Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Der Fürst trat ein, ein süßes Lächeln auf den Lippen. Die ganze Angst, die Mosgljakoff vor einer Viertelstunde in seine Seele gesenkt hatte, verschwand beim Anblick der Damen. Er zerschmolz sofort wie ein Bonbon. Die Damen empfingen ihn mit quieksenden Freudenrufen. Überhaupt waren die Damen stets sehr zärtlich und familiär mit dem Alten. Er hatte die Gabe, sie durch seine Person außerordentlich zu amüsieren. Felissata Michailowna hatte sogar noch morgens behauptet (natürlich nicht im Ernst), daß sie bereit sei, sich ihm auf die Knie zu setzen, wenn ihm das Spaß machen sollte – »weil er doch ein so lieber, lieber alter Mann sei, so unsagbar lieb!« Marja Alexandrowna verschlang ihn direkt mit ihren Blicken in der Hoffnung, irgend etwas aus seinem Gesicht herauszulesen, was darauf hindeuten könnte, wie sich der Ausgang aus ihrer kritischen Lage gestalten würde. Es war jedenfalls klar, daß Mosgljakoff etwas ganz Gemeines angerichtet hatte, und daß dadurch die ganze Angelegenheit stark ins Wanken geraten war. Aber den Zügen des Fürsten war nichts zu entnehmen. Er war der gleiche, wie neulich und wie immer.

»Ach Gott! Da ist ja auch der Fürst! Und wir haben schon so auf Sie gewartet!« riefen mehrere Damen.

»Mit Ungeduld, Fürst, mit Ungeduld!« piepsten wieder andere.

»Das ist sehr schmeichelhaft für mich«, lispelte der Fürst, indem er sich an den Tisch, auf dem der Ssamowar summte, setzte. Die Damen umringten ihn sofort. Bei Marja Alexandrowna blieben nur Anna Nikolajewna und Natalja Dmitrijewna. Afanassij Matwejewitsch lächelte ehrerbietig, Mosgljakoff lächelte gleichfalls und blickte dabei mit herausforderndem Blick nach Sina hin, welche ihm ihrerseits überhaupt keine Beachtung schenkte, zu ihrem Vater trat und sich neben ihm am Kamin in einen Lehnstuhl niederließ.

»Ach, Fürst, haben wir recht gehört, daß Sie uns verlassen?« piepste Felissata Michailowna.

»Nun ja, mesdames, ich fahre weg. Ich will un–ver–züglich ins Ausland reisen.«

»Ins Ausland, Fürst, ins Ausland?« schrien alle im Chor. »Aber wie kommen Sie denn darauf?«

»Jawohl, ins Ausland,« bekräftigte der Fürst, sich aufplusternd, »und wissen Sie, ich will hauptsächlich wegen der neuen Ideen hin–fahren.«

»Wieso wegen der neuen Ideen? Wie meinen Sie das?« sagten die Damen, indem sie verständnislose Blicke tauschten.

»Nun ja, wegen der neuen Ideen«, wiederholte der Fürst mit dem Ausdruck tiefster Überzeugung. »Alle reisen hin wegen der neu–en Ideen. Und so will ich mir auch welche anlegen.«

»Sie wollen doch nicht am Ende in die Freimaurerloge eintreten, teuerster Onkel?« rief Mosgljakoff aus, in der offensichtlichen Absicht, durch seinen Witz und sein freies ungezwungenes Benehmen auf die Damen Eindruck zu machen.

»Nun ja, mein Freund, du hast dich nicht geirrt«, antwortete unerwarteterweise der Fürst. »Ich habe tat–säch–lich in meiner Jugend im Auslande einer Freimaurerloge angehört und habe damals viele großmütige Ide–en gehabt. Ich beabsichtigte sogar zu jener Zeit vieles für die zeitgenössische Aufklärung zu tun und hatte bereits fest beschlossen, meinem Ssidor, den ich ins Ausland mitgenommen hatte, die Freiheit zu schenken. Aber, zu meinem größten Erstaunen, lief er selbst von mir weg. Das war ein höchst son–der–barer Mensch. Später einmal traf ich ihn in Paris auf den Boulevards, wie ein Geck gekleidet, mit einer Mamsell am Arm. Er sah mich an und nickte mir mit dem Kopfe zu. Und seine Mamsell war so eine quicke, munter blickende Person, sehr ver–füh–rerisch ...«

»Nun, Onkelchen, da werden Sie wohl alle Ihre Bauern freilassen, wenn Sie jetzt ins Ausland fahren«, rief Mosgljakoff, aus vollem Halse lachend.

»Du hast wirklich alle meine heimlichsten Wünsche erraten, mein Lieber«, antwortete der Fürst ohne Zögern. »Es ist grade meine Absicht, allen meinen Leibeigenen die Freiheit zu schenken.«

»Aber erbarmen Sie sich, Fürst, dann werden Ihnen ja alle gleich davonlaufen und wer soll Ihnen dann den Pachtzins zahlen?« schrie Felissata Michailowna.

»Natürlich werden sie davonlaufen«, echote erregt Anna Nikolajewna.

»Ach, mein Gott! Glauben Sie wirklich, daß sie alle davonlaufen werden?« rief der Fürst voller Verwunderung.

»Aber selbstverständlich werden sie davonlaufen und Sie ganz allein lassen«, bekräftigte Natalja Dmitrijewna.

»O Gott! Nun, dann werde ich ihnen eben nicht die Freiheit schenken. Übrigens habe ich das auch nur so gesagt.«

»Das ist auch besser, Onkelchen«, bekräftigte Mosgljakoff.

Bisher hatte Marja Alexandrowna schweigend zugehört und beobachtet. Es machte den Eindruck, als hätte der Fürst sie völlig vergessen und das erschien ihr ganz unnatürlich.

»Erlauben Sie, Fürst,« begann sie laut und voll Würde, »Ihnen meinen Gatten Afanassij Matwejewitsch vorzustellen. Er ist sofort vom Lande hergeeilt, als er hörte, daß Sie in meinem Hause abgestiegen seien.«

Afanassij Matwejewitsch lächelte und stellte sich in Positur. Er hatte den Eindruck, daß man ihn gelobt hätte.

»Ah, ich freue mich sehr,« sagte der Fürst, »Afanassij Matwejewitsch! Erlauben Sie, mir fällt da etwas ein, Afanassij Matwejewitsch! Nun ja, Sie sind derjenige, der auf dem Gut lebt. Charmant, charmant, ich freue mich sehr. – Mein Freund,« rief er plötzlich, sich an Mosgljakoff wendend, »das ist ja derselbe, auf den wir neulich ein Verschen zitiert haben. Wie war es doch? ›Wenn der Mann das Haus verläßt, fliegt die Frau ... nun ja, die Frau fliegt dann auch irgendwohin‹ ...«

»Ach, Fürst, ja, ja, das stimmt:

›Wenn der Mann das Haus verläßt
Fliegt die Frau auch aus dem Nest.‹

Das ist aus demselben Vaudeville, das voriges Jahr hier aufgeführt wurde«, griff Felissata Michailowna das Gespräch auf.

»Nun ja, ja, so war es auch; ich vergesse es immer wieder. Charmant, charmant! – Also Sie sind dieser Mann? Ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen«, sagte der Fürst, ohne sich vom Stuhl zu erheben und reichte dem lächelnden Afanassij Matwejewitsch die Hand. »Nun, wie geht es Ihnen?«

»Hm!«

»Es geht ihm gut, Fürst, sehr gut«, antwortete Marja Alexandrowna rasch.

»Nun ja, das sieht man ihm ja auch an. Also Sie leben ganz auf dem Lande? Nun, das freut mich. Und wie rotbackig er aussieht! Und er lacht immer so!«

Afanassij Matwejewitsch lächelte, verbeugte sich und machte sogar Kratzfüße. Aber bei der letzten Bemerkung des Fürsten konnte er plötzlich nicht mehr an sich halten und platzte mir nichts, dir nichts auf die dümmste Art und Weise los.

Alle fingen an zu lachen. Die Damen quiekten vor Vergnügen. Sina wurde dunkelrot und blickte mit blitzenden Augen nach Marja Alexandrowna hin, die ihrerseits fast vor Wut zersprang. Es war an der Zeit, den Gesprächsstoff zu wechseln.

»Wie haben Sie geruht, Fürst?« fragte sie mit honigsüßer Stimme, indem sie gleichzeitig durch einen drohenden Blick Afanassij Matwejewitsch bedeutete, sich unverzüglich zurückzuziehen.

»Ach, ich habe sehr gut geschlafen,« antwortete der Fürst, »und wissen Sie, ich habe einen entzückenden Traum gesehen, einen ent–zücken–den Traum!«

»Einen Traum! Ich liebe es schrecklich, wenn man Träume erzählt«, rief Felissata Michailowna. »Und ich liebe es auch sehr«, fügte Natalja Dmitrijewna hinzu.

»Einen ent–zücken–den Traum«, wiederholte der Fürst mit süßer Stimme. »Aber dieser Traum ist ein großes Geheimnis!«

»Wieso, Fürst, kann man ihn denn wirklich nicht erzählen? Dann muß es ja ein ganz eigenartiger Traum gewesen sein?« bemerkte Anna Nikolajewna.

»Ein gros–ses Geheimnis!« wiederholte der Fürst, mit Genuß die Neugierde der Damen aufstachelnd.

»Das muß ja außerordentlich interessant sein!« schrien die Damen.

»Ich wette drauf, daß der Fürst im Traum vor irgendeiner Schönheit kniete und ihr eine Liebeserklärung machte!« schrie Felissata Michailowna.

»Nun, gestehen Sie nur, Fürst, daß es stimmt! Lieber, lieber Fürst, gestehen Sie nur!«

»Gestehen Sie, gestehen Sie«, klang es nun von allen Seiten.

Der Fürst lauschte feierlich und entzückt all diesen Ausrufen. Die Annahme der Damen schmeichelte seiner Eitelkeit ungeheuer und es fehlte nicht viel, daß er sich aus Freude darüber beleckt hätte.

»Wenn ich auch gesagt habe, daß mein Traum ein großes Geheimnis ist,« antwortete er endlich, »so muß ich doch gestehen, daß Sie ihn, meine Damen, zu meinem Erstaunen fast vollkommen erraten haben.«

»Erraten!« schrie Felissata Michailowna begeistert. »Nun aber, Fürst, ob Sie wollen oder nicht, müssen Sie uns auch noch verraten, wer Ihre Schönheit ist!«

»Unbedingt!«

»Ist sie eine hiesige oder nicht?«

»Lieber, lieber Fürst, Sie müssen es uns verraten!«

»Lieber, guter, einziger Fürst, sagen Sie es uns, auch wenn Sie daran sterben!« rief es von allen Seiten.

»Mesdames, mesdames! ... Wenn Sie es schon so unbedingt wissen wollen, so kann ich Ihnen nur eines verraten, daß es – die ent–zückend–ste und, man kann wohl sagen, die rein–ste Jungfrau ist von allen, die ich je gekannt«, mümmelte der Fürst vor Wonne zerschmelzend.

»Die entzückendste? Und ... eine hiesige? Wer könnte das sein?« fragten die Damen, indem sie bedeutensvolle Blicke tauschten und einander zublinzelten.

»Natürlich diejenige, die hier für die erste Schönheit gilt«, äußerte Natalja Dmitrijewna, ihre riesigen roten Hände reibend und mit ihren Katzenaugen nach Sina hinblickend. Gleichzeitig mit ihr wandten nun alle ihre Augen Sina zu.

»Nun denn, Fürst, wenn Sie schon solche Träume haben, warum sollten Sie denn nicht auch in Wirklichkeit heiraten?« fragte Felissata Michailowna, indem sie abwechselnd alle Anwesenden mit einem bedeutungsvollen Blick ansah.

»Und wie nett würden wir Sie verheiraten!« ergriff eine andere Dame das Wort.

»Lieber Fürst, so heiraten Sie doch!« piepste die dritte.

»Heiraten Sie! Heiraten Sie!« rief es nun von allen Seiten. »Warum sollten Sie nicht heiraten?«

»Nun ja, tatsächlich, warum sollte ich auch nicht heiraten«, nickte der Fürst, bereits ganz verwirrt durch all das Geschrei.

»Onkelchen!« schrie Mosgljakoff auf.

»Nun ja, mein Freund, ich verstehe dich. Ich wollte eben sagen, mesdames, daß ich nicht mehr fähig bin zu heiraten und daß ich nach diesem hier verbrachten entzückenden Abend bei unserer reizenden Hausfrau morgen früh zum Mönch Missail in die Einsiedelei fahren werde und nachher direkt ins Ausland, um die europäische Aufklärung besser verfolgen zu können.«

Sina erblaßte und blickte mit unaussprechlicher Qual nach ihrer Mutter hin. Aber Marja Alexandrowna hatte sich bereits entschlossen. Bisher hatte sie eine abwartende Haltung eingenommen, die Sachlage geprüft, obwohl sie zu begreifen anfing, daß ihr Plan bereits fast vereitelt war, und daß ihre Feinde ihr um vieles voraus waren. Nun verstand sie alles und beschloß, mit einem Schlage die hundertköpfige Hydra zu vernichten. Sie stand feierlich vom Lehnstuhl auf und trat festen Schrittes an den Tisch, indem sie mit einem stolzen Blick ihre zwergenhaften Feinde maß. Das Feuer der Begeisterung flammte in diesem Blick. Sie hatte beschlossen, all diese giftigen Klatschbasen vollständig zu verwirren, sie mit einem Schlage zu vernichten, den Schurken Mosgljakoff wie eine Küchenschabe zu zertreten und mit einem entschlossenen, kühnen Streich ihren verlorenen Einfluß auf den idiotischen Fürsten von neuem zurückzuerobern. Selbstverständlich war dazu eine ungewöhnliche Frechheit erforderlich, aber um Frechheiten war Marja Alexandrowna nie verlegen.

»Mesdames,« begann sie feierlich und voll Würde (Marja Alexandrowna liebte überhaupt die Feierlichkeit über alles), »mesdames, ich habe lange Ihrem Gespräche gelauscht, ihre heiteren, geistreichen Scherze angehört, und finde nun, daß es an der Zeit ist, auch meinerseits ein Wort zu sagen. Sie wissen, daß wir alle uns hier ganz zufällig versammelt haben (ich freue mich, ich freue mich so sehr darüber) ... Ich, als erste, hätte mich nie dazu entschlossen, ein wichtiges Familiengeheimnis früher zu verbreiten, als es das einfache Anstandsgefühl erfordert. Vor allem bitte ich meinen lieben Gast um Verzeihung; aber mir schien es, daß er durch zarten Hinweis auf denselben Umstand mir klarzumachen suchte, daß ihm die formelle und feierliche Mitteilung unseres Familiengeheimnisses nicht nur nicht unangenehm sein würde, sondern, daß er dessen Veröffentlichung sogar wünsche. Ich irre mich doch nicht in dieser Annahme, Fürst, nicht wahr?«

»Nun ja, Sie irren sich nicht ... und ich freue mich sehr ... sehr ...«, murmelte der Fürst, ohne zu begreifen, worum es sich handelte.

Des größeren Eindruckes wegen hielt Marja Alexandrowna einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen und musterte die ganze Gesellschaft. Alle Gäste lauschten ihren Worten mit gieriger und unruhiger Neugierde. Mosgljakoff zuckte zusammen; Sina errötete und erhob sich von ihrem Stuhl; Afanassij Matwejewitsch, in Erwartung von etwas Außergewöhnlichem, schneuzte sich auf jeden Fall in sein Taschentuch.

»Ja, mesdames, ich teile Ihnen voll Freude unser Familiengeheimnis mit. Heute nach dem Mittag hat der Fürst, hingerissen von der Schönheit und den Vorzügen meiner Tochter, ihr die Ehre erwiesen, um ihre Hand anzuhalten. Fürst!« schloß sie mit vor Tränen und Erregung zitternder Stimme, »lieber Fürst, Sie können, Sie dürfen mir nicht wegen meiner Unbescheidenheit zürnen. Nur die große Freude über dies schöne Geheimnis konnte es vorzeitig meinem Herzen entreißen ... und welche Mutter kann mich in diesem Fall verurteilen?«

Ich finde keine Worte, um den Eindruck zu beschreiben, den die unerwartete Mitteilung Marja Alexandrownas hervorrief. Alle standen wie erstarrt vor Staunen da. Die treubrüchigen Freundinnen, die gedacht hatten, Marja Alexandrowna dadurch zu erschrecken, daß sie bereits alle ihr Geheimnis kannten, die gehofft hatten, sie durch die vorzeitige Aufdeckung dieses Geheimnisses zu vernichten, sie vorerst durch Andeutungen zu zerfetzen, waren nun vollständig betäubt durch ihre kühne Offenheit. Solch eine furchtlose Offenheit bedeutete ein großes Kraftbewußtsein.

»Also heiratet der Fürst Sina wirklich aus eigenem Willen? Also ist er nicht verlockt, betrogen und betrunken gemacht worden? Also versucht man nicht ihn auf heimliche, diebische Art zur Heirat zu zwingen? Also kann es nicht mehr gelingen, diese Heirat zu vereiteln, da der Fürst nicht gezwungenermaßen sich dazu entschlossen hat?« Einen Augenblick lang ertönte leises Geflüster, das sich plötzlich in kreischende Freudenrufe verwandelte. Die erste, die sich auf Marja Alexandrowna stürzte, um sie zu umarmen, war Natalja Dmitrijewna, ihr folgte Anna Nikolajewna, dann Felissata Michailowna. Alle waren von den Stühlen aufgesprungen, alle liefen durcheinander. Viele der Damen waren bleich vor Wut. Die ganz verwirrte Sina wurde mit Glückwünschen überhäuft. Sogar Afanassij Matwejewitsch wurde nicht verschont.

Marja Alexandrowna breitete malerisch die Arme aus und umarmte fast gewaltsam ihre Tochter. Nur der Fürst allein blickte auf diese ganze Szene mit einer sonderbaren Verwunderung, obwohl er nach wie vor dazu lächelte. Übrigens gefiel ihm diese Szene sogar teilweise. Bei der Umarmung von Tochter und Mutter zog er sein Taschentuch heraus und wischte sich damit sein Auge, in dem sich eine Träne gezeigt hatte. Selbstverständlich stürzte man sich auch auf ihn mit Glückwünschen.

»Wir gratulieren, Fürst, wir gratulieren!« schrie man von allen Seiten.

»Also, Sie heiraten?«

»Also, Sie heiraten wirklich?«

»Nun ja, nun ja,« antwortete der Fürst, außerordentlich geschmeichelt durch die Gratulationen und die allgemeine Begeisterung; »und vor allem entzückt mich Ihre herzliche Teilnahme, die ich nie, niemals vergessen werde. Charmant, charmant! Sie haben mich wirklich zu Tränen gerührt ...«

»Geben Sie mir einen Kuß, Fürst!« rief Felissata Michailowna, alle andern überschreiend.

»Und ich muß Ihnen gestehen,« fuhr der Fürst, mehrmals von allen Seiten unterbrochen, fort, »ich wundere mich vor allem darüber, daß Marja Iwa–nowna, unsere geschätzte Hausfrau, mit so unge–wöhnli–chem Scharfsinn meinen Traum erraten hat. So, als ob sie, und nicht ich ihn geträumt hätte. Ein un–ge–wöhn–licher Scharfsinn! Ein un–ge–wöhnlicher Scharfsinn!«

»Ach, Fürst, Sie reden schon wieder von Ihrem Traum?«

»Gestehen Sie nur, Fürst, gestehen Sie nur!« riefen alle, indem sie ihn umringten.

»Ja, Fürst, jetzt gibt es nichts mehr zu verheimlichen, jetzt gilt es, dies Geheimnis zu enthüllen«, sagte Marja Alexandrowna streng und bestimmt. »Ich habe Ihre feine Allegorie, Ihr entzückendes Zartgefühl begriffen, mit dem Sie mir Ihren Wunsch anzudeuten suchten, ich möge Ihre Verlobung veröffentlichen. Ja, mesdames, es ist tatsächlich wahr: Heute lag der Fürst auf den Knien vor meiner Tochter und machte ihr in Wirklichkeit und nicht im Traum einen feierlichen Antrag.«

»Ganz wie in der Wirklichkeit und sogar mit denselben Einzelheiten,« bekräftigte der Fürst. »Mademoiselle,« fuhr er fort, indem er sich mit ungewöhnlicher Höflichkeit an Sina wandte, die vor Staunen noch gar nicht zu sich gekommen war, »mademoiselle! Ich schwöre es, ich hätte nie gewagt, Ihren Namen zu nennen, wenn nicht andere vor mir ihn ausgesprochen hätten. Es war ein entzückender Traum, ein ent – zückender Traum, und ich bin doppelt glücklich, daß es mir gestattet ist, es Ihnen gegenüber auszusprechen. Charmant, charmant.«

»Aber erbarmen Sie sich, wie ist das denn? Er spricht immer nur von einem Traum«, flüsterte Anna Nikolajewna der beunruhigten und leicht erblassenden Marja Alexandrowna zu. Ach! Bei Marja Alexandrowna schmerzte und zitterte das Herz bereits auch ohne diese Andeutungen.

»Wie ist denn das?« flüsterten die Damen und tauschten vielsagende Blicke.

»Aber ich bitte Sie, Fürst,« begann Marja Alexandrowna mit schmerzlich verzerrtem Lächeln: »Sie setzen mich wirklich in Erstaunen. Was haben Sie da für eine sonderbare Idee von einem Traum? Ich muß gestehen, ich dachte bisher, daß Sie scherzten, aber ... Wenn es ein Scherz sein soll, so ist das ein ziemlich unangebrachter Scherz ... Ich will und kann ihn nur Ihrer Zerstreutheit zuschreiben, aber ...«

»Tatsächlich, es ist wohl nur eine Folge der Zerstreutheit«, zischte Natalja Dmitrijewna.

»Nun ja, vielleicht ist es auch nur aus Zerstreutheit«, bekräftigte der Fürst, immer noch nicht recht begreifend, was man von ihm wollte. »Und wissen Sie, ich werde Ihnen gleich eine Anekdote erzählen. Ich wurde einmal in Petersburg zu einer Beerdigung gerufen, es war in eine maison bourgoise, mais honnête, und ich verwechselte es und glaubte, es sei zu einem Namenstag. Aber dieser Namenstag war schon in der Wo–che vorher gewesen. Ich hatte einen Strauß Kamelien für das Namenstagskind vorbereitet. Ich komme herein, und was se–he ich? Ein wür–di–ger, solider Herr liegt auf dem Tisch, so daß ich mich wirklich wun–der–te. Ich wußte wirklich nicht, wohin ich mich mit meinem Blumenstrauß verstecken sollte.«

»Aber, Fürst, es handelt sich jetzt nicht um Anekdoten«, unterbrach ihn Marja Alexandrowna verärgert. »Natürlich hat es meine Tochter nicht nötig, nach Freiern zu angeln, aber vorhin haben Sie ihr hier am Klavier tatsächlich einen Antrag gemacht. Ich habe Sie nicht dazu herausgefordert ... Es hat mich sogar in Erstaunen versetzt ... Selbstverständlich blitzte damals ein Gedanke in mir auf und ich verlegte das alles bis zu Ihrem Erwachen. Aber ich bin – Mutter; und sie ist meine Tochter ... Sie sprachen eben selbst von einem Traum, und ich dachte, daß Sie in Form einer Allegorie von Ihrer Verlobung erzählen wollten. Ich verstehe sehr gut, daß man vielleicht versucht hat, Sie zu verwirren ... ich vermute sogar, wer es ist ... aber ... erklären Sie sich nun endlich, Fürst, erklären Sie sich deutlicher. Mit einem anständigen Hause darf man nicht solchen Scherz treiben ...«

»Nun ja, mit einem anständigen Hause darf man nicht solchen Scherz treiben«, bejahte der Fürst gedankenlos, aber es ergriff ihn allmählich eine gewisse Unruhe.

»Aber das ist doch keine Antwort auf meine Frage, Fürst. Ich bitte Sie, mir ganz deutlich zu antworten! Bestätigen Sie sofort hier vor allen, daß Sie vorhin meiner Tochter einen Antrag gemacht haben.«

»Nun ja, ich bin bereit, es zu bestätigen. Übrigens habe ich das alles bereits erzählt und Felissata Jakowlewna hat meinen Traum vollkommen erraten.«

»Es war kein Traum! Kein Traum!« schrie nun Marja Alexandrowna voller Wut. »Es war kein Traum, sondern Wirklichkeit, hören Sie, Fürst, Wirklichkeit!«

»Wirklichkeit?« rief nun auch der Fürst, indem er sich vom Lehnstuhl erhob. »Nun, mein Freund, wie du es mir prophezeit hast, so ist es auch gekommen!« fügte er, sich an Mosgljakoff wendend, hinzu. »Aber ich versichere Sie, hochgeehrte Marja Stepanowna, daß Sie sich irren! Ich bin vollständig überzeugt davon, daß ich das alles nur geträumt habe!«

»Großer Gott!« schrie Marja Alexandrowna.

»Grämen Sie sich nicht, Marja Alexandrowna«, mischte sich Natalja Dmitrijewna ein. »Der Fürst hat es vielleicht sozusagen vergessen. Er wird sich schon wieder daran erinnern.«

»Ich wundere mich über Sie, Natalja Dmitrijewna,« antwortete Marja Alexandrowna empört; »kann man denn so etwas vergessen? Erbarmen Sie sich, Fürst! Machen Sie sich über uns lustig oder nicht? Oder versuchen Sie einen Gecken aus der Zeit der Regentschaft darzustellen, wie sie Dumas beschreibt? Irgend einen Fairelacour oder Lausin? Aber das paßt nicht mehr für Ihr Alter und außerdem wird es Ihnen nicht gelingen, dessen kann ich Sie versichern. Meine Tochter ist keine französische Vicomtesse. Vorhin hat sie Ihnen hier, hier an dieser Stelle, eine Romanze gesungen und Sie sind, begeistert durch ihren Gesang, auf die Knie gesunken und haben ihr einen Antrag gemacht. Träume ich etwa? Schlafe ich vielleicht? Antworten Sie mir, Fürst: Schlafe ich oder nicht?«

»Nun ja ... übrigens vielleicht auch nicht ...«, antwortete der ganz verwirrte Fürst. »Ich will nur damit sagen, daß ich im Augenblick, glaube ich, nicht träume. Aber vorhin träumte ich und sah im Traum, daß ...«

»Tjfu, mein Gott, was heißt denn das: Ich träumte, ich träumte nicht, ich träumte – ich träumte nicht! Was bedeutet das, zum Teufel! Phantasieren Sie, Fürst, oder nicht?«

»Nun ja, zum Teufel ... übrigens bin ich, glaube ich, schon ganz verwirrt ...«, sagte der Fürst, während sein unruhiger Blick im Kreise umherschweifte.

»Aber, wie ist es denn möglich, daß Sie es nur im Traum gesehen haben,« begann Marja Alexandrowna von neuem, »wenn ich Ihnen selbst mit allen Einzelheiten Ihren eigenen Traum erzähle, obwohl Sie ihn noch keinem von uns mitgeteilt haben?«

»Aber vielleicht hat der Fürst ihn doch schon jemandem erzählt«, bemerkte Natalja Dmitrijewna.

»Nun ja, vielleicht habe ich ihn schon jemandem erzählt«, wiederholte der ganz verwirrte Fürst.

»Na, das ist aber eine Komödie«, flüsterte Felissata Michailowna ihrer Nachbarin zu.

»Großer Gott! Da kann einem wirklich die Geduld reißen!« schrie Marja Alexandrowna und rang vor Verzweiflung die Hände. »Sie hat Ihnen eine Romanze vorgesungen, eine Romanze! Haben Sie denn auch das nur im Traum gesehen?«

»Nun ja, tatsächlich, es ist mir wirklich so, als hätte sie eine Romanze gesungen«, murmelte der Fürst nachdenklich, und plötzlich erhellte irgendeine Erinnerung sein Gesicht.

»Mein Freund«, wandte er sich erregt zu Mosgljakoff. »Ich vergaß neulich ganz, dir zu erzählen, daß da tatsächlich auch eine Romanze vorkam, und diese Romanze handelte von irgendwas für Burgen, von vielen Burgen, und nachher kam drin auch ein Troubadour vor! Nun ja, ich erinnere mich jetzt an alles ... zum Schluß weinte ich sogar. – Und jetzt fällt es mir schwer, zu sagen, ob das alles nicht doch in der Wirklichkeit geschehen ist und nicht nur im Traum.«

»Ich muß Ihnen sagen, Onkelchen,« antwortete Mosgljakoff so ruhig wie möglich, obwohl seine Stimme dabei vor innerer Aufregung zitterte, »ich muß Ihnen sagen, daß, wie mir scheint, das alles leicht zu lösen und in Einklang zu bringen ist. Wahrscheinlich haben Sie wirklich Gesang gehört. Sinaida Afanassiewna singt wunderbar. Nach dem Mittagessen wurden Sie hiehergeführt und Sinaida Afanassiewna sang Ihnen eine Romanze vor. Ich war damals nicht dabei, aber wahrscheinlich wurden Sie durch den Gesang gerührt und er rief in Ihnen die Vergangenheit wach; vielleicht kam Ihnen auch die Vicomtesse in den Sinn, mit der zusammen Sie einst auch Romanzen gesungen und von der Sie uns heute morgen selbst erzählt haben. Nun, und nachher legten Sie sich schlafen und infolge der angenehmen Eindrücke haben Sie dann geträumt, daß Sie verliebt seien und einen Antrag machten ...«

Marja Alexandrowna war einfach betäubt durch diese Frechheit.

»Ach, mein Freund, so war es ja tatsächlich«, rief der Fürst ganz begeistert. »Ja, natürlich, infolge der angenehmen Eindrücke! Ich entsinne mich nun tatsächlich, daß mir eine Romanze vorgesungen wurde, und infolgedessen kam mir dann im Traume der Wunsch, zu heiraten. Und die Vicomtesse war auch da ... Ach, wie klug du das alles entwirrt hast, mein Lieber! Nun! Jetzt bin ich ganz überzeugt davon, daß ich das alles im Traume gesehen habe! Marja Alexandrowna, ich versichere Sie, daß Sie sich irren! Es geschah alles nur im Traume. Sonst würde ich nicht auf diese Weise mit Ihren heiligsten Gefühlen spielen ...«

»Ah! Jetzt sehe ich deutlich, wer hier hereingepfuscht hat!« schrie Marja Alexandrowna, außer sich vor Wut, indem sie sich an Mosgljakoff wandte. »Das sind Sie, mein Herr, Sie sind der ehrlose Mensch, der das alles getan hat! Sie haben diesem unglücklichen Idioten den Kopf verdreht, aus Rache dafür, daß Sie selbst abgewiesen wurden! Aber du wirst mir für diese Schmach bezahlen, du gemeiner Mensch! Bezahlen, bezahlen, bezahlen!«

»Marja Alexandrowna!« schrie nun seinerseits Mosgljakoff, rot wie ein Krebs: »Ihre Worte sind bis zu einem Grade ... ich weiß schon wirklich nicht, bis zu welchem Grade ... keine Weltdame würde sich je erlauben ... ich werde jedenfalls meinen Verwandten verteidigen. Sie müssen zugeben, jemanden so zu verlocken ...«

»Nun ja, so zu verlocken«, wiederholte der Fürst, indem er sich hinter Mosgljakoff zu verstecken suchte.

»Afanassij Matwejewitsch!« kreischte nun Marja Alexandrowna mit ganz unnatürlicher Summe. »Hören Sie denn nicht, wie man uns hier beleidigt und entehrt? Oder haben Sie sich von allen Verpflichtungen losgesagt? Oder sind Sie wirklich kein Familienvater mehr, sondern nur ein ekelhafter Holzklotz? Was klappen Sie denn mit den Augen? Ein anderer Mann hätte schon längst die Beleidigung, die seiner Familie angetan wurde, mit Blut gesühnt ...«

»Liebe Frau«, begann nun voller Würde Afanassij Matwejewitsch, stolz darauf, daß man nun doch auch seiner bedurfte: »Meine liebe Frau! Vielleicht hast du das wirklich alles im Traum gesehen und, nachdem du erwacht, alles nach deiner Art durcheinandergebracht ...«

Aber Afanassij Matwejewitsch sollte es nicht vergönnt sein, seine scharfsinnige Bemerkung bis zum Ende auszuführen. Bisher hatten sich die Gäste noch zurückgehalten und sich heuchlerisch den Anschein gegeben, daß sie ernst und würdig den Gesprächen folgten. Aber jetzt brach ein so haltloses Gelächter aus, daß das ganze Zimmer zu dröhnen schien. Marja Alexandrowna, jeden Anstandes bar, stürzte auf ihren Gatten los, wahrscheinlich um ihm unverzüglich die Augen auszukratzen. Aber sie wurde mit Gewalt zurückgehalten. Natalja Dmitrijewna nützte die Situation aus und goß wenigstens noch ein Tröpfchen Gift in den Becher.

»Ach, Marja Alexandrowna, vielleicht war es wirklich so, und Sie regen sich ganz unnütz auf«, meinte sie mit honigsüßer Stimme.

»Wie war es? Was war?« schrie Marja Alexandrowna noch nicht recht begreifend.

»Ach, Marja Alexandrowna, das kommt doch dazwischen vor ...«

»Was kommt vor? Wollen Sie mir etwa die Haut vom Leibe reißen?«

»Vielleicht haben Sie es wirklich nur geträumt?«

»Nur geträumt? Ich? Geträumt? Und Sie wagen mir das direkt ins Gesicht zu sagen?«

»Vielleicht war es wirklich so«, meinte nun auch Felissata Michailowna.

»Nun ja, vielleicht war es wirklich so«, murmelte jetzt auch der Fürst.

»Auch er, auch er noch! Großer Gott!« schrie Marja Alexandrowna und schlug die Hände überm Kopf zusammen.

»Wie Sie sich aufregen, Marja Alexandrowna: Vergessen Sie doch nicht, daß die Träume von Gott gesandt werden. Und wenn Gott es will, so will er es eben, und sein heiliger Wille lenkt alles. Da hat man kein Recht mehr, sich darüber zu ärgern.«

»Ja, kein Recht mehr, sich darüber zu ärgern«, pflichtete der Fürst bei.

»Ja, halten Sie mich denn für verrückt?« flüsterte Marja Alexandrowna, halb erstickt vor Wut. Das ging schon über jede menschliche Kraft. Sie suchte schnell einen Stuhl und fiel in Ohnmacht. Es entstand ein Durcheinander.

»Sie ist ja nur aus Anstandsgründen in Ohnmacht gefallen«, flüsterte Natalja Dmitrijewna Anna Nikolajewna zu.

In diesem Augenblick, im Augenblick der größten Bestürzung und Spannung, betrat plötzlich eine bisher stumme Persönlichkeit den Schauplatz – und die ganze Szene änderte mit einem Schlage völlig ihren Charakter ...


 << zurück weiter >>