Arthur Conan Doyle
Die Réfugiés
Arthur Conan Doyle

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XI. Die Sonne erscheint wieder

Fast eine Woche lang blieb der König seiner neuen Laune treu. Der regelmäßige Gang seiner Tagesordnung blieb derselbe, nur daß es wieder die frühere Geliebte war, die er am Nachmittag aufsuchte, anstatt Frau von Maintenon. Und im Einklange mit diesem plötzlichen Rückfall in sein altes Leben wichen auch die düstern Farben seines Anzuges allmählich; hellbraun und lila und lederfarbe trat an die Stelle von schwarz und von dunkelblau. Sogar ein wenig Goldtresse kam an seinen Hüten und dem Besatz seiner Taschen zum Vorschein. Drei Tage lang blieb sein Betschemel in der Schloßkapelle leer. Sein Gang war frischer, und seinen Stock schwenkte er mit jugendlicher Gebärde wie denen zum Trotz, welche in seiner Lebensumgestaltung die ersten Anzeichen des nahenden Alters zu sehen gemeint hatten. Frau von Montespan hatte genau gewußt, was sie that, als sie ihm jene Andeutung hinwarf.

Mit der wiedererwachenden Lebenslust des Königs erneute sich auch die des Hofes. Die Säle erstrahlten in ihrem früheren Glanz; bunte Anzüge, glänzende Stickereien, die seit Jahren ungebraucht in Schränken und Kommoden gelegen hatten, tauchten in den Räumen des Palastes wieder auf. In der Kapelle predigte Bourdaloue vor leeren Bänken, aber ein neues Ballett in den Gärten wurde vom ganzen Hofe besucht und mit stürmischem Beifall aufgenommen. Das Vorzimmer der Montespan war jeden Morgen von Bittstellern und Bittstellerinnen überfüllt, während das ihrer Nebenbuhlerin so leer war, wie einst, da der König sie noch nicht gnädig angesehen hatte. Allerhand Personen, die seit lange vom Hofe verbannt gewesen waren, erschienen wieder in den Galerien und Gärten, ohne zurückgewiesen oder gehindert zu werden, während der schwarze Priesterrock des Jesuiten und die violette Soutane des Bischofs weniger häufig in der Umgebung des Königs erschienen.

Trotz alledem war die Kirchenpartei, die, wenn sie die frömmelnde Bigotterie vertrat, doch immerhin auch auf Seiten der Tugend stand, keinen Augenblick ernstlich besorgt wegen dieses Rückfalles. Die finstern Augen der Priester und Prälaten verfolgten Ludwig bei seinen Seitensprüngen wie bedächtige Jäger ein junges Reh bewachen würden, das unter dem Eindruck herrenloser Freiheit auf einer Wiese herumtollt, wo doch jede Öffnung und jeder Waldpfad mit Netzen versperrt ist und es sich in Wirklichkeit ebenso sehr in ihren Händen befindet, als ob es gebunden vor ihnen läge. Sie wußten es ja ganz genau, wie kurze Zeit es dauern würde, bis irgend ein Schmerz, ein Weh, ein zufälliges Wort ihn wieder an seine Sterblichkeit erinnern und ihn aufs neue in jene abergläubischen Schrecken hüllen würden, die bei ihm die Stelle der Religion einnahmen. So warteten sie denn ganz ruhig und planten im stillen, wie der verlorene Sohn bei seiner Umkehr am besten zu behandeln sei.

In der Verfolgung dieser Gedanken machten sein Beichtvater, Pater La Chaise und Bossuet, der große Bischof von Meaux, eines Morgens der Frau von Maintenon ihre Aufwartung. Sie fanden sie in voller Unterrichtsthätigkeit. Ein Globus stand neben ihr, und sie bemühte sich, dem lahmen Herzog von Maine und dem mutwilligen kleinen Grafen von Toulouse geographische Kenntnisse beizubringen. Beide hatten von ihrem Vater die Abneigung gegen alles Lernen und von ihrer Mutter den Widerwillen gegen Zucht und Zwang geerbt. Trotzdem war es Frau von Maintenon durch ihren wunderbaren Takt und durch ihre unermüdliche Geduld gelungen, die Liebe und das Vertrauen sogar dieser ungebändigten Prinzen zu gewinnen, und es schmerzte die Marquise von Montespan nicht am wenigsten tief, daß sogar ihre eignen Kinder – von ihrem königlichen Liebhaber gar nicht zu reden – sich von dem Prunk und der Pracht ihrer Salons abwandten, um ihre Zeit in den bescheidenen Gemächern ihrer Nebenbuhlerin zuzubringen.

Frau von Maintenon entließ ihre beiden Schüler und empfing die Geistlichen mit einer Mischung von Liebe und Ehrfurcht, welche sie den Männern schuldete, die nicht nur ihre persönlichen Freunde, sondern auch große Lichter der gallikanischen Kirche waren. Den Minister Louvois hatte sie vor kurzem auf einem Schemel sitzen lassen, aber den Priestern räumte sie jetzt die Armsessel ein und bestand darauf, den niedrigen Sitz für sich zu behalten. Die letzten Tage hatten eine Blässe über ihr Antlitz ergossen, welcher ihre Gesichtszüge vergeistigte und verfeinerte, aber ungeschmälert blieb ihnen der ihr eigne Ausdruck lieblicher Gelassenheit.

»Ich sehe, meine teure, gnädige Frau, daß Sie gelitten haben,« sagte Bossuet, indem er sie mit einem forschenden und doch freundlichen Blicke ansah.

»Ich habe sehr gelitten, Ew. Hochwürden,« erwiderte sie. »Die ganze verflossene Nacht habe ich gebetet, daß diese Heimsuchung an uns vorübergehen möge.«

»Und doch brauchen Sie keine Furcht zu haben, gnädige Frau – gar keine, ich versichere Sie. Andere mögen glauben, daß es um Ihren Einfluß geschehen sei; aber wir, die wir des Königs Herz kennen, wir denken anders. Ein paar Tage mögen vergehen, höchstens ein Paar Wochen, dann wird aufs neue jedes Auge in Frankreich sich auf Ihr emporsteigendes Gestirn richten.«

Frau von Maintenons Stirn umwölkte sich; sie sah den Prälaten an, als sei seine Rede nicht so ganz nach ihrem Geschmacke.

»Ich denke nicht, daß Hoffart mich irre leitet,« sagte sie. »Vielmehr, wenn ich in meiner eignen Seele recht lesen kann, mischt sich kein Gedanke an mich selbst in das Herzeleid, das meine Seele zerreißt. Was brauche ich Macht? Was ich mir wünsche, ist ein kleines Zimmer, Muße für meine Gebetsübungen, ein Scherflein, um mich vor Mangel zu schützen – das ist alles. Weshalb also sollte ich nach Macht streben? Wenn es mir weh ums Herz ist, so kommt das nicht von irgend welchem armseligen Verlust, der mich persönlich betroffen hat. Er bekümmert mich nicht mehr, als das Abreißen eines Fadens in dem Stickrahmen dort. Um den König traure ich – um das edle Herz, die gütige Seele, welche so hoch steigen könnte, und die, dem königlichen Aare gleich, von einem schmutzigen Gewicht herabgezogen und in seinem Aufschwunge gehemmt wird. Um ihn und um Frankreich fließen meine Tage hin in Leid, und meine Nächte bringe ich auf den Knien zu.«

»Und trotz alledem, meine Tochter, sind Sie ehrgeizig,«

Es war der Jesuit, der diese Worte gesprochen hatte. Seine Stimme war klar und kalt, und seine durchdringenden grauen Augen schienen in den Tiefen ihrer Seele zu lesen.

»Sie mögen recht haben, mein Vater,« erwiderte Frau von Maintenon. »Gott bewahre mich vor Selbstüberhebung! Und doch glaube ich nicht, daß ich es bin. Der König hat mir in seiner Güte Titel angeboten – ich habe sie abgelehnt; Geld – ich habe es zurückgegeben. Er hat sich herabgelassen, meinen Rat in Staatsangelegenheiten zu erbitten, und ich habe ihn versagt. Wo bleibt da mein Ehrgeiz?«

»In Ihrem Herzen, meine Tochter! Aber es ist kein sündiger Ehrgeiz. Es ist kein Ehrgeiz von dieser Welt. Möchten Sie nicht, daß der König wieder dem Guten nachstrebte?«

»Ich würde mein Leben darum geben.«

»Das ist Ihr Ehrgeiz. Kann ich nicht in Ihrer edlen Seele lesen? Würde es Sie nicht beglücken, wenn Sie sähen, daß die Kirche rein und ungetrübt in diesem ganzen Reiche herrschte – wenn Sie sähen, wie dem Armen ein Heim, dem Bedürftigen Hilfe zu teil und der Gottlose von seinem bösen Wesen bekehrt würde, wie der König in allem Edlen und Guten stets der erste, der Führer wäre? Würde das nicht Ihr Herz beglücken, meine Tochter?«

Ihre Wangen erglühten, und ihre Augen leuchteten, als sie dem Jesuiten in das graue Antlitz blickte und das Bild vor sich sah, welches seine Worte vor ihr heraufbeschworen. »Ja wahrlich, das würde ein Freude sein!« rief sie begeistert aus.

»Und noch größere Freude würde es sein, wenn Ihnen – nicht der Mund des Volkes, sondern die Stimme Ihres eignen Herzens in der Stille Ihres Kämmerleins sagte, daß Sie die Ursache von alledem sind, daß Ihr Einfluß diesen Segen über den König und das Vaterland gebracht hat.«

»Mit Freuden würde ich dafür sterben!«

»Wir verlangen etwas Schwereres von Ihnen. Sie sollen dafür leben

»Ah!« Sie blickte fragend von einem zum anderen.

»Meine Tochter!« sagte Bossuet feierlich vorgebeugt, während er seine breite weiße Hand, an welcher der purpurn leuchtende Siegelring im Sonnenschein funkelte, ausstreckte, »die Zeit ist da, wo offnes Aussprechen geboten ist. Das Interesse der Kirche verlangt es. Niemand hört uns, und es soll auch niemand je erfahren, was jetzt zwischen uns vorgeht. Betrachten Sie uns, wenn Sie wollen, wie zwei Beichtiger, denen Ihr Geheimnis unverletzlich ist. Ich nenne es ein Geheimnis, und doch ist es keins für uns, denn es ist unsres Amtes, die Menschenherzen zu lesen. Sie lieben den König

»Hochwürden!« Sie fuhr auf, und ein warmes Erröten, das in ihre blassen Wangen stieg, wurde dunkler und breitete sich aus, bis es auch ihre weiße Stirn und ihren königlichen Nacken rosig gefärbt hatte.

»Sie lieben den König!« wiederholte Pater La Chaise.

»Hochwürden – Vater!«

Sie wandte sich verwirrt von einem zum anderen.

»Es ist keine Schande, zu lieben, meine Tochter,« beruhigte sie Bossuet. »Die Schande liegt nur darin, daß man der Liebe unterliegt. Ich sage es noch einmal: Sie lieben den König.«

»Wenigstens habe ich es ihm niemals gestanden,« stammelte sie.

»Und Sie wollen es auch niemals thun?«

»Gebe der Himmel, daß meine Zunge vorher verdorrte!« rief sie erregt.

»Aber erwägen Sie, meine Tochter!« sagte der Jesuit ruhig. »Solche Liebe in einer Seele, wie die Ihrige, ist eine Himmelsgabe und zu weisem Zwecke gesandt. Irdische Liebe ist ja zu oft nur ein schädliches Unkraut, welches den Boden, aus dem es emporsprießt, verderbt, hier aber ist sie eine Gnadenblume, die von Demut und Tugend duftet.«

»Ach! ich habe mit aller Energie versucht, sie aus meinem Herzen zu reißen.«

»Nicht doch; im Gegenteil, lassen Sie sie feste Wurzel darin schlagen. Wenn der König nur etwas zärtliches Entgegenkommen von Ihnen erführe, wenn Sie ihn nur fühlen ließen, daß seine eigne Neigung ein Echo in Ihrem Herzen findet, dann könnte es geschehen, daß der Ehrgeiz, den Sie bekennen, zum Ziele gelangte! Dann würde Ludwig, durch die innige Gemeinschaft mit Ihrer edlen Natur gestärkt, vielleicht dem Geiste wie der Ordnung der Kirche gemäß lieben. Alles dies konnte aus der Liebe entspringen, welche Sie ängstlich verstecken, als trüge sie das Brandmal der Schande.«

Frau von Maintenon erhob sich halb von ihrem Sitze und blickte von dem Prälaten zu dem Priester mit Augen, in deren Tiefen die Ahnung von etwas Entsetzlichem aufdämmerte.

»Kann ich Sie verstanden haben?« stieß sie schwer atmend hervor. »Welcher Sinn liegt hinter diesen Worten? Sie könnten mir raten –«

Der Jesuit war aufgestanden, und seine dürre Gestalt überragte sie hoch.

»Meine Tochter,« sagte er, »wir geben keinen Rat, der unsres Amtes nicht würdig wäre. Wir sprechen im Interesse unsrer heiligen Kirche, und dieses Interesse verlangt, daß Sie den König – heiraten.«

»Den König heiraten?« Das kleine Zimmer verschwamm vor ihren Augen. »Den König heiraten?«

»Jawohl,« bestätigte Pater La Chaise, »darin liegt die beste Hoffnung für die Zukunft. Wir sehen in Ihnen eine zweite Jeanne d'Arc, die beide retten wird – Frankreich und Frankreichs König!«

Frau von Maintenon saß einige Sekunden lang ganz still. Ihr Gesicht war wieder gefaßt, und ihre Augen waren wie abwesend auf ihren Stickrahmen gerichtet, während sie in ihrem Gemüte alles erwog, was aus der Einflüsterung des Jesuiten sich unausbleiblich ergab.

»Aber gewiß – das kann doch nicht geschehen,« sagte sie endlich. »Warum Pläne machen, die sich doch nie verwirklichen können?«

»Und warum nicht?«

»Welcher König von Frankreich hat je eine Unterthanin geheiratet?« erwiderte sie. »Sehen Sie doch, wie alle Prinzessinnen von Europa ihre Hände nach ihm ausstrecken. Frankreichs Königin muß aus königlichem Geblüt sein, wie es auch die letzte war.«

»Diese Schwierigkeit wäre nicht unüberwindlich,« meinte der Jesuit.

»Das ist aber nicht alles,« fuhr die Maintenon fort. »Zu der Geburtsfrage kommen noch die politischen Erwägungen. Wenn der König wieder heiratet, so müßte er dadurch zugleich einen mächtigen Verbündeten gewinnen, die Freundschaft mit einer benachbarten Nation befestigen, oder als Heiratsgut der Braut eine Provinz seinem Reiche hinzufügen können. Was ist mein Heiratsgut? Eine Witwenpension und ein Arbeitskästchen,«

Sie lachte bei den letzten Worten bitter auf und schaute doch ihre Besucher aufgeregt fragend an, als wünsche sie, widerlegt zu werden.

»Ihr Heiratsgut, meine Tochter,« sagte der Pater, »sind die körperlichen und geistigen Vorzüge, mit welchen der Himmel Sie ausgestattet hat. Der König hat Geld genug und Provinzen genug. Und was den Staat angeht, wie kann ihm ein größerer Dienst geleistet werden, als durch die Gewähr, daß für die Zukunft der König vor solchen Schauspielen bewahrt bleibt, wie man sie heute in diesem Paläste sieht?«

»Ach, wenn das sein könnte!« sagte die Maintenon. »Aber bedenken Sie, mein Vater – bedenken Sie seine Umgebung – der Dauphin, – Monsieur, sein Bruder – seine Minister! Sie wissen doch, wie denen ein solcher Schritt mißfallen würde, und wie leicht es für sie ist, ihn zu beeinflussen! Nein, nein; es ist ein schöner Traum, mein Vater, ein Traum, der sich nie verwirklichen wird.«

Ihre anderen Einwände hatten die beiden Geistlichen mit leichter Handbewegung lächelnd beseitigt; bei diesem bewölkten sich ihre Angesichter, als habe sie endlich das wahre Hindernis berührt.

»Meine Tochter,« sagte der Jesuit feierlich, »diesen Punkt können Sie getrost der Kirche überlassen. Es dürfte sich doch erweisen, daß wir einige Macht über den König haben und ihn auf den rechten Pfad zu leiten vermögen, ob auch seine nächsten Blutsverwandten sich dagegen auflehnen wollten. Die Zukunft wird es lehren, wer den Sieg behält. Was aber Sie angeht, meine Tochter, so weisen Pflicht und Liebe Sie auf den gleichen Weg, und die Kirche kann auf Sie zählen, nicht wahr?«

»Bis zu meinem letzten Atemzuge, Vater.«

»Ebenso können Sie, meine Tochter, auf die Kirche rechnen. Sie wird Ihnen dienen, wenn Sie Ihrerseits ihr dienen wollen.«

»Welchen höheren Wunsch könnte ich haben?«

»Sie werden unsre Tochter, unsre Königin, unsre Heldin sein,« beteuerte der Jesuit, »und Sie werden die Wunden der leidenden Kirche heilen.«

»Ach, wenn ich das vermöchte!« seufzte sie.

»Sie vermögen es,« entgegnete der Jesuit. »So lange noch die Ketzerei im Lande ist, kann es keinen Frieden, keine Ruhe für die Gläubigen geben. Die Ketzerei ist der arge Wurm, der die ganze Frucht verderben wird, wenn man ihn nicht bei Zeiten herausschält.«

»Was soll denn geschehen, mein Vater?«

»Die Hugenotten müssen aus dem Lande,« erwiderte Pater La Chaise. »Sie müssen ausgetrieben werden. Die Böcke und Schafe müssen geschieden werden. Des Königs Gemüt ist im Zwiespalt. Louvois haben wir bereits gewonnen. Wenn Sie zu uns stehen wollen, wird alles gut gehen.«

»Aber Vater, bedenken Sie doch, wie viele ihrer sind,« wandte die Maintenon ein.

»Um so notwendiger ist es, sie zu beseitigen,« eiferte der Pater.

»Und bedenken Sie doch auch die Leiden der armen Irrenden, wenn sie alle vertrieben werden sollten,« fuhr sie fort.

»Das Heilmittel liegt in ihrer Hand,« gab der Jesuit kühl zurück.

»Das ist wahr,« gab die Maintenon zu, »und doch bricht mir das Herz über sie.«

Pater La Chaise und der Bischof schüttelten die Köpfe. Die Natur hatte beide wohlwollend und barmherzig erschaffen, aber das Herz wird steinhart, wenn der Segen der Religion sich in den Fluch des Fanatismus verwandelt.

»Sie wollen also Gottes Feinde in Schutz nehmen?« rief der Jesuit erzürnt.

»Nein, nein,« entgegnete sie. »Niemals, wenn sie das wirklich sind.«

»Können Sie daran zweifeln? Ist es möglich, daß Ihr Herz noch an den ketzerischen Anschauungen Ihrer Jugend hängt?«

»Nein, mein Vater,« versicherte sie, »aber es wäre unnatürlich, zu vergessen, daß mein Vater und Großvater –«

»Gewiß,« versetzte der Pater, »aber sie haben ihre eigne Sünde selbst zu verantworten. Sollte es jedoch möglich sein, daß die Kirche sich in Ihnen, meine Tochter, getäuscht hätte? Verweigern Sie ihr die erste Gunst, die sie von Ihnen begehrt? Sie möchten ihre Hilfe annehmen, ohne ihr einen Gegendienst zu leisten?«

Frau von Maintenon stand auf. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt.

»Sie sind weiser, als ich,« sagte sie fest, »und Ihnen sind die Interessen der Kirche anvertraut. Ich will thun, was Sie raten.«

»Sie versprechen es, meine Tochter?«

»Ja, ich verspreche es.«

Die beiden Geistlichen erhoben ihre Hände gleichzeitig, wie zum Gebete.

»Das ist ein gesegneter Tag,« riefen sie einstimmig, »künftige Generationen werden ihn als solchen bezeichnen!«

Frau von Maintenon hatte ihren Sitz wieder eingenommen. Wie betäubt von den Aussichten, welche sich ihr eröffneten, saß sie da. Wie der Jesuit es vermutet – ehrgeizig war sie immer gewesen, sie hatte nach Macht gestrebt, um dereinst die Welt besser zu verlassen, als sie dieselbe gefunden hatte. Bis zu einem gewissen Grade hatte sie diesen Ehrgeiz bereits befriedigen können, denn mehr als einmal hatte sie König und Königreich nach ihrem Willen geleitet. Aber den König zu heiraten – den Mann zu heiraten, für den sie gern ihr Leben gelassen hätte, den sie in der Tiefe ihres Herzens so rein, so tief liebte, wie nur je ein Weib es gethan – das überstieg in der That ihre kühnsten Hoffnungen. Sie kannte ihr eignes Innere, und sie kannte das seine. War sie einmal seine Frau, dann konnte sie ihn zum Guten lenken und jeden bösen Einfluß ihm fernhalten. Dessen war sie ganz sicher. Sie würde keine schwache Maria Theresia, sondern vielmehr, wie der Priester gesagt, eine neue Jeanne d'Arc sein, die sich berufen fühlte, Frankreich und Frankreichs König auf bessere Wege zu leiten. Und wenn sie zu diesem Zwecke ihr Herz gegen die Hugenotten verhärten mußte, dann lag die Schuld, wenn es eine solche war, mehr bei denen, die diese Bedingung stellten, als bei ihr. Des Königs Gemahlin! Das Herz des Weibes und die Seele der Enthusiastin, beide jauchzten auf bei dem Gedanken.

Doch diese freudige Erregung schlug im nächsten Augenblick in Zagen und Zweifeln um. War diese ganze schöne Aussicht nicht eine bloße Träumerei am hellen Tage? Wie konnten diese Männer so sicher sein, daß sie den König in ihrer Hand hielten? Der Jesuit las die bange Frage, die ihre soeben noch funkelnden Augen trübte, und antwortete darauf, noch ehe sie Zeit gehabt, sie in Worten zu kleiden.

»Die Kirche erfüllt schnell ihre Verbindlichkeiten,« fügte er, »und Sie, meine Tochter, müssen ebenso rasch bei der Hand sein, wenn die Reihe an Sie kommt.«

»Ich habe es versprochen, Vater,« erwiderte sie.

»Dann liegt es uns ob, zu handeln,« sagte der Jesuit, »Ich ersuche Sie, den ganzen Abend in Ihrem Zimmer zu bleiben,«

»Ich werde es keinen Augenblick verlassen, mein Vater.«

»Schon schwankt nämlich der König. Ich habe heute morgen mit ihm gesprochen. Seine Seele war voll Dunkelheit und Verzweiflung. Sein besseres Selbst wendet sich voll Ekel von seinen Sünden ab. Jetzt, wo ihn die erste heiße Anwandlung von Reue überkommt, wird er sich am leichtesten zu unsern Zwecken formen lassen. Ich muß ihn nun noch einmal sehen und mit ihm sprechen. Aus Ihrem Zimmer gehe ich in das seinige. Und wenn ich mit ihm gesprochen, wird er hierher kommen, – oder ich müßte sein Herz diese zwanzig Jahre lang vergeblich studiert haben. So verlassen wir Sie denn jetzt, meine Tochter, und Sie werden uns eine Weile nicht wiedersehen, wohl aber die Wirkungen unsres Thuns wahrnehmen, und Sie werden daran gedenken, was Sie uns gelobt haben.«

Die beiden Geistlichen verbeugten sich tief und gleichzeitig vor ihr und ließen sie dann mit ihren Gedanken allein.

Eine Stunde verging und dann eine zweite. Frau von Maintenon saß im Lehnstuhl, die Stickerei lag vor ihr, aber ihre Hände ruhten lässig in ihrem Schoß. Sie wartete auf ihr Schicksal. Über die Zukunft ihres Lebens wurde jetzt entschieden, und sie selbst hatte nicht die Macht, etwas dafür oder dawider zu thun. Das Tageslicht wandelte sich in den Dämmerschein des Abends und dieser in wachsendes Dunkel, und sie saß noch immer im Schatten und wartete. Zuweilen, wenn ein Schritt im Korridor draußen laut wurde, blickte sie erwartungsvoll nach der Thür – dann leuchtete ein Willkommensstrahl in ihren grauen Augen auf, aber nur, um schnell wieder in Enttäuschung zu vergehen. Endlich aber kam ein schneller, scharfer Tritt, der schneidig und gebieterisch klang. Mit glühenden Wangen und ungestüm klopfendem Herzen fuhr sie empor. Die Thür wurde geöffnet, und von dem grauen Lichte, das auf dem Gange draußen herrschte, hob sich hochaufgerichtet die anmutvolle Gestalt des Königs ab.

»Sire!« rief sie, »Fräulein Nanon wird sogleich die Lampe anzünden!«

»Rufen Sie sie nicht,« erwiderte er und schloß eintretend die Thür hinter sich zu. »Françoise, das Abenddunkel ist mir willkommen, weil es mir die Vorwürfe verbirgt, die in Ihrem Blicke liegen müssen, sollte auch Ihre Zunge zu gütig sein, um sie auszusprechen.«

»Vorwürfe, Sire? Verhüte Gott, daß ich Ihnen solche machte.«

»Als ich Sie jüngst verließ, Françoise, hatte ich einen guten Entschluß gefaßt,« fuhr der König fort. »Ich versuchte, ihn auszuführen, aber es mißlang – es mißlang! Ich erinnere mich noch wohl, daß Sie mich warnten. Thor, der ich war, Ihren Rat nicht zu befolgen!«

»Wir sind alle schwache Sterbliche, Sire. Wer hätte nie gestrauchelt! Nicht so, Sire, nicht so; es schneidet mir durchs Herz, Sie so zu sehen!«

Der König stand am Kamin, das Gesicht in beide Hände vergraben; an seinem stoßweisen Atmen merkte sie, daß er weinte. Alles weiche Mitleid ihrer Frauennatur regte sich für die schweigende, bereuende Gestalt, die in dem immer tiefer sinkenden Dämmerlicht kaum noch sichtbar blieb. Mit teilnehmender Gebärde streckte sie die Hand aus und ließ sie einen Augenblick auf seinem Arm ruhen. Im nächsten hatte er sie mit seinen beiden Händen umschlossen, und sie machte keinen Versuch, sie zu lösen.

»Ich kann nicht ohne dich leben, Françoise,« rief er leidenschaftlich. »Ich bin der einsamste Mensch auf der Welt. Ich komme mir vor, wie einer, der auf einer hohen Bergspitze wohnt, ohne einen Genossen. Wo habe ich einen Freund? Wem kann ich trauen? Der lebt für die Kirche, jener für seine Familie – die meisten für ihren eignen Vorteil, Aber wer unter allen meint es treu? Du, Françoise, bist mein besseres Selbst! Du bist mein Schutzengel! Was der gute Vater sagt, ist wahr, und je näher ich dir bin, desto ferner bin ich allem, was böse ist. Sage mir Françoise, liebst du mich?«

»Ich habe Sie seit Jahren geliebt, Sire.«

Ihre Stimme war leise, aber klar – die Stimme einer Frau, der alle Koketterie ein Greuel war.

»Ich hatte es gehofft, Franchise, und doch erbebt mein Herz, da ich es dich sagen höre. Ich weiß, daß Reichtum und Hoheit dir gleichgültig sind, und daß dein Verlangen eher auf den Frieden des Klosters, als auf das Treiben des Palastes gerichtet ist. Und doch bitte ich dich, im Palast zu bleiben und darin zu herrschen. Willst du mein Weib sein, Françoise?«

So war denn der wichtige Augenblick in Wirklichkeit gekommen. Sie schwieg einen Atemzug lang, ehe sie diesen letzten großen Schritt that, aber sogar das war für die Ungeduld des Königs zu lange.

»Du willst nicht, Françoise?« rief er mit angstvoll bebender Stimme.

»Möge Gott mich einer solchen Ehre würdig machen, Sire!« antwortete sie nun. »Und hier schwöre ich, daß wenn der Himmel mein Leben verdoppelt, jede Stunde dem einen Bemühen gehören soll, Sie zu einem glücklicheren Manne zu machen.«

Sie war auf ihre Kniee gesunken. Der König, der noch immer ihre Hand in der seinen hielt, kniete neben ihr nieder.

»Und ich schwöre auch,« rief er, »daß wenn auch meine Tage sich verdoppeln sollten, du für mich jetzt und immerdar das einzige Weib in der Welt bleiben wirst.«

Und so leisteten sie den Doppeleid: einen Eid, den die Zukunft bewähren sollte; denn jedes von ihnen erlebte die doppelte Zahl der Jahre und keines brach das Gelübde, das sie an jenem Abende in dem schattenumwobenen Gemache Hand in Hand abgelegt hatten.


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