Arthur Conan Doyle
Ein Duett
Arthur Conan Doyle

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Die letzten Takte des Duetts

Jungverheiratete Eheleute mögen fühlen, daß »zwei angenehme Gesellschaft sind, drei nicht«Englisches Sprichwort, auf das Alleinseinwollen Liebender gemünzt. aber es kommt die Zeit, wo ein kleiner, lärmender Eindringling ihre köstliche Intimität stört. Das Kommen dieses Dritten ist der Anfang eines neuen Lebens für sie ebenso wie für ihn – eines Lebens, das nützlicher und beständiger ist, aber nie mehr so konzentriert wie vorher. Das kleine, rosige Ding mit den blinzelnden Äuglein zieht einen Teil der Liebe und einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich, und das Unangenehme, das mit seinem Kommen verbunden war, erhöht nur die Liebe seiner Mutter zu ihm. Nicht so der Mann. Ein unbestimmtes Widerstreben mischt sich mit seinem Vaterstolz, und die Leiden seiner Frau nagen noch an seinem Herzen, wenn sie selbst sie schon vergessen hat. Sein Mitleid, seine Angst, seine Hilflosigkeit und Rastlosigkeit geben ihm einen Anteil an der häuslichen Tragödie. Nicht ohne Grund empfängt bei manchen Völkern der Mann und nicht die Frau die Beileids- und Glückwunschkundgebungen.

Es kam eine Zeit, wo Maude sich übel befand, und es kamen Monate, wo es ihr besser ging, und dann kamen die Anzeichen, daß der Tag nahe, an den nur zu denken einen Schatten auf ihres Mannes Dasein warf. Sie für ihren Teil blickte mit dem sanften, festen Mute der Frau heiter dem Kommenden entgegen. Für ihn aber war es ein Alp – ein schrecklicher Alp, der ihn in Schweiß gebadet und fiebernd in den grauen Morgenstunden, da dunkle Schatten auf die Seele des Menschen fallen, aus dem Bette trieb. Er hatte starke Nerven gegen alles, was ihn selbst betraf, er konnte ruhig und bewegungslos im Stuhl des Zahnarztes sitzen, aber welche Philosophie, welche Entschlossenheit kann einen gegen die Schmerzen stählen, die die zu erdulden haben, die wir lieben? Er härmte sich und zitterte, und das alles unter der widersinnigen Täuschung, daß es ihm gelinge, sein Härmen und Zittern zu verbergen. Hundertfaches Mißlingen überzeugt einen Mann noch immer nicht, daß es unmöglich ist, ein liebendes Weib zu täuschen. Maude beobachtete ihn verstohlen und entwarf einen Plan.

»Weißt du, Schatz,« sagte sie eines Abends zu ihm, »wenn du jetzt eine Woche deines Urlaubes nehmen könntest, so wäre es sehr angezeigt, wenn du Herrn Mildmays Einladung annehmen und auf einige Tage nach Norwich zum Golfspiel gehen würdest.«

Frank starrte sie mit weitgeöffneten Augen an.

»Was? Jetzt?«

»Ja, Schatz, jetzt gleich.«

»Wo denkst du hin? Gerade jetzt?«

Maude sah ihn mit einem jener vollkommen unschuldigen Blicke an, die einer Frau zu Gebote stehen, wenn sie eine Täuschung beabsichtigt.

»Ja, Schatz, ich weiß, ich meine aber nur für nächste Woche. Ich denke, es wird dich stärken für – die Woche danach.«

»Du glaubst, es wird die Woche danach sein?«

»Ja, Schatz. Es wäre mir um so viel leichter, wenn ich wüßte, daß du alle Kräfte beisammen hast.«

»Ich? Was kann es ausmachen, ob ich alle Kräfte beisammen habe? – Auf alle Fälle kann aber davon nicht die Rede sein.«

»Könntest du denn den Urlaub haben?«

»O ja, das wohl.«

»Dann geh doch, bitte!«

»Und soll dich um eine solche Zeit allein lassen?«

»Nein, du wärst ja rechtzeitig zurück.«

»Das kann man nicht so sicher wissen. Nein, Maude, ich würde mir das nie vergeben. Es ist nicht daran zu denken.«

»Wenn ich dich aber bitte!«

»Genug, Maude. Es ist ganz vergeblich.«

Frank Crosse hatte einen unbeugsamen Willen, wenn er einmal entschlossen war, und Maude sah, daß dieser Fall hier eingetreten war. Mit einem seltsamen Doppelgefühl war sie erfreut und enttäuscht zugleich, aber doch mehr erfreut als enttäuscht. Sie küßte den Zerstörer ihrer Pläne.

»Was das für ein eigensinniger Junge ist! Aber du weißt es natürlich am besten, und ich möchte dich um die Zeit natürlich lieber zu Hause haben. Du hast recht, man kann nie bestimmt wissen.«

In einem Widerstreit der Geister mag die Frau eine Schlacht verlieren, aber es ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sie den Krieg gewinnt. Der Mann zerstreut seine Kraft auf viele Dinge, während die Frau sie auf eines konzentriert. Maude hatte in bezug auf eine Sache einen Entschluß gefaßt, und sie wollte ihn unbedingt ausführen. Sie versuchte es auf diese, versuchte es auf jene Weise, durch einen Freund, durch ihre Mutter, aber Frank blieb unbeugsam. Was sie selbst auszustehen haben würde, beunruhigte sie keinen Augenblick. Aber der Gedanke, daß Frank leiden würde, war ihr unerträglich. Sie dachte sich an seine Statt und stellte sich vor, was es für ihn bedeuten würde, in einer solchen Zeit zu Hause zu sein. Sie versuchte ihn unter verschiedenen schlauen Vorwänden wegzulocken, aber er widerstand hartnäckig. Und plötzlich fühlte sie, daß es zu spät war.

Zeitig eines Morgens kam ihr diese Überzeugung, aber er an ihrer Seite ahnte nichts davon. Ehe er in die City fuhr, kam er zu ihr hinauf.

»Du hast gar nichts gegessen, Herzchen.«

»Nein, Frank, ich habe keinen Hunger.«

»Vielleicht, nachdem du aufgestanden bist.«

»Weißt du, ich werde lieber im Bett bleiben.«

»Du bist doch nicht –«

»Keine Spur, Schatz! Ich will mich nur recht ausruhen, damit ich nächste Woche alle meine Kräfte beisammen habe.«

»Mein süßes Lieb, ich würde zehn Jahre meines Lebens darum geben, wenn diese nächste Woche schon vorüber wäre.«

»Du närrischer Junge! Aber ich denke, es wird besser sein, ich bleibe im Bett.«

»Ja, Kind.«

»Ich habe ein wenig Kopfschmerzen. Nicht der Rede wert, nur ein klein wenig.«

»Wäre es nicht gut, wenn Dr. Jordan dir etwas dagegen gäbe?«

»Meinst du? Nun, wie du willst. Du kannst ihm ja im Vorübergehen sagen, er soll zu mir kommen.«

So wurde denn der Arzt unter falschem Vorwande zu ihr gesandt, fand jedoch eine sehr wirkliche Aufgabe vor, als er kam. Sie hatte Frank ein Briefchen geschrieben, im Augenblick, da er sie verlassen hatte, und er fand dieses, und eine verschwörerische Stille, auf sich wartend, als er gegen Abend zurückkehrte. Das Briefchen lag auf dem Vorzimmertische, und er riß es begierig auf.

»Liebes Herz,« lautete diese trügerische Botschaft, »mein Kopf tut noch immer ziemlich weh, und Dr. Jordan meint, es wird angezeigt sein, wenn ich ungestört schlafe. Ich schicke zu dir hinunter, wenn mir besser ist. Bis dahin bleibe ich vielleicht am besten allein. Harrison hat herübergesandt und sagen lassen, er werde kommen, um dir beim Einsetzen der Blumenzwiebel zu helfen. Da wirst du ja eine Beschäftigung haben. Um mich sorge dich nicht, ich muß bloß ein wenig ruhen. –

Maude.«

Es schien ihm sehr unnatürlich, heimzukommen, ohne das Rauschen ihrer Kleider zu hören, das stets so rasch auf das Knirschen seines Schlüssels im Türschlosse antwortete, daß beides ein Laut zu sein schien. Das Vorzimmer und das Eßzimmer erschienen ihm fremd ohne das bewillkommende strahlende Gesicht. Er ging niedergeschlagen auf den Fußspitzen umher, blickte dann durchs Fenster und sah Harrison, seinen Nachbar, mit einem Korb in der Hand herüberkommen. Er öffnete ihm die Tür und legte die Finger an die Lippen.

»Machen Sie keinen Lärm, Harrison,« sagte er, »meine Frau ist unwohl.«

Harrison pfiff leise durch die Zähne.

»Doch nicht –?«

»Nein, das noch nicht. Sie hat nur Kopfschmerzen, aber sie soll nicht gestört werden. Wir erwarten ›das‹ nächste Woche. Kommen Sie hier herein und rauchen Sie eine Pfeife mit mir. Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir den Zwiebel bringen.«

»Ich hole gleich noch welche.«

»Warten Sie ein wenig. Sie können sie später holen. Setzen Sie sich und zünden Sie eine Pfeife an. Oben geht jemand herum. Es muß Jemima sein, die einen so schweren Tritt hat. Hoffentlich weckt sie Maude nicht auf. Derlei Anfälle sind wohl um diese Zeit nichts Seltenes.«

»Ja, meiner Frau ging es gerade so. Nein, danke, ich habe eben Tee getrunken. Sie sehen schlecht aus, Crosse. Nehmen Sie es nicht gar so schwer.«

»Ich kann den Gedanken an nächste Woche nicht aus dem Kopfe bringen. Wenn es schlecht ginge – was kann ich tun? Ich hätte nie gedacht, daß das so an den Nerven zerrt. Und sie ist eine solche Heilige, Harrison – solch eine selbstlose Heilige! Sie werden nie erraten, was sie versucht hat.«

»Was denn?«

»Sie wußte, was es für mich heißen würde – was es für mich heißen wird – hier ohnmächtig zu sitzen, während sie all das Schreckliche durchmacht. Sie erriet auf irgendeinem rätselhaften Wege meine geheimsten Gefühle. Und sie versuchte mich über die Zeit zu täuschen, wann das Ereignis eintreten wird, versuchte mich unter diesem und jenem Vorwand wegzuschicken, bis alles vorüber wäre. Das war ihr Plan, und, wahrhaftig, sie stellte es so geschickt an daß er beinahe gelungen wäre, wenn mich nicht etwas mißtrauisch gemacht hätte. Sie war ein wenig zu beflissen, zu auffallend beflissen, und ich durchschaute ihr Spiel. Aber denken Sie nur, welche absolute Selbstlosigkeit! Nur an mich zu denken in einer solchen Zeit, und alles allein und ohne Beistand durchmachen zu wollen, bloß um mich zu schonen! Sie wollte, ich soll nach Norwich gehen, um Golf zu spielen.«

»Sie muß Sie für sehr ahnungslos gehalten haben, Crosse, um zu glauben, daß Sie so leicht wegzulocken wären.«

»Ja, es war ein aussichtsloser Versuch, mich in einer solchen Sache täuschen zu wollen oder einen Augenblick zu glauben, daß mein Instinkt mir nicht sagen würde, wenn sie meiner bedarf. Aber trotz alledem war es schön und bezeichnend. – Sie nehmen mir's ja nicht übel, Harrison, wenn ich Sie mit solchen Reden langweile?«

»Lieber Freund, Sie müssen sich aussprechen, um Ihr Herz zu erleichtern. Sie haben das alles zu sehr in sich aufgesammelt. Sie werden sich noch krank machen. Und schließlich ist es nicht gar so schlimm. Die Gefahr wird sehr übertrieben.«

»Glauben Sie?«

»Ich habe das schon zweimal durchgemacht. Eines schönen Morgens werden Sie in die City gehen, und wenn Sie heim kommen, wird alles vorüber sein.«

»O nein, das nicht. Ich habe im Bureau schon Vorbereitungen getroffen, und von der Stunde ab, da sich die ersten Anzeichen einstellen, rühre ich mich nicht fort. Was sie auch sagen möge, so weiß ich doch, daß es ihr Kraft und Mut geben wird, zu wissen, daß ich da bin.«

»Sie werden vielleicht vorher nichts davon wissen.«

Frank lachte ungläubig.

»Das wollen wir sehen,« sagte er. »Sie glauben also nach Ihrer Erfahrung, Harrison, daß es nicht gar so arg ist?«

»O nein. Es geht bald vorüber.«

»Bald? Was verstehen Sie unter bald?«

»Das erstemal war Dr. Jordan sechs Stunden da.«

»Großer Gott! Sechs Stunden!« Frank wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie müssen wie sechs Jahre erschienen sein.«

»Sie waren ziemlich lang. Ich arbeitete im Garten. Das ist das Beste. Beschäftigen Sie sich mit etwas. Das hilft Ihnen wunderbar.«

»Das ist eine gute Idee, Harrison. Was für ein merkwürdiger Geruch verbreitet sich da! Spüren Sie nicht einen schwachen, süßlichen, spritartigen Geruch? Vielleicht bilde ich es mir nur ein. Meine Nerven sind wohl ein wenig überreizt seit einiger Zeit. Ja, das ist ein ausgezeichneter Rat, den Sie mir da geben, sich mit etwas zu beschäftigen. Ich möchte in der Zeit wie toll arbeiten. Möchte die eine Hälfte des Gartens ausgraben und sie aus der andern neu anpflanzen.«

Harrison lachte.

»Ich will Ihnen etwas weniger Heroisches vorschlagen,« sagte er. »Sie können alle diese Zwiebeln hier behalten und sie in Töpfe setzen. Übrigens werde ich jetzt hinübergehen und die andern holen. Bemühen Sie sich nicht wegen der Tür. Ich lasse sie offen, ich bleibe ja nicht länger als fünf Minuten aus.«

»Und ich trage die einstweilen in den Wintergarten«, sagte Frank. Er nahm den Korb mit Zwiebeln und breitete diese auf einem Brett in dem kleinen Gewächshause aus, das sich an die Rückwand des Hauses lehnte. Als er wieder herauskam, hörte er das Miauen eines Kätzchens. Es war nicht laut, aber beharrlich, Schrei auf Schrei. Er nahm einen Rechen und stieß mit der Stange in die Lorbeerbüsche unter dem Schlafzimmerfenster. Das Tier mochte Maude aufwecken, und so war es wohl einiger Mühe wert, es zu verjagen. Er sah es nicht, aber nachdem er einigemal in die Büsche hineingestoßen und »Ksst!« gerufen hatte, hörte das Schreien auf, und er kehrte mit dem leeren Korb in das Eßzimmer zurück. Hier zündete er wieder seine Pfeife an und wartete auf Harrisons Rückkehr.

Da war die unausstehliche Katze wieder. Er hörte sie von irgendwo unaufhörlich miauen. Es klang nicht mehr so laut wie im Garten, und so lag vielleicht nichts daran. Er fühlte sich versucht, auf den Zehenspitzen hinaufzugehen, um zu sehen, ob Maude noch nicht wach war. Wenn Jemima da oben mit ihren schweren Schuhen herumstapfen konnte, so war wohl keine Gefahr, daß er sie aufweckte. Aber sie hatte ihm gesagt, daß sie klingeln oder ihm Nachricht senden würde, sobald er sie sehen konnte, es war also wohl am besten, er wartete. Er steckte den Kopf zum Fenster hinaus und rief wiederholt »Ksst!« in die Lorbeerbüsche hinein. Dann setzte er sich in den Armsessel mit dem Rücken zur Tür. Schwere Schritte kamen durchs Vorhaus, und er sah mit halbem Auge undeutlich jemanden herankommen, der etwas trug. Er dachte, Harrison könnte wirklich etwas leiser gehen, und behandelte ihn daher unfreundlich und drehte sich nicht um.

»Geben Sie's ins Hinterhaus,« sagte er.

»Warum ins Hinterhaus?«

»Wir geben sie immer dahin. Sie können es auch unter das Büffet setzen, oder in den Kohlenkübel, oder wohin Sie wollen, wenn Sie nur keinen Lärm machen.«

»Na hören Sie, Crosse –«

Aber Frank sprang plötzlich auf. »Ich will verdammt sein, wenn das Biest nicht hier im Zimmer ist!« rief er.

Und als er sich umwandte, sah er sich dem faltigen, guten Gesichte des alten Dr. Jordan gegenüber. In dem gebogenen Arm trug der ein kleines rundes, in ein braunes Tuch gewickeltes Bündel. Das Tuch ließ vorn einen Schlitz offen, und durch diesen streckte sich eine kleine Faust in der Größe einer Nuß, der Daumen zwischen die winzigen Finger eingezogen, und die Faust fuhr halbkreisförmig durch die Luft, als ob ihr Eigentümer fröhlich über seine glückliche Ankunft der Welt zuwinkte. »Hier bin ich, ihr guten Leute, Hurra, Hurra, Hurra!« rief die winkende Hand. Dann erweiterte sich der Schlitz in dem Tuche, und Frank sah hinter der energischen Faust einen weitaufgesperrten Mund, eine kleine Knospe von einer Nase und zwei so fest zugedrückte Augen, als ob ihr Eigentümer entschlossen wäre, unter keiner Bedingung einen Blick aus diese Welt zu werfen, in die er eben befördert worden war. Frank ließ seine Pfeife fallen und starrte die Erscheinung an.

»Was – was ist das?«

»Das Kind.«

»Das Kind? Wessen Kind?«

»Ihr Kind, natürlich.«

»Mein Kind! Wo – wo haben Sie es her?«

Dr. Jordan brach in Lachen aus.

»Sie sind wie einer, der eben aus dem Schlaf geweckt wurde,« sagte er. »Ihre Frau hat den Tag über Wehen gehabt, Crosse, aber nun ist alles glücklich vorüber, und hier ist Ihr Sohn und Erbe – einen strammeren Jungen habe ich noch nicht gesehen – Gewicht nahe an sieben Pfund.«

Frank war eine stolze Natur und ließ sich nicht leicht seine Gefühle anmerken. Wäre er allein gewesen, so wäre er vielleicht in diesem Augenblicke, da die mächtige Freudenwelle seine Seele überflutete und auf ihrem Kamm alle seine quälende Angst mit forttrug, auf die Knie gefallen und hätte gebetet. Aber das Gebet kommt aus dem Herzen und nicht aus den Knien, und die ganze Kraft seiner Natur atmete aus in einem stummen Dank an die große Schicksalsmacht, die ihres Weges geht, achtlos für Dank oder Klage. Der Arzt sah aber nur einen blassen, gefaßten jungen Mann vor sich und fand, daß er merkwürdig unbewegt sei.

»Nun?« sagte er ungeduldig.

»Geht es ihr gut?«

»Ja. Wollen Sie Ihren Sohn nicht nehmen?«

»Kann ich sie sehen?«

»Ich denke, fünf Minuten werden ihr nicht schaden.«

Dr. Jordan sagte später, er glaube, daß Frank die fünfzehn Stufen in drei Sätzen genommen habe. Die Krankenpflegerin, die an der Biegung mit ihm zusammentraf, denkt an den Augenblick zurück, als an einen, in dem sie knapp einer Lebensgefahr entging. Maude lag im Bett mit einem Gesicht, das so weiß war wie die Kissen, die es umgaben. Ihre Lippen waren blutlos, aber lächelnd.

»Frank!«

»Mein einziger, süßer Liebling!«

»Du hast nichts gewußt, Frank, nicht wahr? Sag mir, daß du nichts gewußt hast!«

Bei dieser inständigen Frage brach der törichte Stolz, der die Gefühle des starken Mannes in seine Seele zurückdrängt, als ob sie der am wenigsten ehrenvolle Teil seiner Natur wären, in sich zusammen. Frank ließ seinen Kopf neben das weiße Gesicht auf die Kissen sinken, legte den Arm über die geliebte Frau und schluchzte, wie er seit seiner Kindheit nicht geschluchzt hatte. Ihre Wange war naß von seinen Tränen. Er sah den Arzt nicht, bis er neben ihm stand und seine Schulter berührte.

»Sie sollten jetzt gehen, glaube ich,« sagte er.

»Es tut mir leid, daß ich mich so lächerlich gemacht habe, Doktor,« sagte Frank, in seiner unbeholfenen englischen Art errötend. »Es ging über meine Kräfte.«

»Lieber Freund,« erwiderte der Arzt, »ich muß Ihnen ein Unrecht abbitten, denn ich habe Sie falsch beurteilt. Nun aber soll Ihr Sohn angekleidet werden, und für drei Männer ist in einem Schlafzimmer kaum Platz.«

So ging denn Frank hinunter in das dunkelnde Zimmer, zündete mechanisch seine Pfeife an, und die Ellbogen auf die Knie gestützt, starrte er hinaus in die sinkende Dämmerung, durch die ein einzelner heller Stern von einem violetten Himmel zu ihm herüberfunkelte. Die Stille des Abends umgab ihn, und ein verspäteter Vogel rief draußen in den Büschen. Oben hörte er das Geräusch von Schritten, Stimmengemurmel, und dazwischen wieder die dünnen, beharrlichen Schreie, seine Stimme, die Stimme des neuen Menschen, mit allen Möglichkeiten eines Menschen für Gutes und Böses, der nun seinen Wohnsitz bei ihnen aufgeschlagen hatte. Und wie er diesen Schreien lauschte, mischte sich eine sanfte Traurigkeit in seine Freude, denn er fühlte, daß mit dieser Stunde eine unwiderrufliche Veränderung eingetreten war –, daß, was immer für schöne Harmonien das Leben ihm noch bringen mochte, diese sich wohl zu den herrlichsten Akkorden vereinigen konnten, aber immer nur als ein Trio, und nie wieder als das köstliche Duett der Vergangenheit.

 


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