Hans Dominik
König Laurins Mantel
Hans Dominik

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»Que há, porco!« rief der Sergeant Arvore einem baumlangen Trainsoldaten zu, der, die Hände in den Taschen, müßig zuschaute, wie der Sergeant mit zwei Leuten sich mühte, ein Lastauto mit Kisten und Körben zu beladen.

Der Angeredete nahm lässig die kurze Pfeife aus dem Munde, deutete auf seinen Kraftwagen, der unweit des Depots hielt.

Der Sergeant schüttelte grinsend den Kopf. »Keine Angst, Freundchen! Der Wagen läuft dir nicht weg! 's ist nur, um dir die Langeweile zu vertreiben, wenn du hier deine faulen Knochen bewegen kannst! Hier, faß an!«

Mürrisch gehorchte der Soldat. Er schwang die schwere Kiste über die Schulter, als wäre sie gewichtslos, warf sie krachend auf den Wagen.

»Que há bife!« fluchte der Sergeant. »Langsam mit den schönen Sachen, sonst gibt's ein Donnerwetter bei den Herren da hinten in Villa Bella.«

Er wandte sich den beiden anderen zu, die inzwischen neue Vorräte aus den Depots geholt hatten. »Schnell, Ribeiro! In einer halben Stunde mußt du spätestens in Villa Bella sein! Sobald du abgeladen hast, kommst du zurück, fährst dann als zweite Tour nach der anderen Station in Dados Fort. Verflucht, daß man mir so wenig Leute gelassen hat! Der Teufel soll den Kram holen! Die ganze Nacht wird vergehen, ehe alle Lebensmitteltransporte an Ort und Stelle sind. – Du fährst allein, Ribeiro! Ich kann Aves nicht entbehren. Wirst den Weg ja auch bei Nacht finden. Für den Notfall hast du die Karte bei dir.«

»Werde schon zurechtkommen, Sergeant! Hab' die Fahrt bei Tage oft gemacht.«

Während der Fahrer sich mit dem Lastauto zu schaffen machte, schritt Arvore nach dem Depot, schrie im Vorbeigehen dem gezwungenen Helfer zu: »Scher dich zu deinem Wagen! Brauche dich nicht mehr!« – –

Ribeiro mochte mit seinem Lastkraftwagen wohl die Hälfte seines Weges zurückgelegt haben, als er vor sich ein Auto halten sah, das anscheinend eine Panne hatte.

Mitten auf der Straße stand der Fahrer und hob die Hand: »Hallo! Halt an! Hast du Stoff zur Aushilfe?«

»Ah!« grunzte Ribeiro vor sich hin. »Du langes Laster hast uns vorhin geholfen. Will ich dir jetzt helfen.«

Er sprang vom Wagen, trat zu dem anderen . . . Doch da! Was – –?

Ribeiro konnte nicht weiterdenken. Zwei Hände legten sich wie ein Schraubstock um seine Kehle, drückten sie zusammen, daß ihm die Besinnung schwand. Von allem Weiteren – daß seine Hände und Füße gefesselt wurden, daß ein Knebel seinen Mund verschloß – spürte er nichts mehr.

Was nun geschah, vollzog sich in Sekundenschnelle. Der Trainsoldat packte Ribeiro um den Leib, warf ihn in den Personenwagen. Der Motor sprang an. Kaum hundert Meter weiter, wo die Straße sich scharf nach Süden wendete, brach der Wagen in das leichte Gebüsch. Soweit die Bäume es gestatteten, ließ der Lange ihn fahren, bis ein umgestürzter Stamm den Weg versperrte.

»Na schön – es wird genügen! So bald finden sie ihn hier nicht. Gut, daß der Kerl kein Zwerg ist! Mit einiger Mühe werde ich schon in seine Kluft passen. Gracias, Santa Maria! Sie paßt!«

Barradas hatte dem Besinnungslosen die Fesseln gelöst, ihm den Rock abgestreift, den er sich selbst überzog. Auch die Mütze paßte einigermaßen.

»Adens! Passe muito bem!«

Mit ein paar Sprüngen war Barradas auf der Straße, rannte zu dem Lastwagen zurück. Er wollte eben anfahren, da hielt er den Atem an. Geräusch hinter ihm? Er horchte angestrengt. Nein, eine Täuschung! Der Lärm wurde schwächer, verlor sich. Er schaute auf die Uhr.

»Eine Stunde noch! Bis hierher hat Santa Maria geholfen. Möge sie weiterhelfen!« – – –

»Que há bife!« fluchte der Lastwagenchauffeur, der seine Ladung in Villa Bella abgeladen hatte und jetzt zurückfahren wollte. »Spürte doch schon bei der Hinfahrt, daß die verfluchte Welle einen Knacks hatte!«

Er wandte sich zu den Soldaten der Wache, die gaffend seinen Wagen umstanden. »Mag einer dem Depot melden, daß der Motor kaputt ist. Ich kann heute nicht mehr zurückkommen!«

»Wird besorgt!« rief eine Stimme zurück, während der Soldat sich langsam entfernte.

»Kommst du mit uns, Kamerad?« fragte einer der anderen.

»Danke dir, mein Junge. Nein! Ich bleib' hier im Freien. Leg' mich unter die Plane. Die Nacht ist ja nicht kalt.«

»Com todo o gosto! Wie du willst!«

Der Kommandant des Wachtpostens in Villa Bella ergriff den Telephonhörer, lauschte eine Weile, hing ihn dann wieder an, sprach zu einem anderen Offizier: »Ein Munitionstransport wird in einer halben Stunde hier vorbeikommen. Befehl an die Wachen: Strengste Aufmerksamkeit. Der Transportdampfer wird von zwei Torpedobooten eskortiert.«

Der Offizier ging zu einem anderen Fernsprecher, gab den Befehl an die Postenführer seines Kanalabschnitts weiter. – – – –

Ein Torpedoboot vor sich, eins hinter sich, näherte sich die »Stella« in langsamer Fahrt Obidos. Der Kapitän stand auf der Brücke, der Erste und Zweite Wachthabende neben ihm. Unterhalb der Kommandobrücke machten die Posten ihren Rundgang an der Reling entlang.

»Blödsinnige Befehle!« sagte der Erste zum Zweiten Offizier. »Was soll der ganze Unfug? Torpedoboote hinten und vorn – Marinesoldaten an Bord. Bilden die da oben sich etwa ein, Kapitän Wildrake spuke hier? Wär' ja gelacht! Der wird sich hüten. Und wenn er – –«

Der Sprecher hielt inne. Er blickte ins Wasser.

»Was ist das?« Seine Hände umklammerten den Arm des Kameraden.

Eine Kiste – etwa hundert Meter vor ihnen – näherte sich dem Bug des Schiffes mit großer Geschwindigkeit. Noch ehe sie dem schwimmenden Körper ausweichen konnten, erreichte sie den Schiffsrumpf, prallte auf.

Ein kurzer, scharfer Knall . . . dann ein Schlag, als bräche ein Vulkan aus der Sohle des Flußbettes . . .

Der Schrei der drei Offiziere verhallte im krachenden Donner der Explosion, die wie eine Eruption wirkte. Teile des Flußbettes wurden mit ungeheueren Wassermassen vermischt, turmhoch in die Luft geschleudert. Dazwischen in tollen Wirbeln Trümmer der »Stella« und ihrer Begleitboote. – –

Kaum daß die verderbenbringende Kiste von ihm zur Sprengung gekommen, war Barradas in rasendem Lauf vom Bergrand landeinwärts gestürmt. Schon traf der erste Donner an sein Ohr. Er wandte mechanisch den Kopf. Da wirbelte der Luftdruck ihn herum, schleuderte ihn zu Boden. Die Sinne drohten ihm zu schwinden.

»Santa Maria, hilf!«

Mit Aufgebot aller Kräfte raffte er sich hoch, keuchte weiter. Doch kaum hatte er hundert Meter zurückgelegt, da begann die Erde unter ihm zu wanken. Er taumelte, fiel . . . versuchte vergeblich, sich aufzurichten.

»Gott sei meiner Seele gnädig!« stammelte er aus ächzender Brust.

Da, hinter ihm, neues Grauen: ein Knirschen und Dröhnen, als stürze die Welt zusammen. Der Boden unter ihm geriet in Bewegung, schob sich zurück zu einem klaffenden Spalt, der den Erdboden zerbrach.

Was jetzt folgte: Sturz unendlicher Massen in den Fluß – – – Weltuntergang, dachte er noch. Und dann nichts mehr.

*

Der politische Seismograph verzeichnete die Ausläufer des erdbebenartigen Ereignisses auf dem Amazonas in den fernsten Teilen des Erdballs. Diese wichtigste Verkehrsstraße Brasiliens auf lange Zeit gesperrt! Eine vollständige politische und wirtschaftliche Umstellung des Landes unvermeidbar, seine Kräfte stark gelähmt.

In der Regierungsstadt Brasilia Tag und Nacht ein ununterbrochenes Gehen und Kommen. Das Parlament in Permanenz, der Pressechef am Ende seiner Kräfte. Ein Teil der Zeitungen erschien, wie damals im Kriege beim Brande Bahias, mit breitem Trauerrand. Im ganzen Land nur ein Schrei: Wer war der Täter?

Fast immer die Antwort der brasilianischen Superlativredakteure: Robert Wildrake! Der größte Schänder menschlichen Kulturwerks seit Herostrat! Wildrake, der Venezuelaner!

Alle Zeitungen strotzend von wütenden Angriffen auf die Regierung Venezuelas. Eine allgemeine Hetze setzte ein gegen das unglückliche Nachbarland, das, im Kriege besiegt, nur mit Mühe den Frieden innerhalb der eigenen Grenzen aufrechterhalten konnte.

Die Regierung in Caracas machte die verzweifeltsten Anstrengungen, sich von dem Verdacht einer Verbindung mit Wildrake zu reinigen. Man wollte ihr nicht glauben. Wenn die Unionsregierung noch zögerte, unter dem Druck der öffentlichen Meinung die Feindseligkeiten wiederaufzunehmen, so war besonders der Umstand daran schuld, daß irgendwelche greifbare Beweise, Robert Wildrake habe die Explosion der »Stella« veranlaßt, nicht zu erbringen waren.

Es schien ja, wie besonders in neutralen Blättern hervorgehoben wurde, nicht ausgeschlossen, daß die Explosion durch irgendeinen unglücklichen Zufall in der Ladung selbst entstanden war.

Da kam eine Funknachricht von dem französischen Dampfer »Hirondelle«, die das Dunkel, das über der Katastrophe im Amazonas lastete, aufhellte. Der französische Dampfer, auf der Fahrt von Hawai nach Rio de Janeiro, empfing am sechzehnten, abends elf Uhr, folgendes Telegramm:

»Hier Kapitän Robert Wildrake. Ich erkläre auf mein Wort, daß ich an dem Angriff auf den Munitionsdampfer ›Stella‹ keinen Teil habe. Dieses kühne Stück ist von meinem Freund, dem früheren venezuelischen Oberleutnant Antonio Barradas, ganz allein in folgender Weise ausgeführt worden.«

Die Welt verhielt den Atem.

Barradas, durch Gewaltstreich im Besitz von Paß und Uniform eines brasilianischen Trainsoldaten – einen Kraftwagen weggenommen, mit gefälschtem Auftrag zu einem Depot gekommen – den Chauffeur eines Lastautos, der Lebensmittel zu einer Wachtkompanie nach Obidos zu bringen hatte, heruntergeholt, geknebelt, der Uniform beraubt – dann zur Wachtkaserne in Villa Bella gefahren, Motordefekt vorgetäuscht – die Nacht dort geblieben – zwei Patrouillengänger am Rande des Hanges niedergeschlagen – vor Passieren der »Stella« die mitgeführte Bombe auf der Mitte des Flusses verankert, dann elektrisch ausgelöst.

Die Bombe. Fünfzig Pfund brisantesten Sprengstoffs in einer Stahlhülle – Die Kugel von starken Pneumatikwülsten umhüllt – im Augenblick, als die »Stella« nahte, vom Land aus zur Explosion gebracht.

Der kühne Held auf der Flucht in das Unheil der stürzenden Erdmassen gerissen – nach tagelanger Bewußtlosigkeit in einem brasilianischen Militärlazarett wieder erwacht – in der folgenden Nacht trotz ernster Verletzungen entflohen. – Und nun in Sicherheit.

Das alles in Schlagzeilen zwischen dem ausführlichen Bericht, wie ihn die brasilianischen Zeitungen nach dem Telegramm der »Hirondelle« brachten. Die Schlußworte dieser Radiodepesche Wildrakes veröffentlichten nur die wenigen Blätter:

»Ebenso wie ich meinen Freund Barradas zu dem von ihm allein ersonnenen, von ihm allein durchgeführten Heldenstück beglückwünsche, beneide ich ihn darum. Wenn ich den Hergang dieser Tat bekanntgebe, so tue ich es, um dem Ehre und Ruhm zu geben, der sie verdient!«

In das peinliche Schweigen der brasilianischen Presse schlug das Höllengelächter der Welt. Das eine war sicher: Der Name Barradas würde so bald nicht aus der Geschichte des Amazonas verschwinden, eine spätere Zeit würde das Urteil fällen.

Vorläufig stand alle Welt unter dem Banne des ungeheuren Geschehnisses. Sachverständige schätzten die Zeit, um den Fluß wieder fahrbar zu machen, auf wenigstens sechs Monate. Und während noch die dunklen Rauchwolken der Explosion wie ein Fanal am Himmel standen, vollzogen sich die Ereignisse, die, schon längst erwartet, losbrechen mußten – –

Die venezuelische Regierung gestürzt! Oberst Guerrero zum Diktator ernannt!

In der auf die Katastrophe folgenden Nacht war Oberst Guerrero im Flugzeug mit wenigen Getreuen nach Caracas gekommen, wo die Truppen sofort zu ihm übergingen. Die Regierungsmitglieder wurden verhaftet, sämtliche Amtsgebäude besetzt. Am nächsten Morgen verkündeten Maueranschläge den Bewohnern, daß Guerrero von der neuen Regierung zum Präsidenten mit unbeschränkten Vollmachten ernannt sei.

Das ganze Land, geführt von der Presse, begrüßte den Umschwung der Dinge mit Freuden. Überall in den großen Städten Volksmeetings, in denen man in begeisterten Resolutionen dafür eintrat, den Kampf gegen Brasilien mit allen Kräften fortzusetzen. Von überallher aus dem Lande liefen Petitionen ein, Wildrake und seine Kameraden unverzüglich zurückzurufen.

Die Antwort Guerreros war Kündigung des Waffenstillstandes mit vierundzwanzigstündiger Frist. Der Dank Wildrakes bestand in einem Überfall auf das vor Bahia liegende brasilianische Panzergeschwader, dem er durch Bewerfen mit riesigen Lufttorpedos schwersten Schaden zufügte.

In allen Teilen Brasiliens dasselbe Bild wie ein Jahr früher bei Kriegsausbruch: Die während der Friedensverhandlungen in immer größerem Maße erfolgten Entlassungen der Reserven und Leichtverwundeten wurden rückgängig gemacht, alle Entlassenen aufs neue zu den Fahnen gerufen.

Doch diese zweite Einberufung vollzog sich nicht so reibungslos wie die erste. Die Mannschaften, nach den Schrecken des ersten Feldzuges froh, wieder im Kreise ihrer Angehörigen, im alten Wirkungsbereich die Freuden des Friedens zu genießen, mußten teilweise mit Gewalt zu den Fahnen geholt werden. Beim Abgang von Transporten zur Grenze kam es zu Meutereien. Die scharfe Zensur verhinderte zwar, daß über all dies in der Presse berichtet wurde, doch konnte die Wahrheit auf die Dauer nicht verborgen bleiben. In- und ausländische Radiomeldungen sorgten dafür.

Nahm man noch dazu, daß die Nachrichten von den neuen Kriegsschauplätzen wenig erfreulich klangen, so konnte man verstehen, daß allenthalben im Lande, wenn auch einstweilen noch schwache, Rufe nach Frieden erklangen.

Die Presse kämpfte in wütenden Ausfällen gegen diese Friedenswünsche, die in den verschiedensten regierungstreuen Zeitungen aufzutauchen begannen. Würde doch der Kampf in kurzer Zeit beendet werden – die Niederwerfung von ganz Venezuela nur eine Frage von wenigen Wochen sein.

Da aber kamen neue Meldungen von den Fronten. Hiobsposten, die all die Renommistereien Lügen straften.

In Venezuela hatten die Brasilianer eine schwere Niederlage erlitten. Der General Garcia Cubas war in überraschendem Angriff weit über den Ventuarifluß vorgestoßen. Die schwachen brasilianischen Kräfte teilweise ins Gebirge gedrängt, teilweise auf Esmeralda zurückgewichen. Auf dem Rückzug mußte eine Menge Kriegsmaterial im Stiche gelassen werden – für die ständig vordringenden venezuelischen Truppen ein unschätzbarer Vorteil: waren doch die Eisenbahnen von den Brasilianern gesprengt, so daß der Nachschub von Munition und Lebensmitteln stark erschwert war, besonders jedoch durch den unpassierbaren Amazonas.

In Esmeralda hatte die brasilianische Heeresleitung in aller Eile eine Auffangstellung vorbereitet, um die Bereitstellungen riesiger Vorräte an Kriegsmaterial und Lebensmitteln in der Sierra de Unturan zu schützen. Der Verlust dieser auf engem Raum konzentrierten Heeresvorräte mußte für die brasilianische Kriegsführung verhängnisvoll werden. Alle verfügbaren Kräfte wurden deshalb in Esmeralda zusammengezogen.

Da machte eine einzige Nacht alle Pläne der Heeresleitung zuschanden; ein Sturm fuhr heulend über die Bereitstellungen. Plötzlich Alarm: Feindliche Flugzeuge im Anflug. Angriff – –!

Die allgemeine Verwirrung wurde durch diesen plötzlichen Überfall aufs höchste gesteigert. Trotz allergrößter Anstrengungen gelang es nicht, Depots und Magazine zu retten. Als die riesigen Munitionsmengen und Öltanks, die hier lagerten, explodierten, entlud sich die Panik in einem wilden Chaos. Die Truppen entglitten der Hand ihrer Kommandeure und strömten in fluchtartigem Rückzug gen Süden. – – –

Um Esmeralda kämpften in stundenlangem, erbittertem Ringen Brasilianer und Venezueler. Die zahlenmäßig schwächeren Venezueler rannten immer wieder vergeblich gegen die festen Stellungen der Feinde an. General Cubas wollte verzweifelt den Befehl zum Einhalten geben – – Da! Was war das? . . . Von Süden her in weiter Entfernung Kanonendonner, als wäre da stärkster Kampf im Gang.

Derselbe Gedanke auch bei den Brasilianern. Unwillkürlich aller Augen südwärts gerichtet: Rasendes Geschützfeuer dort? Hinter uns? Der Feind schon in unserem Rücken? Wir abgeschnitten? Von Mund zu Mund pflanzten sich die ängstlichen Rufe fort. Der brasilianische Führer selbst schwankend. Keine Antwort, weder durch Draht noch durch Funk vom Oberkommando.

Ehe man den Irrtum erkannt – keine Schlacht, nur Explosionen von Kriegsmaterial, wie die Art des Schalls verriet –, waren kostbare Minuten verstrichen, währenddes die Befehlsausgabe stockte. Diese kurze Spanne wurde verhängnisvoll. Die Unterführer unsicher, der gemeine Mann instinktiv Unheil witternd –: Die Front begann abzubröckeln.

Zu spät der Versuch, durch energische Maßnahmen die Truppen wieder in die Hand zu bekommen. Noch ehe neuer Widerstand vorbereitet werden konnte, ließ General Cubas seine Truppen zum Angriff übergehen. Zehnmal vorstürmend, zehnmal zurückgeworfen, drangen die Tapferen jetzt mit unwiderstehlicher Kraft in die schwankenden Reihen der Brasilianer ein. – – –

Die aufsteigende Sonne sah die brasilianischen Stellungen geräumt, Esmeralda im Besitz der Venezueler. Auf dem blutig errungenen Boden, wo sie gekämpft, lagen die ermatteten venezuelischen Truppen in tiefem Schlaf. Unmöglich für General Cubas, den fliehenden Feind weiterhin nach Süden zu verfolgen.

Da, ein Schrei der weit vorgeschobenen Posten! Übergreifend auf die Masse der müden Sieger, sie aus dem Schlaf reißend!

»Kapitän Wildrake! . . . Die ›Venezuela libre‹!«

Taumelnd sprangen sie auf, blickten zum Himmel. In den Strahlen der Morgensonne glitzerte der schimmernde Bau der »Venezuela libre«, die jetzt tiefer herabging, mitten zwischen den Stellungslinien aufsetzte.

Und als habe nur ihr Anblick genügt, allen die Augen zu öffnen über das, was in der Nacht geschehen, brach Begeisterung los.

»Wildrake, der Helfer! Wildrake, der Retter!«

Ein Schrei aus tausend Kehlen. Minutenlang alle Bande der Disziplin zerrissen. Ging's doch wie ein Lauffeuer durch die Reihen: Alle brasilianischen Munitionsdepots und Magazine in die Luft geflogen! Die brasilianischen Divisionen in jäher Flucht der Grenze zu!

Unmöglich für Wildrake und seine Genossen, das Flugzeug zu verlassen. Eine Mauer von Menschenleibern drängte gegen den Schiffsrumpf, sperrte den Ausgang.

. . . bis die hohe Gestalt des Kommandanten sich einen Weg durch die Mauer brach, den Eingang freimachte. Wildrake sprang die Stufen hinab, den tausend Armen, die sich nach ihm streckten, entgegen, die ihn emporhoben, im Jubelsturm ihn den anderen zeigten . . .

So betrat Robert Wildrake wieder venezuelischen Boden.

*

»Don Antonio!« Die Hand Marias strich Barradas, der im Schatten eines Baumes lag, zag über das Gesicht. Sah sie es nicht, so fühlte sie es doch, wie hager seine Wangen, wie tief seine Augen in den Höhlen lagen, wie hart die Falten um den Mund.

Trotz seiner Riesennatur hatte Barradas das furchtbare Ereignis am Amazonas nicht ohne schwere Folgen überstanden. Seine Flucht aus dem Lazarett . . . nur unter ungeheuersten Anstrengungen war es ihm gelungen, das Versteck, wo Alvarez mit dem Flugzeug ihn erwartete, zu erreichen. Kaum auf der Insel gelandet, war er in heftiges Fieber verfallen. Dank seiner kräftigen Konstitution hatte er das bald überstanden. Doch wurde er, so sehr er sich auch dagegen wehrte, von den Kameraden als halber Lazarettgast behandelt.

»Don Antonio!« Maria rief es mit lauter Stimme.

Barradas fuhr mit einem Ruck empor. »Santa Maria, Sie rufen mich? Was ist?«

Statt einer Antwort drückte ihm Maria einen Morsestreifen in die Hand. Hastig überflog Barradas die Worte.

»Sieg! Sieg!« Triumphierend schwang er den Streifen im Winde. »Sie fliehen, die Brasilianer, zur Grenze! Unser Captain wieder bei den Freunden. Ah! Wäre ich doch auch dabeigewesen!«

Auf Barradas' Rufen war Alvarez herbeigekommen. »Ein schöner Weckruf, Barradas! Ja, wären wir doch auch dabei gewesen!«

»Da kann es wohl nicht ausbleiben, daß wir die Insel bald verlassen und nach Venezuela zurückkehren?« rief Maria.

»Möglich wär's, Santa Maria«, antwortete Barradas. »Doch ich weiß nicht, ob Kapitän Wildrake ebenso denkt. Vergessen Sie nicht, daß wir hier unsere Station haben! Alles von hier fortbringen, drüben im Vaterland von neuem aufbauen – kostbare Tage würden darüber vergehen. Nun, Wildrake wird schon das Richtige treffen.«

»Und Droste?« warf Maria ein. »Wenn ihr's nicht sagt, so will ich's als Braut Wildrakes sagen. Was wären wir, wo blieben all die großen Erfolge, wäre nicht Droste unser Freund, der meinem Roberto erst die Waffen geschmiedet hat, mit denen er seine Taten verrichtet.«

Von der Station kam einer von der Mannschaft gelaufen. »Depesche aus Tabago, Señor Barradas! Truxtondampfer wartet auf die ›Susanna‹.«

»Gut, gut! Ich werde sofort den Kapitän des Dampfers anrufen.«

Barradas eilte zur Station.

»Ein Flieger, Barradas! Er nähert sich der Insel!« schrie Alvarez ihm von weitem zu. »Beende schnell das Gespräch – sonst peilt er uns vielleicht an!«

Barradas sprach hastig noch ein paar Worte, stellte den Apparat ab. »Wo ist er?«

Alvarez deutete nach Norden, wo hoch in den Lüften ein kleines Pünktchen sichtbar ward, das näher und näher kam.

»Du hast recht, Alvarez. Ein Flieger – er kommt von Norden. Wo will er hin? – Alle Mann zum Tarnen!« schrie Barradas über das offene Feld.

Im Nu war die übrige Mannschaft um ihn versammelt, eilte dann nach seiner Weisung zur Station und zu den Gebäuden. In kurzer Zeit waren die Bauten mit den Tarnplanen, die Droste vorsorglich bereitgestellt, überdeckt. Dann verbarg man sich in den nahen Büschen.

Barradas war mit Alvarez und Maria in die alte Wellblechhütte geflüchtet. Durch eine Fensterspalte beobachtete er den Flieger.

»Wahrhaftig! Der Bursche scheint unsere Insel zum Ziel zu haben. Jetzt steht er über uns still, schraubt sich langsam herab.«

»Zum Teufel! Wer könnte das sein?« fragte Alvarez.

»Ist's kein Brasilianer, was Gott gebe, dann dürfte es vielleicht Jean Renard sein. Wundert mich nur, was der alte Freibeuter hier will, wo er doch weiß, daß sein Geschäft drüben im Westen zu blühen verspricht. Ich möchte . . . Teufel!« Barradas fuhr zurück.

Alle hörten am Knattern der Motoren, daß der unbekannte Gast in kurzem Stoß zur Insel heruntergegangen war und dann blitzschnell zum Meer hin ausbog.

»Wir sind entdeckt, keine Frage!« rief Barradas. »Der Kerl hat Lunte gerochen, sonst wäre er gelandet. Kein anderer als Jean Renard kann es sein. Ich bin schuld, daß wir ihn damals entkommen ließen, als wir ihn auf frischer Tat ertappten. Jetzt – der Captain muß sofort benachrichtigt werden!«

»Doch was wird mit dem Truxtondampfer?« warf Alvarez ein.

Barradas zog die Stirn kraus, warf einen Blick nach Maria. »Auch das noch – gerade jetzt!«

»Aber Sie müssen doch fahren, Don Antonio!« rief Maria. »Der Kampf geht weiter. Robert wird die neue Sendung aus England dringend nötig haben. Was für Bedenken haben Sie?«

»Bedenken, Santa Maria? Soll ich Sie allein hier auf der Insel zurücklassen?«

»Gewiß, Don Antonio! Ist das nicht schon oft geschehen?«

»Gewiß! Aber wie ist's, wenn dieser verdächtige Flieger wiederkommt und landet? Sie mit Pablo allein, Santa Maria? Ich könnte es dem Captain gegenüber nicht verantworten, Sie einer solchen Gefahr auszusetzen.«

»Unnötige Sorge, Don Antonio! Wir haben ja das Versteck im Mangrovenwald, wo kein Fremder uns so leicht aufspürt. Unmöglich dürfen wir den Truxtondampfer warten lassen. Sie müssen fahren, und zwar sofort!«

Barradas verhandelte im Flüsterton mit Alvarez, wandte sich dann wieder an Maria. »Ich füge mich, Santa Maria. Doch die Fahrt wird mir schwer werden. Wolle Gott, daß ich bald zurück bin und alles wohlbehalten antreffe.« – –

Vier Tage schon war die »Susanna« fort. Pablo, der Indianerjunge, hatte währenddessen scharf Ausguck gehalten. Kein Schiff auf der See, kein Schiff im Äther war sichtbar geworden.

Eben hatte Barradas mit Maria einen Funkspruch getauscht. Binnen kurzem würde er wieder da sein. Die Insel war der Blinden im Laufe der Zeit so vertraut geworden, daß sie sich sicheren Fußes überallhin bewegte. Sie trat aus der alten Wellblechhütte, wo Pablo die Mahlzeit bereitete, ging zu dem neuen Haus, sich für ein Weilchen auszuruhen.

Kaum hatte sie sich in einen Korbstuhl gesetzt, da horchte sie auf. Ihr feingeschärftes Ohr vernahm den Klang von Schritten, fühlte an dem leichten Luftzug, wie die Tür zu ihrem Gemach sich leise öffnete. Mechanisch wandte sie den Kopf zur Tür. Da, ein eisiger Schreck fuhr durch ihre Glieder. Sie wollte einen Schrei ausstoßen, doch nur ein verworrenes Stammeln kam von ihren Lippen. Hastig strichen ihre Hände über die Augen. Das Bild blieb!

. . . Eine Sinnestäuschung? Da stand eine Gestalt, die ihr Blick deutlich sah. Ein Mensch? Nein, nur ein überirdisches, geisterhaftes Wesen konnte es sein. Blieb doch alles um die Erscheinung herum in dunkle Nacht gehüllt. In Angst und Entsetzen drohten ihr die Sinne zu schwinden. Mit einer letzten Anstrengung raffte sie sich auf.

»Wer bist du, fremder Mann? Was willst du von mir?«

Kaum war das letzte Wort verklungen, verschwand die Gestalt, als habe sie sich versteckt. Dann war sie wieder da.

»Sprich, du Mensch, oder – –«

Die Gestalt schrak zusammen, blieb aber stumm wie zuvor.

»Denkst du, ich sehe dich nicht, weil ich blind bin?! Ich sehe dich wohl! Meine Augen – alles umher in finsterer Nacht – doch dich schauen sie, als ob sie gesund wären. Du bist ein alter Mann. Klein – graues, wirres Haar um dein Haupt. Deine Züge sind verfallen. Du bist krank – der Todesbote ist dir begegnet!«

Ein Schauer schüttelte die Gestalt. Ungewollt stammelte der zitternde Mund: »Blendwerk und Trug! Keines Sterblichen Auge kann mich sehen! – Du, die Blinde?! Unmöglich, daß das Schicksal so meiner spotten könnte! Meine Kunst, mit Gesundheit und Leben erkauft, den Gesichtssinn der Menschen zu blenden, zu täuschen – – an den toten Augen einer Blinden sollte sie scheitern?«

»Du wehrst dich vergebens! Ich sehe dich – habe dich auch früher schon gesehen, oder Freunde, die dich kennen, beschrieben dich mir.«

Die Gestalt geriet ins Wanken. Wie in tiefster Erschütterung barg sie den Kopf in die Hände. Stand lange Zeit so.

»Warum scheust du dich vor mir?« klang Marias Stimme.

»Komm näher, reiche mir deine Hand! Ich weiß nicht, wer du bist. Nur das eine weiß ich: Ein Freund bist du uns!«

Unter dem bittenden Zwang der Worte trat der Fremde an Maria heran, nahm die dargebotene Hand.

Maria strich leise über seinen Arm, sein Gesicht. »Oh, wie schön ist es, das Bild eines Menschen, Gottes Ebenbild, wieder zu schauen nach so langer Entbehrung! Wie es möglich ist? Ich weiß es nicht. Bist du ein göttliches Wesen? Nein! Du bist ein Mensch wie ich, wie Robert Wildrake –!« Ihr Haupt sank mit wehem Seufzer zurück. »Ach, könnt' ich nur einmal noch Robert sehen, so wie jetzt dich!«

Die Gestalt trat an die Blinde heran, beugte sich nahe ihr zu, flüsterte gütige, tröstende Worte. Ein Freudenschein glitt über Marias Züge. In wohliger Müdigkeit schloß sie die Augen. –

Der Jubelschrei: »Die ›Venezuela libre‹ kommt!« weckte sie aus einem glücklichen Traum.

Pablo stürmte in das Gemach. »Gleich wird sie hier sein, Señorita! Und da hinten im Osten ist auch schon die ›Susanna‹ zu erkennen.«

Maria sprang hastig auf, wollte hinauseilen. Da blieb sie wie angewurzelt stehen, drehte sich suchend im Kreise. Eine Erinnerung tauchte in ihr auf.

»Pablo, bist du hier?«

Keine Antwort. Der junge Indio war schon zu der Mangrovenbucht geeilt, wo die »Venezuela libre« eben landete.

Maria stand zögernd. Tausend Gedanken durchstürmten ihr Hirn. Was war da alles gewesen? Wirklichkeit – oder nur Traum? Ihre blinden Augen hatten einen Menschen gesehen?!

Unmöglich! Und doch: Als der Fremde fortgegangen, hatte sie gespürt, wie er ein Papier in ihre Hand gedrückt. Jetzt erinnerte sie sich genau. Ihre Linke tastete nach der Rechten, die fest zusammengeballt war. Vorsichtig öffnete sie die Finger. Fast hätte sie einen Schrei ausgestoßen. Das Papier! Ja, da war es! Solange sie gelegen, hatten die Finger es krampfhaft umschlossen. Was mochte es sein –?

Von draußen her Wildrakes Stimme. »Maria! Wo bist du?«

Hastig steckte sie den Zettel in die Tasche, eilte hinaus. Nach ein paar Schritten lag sie in Wildrakes Armen. – –

Lange schon saßen sie in dem traulichen Gemach. Jeder wußte, wie begierig Maria war, recht viel erzählt zu bekommen von dem, was auf ihrer Fahrt geschehen. Und es gab ja heute soviel zu berichten! Doch Maria hörte anscheinend nur zerstreut zu.

Da klang von draußen der Ruf: »Die ›Susanna‹ wird gleich vor Anker gehen.«

Alle drängten ins Freie. Auch Wildrake und Droste, die neben Maria gesessen, waren aufgestanden, doch die Blinde hielt sie zurück.

»Bleibt! Es ist etwas geschehen.« Stoßweise kamen die Worte aus ihrem Munde. »Ein Fremder war hier bei mir, hat mit mir gesprochen.«

Erschrocken schauten die beiden auf Maria, die sich offenbar in tiefster Erregung befand.

»Nein! Ich bin nicht krank. Ich weiß, ihr glaubt, ich spräche im Fieber. Es ist so! Ein fremder Mann – ich habe ihn gesehen . . . gesehen!« Sie zwang sich ein Lachen ab. »Ja, Robert, meine Augen haben ihn gesehen! Alles umher war finstere Nacht. Aber den Mann, der hier bei mir war, den sah ich!«

Maria schob den Arm, den Wildrake um sie schlang, ungeduldig zur Seite. »Noch einmal! Ich bin klar bei Sinnen! Der Fremde hat auch mit mir gesprochen. Wer es war? Ja, wenn ich's wüßte! Und doch, er schien mir bekannt!«

In kurzen, abgerissenen Worten beschrieb sie das Bild des Fremden. Noch während sie sprach, wechselten Wildrake und Droste bedeutsame Blicke. Nur auf einen konnte die Schilderung passen: auf Dr. Arvelin. Doch wie sollte der hierhergekommen sein? Er saß ja in Winterloo. Oft hatten sie von ihm gesprochen, hatten sich wohl auch über sein Aussehen geäußert. Maria mußte geträumt haben. Im Traume war Arvelin ihr erschienen. So nur konnte es sein.

Wildrake wollte Maria sanft emporziehen. »Komm mit hinaus, Liebste! Es war nicht gut, daß du tagelang so einsam warst. Deine Nerven sind überreizt. Du hast einen schlimmen Traum gehabt.«

»Schlimmen Traum? Nein! War's ein Traum, dann war es ein schöner! Er sprach zu mir liebe, gute Worte. Ehe er mich verließ, strich er mir über die Augen, flüsterte in mein Ohr: Nicht lange, dann kommt der Tag, wo deine jetzt toten Augen wieder lebendig alle Schönheiten der Welt genießen . . . Oh, käme der Tag doch bald!«

Droste, bis ins Innerste betroffen, deckte die Hand über die Augen. Wildrake, tief erblaßt, schaute in banger Sorge auf Maria, die sich zitternd an ihn schmiegte.

Als fühle sie, was die beiden Männer gedacht, zog sie ihre Arme zurück, griff in die Tasche. »Ihr Ungläubigen! Ihr wollt, könnt mir nicht glauben? Ja, ich begreife es. Wie soll eine Blinde für kurze Zeit sehend geworden sein? Einen Menschen gar sehen, den – wie sprach er doch? – den keines Sterblichen Auge erblicken könne . . . Ein Geist müßte das sein, wähnt ihr wohl? Nein! Können Geister Botschaften bringen? Hier!« Sie riß den Zettel hervor. »Dies Stück Papier gab er mir in die Hand.«

In Hast nahm Wildrake es an sich. Und über seine Schulter starrte auch Droste auf das Blatt.

»Euer Aufenthalt auf der Insel ist verraten. Jean Renard hat eure Anwesenheit entdeckt. Er ist den Brasilianern in die Hände gefallen. In der Hoffnung, sein Leben zu retten, hat er Major Tejo das Geheimnis preisgegeben.«

Immer wieder lasen sie die Worte. Standen, mit verhaltenem Atem, wie betäubt.

»Nun, ihr schweigt? Ist die Botschaft so lang? Was schreibt der Fremde?«

Mit tonloser Stimme erklärte Wildrake ihr die wenigen Sätze.

»Ich wußte es ja!« Maria hob freudig die Arme. »Ein guter Freund, der uns warnen will. Und es ist ja auch wahr, was er von Jean Renard schreibt. Verzeih, Robert, in meiner Aufregung vergaß ich, dir zu erzählen, was vor ein paar Tagen hier geschah, kurz bevor Barradas mit der ›Susanna‹ nach Tabago fuhr.«

Eilig berichtete sie von dem Flieger, der zur Insel gekommen, dann nach Norden weitergeflogen sei.

»Barradas schwur darauf, es sei Jean Renard. Doch wie konnte der Fremde wissen, daß er uns verriet?«

Von draußen klangen Schritte. Barradas und Alvarez traten ein.

»Zur Stelle, Captain Wildrake! Die ›Susanna‹ glücklich wieder hier! Und Sie, Santa Maria, wie ist's Ihnen gegangen? Waren schwere Tage für mich – der Gedanke, daß Sie so allein hier – –«

Barradas hielt inne. Wildrake war auf ihn zugetreten, ergriff ihn am Arm, zog ihn hinaus. Als der Kapitän dann wieder zurückkam, hatte sich seine Erregung noch verstärkt.

»Es ist wahr, Droste: Renard war da, hat unseren Schlupfwinkel entdeckt! Daß er, von den Brasilianern gefangen, Tejo alles gestanden haben soll, wie hier auf dem Zettel steht – – welch rätselhaftes Wesen hat das geschrieben? Und wie kam es auf unsere Insel? Pablo versicherte hochheilig, niemand sei hiergewesen. Und doch, wie kam diese Botschaft zu uns?«

Wildrake wog den Zettel in der Hand, schaute zu Maria, zu Droste. »Welch Geheimnis, welch unergründliches Rätsel! Übernatürlich und jeder Erklärung spottend. Was sollen wir tun?«

»Du fragst noch, Roberto?« rief Maria. »Wir müssen fort! Alle! Heute noch. Es wäre vermessen, wollten wir den Rat des unbekannten Freundes mißachten.«

»Santa Maria hat recht!« warf Barradas ein. »Ganz einerlei, wie es sich mit dem Papier verhält – es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Jean Renard uns ausspioniert hat. Dem Burschen zu trauen, wäre leichtsinnig. Um Geld verkauft der seine Seele an des Teufels Großmutter. Auf die Dauer würde uns die Abgeschiedenheit hier sowieso nur lästig werden. Jetzt, wo das Vaterland wieder in vollem Kampfe mit den Brasilios steht, ist unser Platz an der Seite unserer Kameraden dort. Errichten wir in Venezuela unsere Station, sparen wir also den weiten Weg!«

»Wie steht's mit unserem Vorrat an Treibstoff?« forschte Droste.

»Übergenug!« antwortete Barradas. »Jedenfalls hält er so lange vor, bis unsere neue Station drüben in Gang gebracht ist.«

»Dann bin ich auch dafür«, sagte Droste.

»Und du, Robert?« fragte Maria.

Der stand noch eine Weile überlegend. »Ja – eigentlich spricht alles dafür, daß wir die Insel räumen.«

Maria legte ihre Hand auf seine Schulter. »Gut, Robert! Und wann soll es sein?«

»Nun, da ich mich entschlossen habe, sofort. Noch ehe der nächste Tag vergangen, werden wir das Eiland verlassen haben.« – – –

Als der folgende Morgen graute, war alles zur Abfahrt bereit. Die Ladung der »Susanna« war von der »Venezuela libre« übernommen. An ihrer Stelle hatte man die demontierte Tankstation im Bauch der »Susanna« verstaut. Nach kurzem Abschied ging das Motorschiff unter Barradas' Befehl nach Osten.

Es war Mittag geworden, als auch die »Venezuela libre« startfertig war. Da, im letzten Augenblick, eine unerwartete Verzögerung. Der umsichtige Droste hatte den Morgen benutzt, um sein Werk, die »Venezuela libre«, noch einmal in ihren wichtigsten Konstruktionsteilen zu überprüfen. Der Bau hatte in der kurzen Zeit so viele schwere Stürme und Kämpfe zu bestehen gehabt, daß es nicht zu verwundern gewesen, wenn hier und da eine kleine Nachbesserung notwendig geworden wäre. Doch zu Drostes Genugtuung zeigte sich, daß das Schiff in all seinen Teilen vollkommen in Ordnung war.

Um auch die Haut des U-Bootleibes zu untersuchen, mußte er in das Innere steigen. Zu seiner Überraschung entdeckte er am Boden in der Nähe des Kieles Wasser. Mit Hilfe von ein paar Leuten war die Ursache schnell gefunden. Einige eingebeulte Stellen wiesen feine Risse auf, durch die das Wasser in den Schiffskörper drang. Unzweifelhaft rührten die Beschädigungen von Sprengstücken her, die das Fahrzeug in dem Gefecht vor São Salvador getroffen hatten.

Der Schaden war zwar nicht bedenklich; aber was verschlug's, wenn die Abfahrt ein paar Stunden später stattfand?

Die Sonne hatte den Scheitelpunkt schon längst überschritten, als die Reparaturen beendet waren. Schnell eilte Droste zu dem alten Haus, wo die Freunde mit Maria saßen, in Gedanken versunken über den Abschied von dem Eiland, das ihnen allen so lieb geworden.

*

Zwei brasilianische Kreuzer, von Nordosten kommend, steuerten auf die Insel Santa Maria zu. Wohl zehn Seemeilen zurück ein großes Kriegsschiff, dem Aussehen nach ein Flugzeugmutterschiff.

Kapitän Vela vom Kreuzer »Carumba« stieg zur Brücke empor. »Der Teufel soll's holen! Noch immer nichts zu sehen von der geheimnisvollen Insel. Sollte der alte Schurke uns so an der Nase herumführen? Und fahren wir hier ins Endlose, ohne sie jemals zu finden?«

Der erste Offizier schüttelte den Kopf! »Kann's nicht glauben, Commodore! Jean Renard weiß gut genug, daß es um seinen Hals geht. Er wird damals das Besteck schlecht genommen haben. Wär's richtig, könnten wir nicht mehr als drei Seemeilen von der Insel entfernt sein. Müßten sie also bei der immer noch guten Sicht schon längst im Blickfeld haben.«

»Lassen Sie Jean Renard heraufkommen!« rief Vela einem Maaten zu. Kurz darauf wurde der alte Pirat zum Kommandanten auf die Brücke gebracht.

»Wir befinden uns in allernächster Nähe der für die Insel von dir angegebenen Position. Hier ist unser Besteck. Und deine Insel? Wo ist sie? Höchstens sechs Seemeilen entfernt, müßte sie doch zu sehen sein!«

Renard schaute auf das Besteck, ließ den Blick nach Süden gehen.

»Nun?!« schrie der Kommandant ihn an. »Willst du wohl antworten, du Schurke!«

»Das Besteck? Ich habe es richtig genommen«, murmelte Renard vor sich hin. »So genau, wie kaum jemals zuvor. Wußte ich doch, welch seltener Vogel da unten saß! Ein Fehler von mir?« Er schüttelte den Kopf.

»Du willst doch nicht etwa behaupten, unser Besteck sei falsch?« rief der erste Offizier. »Fehlt nur noch, daß du sagtest, ein Seebeben habe deine Insel verschlungen!«

Renard nahm zweifelnd den Sextanten, machte selbst eine Ortsaufnahme. Fuhr sich über die Augen. »Bin ich denn blind gewesen?«

»Betrunken wahrscheinlich, du alter Halunke! Phantasie ist alles, was du uns vorgeschwatzt hast! Aber laß dir gesagt sein: Haben wir bis morgen abend deine Insel nicht, dann kannst du sie vom Antennenmast mit einem Strick um den Hals suchen!«

Renard warf einen scheuen Blick in die Höhe, stand eine Weile überlegend. »Und sollt' ich auf der Stelle zur Hölle fahren, ich kann mich nicht geirrt haben! Mein ganzes Leben hab' ich auf der See gelegen. Habe niemals noch an Sonne oder Sternen vorbeigeschossen. Und das in allerhand Lagen, die ihr . . . hm – noch nie erlebt!«

»Hier müßte die Insel sein!« meldete der Wachtoffizier.

»Und wenn ich schon da oben hänge – noch mit dem letzten Atemzug wollte ich's beschwören: Hier lag – –«

Renards Worte verklangen in den Schreien, die von der Brücke – jetzt vom ganzen Schiff – jetzt auch vom Nachbarfahrzeug, der »Medusa«, gellten.

Ein Stoß – ein stampfendes, knirschendes Gleiten, als fahre man über eine Untiefe. Nun ein Brechen und Dröhnen, als zersplittere ein ganzer Wald im Wirbelsturm.

Die Fahrt, wie von unsichtbarer Hand gebremst, wurde langsam, immer langsamer. Ein letzter Ruck – und die Schiffe saßen fest.

Wohin das Auge sah, dichter Urwald ringsumher . . . Ging die Welt unter? Stürzte der Himmel ein?

Die beiden Kreuzer in das sumpfige Mangrovendickicht hineingejagt, festgekeilt. Um die Schiffe herum eine Wirrnis von zerbrochenen Ästen, gestürzten Baumriesen.

Jegliche Disziplin aufgelöst. Ein Toben, als rase eine Schar Wahnsinniger auf den Decks. Einige versuchten, von den Schiffen weg in die Baumkronen zu klettern, die von beiden Seiten her wie Bollwerke über der Reling lagen.

Alles übertönend aus den Trümmern der zusammengestürzten Kommandobrücke hervor der Schrei Jean Renards: »Die Insel! Ich hatte doch recht! Hier liegt sie!«

*

»Nun, hast du die wunde Seele der ›Venezuela libre‹ wieder zurechtgeflickt, Herr Dr. Droste?«

Der nickte mit vergnügtem Gesicht. »Das Schiff ist wieder seetüchtig. Waren ja nur kleine Schäden.«

»Bei Gott!« rief Wildrake, hielt Droste das Glas entgegen. »Ein Meisterwerk, die ›Venezuela libre‹! Trinken wir auf das Wohl unseres Freundes, ohne den all das, was wir erreicht, niemals möglich gewesen wäre!«

Alle leerten ihre Gläser. Da plötzlich! . . . Der eine sah den anderen an: So dunkel auf einmal um sie her? Droste zog die Uhr. Erst die sechste Nachmittagstunde?

»Fast vermutete ich eine Sonnenfinsternis«, murmelte er vor sich hin. »Doch nein! Die Sonne strahlt ja in voller Klarheit da hinten im Westen. Woher das Halblicht hier?«

Die anderen schauten kopfschüttelnd um sich. Droste trat aus dem Schatten des Brotfruchtbaumes auf die Sandfläche, wo er einen besseren Überblick nach Osten hatte. Da sah er jetzt eine mächtige, tiefschwarze Wand, die wie ein dunkler Vorhang über der See hing, jede Sicht nach Norden sperrte.

»Ein Hurrikan im Anzug?!«

Im Nu waren Wildrake und die anderen bei ihm. Auch sie schauten prüfend nach Norden.

»Kein Hurrikan, Droste!« sagte Wildrake. »Die scharfen Ränder der Wand widersprechen all meinen Erfahrungen.«

Das starre, finster drohende Gebilde stand unbeweglich im Äther. Das ungekannte, geheimnisvolle Naturereignis ließ sie erblassen, im Innern erzittern.

Da – die unheimliche Stille ward jäh unterbrochen von einem ohrenbetäubenden Krachen und Brechen. Keiner, der nicht in Schreckruck zusammengezuckt wäre. Als seien Riesenherden von Elefanten in den Mangrovenwald eingebrochen – ein Stampfen, Brausen, in das sich das Geprassel der stürzenden Stämme mischte.

Unwillkürlich wandte jeder den Fuß zur Flucht. Doch plötzlich wie von Zauberhand hinweggewischt, war die schwarze Wand verschwunden. Der Äther im Norden glänzte wieder im Schein der sinkenden Sonne.

Noch verharrten alle im Bann des gespenstischen Geschehens, da drang ein Gewirr von tobenden, schreienden Menschenstimmen durch den Mangrovenwald an ihr Ohr.

»Brasilianische Kommandos!« rief Wildrake. »Ich habe sie deutlich gehört! Was auch ist – schnell hier das Wichtigste zusammengerafft und damit zur ›Venezuela libre‹. Calleja und Pablo mögen währenddessen den Versuch machen, in den Mangrovenwald einzudringen, um festzustellen, was da geschah!«

Am Ankerplatz der »Venezuela libre« als erster angekommen, stieß Droste einen lauten Ruf aus. »Rasch! Rasch! Die Brasilianer sind über uns.« Er deutete, auf der vorspringenden Landzunge stehend, nach Osten. »Ein Flugzeugmutterschiff da drüben, von dem her eben ein paar Flieger auf die Insel zukommen!«

Im Augenblick waren alle an Bord der »Venezuela libre«, die flugbereit gemacht wurde. In drängender Ungeduld wartete man auf Callejas Rückkunft. Endlich! Da kam er mit Pablo in schnellem Lauf herbeigeeilt. Sie sprangen an Bord – wollten sprechen – da, ein mehrfacher Schrei!

Ein ganzes Geschwader von Flugzeugen stieß von dem Mutterschiff ab.

»Tauchen?« fragte Wildrake zweifelnd.

Droste schüttelte den Kopf. »Unmöglich! Sie haben uns schon gesehen. Nur in schnellem Fluge durch die Luft können wir uns retten.«

Und schon ließ er die Motoren anspringen. In raschester Fahrt schoß die »Venezuela libre« über die Meeresoberfläche dahin, hob sich dabei in die Höhe, stieg schneller und immer schneller.

»Kurs Osten!« schrie Wildrake Droste zu, eilte mit Calleja zu den Heckgeschützen der »Venezuela libre«. »Munition her!«

Da prasselten schon die Maschinengewehrkugeln der brasilianischen Flieger. Gleichzeitig ein Blitzen aus den Rohren des Mutterschiffs: ein paar Granaten schlugen unter ihnen in die See.

Mit fiebernden Händen hatten Wildrake und Calleja ihre Geschütze geladen, wollten eben abziehen, da . . .

Die Hände sanken tatlos zurück. Wie von Blindheit geschlagen, fuhren sie sich über die Augen. Was war das? . . . Nacht! Tiefdunkle Nacht um sie her! Aus allen Teilen des Flugschiffs Lärm und Geschrei, das sich in Freudenrufe verwandelte, als plötzlich überall die elektrischen Lampen aufflammten.

Wildrake stürmte auf die Brücke zu Droste. »Was geht hier vor?«

Droste hatte im Augenblick der Verfinsterung die automatische Steuerung angestellt, stand der Frage Wildrakes stumm gegenüber. Drückte dann sekundenlang wie überlegend die Hand vor die Augen. Mit ein paar Sprüngen war er an der Bordwand, riß das Fenster auf, schaute nach unten. Fuhr überrascht zurück.

»Das Meer! Ich sehe seinen Spiegel unter uns – doch so nachtgrau – –«

»Eine dunkle Wolke um uns, in die wir gestoßen sind?«

»Nein, das nicht!« Droste zog Wildrake zum Fenster.

»Ah! Die Dunkelheit weicht zurück! . . . Die Farbe des Wassers wird immer heller! Sieh dort! Ein Sonnenstrahl, der sich in den Wellen spiegelt!«

Droste hielt inne. Wildrake hatte mit der einen Hand seinen Arm gefaßt, die andere deutete rundum. War's doch, als würde eine undurchsichtige Glocke über ihren Häupten weggezogen.

Die Helligkeit ward stärker. Jetzt! Beide taumelten zurück. »Die Sonne! Da ist sie wieder!«

Ihr Augen hingen an dem rotglühenden Ball, der eben ins Meer tauchen wollte, schauten und schauten, als könnten sie sich nicht satt trinken an dem köstlichen Anblick.

Ein paar Rufe vom Heck der »Venezuela libre« ließen sie aufmerken. »Da sind sie wieder, die verfluchten Brasilianer!«

Wildrake und Droste wandten sich erschrocken um. Doch im Nu war alle Besorgnis geschwunden. Fern hinter ihnen, aus jeder Schußweite entrückt, glitten die brasilianischen Flugzeuge ratlos suchend durcheinander.

»Ah«, rief Wildrake lachend, »jetzt sehen sie uns, kommen hinter uns her! Haha! Das Vergnügen wird nicht lange dauern!« Er sah auf das Tachometer. »In wenigen Minuten bringen unsere starken Maschinen uns aus ihrer Sicht. Dann in weitem Bogen Kurs nach Westen. Kurs auf Venezuela, die Heimat!«

Aller Sorgen und Bängnis ledig, besprachen sie untereinander die rätselhaften, geheimnisvollen Ereignisse. Naturvorgänge?

Droste verneinte. »Was auf der Insel, dann auf der Fahrt geschah – es waren Augenblicke höchster Gefahr für uns, merkt es wohl! –, spottet jeder physikalischen Erklärung. War ich noch auf der Insel in Zweifel, wo uns eine undurchsichtige Wand vom Feinde trennte – jetzt die ebenso plötzlich gekommene wie verschwundene Nacht um uns, bis wir außer Schußweite waren . . . Ein dunkler, dem menschlichen Auge undurchdringlicher Mantel war um uns gebreitet . . . wie eine Tarnkappe über uns geworfen, die dann wieder weggerissen wurde von – –«.

Er hielt inne. Alle stumm, in äußerster Spannung. Was würde er jetzt sagen?

». . . von einem Wesen, dem geheimnisvolle Kraft eigen – märchenhaft, wie König Laurin sie besaß. – Ich vermesse mich nicht, einem Sterblichen solche Kraft beizulegen. Aber ein Freund war's jedenfalls, der uns in einem tarnenden Mantel der feindlichen Sicht entrückte.«

Die Umstehenden senkten den Kopf. Hier und da schlug einer in gläubigem Vertrauen das Kreuz über sich.

Die Stimme Marias unterbrach die Stille. »War's eines Sterblichen Macht, von Gott gegeben, so war's kein anderer als mein geheimnisvoller Gast, der alte, gute Mann, der, meinen blinden Augen sichtbar, zu mir kam, um uns zu warnen, uns beizustehen. Wer es auch sei, Gottes Segen über ihn! Hat er uns jetzt geholfen, wird er uns auch weiter helfen. Gott mit uns!«

*

Major Tejo hatte mit William Hogan in stundenlangem Gespräch gesessen. Er erhob sich jetzt, um sich zu verabschieden. Da trat ein Diener ein, brachte eine Karte.

»Ah, Senhor Torno ist's. Gut, daß Sie noch da sind, Herr Major! Nehmen Sie bitte wieder Platz! Es wäre mir erwünscht, wenn Sie bei meiner Unterhaltung mit dem Außenminister zugegen sind. Daß Sie bei dieser Gelegenheit erfahren werden, was man soeben im Ministerrat beschlossen hat, dürfte Ihnen nur angenehm sein.«

Torno trat ein. Bei der Begrüßung Hogans warf er auf Tejo einen schrägen Blick, den Hogan verstand. Er sagte: »Ich möchte Sie, Senhor Torno, bitten, Major Tejo zu gestatten, während unserer Unterredung anwesend zu bleiben.«

Torno nickte, begann sofort zu sprechen. »Der Zweck meines Besuches dürfte Ihnen wohl klar sein, Senhor Hogan. Ich komme, um Sie um Ihre tatkräftige Unterstützung für die kommenden Tage zu bitten. Ich glaube, dazu berechtigt zu sein, haben Sie mir doch schon einmal bei der Frage, ob Krieg, ob Frieden, wohlwollend beigestanden. Der Ministerrat, unter Vorsitz des Präsidenten, ist zu keinem Entschluß gekommen. Anscheinend steht der Präsident auf meiner Seite. Aber die Opposition der Staatssekretäre von Heer und Marine ist sehr stark. Sie kennen ja deren Ansicht, den Krieg durchzuführen bis zum bitteren Ende.

Sie verschanzen sich in erster Linie dahinter, daß das Prestige Brasiliens leiden würde, wenn wir einen voreiligen Frieden schlössen. Vergeblich wies ich nochmals darauf hin, daß der Krieg nur unter schwersten Opfern nach langen Kämpfen von uns siegreich beendet werden könne.

Ich erwähnte natürlich auch, daß der Widerstand in großen Teilen unserer Bevölkerung durch die blutige Unterdrückung der Meutereien nur noch gewachsen ist. Besonders bei diesem Punkt sekundierte mir der Präsident ziemlich energisch. Doch, wie gesagt, jene Starrköpfe waren von ihrem Eigensinn nicht abzubringen, und ich fürchte, sie werden schließlich die Oberhand behalten.«

Hogan zuckte die Achseln. »Gewiß, Senhor Torno, Sie haben durchaus meine Sympathien, doch ich muß es ablehnen, irgendwie handelnd in diesen Zwist einzugreifen. Vielleicht« – er wiegte den Kopf – »hat die Opposition doch recht!«

»Ich verstehe Sie nicht, Senhor Hogan! Diese – gestatten Sie mir, es offen zu sagen – veränderte Auffassung Ihrerseits – –«

»So lassen Sie mich kurz meine Gründe darlegen! Ich habe mit Major Tejo, der mich gerade verlassen wollte, als Sie kamen, in langem Gespräch besonders den Umstand erörtert, wie es möglich war und ist, daß dieser Wildrake mit seinem Riesenschiff in kurzer Zeit so ungeheure Strecken zurücklegen kann, ohne mehrere Stützpunkte zu haben, um seinen Treibstoff aufzufüllen. Sein Standort, jene kleine Insel im Atlantik, hat er ja nun aufgeben müssen. Es erscheint demzufolge als ziemlich sicher, daß er jetzt in Venezuela selbst seine Anlagen hat.

Über den rätselhaften Unfall unserer Kreuzer ›Carumba‹ und ›Medusa‹ möchte ich jetzt nicht sprechen. Wollte man dem Bericht des Kommandanten Glauben schenken, so müßte man ja annehmen, es habe da eine Zaubergewalt gewirkt, um die Augen der Besatzung zu blenden. – Für Wildrakes unheimlich schnelle weite Fahrten aber gibt es wohl nur eine Erklärung: Er verfügt über einen Treibstoff von ungeahntem Energiegehalt.«

»Doch wie kam er in den Besitz dieses kostbaren Stoffes?«

»Nun, Sie wissen ja, Senhor Torno, daß sich an Wildrakes Seite ein Mann namens Droste befindet. Nach den Feststellungen, die Major Tejo im Heimatort dieses Droste, einem Schlosse Winterloo im nördlichen Deutschland, gemacht hat, ist anzunehmen, daß die Erfindung dort von Droste – wahrscheinlich mit Hilfe zweier älterer Gelehrter, anscheinend Verwandter von ihm – erprobt wurde.

Doch zurück zu dem, was ich mit Major Tejo eben besprach. Senhor Tejo wird sich sofort nach Venezuela begeben, um in Erfahrung zu bringen, wo Wildrake und dieser Droste die neue Station zur Herstellung des Treibstoffes errichtet haben. Er vermutet den Ort im nordwestlichen Teil des Landes, in dem alten Caraibengebiet. Sollte sich diese Annahme bestätigen, dann wäre unbedingt ein Handstreich gegen diese Station, eventuell durch unvermutete starke Truppenlandungen, in die Wege zu leiten. Militärisch mag dieser Vorschlag Schwierigkeiten bieten. Immerhin würde ein Erfolg selbst einen hohen Einsatz lohnen.«

Torno senkte den Kopf, sann lange. Sagte dann: »Und was versprechen Sie sich von einer glücklichen Durchführung Ihres Planes, Senhor Hogan?«

»Nun, ich dächte, das wäre nicht schwer zu erraten. Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß dieser Droste sich ständig in der Station aufhält, um die Fabrikation zu überwachen. Sind wir im Besitz seiner Person und seines Geheimnisses, dann ist Wildrakes Arm gelähmt. Fällt indirekt Wildrake, ist Venezuela seiner stärksten Stütze beraubt. Denn ohne Wildrakes Eingreifen wäre der Friede, so wie wir ihn gewollt, schon längst erreicht.«

Torno erhob sich, stand einen Augenblick zögernd. »Ich habe keinen Grund, zu zweifeln, daß sich alles so verhält, wie Sie sagten, Senhor Hogan. Ich kann daher meinen Widerspruch vorläufig nicht aufrechterhalten. Möchte sich bewahrheiten, was Sie gedacht!«

*


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