Arthur Conan Doyle
Die Réfugiés
Arthur Conan Doyle

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X. Eine Sonnenfinsternis in Versailles.

Frau von Maintenon hatte noch nie ihre Selbstbeherrschung verloren, noch war sie jemals um eine Ausflucht verlegen gewesen. So erhob sie sich auch jetzt sofort mit einer Miene, als erblicke sie endlich einen willkommenen Gast, nach dem sie schon sehnsüchtig ausgeschaut hatte. Mit offnem Lächeln und ausgestreckter Hand ging sie ihr entgegen.

»Das ist einmal eine Freude!« sagte sie.

Aber Frau von Montespan war sehr zornig, so zornig, daß sie augenscheinlich mit aller Kraft nach Selbstbeherrschung rang, um einen Wutausbruch zurückzuhalten. Ihr Gesicht war sehr blaß, ihre Lippen zusammengepreßt, und ihre blauen Augen hatten den stieren Blick und das kalte Funkeln, das rasenden Weibern eigen ist. So standen sie einen Augenblick einander Aug' in Auge gegenüber, die eine grollend, die andere lächelnd, zwei der schönsten, königlichsten Frauen Frankreichs. Dann aber, ohne die ausgestreckte Hand ihrer Nebenbuhlerin zu beachten, wandte sich die Montespan zum König, der sie mit umwölktem Gesichte angeblickt hatte.

»Ich störe wohl, Sire.«

»Sie kommen allerdings etwas überraschend, Marquise.«

»Ich muß um Verzeihung bitten, wenn dem so ist. So lange diese Dame die Erzieherin meiner Kinder ist, bin ich gewohnt, ihr Zimmer unangemeldet zu betreten.«

»Soweit ich in Betracht komme, gestatte ich Ihnen das sehr gern,« sagte Frau von Maintenon mit vollkommener Fassung.

»Ich muß gestehen, daß ich nie daran gedacht habe, Sie um Erlaubnis zu bitten,« erwiderte ihre Nebenbuhlerin kalt.

»Dann werden Sie das von nun an thun, Marquise,« sagte der König streng. »Es ist mein ausdrücklicher Befehl, daß Sie dieser Dame hinfort jede erdenkliche Rücksicht erweisen.«

»Dieser Dame, so?« und sie machte eine Handbewegung nach ihr hin. »Ew. Majestät Befehle sind uns natürlich Gesetze. Allerdings muß ich es meinem Gedächtnis einprägen, daß es diese Dame ist, denn zuweilen könnte man sich in den Namen irren, die Ew. Majestät zu besonderer Ehrenbezeugung erwählt haben. Heute ist es die Maintenon, gestern war's die Fontanges, morgen – ei nun, wer kann wissen, wer es morgen sein wird?«

Sie war prächtig, wie sie so dastand mit den funkelnden blauen Augen, dem erregt wogenden Busen und stolz und völlig furchtlos auf ihren königlichen Liebhaber herabsah. So ärgerlich er auch war, sein Blick verlor doch etwas von seiner Strenge, als er auf ihrem runden vollen Halse und auf den zarten Linien ihrer schöngeformten Schultern ruhte. Ihre Leidenschaftlichkeit stand ihr sehr gut, wie auch die herausfordernde Haltung ihres zierlichen Kopfes und die höhnische Geringschätzung, mit der sie auf ihre Nebenbuhlerin herabschaute.

»Durch Ihre freche Anmaßung werden Sie nichts gewinnen, gnädige Frau,« bemerkte er.

»Ich bin mir nicht bewußt, anmaßend gesprochen zu haben.«

»Ihre Worte klangen aber so.«

»Am französischen Hofe, Sire, wird die Wahrheit fälschlich immer Anmaßung genannt.«

»Wir haben davon nun genug gehört.«

»Ein klein wenig Wahrheit ist freilich Wahrheit genug.«

»Sie vergessen sich, Marquise. Ich bitte, verlassen Sie das Zimmer.«

»Zuvor muß ich Ew. Majestät daran erinnern, daß ich an diesem Nachmittag die Ehre eines Besuches haben sollte. Um vier Uhr, so lautete das königliche Versprechen, wollten Sie zu mir kommen. Ich kann nicht daran zweifeln, daß Ew. Majestät dieses Versprechen halten wird, trotz des Magnetes, der Sie hier zu fesseln scheint.«

»Ich würde gekommen sein, gnädige Frau, aber wie Sie bemerken werden, geht die Uhr eine halbe Stunde nach, und die Zeit war mir im Fluge vergangen, ehe ich es bemerkte.«

»Ich bitte Sie, Sire, sich deswegen nicht zu beunruhigen. Ich kehre jetzt auf mein Zimmer zurück, und fünf Uhr paßt mir ebenso gut als vier.«

»Ich danke Ihnen, Marquise, aber ich habe die jetzige Zusammenkunft nicht so erfreulich gefunden, als daß mich nach einer zweiten verlangen sollte.«

»So werden Majestät also nicht kommen?«

»Allerdings, ich ziehe das vor.«

»Trotz Ihres Versprechens?«

»Gnädige Frau!«

»Sie werden also Ihr Wort brechen!«

»Schweigen Sie, Marquise! Dies wird unerträglich!«

»Wahrhaftig, es ist unerträglich!« rief die Montespan entrüstet und ließ jede Vorsicht fahren. »O ich habe keine Angst vor Ihnen, Sire. Ich habe Sie geliebt, aber ich habe Sie nie gefürchtet! Ich verlasse Sie denn. Ich überlasse Sie Ihrem Gewissen und – und Ihrer Frau Beichtigerin. Aber ein wahres Wort sollen Sie noch hören, ehe ich gehe. Sie haben Ihrer Gemahlin die Treue gebrochen, Sie haben Ihrer Geliebten die Treue gebrochen, aber erst jetzt sehe ich, daß Sie auch Ihr Wort brechen können!«

Damit machte sie ihm eine flüchtig zornige Verbeugung und glitt erhobenen Hauptes aus dem Zimmer.

Wie von einer Schlange gestochen, sprang der König von seinem Stuhle empor. Seine sanfte, kleine Gemahlin und die noch sanftere La Vallière hätten es nie gewagt, so zu ihm zu sprechen. Was er soeben gehört, wirkte auf ihn, wie ein körperlicher Schlag. Er fühlte sich betäubt, gedemütigt, verwirrt von einer so ganz ungewohnten Empfindung. Welch ein fremdartiger Duft mischte sich zum erstenmal in die Weihrauchwolke, in der er lebte? Und dann empörte sich seine ganze Seele gegen sie, gegen die Frau, welche es gewagt hatte, ihre Stimme gegen ihn zu erheben. Daß sie auf eine andere Frau eifersüchtig war und sie beleidigte, das war zu entschuldigen. Ja, es war eigentlich ein indirektes Kompliment für ihn. Daß sie sich aber gegen ihn wandte, als seien sie beide nichts weiter als Mann und Weib, anstatt Monarch und Unterthanin, das war zu viel. Er stieß einen unartikulierten Wutschrei aus und stürzte der Thür zu.

»Sire!«

Frau von Maintenon, welche den raschen Wechsel der Empfindungen in seinem ausdrucksvollen Antlitz scharf beobachtet hatte, trat schnell zwei Schritt vor und legte die Hand auf seinen Arm.

»Ich will ihr nach!«

»Und warum, Sire?«

»Ich will ihr den Hof verbieten.«

»Aber Sire –«

»Sie haben sie gehört! Es ist infam! Ich muß hin!«

»Aber Sire, könnten Sie nicht schreiben?«

»Nein nein; ich muß sie sehen!«

Er riß die Thür auf.

»O dann, Sire, seien Sie stark!«

Mit angstvollem Gesicht sah sie ihm nach, wie er mit zornigen Gebärden den Korridor hinabstürmte. Dann wandte sie sich um, schritt auf ihren Betschemel zu, fiel auf die Knie und beugte das Haupt zum Gebet für den König, für sich, für Frankreich.


Herr von Catinat hatte inzwischen seinem jugendlichen Freunde von jenseit des Wassers alle Wunder des großen Palastes gezeigt, und dieser hatte sie bald getadelt, bald bewundert, mit einer Unabhängigkeit des Urteils und einer angeborenen Sicherheit des Geschmacks, wie es einem Manne natürlich ist, dessen Leben in der Freiheit, inmitten der herrlichsten Naturwunder verflossen ist. Wie groß auch die mächtigen Fontänen und die künstlichen Kaskaden von Versailles sein mochten, sie machten keinen überwältigenden Eindruck auf einen Mann, der vom Erie- hinauf nach dem Ontariosee gereist war, der gesehen hatte, wie der Niagarastrom sich über seine Felswände tosend in den Abgrund stürzt; und ebensowenig kamen ihm die weiten ebnen Rasenflächen besonders groß vor, der die ausgedehnten Ebenen der Dakotas gesehen hatte. Das Gebäude selbst jedoch, seine Ausdehnung, seine Höhe und die Schönheit seiner Architektur erfüllte ihn mit Erstaunen.

»Das muß Ephraim Savage sehen,« wiederholte er immer aufs neue. »Sonst würde er nie glauben, daß es ein Haus in der Welt gibt, welches mehr wiegt als ganz Boston und New York zusammengenommen.«

Catinat hatte es so eingerichtet, daß der Amerikaner bei seinem Freunde, dem Major von Brissac, blieb, während er selbst zum zweitenmale auf Wache ziehen mußte. Kaum hatte er seinen Posten im Korridor eingenommen, als zu seinem Erstaunen der König ohne Begleitung oder Diener schnell den Gang hinabgeeilt kam. Sein zartes Gesicht war vom Zorn entstellt, und der Mund grimmig zusammengepreßt, als habe er einen bedeutungsvollen Entschluß gefaßt.

»Offizier von der Wache,« sagte er kurz.

»Zu Befehl, Sire.«

»Wie! Sie sind es wieder, Hauptmann von Catinat? Sie sind doch nicht seit heute morgen auf Wache gewesen?

»Nein, Sire. Es ist meine zweite Wache.«

»Gut. Ich habe einen Auftrag für Sie.«

»Ich stehe zu Befehl, Sire.«

»Ist ein andrer Offizier da?«

»Lieutenant de la Tremouille hat die Seitenwache.«

»Gut. Übergeben Sie ihm das Kommando.«

»Zu Befehl, Sire.«

»Sie selbst werden zu Herrn von Vivonne gehen. Wissen Sie, wo er wohnt?«

»Jawohl, Sire.«

»Wenn er nicht da ist, müssen Sie ihn aufsuchen. Wo er auch sein mag, er muß innerhalb einer Stunde gefunden werden.«

»Zu Befehl, Sire.«

»Sie werden ihm einen Befehl von mir überbringen. Um sechs Uhr soll er mit seinem Wagen am Ostthor des Palastes sein. Seine Schwester, die Frau von Montespan, wird ihn dort erwarten. Er soll sie auf meinen Befehl nach dem Schlosse Petit Bourg geleiten. Sie werden ihm sagen, daß er für ihre sichere Ankunft daselbst einstehen muß.«

»Zu Befehl, Sire.«

Catinat senkte grüßend die Degenspitze und machte sich auf, um den erhaltenen Befehl auszuführen.

Der König durchmaß die Galerie bis ans Ende; dort öffnete er eine Thür, welche in ein prächtiges Vorzimmer führte, das von Spiegelglas und Gold strahlte. Zierliche Möbel aus Silber und Ebenholz prangten auf einem dunkelroten Teppich aus Aleppo, in dem der Fuß versank wie in schwellendem Waldmoose. Ganz übereinstimmend mit dieser Ausstattung war das einzige menschliche Wesen, das sich in diesem prächtigen Raum befand – ein kleiner Negerknabe in dunkler, mit Silberflittern besetzter Sammetlivree, der unbeweglich, wie eine kleine schwärzliche Statuette gegen die Thür lehnte, die derjenigen, durch welche der König eintrat, gegenüberlag:

»Ist deine Gebieterin drinnen?«

»Sie ist soeben zurückgekehrt, Sire.«

»Ich möchte sie sehen.«

»Ich bitte um Verzeihung, Sire, aber sie –«

»Muß mir denn heute alles widersprechen?« zürnte der König, packte den kleinen Pagen beim Kragen, und schleuderte ihn beiseite. Dann öffnete er, ohne zu klopfen, die Thür und trat in das Boudoir der Dame.

Es war ein großes, hohes Gemach. Drei breite, vom Boden bis an die Decke reichende Fenster nahmen die eine Seite ein, und durch die zarten, rosafarbigen Vorhänge warf die Abendsonne ein mildes, gedämpftes Licht. Große vergoldete Kandelaber prangten zwischen den Spiegeln, und an der Decke hatte Le Brun die ganze reiche Farbenglut seines Pinsels verschwendet. Sein Gemälde stellte Ludwig dar als den Donnerer Zeus, wie er seine Blitze in einen verzerrten Knäuel holländischer und Pfälzer Titanen schleudert. Der vorherrschende Farbenton auf Tapeten, Teppichen und Möbeln war rosa, so daß das ganze Zimmer wie die Innenseite einer Muschel schimmerte und bei einer Beleuchtung, wie sie jetzt eben sich darüber ergoß, einem Gemache glich, das ein Feenkönig für seine Königin erbaut hat. Im Hintergrunde, auf einer Ottomane hingestreckt, das Antlitz in die Kissen gedrückt, die schönen weißen Arme darüber verschränkt, die reichen braunen Haarwellen aufgelöst und ungeordnet über die langgeschwungene Linie des marmorweißen Halses herabhängend, so lag die Frau, die er endgültig verstoßen wollte, da, wie eine geknickte Blume.

Sie hatte aufgeblickt, als die Thür sich schloß; dann aber beim Anblick des Königs sprang sie auf, lief ihm mit ausgestreckten Händen und thränenfeuchten Augen entgegen, und ihr ganzes schönes Antlitz war zu weiblichster Demut und Sanftmut verklärt.

»Ach, Sire!« rief sie, und wie ein reizender Sonnenstrahl brach die Freude sich durch ihre Thränen Bahn, »ich habe Ihnen also doch Unrecht gethan! Ich habe Ihnen grausames Unrecht gethan! Sie haben Ihr Versprechen gehalten. Sie haben nur mein Vertrauen auf die Probe stellen wollen! O wie konnte ich so zu Ihnen sprechen! – wie konnte ich diesem edlen Herzen so wehe thun! Aber nun sind Sie gekommen, um mir zu sagen, daß Sie mir vergeben!«

Dabei streckte sie die Arme aus, zutraulich wie ein liebliches Kind, das eine Umarmung als etwas Selbstverständliches beansprucht. Aber der König trat rasch zurück und wies sie mit zorniger Geberde von sich.

»Alles ist auf ewig zwischen uns zu Ende,« rief er rauh. »Ihr Bruder erwartet Sie um sechs Uhr am Ostthor; mit ihm werden Sie das Schloß verlassen.«

Sie taumelte zurück, als hätte er sie geschlagen.

»Ich soll Sie verlassen?« rief sie.

»Sie müssen den Hof verlassen.«

»Den Hof! Ja von Herzen gern, diesen Augenblick! Aber Sie! Ach Sire, Sie verlangen das Unmögliche!«

»Ich verlange nicht, Marquise; ich befehle. Seit Sie angefangen haben, Ihre Stellung bei Hofe zu mißbrauchen, ist mir Ihre Gegenwart unerträglich geworden. Kein gekröntes Haupt Europas hätte je gewagt, zu mir zu sprechen, wie Sie es heute gethan haben. Sie haben mich in meinem eignen Palast beschimpft – mich, Ludwig, den König! Das darf nicht zum zweitenmal vorkommen. Ihre Anmaßung hat Sie diesmal zu weit geführt. Sie wähnten, weil ich langmütig war, ich wäre schwach. Es kam Ihnen so vor, als könnten Sie, wenn Sie mir nur heute willfährig waren, mich morgen als Ihresgleichen behandeln, als ließe sich so ein armseliger Puppenkönig nach Belieben rechts oder links drehen. Sie sehen jetzt, daß Sie sich irrten. Um sechs Uhr werden Sie Versailles auf immer verlassen.«

Seine Augen sprühten Blitze, und seine kleine hochaufgerichtete Gestalt schien zu wachsen bei der Heftigkeit seiner Entrüstung, während Frau von Montespau, die eine Hand über die Augen gelegt, die andere ausgestreckt wie zur Abwehr des zornigen Blickes, wie zusammengebrochen dastand.

»O, ich habe schändlich gehandelt!« rief sie. »Ich weiß es, ich weiß es!«

»Es freut mich, Marquise, daß Sie die Gnade haben, das einzugestehen.«

»Wie konnte ich nur so zu Ihnen sprechen! Wie konnte ich! O wenn doch diese unselige Zunge verdorrte! Ich, die nur Gutes von Ihnen erfahren hat! Ich mußte Sie beleidigen, der Sie der Urheber all meines Glückes sind! O Sire, vergeben Sie, vergeben Sie mir! Aus Erbarmen, vergeben Sie mir!«

Ludwig war von Natur ein gutherziger Mann. Die Selbsterniedrigung dieser schönen hochmütigen Frau rührte ihn und schmeichelte seinem Stolz. Seine anderen Maitressen waren stets nachgiebig und liebenswürdig gewesen, aber diese war starrsinnig und hochfahrend, bis sie seine Herrenhand fühlte. Sein Blick, der auf ihr ruhte, wurde milder, aber er schüttelte den Kopf, und seine Stimme blieb unerschütterlich fest, als er erwiderte:

»Es ist umsonst, Marquise. Ich habe mir diese Sache seit lange überlegt, und Ihr heutiges wahnsinniges Benehmen hat nur das Unvermeidliche beschleunigt. Sie müssen den Palast verlassen.«

»Ich werde den Palast verlassen. Sagen Sie nur, daß Sie mir vergeben! O Sire, ich kann Ihren Zorn nicht ertragen. Er erdrückt mich. Ich habe nicht die Kraft dazu. Es ist nicht die Verbannung, es ist der Tod, zu dem Sie mich verurteilen. Gedenken Sie der langen Jahre unsrer Liebe, und sagen Sie, daß Sie mir vergeben. Ich habe um Ihretwillen alles aufgegeben – den Gatten, die Ehre – alles. O können Sie nicht Ihren Zorn über mein ungebührliches Betragen unterdrücken? Mein Gott, er weint! O ich bin gerettet! Ich bin gerettet!«

»Nein, nein,« rief der König und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Sie sehen die Schwäche des Mannes, aber Sie sollen auch die Festigkeit des Königs sehen. Ihre heutigen Beleidigungen vergebe ich von Herzen, wenn Sie das in Ihrer Zurückgezogenheit trösten kann. Aber ich habe auch eine Pflicht gegen meine Unterthanen zu erfüllen, es ist die Pflicht, ihnen ein Beispiel zu geben. Wir haben bisher zu wenig daran gedacht. Aber die Zeit ist da, wo es notwendig wird, prüfend auf unser vergangenes Leben zurückzublicken und uns auf das zukünftige vorzubereiten.«

»Ach, Sire, Sie thun mir wehe. Noch haben Sie die Vollreife der Jahre nicht erreicht, und Sie sprechen, als seien Sie dem Greisenalter nahe. Nach zwanzig Jahren mag es Zeit werden, daß die Leute von Ihnen sagen dürfen, das Alter habe Ihre Lebenskraft gebrochen und Sie verwandelt.«

Der König zuckte zusammen. »Wer sagt das?« rief er ärgerlich.

»O, Sire, es entfuhr mir unversehens. Vergessen Sie es. Niemand sagt das, niemand.«

»Sie verbergen mir etwas. Wer hat dies gesagt?«

»O fragen Sie mich nicht, Sire!«

»Sie sagten, es ginge die Rede, ich hätte meine Lebensweise nicht aus Frömmigkeit, sondern genötigt durch den Druck der Jahre geändert. Wer hat das gesagt?«

»Ach, Sire, es war ja nur ein dummer Hofklatsch und ist Ihrer Beachtung ganz unwert. Nichts weiter als das leere Getratsch der Kavaliere, die nichts Besseres zu sagen wußten, um ihren Damen ein Lächeln abzugewinnen.«

»Der allgemeine Hofklatsch!« Ludwig wurde dunkelrot. »Bin ich denn wirklich so gealtert? Sie kennen mich nun seit beinahe zwanzig Jahren. Finden Sie mich auch so verändert?«

»In meinen Augen, Sire, sind Sie so schön und anmutsvoll wie damals, als Sie das Herz des Fräuleins von Tonnay-Charente gewannen.«

Der König lächelte und blickte die schöne Frau vor ihm an.

»Wahrhaftig,« sagte er, »ich kann wohl sagen, daß auch an Fräulein von Tonnay-Charente keine große Veränderung bemerklich ist. Aber doch – es ist besser wir scheiden, Françoise.«

»Wenn dadurch Ihr Glück nur im geringsten vermehrt wird, Sire, werde ich gehen, und sollte ich darüber sterben.«

»Das war gut gesprochen.«

»Sie dürfen nur den Ort bestimmen, Sire – Petit Bourg, Chargny, oder mein St. Josephskloster im Faubourg St. Germain. Was liegt daran, wo die Blume verblüht, wenn die Sonne ihr doch nie mehr scheint? Die Vergangenheit zum wenigsten ist mein Eigentum, und ich werde in der Erinnerung an die Tage leben, wo noch niemand zwischen uns getreten war und Ihre süße Liebe mir ganz allein gehörte. Seien Sie glücklich Sire, seien Sie glücklich, und denken Sie nicht mehr an das, was ich über das thörichte Gerede am Hofe sagte. Ihr Leben liegt in der Zukunft Das meinige gehört der Vergangenheit. Leben Sie wohl, mein teurer Fürst, leben Sie wohl!«

Sie streckte die Arme aus, ihre Augen umflorten sich, und sie würde gefallen sein, wäre Ludwig nicht vorgesprungen und hätte sie in seinen Armen aufgefangen. Das schöne Haupt sank auf seine Schulter, ihr Atem streifte warm seine Wange, und er sog den feinen Duft ein, der ihrem Haar entströmte. Während er sie so hielt, wogte ihr Busen an seinem Arme auf und nieder, und er fühlte, wie ihr Herz unter seiner Hand flatterte, wie ein gefangener Vogel. Der weiße Hals war zurückgesunken, die Augen halb geschlossen, ihre Lippen leise geteilt, so daß man gerade noch die Reihe perlweißer Zähne sehen konnte, ihr schönes Antlitz ganz nahe dem seinen. Da plötzlich zitterten die Augenlider, und die großen blauen Augen schauten zu ihm auf, liebevoll, flehend, halb zurückweisend, halb herausfordernd, die ganze Seele in ihrem Blick. Machte er eine Bewegung, oder war sie es? Wer kann es sagen? Ihre Lippen trafen sich in einem langen Kuß und dann in noch einem, und Ludwigs Pläne und Entschlüsse flogen dahin, wie Herbstblätter vor dem Westwind.

»So soll ich also nicht fort! Sie haben nicht das Herz, mich wegzuschicken, nicht wahr?«

»Nein, nein; aber Sie müssen mir keine Unannehmlichkeiten mehr machen, Françoise.«

»Ich würde lieber sterben, als Ihnen auch nur einen Augenblick Kummer bereiten. Ach Sire, ich habe Sie letzthin so selten gesehen! Und ich liebe Sie so heiß! Es hat mich fast wahnsinnig gemacht. Und dann jene fürchterliche Frau –«

»Wer denn?«

»Ach ich darf nichts gegen sie sagen. Ich will um Ihretwillen sogar gegen sie höflich sein – die Witwe des alten Scarron!«

»Jawohl, jawohl, Françoise. Sie müssen höflich sein. Ich mag keine Mißhelligkeiten haben.«

»Sie aber bleiben bei mir, Sire?« Ihre geschmeidigen Arme umwanden seinen Nacken. Dann hielt sie ihn einen Augenblick auf Armeslänge von sich, um ihre Augen an seinem Anblick zu weiden, darauf zog sie ihn wieder an sich.

»Mein teurer König wird mich nicht verlassen! Wie lange ist's doch her, Sire, seit Sie hier gewesen sind?«

Das süße Gesicht, der Rosenschein des Zimmers, die abendliche Stille, alles vereinigte sich zu einem sinnbethörenden Einfluß. Ludwig sank auf einen Divan.

»Ich bleibe hier,« sagte er.

»Und der Wagen, Majestät, der Wagen am Ostthor?«

»Ich bin hart gegen Sie gewesen, Françoise. Sie vergeben mir, nicht wahr? Haben Sie Papier und Feder, daß ich den Befehl widerrufen kann?«

»Hier ist beides, Sire, auf dem Nebentisch. Ich möchte auch einen Brief schreiben. Wenn ich Sie einen Augenblick verlassen darf, will ich es im Vorzimmer thun.«

Sie schwebte triumphierenden Blickes aus dem Gemach. Der Kampf war heiß gewesen, aber um so herrlicher der Sieg. Im Vorzimmer nahm sie ein rosa Blättchen aus einer zierlichen Schreibmappe und warf rasch ein paar Zeilen darauf hin. Sie lauteten:

»Sollte Frau von Maintenon dem Könige eine Botschaft senden wollen, so wird ihn dieselbe in den nächsten Stunden in Frau von Montespans Gemächern finden.«

Dieses an ihre Nebenbuhlerin gerichtete Billet wurde zusammen mit dem Befehl des Königs durch den kleinen schwarzen Pagen besorgt.


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