Arthur Conan Doyle
Die Réfugiés
Arthur Conan Doyle

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XIV. Die letzte Karte.

Frau von Montespan hielt sich noch ganz zurückgezogen in ihren Gemächern. Des Königs Wegbleiben beunruhigte sie, aber sie mochte dem Hofe ihre Besorgnis nicht zeigen, deshalb erschien sie nicht und zog auch keine Erkundigungen ein. Während sie so von dem plötzlichen und vollständigen Zusammenbruch ihres Glückes nichts erfuhr, hatte sie einen thätigen und energischen Agenten, dem nichts von allem entgangen war, was sich ereignet hatte, und der ihre Interessen mit eben solchem Eifer im Auge behielt, als wenn es seine eignen gewesen wären. Freilich es waren auch seine eignen; denn dieser Agent war kein anderer als ihr Bruder, Herr von Vivonne, welcher durch den Einfluß seiner Schwester alles gewonnen hatte, wonach sein Herz verlangte: Vermögen, Ländereien, rasche Beförderung, und es war ihm nicht verborgen, daß ihr Sturz den seinigen sehr rasch nach sich ziehen würde.

Von Natur verwegen, gewissenlos, erfindungsreich, war er nicht der Mann, ein Spiel aufzugeben, ohne es mit aller Energie und Schlauheit, die ihm zu Gebote stand, zu Ende zu spielen. Mit scharfem Auge alles verfolgend, hatte er seit dem Augenblick, da zuerst das Gerücht von des Königs Plänen ihm zu Ohren kam, das Vorzimmer nicht verlassen, und aus dem, was er gesehen, seine selbständigen Schlüsse gezogen. Nichts war ihm entgangen – weder die trostlosen Gesichter Monsieurs und des Dauphins, noch der Besuch des Pater La Chaise und Bossuets bei Frau von Maintenon, noch deren Audienz beim Könige und der Triumph, der in ihren Augen leuchtete, als sie zurückkehrte.

Später hatte er Bontems herausstürzen und den Gardeoffizier mit seinem Freunde herbeiholen sehen, hatte gehört, wie die beiden dem Stallknecht den Befehl gaben, ihnen die Pferde in einer Stunde herauszuführen, und zuletzt meldete ihm ein Späher, den er sich unter dem Dienstpersonal hielt, daß in Frau von Maintenons Zimmern eine ganz ungewöhnliche Geschäftigkeit herrsche, daß Fräulein Nanon vor Aufregung außer sich sei, und daß zwei Hofputzmacherinnen in aller Eile von ihr herbeigerufen seien. Das volle Verständnis für die Dringlichkeit der Gefahr ging ihm freilich erst auf, als er durch denselben Späher erfuhr, daß auch ein Gemach zur Aufnahme des Erzbischofs von Paris noch für diese selbe Nacht zurecht gemacht werden sollte.

Frau von Montespan hatte den Abend auf einem Sofa liegend zugebracht. Sie war in der allerschlimmsten Laune, unter der ihre ganze Umgebung zu leiden hatte. Sie hatte zu lesen versucht, aber bald das Buch weggeworfen. Sie hatte zu schreiben versucht, aber bald das Geschriebene in Stücke zerrissen. Tausend Befürchtungen und Mutmaßungen schossen ihr nacheinander durch den Kopf. Was war nur mit dem Könige geschehen! Gestern schon war er ihr sehr kühl vorgekommen, seine Augen waren fortwährend von ihr abgeglitten und hatten den Zeiger der Uhr verfolgt. Und heute war er gar nicht gekommen! War es vielleicht ein Gichtanfall? Oder war es denkbar, daß sie noch einmal ihre Gewalt über ihn eingebüßt hatte? Nein wahrhaftig, das konnte es doch nicht sein!

Sie wandte sich auf ihrem Lager um und blickte in den Spiegel, der seitwärts neben der Thür hing. Die Kerzen waren soeben angezündet worden, vierzig an der Zahl, eine jede mit einem silbernen Spiegelleuchter versehen, welcher das Licht zurückstrahlte, so daß das Zimmer tageshell erleuchtet war. Dort im Spiegel erblickte sie das ganze glänzende Gemach, die tiefrote Ottomane und darauf die einzige menschliche Gestalt in einem gazeartigen, weiß- und silberschimmernden Gewande. Sie lehnte auf ihrem Ellbogen und bewunderte die tiefe Farbe ihrer Augen mit den langen dunklen Wimpern, die zarte Biegung des weißen Halses und das vollendete Oval ihres Gesichtes. Alles das prüfte sie sorgfältig und scharf, als ob es ihrer Nebenbuhlerin angehöre. Nirgends vermochte sie eine Spur von den boshaften Krähenfüßen der Zeit zu entdecken. Sie besaß also noch ihre volle Schönheit. Hatte diese doch einst den König erobert, warum sollte sie nicht im stande sein, ihn festzuhalten? Wie konnte sie auch nur einen Augenblick daran zweifeln? Sie schalt sich wegen ihrer Furchtsamkeit. Unzweifelhaft war er nicht wohl, oder besonders beansprucht, und würde noch kommen. Ha! Das klang wie eine Thür, die geöffnet wird – wie ein rascher Schritt in ihrem Vorzimmer! War er's? Oder war es wenigstens ein Bote, der einen Brief von ihm brachte?

Keins von beiden. Es war ihr Bruder. Seine verstörten Augen und Mienen verkündigten die üble Botschaft, die er brachte. Sobald er eingetreten war, schloß er die Thür fest hinter sich ab, schritt dann quer durchs Zimmer und verriegelte auch die andere, welche zu ihrem Boudoir führte.

»So kann uns niemand stören,« stieß er schweratmend hervor. »Ich bin hierhergestürzt, denn jede Sekunde ist kostbar. Hast du vom Könige gehört?«

»Nichts, gar nichts!« entgegnete sie erregt.

Sie war aufgestanden und starrte ihn an. Ihr Gesicht war so bleich wie das seinige.

»Die Stunde zum Handeln ist gekommen, Françoise,« sagte er ernst. »Es ist die Stunde, wo die Mortemarts sich stets von der besten Seite gezeigt haben. Wir wollen darum nicht dem Schlage ausweichen, sondern uns aufraffen, um ihm die Stirn zu bieten.«

»Um was handelt es sich?«

Sie versuchte in ihrem natürlichen Tone zu sprechen, aber von ihren trockenen Lippen kam nur ein heiseres Flüstern.

»Der König ist im Begriff, Frau von Maintenon zu heiraten,« entgegnete Herr von Vivonne.

»Die Gouvernante! Die Witwe Scarron! Es ist unmöglich!«

»Es ist gewiß.«

»Zu heiraten? Bruder, sagtest du – zu heiraten?«

»Ja, er will sie heiraten!«

Frau von Montespan streckte ihre Hände mit einer verächtlichen Gebärde von sich und lachte laut und bitter auf.

»Du hast dich ins Bockshorn jagen lassen, Bruder!« sagte sie. »O, du kennst deine kleine Schwester nicht. Vielleicht würdest du meine Gaben höher schätzen, wenn du nicht mein Bruder wärest. Gib mir einen Tag, nur einen kurzen Tag, und du wirst Ludwig, den stolzen Ludwig am Boden vor mir sehen, wie er mich für diese Beleidigung um Verzeihung bittet. Ich sage dir, er kann die Bande, die ihn fesseln, nicht zerreißen. Einen Tag – mehr verlange ich nicht, um ihn zurückzuerobern.«

»Aber diesen einen Tag kannst du nicht haben.«

»Warum nicht?«

»Die Vermählung findet heute abend statt.«

»Du bist toll, Charles!« schrie seine Schwester.

»Keineswegs. Ich bin meiner Sache ganz gewiß.«

In wenigen abgebrochenen Sätzen berichtete er nun alles, was er gesehen und was er gehört hatte. Sie hörte ihm grimmigen Antlitzes zu, und ihre Hände ballten sich heftiger und heftiger im Verlauf seiner Erzählung. Aber es war richtig, was er von den Mortemarts gesagt hatte. Sie entstammten einem streitlustigen Blute und zeigten sich im Augenblicke des Handelns immer von der vorteilhaftesten Seite. Keine Furcht, nur Haß erfüllte ihr Herz, als sie zuhörte, und die ganze Energie ihrer Natur sammelte und bäumte sich auf, um der Krisis zu begegnen.

»Ich gehe sofort zu ihm,« rief sie und flog auf die Thür zu.

»Nein, nein, Françoise,« wehrte er, »das darfst du nicht. Glaube mir, du ruinierst alles, wenn du das jetzt thust. Die Wache hat die strengsten Befehle, niemand beim Könige vorzulassen.«

»Aber ich werde darauf bestehen, und sie wird mir nicht wehren können,« versicherte Françoise.

»Glaube mir, meine Schwester,« wiederholte ihr Bruder, »es ist schlimmer, als nutzlos. Ich habe mit dem Offizier von der Wache gesprochen; er versichert, daß der Befehl ein unumstößlicher ist.«

»Pah! Ich werde schon durchkommen.«

»Nein, du sollst es nicht versuchen!«

Herr von Vivonne lehnte sich mit dem Rücken gegen die Thür und fuhr fort: »Ich weiß, daß es nutzlos ist, und ich werde es nie zugeben, daß sich meine Schwester zur Zielscheibe des spottenden Hofes macht, indem sie ihren Weg in das Zimmer eines Mannes ertrotzen will, der sie von sich stößt.«

Bei diesen Worten errötete seine Schwester tief und blieb unentschlossen stehen.

»Hätte ich nur einen Tag, Charles,« sagte sie noch einmal, »ich würde ihn unfehlbar zurückgewinnen. Hier muß noch ein anderer Einfluß gewaltet haben, – vielleicht der Jesuit, der seine Nase überall hineinsteckt, oder der aufgeblasene Bossuet! Nur einen Tag, und ich durchkreuze ihre Ränke! Ist mir's doch, als sähe ich, wie sie ihm vor den geblendeten Augen die Flammen des Höllenfeuers tanzen lassen, wie man eine Fackel vor dem Stier schwingt, damit er umkehrt! O könnt' ich sie doch heute abend noch zu Schanden machen! Dies Weib! Dies verwünschte Weib! Die falsche Schlange, die ich an meinem Busen genährt habe! Lieber sähe ich Ludwig in seinem Grabe, als mit ihr verheiratet! Charles, Charles, es muß verhindert werden. Ich will alles, alles hingeben, um es zu vereiteln!«

»Wieviel willst du geben, meine Schwester?«

Sie starrte ihn entsetzt an.

»Was! Dich soll ich erkaufen?« sagte sie.

»Nein, allerdings nicht; aber andere will ich erkaufen.«

»Ha!« rief sie, »du siehst also einen Ausweg?«

»Einen einzigen, und nur den einzigen,« erwiderte er. »Aber die Zeit drängt. Ich brauche Geld.«

»Wieviel?«

»Ich kann nicht zu viel haben. Alles, was du entbehren kannst.«

Mit zitternden Händen schloß sie einen geheimen Schrank in der Wand auf, in welchem sie ihre Wertsachen versteckt hielt. Ein schimmernder Juwelenschatz blitzte ihrem Bruder entgegen, als er über ihre Schulter lugte. Große Rubinen, köstliche Smaragden, tiefrote Berylle, leuchtende Brillanten lagen dort in einem vielfarbig glänzenden Haufen übereinander – ein Schatz, den sie durch des Königs Großmut in fünfzehn Jahren und darüber zusammen getragen hatte. An der einen Seite befanden sich drei Schiebladen übereinander. Sie öffnete die unterste. Sie war bis zum Rande mit blanken Louisd'or gefüllt.

»Nimm, soviel du willst!« sagte sie. »Und nun deinen Plan! Schnell! Schnell!«

Er stopfte Hände voll Goldes in die Seitentaschen seines Rockes. Manches Goldstück entglitt dabei seinen Fingern. Klingend rollte es über den Boden, aber keins der beiden Geschwister würdigte es eines Blickes.

»Dein Plan?« wiederholte sie.

»Wir müssen den Erzbischof daran verhindern, hierher zu kommen,« erwiderte Vivonne. »Dann würde die Trauung bis morgen aufgeschoben, und du hättest Zeit zu handeln.«

»Aber wie willst du ihn daran verhindern?« fragte sie ungläubig.

»Es gibt wohl ein Dutzend guter Degen bei Hofe, die sich für weniger kaufen lassen, als ich in einer meiner Taschen trage. Zum Beispiel haben wir da de la Touche, den jungen Turberville, den alten Major Despard, Raymond de Carnac und die vier Latours. Ich werde sie zusammenrufen und mich mit ihnen in den Hinterhalt legen.«

»Und dem Erzbischof auflauern?«

»O nein, nur den Boten, die ihn holen sollen.«

»Ausgezeichnet,« jubelte Françoise. »Du bist ja ein Musterbruder! Wenn die Botschaft nicht nach Paris gelangt, sind wir gerettet! Geh! Geh! Verliere keinen Augenblick, mein lieber Charles!«

»Das ist soweit ganz gut, Françoise,« fuhr Vivonne fort, »aber was machen wir mit ihnen, wenn wir sie haben? Mich dünkt, wir könnten leicht unsre Köpfe bei der Sache verlieren. Denn schließlich, es sind des Königs Boten, und wir können sie doch nicht wohl töten.«

»Nicht, Charles?«

»Dafür gibt's keinen Pardon.«

»Du mußt aber bedenken, mein Bruder,« wandte Françoise ein, »daß ich, ehe die Sache zur Untersuchung kommt, meinen Einfluß auf den König werde wiedergewonnen haben.«

»Alles sehr gut und schön, mein Schwesterlein,« meinte der Bruder bedächtig, »aber wie lange wird dein Einfluß währen? Ein nettes Leben für uns, wenn wir bei jedem Wechsel der königlichen Gunst landesflüchtig werden müßten! Nein, nein, Françoise! Das äußerste, was wir thun können, ist – die Boten gefangen zu halten.«

»Wo kannst du sie gefangen halten?«

»Ich habe auch das schon überlegt. Was meinst du zu Portillac, dem Schloß des Marquis von Montespan?«

»Meines Gemahls?«

»Jawohl.«

»Meines bittersten Feindes? O Charles, du redest nicht im Ernst!«

»Im vollsten Ernste, Françoise! Der Marquis war gestern in Paris und ist noch nicht auf sein Schloß zurückgekehrt. Wo ist der Ring mit seinem Wappen?«

Frau von Montespan suchte hastig unter ihren Juwelen herum und fand endlich einen goldnen Ring mit einem darauf eingravierten großen Gesicht. Ihr Bruder nahm ihn ihr aus der Hand.

»Das wird unser Schlüssel sein,« sagte er. »Wenn Marceau, der gute Schloßvogt, den sieht, wird jeder Kerker im Schloße zu unsrer Verfügung stehen. Dort müssen sie hin. Es gibt keinen andern Ort, wo wir sie sicher verbergen könnten.«

»Wenn nun aber mein Mann zurückkehrt?« wandte seine Schwester ein.

»Nun, er wird natürlich etwas erstaunt sein über seine Gefangenen,« erwiderte Vivonne. »Der arme Marceau wird wohl eine schlimme Viertelstunde durchleben. Aber das wird vielleicht erst in einer Woche geschehen, und bis dahin, mein Schwesterchen, hege ich das Vertrauen zu dir, daß du wirklich das Feld gewonnen haben wirst. Doch nun kein Wort weiter, denn jeder Augenblick ist kostbar. Lebe wohl, Françoise. Ohne Kampf werden wir nicht unterliegen. Ich will dir übrigens heute nacht noch eine Botschaft senden, damit du erfährst, ob das Glück uns wohl will!«

Vivonne nahm seine Schwester zärtlich in die Arme, küßte sie und verließ dann eiligst das Zimmer.

Als sie allein war, ging Frau von Montespan noch stundenlang auf dem weichen dicken Teppich geräuschlosen Schrittes auf und ab, die Hände geballt, die Augen flammend, ihre Seele von Eifersucht und Haß gegen ihre Nebenbuhlerin verzehrt. Es schlug zehn, es schlug elf, die Mitternacht zog herauf, und noch immer wartete sie, glühend vor Aufregung, mit angestrengten Ohren lauschend auf jeden Fußtritt, der ihr ein Herold der wichtigen Nachricht sein konnte. Endlich kam er. Sie vernahm einen raschen Schritt in der Galerie, ein leises Pochen an der Vorzimmerthür, das Geflüster ihres schwarzen Pagen! Bebend vor Ungeduld stürzte sie hinaus und nahm selbst dem staubbedeckten Kavalier das Billet ab, das er gebracht hatte. Es waren nur sechs, flüchtig auf einen schmutzigen Papierfetzen gekritzelte Worte, aber sie brachten die Farbe auf ihre Wangen, ein Lächeln auf ihre Lippen zurück. Es war ihres Bruders Handschrift und lautete: »Der Erzbischof kommt heut nacht nicht.«


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