Arthur Conan Doyle
Ein Duett
Arthur Conan Doyle

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Ein Besuch bei Samuel Pepys

Es gibt eine Anzahl nicht zu rechtfertigender Verschwendungen, die sich jeder normale Mensch zuschulden kommen läßt. Und ebenso eine Anzahl nicht zu rechtfertigender Ersparungen. Zu den letzteren gehört die unvernünftige Sucht, nur ein einziges Zündhölzchen zu verbrauchen, die so viel verbrannte Finger und so bilderreiche Ausdrücke verursacht. Und ferner das Bestreben, ein Telegramm auf das Minimum der Sechspencetaxe zusammenzupressen, wobei dann eine vieldeutige und rätselhafte Botschaft entsteht, während sie für sieben Pence so klar wie der Tag geworden wäre. Wir haben alle den Hang, Sprachkünstler in unseren Depeschen zu sein.

Eine Woche nach der geschilderten Unterhaltung über Samuel Pepys, und nachdem die Lektüre des »Tagebuches« inzwischen einige Fortschritte gemacht hatte, empfing Maude das folgende Telegramm von Frank:

»Maude Crosse, Woking. – Pepys Buttertoasts
Schwedische vier Monument spät warten.«

Als Sechspencedepesche war das zweifellos ein Kunstwerk, als Botschaft ließ es ein wenig zu wünschen übrig. Maude zerbrach sich den Kopf darüber und versuchte jede mögliche Wortgruppierung. Am ehesten hatte es noch einen gewissen Sinn, wenn man die Worte folgendermaßen einteilte: Pepys – Buttertoasts – Schwedische – vier – Monument, spät, warten.

Sie schrieb sie in dieser Weise nieder und nahm Wort für Wort vor. »Pepys«, das war unverständlich. »Buttertoasts« hatte keinen Sinn. »Schwedische,« ja, sie hatte Frank gesagt, wenn sie nächstens in die Stadt käme, wolle sie sich schwedische Handschuhe in einem gewissen Laden in der City kaufen, wo sie dieselbe Sorte um drei Schillinge und drei Pence bekam, für die sie in Woking drei Schillinge und neun Pence bezahlen mußte. Maude war so gewissenhaft sparsam, daß sie stets bereit war, zwei Schillinge für Eisenbahnfahrt auszugeben, um einen Punkt zu erreichen, wo sie sechs Pence ersparen konnte, und an dieses Unternehmen eine beträchtliche Menge von Geistes- und Willenskraft zu wenden. Hier also, in den schwedischen Handschuhen, war ein Lichtpunkt. Und dann hüpfte ihr Herz auf vor Freude, als sie sah, daß der letzte Teil nur bedeuten konnte, daß sie Frank um vier Uhr beim MonumentDie Gedenksäule an den großen Brand von 1666. – Anm. d. Übers. treffen und, wenn er später käme, auf ihn warten solle.

Als sie nun mit dem Lichte, das das Ende ausstrahlte, zu dem dunklen Anfang der Depesche zurückkehrte, fand sie, daß die Buttertoasts sich auf eine originelle kleine Wirtschaft in der City beziehen mochten, die ob dieser Leckerbissen berühmt war und wohin Frank sie bereits zweimal zum Tee geführt hatte. Und indem sie es dem alten Pepys überließ, seine Anwesenheit in der Depesche später zu erklären, gab Maude Jemima und der Köchin rasch einige Anordnungen und eilte hinaus, um ihre neue, rehfarbene Straßentoilette anzuziehen – ein Kleidungsstück, das sie mit einer eigenartigen Mischung von Entzücken und Gewissensbissen erfüllte, denn es war sehr elegant, kostete sieben Guineen und war noch nicht bezahlt.

Das Stelldichein war offenbar ein plötzlicher Gedanke Franks gewesen, denn es blieb ihr nur wenig Zeit, den Ort zu erreichen. Sie war jedoch so glücklich, sogleich einen Zug nach der Waterloostation zu finden, und dann wieder einen nach der City, so daß sie fünf Minuten vor vier beim Monument war. Die Uhr schlug vier, als Frank in glänzendem Zylinder und tadellosem Geschäftsgehrock aus der Richtung der König Wilhelmsstraße herbeieilte. Maude streckte ihm die Hand entgegen und er schüttelte sie, und dann lachten sie beide über die Formalität.

»Wie froh bin ich, daß du hast kommen können, Herzenskind! Wie du die alte City verschönst!«

»Wirklich? Ich fühlte mich so verlassen, ehe du kamst. Nichts als Scharen von Männern, und alle starren einen so an!«

»Das macht dein Kleid.«

»Sehr verbunden!«

»Das elegante Braun –«

»Braun? Rehfarben!«

»Das ist ja braun. Auf alle Fälle ist es reizend. Und du auch, Maude, so wahr ich lebe! Komm, Kind!«

»Wohin gehen wir?«

»Vorerst zur Untergrundbahn. Hier sind wir. – Zwei einfache Zweite nach Mark Lane, bitte. – Hier müssen wir hinunter. Der nächste Zug, sagte der Mann.«

Sie befanden sich in dem übelriechenden Keller mit den zwei langen hölzernen Plattformen, an denen die unterirdischen Züge ihre Fracht abgeben und aufnehmen. Kohlendunst erfüllte die Luft und machte sie husten. Alles war dunkel, düster und unwirtlich. Aber was macht sich Jugend und Liebe daraus! Sie waren glückselig über dieses ungewöhnliche Beisammensein. Beide sprachen gleichzeitig in Ihrer Herzensfreude, und Maude berührte Franks Ärmel bei jeder Bemerkung. Der Goldglanz ihrer Liebe verklärte ihre häßliche Umgebung, ja, sie fanden sogar Schönheiten darin.

»Ist das Bild nicht großartig in seiner Düsterkeit?« sagte Maude. »Sieh, wie schwarz es da drinnen ist!«

»Wenn man das einmal nach ein paar tausend Jahren ausgraben wird, wird man glauben, es sei von einem Geschlecht von Riesen gebaut worden,« versetzte Frank. »Die modernen Bauten zum Nutzen der Allgemeinheit sind in Wirklichkeit viel großartiger, als die, die einer Herrscherlaune ihr Entstehen verdankten. Die London- und Nordwesteisenbahn ist etwas Gewaltigeres als die Pyramiden. Sieh die Lichter der Lokomotive herankommen!«

In der finstern Wölbung des Tunnels erglühten zwei dunkelrote Punkte. Mit drohender Schnelligkeit wuchsen sie an, bis sie donnernd aus der Dunkelheit hervorbrausten und der lange, geschwärzte Zug unter dem Kreischen der Bremsen an der Plattform hielt.

»Hier ist ein fast leeres Coupé«, sagte Frank, die Hand an der Schnalle.

»Möchtest du nicht –« meinte Maude.

»Selbstverständlich!« rief Frank.

Und sie stiegen in eines, das ganz leer war. Denn die Untergrundbahn ist in bezug auf Ungestörtheit in den Coupés vor allen anderen Linien gesegnet, und nirgends konnte sich ein liebendes Paar glücklicher fühlen, das durch ein grausames Schicksal ungefähr sieben Stunden voneinander getrennt gewesen war.

Frank seufzte, als er sah, daß sie Mark Lane erreicht hatten, und Maude dachte, ob wohl ein Laden in der Nähe sei, in dem man Haarnadeln kaufen könne. Wie jede Dame weiß oder erfahren wird, besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen Haarnadeln und einem liebenden Manne.

»Ja richtig, Frank, deine Depesche –«

»Schon recht, Kind. Komm nur mit, dann wirst du alles verstehen.«

Sie verließen die Station und gingen rechts eine schmale, steile Straße hinunter. Am untern Ende lag eine alte, rauchgeschwärzte Kirche mit einem viereckigen Turm und einem kleinen, offenen Friedhof daran.

»Das ist die St. Olafskirche,« sagte Frank. »Gehen wir hinein.«

Er drückte eine eichene Flügeltür auf, und sie betraten die Kirche. Ihr Schiff war von Reihen moderner Bänke erfüllt, aber die Mauern und die Fenster ließen großes Alter erkennen. Die Glasmalereien, besonders die oberhalb des Altars, zeigten das tiefe, satte Violett und glühende Dunkelrot, die nur alten Glasfenstern eigen sind. Das Licht fiel in bunten und doch milden Farben auf die braunen Holzbänke und die grauen Steinfliesen. Da und dort sah man an den Wänden Marmortafeln mit lateinischen Inschriften, flankiert von allegorischen Figuren mit Trompeten, denn unsere Vorfahren bliesen diese in Marmor ebenso wie in den Epitaphien auf ihren Gräbern. Sie wollten sterben, so wie sie gelebt, würdevoll und pompös. Weiße Statuen schimmerten aus dunklen Winkeln hervor. Frank und Maude schritten das Seitenschiff hinunter, und ihre Schritte hallten durch die leere Kirche.

»Da ist er!« rief Frank und blieb vor einem Grabmal stehen.

Es war ein modernes Bildwerk, darstellend einen Mann mit einer stattlichen Lockenperücke, die ein rundes, sympathisches Gesicht mit klugen Augen und weichem Mund umgab. Das Gesicht eines Mannes der praktischen Tat und gutmütigen Menschen, mit gerade so viel Spur von Sinnlichkeit, als nötig ist, um eine Physiognomie menschlich und liebenswürdig erscheinen zu lassen. Darunter stand:

Samuel Pepys
Durch öffentliche Sammlungen errichtet
1883.

»Was für ein reizender Mensch!« rief Maude aus.

»Nicht wahr, er ist nicht übel?«

»Ich glaube von diesem Manne nicht, daß er imstande war, seine Frau oder sein Dienstmädchen zu schlagen.«

»Dann nennst du ihn einen Lügner.«

»Ach Gott, ich vergaß, daß er es selbst erzählt. Dann muß es wohl wahr sein. Es ist aber sehr schade!«

»Na, tröste dich, Schatz! Wir müssen eben sagen, was die alte heidnische Dame sagte, als man ihr das Evangelium vorlas.«

»Was sagte sie denn?«

»Sie sagte: ›Nun ja, das war vor sehr langer Zeit, und wir wollen hoffen, daß es nicht wahr ist.‹«

»Aber Frank, wie kannst du nur solche Geschichten in der Kirche erzählen! Glaubst du wirklich, daß Pepys hier begraben liegt?«

»Ich vermute, daß das Monument sein Grab bezeichnet«.

»Da ist ein Stückchen von dem Wandbewurf locker. Was denkst du, soll ich es abbröckeln?«

»Eigentlich soll man das nicht.«

»Aber es liegt doch nichts daran, und es ist kein Unrecht, und es sieht es ja niemand.« Sie bröckelte das Stückchen ab, und das Herz stand ihr beinahe still vor Schreck, denn dicht an ihrem Ellbogen kam in demselben Augenblick ein entrüstetes Knurren, und ein wunderlicher, wie geräuchert aussehender, schwarzgekleideter kleiner Mann stand neben ihr, der aus dem Erdboden herausgewachsen zu sein schien. Ein paar schwarze Tuchpantoffeln erklärten die Lautlosigkeit seines Herankommens.

»Geben Sie das wieder zurück, junge Dame!« sagte er strenge.

Die arme Maude hielt das corpus delicti auf der flachen Hand. »Es tut mir so leid,« sagte sie. »Aber ich kann es wohl nicht wieder zurückgeben.«

»Wenn das so fortginge, würde uns schließlich die ganze Kirche abgebröckelt werden,« sagte der Küster. »Sie hätten das nicht tun sollen, es war sehr unrecht!« Er knurrte wieder und schüttelte den Kopf.

»Es hat gar nichts zu bedeuten,« fiel Frank ein. »Das Stückchen Kalk hing herab und wäre in jedem Falle abgefallen. Machen Sie kein solches Wesen aus einer Kleinigkeit!«

Der Küster sah den jungen Mann an und sah Energie in einem seiner Augen und eine halbe Krone in dem andern.

»Nun ja, nun ja!« murrte er. »Es zeigt wenigstens, daß die junge Dame ein Interesse hat, und das ist mehr, als man von den meisten sagen kann. Wenn Sie's mir glauben wollen, Herr, nicht einer unter Hundert, die in diese Kirche kommen, hat je etwas von Pepys gehört. ›Pepys?‹ sagen sie. ›Wer ist Pepys?‹« ›Der Tagebuchschreiber,‹ sag' ich. ›Tagebuchschreiber?‹ sagen sie. ›Was ist das?‹ Man möchte sich manchmal hinsetzen und weinen. Aber vielleicht glaubten Sie, Fräulein, daß Sie das Stückchen Kalk von seinem Grabe abgebröckelt haben?«

»Das glaubte ich allerdings.«

Der Küster lachte in sich hinein.

»Da haben Sie sich aber getäuscht. Ich will Ihnen zeigen, wo er wirklich liegt, wenn Sie mir versprechen, nicht auch da etwas abzubröckeln. Sehen Sie – hier, neben dem Altar. Ich habe ihn hier mit meinen eigenen Augen liegen gesehen, und seine Frau in dem Sarge unter ihm.«

»Sie haben ihn gesehen!«

»Ja, Herr, ich habe ihn gesehen, und das ist mehr, als irgendein lebender Mensch von sich sagen kann, denn wir waren damals im ganzen vier, und die andern drei sind heute ebenso tot wie Pepys selbst.«

»Bitte, erzählen Sie uns!« rief Maude.

»Das war so, Fräulein. Wir sollten nachsehen, wie viel Platz noch da unten sei, und da stießen wir auf sie.«

»Und was sahen Sie?

»Sein Sarg lag obenauf, und der seiner Frau darunter, wie das zu erwarten war, da sie ja an die dreißig Jahre früher gestorben war als er. Die Särge waren stark beschädigt, und wir sahen ihn so deutlich, wie ich Sie jetzt sehe. Als wir ihn zuerst erblickten, lag er ganz unversehrt da – ein kleiner, dicker Mann, die Hände auf der Brust gekreuzt. Und dann fiel er vor unseren Augen zusammen und verwandelte sich in ein Häuflein Staub. Das ist immer so, wenn sie mit der frischen Luft in Berührung kommen. Und mit ihr ging es ebenso, und sein Staub fiel durch die Fugen des Sarges und vermischte sich mit dem ihrigen.«

»Ach, Frank!« Maudes stets bereite Tränen füllten ihre Augen. Sie faßte die Hand ihres Mannes und war überrascht, wie eiskalt sie war. Die Frauen wissen nie, daß die Männer das sensitivere Geschlecht sind. Er hatte nicht »Ach, Maude!« gesagt, weil er nicht konnte.

»Um jene Zeit wurde Pfeffer zum Einbalsamieren verwendet«, fuhr der Küster fort. »Und der Pfarrer – damals lebte der alte Bellamy noch – bekam das in die Nase und nieste und nieste, bis wir glaubten, wir würden den Doktor rufen müssen. Haben Sie das Grabmal der Frau Pepys gesehen?«

»Nein, wir sind eben erst gekommen.«

»Es befindet sich links vom Altar.«

»Das mit der herauslehnenden Frauengestalt?«

»Ja, das ist Frau Pepys selbst.«

Es war ein schelmisches, lachendes Gesicht, das Gesicht einer ganz jungen Frau; der Bildhauer hatte sie in freier, natürlicher Bewegung sich vorlehnend dargestellt. Darunter war zu lesen:

Obiit
Xo Novembris
Aetatis 29
Conjugii 15
Anno Domini 1669.

»Die Arme!« flüsterte Maude.

»Es war traurig, daß sie sterben mußte, gerade als ihr Mann anfing Erfolg zu haben und berühmt zu werden«, sagte Frank. »Sie, die seine Hemden gewaschen und ihm das Abendessen gekocht hatte, als sie in einem Dachstübchen zusammen wohnten. Wie schade, daß sie die schöne Zeit nicht auch miterlebt hat!«

»Wenn sie ihn liebte, dann hatte sie auch im Dachstübchen eine schöne Zeit.«

Maude beugte sich vor, um die Büste der Frau zu betrachten, die sich ebenfalls vorneigte, als ob sie auf sie herabsähe. Zwei marmorne Totenköpfe flankierten das Grab. Die Abendsonne schien rot durch ein Seitenfenster und badete die ganze Gruppe in purpurnes Licht. Frank, der ein wenig zurück im Schatten stand, blickte von dem Gesicht der toten Frau auf das seines holden, mädchenhaften Weibes und die Totenschädel dazwischen, und ihn überflutete plötzlich das Grauen, das über allem Irdischen liegt, der Gedanke an das schreckliche Ende dieses kurzen Schauspiels, an den schwarzen Schlund, der den nie endenden Strom des Lebens verschlingt. Wird der Geist dauerhafter sein als der Körper? Und wenn nicht, was für ein teuflischer Scherz ist das, dessen Gegenstand wir sind?

»Er wird, er muß!« sagte er.

»Frank – Frank, was hast du? Du bist ganz blaß!«

»Komm hinaus in die Luft, Maude. Ich habe genug von dieser dumpfigen alten Kirche.«

»Dumpfig!« rief der Küster. »Wissen Sie, daß voriges Jahr der Lord Mayor hier war, und er hat sie gar nicht dumpfig gefunden. Eine hellere, luftigere Kirche finden Sie in ganz London nicht. Und sie hat auch ihre Zeit gehabt, das mögen Sie mir glauben. Es gab eine Zeit – und ich kann mich ihrer noch erinnern –, wo die Leute ihr Geld dort auszugeben pflegten, wo sie es verdienten, und der Sammelteller mit Papier und Gold voll war, während wir jetzt kaum Kupfer finden. Das war vor fünfzig Jahren, als ich noch jung war. Sie werden es nicht glauben, Herr, aber ich habe einen Lord Mayor, einen gewesenen Lord Mayor und einen gewählten zukünftigen Lord Mayor der City von London beisammen auf einer Bank in dieser Kirche sitzen gesehen. Und Sie nennen sie dumpfig!«

Frank bemühte sich, den Alten zu versöhnen, erklärte ihm, daß er mit dumpfig interessant gemeint habe, und drückte ihm in besonderer Weise die Hand. Dann traten Maude und er wieder auf die schmale Straße hinaus.

»Mein armer Schatz! Was hattest du?« fragte Maude, mit ihren liebevollen Augen zu ihm aufsehend. In solchen Augenblicken erkennt ein Mann erst, was es heißt, eine Frau zur Gefährtin zu haben. Die Wolken flohen vor der Sonne.

»Ich habe mir dummerweise allerlei häßliche Gedanken gemacht. Nichts mehr davon, mein Lieb. Wir haben einen freien Nachmittag vor uns. Lassen wir die Zukunft Zukunft sein und leben wir der Gegenwart!«

»Das tue ich immer«, erwiderte Maude, und sie sprach im Namen ihres Geschlechtes.

»Was also nun? Buttertoasts oder schwedische Handschuhe?«

»Erst das Geschäft!« erklärte Maude großartig, und ging daran, ihre sechs Pence an den Handschuhen zu ersparen. Da sie jedoch nicht widerstehen konnte (»solch ein netter, höflicher Geschäftsmann, Frank!«), auch noch vier Ellen sogenannten Astrachanbesatzes, eine Spitzenkrause, sechs reizende, gestickte Taschentücher und vier Paar durchbrochener Strümpfe zu kaufen – was alles sie nicht beabsichtigt hatte, als sie den Laden betrat –, so war die Ersparnis von sechs Pence keine so glänzende finanzielle Leistung, wie sie glaubte.

Und dann beendeten sie ihren Ausflug in dem dunklen, getäfelten, niedrigen Kaffeezimmer eines altmodischen Wirtshauses, das einst der gastfreundliche Halteplatz vieler Kutschen gewesen, jetzt vergessen und vereinsamt war, aber eine eigene Kunst in der Zubereitung von Buttertoasts besaß, die sich als Tradition aus besseren Tagen vererbt hatte. Ein neuer Kellner bediente sie, und er hielt sie für Liebende und witterte einen Roman; als sie jedoch eine zweite Portion Buttertoasts und einen Krug heißen Wassers bestellten, erkannte er den gesunden Appetit der Eheleute. Anstatt dann heimzugehen, wie es einem anständigen jungen Paar geziemt, kam es Maude plötzlich in den Sinn, daß es den letzten Rest von Franks trüben Gedanken verscheuchen würde, wenn sie ins Globetheater zu »Charleys Tante« gingen. Sie schlenderten noch ein paar Stunden umher und drängten sich dann in eine der letzten Bänke des Parterres; und eingekeilt zwischen wackeren, fröhlichen Leuten, die sich nicht schämten, ihre Gefühle zu zeigen, lachten sie, bis sie nicht mehr konnten. Und dann heim, wie ihr alter Freund Pepys gesagt hätte, nach einem Tage, der in der Rückerinnerung golden auf dem grauen Grunde des Gewöhnlichen glänzt, wenn man im Alter auf die schöne Vergangenheit zurückblickt. Mögen wir, du und ich, lieber Leser, wenn wir je in unserem Altensessel am Kamin sitzen sollten, uns vieler solcher fröhlicher, unschuldiger und duftiger Tage zu erinnern haben, als Trost für die trüben Stunden, die da kommen.

 


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