in Belgien zugebracht hatte. Mochten auch so und so viele in der Phantasie der Mitarbeiter entstanden sein, denen die Lieferung der » faits divers« oblag, so und so viele waren vor den Schwurgerichten verhandelt worden, folglich geschehen, wie etwas nur geschehen kann. Der Belgier, der vlämische besonders, ist ganz und gar nicht das moralische Amphibium, für welches die Franzosen und die Engländer ihn zu halten belieben. Er hat die Leidenschaft der kalten Naturen, die gefährlichste und gewaltsamste, welche, wird sie erst thätig, gleich zu den letzten Mitteln greift.
Einen solchen Leidenschaftsausbruch nun würde ich von Norbert Dujardin gefürchtet haben, wenn ich es mir gestattet hätte. Gereizt war er gewiß bis auf das Höchste, doch ich sagte mir: »am Ende, er ist ja doch vernünftig, ist kein Jüngling mehr, kennt das Leben, ist aus der Gesellschaft, folglich von Jugend auf gewöhnt, an sich zu halten – Thorheit, Dummheit – ich will mir nicht weiter dergleichen einbilden.«
Ich hütete mich auch wohlweislich, meinen unwillkürlichen Ahnungen durch irgend eine Aeußerung gegen Baron R. gleichsam Gestalt zu geben. Und doch war mir's unbehaglich im Innersten, wenn Dujardin so unbeweglich dasaß und so finster die Zaubermelodieen Mozarts mit anhörte, die auf ihn so wenig Eindruck zu machen schienen, wie auf eine Figur, welche aus Holz geschnitzt und wie ein Mann angemalt worden wäre. Bisweilen war ich ärgerlich auf ihn, wegen seiner musikalischen Taubheit, aber ich getraute mir nie, meinen Aerger gegen ihn auszulassen, obwol ich doch sonst meine Meinung ohne viele Umstände herauszusagen pflege.
Und eines Morgens – es war den zwölften oder dreizehnten Januar – erschrak ich wirklich, als Dujardin bei mir eintrat. Ich war durch Zufall allein, Baron R. studirte auf der Bibliothek. Wie ich schon sagte, es war Morgen, aber Norbert schien den Abend schon mit sich oder die Nacht wieder zurückzubringen, so düster war seine Erscheinung, eine solche Finsterniß lag in seinen Augen.
Er grüßte mich schweigend, ich faßte mir Muth und frug etwas verdrießlich, um nicht merken zu lassen, daß ich ängstlich war: »nun, was giebt es denn schon wieder?«
Ohne sich zu entschuldigen, daß er so zeitig schon komme, ohne zu fragen, ob er mich zu einer so ungewöhnlichen Stunde nicht störe, sagte er langsam: »Ich habe einen Brief von meiner Mutter erhalten.«
»Wohl, ist das irgend ein ungewöhnliches Ereigniß? Erhalten Sie nicht regelmäßig Briefe?«
»Nicht solche, wie dieser ist.« Er blickte zu Boden und griff zugleich nach seiner Brieftasche, um das Schreiben herauszunehmen. Doch anstatt es zu thun, behielt er die Brieftasche in der Hand und schien in sich selbst versinken zu wollen.
Dazusitzen und ihn wieder ein Mal schweigen zu sehen, dazu hatte ich weder Muße noch Ruhe genug, und so fragte ich denn ziemlich ungeduldig: »Und was enthält dieser Brief?«
Norbert zog ihn jetzt hervor. »Meine Mutter weiß Alles.«
»Was Alles?«
»Alles, was Mademoiselle Charlotte und mich betrifft.«
»Hatten Sie ihr denn vorher nie etwas von dieser Angelegenheit geschrieben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Woher hat sie denn da erfahren –«
»Ein Freund –«
»Oh!«
»Den ich, oder vielmehr der mich in Wien traf.«
»Warum ihn zum Vertrauten machen? Man wird immer nur durch Freunde verrathen.«
»Der Zufall machte ihn dazu, oder eigentlich drängte er selbst sich in mein Geheimniß ein. Er sah Charlotte, frug mich halb aus, errieth das Uebrige, und hat nun meiner Mutter Alles mitgetheilt oder ausgeplaudert, was weiß ich!«
»Und Ihre Mutter?«
»Da lesen Sie ihren Brief,« antwortete Norbert und reichte mir ihn.
Großes Format, steifes Papier, sehr schwarze Tinte, gleichmäßige, geschnörkelte Schrift. In dem Briefe konnte nichts Gutes stehen.
»Mein Sohn,« so lautete er, »als Sie vor zwei Jahren das Bedürfniß ausdrückten, Ihre angegriffene Gesundheit durch die neuen und abwechselnden Eindrücke einer interessanten Reise zu stärken, da willigte ich, wenn gleich nicht ohne Bekümmerniß, so doch ohne Zögern in Ihren Wunsch. So viel ich auch schon allein gewesen war, ich ergab mich mit Freuden darein, noch länger allein zu bleiben, denn ich hoffte, meine Entbehrung würde Ihnen zu Gute kommen. Ich hoffte, Sie würden fern von mir und Ihrer Heimath neue Kräfte sammeln, um, in Ihr Land und zu mir zurückgekehrt, endlich die Pflichten zu erfüllen, welche dem, der eine ehrenwerthe Familie vorstellt, als Menschen und als Bürger obliegen.
Ich habe ein Jahr voll Hoffnung gewartet, ein neues Jahr mit Schmerz und Unruhe, aber doch immer noch mit Ergebung. Ihre Briefe kamen selten und waren wenig befriedigend, es lag unter den Worten etwas verborgen, das ich mir nicht zu enträthseln vermochte, etwas Unbestimmtes, Drohendes, Fremdes, dem nicht das Recht verliehen war, sich zwischen Mutter und Sohn zu drängen. Aber ich wartete noch immer, und ich hoffte noch immer. Ich sagte mir: wenn Norbert seine Mutter und sein Land auch zeitweise vergessen kann, lange kann er es nicht, sein Gedächtniß ist in seinem Herzen. Und allem Sie anklagenden Anschein zum Trotz, allen Bedenklichkeiten entgegen, welche unsere Freunde äußerten, glaubte Ihre Mutter an Sie, mein Sohn. Der Glaube an den moralischen Werth ihres Kindes ist außer dem an die Güte Gottes der letzte, den eine Mutter aufgiebt.
Sie haben diesen Glauben getäuscht, mein Herr, Sie haben Ihre Mutter betrogen. Ich weiß Alles, ich weiß, wem Sie diese zwei Jahre hindurch gefolgt sind, ich weiß, wen Sie sich herabwürdigen zu lieben. Versuchen Sie nicht zu leugnen; Konstantin Van der Meire, der Sie in Wien traf, hat mir Alles erzählt. Ich nenne Ihnen mit Absicht den Namen des wahren Freundes, welcher mir über Ihre Verirrung die Augen geöffnet, und mich endlich in den Stand gesetzt hat, mir Ihr Betragen zu erklären.
Ich mache Ihnen keine Vorwürfe und ertheile Ihnen keine Vorschriften. Es genügt, Ihnen zu sagen, daß ich Alles weiß. Sie kennen mich, Sie kennen Ihre Pflicht, und Sie wissen, was von Ihnen erwartet
Ihre beleidigte Mutter.«
Eine ächte Douairièrenepistel. Würde, Würde und wieder Würde. Kein Wunder, daß bei einer solchen Mutter Norbert sich so voll von Vorurtheilen gesogen hatte.
Ich sah ihn an. Der so starre Mann war von dem halb ausgesprochenen Zorn der Mutter gebeugt und gedemüthigt, als wäre er noch ein Kind. Die Macht der Mutter in Belgien ist groß, oft wird sie gemißbraucht, selten bestritten. Norbert erkannte sie unbedingt an. »Meine Mutter hat Recht,« sagte er mit schwerem Grame, »ich habe mich auf eine unverantwortliche Weise an ihr und an mir selbst vergangen.«
»So entsagen Sie also Charlotten?« fragte ich gespannt.
»Das kann ich nicht,« antwortete er dumpf. »Ich möcht' es, aber kann es nicht. Meine Leidenschaft für sie hat sich allmälig zu einer solchen Kraft gesteigert, daß Charlotte mein werden muß.« Norbert sagte das mit ebensoviel Ruhe wie Entschlossenheit, auf das »Muß« besonders fiel ein eiserner Nachdruck.
»Wenn sie will,« erwiderte ich ebenfalls nachdrücklich.
»Von ihrem Wollen oder Nichtwollen ist jetzt nicht mehr die Rede,« entgegnete Norbert ruhig wie vorher, »ich muß sie meiner Mutter so zuführen können, daß dieselbe sie annehmen kann. Sage ich zu meiner Mutter der Wahrheit gemäß: ›ich bringe Ihnen eine Reuige und Gerettete,‹ so ist meine Mutter viel zu sehr Christin im höchsten Sinne, um Charlotte nicht als eine willkommene Tochter zu empfangen.«
Ich wollte mir Carlotta als bekehrte Magdalena zu den Füßen der Douairière vorstellen – es ging nicht. Ebenso wenig konnte ich mir das Willkommen der Madame Dujardin de Wesselaer denken. Die ganze Sache war und blieb eine Tollheit, leider eine ernsthafte.
Indessen ich sagte Nichts mehr. Ich hatte ja kein Recht dazu, und nebenbei wär' es auch unnütz gewesen. Es schien, als hätte Norbert Nichts mehr zu sagen, denn er stand auf und bot mir guten Tag. Er ließ sich Baron R. empfehlen, es klang fast, als nähme er Abschied. »Sehen wir uns denn nicht mehr?« frug ich befremdet. »O doch,« antwortete er, schüttelte mir die Hand, die er zugleich drückte, verbeugte sich nochmals und machte sehr langsam und sorgfältig die Thür hinter sich zu. Ich sah mir einige Augenblicke die Thür an und murmelte dann beunruhigt: »wenn das nur gut endet!«
Was ich jetzt erzählen werde, hab' ich nur vom Hören, daher kann ich nicht so ausführlich sein, wie bisher.
Norbert ging, nachdem er mich verlassen, die Straße hinab und dann die Bastei hinauf. Die Höhen, welche die Gegend um Prag bilden, waren leicht mit Schnee bedeckt, dennoch sahen sie nicht heiter aus, denn es war Thauwetter, und die Luft, die sich kaum etwas aufgehellt hatte, schien sich allmälig zum Nebel verdichten zu wollen. Es ist unbeschreiblich, wie herabstimmend Thauwetter, vorzüglich unnützes mitten im Winter, auf die Nerven und dadurch auf das Gemüth wirkt. Norbert fühlte sich namenlos elend. Noch nie war das Empfinden der Fremde so über ihn gekommen. Was that er hier? O, er liebte und hoffte ja! Aber gleichsam gegen seinen Willen, ja, gegen sein Herz. Das war das Schreckliche bei seiner Liebe zu Carlotta, daß er sie als Thorheit und als Entwürdigung empfand und doch nicht von sich schütteln konnte, daß sie ihm wie eine Krankheit im innersten Leben saß.
Eine heftig gereizte Stimmung gegen Carlotta war in ihm während der letzten Wochen mehr und mehr gewachsen, jetzt erhöhte sie sich bis zum Zorn. Nachdem er mechanisch seinen Spaziergang gemacht, kam er ebenso mechanisch über den Roßmarkt zurück, und wieder vor das Hôtel. Er erinnerte sich später, daß viele Personen, besonders Frauen, ihn erstaunt und fast ängstlich angesehen; es mußte in seiner Miene etwas gelegen haben, das Ungewöhnliches, vielleicht Unheil errathen ließ, oder doch die Ahnung davon erregte.
Er stieg langsam die drei Treppen zu Carlotta hinauf und fand sie in einem wahren Chaos von Vorbereitungen. Wie viele und was für verschiedenartige Leute hereinkamen und wieder gingen, das hätte Norbert mit der größten Anstrengung nicht behalten und sagen können, ihm kam es vor, als ginge ganz Prag bei Carlotta ein und aus; er fragte sie einmal: »Wird denn das gar kein Ende nehmen?« – »Was?« antwortete Carlotta, die nur mit halbem Ohre auf ihn hörte. »Daß so viele Leute hier sind,« sagte er verdrießlich und setzte in dem Tone eines Kindes oder eines Kranken hinzu: »es stört mich.« – »Worin denn?« fragte Carlotta. »In meinem Zusammensein mit Ihnen.« – Sie lachte laut auf. »Na,« sagte sie, »darein müssen Sie sich bei einer großen Sängerin schon schicken, die hat nicht immer Zeit, um Privataudienzen zu ertheilen, selbst denen,« setzte sie schmeichlerisch hinzu, »die ihr am liebsten sind.« Dujardin sah sie bei dieser Aeußerung an, als hätte sie ihm eine Beleidigung gesagt, was Carlotta, als sie mir diese Scene erzählte, immer noch nicht begreifen konnte.
In diese Verwirrung hinein schallte unaufhörlich die laute metallene Stimme der Generalin. Norbert fühlte jedes Wort wie einen Schlag gegen sein Gehirn. Seine nervöse Ungeduld stieg bis zur Qual, er mußte sich mit seinen Händen anfassen, um nicht loszubrechen.
Das dauerte bis drei Uhr, dann erklärte die Generalin, sie habe Hunger, habe das Recht dazu und wolle hinunter, um zu diniren. Norbert wurde huldreich aufgefordert, die Damen zu begleiten. Er that es, that auch, als äße er, brachte aber keinen Bissen hinunter. Nur Wein trank er, erst Böslauer, dann Ruster, womit er auch die Damen bewirthete. Die Generalin schlug endlich sogar vor, noch ein wenig zu »champagnisiren«. Als Norbert erst verstand, was sie mit diesem eigenthümlichen Ausdruck meine, ließ er sogleich Champagner kommen. Den tranken jedoch die Damen allein, denn Norbert hatte sich in Paris den Champagner überdrüssig getrunken, und dann fühlte er auch, daß er aufhören müsse zu trinken, sollte er einigermaßen Herr seiner selbst bleiben. Carlotta hatte sich in die ausgelassenste Laune hineingetrunken, sie lachte, sie schwatzte italienisch und französisch durcheinander, sie sang halbe Phrasen und sah frisch und roth aus. Der kleine Rausch kleidete sie gar nicht übel, nur daß sie unglücklicher Weise Norbert an einige schöne oder nicht schöne Sünderinnen erinnerte, welche mit ihm und seinen Freunden öfter nach den Opernbällen soupirt hatten. Ein heftiger Abscheu ergriff ihn, und zugleich fühlte er peinigender als je das wildeste Verlangen nach Carlotta. Gewiß hat noch nie ein Mann mit so gemischten Gefühlen Frauen »champagnisiren« sehen.
Es war über diesem kleinen improvisirten Gelage Abend geworden, Carlotta war, ohne ihre Mutter, wie das häufig geschah, in eine große Soirée eingeladen, sie mußte sich dazu ankleiden. So sagte sie Norbert denn gute Nacht; er fragte sie, und zwar ohne es vor der Generalin zu verheimlichen, wann er sie morgen allein sehen könne.
»Was haben Sie meiner Tochter zu sagen?« fragte die Generalin mit herausforderndem Lächeln.
»Nichts, was sie nicht hören kann,« antwortete Norbert ernst und höflich.
»Das glaub' ich wohl,« sagte sie in einem Tone, der ausdrücken sollte: »Sie würden es auch mit mir zu thun bekommen, wenn es anders wäre!« Norbert hatte in seinem Leben noch nie größere Selbstbeherrschung nöthig gehabt, als in diesem Augenblick. Was hätte er dieser Frau, in deren Händen Carlotta geworden, was sie war, nicht alles Niederschmetterndes zudonnern mögen! Aber die Gewohnheit der Gesellschaft half ihm, und als die Generalin hinzusetzte: »nun, morgen um zwölf hab' ich auszugehen, da können Sie Lotti anvertrauen, was Sie auf dem Herzen haben,« da fand er Kraft genug, um sich artig und dankbar verbeugen zu können.
»Du hast ihn,« sagte während des Hinaufsteigens die Generalin zu ihrer Tochter. »Ja, es ist ganz deutlich, daß er kommen will, um mir endlich einen bestimmten Heirathsantrag zu machen,« antwortete Carlotta, äußerlich die Gleichgültige spielend, innerlich jubelnd und frohlockend.
Sie war den ganzen Abend über von einem so ausgelassenen Frohsinn, wie die Mutter sie noch nie gesehen. Sie sang ungewöhnlich gut und sah, wie man mir später versicherte, fast schön aus. Kein wirksameres Verschönerungsmittel, als das Gefühl glücklicher Liebe. Carlotta glaubte, glücklich zu lieben.
Norbert brachte den Abend mit Brzetislav zu, d. h. er saß mit Brzetislav im Rosse, hörte nicht, wenn Brzetislav zu ihm sprach, redete selbst kein Wort. Da Brzetislav nicht gerade von einer sehr thätigen Beredtsamkeit und hauptsächlich wenig zu Monologen geneigt war, so verstummte er allmälig ebenfalls, und der Schlag der ersten Stunde fand den Belgier und den Czechen in einem gleichen tiefen Stillschweigen und in einem gleichen dicken Tabakrauch.
Endlich stand Brzetislav langsam auf und sprach bedächtig: »Wir können doch wol nicht die ganze Nacht hier sitzen bleiben?«
»Nein,« antwortete Norbert und stand auch auf. Als sie auf die Straße traten, machte Brzetislav die Bemerkung, wie schwarz und schwer von nasser Luft die Nacht sei. Norbert erwiderte Nichts, und doch hörte er Brzetislavs Bemerkung, denn er rief sie sich später deutlich zurück.