Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte
Annette von Droste-Hülshoff

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Feier

    Das Morgenrot schwimmt still entlang
Den Wolkenozean,
Den Gliedern zart, mit Liebesdrang
Schmiegt sich die Welle an.
Ihm folgt die Sonn' im Sphärenklang
Ein roter Flammenkahn,
Ein lindes Rauschen grüßt den Tag,
Ist es ihr Ruderschlag?

Und es erwachen mit Gezisch
Die bunten Vögelein,
Sie strecken keck aus dem Gebüsch
Die Köpflein, rund und klein,
Und tauchen in die Frühluft frisch
Die feinen Glieder ein,
Die Schnäblein üben sie zumal
In Liedern ohne Zahl.

Und auch die Blümlein senden früh
Den leisen Duft ins Land,
Um ihre Stirnen winden sie
Ein hell Juwelenband.
Das Spinnlein selbst mit großer Müh'
Braucht die geübte Hand,
Es hat sein Netzlein reich geschmückt,
Mit Perlenreihn gestickt.

Ich sinne, wem solch heitres Fest
Mag zubereitet sein,
Und wem zuliebe läßt sein Nest
Das treue Vögelein?
Da spricht zu mir der linde West
Mit seinem Stimmlein fein:
Bist du denn also hart und blind,
Du töricht Menschenkind?

Was gehst du doch so stumm einher,
Wo alles Jubel singt?
Was wandelst du so arm und leer,
Wo alles Gabe bringt?
Daß selbst zu Gottes Lob und Ehr'
Vom Aug' der Erde dringt
Gar manche Träne, daß sie ganz
Davon bedeckt mit Glanz.

Er ist es, dem so minniglich
Der Baum die Zweige regt,
Den mit Gesang so inniglich
Das Lied der Vögel trägt,
Für den die Sonne rings um sich
Die Strahlenwimpel schlägt;
All' Herz tut sich ihm freudig auf,
Wach auf, wach auf, wach auf!

 


 


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