Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte
Annette von Droste-Hülshoff

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Glaube

        O Welt, wie soll ich dich ergründen
In aller deiner argen List?
Wo soll ich Treu und Glauben finden,
Da du so falsch und treulos bist?
Wo ich mich wende, hier und dort,
Da kömmt die Täuschung mir entgegen;
Die Lüge steht an allen Wegen
Und spricht ein trügerisches Wort.

Drum will ich nicht an Menschen glauben,
Und nur an dich, mein Gott allein;
Daß nichts mir deine Treu kann rauben,
Dess mag mein Herz sich wohl erfreun.
Was auch die Welt dagegen spricht
Und hunderttausend Menschenzungen:
Wer von des Glaubens Kraft durchdrungen,
Der wanket nicht und weichet nicht.

Wohl weiß ich, daß ein sinnlos Heer
Dich, o mein Gott, will ganz verkennen,
Vielmehr ein nichtig Ungefähr
Als seinen Herrn und Schöpfer nennen;
Allein ich glaube, daß sie blind
Und ganz verwirrt das Heil verfehlen,
Und daß die arm verirrten Seelen
Aus deinem Wink entsprungen sind.

Ich weiß, daß Jesu heil'ge Wunden,
O du mein allbarmherz'ger Gott,
Schon manches Herz zu hart gefunden,
Schon oft geduldet Hohn und Spott;
Allein ich glaub', o Jesu gut,
Daß du getragen ihre Sünden;
Und können sie noch Gnade finden,
So ist es durch dein kostbar Blut.

Ich weiß, daß meinen trüben Augen
Die heiligste Dreifaltigkeit
In ihrem Glanz nicht möge taugen,
Dieweil wir wandeln in der Zeit;
Allein ich glaube, daß alsdann,
Wenn wir des Fleisches sind entbunden
Und uns um Gottes Thron gefunden,
Mein Blick sie klar erkennen kann.

Ich weiß, daß deine Bahn auf Erden,
Maria, o du reine Magd,
Ein Anstoß mußte Manchem werden,
In dem die Gnade nicht getagt;
Allein ich glaub', o Gottesbraut,
Daß dich ihr Irrtum tief betrübe,
Und daß dein Auge noch mit Liebe
Und mit Erbarmen auf sie schaut.

Ich weiß, daß Gottes heil'ge Scharen
Und ihr gerechter Lebenslauf
Ein Spott schon manchem Frevler waren,
Ein Ärgernis dem schwachen Hauf;
Doch glaube ich, daß sie ihr Teil
Als Gottes Kämpfer treu gestritten,
Und daß sie unaufhörlich bitten
Für ihrer sünd'gen Brüder Heil.

Ich weiß, daß Viel' zur Erde sehen
Und hängen fest an dieser Zeit,
Die ihre eigne Seele schmähen
Und leugnen die Unsterblichkeit;
Allein ich glaube, daß sie nicht
Vor deinem Zorne schützt ihr Beben,
Wenn sie nun zitternd Zeugnis geben
Vor deinem ewigen Gericht.

Ich weiß, o Herr, daß hier auf Erden
Mir Manches hart und bitter ist,
Und daß mein Herz in den Beschwerden
Oft deine Güte ganz vermißt;
Allein ich glaube, daß die Nacht
Dereinst vor deinem Strahl wird tagen,
Und meine Lippe preisend sagen:
Der Herr hat Alles wohl gemacht.

Ja, er hat Alles wohl beschlossen,
Und treu und wahrhaft ist sein Wort;
Darum, mein Herz, sei unverdrossen
Und trau auf deinen sichern Hort.
Ja nur an dich, mein Gott, allein,
Nicht an die Menschen will ich glauben;
Daß nichts mir deine Treu kann rauben,
Des mag mein Herz sich wohl erfreun!

 


 


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