Annette von Droste-Hülshoff
Das Geistliche Jahr
Annette von Droste-Hülshoff

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Am ersten Sonntage nach Pfingsten

[Dreifaltigkeit]

»Darum gehet hin und lehret alle Völker und
taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes; und lehret sie Alles
halten, was ich Euch gesagt habe; und sehet,
ich bin bei Euch bis ans Ende der Welt.«
Bin ich getauft in deinem Zeichen,
Du heilige Dreifaltigkeit,
Nun bleibt es mir und kann nicht weichen,
In dieser nicht und jener Zeit.
Ich fühle durch Verstandes Frost,
Durch Menschenwortes Nebelrennen
Es wie ein klares Funkeln brennen
Und zehren an dem alten Rost.

In deinem Tempel will sich's regen,
Wo ich als deine Magd erschien,
Und unter deines Priesters Segen
Fühl' ich es leise Nahrung ziehn.
Wenn eine teure Mutterhand
Das Kreuz mir zeichnet auf die Stirne,
Dann zuckt's lebendig im Gehirne,
Und meine Sinne stehn in Brand.

Ja selbst zu Nacht, wenn Alle schlafen
Und über mich die Angst sich legt,
In der Gedanken öden Hafen
Der Zweifel seine Flagge trägt:
Wie eine Phosphorpflanze noch
Fühl' ich es warm und leuchtend schwellen,
Und über die verstörten Wellen
Legt sich ein leiser Schimmer doch.

Und muß mir zum Gericht gereichen
Die Lebenspflanze mir gesellt,
Die ich versäumte sonder Gleichen
Und dürrem Holze gleichgestellt:
So ist sie in der Sünden Bann,
Des Geistes schwindelnden Getrieben
Mein heimlich Kleinod doch geblieben,
Und angstvoll hängt mein Herz daran.

Ob ich vor deiner Geißel zage:
Nichts kömmt doch dem Bewußtsein gleich,
Daß dennoch ich dein Zeichen trage
Und blute unter deinem Streich.
Fluch Allem, was von dir mich stößt!
Dein will ich sein, von dir nur stammen:
Viel lieber sollst du mich verdammen,
Als daß ein Andrer mich erlöst.




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