Fjodr Dostojewski
Schuld und Sühne
Fjodr Dostojewski

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IV

»Sie wissen vielleicht (übrigens habe ich es Ihnen selbst erzählt)«, begann Swidrigailow, »daß ich hier wegen einer riesigen Summe im Schuldgefängnis saß, ohne die geringste Aussicht, daß ich jemals die Mittel zur Bezahlung besitzen würde. Es hat keinen Zweck, im einzelnen darzulegen, auf welche Weise mich Marfa Petrowna damals loskaufte; wissen Sie, bis zu welchem Grade von Tollheit sich ein Weib manchmal verlieben kann? Sie war eine ehrenhafte, recht kluge, obgleich völlig ungebildete Frau. Stellen Sie sich vor, daß diese sehr eifersüchtige, ehrenhafte Frau nach vielen schrecklichen Wutausbrüchen und Vorwürfen sich entschloß, mit mir eine Art von Kontrakt abzuschließen, den sie dann auch während der ganzen Dauer unserer Ehe erfüllt hat. Die Sache war die, daß sie erheblich älter war als ich; außerdem hatte sie beständig eine Gewürznelke im Munde. Ich besaß so viel Gemeinheit und gleichzeitig so viel eigenartige Ehrlichkeit, daß ich ihr offen erklärte, vollständig treu könne ich ihr nicht sein. Über dieses Geständnis geriet sie in Wut; aber meine grobe Aufrichtigkeit schien ihr doch in gewisser Weise zu gefallen; ›er beabsichtigt also selbst nicht, mich zu hintergehen‹, dachte sie, ›wenn er von vornherein eine solche Erklärung abgibt‹; na, und das ist einer eifersüchtigen Frau die Hauptsache. Nach vielen und langen Tränenergüssen kam zwischen uns ungefähr folgender mündlicher Kontrakt zustande: erstens, ich werde Marfa Petrowna nie verlassen und immer ihr Mann bleiben; zweitens, ohne ihre Erlaubnis werde ich nirgendwohin verreisen; drittens, ich werde mir nie eine ständige Geliebte halten; viertens, dagegen gestattet mir Marfa Petrowna, manchmal ein Auge auf die Stubenmädchen zu werfen, jedoch nur unter ihrer stillen Mitwisserschaft; fünftens, unter keinen Umständen darf ich mich in ein weibliches Wesen aus unserem Stande verlieben; sechstens, wenn (was Gott verhüten möge) mich eine große, ernste Leidenschaft überkommen sollte, so bin ich verpflichtet, mich Marfa Petrowna zu eröffnen. Hinsichtlich des letzten Punktes war übrigens Marfa Petrowna immer ziemlich ruhig; da sie eine kluge Frau war, mußte sie von mir mit Notwendigkeit glauben, ich sei als liederlicher ausschweifender Mensch einer ernsten Liebe nicht fähig. Aber eine kluge Frau und eine eifersüchtige Frau, das sind zwei verschiedene Dinge, und das war das Malheur. Übrigens, um über eine gewisse Art von Menschen unparteiisch urteilen zu können, muß man sich vorher von manchen Vorurteilen und von der Gewöhnung an die uns täglich umgebenden Menschen und Dinge frei machen. Auf Ihre Zustimmung darf ich wohl dabei mehr hoffen als auf die irgendeines anderen. Vielleicht haben Sie schon viel Lächerliches und Verdrehtes über Marfa Petrowna gehört. Sie hatte ja auch wirklich manche recht lächerlichen Gewohnheiten; aber ich will Ihnen offen sagen, daß ich aufrichtig bedaure, ihr so unendlich oft Kummer gemacht zu haben. Na, ich glaube, das Gesagte genügt als eine höchst anständige oraison funèbre, die ein zärtlicher Gatte seiner zärtlichen Gattin hält. Wenn es zwischen uns zu Streit kam, so schwieg ich meistens und zeigte mich nicht erregt; und durch ein solches gentlemanlike Benehmen erreichte ich fast immer meine Absicht; das machte auf sie Eindruck und gefiel ihr; bei manchen Gelegenheiten war sie geradezu stolz auf mich. Aber über die Eifersucht auf Ihre Schwester konnte sie doch nicht Herr werden. Wie hatte sie auch nur wagen können, eine so auserlesene Schönheit als Gouvernante in ihr Haus zu nehmen! Ich kann mir das nur so erklären: Marfa Petrowna war eine leicht zu entflammende, sehr begeisterungsfähige Seele und hatte sich ganz einfach selbst in Ihre Schwester verliebt, jawohl, im eigentlichsten Sinne des Wortes verliebt. Nun, aber was ist auch Awdotja Romanowna für ein Wesen! Ich erkannte gleich beim ersten Blick sehr klar, daß hier die Sache ernsthaft und schlimm werden könnte, und (was meinen Sie wohl?) ich beschloß, überhaupt nicht die Augen zu ihr zu erheben. Aber Awdotja Romanowna tat selbst den ersten Schritt; können Sie's glauben? Und können Sie auch das glauben, daß Marfa Petrowna in ihrem Enthusiasmus so weit ging, mir anfangs sogar böse zu sein, weil ich über Ihre Schwester nie etwas sagte und bei ihren eigenen, dauernden schwärmerischen Äußerungen über Awdotja Romanowna mich gleichgültig zeigte? Ich begreife selbst nicht, was sie eigentlich wünschte! Und natürlich erzählte Marfa Petrowna Ihrer Schwester über mich alles bis aufs kleinste. Sie hatte nämlich den unglücklichen Hang, allen und jedem unsere ganzen Familiengeheimnisse zu erzählen und sich bei allen fortwährend über mich zu beklagen; wie hätte sie das einer solchen neuen, schönen Freundin gegenüber unterlassen können? Ich kann mir denken, daß zwischen den beiden überhaupt von nichts anderem gesprochen wurde als von mir, und zweifellos wurde Awdotja Romanowna mit all den düsteren, geheimnisvollen Märchen bekannt gemacht, die über mich in Umlauf waren . . . Ich möchte wetten, daß Ihnen auch schon etwas davon zu Ohren gekommen ist?«

»Jawohl, Lushin beschuldigte Sie, Sie hätten sogar den Tod eines kleinen Mädchens verschuldet. Ist das wahr?«

»Tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich mit all diesen Abgeschmacktheiten in Ruhe«, erwiderte Swidrigailow ärgerlich und mürrisch. »Wenn Sie so großes Verlangen tragen, über all diesen Unsinn die Wahrheit zu hören, so will ich es Ihnen ein andermal erzählen; aber jetzt . . .«

»Es wurde auch von einem Diener, den Sie auf dem Lande hatten, gesprochen; angeblich hätten Sie auch da eine Schuld auf sich geladen.«

»Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie damit auf!« unterbrach ihn Swidrigailow wieder mit sichtlicher Ungeduld.

»War das nicht eben der Diener, der nach seinem Tode zu Ihnen ins Zimmer kam, um Ihnen die Pfeife zu stopfen? Sie haben mir ja selbst davon erzählt!« fragte Raskolnikow; sein Ton klang immer gereizter.

Swidrigailow blickte Raskolnikow forschend an, und dem letzteren schien es, als ob in diesem Blicke momentan, blitzartig ein boshaftes Lächeln aufzuckte; aber Swidrigailow beherrschte sich und antwortete sehr höflich:

»Ja, es war derselbe. Ich sehe, daß dies alles auch Sie außerordentlich interessiert, und halte es für meine Pflicht, bei der ersten passenden Gelegenheit Ihre Wißbegierde zu befriedigen. Hol's der Teufel! Ich sehe, daß ich wirklich manchem als eine romantische Persönlichkeit erscheinen kann. Da können Sie sich leicht selbst sagen, wie dankbar ich unter solchen Umständen der seligen Marfa Petrowna dafür sein mußte, daß sie Ihrer Schwester so viel Geheimnisvolles und Interessantes über mich erzählte. Ich wage nicht, darüber zu urteilen, wie groß der Eindruck war, den diese Erzählungen auf Ihre Schwester machten; aber jedenfalls war es ein für mich vorteilhafter. Trotz alles natürlichen Widerwillens, den Awdotja Romanowna gegen mich empfand, und trotz meiner stets finsteren und abstoßenden Miene begann ich ihr endlich leid zu tun; der verlorene Mensch tat ihr leid. Wenn aber ein Mädchenherz erst Mitleid empfindet, so ist das selbstverständlich für das Mädchen am allergefährlichsten. Da bekommt sie dann unvermeidlich Lust, den Ärmsten zu ›retten‹ und auf die rechte Bahn zu bringen und zu bekehren und zu edlen Bestrebungen anzuregen und zu neuem Leben und neuer Tätigkeit zu erwecken – na, man weiß ja, was in dieser Hinsicht alles zusammenphantasiert wird. Ich merkte sofort, daß das Vögelchen von selbst ins Netz flog, und traf meinerseits die nötigen Vorbereitungen. Sie machen ein finsteres Gesicht, Rodion Romanowitsch? Dazu ist kein Anlaß; es ist, wie Sie wissen, über Kleinigkeiten nicht hinausgekommen. (Hol's der Teufel! Was trinke ich für eine Menge Wein!) Wissen Sie, ich habe immer, gleich von Anfang an, bedauert, daß das Schicksal Ihre Schwester nicht im zweiten oder dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung irgendwo als Tochter eines kleinen regierenden Fürsten oder so eines Staatenlenkers oder eines Prokonsuls von Kleinasien hat geboren werden lassen. Sie wäre gewiß eine der Frauen gewesen, die den Märtyrertod erduldeten, und hätte gewiß dazu gelächelt, wenn man ihr die Brust mit glühenden Zangen verbrannt hätte. Sie hätte sich diesen Leiden absichtlich und freiwillig unterzogen; im vierten oder fünften Jahrhundert aber wäre sie in die ägyptische Wüste gegangen und hätte dort dreißig Jahre lang gewohnt und sich von Wurzeln, Verzückungen und Visionen genährt. Sie dürstet ordentlich vor Verlangen, für irgend jemand irgendwelche Marter so bald wie möglich auf sich zu nehmen, und wenn ihr das nicht gestattet wird, so stürzt sie sich am Ende gar aus dem Fenster. Ich habe da so etwas über einen gewissen Herrn Rasumichin verlauten hören. Er soll ja ein verständiger junger Mann sein; er besucht, glaube ich, ein Seminar; na, der kann ja dann Ihre Schwester behüten. Kurz, ich glaube sie in ihrem Wesen richtig verstanden zu haben, was ich mir zur Ehre anrechne. Damals jedoch, ich meine am Anfange unserer Bekanntschaft – Sie wissen ja selbst, man ist dann immer ein bißchen dumm und unbedacht, sieht falsch und irrt sich. Aber hol's der Teufel, warum war sie auch so schön? Ich konnte nichts dafür, daß das auf mich wirkte! Kurz, die Sache begann bei mir mit einer unwiderstehlichen sinnlichen Begierde. Awdotja Romanowna ist furchtbar keusch, in einem ganz unerhörten, nie dagewesenen Grade. (Lassen Sie sich das gesagt sein; ich teile Ihnen da über Ihre Schwester eine feststehende Tatsache mit. Ihre Keuschheit hat vielleicht geradezu etwas Krankhaftes, trotz ihres außerordentlichen Verstandes, und das wird ihr noch einmal zum Schaden gereichen.) Es kam damals gerade ein Mädchen namens Parascha zu uns, die schwarzäugige Parascha, die wir erst vor kurzem aus einem anderen Dorfe hatten herüberkommen lassen und die ich vorher noch nie gesehen hatte; sie war Stubenmädchen, sehr hübsch, aber ganz unglaublich dumm: sie brach in Tränen aus und erhob ein Geheul, daß man es über den ganzen Hof hörte; genug, die Geschichte machte ein sehr ärgerliches Aufsehen. Eines Tages nach dem Mittagessen suchte mich Awdotja Romanowna absichtlich im Garten in einer Allee auf, wo ich allein promenierte, und ›verlangte‹ von mir mit funkelnden Augen, ich sollte die arme Parascha in Ruhe lassen. Das war so ziemlich unser erstes Gespräch unter vier Augen. Selbstverständlich versicherte ich, es würde mir eine Ehre sein, ihren Wunsch zu erfüllen, und gab mir alle Mühe, mich betroffen und beschämt zu stellen; na kurz, ich spielte meine Rolle vortrefflich. Nun begann ein Verkehr zwischen uns: geheime Gespräche, Moralpredigten, Belehrungen, Bitten, Beschwörungen, sogar Tränen, – sollten Sie es glauben, sogar Tränen! So stark ist bei manchen jungen Mädchen die Passion für Bekehrungen! Ich schob natürlich alle Schuld auf mein bisheriges Schicksal, tat, als ob ich nach Erleuchtung heißes Verlangen trüge, und brachte schließlich das stärkste und zuverlässigste Mittel zur Eroberung von Frauenherzen in Anwendung, jenes Mittel, das nie versagt und schlechterdings bei allen Frauen ohne Ausnahme seine Wirkung tut. Das Mittel ist allgemein bekannt: die Schmeichelei. Nichts auf der Welt ist schwerer als Aufrichtigkeit und nichts leichter als Schmeichelei. Wenn bei der Aufrichtigkeit auch nur ein Hundertstel einer Note falsch ist, so entsteht sofort eine Dissonanz und in deren Gefolge ein Zerwürfnis. Wenn aber bei der Schmeichelei alles, von der ersten bis zur letzten Note, falsch ist, so bleibt sie trotz alledem angenehm und wird mit Vergnügen angehört, vielleicht nur mit mäßigem Vergnügen, aber immerhin mit Vergnügen. Und mag die Schmeichelei auch noch so plump sein, so wird unfehlbar doch wenigstens die Hälfte für Wahrheit gehalten. Und das trifft für alle Bildungsstufen und Schichten der Gesellschaft zu. Selbst eine Vestalin kann man durch Schmeichelei verführen, von gewöhnlichen Weibern gar nicht zu reden! Ich muß jedesmal lachen, wenn ich daran denke, wie ich einmal eine Dame verführt habe, die sehr an ihrem Manne und an ihren Kindern hing und von ihrer eigenen Tugend fest überzeugt war. Die Sache war höchst amüsant und machte mir so gut wie gar keine Mühe. Und dabei war die Dame wirklich tugendhaft, wenigstens auf ihre Art. Meine ganze Taktik bestand darin, daß ich jeden Augenblick von ihrer Keuschheit geradezu überwältigt tat, vor ihrer Keuschheit anbetend niedersank. Ich schmeichelte ihr in einer nichtswürdigen Weise, und so oft ich einen Händedruck oder auch nur einen Blick von ihr erlangt hatte, machte ich mir laut Vorwürfe: ich hätte ihr das gewaltsam abgenötigt, und sie hätte sich gesträubt, und zwar so ernstlich, daß ich wohl nie etwas erreicht haben würde, wenn ich selbst nicht so lasterhaft wäre; und sie hätte in ihrer Unschuld meine Tücke nicht vorhergesehen und unversehens, ohne sich dessen selbst auch nur im geringsten bewußt zu sein, nachgegeben, und so weiter und so weiter. Kurz, ich erreichte alles; meine Dame aber blieb vollkommen überzeugt, daß sie unschuldig und keusch sei und in vollem Umfange ihre Pflicht erfülle und nur ganz zufällig zu Fall gekommen sei. Und wie zornig wurde sie auf mich, als ich ihr zuletzt erklärte, daß meiner aufrichtigen Überzeugung nach sie genau ebenso wie ich den Genuß gesucht habe. Auch die arme Marfa Petrowna war für Schmeichelei sehr empfänglich, und wenn ich nur gewollt hätte, so hätte sie mir sicher noch zu ihren Lebzeiten ihr ganzes Vermögen vermacht. (Aber ich trinke viel zuviel Wein und gerate ins Schwatzen.) Ich hoffe, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich jetzt erwähne, daß sich auch bei Awdotja Romanowna dieselbe Wirkung zu zeigen begann. Aber ich selbst benahm mich dumm und ungeduldig und verdarb so die ganze Geschichte. Ihrer Schwester mißfiel in hohem Grade der Ausdruck meiner Augen; können Sie das glauben? Das war schon vorher einige Male der Fall gewesen, einmal aber ganz besonders. In meinen Augen loderte nämlich immer stärker und unvorsichtiger eine gewisse Glut, die ihr angst machte und ihr schließlich geradezu verhaßt wurde. Alle Einzelheiten zu erzählen hat keinen Zweck; aber wir kamen auseinander. Nun beging ich wieder eine Dummheit. Ich fing an, in der gröbsten Weise über all diese Besserungs- und Bekehrungsversuche zu spotten; Parascha mußte wieder auf die Bühne, und nicht sie allein – kurz, es war ein wahres Sodom. Ach, Rodion Romanowitsch, wenn Sie nur ein einziges Mal im Leben zu sehen bekämen, wie die Augen Ihrer Schwester mitunter zu funkeln verstehen! Wenn ich jetzt auch betrunken bin und schon ein ganzes Glas Wein getrunken habe, darum sage ich doch die Wahrheit; ich versichere Ihnen, daß ich selbst im Traume diesen Blick auf mich gerichtet sah; es kam schließlich so weit, daß ich das Rascheln ihres Kleides nicht mehr ertragen konnte. Wahrhaftig, ich dachte, ich bekäme Krampfanfälle; niemals hätte ich geglaubt, daß sich meine Leidenschaft bis zu solcher Höhe steigern könne. Kurz, ich mußte mich notwendig mit ihr aussöhnen; aber das war nicht mehr möglich. Und nun stellen Sie sich einmal vor, was ich dann tat! Zu welcher blödsinnigen Handlungsweise kann doch die Raserei den Menschen bringen! Unternehmen Sie niemals etwas im Zustande der Raserei, Rodion Romanowitsch! In der Erwägung, daß Awdotja Romanowna im Grunde bettelarm ist (ach, entschuldigen Sie, so wollte ich nicht sagen, . . . aber ist nicht schließlich der Ausdruck ganz egal, wenn doch der Begriff derselbe ist?), kurz, daß sie von ihrer Arbeit lebt und daß sie davon auch noch ihre Mutter und Sie unterhält (ach, zum Teufel, es kommt mir wieder so vor, als ob Sie ein böses Gesicht machen . . .), also da beschloß ich, ihr mein ganzes Geld anzubieten (so an dreißigtausend Rubel konnte ich damals flüssig machen), wenn sie einwilligte, mit mir auf und davon zu gehen, beispielsweise hierher nach Petersburg. Natürlich hätte ich ihr dann ewige Liebe, Glückseligkeit und so weiter und so weiter geschworen. Können Sie es glauben, ich war damals so von ihr bezaubert – wenn sie zu mir gesagt hätte: ›Schneide deiner Frau den Hals ab oder vergifte sie und heirate mich‹, ich hätte es sofort getan! Die ganze Sache endete aber mit der Ihnen bereits bekannten Katastrophe, und Sie können sich denken, in welche Wut ich geriet, als ich erfuhr, daß Marfa Petrowna damals diesen grundgemeinen Federfuchser, den Lushin, herangeholt hatte und beinahe eine Heirat zustande gebracht hätte, was im Grunde nichts anderes gewesen wäre als das, was auch ich Ihrer Schwester anbot. Nicht wahr? Nicht wahr? So ist es doch? Ich merke, daß Sie mir jetzt mit großer Aufmerksamkeit zuhören, . . . Sie interessanter junger Mann! . . .«

Swidrigailow schlug ingrimmig mit der Faust auf den Tisch. Sein Gesicht hatte sich stark gerötet. Raskolnikow sah deutlich, daß das eine Glas oder die anderthalb Gläser Champagner, die er so sachte in kleinen Schlückchen geschlürft hatte, auf ihn schon berauschend gewirkt hatten, und beschloß, aus diesem Umstande Nutzen zu ziehen. Swidrigailow erschien ihm sehr verdächtig.

»Nach allem, was ich da eben von Ihnen gehört habe, bin ich der festen Überzeugung, daß Sie auch bei der Reise hierher es auf meine Schwester abgesehen haben«, sagte er offen und unverhohlen zu Swidrigailow, um ihn noch mehr zu reizen.

»Ach, reden Sie doch nicht so etwas!« erwiderte Swidrigailow, der plötzlich die Herrschaft über sich zurückzugewinnen schien. »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, . . . und außerdem kann mich Ihre Schwester nicht leiden.«

»Ja, das ist auch meine Überzeugung, daß sie Sie nicht leiden kann. Aber darum handelt es sich jetzt nicht.«

»Also davon sind Sie überzeugt, daß sie mich nicht leiden kann?« Swidrigailow zwinkerte mit den Augen und lächelte spöttisch. »Sie haben recht, sie liebt mich nicht; aber übernehmen Sie niemals eine Gewähr für die Bewertung von Vorgängen, die zwischen Mann und Frau oder zwischen einem Liebhaber und der Geliebten stattgefunden haben. Da ist immer so ein Winkelchen, das der ganzen Welt verborgen bleibt und nur den beiden bekannt ist. Können Sie garantieren, daß Awdotja Romanowna bei meinem Anblicke einen wirklichen Widerwillen empfunden hat?«

»Aus manchen Worten und Andeutungen in Ihrer Erzählung entnehme ich, daß Sie auch jetzt noch Ihre Absichten bezüglich meiner Schwester eifrig verfolgen, und selbstverständlich sind es ganz gemeine Absichten.«

»Wie? Mir sollten solche Worte und Andeutungen entschlüpft sein?« fragte Swidrigailow höchst naiv, ohne das Beiwort, das seinen Absichten beigelegt war, im geringsten zu beachten.

»Auch jetzt in diesem Augenblicke verraten Sie sich. Warum sind Sie denn zum Beispiel so ängstlich? Warum erschraken Sie jetzt eben auf einmal?«

»Ich bin ängstlich und erschrecke? Vor Ihnen erschrecke ich? Eher hätten Sie Anlaß, vor mir Angst zu haben, cher ami. Aber was rede ich nur für dummes Zeug zusammen . . . Ich sehe, ich bin betrunken; beinahe hätte ich wieder zuviel gesagt. Hol der Teufel den Wein! Heda, Wasser!«

Er ergriff die Flasche und schleuderte sie ohne Umstände zum Fenster hinaus. Filipp brachte Wasser.

»Das ist alles Unsinn«, sagte Swidrigailow, während er ein Handtuch anfeuchtete und es sich gegen den Kopf drückte. »Ich kann Sie mit einem einzigen Worte widerlegen und Ihren ganzen Verdacht als nichtig erweisen. Wissen Sie, daß ich mich wieder verheirate?«

»Sie haben es mir schon früher gesagt.«

»So? Nun, ich hab's vergessen. Aber damals konnte ich es noch nicht mit voller Sicherheit sagen; denn ich hatte die Braut noch nicht einmal gesehen. Damals war es erst ein Plan. Na, aber jetzt habe ich bereits eine Braut, und die Sache ist abgemacht; und wenn ich jetzt nicht unaufschiebbare Geschäfte hätte, so würde ich Sie jedenfalls sofort zu den Leuten hinführen – denn ich möchte Sie dabei um Ihren Rat bitten. Ach, Donnerwetter! Ich habe ja nur noch zehn Minuten Zeit. Hier ist meine Uhr; sehen Sie selbst. Aber ich will es Ihnen doch noch erzählen; denn es ist ein hübscher kleiner Spaß, meine Heirat meine ich, so in ihrer Art, . . . aber wo wollen Sie denn hin? Wieder weg?«

»Nein, jetzt habe ich nicht mehr die Absicht, von Ihnen wegzugehen.«

»Überhaupt nicht? Na, wir wollen sehen! Ich werde Sie hinführen, ganz bestimmt, und Ihnen meine Braut zeigen; nur nicht jetzt gleich. Jetzt müssen wir bald gehen, Sie nach rechts, ich nach links. Kennen Sie diese Frau Rößlich? Die Frau Rößlich, bei der ich jetzt wohne, ja? Wissen Sie, das ist dieselbe, von der man erzählt, daß sich bei ihr ein kleines Mädchen das Leben genommen hat, ins Wasser gegangen ist. Na, nun hören Sie mal zu! Die hat mir also diese ganze Heiratsaffäre arrangiert. ›Du langweilst dich immer so‹, sagte sie zu mir; ›zerstreue dich doch ein bißchen!‹ Ich bin nämlich ein finsterer, trübsinniger Mensch. Sie denken, ich sei lustig? Nein, ich bin ein finsterer Mensch; ich tue niemandem etwas zuleide, doch ich sitze still in einer Ecke und rede manchmal drei Tage lang kein Wort. Aber diese Rößlich ist ein abgefeimtes Frauenzimmer, kann ich Ihnen sagen; sie spekuliert nämlich so: ich werde meiner Frau bald überdrüssig werden, sie im Stich lassen und wegfahren; und meine Frau wird dann ihr anheimfallen, und sie wird sie in unserer gesellschaftlichen Sphäre, und auch noch in höheren, als Handelsobjekt benutzen. ›Da ist‹, sagte sie zu mir, ›so ein gelähmter Vater, ein verabschiedeter Beamter; der sitzt schon seit mehr als zwei Jahren im Lehnsessel und kann seine Beine nicht bewegen. Und da ist auch eine Mutter‹, sagte sie, ›eine vernünftige Dame, ein gutes Mamachen. Sie haben einen Sohn, der irgendwo in der Provinz Beamter ist; der unterstützt aber seine Eltern nicht. Eine Tochter ist verheiratet und läßt sich bei ihnen nicht mehr blicken. Die haben aber sogar noch zwei kleine Neffen auf dem Halse (als ob sie an ihrer eigenen Familie nicht Sorge genug hätten). Ihre jüngste Tochter haben sie aus dem Mädchengymnasium nehmen müssen, noch ehe sie es abgeschlossen hatte; sie wird in einem Monat sechzehn Jahre alt; also können ihr die Eltern in einem Monat einen Mann geben.‹ Und dieser Mann sollte ich sein. Wir fuhren also hin; der Besuch verlief höchst komisch. Ich stellte mich vor: Gutsbesitzer, Witwer, aus geachteter Familie, mit guten Konnexionen und hübschem Vermögen; daß ich fünfzig Jahre alt bin und das junge Mädchen noch nicht einmal sechzehn, kam dabei weiter nicht in Betracht; wer nimmt daran Anstoß? Na, das war doch alles sehr verlockend, nicht wahr? Überaus verlockend, ha-ha! Sie hätten mich sehen sollen, wie ich mit dem Papa und der Mama ein angeregtes Gespräch führte! Schon der bloße Anblick, wie ich da redete, war gar nicht zu bezahlen. Nun kam die Tochter ins Zimmer, machte einen Knicks; na, Sie können sich's vorstellen: noch in kurzem Kleidchen, ein Knöspchen, das sich noch nicht geöffnet hat. Sie errötete; ihr Gesichtchen war wie in Glut getaucht (der Zweck meines Besuches war ihr natürlich mitgeteilt worden). Ich weiß nicht, was Sie in bezug auf Frauengesichter für einen Geschmack haben. Aber meines Erachtens verdienen diese sechzehn Jahre, diese noch kindlichen Augen, diese Schüchternheit und diese Tränchen der Verschämtheit weitaus den Vorzug vor einer reifen Schönheit. Und dazu kommt noch, daß gerade dieses Mädchen ein reizendes Persönchen ist. Hellblondes Haar, zu kleinen Löckchen gekräuselt (Lämmerfrisur!), volle, weiche Lippen, kirschrot, und die Füßchen – alles entzückend! . . . Na, ich und die Kleine machten miteinander Bekanntschaft; ich erklärte, daß meine häuslichen Verhältnisse mir eine Beschleunigung wünschenswert machten, und am nächsten Tage, das heißt vorgestern, erteilten uns die Eltern ihren Segen. Seitdem nehme ich meine Braut, sowie ich hinkomme, sofort auf den Schoß und lasse sie nicht mehr herunter . . . Na, sie wird blutrot; ich aber küsse sie alle Augenblicke. Die Mama hat ihr natürlich eingeprägt: ›Das ist dein künftiger Mann, und das ist ganz in der Ordnung‹; kurz, es ist eine wahre Lust! Und vielleicht bin ich jetzt, wo ich ihr Bräutigam bin, glücklicher als später, wenn ich ihr Mann sein werde. Hier habe ich, was man so nennt, la nature et la vérité. Ha-ha! Ich habe mich mit ihr ein paarmal unterhalten – es ist eine kluge kleine Krabbe; manchmal blickt sie mich so verstohlen an, das brennt ordentlich. Wissen Sie, sie hat ein Gesichtchen im Genre der Raffaelischen Madonna. Die Sixtinische Madonna hat doch so ein verzücktes Gesicht, das Gesicht einer leidenden Schwärmerin; ist Ihnen das niemals aufgefallen? Na also, an die erinnert sie. Gleich am anderen Tage nach unserer Verlobung brachte ich ihr für anderthalbtausend Rubel Geschenke mit: einen Brillantschmuck, einen aus Perlen, einen silbernen Toilettenkasten – so groß! – mit allerlei Inhalt; das Gesichtchen der kleinen Madonna färbte sich ganz rosig. Ich setzte sie gestern auf meinen Schoß, aber wahrscheinlich doch gar zu ungeniert; denn sie wurde blutrot, und die Tränchen perlten ihr hervor. Aber sie wollte es nicht zeigen; sie glühte über das ganze Gesicht. Die andern waren alle für ein Weilchen aus dem Zimmer hinausgegangen, und ich war mit ihr ganz allein geblieben; da fiel sie mir auf einmal um den Hals (zum ersten Male ganz von selbst), umschlang mich mit ihren beiden Ärmchen, küßte mich und schwur, sie werde mir eine gehorsame, treue, gute Frau sein; sie wolle mich glücklich machen; dazu werde sie ihr ganzes Leben, jede Minute ihres Lebens verwenden; alles, alles wolle sie dafür zum Opfer bringen, und für all das wünsche sie nur meine Achtung zu besitzen; ›weiter‹, sagte sie, ›brauche ich nichts, nichts, gar nichts, keine Geschenke!‹ Das müssen Sie doch selbst sagen: ein solches Geständnis unter vier Augen anzuhören von einem sechzehnjährigen Engelchen im Tüllkleidchen, mit krausen Löckchen, mit der Röte mädchenhafter Verschämtheit auf dem Gesichte und mit Tränen holder Schwärmerei in den Augen – das müssen Sie doch selbst sagen, das hat einen großen Reiz! Nicht wahr, einen großen Reiz! Das ist doch schließlich etwas Wertvolles, nicht? Nicht wahr? Na, . . . na, hören Sie, . . . wir wollen einmal zu meiner Braut hinfahren, . . . nur nicht jetzt gleich!«

»Kurz gesagt, gerade dieser ungeheuerliche Abstand in den Jahren und in der geistigen Entwicklung erregt Ihre Sinnlichkeit! Haben Sie denn wirklich vor, das Mädchen zu heiraten?«

»Aber warum denn nicht? Ganz bestimmt! Jeder sorgt für sich, und am lustigsten lebt derjenige, der sich selbst am besten zu betrügen versteht. Ha-ha! Aber Sie sind ja wohl so ein ganz besonderer Tugendbold? Haben Sie Nachsicht mit mir, Väterchen! Ich bin ein sündiger Mensch. He-he-he!«

»Sie haben aber doch für Katerina Iwanownas Kinder gesorgt. Indessen, Sie werden wohl auch dafür Ihre Gründe gehabt haben; . . . ich verstehe jetzt alles.«

»Kinder habe ich überhaupt lieb; ich mag Kinder sehr gern«, erwiderte Swidrigailow lachend. »In dieser Hinsicht kann ich Ihnen sogar ein höchst interessantes kleines Erlebnis mitteilen, das auch jetzt noch nicht seinen Abschluß gefunden hat. Am ersten Tage nach meiner Ankunft besuchte ich verschiedene Sumpflokale; na, nach sieben Jahren Entbehrung stürzte ich mich mit Wonne da hinein. Sie haben wohl schon gemerkt, daß ich es nicht eilig habe, mit meiner früheren Sippschaft, meinen ehemaligen Freunden und Bekannten wieder in Verkehr zu treten. Na, ich will suchen, möglichst lange ohne sie auszukommen. Wissen Sie, als ich bei Marfa Petrowna auf dem Lande wohnte, bin ich oft ganz krank geworden vor sehnsüchtiger Erinnerung an all diese geheimnisvollen Lokale und Lokälchen, wo jemand, der darin Routine hat, gar manches zu finden vermag. Ein tolles Leben hier in Petersburg; das niedere Volk säuft; die gebildete Jugend überläßt sich einem untätigen Müßiggange, verpufft ihre Kraft in unerfüllbaren Träumereien und Schwärmereien und verkrüppelt geistig durch das ewige Theoretisieren; die Juden, die hier von überallher zusammenströmen, scharren heimlich Geld zusammen, und alles übrige sumpft. Gleich bei meiner Ankunft war es mir, als ob mir der wohlbekannte Geruch dieser Stadt entgegenschlüge. Ich besuchte zufällig eine sogenannte Tanzsoiree – es war ein schauderhaftes Sumpflokal (aber solche Lokale sind mir je unsauberer, um so lieber); na, natürlich wurde ein Cancan getanzt, wie man ihn sich nicht ärger denken kann und wie er zu meiner Zeit überhaupt noch gar nicht existierte. Ja, darin kann man wirklich einen großen Fortschritt konstatieren. Da sah ich auf einmal, wie ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, sehr hübsch gekleidet, mit einem ganz extravaganten Cancantänzer tanzte; und einen andern von derselben Sorte hatte sie als Visavis. An der Wand auf einem Stuhle saß ihre Mutter. Na, Sie können sich vorstellen, was das für ein toller Cancan war! Das Mädchen wurde verlegen, errötete, schließlich fühlte sie sich gekränkt und fing an zu weinen. Ihr Tänzer packte sie und begann sie herumzuwirbeln und ihr gegenüber seine Kapriolen zu machen. Alles ringsumher lachte (ich habe meine Freude daran, wie sich bei solchen Gelegenheiten Ihr Petersburger Publikum benimmt, auch wenn es nur ein Cancanpublikum ist), alle lachten und schrien: ›Bravo, so ist's recht! Kinder gehören nicht hierher!‹ Na, ich mischte mich da weiter nicht ein: mich ging's ja auch nichts an, ob das Amüsement der Leute über diesen Vorfall logisch oder unlogisch war. Ich hatte sofort gemerkt, wie ich die Sache anzugreifen hatte, setzte mich zu der Mutter und begann damit, ich wäre hier auch fremd und wie unhöflich hier die Menschen wären und daß sie für Personen, die wirklich etwas Besseres wären, so gar kein Verständnis besäßen und ihnen gar nicht die gebührende Achtung erwiesen; ich deutete an, daß ich viel Geld hätte, und machte den Vorschlag, die Damen in meinem Wagen nach Hause zu bringen. Das geschah denn auch; ich wurde mit ihnen bekannt (sie bewohnen ein kleines möbliertes Stübchen und sind erst ganz kürzlich in Petersburg angekommen). Die Mutter erklärte mir, sie und ihre Tochter könnten sich meine Bekanntschaft nur zur größten Ehre anrechnen. Ich erfuhr, daß sie fast mittellos sind und die Reise hierher unternommen haben, um bei einer Behörde etwas zu erwirken. Ich bot ihnen meine Dienste und eine pekuniäre Beihilfe an. Ich hörte auch, daß sie nur irrtümlicherweise zu der Tanzsoiree gegangen waren, in dem Glauben, es würde dort wirklich Tanzunterricht erteilt. Ich erklärte mich meinerseits bereit, bei der Ausbildung des jungen Mädchens behilflich zu sein, indem ich ihr Unterricht im Französischen und im Tanzen geben ließe. Das nahmen sie mit tausend Freuden an; sie halten es für eine Ehre, und ich verkehre noch immer bei ihnen . . . Wenn Sie wollen, können wir einmal hinfahren, nur nicht jetzt gleich.«

»Hören Sie auf mit Ihren gemeinen, schändlichen Geschichten, Sie liederlicher, schändlicher, sinnlicher Mensch!«

»Sie sind ein Schiller, ein russischer Schiller! Où va-t-elle la vertu se nicher? Wissen Sie was? Ich werde Ihnen absichtlich noch mehr solche Geschichten erzählen, bloß um Ihre Äußerungen der Entrüstung zu hören. Das ist mir ein wahrer Genuß!«

»Zweifellos! Ich komme mir ja selbst in diesem Augenblicke lächerlich vor«, murmelte Raskolnikow ärgerlich.

Swidrigailow lachte aus vollem Halse; schließlich rief er Filipp, zahlte und stand auf.

»Na, ich bin ja ziemlich betrunken! Assez causé!« sagte er. »Es ist mir ein wahrer Genuß gewesen!«

»Sehr begreiflich, daß es für Sie ein Genuß war!« rief Raskolnikow und erhob sich gleichfalls. »Wie sollte es denn auch für einen alten Wüstling nicht ein Genuß sein, von solchen Erlebnissen zu erzählen, während er sich dabei schon wieder mit einem andern unnatürlichen Vorhaben derselben Art beschäftigt, und noch dazu unter diesen Umständen und einem Menschen, wie ich, gegenüber. Das kitzelt!«

»Na, wenn dem so ist«, erwiderte Swidrigailow einigermaßen erstaunt und sah Raskolnikow forschend an, »wenn dem so ist, so sind Sie selbst ein arger Frechling. Wenigstens haben Sie im höchsten Grade das Zeug dazu. Sie sind ein starker Theoretiker, ein sehr starker, . . . na, und auch zum praktischen Handeln sind Sie ja sehr wohl befähigt. Aber nun genug davon. Ich bedaure aufrichtig, daß ich mich nur so kurze Zeit habe mit Ihnen unterhalten können; aber Sie laufen mir ja nicht davon . . . Warten Sie nur! . . .«

Swidrigailow verließ das Restaurant, und Raskolnikow folgte ihm. Swidrigailow war nicht erheblich betrunken; der Champagner war ihm nur für einen Augenblick zu Kopfe gestiegen, und der Rausch verflog mit jeder Minute mehr. Ein offenbar sehr wichtiges Vorhaben beschäftigte ihn stark, und er machte ein sehr ernstes Gesicht. Irgendeine Erwartung regte ihn augenscheinlich auf und versetzte ihn in Unruhe. Raskolnikow gegenüber hatte er in den letzten Minuten auf einmal sein Benehmen geändert und war von Minute zu Minute gröber und spöttischer geworden. Raskolnikow hatte das alles recht wohl bemerkt und war nun gleichfalls in unruhiger Erregung. Swidrigailow erschien ihm sehr verdächtig; er beschloß, ihm nachzugehen.

Sie traten auf das Trottoir.

»Sie gehen also nach rechts und ich nach links, oder meinetwegen auch umgekehrt. Jedenfalls adieu, bon plaisir, auf fröhliches Wiedersehen!«

Damit ging er nach rechts, in der Richtung auf den Heumarkt zu.


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