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Wie der Brigadier den König hatte.

Hier, auf dem Aufschlag meines Rockes, können Sie das Band meiner Verdienstmedaille erblicken; aber die Medaille selbst bewahre ich in einem Lederetui auf und nehme sie nur heraus, wenn einer der neuen Generäle unserer Friedenszeit oder irgend ein hoher Fremder kommt und die Gelegenheit wahrnimmt, um dem wohlbekannten Brigadier Gerard seine Aufwartung zu machen. Dann hefte ich sie an meine Brust, dann zwirble ich meinen Schnurrbart, daß die grauen Spitzen bis in die Augen hinauf stehen, und dennoch fürchte ich, mes amis, daß sich niemand einen richtigen Begriff von dem Manne machen kann, der ich einst war. Denn jetzt bin ich nur noch Zivilist – allerdings einer, der sich sehen lassen kann – aber immerhin nur Zivilist. Hätten Sie mich indes am 1. Juli 1810 in der Türe des Gasthauses zu Alamo stehen sehen – ah, dann wäre Ihnen klar geworden, wozu es der Husar bringen kann.

Einen vollen Monat lang hatte ich in jenem verwünschten Dorfe gelegen und zwar nur wegen eines elenden Lanzenstiches in den Knöchel, der es mir unmöglich machte, den Fuß aufzusetzen. Außer mir befanden sich erst noch drei andere Invaliden dort, die sich aber bald wieder erholten und zur Armee zurückkehrten. Nur ich blieb zu meiner großen Verzweiflung übrig, saugte an meinen Fingern, raufte mein Haar und – nun, ich will es gestehen – weinte von Zeit zu Zeit, wenn ich an meine Husaren dachte, die sich ohne ihren Oberst behelfen mußten. Zwar war ich noch nicht Brigadechef, obwohl mich jedermann dafür halten mußte, aber der jüngste Oberst des ganzen französischen Heeres, und mein Regiment war mir alles auf der Welt. Es ging mir nahe, daß meine guten Jungen so vereinsamt waren; Villaret, der älteste Major, war ja ein vortrefflicher Soldat – aber gibt es nicht selbst unter den vortrefflichen noch verschiedene Grade?

Ach, jener glückliche Julitag, an dem ich zuerst wieder nach der Türe hinken und mich im goldnen Sonnenschein erlaben konnte! Ich sah mich schon wieder an der Spitze meiner Tapferen – aber wie zu ihnen gelangen, zu ihnen, die in Pastores, auf der andern Seite des Gebirges, kaum vierzig Wegmeilen vor mir lagen? Hatte doch derselbe Stoß, der mich verletzte, mein tapferes Roß getötet! So sehr ich auch Gomez, den Wirt, und einen alten Priester, der des Nachts im Wirtshaus geblieben war, mit Fragen bestürmte, mir wurde kein Rat; beide versicherten mir, daß auch nicht die elendeste Mähre im ganzen Dorfe aufzutreiben wäre. Ueberdies hielt es der Wirt für höchst gefährlich, das Gebirge ohne Begleitung zu überschreiten, da El Cuchillo, der spanische Räuberhauptmann, mit seiner Bande darin hause, und in seine Hände fallen sei gleichbedeutend mit dem qualvollsten Tode. Der alte Priester bestätigte diese Worte, meinte aber zugleich, daß ein französischer Offizier sich dadurch wohl nicht abhalten lassen würde. Und wenn ich einen Augenblick gezaudert hatte, diese Bemerkung genügte mir, meinen Weg klar zu zeigen.

Aber ein Pferd, ein Pferd! Da stand ich nun in der Türe, sann und schmiedete Pläne und war der Verzweiflung nahe, als ich plötzlich Pferdegetrappel hörte und aufschauend einen großen, bärtigen Mann in blauem, uniformartigem Rock erblickte. Er ritt einen plumpen Rappen, der durch einen rechten weißen Vorderfuß besonders auffällig war.

»Holla, Kamerad!« rief ich ihn an.

»Holla!« erwiderte er.

»Oberst Gerard von den Zehnern. Habe einen Monat hier verwundet gelegen und möchte nun zu meinem Regiment nach Pastores.«

»Kommissär Vidal, auch nach Pastores; würde mich freuen, Herr Oberst, wenn Sie mitreisen wollten, das Gebirge soll gar nicht sicher sein.«

»Ach,« antwortete ich, »ich habe kein Pferd! Wollen Sie mir nicht das Ihrige verkaufen? Ich lasse Sie morgen mit einer Bedeckung von Husaren abholen.«

Aber davon wollte er nichts hören, und ebenso vergebens war es, daß der Wirt schreckliche Geschichten von El Cuchillo erzählte und ich ihn auf die Pflicht hinwies, die er dem Lande und dem Heere schuldig sei. Ja, endlich verschmähte er es, uns auch nur zu antworten, und rief mit lauter Stimme nach einem Becher Wein. Da forderte ich ihn listigerweise auf, abzusteigen und mit mir zu trinken; aber es mußte ihm etwas in meinem Gesichte aufgefallen sein, denn er schüttelte den Kopf. Und als ich mich ihm näherte, um ihn am Fuße zu packen, stieß er die Sporen in die Flanken seines Pferdes und verschwand in einer Staubwolke.

Zum Kuckuck! Ich hätte verrückt werden können, als ich den Burschen so munter zu seinen Fleischfässern und Schnapsflaschen dahineilen sah und an meine fünfhundert schönen Husaren ohne ihren Oberst dachte. Ich blickte ihm immer noch mit bitterem Neide nach, als mich jemand am Arme berührte, und mich umwendend gewahrte ich den schon erwähnten kleinen Priester.

»Ich könnte Ihnen helfen, Herr Oberst,« sagte er mit sanfter Stimme, »ich reise selbst nach dem Süden.«

Ich fiel ihm in meiner Freude um den Hals; aber da gab mein Fußgelenk nach, und beinahe wären wir beide zur Erde gefallen.

»Bringen Sie mich nach Pastores!« rief ich, »und Sie sollen einen Rosenkranz von goldenen Perlen haben!«

Ich hatte einen solchen im Kloster zum »Heiligen Geiste« gefunden und sah nun abermals, wie gut es ist, so viel als möglich aus einem Feldzuge mit heimzunehmen, da man nicht weiß, bei welcher Gelegenheit man auch die unwahrscheinlichsten Dinge gebrauchen kann.

Er entgegnete in ganz vorzüglichem Französisch:

»Ich will Sie mitnehmen, aber nicht um einer Belohnung willen, sondern weil es mir Bedürfnis ist, meinen Mitmenschen nach Kräften beizustehen, und deshalb bin ich auch überall so gern gesehen.«

Indem er so sprach, führte er mich das Dorf entlang nach einem alten Stalle, wo wir eine ausgediente Postkutsche fanden, wie man sie so ungefähr im Anfang dieses Jahrhunderts in entlegenen Dörfern hatte. Auch drei alte Maulesel standen darin, von denen zwar keiner stark genug war, einen Mann zu tragen, vereint aber mochten sie wohl imstande sein, die Kutsche zu ziehen. Glaubt mir, chers amis, der Anblick dieser elenden Tiere mit ihren ungeheuren Rippen und lahmen Beinen entzückte mich mehr, als die zweihundertundfünfzig Renner des Kaisers, die ich in ihrem Stalle zu Fontainebleau bewundert hatte. Es kostete uns jedoch viel Mühe, den Eigentümer zu bewegen, sie vor den Wagen zu spannen, denn er hatte gewaltige Furcht vor dem schrecklichen Cuchillo; aber nachdem ich ihm alle Reichtümer der Welt versprochen, und der Priester ihm mit der Hölle gedroht hatte, bestieg er den Wagen und ergriff die Zügel. Dann aber hatte er es so eilig, noch vor Anbruch der Nacht ans Ziel zu kommen, daß er mir kaum genügend Zeit ließ, mich von des Wirtes Töchterlein gebührend zu verabschieden. Leider fällt mir ihr Name augenblicklich nicht ein, aber ich erinnere mich sehr wohl, daß wir beide damals weinten, und daß sie ein schönes Mädchen war. Und dieses Zeugnis aus dem Munde eines Mannes, der in vierzehn verschiedenen Königreichen die Männer bekämpft und die Frauen geküßt, will gewiß etwas heißen.

Der kleine Priester hatte zuerst ein wenig ernst dreingeschaut, als wir uns den Abschiedskuß gaben, aber dann bewies er sich als ein sehr guter Reisegefährte. Die ganze Zeit über unterhielt er mich von seiner kleinen Pfarre in den Bergen oben, und ich wiederum plauderte von allerlei Abenteuern aus meinem Leben; aber, meiner Treu, man mußte vorsichtig sein, denn sobald ich ein Wort zu viel sagte, begann er unruhig zu werden, und sein Gesicht verriet deutlich, daß ich sein Gefühl verletzt hatte. Selbstverständlich wird ein Gentleman mit einem Geistlichen auch nur in schicklicher Weise reden, obgleich es auch nicht zu verwundern ist, wenn einem Soldaten einmal ein Wort entschlüpft. Aus seiner Erzählung erfuhr ich, daß er aus dem nördlichen Spanien kam und zum Ziel ein kleines Dörfchen in Estremadura hatte, wo seine bejahrte Mutter lebte.

Er schilderte ihr gemütliches Heim und seine Freude auf das Wiedersehen in so lebhaften Farben, daß ich an meine eigene Mutter denken mußte und mir die Tränen in die Augen traten. In seiner liebenswürdigen Einfalt zeigte er mir sogar die kleinen für sie bestimmten Gaben, und sein ganzes Wesen war überhaupt so kindlich einfach, daß ich gern seiner Versicherung glaubte, daß jedermann ihn gern hatte. Meiner Uniform zollte er große Bewunderung; staunend prüfte er den feinen Stoff, lobte den stattlichen Federbusch und streichelte ehrfurchtsvoll den scharlachenen Besatz des Rockes. Auch mein Schwert zog er aus der Scheide und schauderte, als ich ihm erzählte, wie vielen es schon ein frühes Ende bereitet hatte. Als ich aber nun gar meinen Finger in die Scharte legte, die vom Schulterbein des Adjutanten des Kaisers von Rußland herrührte, da kannte sein Entsetzen keine Grenzen mehr. Sanft entwand er mir die Waffe und verbarg sie unter dem ledernen Sitzkissen mit der Bemerkung, daß ihm schon beim bloßen Anblick schwindele.

So waren wir denn eine gute Strecke des Weges dahingerumpelt, und als wir den Fuß des Gebirges erreichten, hörten wir zu unserer Rechten fernen Kanonendonner. Das war Masséna, der, wie ich wußte, Ciudad Rodrigo belagerte. Nun wäre ich für mein Leben gern geradewegs zu ihm geeilt, denn wenn auch, wie manche sagten, jüdisches Blut in seinen Adern floß, so war er doch der tapferste Jude, der seit Josuas Tagen die Erde betreten. Immerhin bleibt aber eine Belagerung nur ein armseliges Geschäft mit Pickaxt und Schaufel, und bei meinen Husaren gab es im Kampfe gegen die Engländer doch noch schönere Arbeit. Mit jeder Meile, die wir vorwärts rückten, wurde mir das Herz leichter, bis ich endlich, vor Freude, meine Pferde und all die flotten Bursche wiederzusehen, wie ein junger, neugebackener Fähnrich sang und jubelte.

Je weiter wir in das Gebirge eindrangen, desto rauher und wilder wurde der Weg. Anfangs waren wir noch hier und da einem Maultiertreiber begegnet, nun aber war alles wie ausgestorben, kein Wunder, denn Engländer, Franzosen und Räuberhorden hatten hier ihr Wesen getrieben. Endlich wendete ich meine Augen von dem traurigen Bilde ab, und Einkehr in mich selbst haltend, dachte ich an dieses und jenes, an Frauen, die ich geliebt, an Pferde, die ich unter den Händen gehabt hatte.

Plötzlich wurde ich in meinen Träumereien durch das Gebaren meines Reisegefährten gestört, der sich bemühte, mit einer Art Spitzbohrer ein Loch in den Lederriemen seiner Wasserflasche zu bohren. Dabei zuckten seine Finger jedoch dergestalt, daß der Riemen ihm endlich aus der Hand fuhr und die hölzerne Flasche mir vor die Füße fiel. Ich bückte mich nieder, um sie aufzuheben, aber indessen sprang der Priester blitzschnell auf meinen Rücken und trieb mir den Spitzbohrer in das Auge!

Messieurs! Sie wissen recht wohl, daß ich ein Mann bin, der jeder Gefahr keck ins Auge sieht. Wenn man von der Affäre bei Zürich bis zu dem verhängnisvollen Tage bei Waterloo dabeigewesen ist, wenn man die große Verdienstmedaille errungen hat, die ich in einem Lederetui aufbewahre, dann ist es einem wohl erlaubt, von »Furcht« zu reden. Und wenn Ihnen zuweilen Ihre Nerven einen Streich spielen, so trösten Sie sich nur mit dem Gedanken, daß sogar ich, der Brigadier Gerard, die Furcht gekannt habe. Zu dem Schreck über den unvermuteten Ueberfall und zu dem Schmerz in meiner Wunde gesellte sich noch ein plötzliches Gefühl des Ekels – ein Gefühl, wie der es empfinden mag, der von einer widerlichen Viper angefallen wird.

Ich packte den Unhold mit beiden Händen, riß ihn auf den Boden der Kutsche herab und stampfte mit meinen schweren Stiefeln auf ihm herum. Zwar gelang es ihm, eine Pistole aus der Tasche seines Priesterrockes zu ziehen, aber ich schleuderte sie ihm aus der Hand und stieß wieder und wieder mit meinen Knien gegen seine Brust. Da begann er fürchterlich zu schreien; ich aber tappte nach meinem Säbel umher, den er so listig verborgen hatte. Jetzt hatte ihn meine Hand entdeckt und ich wischte eben das Blut aus meinem Gesichte, um zu sehen, wo der Kerl lag, denn ich wollte ihn durchbohren – als sich plötzlich die ganze Kutsche auf die Seite legte und die Waffe mir durch den Ruck aus der Hand fiel.

Ehe ich mich fassen konnte, wurde die Türe aufgerissen und ich wurde an den Füßen auf den Weg herausgeschleift. Aber obwohl ich auf die harten Steine fiel, obwohl ich mir sagen mußte, daß gegen dreißig Kerle mich umringten, jauchzte ich doch bei mir selbst vor Freude; denn in dem Gedränge war mir der Zipfel meines Mantels über das eine Auge gefallen, aber mit dem anderen – dem verwundeten – konnte ich die Räuberbande sehen! An dieser Narbe hier können Sie heute noch gewahren, daß der Stahl sehr nahe am Augapfel eingedrungen war, und erst, als ich aus der Kutsche gezerrt wurde, wußte ich, daß ich das Augenlicht nicht für immer verloren hatte. Der Bube mochte wohl die Absicht gehabt haben, mein Gehirn zu durchbohren, und in der Tat muß er einen Knochen verletzt haben, denn jene Wunde hat mir mehr zu schaffen gemacht als irgend eine von den siebzehn, die ich überhaupt davongetragen.

Nachdem mich die Hunde unter Flüchen und Verwünschungen herausgezogen hatten, schlugen sie mich mit ihren Fäusten und stießen mich mit den Füßen. Nur gut, daß es die Gewohnheit jener Bergbewohner war, ihre Füße mit Tüchern zu umwickeln! Endlich ließen sie von mir ab, denn das Blut strömte von meinem Kopfe herunter, und ich lag ganz ruhig da, als hätte ich das Bewußtsein verloren; insgeheim aber prägte ich mir alle ihre häßlichen Gesichter ins Gedächtnis ein, so daß sie alle gehängt werden konnten, wenn sich mir je Gelegenheit dazu bot. Es waren lauter nervige Gestalten mit gelben Tüchern an den Köpfen und roten Gürteln, in denen ihre Waffen steckten. Sie hatten zwei große Steine quer über den Weg gelegt, da, wo er eine scharfe Wendung machte, und diese hatten eines der Räder weggerissen und uns umgeworfen. Jener Mordbube, der den Priester so geschickt gespielt und mir dabei so viel von seiner Mutter und seiner Gemeinde vorerzählt hatte, wußte natürlich, wo der Hinterhalt lag, und hatte versucht, mich ganz wehrlos zu machen, ehe wir an die Stelle kamen.

Als die Burschen ihn aus dem Wagen zogen und nun bemerkten, wie übel ich ihm mitgespielt hatte, kannten sie sich nicht vor Wut. Nun, wenn er auch nicht ganz nach Verdienst belohnt worden war, so hatte er doch etwas zur Erinnerung an Etienne Gerard davongetragen; denn seine Beine hingen schlaff herab, während der obere Teil seines Körpers sich in Wut und Schmerzen wand. Aber seine kleinen schwarzen Augen, die in der Kutsche so mild und unschuldig ausgeschaut, funkelten mich während der ganzen Zeit wie diejenigen einer verwundeten Katze an, und unaufhörlich spie er nach mir.

Meiner Treu! Als die Schufte mich jetzt emporrissen und einen der Gebirgspfade entlang schleiften, da wurde mir klar, daß ich bald all meinen Mut und meine Kraft nötig haben würde. Mein Feind aber wurde von zwei Männern hinter mir her getragen, und sein Zischen sowohl als seine Schmähreden drangen auf dem gewundenen Pfade bald von rechts, bald von links her an mein Ohr.

Unser Aufstieg muß, meiner Schätzung nach, gegen eine Stunde gedauert haben, aber der Schmerz in meinen Wunden, sowie die Befürchtung, daß meine äußere Erscheinung bei dem Vorfall gelitten haben möchte, machten ihn mir zu einer der furchtbarsten Reisen meines Lebens. Nun bin ich zwar ein guter Bergsteiger gewesen, aber es ist wunderbar, was der Mensch leisten kann, sobald er zu beiden Seiten einen Briganten und je einen blitzenden Dolch an den Enden seines Schnurrbartes weiß.

Jetzt gelangten wir an eine Stelle, wo der Pfad sich über den Gipfel des Berges wand und auf der anderen Seite durch dichten Wald in ein nach Süden offenes Tal führte. Höchst wahrscheinlich waren all diese Bösewichter in Friedenszeiten Schmuggler, und das war einer von den Schleichpfaden, die über die portugiesische Grenze führten. Ich bemerkte häufig die Spuren von Maultieren, und als wir an einen Ort kamen, wo der Boden etwas aufgeweicht war, sah ich mit Staunen die Eindrücke eines großen Pferdehufes. Die Ursache davon sollte mir bald klar werden, denn in einer Lichtung nicht weit davon erblickte ich das Tier selbst an einen gestürzten Baum gebunden. Kaum war mein Auge darauf gefallen, so erkannte ich an den plumpen Formen und dem weißen Vorderfuße jenen Rappen, den ich mir heute früh so sehnsüchtig gewünscht hatte.

Aber was war aus dem Kommissar Vidal geworden? War er vielleicht in derselben gefährlichen Lage wie ich selbst? Es blieb mir jedoch keine Zeit, diesen Gedanken nachzuhängen; denn jetzt hielt der Zug, und einer der Männer stieß einen eigentümlichen Schrei aus, der sogleich aus der von einer Klippe überragten Hecke auf der anderen Seite des Aushaues beantwortet wurde. Zu gleicher Zeit stürzten zehn bis zwölf Briganten auf uns zu, begrüßten meine Begleiter und umringten dann mit lauten Beileidsbezeigungen meinen Freund mit dem Spitzbohrer. Schließlich würdigten sie mich ihrer Aufmerksamkeit, sie schwangen ihre Messer und brüllten mich an, daß es mir angst und bange wurde. Ja, ich meinte schon, mein letzter Augenblick sei gekommen, und nahm mir vor, ihm als ein Mann entgegenzugehen, der seinen Ruf zu wahren hat, als einer der Mordbuben einen Befehl gab, worauf ich nicht eben sanft über die kleine Lichtung nach der Hecke geschleift wurde, aus welcher diese neue Bande gekommen. Ein ganz schmaler Weg schlängelte sich hindurch und endete in einer tiefen Grotte unter der Klippe. Draußen ging eben die Sonne unter, und es wäre in der Höhle wohl schon ganz dunkel gewesen, hätten nicht zwei an der Mauer befestigte Fackeln ihr flackerndes Licht verbreitet. Bei ihrem Scheine sah ich eine sehr seltsame Person an einem rohgezimmerten Tische sitzen und schloß sofort aus dem ehrfurchtsvollen Benehmen der anderen, daß ich niemand anders als den berüchtigten Räuberhauptmann El Cuchillo vor mir hatte.

Hinter mir wurde der Mann, den ich verwundet hatte, hereingetragen und auf ein Faß gesetzt; seine Beine hingen schlaff herab, aber seine Katzenaugen sprühten immer noch Haß gegen mich. Aus dem Gespräch zwischen ihm und dem Hauptmann wurde mir klar, daß er ebenfalls zu der Bande gehörte, und daß es seine Aufgabe war, Gimpeln wie mir aufzulauern und sie durch seine glatte Zunge und sein heiliges Gewand zu betören. Wenn ich bedachte, wie viele edle Männer schon durch diesen elenden Heuchler ins Verderben gelockt sein mochten, frohlockte ich, daß ich seinen Schurkenstreichen nun ein Ziel gesetzt hatte, obgleich ich fürchtete, es mit meinem Leben bezahlen zu müssen, das doch dem Kaiser und dem Heer so unentbehrlich war.

Während der Verwundete, von zwei Kameraden gestützt, über seine Erlebnisse Bericht erstattete, stellten mich einige der Kerle an den Tisch, an welchem der Häuptling saß, und ich hatte nun die beste Gelegenheit, ihn mir genau anzusehen. Ich muß gestehen, daß dieser Mann sehr wenig meiner Idee von einem Räuber entsprach, und daß ich mich höchlichst wunderte, wie man in Spanien, dem Lande der Grausamkeit, ihm seinen Spitznamen geben konnte. Sein wohlgenährtes, gutmütiges Gesicht, mit der frischen Farbe und dem Backenbart, ließ in ihm vielmehr einen wohlhabenden Krämer von St. Antoine vermuten als einen gefürchteten Banditen. Auch trug er weder den grellen Gürtel noch die blitzenden Waffen, die die anderen Räuber kennzeichneten, sondern im Gegenteil einen einfachen, dunklen Tuchrock, wie ein ehrbarer Familienvater, und wären seine braunen Gamaschen nicht gewesen, es hätte nichts an der ganzen Erscheinung den Bergbewohner verraten.

Die ganze Umgebung stand mit der Person des Mannes im Einklang; auf dem Tisch befand sich außer seiner Schnupftabaksdose noch ein großes braunes Buch, fast wie das Hauptbuch eines Kaufmanns, und viele andere Bücher waren auf einem Brette zwischen zwei Pulverfässern aufgereiht. Der ganze Boden aber war mit Papieren bedeckt, von denen die meisten flüchtig hingeworfene Verse enthielten. Er selbst lehnte nachlässig in seinem Stuhle zurück und lauschte den Worten des Krüppels, der, nachdem er seinen Bericht beendet hatte, wieder hinausgetragen wurde. Ich aber mußte mit meinen drei Wächtern zurückbleiben, um mein Schicksal zu hören. Jetzt ergriff der Hauptmann eine Feder, tippte damit an seine Stirn und schaute nachdenklich an die Decke der Grotte. Nach einer Weile wendete er sich mir zu und bemerkte in reinstem Französisch:

»Sie wissen wohl auch keinen Reim auf das Wort Covilha?«

Darauf entgegnete ich, daß meine Bekanntschaft mit der spanischen Sprache dazu leider zu gering sei.

»Es ist eine reiche Sprache,« fuhr er fort, »aber doch für Verse weniger günstig als Deutsch oder Französisch, und das ist der Grund, weshalb unsere besten Werke in reimlosen Jamben geschrieben sind. Aber ich fürchte, dergleichen Dinge gehen über den Horizont eines Husaren.«

Ehe ich Zeit zu einer Entgegnung fand, beugte er sich wieder nieder zu seinem halbvollendeten Verse, warf aber gleich darauf die Feder mit einem Ausruf der Freude hin und deklamierte einige Zeilen, welche den Bösewichtern, die mich hielten, lauten Beifall entlockten. Da errötete sein breites Gesicht wie das eines jungen Mädchens, dem man eben eine Schmeichelei gesagt hat, und er bemerkte:

»Wie es scheint, haben wir die Kritiker auf unserer Seite. Sie müssen wissen, junger Herr, daß wir uns die langen Abende angenehm verkürzen, indem wir unsere eigenen Balladen singen, und, wie Sie sehen, brauche ich mich der Kinder meiner Muse durchaus nicht zu schämen. Ja, ich hoffe sogar stark, sie eines Tages gedruckt zu lesen und noch dazu mit der Bezeichnung ›Madrid‹ auf dem Titelblatt. Aber nun zu unserem Geschäft. Ihr Name?«

»Etienne Gerard.«

»Stand?«

»Oberst.«

»Truppenteil?«

»Dritte Husaren von Conflans.«

»Sie sind sehr jung für einen Oberst.«

»Das Glück war meiner Karriere hold.«

»Um so schlimmer!« bemerkte er, indem er seinen breiten Mund zu einem Lächeln verzog.

Darauf entgegnete ich gar nichts, sondern begnügte mich einfach, ihm durch meine ganze Haltung zu beweisen, daß ich mich auch vor dem Schlimmsten nicht fürchtete.

Er hatte sich inzwischen über das große braune Buch geneigt und blätterte darin.

»Oh!« sagte er plötzlich, »mich dünkt, wir haben schon einen von Ihrem Regiment hier gehabt; ich sehe da wenigstens so etwas unter den Aufzeichnungen, die wir gemacht haben. Gab es nicht bei Ihnen einen Offizier Soubiron, einen schönen jungen Mann mit blondem Haar?«

»Gewiß!«

»Den haben wir, wie ich sehe, am 24. Juni hier begraben.«

»Der arme Junge. Woran ist er denn gestorben?«

»Wir haben ihn begraben.«

»Nun ja; aber ehe Sie ihn begruben?«

»Sie verstehen mich nicht, Oberst; er war nicht tot, als wir ihn begruben.«

»Sie haben ihn lebendig begraben?«

Einen Augenblick lang war ich wie betäubt. Dann aber stürzte ich mich auf den Mann, und ich hätte ihn erdrosselt, wenn die drei elenden Kerle mich nicht von ihm weggerissen hätten. Zwar versuchte ich mit aller Macht von ihnen loszukommen; ich schüttelte bald diesen, bald jenen von mir ab, ich wetterte und fluchte – aber ganz frei kam ich nicht. Endlich, nachdem sie mir den Rock vom Leibe gerissen und das Blut mir von den Händen rieselte, warfen sie mir eine Schlinge über den Kopf und fesselten mir Arme und Beine.

»Ihr Teufel!« knirschte ich, »wenn ihr je meinem Schwerte zu nahe kommt, will ich euch lehren, was es heißt, einen von meinen Jungen zu Tode zu quälen. Ihr sollt schon noch gewahr werden, daß meines Kaisers Arm weit reicht; und wenn ihr auch jetzt hier sicher seid wie die Ratte in ihrem Loche, er wird euch doch zu seiner Zeit herausreißen und euch samt eurer Brut vernichten!«

Meiner Treu, meine Zunge kann scharfe Reden führen, und ich wog die Worte nicht ab, die ich ihnen an den Kopf warf; aber der Häuptling saß ganz gelassen da, tippte mit der Feder an die Stirn und schielte nach der Decke, als ob ihm eine neue Idee für sein Gedicht gekommen wäre. Nun wußte ich, wie ihm beizukommen war.

»Esel, der Sie sind!« sagte ich. »Sie meinen, Sie sind hier sicher, und doch kann Ihr elendes Leben ebenso kurz sein wie das Ihrer einfältigen Verse da, ja vielleicht noch kürzer.«

Jetzt hätten Sie ihn aber von seinem Stuhle aufspringen sehen sollen! Der gemeine Unhold, der über Leben und Tod seiner Mitmenschen genau so ruhig verfügte, wie der Krämer über seine Feigen, hatte doch eine wunde Stelle, wo man ihm nach Herzenslust weh tun konnte. Sein Gesicht wurde ganz grün, und die Haare seines Bartes sträubten sich vor Aerger.

»Ganz recht, Oberst,« sagte er mit vor Wut bebender Stimme, »aber genug davon jetzt. Sie rühmten sich vorhin, eine außergewöhnliche Karriere gemacht zu haben – nun, Ihr Ende soll nicht weniger außergewöhnlich sein. Der Oberst Etienne Gerard soll einen ganz besonderen Tod haben!«

»Dann bitte ich mir nur aus, daß Sie ihn nicht in Versen verewigen.«

Ich hatte noch einige solcher Späße vorrätig; aber ein Blick aus seinen Augen veranlaßte meine drei Schergen, mich aus der Höhle zu schleifen.

Unser Gespräch, das ich so treu wie möglich wiederzugeben versucht habe, mußte ziemlich lange gedauert haben; denn als wir herauskamen, war es schon dunkel, und der Mond stand hell am Himmel. Die Räuber hatten ein tüchtiges Feuer von dürren Reisern angezündet, natürlich nicht um der Wärme willen, denn die Nächte waren schon sehr schwül, sondern um ihre Abendmahlzeit zu kochen. Ein riesiger kupferner Kessel hing über der Glut, die ihr gelbes Licht über die im Kreise umherlagernden Burschen warf. In der Tat ein malerischer Anblick! Ich weiß wohl, daß viele Soldaten nichts von Kunst und dergleichen wissen wollen, aber ich mache eben davon eine Ausnahme und zeige dadurch, daß ich ein Mann von Geschmack und Erziehung bin. Als Beleg dafür brauche ich nur anzuführen, daß ich, als Lefèbre nach der Uebergabe von Danzig die Beute verkaufte, ein sehr schönes Gemälde erwarb. Ich trug die »Nymphen, im Walde überrascht« während zwei Feldzügen mit mir herum, bis mein Renner das Mißgeschick hatte, sie mit seinem Hufe zu durchbohren. Das nur als Beweis, daß ich keineswegs lediglich ein rauher Soldat war, wie Rapp oder Ney. Freilich, als ich vor jener Räuberhöhle lag, hatte ich weder Zeit noch Neigung, mich um dergleichen zu kümmern. Die drei Satanskerle hatten mich unter einen Baum geworfen, saßen ganz nahe bei mir, spien um die Wette und rauchten ihre Zigaretten. Was konnte ich unter solchen Umständen tun? Wohl nicht zehnmal in meinem Leben bin ich in so verzweifelter Lage gewesen! Aber ich sagte zu mir selbst: Mut, Mut, mein Junge! Du bist doch nicht mit achtundzwanzig Jahren Oberst geworden, weil du einen Kotillon zu tanzen verstandest! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen, Etienne, hast doch schon ungezählte Händel ausgefochten, und dieser wird sicher nicht der letzte sein! Und so schaute ich denn aufmerksam um mich, wie ich wohl entwischen könnte, und gewahrte da etwas, was mich mit großem Staunen erfüllte.

Ich sah nämlich bei dem hellen Schein des Mondes und des Lagerfeuers mir gegenüber auf der andern Seite der Lichtung einen großen Tannenbaum, dessen Stamm und untere Aeste ganz verfärbt waren, als ob kürzlich ein großes Feuer darunter gebrannt hätte. Und als ich schärfer hinblickte, bemerkte ich deutlich an dem Baume, nicht sehr weit vom Boden entfernt, ein Paar schöne Reiterstiefel, die augenscheinlich mit den Füßen nach oben dort befestigt waren. Jetzt flackerte das Feuer hell auf, und ich sah nun deutlich, daß durch jeden Fuß ein großer Nagel getrieben war, der ihn festhielt. Und plötzlich faßte mich eisiges Grausen, denn es wurde mir klar, daß es nicht leere Stiefel waren – ich wendete meinen Kopf ein wenig nach rechts, um zu sehen, was dort hing, und warum man ein großes Feuer unter dem Baume angebrannt hatte.

O, mes amis, es wird mir schwer, Ihnen zu schildern, was ich da erblickte, und ich möchte nicht, daß Sie böse Träume quälten – aber wie kann ich Sie unter die spanischen Freibeuter führen, ohne Ihnen zu zeigen, was für Leute sie waren, und auf welche Weise sie ihren Krieg führten? Aber ich will Ihr Gefühl schonen und nur andeuten, daß ich nun wußte, warum Monsieur Vidals Pferd herrenlos im Walde graste, und daß ich von Herzen wünschte, er möchte sein schreckliches Schicksal mit Mut und Fassung ertragen haben, wie es jedem Franzosen gebührt.

Sie können sich wohl denken, daß mich jener Anblick nicht sonderlich erheiterte. Als ich bei dem Häuptling in der Grotte gewesen war, hatte mich meine Wut über den grausamen Tod des jungen Soubiron, dem ich von Herzen zugetan war, so vollständig beschäftigt, daß ich an meine eigene Lage gar nicht gedacht hatte. Gewiß wäre es klüger gewesen, dem Schurken nach dem Munde zu reden; aber nun war es zu spät – ich hatte den Kork aus der Flasche gezogen und mußte nun den Wein trinken. Außerdem sagte ich mir, daß, wenn schon der harmlose Kommissar eines so fürchterlichen Todes hatte sterben müssen, ich gewiß nicht erwarten durfte, glimpflicher behandelt zu werden, nachdem ich einen von ihnen so übel zugerichtet hatte. Nein, mein Schicksal war bestimmt – nun galt es nur noch, sich in das Unvermeidliche mit Würde zu fügen. Das Ungeheuer sollte Zeuge sein, daß Etienne Gerard gestorben war wie er gelebt hatte, und daß wenigstens ein Gefangener nicht vor ihm gezittert hatte. Und als ich so dalag, da fielen mir alle die Frauen ein, die um mich trauern würden; ich dachte an meine liebe, gute Mutter, an den Kaiser und an mein Regiment – wie mochten sie mich alle vermissen, wie sehr mein frühes Ende beklagen! Ja, Messieurs, ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß diese traurigen Gedanken mich zu Tränen rührten.

Trotzdem hielt ich tapfer Umschau nach etwas, was mich retten konnte; denn ich bin doch ein Mann und kein Schlachttier, das auf das Messer des Fleischers wartet!

Und so begann ich denn ganz heimlich, die Fesseln an Händen und Füßen etwas zu lockern und forschte dabei eifrig nach einem Mittel zu meiner Flucht. Eins war mir ganz klar; der Husar ist nur ein halber Mann ohne sein Pferd, und doch weidete meine andere Hälfte ruhig kaum sechzig Schritt von mir entfernt. Aber meine Gedanken wandelten noch zu etwas anderem. Der Pfad, auf dem wir über die Berge gekommen waren, war so schmal, daß ein Pferd nur langsam und schwer entlang geführt werden konnte; aber nach der entgegengesetzten Seite hin schien der Boden ebener zu sein und allmählich in ein Tal hinab zu führen. Nur erst meine Füße in jenen Steigbügel und den Säbel in der Hand, dann ein kühner Satz – und ich war außerhalb des Bereichs von jenem Gewürm der Berge!

So brütete ich und arbeitete noch verstohlen mit Händen und Füßen, als der Häuptling aus der Grotte trat. Er schritt zu dem Verwundeten hin, der ächzend und stöhnend am Feuer lag, und nachdem beide eine Zeitlang zusammen gesprochen, nickten sie mit den Köpfen und blickten nach mir hin. Darauf sagte El Cuchillo mit leiser Stimme etwas zu den übrigen, worauf die ganze Bande in die Hände klatschte und lauten Beifall brüllte. Das sah bedenklich aus, und ich freute mich deshalb sehr, als ich fand, daß meine Hände nun frei genug waren, um aus den Banden schlüpfen zu können. Leider konnte ich nicht dasselbe von meinen Füßen sagen, denn bei der geringsten Bewegung schmerzte mich mein Knöchel so sehr, daß ich den Schnurrbart zwischen die Zähne nehmen mußte, um nicht laut aufzuschreien. So blieb mir denn nichts übrig, als still zu liegen und den Verlauf der Dinge abzuwarten.

Erst konnte ich gar nicht klug daraus werden, was die Schurken vor hatten. Einer von ihnen kletterte auf einen jungen Tannenbaum, der auf der andern Seite der Lichtung stand, und band ein Seil um die Spitze desselben, worauf er ein zweites an einem ähnlichen Baum auf der gegenüberliegenden Seite befestigte. Nun hingen die beiden Enden lose herab, und ich wartete mit ziemlich viel Neugierde und etwas Unbehagen, was nun geschehen würde. Da zog die ganze Bande an dem einen Tau, bis der starke junge Baum in einem Halbkreis den Boden berührte und befestigte dann das Seil an einem Baumstumpf. Nachdem sie den andern Baum auf gleiche Weise niedergebogen hatten, befanden sich die beiden Wipfel nur wenige Fuß von einander entfernt, mußten aber natürlich in ihre ursprüngliche Lage zurückspringen, sobald sie losgelassen wurden. Nun war mir der teuflische Plan der Unmenschen klar.

»Sie scheinen ein starker Mann zu sein,« redete mich der Häuptling an, der jetzt, ein höhnisches Lächeln auf den Lippen, zu mir trat.

»Wenn Sie mir diese Fesseln abnehmen wollen, will ich Ihnen wohl zeigen, wie stark ich bin,« entgegnete ich ihm.

»Wir möchten gerne wissen, ob Sie so stark sind wie diese beiden jungen Bäume da,« fuhr er fort, »und deshalb wollen wir die Enden der beiden Taue an Ihre Fußgelenke binden und dann loslassen. Sind Sie der Stärkere von beiden, nun, so soll mir's recht sein; stellt sich aber heraus, daß die Bäume stärker sind als Sie, ei, Herr Oberst, dann haben wir eine Erinnerung an Sie auf jeder Seite unseres kleinen Reiches.«

Dabei lachte er laut auf, und die übrigen vier folgten bereitwilligst seinem Beispiel. Noch heutigen Tages verfolgt mich, wenn ich mich in melancholischer Stimmung befinde oder einen Anfall von meinen alten Gesichtsschmerzen habe, der Anblick ihrer dunklen, wilden Gesichter mit den grausam blickenden Augen und den im Feuerschein blitzenden weißen Zähnen im Traum.

Es ist wunderbar – und ich bin nicht der einzige, der diese Beobachtung gemacht hat – wie scharf in dergleichen Lagen unsere Sinne werden. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß der Mensch in keinem Augenblicke die Dinge der Außenwelt so treu und lebhaft wahrnimmt, als wenn ein plötzlicher, unnatürlicher Tod ihn bedroht. Nase, Augen und Ohren arbeiteten damals bei mir mit solcher Schärfe, wie später nur wieder in Zeiten der größten Gefahr. Und so kam es, daß ich lange vor den anderen, ja, noch ehe mich der Häuptling angeredet hatte, ein leises, eintöniges Geräusch vernahm; es war anfangs sehr fern, kam aber immer näher. Erst klang es bloß wie fernes Murmeln, aber als die Mordbuben die Bande an meinen Füßen lösten, um mich an den Ort meines Todes zu führen, hörte ich so deutlich, wie ich nur irgend etwas in meinem Leben gehört habe, das Aufschlagen von Pferdehufen, das leise Klirren von Ketten, sowie das Rasseln von Säbeln gegen Steigbügel. Das mußten Husaren sein! Wie hätte ich mich irren können, ich, der ich bei der leichten Reiterei gewesen war, seit das erste Haar auf meiner Lippe sproßte!

»Zu Hilfe, Kameraden, zu Hilfe!« rief ich so laut ich konnte, und obgleich sie mich auf den Mund schlugen und an die Bäume hinschleiften, rief ich nochmals: »Helft mir, meine braven Jungen! Helft mir, Kinder! Euer Oberst wird ermordet!«

Meine Bedrängnis und meine Wunden hatten mich für den Augenblick des klaren Bewußtseins beraubt, und ich erwartete nichts Geringeres, als meine fünfhundert Husaren mit Pauken und allem Zubehör auf der Lichtung auftauchen zu sehen.

Aber die Wirklichkeit entsprach sehr wenig meinen Vorstellungen – denn was meine Augen jetzt schauten, war ein schöner junger Mann auf einem prächtigen Falben. Er hatte ein frisches, munteres Gesicht, und seine ganze Haltung war ungemein flott und ritterlich – eigentlich erinnerte mich die Erscheinung sehr an mich selbst. Sein Rock mochte wohl einst durchaus rot gewesen sein, hatte aber da, wo er mit dem Wetter in Berührung gekommen war, die Farbe von dürrem Eichenlaub angenommen. Doch goldene Tressen zierten seine Achselklappen, und auf dem Kopfe hatte er einen glänzenden Stahlhelm, der auf der Seite mit einer weißen Feder geschmückt war.

So trabte er in die Lichtung herein, und hinter ihm folgten vier Reiter in demselben Anzug. Alle waren glatt rasiert, hatten angenehme Gesichter und sahen weit eher wie Mönche als wie Dragoner aus. Ein kurzes Kommando – und die kleine Schar hielt, während ihr Anführer vorwärts sprengte und das Feuer sein frisches Gesicht und den schönen Kopf seines Renners beleuchtete.

Ich merkte natürlich sofort an der seltsamen Uniform, daß ich Engländer vor mir hatte, und obgleich ich deren nie zuvor gesehen, sah ich doch auf den ersten Blick an ihrer strammen Haltung und dem männlichen Auftreten, daß man mir nicht zu viel von ihnen gesagt hatte, und daß sie ausgezeichnete Kriegsleute waren.

»Heda, heda!« rief der junge Offizier in herzlich schlechtem Französisch. »Was soll denn hier vor sich gehen? Wer hat hier um Hilfe gerufen?«

In diesem Augenblicke segnete ich die Stunde, wo Obriant, der Abkömmling irischer Könige, mich in der englischen Sprache unterwiesen hatte. Man hatte inzwischen meine Füße freigemacht, und so zog ich schnell meine Hände aus den Stricken, lief wie der Blitz an das Feuer, wo mein Säbel lag, raffte ihn auf und schwang mich, trotz meines verwundeten Knöchels, mit einem Satz auf des seligen Vidals Gaul. Nun schnell die Halfter von dem Baum gerissen, und ehe die Kerle Zeit hatten, ihre Pistolen auf mich zu richten, war ich neben dem englischen Offizier und rief:

»Ich ergebe mich Ihnen, mein Herr! Schauen Sie nach jenem Baume dort zu Ihrer Linken und Sie werden sehen, was diese Schurken braven Männern tun, die in ihre Hände fallen.«

In demselben Augenblicke flackerte das Feuer auf, und des armen Vidals Gestalt wurde sichtbar – fürwahr, ein furchtbarer Anblick! Da rief der Offizier: »Godam!« und jeder seiner Männer wiederholte: »Godam!« was dasselbe bedeutet, wie bei uns » Mon Dieu!« Im Nu rasselten die Säbel aus der Scheide und die vier Männer stellten sich dicht nebeneinander auf. Der eine von ihnen, anscheinend ein Sergeant, klopfte mir auf die Schulter und sagte lachend:

»Jetzt kämpfen Sie um Ihr Leben, Freundchen!«

Ah, welche Wonne, auf einem Roß zu sitzen und eine Waffe in der Hand zu haben! Ich schwang das Schwert über meinem Haupte und jubelte vor Freude. Da nahte sich der Häuptling und sprach mit dem fatalen Lächeln zu dem jungen Engländer:

»Euer Gnaden, dieser Mann hier ist unser Gefangener.«

Aber der Angeredete drohte ihm mit seinem Schwerte und erwiderte:

»Ihr seid verwünschte Hunde! Was für eine Schmach für uns, solche Bundesgenossen zu haben! Meiner Treu, wenn ich Lord Wellington wäre, ihr müßtet alle an dem nächsten besten Baume hängen!«

»Und mein Gefangener?« warf jener dazwischen.

»Den nehmen wir mit in unser Lager.«

»So laßt Euch zuvor noch etwas in Euer Ohr sagen!«

Mit diesen Worten schritt der Halunke ganz nahe zu dem Offizier hin, wendete sich aber plötzlich mir zu und feuerte seine Pistole gegen mein Gesicht ab. Aber der teuflische Plan des heimtückischen Burschen mißlang – der Schuß ging fehl und streifte nur mein Haar. Da erhob er seine Waffe und war eben im Begriff, sie nach mir zu schleudern, als der Sergeant mit einem einzigen geschickten Streiche ihm fast das Haupt vom Rumpfe trennte. Noch hatte sein Blut nicht den Boden erreicht, und noch war der letzte Fluch nicht auf seinen Lippen erstorben, so fiel die ganze Bande über uns her, aber ein Dutzend Sätze und ebensoviel Hiebe brachten uns glücklich aus ihrem Bereiche, und wir sprengten den Pfad nach dem Tal hinab.

Aber erst, nachdem wir das Raubnest weit hinter uns zurückgelassen hatten und uns auf freiem Felde befanden, wagten wir es, halt zu machen und unsere Wunden zu prüfen. Mir aber wollte trotz aller Müdigkeit und aller Schmerzen das Herz in der Brust beinahe springen, wenn ich bedachte, was für einen Denkzettel ich, Etienne Gerard, dieser mörderischen Bande gegeben hatte! Die würden es sich künftig gewiß zweimal überlegen, ehe sie wieder wagten, Hand an einen von den dritten Husaren zu legen! Ja, so sehr fühlte ich mich, daß ich es nicht unterlassen konnte, den wackeren Engländern eine kleine Rede zu halten, um sie darüber aufzuklären, wem sie denn nun eigentlich bei seiner Befreiung behilflich gewesen waren. Eben war ich im schönsten Zuge, von Ruhm und Verdienst tapferer Männer zu sprechen, als mir der Offizier das Wort abschnitt:

»Ja, ja, ganz schön. Was für Wunden, Sergeant?«

»Dem Pferd von Kamerad Jones steckt eine Kugel im Bein.«

»Jones kommt mit uns. Sergeant Halliday hält sich mit Harvey und Smith rechts, bis sie an die Vorposten der deutschen Husaren kommen.«

Die drei rasselten davon, während der Offizier und ich, sowie der verwundete Soldat, der uns in einiger Entfernung folgte, direkt dem Lager der Engländer zuritten. Es dauerte nicht lange, so hatten wir uns gegenseitig unsere Herzen geöffnet, denn wir hatten von Anfang an Gefallen aneinander gefunden. Der brave junge Mann, der aus hoher Familie stammte, war von Lord Wellington ausgeschickt worden, um zu spähen, ob wir vielleicht über die Berge her anrückten.

Dank dem Wanderleben, das mich in Verbindung mit der großen Welt gebracht hat, habe ich mir mancherlei nützliche Kenntnisse angeeignet, die oft dem sonst gebildeten Manne abgehen. Habe ich doch zum Beispiel kaum einen vornehmen Franzosen gekannt, welcher einen englischen Titel korrekt wiedergeben konnte, und wenn ich nicht so viel herumgekommen wäre, könnte ich Ihnen auch nicht mit Bestimmtheit sagen, daß des jungen Mannes eigentlicher Name Milord, the Hon. Sir Russel Bart Abkürzung für »Baronet« = Baron. Anm. des Uebersetzers. war. Da die letztere Bezeichnung ein Ehrentitel ist, so redete ich ihn auch gewöhnlich mit »Bart« an, wie man eben in Spanien »Don« sagt.

Wie gesagt, wir schütteten in jener lieblichen spanischen Nacht uns gegenseitig unsere Herzen aus, als ob wir Brüder wären. Waren wir doch beide gleich alt, standen bei der leichten Reiterei – er bei den sechzehnten Dragonern – und hatten dieselben Hoffnungen und Wünsche. Nie hatte ich einen Mann so schnell kennen gelernt wie den Bart. Er erzählte mir von einem Mädchen in Vauxhall, welches er liebte – Vauxhall ist nämlich ein Garten – ich sprach von der kleinen Coralie von der Oper, worauf er eine Locke hervorzog, und ich ein Strumpfband. Dann gerieten wir beinahe in Streit über Husaren und Dragoner, denn er war lächerlich stolz auf sein Regiment. Sie hätten sehen sollen, wie verächtlich er die Lippen aufwarf und mit der Hand nach dem Säbel fuhr, als ich die Hoffnung aussprach, sein Regiment möchte nie den dritten Husaren in den Weg laufen. Endlich begann er von dem »Sport« der Engländer zu erzählen und berichtete von den ungeheuren Summen, die er in den Wetten bei den Hahnenkämpfen und Boxen schon verloren hatte. Ja, Wetten! Das schien überhaupt seine Leidenschaft zu sein, denn als ich zufällig eine Sternschnuppe erblickte, behauptete er, er würde mehr solche Erscheinungen sehen als ich, und wollte mit mir um zwanzig Franken das Stück wetten, und nur die Tatsache, daß meine Börse in den Händen der Räuber geblieben war, konnte ihn von der Idee abbringen.

So unterhielten wir uns sehr nett, bis der Tag graute und wir plötzlich vor uns eine laute Gewehrsalve vernahmen. Nun war der Boden dort gerade sehr felsig und hügelig, so daß ich nicht weit sehen konnte, aber ich meinte, der Lärm müsse von einem Gefechte herrühren. Da lachte der Bart hell auf und klärte mich auf, daß das Geräusch aus dem Lager der Engländer herkam, wo jeder Soldat am Morgen sein Gewehr abfeuerte, um trockenes Pulver aufzuschütten.

»Noch eine Viertelmeile, und wir werden bei den Vorposten sein,« fügte er hinzu.

Da sah ich mich um und bemerkte, daß wir tüchtig ausgegriffen hatten, denn der Dragoner und sein lahmes Pferd waren nicht mehr zu erblicken. Nun hielt ich nach allen Seiten hin Umschau, aber so weit auch mein Auge reichte, schienen der Bart und ich die einzigen menschlichen Wesen in diesem großen, felsigen Tale zu sein – allerdings beide gut bewaffnet und wohl beritten. Da legte ich mir die Frage vor, ob es denn durchaus notwendig sei, daß ich die Viertelmeile bis zu den englischen Vorposten noch zurücklegte?

Ich bitte Sie, mes amis, mißverstehen Sie meine Absicht in diesem Punkte nicht; nichts lag mir ferner, als ehrlos oder undankbar gegen den Mann zu handeln, dem ich so viel verdankte. Aber immerhin gilt doch die erste Pflicht eines Offiziers seiner Mannschaft, und außerdem ist der Krieg ein Spiel, bei dem gewisse Gesetze gelten, und wer diese Gesetze bricht, muß Strafe zahlen. Hätte ich zum Beispiel mein Ehrenwort gegeben, nun, dann wäre ich eben ein erbärmlicher Schuft gewesen, wenn ich auch nur an ein Entrinnen gedacht hätte. Aber es hatte mir niemand mein Ehrenwort abverlangt. Der Bart war allzu vertrauensselig gewesen, mochte vielleicht auch auf die lahme Mähre hinter uns gerechnet haben, und hatte mir erlaubt, mich ihm gleichzustellen, obschon ich sein Gefangener war. Wäre das Gegenteil der Fall gewesen, nun, dann hätte ich ihn zwar auch mit der größten Höflichkeit behandelt, aber ich hätte doch die Vorsicht gebraucht, ihm seine Waffe abzunehmen und würde mir außerdem noch einen Wächter beigelegt haben. Und so ließ ich denn mein Pferd langsamer gehen und erklärte ihm das alles, um ihn schließlich zu fragen, ob er es für ehrlos halte, wenn ich ihn jetzt verlassen würde. Da versank er in tiefes Sinnen und murmelte wiederholt auf Englisch » Mon Dieu!« vor sich hin. Endlich wandte er sich mir zu und sagte:

»So wollen Sie sich also aus dem Staube machen?«

»Gewiß, wofern Sie mir kein Hindernis in den Weg legen.«

»Nur das einzige Hindernis, daß ich Ihnen bei dem geringsten Versuch dazu den Kopf abschlagen werde.«

»Zu solchem Spiel gehören auf jeden Fall zwei, mein lieber Bart!«

»So lassen Sie uns sehen, wer am besten spielen kann,« versetzte er und zog das Schwert.

Ich tat natürlich das gleiche, war aber fest entschlossen, den jungen Mann, der mein Wohltäter geworden war, nicht zu verletzen.

»Ueberlegen Sie wohl, was Sie vorhaben,« sagte ich zu ihm. »Sie nennen mich Ihren Gefangenen – aber könnte ich nicht mit demselben Rechte Sie den meinigen nennen? Wir sind hier allein, und obgleich ich nicht den geringsten Zweifel an Ihrer Geschicklichkeit hege, können Sie doch kaum hoffen, gegen die beste Klinge von sechs Brigaden Kavallerie standzuhalten.«

Ein Hieb nach meinem Kopfe war seine Antwort. Ich parierte den Schlag und hieb die Hälfte seiner weißen Feder ab. Da stieß er nach meiner Brust, ich wich zur Seite und entfernte die andere Hälfte seines Helmschmuckes.

»Lassen Sie Ihre verwünschten Kniffe!« rief er ärgerlich, während ich mein Pferd etwas weiter von ihm entfernte.

»Warum schlagen Sie nicht nach mir? Sie sehen doch selbst, daß ich nicht mit Ihnen kämpfen will!«

»Das mögen Sie halten wie Sie wollen; aber jetzt haben Sie mir in unser Lager zu folgen!«

»Das wird mich nicht zu sehen bekommen!«

»Da will ich doch gleich zehn gegen eins wetten,« rief er und stürzte mit dem Säbel in der Hand auf mich zu.

Bei diesen Worten kam mir ein neuer Gedanke. Konnten wir denn diese Angelegenheit nicht auf bessere Weise als durch das Schwert entscheiden? Der Bart hatte mich jetzt in eine Stellung gedrängt, daß ich ihn wohl oder übel verwunden mußte, wollte ich mein eigenes Leben retten. Zwar wich ich seinem nächsten Stoß aus, aber sein Säbel sauste kaum einen Zoll von meinem Halse vorbei. Da rief ich plötzlich mit lauter Stimme:

»Halten Sie ein, ich weiß einen Ausweg! Lassen Sie uns darum würfeln, wer der Gefangene des anderen sein soll!«

Da lächelte er, denn die Liebe zum Sport regte sich mächtig in ihm, und er fragte:

»Wo sind die Würfel?«

»Ich habe keine.«

»Ich auch nicht; aber ich habe Karten.«

»So mögen es Karten sein!«

»Welches Spiel?«

»Das überlasse ich Ihnen!«

»Nun denn, Ecarté; drei Spiele – wer die meisten gewinnt!«

Ich gab meine Zustimmung und konnte nicht umhin, zu lächeln, denn ich glaube nicht, daß es in Frankreich drei Männer gibt, die mir in diesem Spiele überlegen sind. Aber als ich dem Bart, der nun abstieg, diese Mitteilung machte, lächelte er ebenfalls. »Und ich gelte für den besten Spieler im Klub,« sagte er. »Wenn wir gleich gute Karten haben, verdienen Sie frei zu werden, wofern Sie mich schlagen.«

Und so banden wir denn unsere Pferde an und setzten uns an einem großen, flachen Felsblock einander gegenüber. Der Bart zog ein Spiel Karten hervor, und als er jetzt mischte, da wußte ich sofort, daß ich keinen Neuling vor mir hatte.

Meiner Treu, der Einsatz war hoch. Mein Partner wollte zwar auf jedes Spiel noch hundert Goldstücke setzen – aber welche Rolle spielte Gold, wenn das Schicksal des Oberst Etienne Gerard an den Karten hing? War es mir doch, als ob alle die, denen mein Leben teuer war – meine gute Mutter, meine Husaren, das sechste Armeekorps. Ney, Masséna, ja, sogar der Kaiser – in jenem öden Tal einen Kreis um uns bildeten. Himmel! was für ein Schlag für jeden von ihnen, wenn mich das Glück im Stich ließ! Doch das war ja nicht anzunehmen, denn außer dem alten Bouvet, der mir von hundertundfünfzig Spielen sechsundsiebenzig abgewonnen, hatte mich bisher noch keiner besiegt.

Und in der Tat, das erste Spiel gewann ich glänzend, obwohl ich nicht in Abrede stellen will, daß meine Karten ganz brillant waren, so daß mein Gegner durchaus keine Chance hatte.

Aber auch das zweite Spiel ließ sich für mich vortrefflich an, und ich spielte wunderbar. Jedoch auch der Bart hielt sich tapfer, ja, ich muß zugeben, im weiteren Verlaufe standen die Dinge etwas bedenklich für mich, denn er übertrumpfte mich und gewann die Vorhand. Meiner Treu! Jetzt wurde es uns heiß; er legte seinen Helm neben sich, und ich meine Husarenmütze.

»Meinen Falben gegen Ihren Rappen!« rief er aus.

»Abgemacht!«

»Degen gegen Degen!«

»Abgemacht!«

»Sattel, Zügel und Steigbügel!«

»Abgemacht!«

Seine Spielwut hatte mich dermaßen angesteckt, daß ich meine Husaren gegen seine Dragoner gesetzt hätte, wenn das überhaupt angegangen wäre.

Und jetzt begann das Spiel erst recht. Ah, wie brav hielt sich der Engländer! Ja, fürwahr, sein Spiel zeigte sich des Einsatzes würdig! Aber ich, meine Freunde! Im Handumdrehen hatte ich von fünf Stichen drei gewonnen! Mein Gegner kaute an seinem Bart und trommelte mit den Fingern, während ich mich im Geiste schon wieder an der Spitze meiner lieben Jungen sah. Nun hob ich zwar den König ab, verlor aber dafür zwei Stiche, so daß wir nun so ziemlich gleich standen. Als ich meine nächsten Karten überblickte, entfuhr mir ein leiser Freudenschrei.

Erlauben Sie mir, Messieurs, daß ich meine Karten auf dem Tisch vor Ihnen ausbreite. Sehen Sie, was ich hatte: da lag Eichelaß und Eichelbube, Schelldame und Schellbube. Eichel war Trumpf, verstehen Sie nun? Nun konnte es mir nicht fehlen, die Freiheit war mir sicher. Er sah die Gefahr und hakte seine Tunika auf – ich warf meinen Dolman zur Erde. Er spielte die Piquezehn aus – ich nahm sie mit meinem Trumpfaß. Einen Stich gewonnen! Jetzt galt es, mit den Trümpfen aufzuräumen, und so legte ich den Buben hin. Seine Dame darauf, und unsere Chancen waren gleich. Er führte Piqueaß ins Feld, und ich konnte nur meine Schelldame abwerfen. Drauf seine Piquesieben! Mir standen die Haare zu Berge! Zum Schluß warf jeder von uns einen König hin – ich war verloren. Was hatte mir meine gute Hand geholfen? Er hatte mich besiegt. Ich hätte mich vor Wut auf dem Boden wälzen können! Wenn ich, der Brigadier Gerard, Ihnen versichere, daß man im Jahre 10 ein sehr feines Spielchen im Regiment machte!

Nun die letzte Partie! Sie mußte die Entscheidung bringen. Er lockerte mit kaltblütiger Miene seine Schärpe – ich legte das Wehrgehänge ab und versuchte, ebenso ruhig zu erscheinen wie er; aber der Schweiß rann mir von der Stirn herab. Er hatte auszugeben, und ich will nur bekennen, liebe Freunde, meine Hände zitterten so, daß ich die Karten kaum vom Felsen aufzunehmen vermochte. Aber als es mir endlich gelungen war und ich sie prüfend betrachtete, da – o welche Freude! – da fielen meine Augen auf den Trumpfkönig, den herrlichen Trumpfkönig! Eben öffnete ich die Lippen, um es jubelnd zu verkünden, da erstarb mir bei einem Blick auf meinen Kameraden das Wort im Munde: er hielt die Karten in der Hand, aber sein Unterkiefer war herabgefallen und seine Augen stierten in furchtbarer Bestürzung über meine Schulter hinweg. Ich fuhr blitzschnell herum, und nun bot sich mir selbst ein sehr seltsamer Anblick dar.

Ganz nahe bei uns – höchstens dreißig Schritt entfernt – standen drei Männer. Der mittlere von ihnen war groß, jedoch nicht übermäßig, ich möchte sagen, so ungefähr wie ich selbst. Er trug eine dunkle Uniform und ein Hütchen mit irgend einer weißen Feder. Aber das Gesicht! Beim Anblick dieser hageren Wangen, der Habichtnase, der herrischen blauen Augen und des festgeschlossenen, geraden Mundes mußte jeder sich unwillkürlich sagen, daß ein wunderbarer Mann – einer aus einer Million – da vor ihm stand. Seine Brauen waren finster zusammengezogen, und meinen armen Bart traf ein so entsetzlicher Blick, daß eine der Karten nach der andern seiner Hand entglitt. Das Antlitz des einen der beiden anderen Männer war tief gebräunt und zeigte so scharfe Züge, als wären sie aus alter Eiche geschnitzt; er trug einen leuchtend roten Rock, während der andere, ein stattlicher, schöner Mann mit vollem Backenbart, in eine blaue Uniform mit goldenen Tressen gekleidet war. Etwas weiter zurück standen drei Ordonnanzen mit ebensoviel Pferden, und im Hintergrund hielt eine Bedeckung von Dragonern.

»Eh, Crauford, was in aller Welt ist denn da los?« fragte der Hagere.

»Haben Sie gehört, Sir?« rief der Mann im roten Rock. »Lord Wellington will wissen, was das heißen soll!«

Nun schoß mein armer Bart mit einem vollständigen Bericht über die Vorgänge los, aber jene eisernen Züge hatten nichts von ihrer Härte eingebüßt, als Wellington endlich einfiel:

»Das sind ja schöne Geschichten, General Crauford!« und sich an meinen Gefährten wendend, fuhr er fort: »Die Disziplin des Heeres muß aufrecht erhalten werden, Sir, Sie haben sich im Hauptquartier als Gefangener zu melden!«

Es schnitt mir ins Herz, als ich jetzt den Bart sein Pferd besteigen und gesenkten Hauptes davonreiten sah; ja, der Anblick ging über meine Kräfte. Und so warf ich mich denn vor dem englischen General nieder, ich begann für meinen Freund zu bitten und all seine trefflichen Eigenschaften ins rechte Licht zu stellen. Ach, meine Beredsamkeit hätte wohl das härteste Herz erweichen müssen, traten mir doch selbst die Tränen in die Augen – aber er blieb ungerührt. Da versagte mir die Stimme und ich schwieg. Statt etwas auf meine rührenden Bitten zu erwidern, bemerkte er ganz unvermittelt:

»Wie schwer belastet ihr wohl eure Maultiere bei der Armee?«

Ja, das war die ganze Antwort, die der phlegmatische Engländer auf meine bewegliche Rede hatte, das war seine Erwiderung bei einer Gelegenheit, wo ein Franzose mir weinend um den Hals gefallen wäre!

»Welche Last auf ein Maultier?« wiederholte der Mann im roten Rock.

»Zweihundertundzehn Pfund!« entgegnete ich.

»Dann versteht ihr die Sache herzlich schlecht.« sagte Lord Wellington. »Bringt den Gefangenen zu dem Nachtrab!«

Die Dragoner umringten mich, und ich – nun, ich war eben beinahe von Sinnen, wenn ich bedachte, daß ich das Glück in meiner Hand gehalten hatte und eigentlich jetzt ein freier Mann sein konnte. Und so hielt ich denn dem General die Karten hin und sagte:

»Sehen Sie, Herr General, ich habe für meine Freiheit gespielt und habe gewonnen, denn wie Sie sehen, habe ich den König!«

Da milderte zum erstenmal ein leichtes Lächeln den Ernst seiner Züge.

»Im Gegenteil,« sagte er, sein Pferd besteigend, »ich habe gewonnen, denn wie Sie sehen, hat mein König Sie!«


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