Arthur Conan Doyle
Ein Duett
Arthur Conan Doyle

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Unheil

Eines Abends kam Frank mit umwölkter Miene nach Hause. Maude sagte nichts, sondern setzte sich nach dem Essen auf einen Schemel zu seinen Füßen und wartete. Sie wußte, daß er ihr, wenn es nützlich war, alles erzählen würde, und sie hatte genug Vertrauen zu seinem Urteil, um sein Schweigen zu achten, wenn er es für besser hielt zu schweigen. In Wirklichkeit war es gerade der Umstand, daß er ihr davon erzählen sollte, was seine Sorgen erschwerte. Aber er hielt es dennoch für das beste, ihr alles zu sagen.

»Mir liegt etwas auf dem Herzen, Kind.«

»Mein armer Schatz, ich hab's gesehen. Was ist es?«

»Warum soll ich dich aber damit belasten?«

»Ich wäre ein schönes Weib, wenn ich nur deine Freuden und nicht auch deine Leiden mit dir teilen wollte. Jedenfalls würde ich lieber Leiden mit dir als Freuden mit einem andern teilen.« Sie schmiegte ihren Kopf an seine Knie. »Also, erzähl mir alles, Frank.«

»Du erinnerst dich, daß ich dir vor unserer Verheiratung erzählte, daß ich für jemand gutgestanden habe?«

»Gewiß erinnere ich mich.«

»Er heißt Farintosh. Er ist Versicherungsagent, und ich stand für ihn gut, um ihm seine Stelle zu retten.«

»Ja, Schatz, das war so edel von dir.«

»Nun, ich traf den Mann heute auf der Station, und als er mich erblickte, wandte er sich um und eilte hinaus. Er sah schuldbewußt aus. Ich bin überzeugt, daß seine Abrechnung wieder nicht in Ordnung ist.«

»O, der schlechte, undankbare Mensch!«

»Der arme Teufel, es geht ihm wohl recht schlecht. Aber ich war ein Narr, daß ich mich davon nicht befreit habe. So lange ich ledig war, ging das noch an. Aber nun bin ich als verheirateter Mann mit einer unbegrenzten Verpflichtung belastet, ohne Mittel, ihr zu genügen. Ich weiß gar nicht, was aus uns werden soll, Maude.«

»Wie viel ist es, Liebster?«

»Ich weiß es ja nicht. Das ist das Schlimmste daran!«

»Deine Gesellschaft wird doch nicht so hart gegen dich sein?«

»Es ist nicht meine Gesellschaft, es ist eine andere – die Prudentia.«

»Ach Gott! Was hast du also getan, Frank?«

»Ich ging in der Mittagszeit zu der Gesellschaft und bat sie, einen Beamten hinzusenden, der Farintoshs Bücher prüfen soll. Er wird morgen früh hier sein, und ich habe mir für morgen Urlaub genommen.«

Sie mußten also einen Abend und eine Nacht verbringen, ohne zu wissen, ob sie bloß schwer geschädigt oder ganz zugrunde gerichtet waren. Frank war eine stolze Natur, und der Gedanke, seinen Verpflichtungen nicht nachkommen zu können, verwundete seine Selbstachtung aufs tiefste. Seine Nerven zuckten und bebten davor. Aber ihre sanfte, starke Seele erhob sich hoch über alle Furcht und trug ihn mit sich empor in die heitere Region der Liebe, des Vertrauens und der Zuversicht. Die wirklich kostbaren Dinge, die Besitztümer der Seele, waren unverlierbar. Was lag daran, ob sie in einer Villa mit acht Räumen oder in einem Zelt auf der Heide wohnten? Ob sie zwei Dienstboten hatten oder ob sie für ihn arbeitete? All das waren Nebensächlichkeiten, Äußerlichkeiten des Lebens. Aber das Beste und Innerste, ihre Liebe, ihr Vertrauen zueinander, ihre seelischen und geistigen Freuden, die konnten ihnen nicht genommen werden, so lange sie Leben hatten, sie zu genießen. So tröstete sie Frank mit Zärtlichkeiten und liebevollen Worten, bis diese Nacht der Sorgen zu der schönsten seines Lebens wurde und er das Unglück segnete, das ihn den tapferen Mut und die selbstlose Hingabe hatte erkennen lassen, die, gleich dem Duft eines Blumenblattes, nur dann gefühlt werden, wenn das Schicksal uns zwischen seine eisernen Finger preßt.

Bald nach dem Frühstück kam der Versicherungsbeamte aus London, der sich als Herr Wingfield vorstellte – ein großer, eleganter Mann von förmlichem Gehaben.

»Ich bedaure, daß mich eine so unangenehme Sache herführt, Herr Crosse«, sagte er.

Frank verzog das Gesicht. »Das läßt sich nun nicht ändern«, erwiderte er.

»Hoffen wir, daß der Betrag nicht groß ist. Wir haben Herrn Farintosh mitgeteilt, daß seine Bücher heute revidiert werden. Wenn Sie bereit sind, so gehen wir hin.«

Der Agent wohnte in einer nicht weit entfernten Seitengasse. Eine Messingtafel mit seinem Namen an einem kleinen Hause unterschied dieses von einer Reihe anderer kleiner Häuser. Eine verhärmt aussehende Frau öffnete ihnen, und Farintosh selbst saß bleich und verstört in dem kleinen Gassenzimmer bei seinen Büchern. Ein Blick auf das hilflose Gesicht des Mannes verwandelte Franks Groll in Mitleid.

Sie setzten sich an den Tisch, der Beamte in die Mitte, Farintosh zu seiner Rechten, Frank zur Linken. Es wurde nichts gesprochen, außer hie und da einer kurzen Frage und Antwort. Zwei Stunden hindurch war das Rascheln der umgewendeten Blätter des Buches der beinahe einzige Laut, nebst dem Kratzen von Wingfields Feder, die lange Ziffernkolonnen auf dem Papier addierte. Franks Herz erstarrte, als er die großen Summen sah, die durch dieses Mannes Hände gegangen waren. Wie viel davon war darin geblieben? Seine ganze Zukunft hing von der Antwort auf diese Frage ab. Wie prosaisch und undramatisch sind die Momente, in denen eine moderne Karriere gemacht oder zerstört wird! Auf diesem unscheinbaren Kampfplatze empfängt der Sieger nicht den Ritterschlag vor allem Volke, noch sehen wir dem Unterlegenen die Sporen mit dem Fleischermesser abhacken, sondern Erfolg und Niederlage kommen verstohlen und in seltsamer Gestalt, durch Geringfügigkeiten herbeigeführt und aller Würde bar. Hier spielte sich die Krisis von Franks jungem Leben ab, in diesem ärmlichen Zimmer, zwischen Büchern und Rechnungen.

»Sind diese Ziffern zuverlässig?« fragte Wingfield endlich.

»Jawohl, Herr Wingfield.«

»In diesem Falle gratuliere ich Ihnen, Herr Crosse. Ich kann nur einen Abgang von fünfzig Pfund finden.«

Nur genug, um ihre ganzen kleinen Ersparnisse zu verschlingen, die sie vorsichtig angelegt hatten! Dennoch war das eine gute Nachricht, und Frank schüttelte die dargebotene Hand des Revisors.

»Ich bleibe noch eine Stunde, um die Ziffern zu vergleichen«, sagte Wingfield. »Sie brauchen sich jedoch nicht länger aufhalten zu lassen.«

»Wollen Sie zum Mittagessen zu uns kommen?«

»Mit Vergnügen.«

»Auf Wiedersehen also!«

Frank lies den ganzen Weg bis nach Hause und stürmte ins Zimmer. »Es ist nicht so schlimm, Herzchen, nur fünfzig Pfund!« Sie tanzten vor Freude wie die Kinder.

Aber Wingfield kam mit ernstem Gesicht zum Mittagessen.

»Es tut mir unendlich leid, daß ich Ihnen Unerfreuliches bringen muß,« sagte er, »aber die Sache ist ernster als ich dachte. Ich habe noch einige Beträge gefunden, die er einkassiert und nicht abgeliefert hat. Sie belaufen sich auf weitere hundert Pfund.«

Maude war nahe daran, in Tränen auszubrechen, als sie Frank anblickte und sah, welche Anstrengung er machte, gefaßt zu erscheinen.

»Das wären also hundertfünfzig.«

»Sicherlich nicht weniger. Ich habe die Posten hier notiert, wenn Sie sie durchsehen wollen.«

Frank überflog mit geübtem Auge die Resultate der Vormittagsarbeit des Revisors.

»Ich sehe, daß Sie ihn mit hundertzwanzig Pfund erkannt haben, die er in der Bank liegen hat.«

»Sein Bankbuch zeigt diesen Saldo.«

»Wann wurde das Buch abgeschlossen?«

»Letzten Samstag.«

»Er könnte den Betrag seither behoben haben.«

»Das könnte er zweifellos.«

»Wollen wir nach dem Essen zu ihm gehen und uns überzeugen?«

»Sicherlich.«

»Und da es das Geld der Gesellschaft ist, glauben Sie nicht, daß wir es in jedem Fall an uns nehmen sollen?«

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht.«

Es war ein unerfreuliches Mahl, und sie waren alle froh, als es vorüber war. Maude zog Frank in ein Nebenzimmer, ehe er wieder fortging.

»Ich kann dich nicht ohne das gehen lassen, Liebster. Bleibe tapfer, mein Herzensjunge, denn ich bin fest überzeugt, daß wir heil durchkommen.«

So ging Frank mit mehr Zuversicht, und sie kehrten zu dem Agenten zurück. Sein fahles Gesicht wurde noch fahler, als er hörte, worum es sich handelte.

»Muß das sein, Herr Wingfield?« bat er. »Wollen Sie nicht mein Wort darauf nehmen, daß das Geld da ist?«

»Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß wir Ihrem Wort zu oft getraut haben.«

»Aber das Geld liegt in der Bank, ich beschwöre es.«

»Es ist das Geld der Gesellschaft, und ich muß es beheben.«

»Es wird meinen Kredit in meiner Umgebung ruinieren, wenn ich mein ganzes Guthaben unter Zwang behebe.«

»Lassen wir zehn Pfund stehen«, sagte Frank.

Farintosh fügte sich widerstrebend diesem Kompromiß, und sie begaben sich zu der Bank. Als sie dort waren, wendete sich Farintosh mit flehendem Ausdruck zu ihnen.

»Bitte, kommen Sie nicht mit hinein, meine Herren. Ich könnte mich nie wieder hier sehen lassen!«

»Herr Crosse hat zu entscheiden.«

»Ich will nicht unbillig sein, Farintosh. Gehen Sie also allein und beheben Sie das Geld.«

Sie verstanden nachher nicht, warum er um diese fünf Minuten Aufschub gebeten hatte. Vielleicht hatte er irgend eine tolle Hoffnung gehegt, daß er den Bankdirektor werde bewegen können, ihm einen Betrag auszahlen zu lassen, den er nicht gut hatte. Wenn es so war, so war er rasch eines Besseren belehrt, denn er kehrte alsbald mit totenbleichem Gesicht zurück und näherte sich Frank.

»Ich muß Ihnen gestehen, Herr Crosse, ich habe nichts in der Bank.«

Frank pfiff durch die Zähne und wandte sich zum Gehen. Er brachte es nicht über sich, des unseligen Menschen Demütigung durch Vorwürfe zu vermehren. Schließlich konnte er nur sich selbst Schuld geben. Er hatte mit offenen Augen eine Gefahr auf sich genommen, und er war nicht der Mann zu jammern, nun, da die Sache gegen ihn ausgefallen war. Wingfield begleitete ihn nach Hause und versicherte ihn seines Mitgefühls. An der Haustür verließ er ihn, um nach der City zurückzukehren.

So war also ihre Verpflichtung auf zweihundertsiebzig Pfund gestiegen. Selbst Maude war einen Augenblick von der Größe der Summe überwältigt. Wenn sie auch ihre Möbel verkauften, so reichte das noch kaum hin. Es war die düsterste Stunde ihres Lebens und dennoch lief ein Unterstrom eigenartiger Freude mit durch, denn gemeinsames Leid, ehrlich geteilt und tapfer ertragen, verschmilzt zwei menschliche Seelen miteinander wie nichts anderes.

Nach dem Abendessen wurde die Hausglocke gezogen.

»Bitte, Herr Crosse, Herr Farintosh möchte Sie sprechen«, meldete Jemima, das Stubenmädchen.

»Führen Sie ihn hier herein.«

»Soll ich nicht lieber gehen, Frank?«

»Nein. Ich habe ihn nicht gerufen. Wenn er kommt, soll er uns beiden gegenüberstehen. Ich habe bisher nicht viel Nutzen davon gehabt, daß ich mit ihm allein zu tun hatte.«

Er kam herein, gedrückt, unsteten Blicks, elend aussehend. Er legte seinen Hut auf den Fußboden und ließ sich demütig auf den Sessel nieder, den Frank ihm hinschob.

»Was wünschen Sie, Farintosh?«

»Ich bin gekommen, um Ihnen, Herr Crosse, und Ihnen, gnädige Frau, zu sagen, wie schwer es mir auf der Seele liegt, daß ich so vielen Kummer über Sie gebracht habe. Ich hoffte nach dem letztenmal, daß jetzt alles gut gehen wird, aber ich hatte alte Schulden zu zahlen, und das hat mich wieder auf Abwege gebracht. Ich habe leider immer Unglück gehabt. Aber es tut mir furchtbar leid, daß ich Sie, der so gut gegen mich gewesen ist, mit hineingerissen habe.«

»Worte können die Sache nicht besser machen, Farintosh. Ich mache Ihnen nur den Vorwurf, daß Sie nicht gleich anfangs zu mir gekommen sind, als etwas nicht in Ordnung war.«

»Ich hoffte immer darauf, daß ich imstande sein werde, alles wieder gut zu machen, ohne Sie belästigen zu müssen, und so geriet ich immer tiefer hinein, bis es endlich so weit gekommen ist. Aber was ich Sie fragen wollte, Herr Crosse, das ist, was Sie in der Sache zu tun gedenken?«

Franks Herz krampfte sich zusammen unter dieser einfachen Frage.

»Ich denke, ich bin haftbar«, sagte er.

»Sie wollen den Betrag bezahlen?«

»Jemand muß ihn wohl bezahlen.«

»Erinnern Sie sich noch an den Wortlaut des Garantiescheines, Herr Crosse?«

»An den genauen Wortlaut nicht mehr.«

»Nun, ich würde Ihnen raten, ihn Ihrem Advokaten vorzulegen. Nach meiner Meinung sind Sie gar nicht haftbar.«

»Nicht haftbar?« Frank war es, als hätte sich sein Herz plötzlich aus einer Kanonenkugel in einen Luftballon verwandelt. »Wieso glauben Sie das?«

»Sie waren ein wenig flüchtig in Geschäftssachen, wenn ich so sagen darf, Herr Crosse, und Sie haben den Schein vielleicht nicht so genau gelesen wie ich. Es war eine Klausel darin, nach welcher sich die Gesellschaft verpflichtete, häufige und periodische Abrechnungen vorzunehmen, damit Ihre Verpflichtung niemals eine sehr hohe werde.«

»Wahrhaftig, ja!« rief Frank. »Nun, und haben sie das getan?«

»Nein.«

»Bei Gott – Maude, hörst du? – wenn es so ist, dann haben sie ihren Schaden selbst verschuldet. Sie haben also kein einzigesmal abgerechnet?«

»Doch, Herr, viermal.«

»In welcher Zeit?«

»In vierzehn Monaten.«

Der Luftballon war verschwunden, und die Kanonenkugel nahm ihren Platz wieder ein.

»Das wird als genügend erachtet werden, um sie zu entlasten.«

»Das glaube ich nicht, Herr. ›Häufig und periodisch‹ heißt nicht vier Mal in vierzehn Monaten.«

»Das Gericht kann es so auffassen.«

»Sie müssen bedenken, daß der Zweck der Klausel war, Ihre Haftung zu beschränken. Tausende von Pfunden sind in dieser Zeit durch meine Hände gegangen, und daher kann man sagen, daß diese vier Abrechnungen ungenügend für den Zweck der Klausel waren.«

»Das glaube ich auch«, sagte Maude mit Überzeugung. »Frank, wir werden uns morgen mit dem tüchtigsten Advokaten beraten.«

»Und inzwischen, Herr Crosse,« sagte Farintosh aufstehend, »bin ich Ihr Zeuge, ob die Gesellschaft mich verfolgt oder nicht. Ich hoffe, daß ich damit ein wenig den Kummer gutmachen kann, den ich Ihnen verursacht habe.«

Damit war also der erste Lichtstrahl in die Finsternis gefallen. Er wurde allerdings nicht verstärkt durch folgenden Brief, den Frank am nächsten Morgen beim Frühstück vorfand:

In Sachen Farintosh.

Versicherungsgesellschaft Prudentia.

Sehr geehrter Herr! – Nach meiner Rückkehr begab ich mich sogleich hierher ins Bureau und schloß Farintoshs Konto in unseren Büchern ab. Zu meinem Leidwesen finde ich ein weiteres Manko von siebzig Pfund. Ich kann Ihnen jedoch nunmehr versichern, daß wir auf den Grund gelangt sind. Der Gesamtbetrag ist also dreihundertvierzig Pfund, und Sie würden uns durch baldgefällige Übersendung eines Schecks in dieser Höhe verbinden, da wir diese unangenehme Sache gerne raschestens erledigt sehen würden.

Hochachtungsvoll

James Wingfield.

Worauf Frank und Maude gemeinsam folgende Antwort verfaßten:

Geehrte Herren! – Ich nehme Kenntnis von Ihrer Forderung von dreihundertvierzig Pfund in der Angelegenheit Ihres Agenten Farintosh. Ich werde jedoch aufmerksam gemacht, daß gewisse Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, über die ich erst Erhebungen pflegen muß, ehe ich die geforderte Summe bezahle. – Hochachtungsvoll

Frank Crosse.

Worauf die Versicherungsgesellschaft Prudentia:

Geehrter Herr! – Wären Sie um einen Aufschub für die Erfüllung Ihrer Verpflichtung an uns herangetreten, so hätten wir gerne zugewartet. Da Sie jedoch die Absicht zu haben scheinen, diese Ihre Verpflichtung zu bestreiten, so bleibt uns nichts anderes übrig, als sogleich die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Zahlung zu erzwingen. – Hochachtungsvoll

John Waters,
Sekretär.    

Worauf Frank und Maude:

Geehrte Herren! – Mein Anwalt, R. Owen, 14 Shirley Lane, E. C., wird erfreut sein, Ihre Nachrichten zu empfangen.

Was die korrekte legale Umschreibung ist für: »Gehen Sie zum Teufel!«

Aber wir greifen vor. Vorerst ging Frank, nach Empfang des ersten Briefes und Absendung der Antwort, wie gewöhnlich ins Bureau, während Maude die schwierigere Rolle zufiel, ruhig zu Hause zu warten. In der Mittagszeit suchte Frank seinen Freund und Anwalt auf, der seinerseits Einsicht in den Garantieschein nahm und mit ernstem Gesicht zurückkehrte.

»Sie haben einen Rechtsgrund«, sagte er, »aber keineswegs eine Sicherheit. Es hängt alles davon ab, wie der Richter das Schriftstück auffaßt. Ich denke, es würde unsere Sache sehr kräftigen, wenn wir das Gutachten eines CounselsPrivilegierter Rechtsanwalt höherer Klasse. – Anm. d. Übers. einholten. Ich werde eine Abschrift des Garantiescheines nehmen und sie Manners vorlegen. Ehe Sie heute Abend heimkehren, haben wir sein Gutachten.«

Nach Bureauschluß kam also Frank wieder und fand Owen sehr niedergeschlagen, denn ihre Beziehungen waren engere als nur die zwischen Anwalt und Klient.

»Es tut mir sehr leid«, sagte er.

»Das Gutachten ist gegen uns?«

»Direkt gegen uns.«

Frank versuchte so auszusehen, als läge ihm nichts daran.

»Lassen Sie mich es sehen«, sagte er.

Es war ein langes blaues Schriftstück mit der Aufschrift: »Die Versicherungs-Aktien-Gesellschaft Prudentia v. Frank Crosse.«

»Ich habe den mir vorgelegten Fall samt den begleitenden Dokumenten studiert«, sagte der gelehrte Anwalt, »und nach meiner Ansicht ist die Versicherungsaktiengesellschaft Prudentia berechtigt, von Herrn Frank Crosse auf Grund des von ihm unterfertigten Garantiescheines den Betrag von 340 Pfund zu fordern, da dieses Gelder sind, die von Herrn Farintosh in Empfang genommen und nicht an die besagte Gesellschaft abgeführt wurden.« Es folgte noch eine lange juridische Erläuterung, die uns aber nicht interessiert.

»Was tun wir nun?« fragte Frank hilflos. Das englische Gesetz ruft dieses Gefühl hervor.

»Ich würde an Ihrer Stelle den Prozeß führen. Sie haben jedenfalls Aussichten.«

»Hören Sie einmal, lieber Freund«, sagte Frank. »Ich will ganz aufrichtig gegen Sie sein. Wenn ich den Prozeß verliere, bin ich total ruiniert. Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen Ihre Spesen bezahlen soll.«

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte Owen. »Manners ist schließlich nicht unfehlbar. Wir wollen uns an Holland wenden und hören, was er dazu sagt.«

Vierundzwanzig Stunden später fand Frank Owen strahlend mit einem anderen Gutachten vor sich.

»Ganz für uns diesmal! Hören Sie!«

Und er las: »Ich habe den mir vorgelegten Fall und die beigefügten Schriftstücke sorgfältig geprüft. Nach meiner Ansicht ist die Versicherungsaktiengesellschaft Prudentia nicht berechtigt, von Herrn Frank Crosse die beanspruchte Summe oder einen Teil davon zu fordern, da von ihrer Seite die Verletzung einer wichtigen Bedingung des Garantiescheines stattgefunden hat.« – »Er liest »häufig und periodisch« in unserem Sinne«, fuhr Owen fort, das Schriftstück überfliegend, »und spricht sich sehr klar zu unseren Gunsten aus.«

»Wie wärs, wenn wirs mit noch einem versuchten und den besten von den dreien wählten?« sagte Frank.

»Das ist ein zu kostspieliges Vergnügen. Nein, Holland ist ein tüchtiger Kopf, und sein Gutachten wird bei jedem Richter Gewicht haben. Ich denke, wir haben nun eine genügend starke Waffe.«

»Und Sie halten unsere Sache für sicher?«

»Nichts ist sicher in einem Prozeß. Aber wir können jetzt unseren Standpunkt verfechten.«

Und nun sollte Frank erfahren, was es heißt, in eine plumpe, komplizierte alte Maschinerie hineingeraten zu sein, die unglaublich schwerfällig und zugleich unglaublich mächtig ist, und mit ihren absonderlichen Formeln und scheußlichem Englisch einem Ziele zuholpert, das vielleicht gerecht ist, vielleicht nicht, jedenfalls aber furchtbar kostspielig. Die Prozedur begann mit einem direkten Briefe von niemand Geringerem als von der Königin selbst, eine Ehre, die Frank niemals erträumt hatte.

Viktoria, von Gottes Gnaden des vereinigten Königreiches Großbritannien und Irland Königin, Verteidigerin des Glaubens, wendete sich plötzlich an Frank Crosse, in Woking, in der Grafschaft Surrey, um ihm zu sagen: »Wir befehlen Euch, innerhalb acht Tagen vom Tage der Zustellung dieser Ladung, den Tag der Zustellung miteingerechnet, bei Unserem Gerichte vorstellig zu werden, zur Einleitung des Verfahrens gegen Euch, auf Verlangen der Versicherungsaktiengesellschaft Prudentia.« Wenn er das nicht täte, fuhr Ihre Majestät fort, würden ihm verschiedene sehr unangenehme Dinge widerfahren, und Hardinge Stanley, Earl von Halsbury, unterstützte Ihre Majestät. Maude war zu Tode erschrocken, als sie das Schriftstück sah, und dachte nicht anders, als daß sie sich gegen die britische Verfassung vergangen hätten, aber Owen erklärte ihnen, daß das lediglich ein kleines gesetzliches Feuerwerk war, das bedeutete, es könnte später Nachteiliges erfolgen.

»Auf alle Fälle heißt das aber«, sagte Frank, »daß in acht Tagen alles vorüber sein wird.«

Owen lachte herzlich.

»Es heißt«, erwiderte er, »daß wir in acht Tagen versprechen müssen, zu einem späteren Zeitpunkte mit den Vorbereitungen für etwas zu beginnen, was in der Zukunft geschehen soll. Das ungefähr ist damit gemeint. Sie haben jetzt nichts anderes zu tun, als ruhig die Dinge abzuwarten und alles übrige mir zu überlassen.«

Aber wie soll ein Mann mit fünfzig Pfund Kapital ruhig bleiben, wenn er mit einem Gegner kämpft, der, wie ihn ein Plakat bei der Clapham-Station täglich belehrte, über mehr als drei Millionen Pfund Aktiven verfügt? Er tat zuversichtlich gegenüber Maude, und sie ihm gegenüber, aber beide litten entsetzlich, und beide wußten, wie dem andern zu Mute war. Manchmal trat eine längere Pause ein, und sie konnten fast glauben, daß alles vorüber war. Aber dann knirschte die alte Maschine wieder, und die verrosteten Zahnräder drehten sich ein Stück weiter, und sie fühlten, daß sie noch immer in den Klammern des schrecklichen Dinges waren.

Vorerst hatten sie »vorstellig zu werden«, was bedeutete, daß sie erklärten, in den Prozeß einzutreten. Dann hatte die Gegenpartei ihren Klageanspruch schriftlich darzulegen. Dann hatte ein Kanzleigerichtsreferent auszusprechen, ob die Sache kurzerhand zu erledigen sei, oder ob er das hören wolle, was der Geklagte zu erwidern habe. Er entschied, daß er hören wolle, was der Beklagte zu erwidern habe. Dann verlangte jede Partei der anderen Beweisstücke zu sehen – »Aufdeckung« nannten sie das, als ob die Beweisstücke irgendwo verborgen wären und sie im geheimen mit Laternen danach suchen müßten. Dann machte jede Partei Bemerkungen über die Beweise der anderen und verlangte die Bemerkungen zu sehen, die die andere Partei über die ihrigen gemacht hatte. Dann legten die Advokaten der Gesellschaft ihren Anspruch dar, und als Maude das las, brach sie in Tränen aus und sagte, daß alles vorüber sei und daß sie sich darein finden müßten, und daß sie sich das neue Kleid im Frühjahr nie vergeben werde. Dann verfaßte Franks Advokat seine Gegenschrift, und als Frank sie gelesen hatte, rief er aus: »Nein, was die Leute töricht sind! Sie haben ja nicht den Schein einer Berechtigung!« Und so, nach all diesen Passaden und Paraden, ließen beide Parteien endlich ihre Geneigtheit erkennen, zum Entscheidungskampf einander gegenüber zu treten, und der Tag der Verhandlung wurde bestimmt. Durch einen Zufall war es Franks Geburtstag. »Das ist ein gutes Omen!« rief Maude.

Der erste Herold des bevorstehenden Kampfes war ein schäbig aussehender Mann, der Frank, als er am Morgen das Lindenhaus verließ, ein Papier in die Hand drückte. Es war abermals ein Brief Ihrer Majestät, wonach sub poena, (Ihre Majestät drückte sich in diesen Schriftstücken nicht sehr gnädig aus) »Herr Frank Crosse in dem königlichen Gerichtsgebäude am Strand vor Unserem hohen Oberhofgerichte zu erscheinen hat, um in der Sache der Versicherungsgesellschaft Prudentia Aussage abzulegen.«

Dies schien Frank ein unerwarteter und furchtbarer Streich, aber Owen lachte nur.

»Das ist ein bloßer Schreckschuß«, sagte er. »Es hat mir fast den Anschein, als ob sie sich schwach fühlten. Sie wollen Sie einschüchtern.«

»Das haben sie auch erreicht«, versetzte Frank.

»Wir haben dieselben Waffen wie sie und werden sie benützen.«

»Was wollen Sie tun?«

»Die ganze Gesellschaft sub poena vorladen lassen.«

»Ausgezeichnet!« rief Frank.

So wurde denn ein Gerichtsdiener mit einem ganzen Bündel Vorladungen unter Strafandrohung zu der Prudentia gesandt, wo er sie freigebig verteilte. Und in zwei Tagen sollte die Schlacht stattfinden.

 


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