Annette von Droste-Hülshoff
Das Geistliche Jahr
Annette von Droste-Hülshoff

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Am fünften Sonntage nach Heilige Drei Könige

Evang.: Vom Samen, so unter die Dornen fiel

In die Dornen ist dein Wort gefallen,
In die Dornen, die mein Herz zerrissen;
Du, mein Gott, nur du allein kannst wissen,
Wie sie schmerzlich sind vor andern allen;
In die Dornen meiner bittern Reue,
Die noch keine Tröstung will empfangen;
So verbarg ich es in finstrer Scheue,
Und so ist es trübe aufgegangen.

Und so wächst es auf in bittrer Wonne,
Und die Dornen lassen es gedeihen;
Ach! mein Boden ist zu hart, im Freien
Leckt den Tau vom Felsen ihm die Sonne.
Kann es gleich nur langsam sich entfalten,
Schirmen sie es treulich doch vor Stürmen
Und dem Hauch der Luft, dem todeskalten,
Und wenn sich des Zweifels Wolken türmen.

In die Dornen ist dein Wort gefallen,
Und sie werden blut'ge Rosen tragen;
Soll ich einst dir zu vertrauen wagen,
Darf ich nur in ihrem Kranze wallen.
Wenn er recht erstrahlt im Feuerglanze
Und das Haupt mir sengt mit tiefen Wunden,
Dann gedeiht die zarte Gottespflanze,
Muß an seinem Schmerzenstrahl gesunden.

In Entsagung schwinden muß mein Leben,
In Betrachtung meine Zeit ersterben,
So nur kann ich um das Höchste werben;
Meine Augen darf ich nicht erheben.
Ach! ich habe sie mißbraucht zu Sünden
Und verscherzt des Aufblicks reine Freude;
Dann nur kann ich noch den Himmel finden,
So ich ihn in Scham zu schauen meide.

Wenn ich blicke in die milden Mienen
O, wie schmerzlich muß es mich betrüben,
Denen noch das teure Recht geblieben
Ihrem Gott in Freudigkeit zu dienen!
Muß an seinem Schmerzenstrahl gesunden.
Muß erglühend sie zur Erde schlagen;
In ein reines Auge sie zu senken,
Kann ich nimmer sonder Frevel wagen.

Und wie tief neig' ich die Stirn, die trübe,
Wenn die Sünde rauscht an mir vorüber,
Meinen Manche, daß mich Abscheu triebe,
Und gewinnen lieber mich und lieber,
Ist es oft nur mein vergangnes Leben,
Grauenhaft zum zweitenmal geboren;
Ach! und oft empfind' ich gar mit Beben,
Wie der Finstre noch kein Spiel verloren!

Aber, was er auch für Tücke hege,
Kämpfen will ich um des Himmels Grenzen;
Meine Augen sollen freudig glänzen,
Wenn ich mich in meine Dornen lege,
Daß die Welt nicht meinen Kampf darf rügen,
Oder gar mit eitelm Lob geleiten:
Wohl, ich kann durch Gottes Wunder siegen,
Aber nimmer mit zwei Feinden streiten.

Ob ein Tag mir steigen wird auf Erden,
Wo ich frei mich zu den Deinen zähle?
Wo kein Schwert mehr fährt durch meine Seele,
Wenn mir deine Hände sichtbar werden?
Herr, und soll der Tag mir nimmer scheinen,
Dürft' ich ihn in Ewigkeit nicht hoffen,
Dennoch muß ich meine Schulden weinen,
O, der Sünder hat sich selbst getroffen!




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