Hans Dominik
John Workmann wird Millionär
Hans Dominik

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14. Kapitel

In Valparaiso machten sie nach den Angaben Websters viele Einkäufe. Dann fuhren sie mit der Bahn über Santiago und noch ein Stück weiter nach Süden. In der Gegend von San Fernando verließen sie den Zug und wanderten durch die Hauptstraße des kleinen Städtchens, bis sie vor dem einzigen Hotel standen.

»Buenos dias! Don Antonio!« begrüßte James Webster den Wirt, der ihm von früher her noch wohlbekannt war.

»Buenos dias, caballeros!« erwiderte der Wirt den Gruß. »Wieder im Lande, Mr. Webster. Soll's wieder in die Berge gehen?«

»Es soll, Don Antonio. Gewiß soll's. Aber diesmal nicht allein, sondern in Gesellschaft.«

Mit diesen Worten deutete er auf John Workmann. »Für heute ein paar gute Zimmer in Ihrem Hotel, Don Antonio, und danach ein gutes Abendessen. Wir haben 48 Stunden auf der Bahn gelegen. Morgen geht's an die Zusammenstellung unserer Expedition. Sind noch einige von den Leuten zu haben, mit denen ich hier vor fünf Jahren gearbeitet habe?«

Don Antonio, der dicke chilenische Gastwirt, kratzte sich hinter dem rechten Ohr.

»Die Leute von damals, Mr. Webster? Warten Sie mal. Hm . . . Sie hatten damals den Lopez und den Juliano. Die beiden werden noch zu haben sein. Sind jetzt auch, glaube ich, im Ort. Die drei anderen, die damals mit Ihnen waren, sind verschollen . . .«

»Verschollen?« fragte James Webster. »Was bedeutet verschollen? Totgeschlagen oder in den Bergen verunglückt?«

Don Antonio zuckte mit den Achseln.

»Mit Bestimmtheit kann's niemand sagen, Mr. Webster. Ich würde sagen: Totgeschlagen, wenn nicht . . .«

»Wenn nicht . . . Reden Sie doch weiter, Don Antonio.«

»Nun, wenn ich nicht vor drei Jahren, gerade als die Leute in den Bergen waren, das große Erdbeben gewesen wäre. Da haben die alten Kordilleren ganz anständig gewackelt. Es soll da in den Hochalpen, besonders nach Norden rauf in der Gegend des Aconcagua, schwere Felsstürze gegeben haben. Sie werden dort manches Terrain verändert finden, manche Gegend vielleicht gar nicht wiedererkennen. Ich glaube, daß auch die drei Verschollenen bei den Bergstürzen erschlagen wurden.«

James Webster zog die Stirn in Falten.

»Sie machen mir da keine sehr guten Aussichten, Don Antonio. Hoffen wir, daß die Dinge morgen bei Tage besser aussehen als heute abend. Den Lopez und den Juliano muß ich morgen sprechen. Vielleicht lassen Sie's ihnen schon heute bestellen. Jetzt erst zum Abendessen!«

Nach der Mahlzeit saßen John Workmann und James Webster in ihrem Zimmer zusammen. John Workmann sprach.

»Ich bemerke seit kurzem eine Unruhe an Ihnen, Mr. Webster. Was ist denn geschehen? Ich bitte Sie, sagen Sie mir es offen, wenn irgendwelche Ereignisse eingetreten sind, die unsere Pläne stören.«

James Webster fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Ich kann nicht bestimmt sagen, Mr. Workmann, daß solche Ereignisse eingetreten sind. Aber das Schlimme ist, daß sie vielleicht längst eingetreten sein können, ohne daß wir etwas davon wissen. Das ist eine quälende Ungewißheit.«

»Ich verstehe Sie noch nicht, Mr. Webster. Wollen Sie sich bitte etwas deutlicher erklären?«

»Das kann sehr schnell geschehen. Sie hörten, wie unser Wirt von dem großen Erdbeben vor drei Jahren sprach. Er sagte, daß ich manche Gegend kaum wiedererkennen würde. Das eben ist's, Mr. Workmann, was mir schwere Sorge macht.«

John Workmann unterbrach ihn.

»Ich habe vor unserer Abreise mancherlei über die Geographie und Geologie gelesen. Da steht, daß Erdbeben in Chile zu den Alltäglichkeiten gehören, sich beinahe jede Woche, zum mindesten jeden Monat einmal ereignen.«

»Gewiß, Mr. Workmann, das ist richtig. Sie brauchen sich ja nur diese Bude von einem Hotel anzusehen, um den Beweis für diese Behauptung zu finden. Es wird alles auf größte Erdbebenfestigkeit gebaut, weil die Erde hier wirklich alle Augenblicke bebt Aber es ist ein Unterschied zwischen diesen landläufigen Beben, die so gewissermaßen zum täglichen Leben gehören, und zwischen den großen Katastrophen, die sich nur alle zehn oder zwanzig Jahre einmal ereignen. Ich hatte von dem großen Beben vor drei Jahren auch drüben in der Union gelesen, der Sache aber nur geringe Bedeutung beigemessen. Jetzt fällt mir das schwer auf die Seele.«

»Meinen Sie im Ernst, Mr. Webster, daß unsere Pläne durch dies Beben hinfällig geworden sind?«

»Ich weiß es eben nicht, Mr. Workmann. Wir müssen uns jedenfalls schon hier über die verschiedenen Möglichkeiten klarwerden, und müssen danach unsere weiteren Dispositionen treffen. Ich wiederhole zunächst unseren ursprünglichen Plan. Wir wollten von hier aus mit zwanzig Maultieren und etwa fünf Eingeborenen in die Berge ziehen. Dieser Plan hatte zur Voraussetzung, daß wir das Goldvorkommen so wiederfinden, wie ich es damals verlassen hatte. Jetzt müssen wir mit allen möglichen Veränderungen rechnen. Unter allen Umständen müssen wir gehörig Dynamit mitnehmen, um nötigenfalls sprengen zu können, wenn das Beben uns die Zugänge verschüttet hat.«

»Gut, Mr. Webster, das können wir ja ohne weiteres tun. Bei zwanzig Maultieren haben wir für den ersten Teil unserer Expedition genügend überschüssige Tragkraft.«

James Webster schien an seinen Fingern zu rechnen und jetzt schien das Exempel auch aufzugehen. Er murmelte vor sich hin: »5 Eingeborene und wir zwei . . . 7 Menschen . . . Proviant für einen Monat . . . 7 mal 30 . . . 210 Provianttage . . . pro Tag 2 Kilo . . . 420 Kilo . . . 4 Maultierrücken . . . Zelte . . . Werkzeug . . . Decken . . . 3 Maultierrücken . . . Dynamit . . . 4 Maultierrücken . . . ja, es wird gehen.«

Er wandte sich jetzt an John Workmann. »Das nötige Dynamit könnten wir mitnehmen. Das würde unsere bisherigen Dispositionen nicht stören. Aber die zweite wichtige und vielleicht allerwichtigste Frage muß erst geklärt werden. Wollen wir es riskieren, gleich mit der großen Expedition von zwanzig Maultieren und fünf Eingeborenen aufzubrechen, oder wollen wir erst mit einer ganz kleinen Expedition in die Berge gehen, und uns überzeugen, ob der Schatz noch vorhanden ist.«

»Ich glaube, daß wir viel Zeit verlieren, wenn wir das letztere tun«, warf John Workmann ein.

»Das ist es eben, Mr. Workmann. Wir verlieren die ersten vier Wochen. Das wäre ja an sich nicht schlimm. Aber es braucht sich in diesen vier Wochen nur irgendwie herumzusprechen, daß ich wieder im Lande bin . . . irgendeiner von meinen alten Freunden und Feinden braucht davon etwas zu erfahren, und wir haben die ganze Meute auf dem Halse.

Gehen wir gleich mit der großen Expedition los, so haben wir sicher einen Vorsprung, den die anderen nicht einholen können. Wir können, wenn wir Glück haben, mit dem Schatz zurück sein, bevor die anderen überhaupt wissen, daß wir nach ihm unterwegs sind. Das spricht dafür, sofort mit der großen Expedition loszugehen. Aber freilich, wenn wir kein Glück haben, wenn das Vorkommen unwiederbringlich verschüttet ist, dann haben wir die ganzen Kosten für die große Expedition zum Fenster hinausgeworfen. Ich halte es für meine Pflicht, Mr. Workmann, Sie jedenfalls auf diese schlimme Möglichkeit aufmerksam zu machen, wenn ich auch selbst durchaus dafür bin, gleich mit der ganzen Macht loszugehen.«

Eine kurze Pause des Schweigens. Dann sprach John Workmann:

»Mr. Webster, ich glaube, wer etwas gewinnen will, der muß auch etwas riskieren. Finden wir die Schlucht überhaupt nicht wieder, dann ist das Ganze ein schwerer Fehlschlag. Dann haben wir aber, wenn wir sofort mit der ganzen Macht losgehen, doch schließlich nur die Differenz zwischen der kleinen und der großen Expedition an Mehrkosten aufzuwenden. Dafür haben wir den Vorteil, unbeobachtet zu bleiben und . . . ich möchte hier einen Punkt vorbringen, Mr. Webster, den Sie noch gar nicht erwähnt haben . . . wenn die Schlucht stark verändert ist, so werden wir sie mit der großen Expedition besser und mit größerer Aussicht auf Erfolg suchen können als mit der kleinen. Ist die Schlucht aber überhaupt zu finden, so ist es unbedingt richtig, gleich mit der großen Expedition loszugehen. Also, Mr. Webster, ziehe ich den Schluß, daß wir sofort mit der ganzen Macht losgehen und schon morgen die Expedition zusammenstellen. Ich verlasse mich auf Ihre Zusicherung, daß meine Kreditbriefe auf Valparaiso hier so gut wie bares Geld sind, und daß wir hier alles zu kaufen bekommen, was wir für die Expedition gebrauchen.«

»Sie haben das Richtige getroffen, Mr. Workmann. Ihre Entscheidung ist sicherlich die denkbar beste. Ich denke, morgen abend ist unsere Karawane beisammen und übermorgen früh können wir in die Berge gehen.«

»Abgemacht, Mr. Webster. Jetzt schlage ich vor, daß wir zu Bett gehen. Mir liegt immer noch das Klappern und Rattern dieser vorsintflutlichen chilenischen Eisenbahn in den Gliedern.«

»Abgemacht. Buenas noches! Don Juan!«


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