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II.

Vor allem muß ich sagen, daß Fürst K. noch nicht weiß Gott was für ein Greis war; doch wenn man ihn ansah, kam einem trotzdem der Gedanke, daß er jeden Augenblick zerfallen könne: so verlebt und, ich möchte sagen, so verbraucht war der Eindruck, den er hervorrief. In Mordassoff wurden von diesem Fürsten schon immer die sonderbarsten Geschichten erzählt, von direkt phantastischem Inhalt. Man munkelte sogar, daß der alte Mann gestört sei. Besonders eigenartig erschien es allen, daß ein so reicher Gutsbesitzer, der viertausend Leibeigene besaß, dazu noch eine illustre Verwandtschaft, daß so ein Mann als absoluter Einsiedler auf seinem prachtvollen Gute hauste, obwohl er, wenn er es nur gewollt hätte, den größten Einfluß im Gouvernement hätte ausüben können. Viele kannten den Fürsten noch von früher her, sechs oder sieben Jahre zurück, während er sich in Mordassoff aufhielt und sie behaupteten, daß er zu jener Zeit die Einsamkeit haßte und absolut keine Neigung zum Einsiedlertum gezeigt hätte.

Folgendes jedoch ist das einzig Authentische, was ich über ihn habe erfahren können:

Einstmals, in seinen jungen Jahren (was übrigens schon recht lange her sein mußte) trat der Fürst glänzend ins Leben ein, frönte dem Spiel und der Liebe, ruinierte sich mehrmals im Auslande, sang Romanzen, machte Kalauer und zeichnete sich nie durch besonders glänzende Geistesgaben aus. Selbstverständlich brachte er auf diese Weise sein ganzes Vermögen durch, so daß er im Alter kaum noch einen Kopeken besaß. Jemand riet ihm, auf sein Gut zurückzukehren, das man bereits zu versteigern begonnen hatte. Er machte sich also auf und langte in Mordassoff an, wo er sich ganze sechs Monate aufhielt. Das Provinzleben gefiel ihm außerordentlich gut, und in diesen sechs Monaten brachte er noch den letzten Rest seines Vermögens durch, indem er seine Zeit teils am Spieltisch verbrachte, teils sie dazu verwandte, um mit den ansässigen Damen intime Beziehungen anzuknüpfen. Im übrigen war er ein durchaus gutmütiger Kerl, abgesehen natürlich von einigen fürstlichen Eigenarten, Welche jedoch in Mordassoff als Gepflogenheiten der großen Welt angesehen wurden und deshalb, anstatt Ärger zu erwecken, eher einen günstigen Eindruck erzielten. Besonders waren es die Damen, die ständig von ihrem lieben Gast entzückt waren. Viele interessante Erinnerungen blieben im Ort erhalten. Es wurde unter anderem erzählt, daß der Fürst über die Hälfte des Tages bei seiner Toilette verbringe und daß er scheinbar aus den verschiedensten kleinen Teilen zusammengesetzt sei. Keiner wußte zu sagen, wo und wann es ihm gelungen war, sich so in seine Bestandteile aufzulösen. Er trug eine Perücke, einen Schnurr- und Backenbart und sogar einen spanischen Knebelbart, und alles dieses war bis aufs letzte wunderbar schwarzgefärbte Härchen unecht; er puderte und schminkte sich täglich. Es wurde sogar behauptet, daß er durch Klammern, die in seinem Haar versteckt waren, die Runzeln in seinem Gesicht glättete. Man sagte auch, er trüge ein Mieder, weil ihm eine Rippe fehle, die er bei einem Liebesabenteuer in Italien, durch einen ungeschickten Sprung aus dem Fenster eingebüßt hätte. Er hinkte auf dem linken Fuß; auch von diesem sagte man, daß er künstlich sei, und daß man ihm den richtigen bei einem anderen Abenteuer in Paris gebrochen hätte; der gebrochene Fuß sei alsdann durch einen ganz besonderen, neuen, korkartigen ersetzt worden. Aber schließlich, was wird nicht alles erzählt? Unbestreitbar wahr jedoch blieb es, daß sein rechtes Auge ein Glasauge, wenn auch ein sehr geschickt nachgemachtes, war. Die Zähne bestanden auch aus irgendeiner Art Masse. Ganze Tage lang wusch er sich mit verschiedenen patentierten Mitteln, parfümierte und pomadisierte sich. Man erinnerte sich jedoch daran, daß der Fürst schon zu jener Zeit anfing, auffällig zu altern und unausstehlich geschwätzig zu werden. Alles deutete darauf hin, daß seine Karriere beendigt war. Alle wußten es, daß er keinen Kopeken mehr besaß. Und plötzlich, gerade zu jener Zeit, starb ganz unerwartet eine seiner nächsten Verwandten, eine außerordentlich alte Frau, welche in Paris lebte, und von der er auf keine Weise eine Erbschaft hatte erwarten können. Einen Monat vor ihrem Tode hatte sie ihren rechtmäßigen Erben beerdigt. Auf diese Weise erbte der Fürst völlig unerwartet ihr ganzes Vermögen: Viertausend Leibeigene samt einem prachtvollen Gut, genau sechzig Werst von Mordassoff entfernt. Er fuhr daraufhin sofort nach Petersburg, um seine Angelegenheiten zu ordnen. Zu seinem Abschied veranstalteten unsere Damen gemeinsam ein glänzendes Diner. Man entsann sich, daß der Fürst bei diesem letzten Festessen in der liebenswürdigsten Laune war, Kalauer machte, alle zum Lachen brachte, die ungewöhnlichsten Anekdoten erzählte und allen versprach, in kürzester Zeit nach Duchanowo (seinem neuerworbenen Gut) zu ziehen; er versicherte, daß nach seiner Rückkehr bei ihm ununterbrochen Feste, Picknicks, Bälle und Feuerwerke veranstaltet werden würden. Durch ein ganzes Jahr nach seiner Abreise redeten die Damen von diesen ihnen versprochenen Festen und erwarteten ihren lieben Greis mit ungeheurer Ungeduld. Inzwischen jedoch wurden Ausflüge nach Duchanowo veranstaltet, wo sich ein altertümliches Gutshaus befand, ein Garten mit zu Löwen zurechtgestutzten Akazien, mit aufgeworfenen Hügeln, mit Teichen, auf denen Boote schaukelten, mit aus Holz geschnitzten Türken, die auf Schalmeien bliesen, mit Lauben und Pavillons, mit Monplaisirs und anderen Scherzen.

Endlich kehrte der Fürst zurück, jedoch zum größten Erstaunen und zur tiefsten Enttäuschung aller, berührte er Mordassoff nicht einmal auf seiner Durchreise, sondern vergrub sich sofort in Duchanowo als absoluter Einsiedler. Es tauchten die sonderbarsten Gerüchte auf, und überhaupt begann seit dem die Lebensgeschichte des Fürsten ganz schleierhaft und phantastisch zu werden. Erstens wurde behauptet, daß in Petersburg nicht alles nach Wunsch gegangen sei, daß einige seiner Verwandten (die zukünftigen Erben) den Fürsten wegen seines Schwachsinns unter Kuratell setzen wollten, wahrscheinlich aus Furcht, er möchte auch das Ererbte wieder alles durchbringen. Nicht genug mit dem: einige fügten sogar hinzu, daß man ihn in ein Irrenhaus hatte stecken wollen, daß jedoch einer seiner Verwandten, ein sehr vornehmer Herr, sich für ihn eingesetzt hätte und allen übrigen deutlich genug bewiesen habe, daß der arme Fürst, der doch schon zu einer Hälfte tot und zur anderen künstlich sei, aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso bald sterben würde, und daß dann das Gut ihnen ohnehin zufiele, auch ohne Irrenhaus. Doch ich wiederhole nochmals: was wird nicht alles erzählt, besonders bei uns in Mordassoff? Alles dieses, behauptete man, hätte den Fürsten so sehr erschreckt, daß er sich von Grund aus verändert hätte und ein absoluter Einsiedler geworden sei. Einige Einwohner von Mordassoff fuhren doch noch aus Neugierde nach Duchanowo, um dem Fürsten zu gratulieren; sie wurden jedoch entweder gar nicht empfangen oder auf sehr sonderbare Weise. Der Fürst erkannte nicht einmal seine früheren Bekannten. Man behauptete allerdings, er wolle sie nicht erkennen. Auch der Gouverneur fuhr hin. Er kehrte jedoch mit der Nachricht zurück, daß der Fürst, seiner Meinung nach, wirklich etwas gestört sei und machte nachher immer ein verdrießliches Gesicht, wenn er sich an seinen Besuch in Duchanowo erinnerte.

Die Damen waren tief empört. Endlich brachte man eine außerordentlich wichtige Sache in Erfahrung, und zwar: der Fürst sei ganz in die Fänge einer ganz unbekannten Frauensperson, namens Stepanida Matwejewna, geraten, die mit ihm aus Petersburg gekommen sei; sie war dick und ältlich, trug Kattunkleider und verwaltete das gesamte Eigentum des Fürsten. Der Fürst folgte ihr in allem wie ein Kind und wagte keinen Schritt mehr ohne ihre Erlaubnis zu tun. Man behauptete, daß sie ihn sogar eigenhändig wasche, ihn verwöhne und hätschele wie ein kleines Kind. Sie sei es auch, die ihn von allen Besuchen fernhalte, im besonderen von den Verwandten, welche es allmählich versucht hätten, Erkundigungsfahrten nach Duchanowo zu unternehmen. In Mordassoff wurde viel von diesem Verhältnis geredet, besonders seitens der Damen. Zu dem allen wurde noch erzählt, daß Stepanida Matwejewna unumschränkt und eigenmächtig das ganze Gut des Fürsten verwalte, die Verwalter, Angestellten und das ganze Personal anstelle und entlasse und die Einkünfte in Empfang nehme; jedoch sei ihr Regiment ein gutes, so daß die Bauern ihr Schicksal segneten. Was den Fürsten selbst anbeträfe, so hatte man in Erfahrung gebracht, daß er seine Tage nur bei der Toilette verbringe, Perücken und Fräcke anprobiere; die restliche Zeit brächte er mit Stepanida Matwejewna hin, spiele mit ihr Karten, lege Patiencen aus, und reite von Zeit zu Zeit auf einer frommen englischen Stute, wobei ihn Stepanida Matwejewna stets in einem geschlossenen Wagen begleite, für jeden Fall, denn der Fürst ritt mehr aus Eitelkeit, obwohl er sich kaum noch im Sattel halten konnte. Man hatte ihn auch dazwischen zu Fuß ausgehen sehen, in einen Mantel gehüllt und mit einem breitkrämpigen Strohhut auf dem Kopf, um den Hals ein rosafarbenes Damenhalstuch und im Auge ein Monokel; er trug ein geflochtenes Körbchen am Arm, um Pilze, Blumen und Kornblümchen zu sammeln; Stepanida Matwejewna begleitete ihn auch dabei ständig, und zwei Lakaien folgten ihnen, sowie (für jeden Fall) ein Wagen. Wenn ihm aber ein Bauer begegnete und, zur Seite tretend, seine Mütze zog und tief mit den Worten grüßte: »Guten Tag, Väterchen Fürst; guten Tag, Euer Gnaden, unser Sonnenscheinchen« – so richtete der Fürst sofort seine Lorgnette auf ihn, huldvoll nickend und dabei freundlich wiederholend: »Bonjour, mon ami, bonjour!« Viele solche Gerüchte kreisten in Mordassoff; es wollte nicht gelingen, den Fürsten zu vergessen, denn er lebte doch in so naher Nachbarschaft.

Wie war nun das Erstaunen groß, als eines schönen Tages sich die Mähr verbreitete, daß der Fürst, dieser Sonderling und Einsiedler, wahr und wahrhaftig in eigener Person nach Mordassoff gekommen und bei Marja Alexandrowna abgestiegen sei. Alles geriet nun in die größte Aufregung, alle erwarteten eine Erklärung, alle fragten einander: ›Was hat das zu bedeuten?‹ Manche rüsteten sich schon zu einem Besuch bei Marja Alexandrowna. Für alle war die Ankunft des Fürsten ein reines Wunder. Die Damen tauschten Briefchen aus, beabsichtigten Besuche zu machen, schickten ihre Dienstmädchen und Gatten auf Erkundigungen aus. Besonders verwunderlich erschien es allen, warum der Fürst ausgerechnet bei Marja Alexandrowna abgestiegen sei und nicht ebensogut bei jemandem anderen? Besonders gekränkt war Anna Nikolajewna Antipowa, die auf irgendeine Weise mit dem Fürsten ganz entfernt verwandt war.

Aber um alle diese Fragen beantworten zu können, muß man Marja Alexandrowna selbst aufsuchen, und wir bitten nun auch den geneigten Leser, uns dahin zu folgen. Denn obwohl es erst zehn Uhr früh ist, bin ich doch überzeugt, daß sie sich nicht weigern wird, ihre guten Bekannten zu empfangen. Auf jeden Fall wird sie uns bestimmt nicht die Türe weisen.


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